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Johann Joseph Gall.
Geb. d. 9. März 1758, gest. d. 22. Aug. 1828.


Ein philosophischer Arzt und Denker, welcher durch die Erfindung der Schädellehre oder Kranioscopie vorzüglich berühmt wurde; doch theilte er das Loos vieler seiner hochbegabten deutschen Landsleute, er mußte außerhalb Deutschland Ruf und Anerkennung suchen, denn wenn auch seine Nation ihm letztere zu zollen sich herbeiließ, so war doch der Enthusiasmus für seine Lehre in Deutschland nur von kurzer Dauer.

Gall wurde in dem Marktflecken Tiefenbrunn im badischen Oberamte Pforzheim geboren und befand sich als Knabe im Schooße glücklichen Familienlebens, wo schon in ihm selbst eine lebhafte Neigung sich entwickelte, andere zu beobachten, und namentlich ihre verschiedenen Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten wahrzunehmen, und daß diese sich da, wo sie einmal wahrgenommen worden waren, in ihrer Besonderheit gleich blieben, so daß z. B. der mit dem Zahlentalent begabte dieses nicht verlor, der für die Sprachen begeisterte kein Rechner wurde u. dgl. Schon damals gewahrte Gall, daß namentlich die mit dem Talent leicht auswendig zu lernen begabten Knaben große, hervorstehende Augen hatten, achtete darauf und schloß daraus, daß wohl manche Begabung durch äußere Kennzeichen am Kopfe der Menschen sich kundgeben möge.

Gall studirte in Wien Arzneikunde und diese bot ihm nun in Fülle Gelegenheit, das, was er als werdender Jüngling geahnet, wissenschaftlich zu ergründen, und es wurde ihm zur Gewißheit, daß die verschiedenen Theile des Gehirns die verschiedenen Organe der menschlichen Fähigkeiten seien.

Nach vollendeten Studien ließ sich Gall in Wien 1785 als ausübender Arzt nieder und trat mit mehreren Schriften auf, welche in ihm einen scharfsinnigen Denker erkennen ließen und die Aufmerksamkeit des Publikums aus ihn lenkten. Zuerst erschienen seine »philosophisch-medicinischen Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustande des Menschen«, 2 Theile, und diesen folgten die »anatomisch-physiologischen Untersuchungen über das Gehirn und die Nerven.«

Mit beharrlichem Fleiße untersuchte Gall fort und fort die Schädelbildungen bei Menschen sowohl wie bei Thieren, stieß auf überraschende Resultate, besuchte