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Gilbert: Schwerer, eine Sache zu machen, als über sie zu reden? Nicht im geringsten. Das ist ein grober und weit verbreiteter Irrtum. Es ist sehr viel schwerer, über eine Sache zu reden, als sie zu machen. Im Bezirke des wirklichen Lebens ist das natürlich selbstverständlich. Jedermann kann Geschichte machen. Nur ein großer Mann kann sie schreiben. Es gibt keine Art des Handelns, keine Form der Empfindung, die wir nicht mit den niederen Tieren teilen. Nur durch die Sprache erheben wir uns über sie oder über einander – durch die Sprache, die die Mutter, nicht das Kind des Denkens ist. Das Tun ist in Wahrheit immer leicht, und wenn es sich uns in seiner schwersten, weil dauerndsten Form bietet – das ist nach meiner Beobachtung die Industrie – so wird es lediglich die Zuflucht von Menschen, die nicht das geringste zu tun haben. Nein, Ernst, rede nicht vom Tun. Das ist ein blindes Ding, das von äußeren Einflüssen bestimmt und von einem Trieb bewegt wird, dessen Natur ihm nicht bewußt ist. Das Tun ist etwas wesenhaft Unvollkommenes, weil es durch den Zufall eingeschränkt wird, und es kennt seinen Weg nicht, weil es immer von seinem Ziele abweicht. Seine Grundlage ist Mangel an Phantasie. Das Tun ist die letzte Zuflucht derer, die nicht zu träumen verstehen.

Ernst: Gilbert, du behandelst die Welt, als ob sie eine kristallene Kugel wäre. Du hältst sie in der Hand und drehst sie einer willkürlichen Laune zu Gefallen um. Du tust nichts, als die Geschichte neu schreiben.

Gilbert: Das eine sind wir der Geschichte schuldig: sie neu zu schreiben. Das ist nicht die geringste unter den Aufgaben, die der kritischen Geister warten. Wenn wir die Naturgesetze, die das Leben beherrschen, ganz entdeckt haben, werden wir gewahren: es gibt eine Person,