Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/97

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durch die Ausdrucksmöglichkeiten des Geistes und der Empfindung, mit hohem Pathos und noch höherem Denken, mit phantasievoller Versenkung und dichterischem Flug; größer, denke ich immer, wie eben die Literatur die größere Kunst ist. Wer wiederum kehrt sich daran, ob Walter Pater in das Bildnis der Monna Lisa etwas hineingelegt hat, was Lionardo nie im Traume eingefallen war? Der Maler hat vielleicht, wie einige meinten, wirklich nur ein archaisches Lächeln nachgeahmt, aber jedesmal, wenn ich in den kühlen Gängen des Louvre wandle und vor der seltsamen Gestalt stehen bleibe, „die in ihrem marmornen Sessel im Kreise dieser phantastischen Felsen sitzt, wie in einem sonderbar trüben Licht unterm Meer“, dann murmle ich bei mir: „Sie ist älter als die Felsen, zwischen denen sie sitzt; wie der Vampir ist sie lange Zeiten hindurch tot gewesen und hat die Geheimnisse des Grabes kennen gelernt; und sie ist ein Taucher in tiefen Meeren gewesen und bewahrt ihr versunkenes Licht, und sie handelte mit Kaufleuten aus fernem Osten um seltsame Gespinste; und als Leda war sie die Mutter der trojanischen Helena, und als heilige Anna die Mutter Marias; und all das war ihr nur wie der Klang von Leiern und Flöten und lebt nur in der entzückenden Feinheit, mit der dieser Klang die beweglichen Züge gebildet und die Lider und Hände gefärbt hat.“ Und ich sage zu meinem Freunde: „Die hohe Gestalt, die da so seltsam an den Wassern erstand, ist der Ausdruck der Sehnsucht, zu der der Mensch auf tausendjährigen Wegen gekommen war;“ und er antwortet mir: „Sie trägt das Haupt, auf das ,alle Vernichtung der Welt gekommen ist‘, und ihre Lider sind ein wenig müde.“

Und so wird das Bild wunderbarer für uns, als es wirklich