Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/92

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Die Bewegung, dieses Problem der sichtbaren Künste, kann allein von der Literatur wahrhaft erreicht werden. Die Literatur zeigt uns den Körper in seiner Schnelligkeit und die Seele in ihrer Rastlosigkeit.

Ernst: Ja, ich sehe jetzt, was du meinst. Aber gewiß muß, je höher du den schaffenden Künstler stellst, der Kritiker um so niedriger rangieren.

Gilbert: Warum das?

Ernst: Weil das Beste, was er uns geben kann, nur das Echo einer reichen Musik ist, ein dunkler Schatten einer klar umrissenen Form. Es mag in der Tat so sein, daß das Leben ein Chaos ist, wie du mir sagst; daß seine Märtyrerschaften niedrig sind und seine Heldenhaftigkeiten gemein; und daß es die Aufgabe der Literatur ist, aus dem Rohmaterial des tatsächlichen Daseins eine neue Welt zu schaffen, die dann wunderbarer, dauernder und wahrer ist als die Welt, die von gemeinen Augen angesehen wird, und durch die die gemeine Natur ihre Vollkommenheit zu erreichen sucht. Aber das scheint sicher, wenn diese neue Welt vom Geiste und der Berührung durch einen großen Künstler gemacht worden ist, ist sie ein so vollendetes und fertiges Gebilde, daß der Kritik nichts zu tun übrig gelassen wurde. Ich verstehe jetzt völlig und gebe wirklich bereitwillig zu, daß es viel schwerer ist, über eine Sache zu sprechen als sie zu machen. Aber mir scheint, dieser richtige und gescheite Satz, der sich in der Tat sehr leicht ins Gefühl schmeichelt und von jeder Literaturakademie in der ganzen Welt als Motto akzeptiert werden sollte, bezieht sich lediglich auf das Verhältnis von Kunst und Leben und findet keine Anwendung auf irgend eine Beziehung, die etwa zwischen Kunst und Kritik bestehen kann.