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Paul Gerhard.
Geb. 1606, gest. d. 27. Mai 1676.


Paul Gerhard war einer der gemüthvollsten und seelinnigsten geistlichen Liederdichter, die je gelebt, und obschon seit seinem Tode fast zwei Jahrhunderte verrannen, so lebt sein Andenken, leben seine Lieder in deutschen, christlichsfrommen Gemüthern dennoch noch immer fort, weil sie von einem poetischen Zauber verklärt sind, und die ächte Frömmigkeit athmen, die für so manche Herzen ein Bedürfniß ist.

Gerhard wurde zu Gräfenhainichen in Sachsen geboren. Sein Jugendleben liegt ganz im Dunkel; man weiß nicht, wer seine Aeltern waren, weiß nicht, wo er seine akademischen Studien begann und endete, und wie seine poetische Begabung zuerst ihre jugendlichen Schwingen entfaltete, und dieß kommt daher, daß im dreißigjährigen Kriege auch Gräfenhainichen das Loos traf, völlig verheert und eingeäschert zu werden, so daß weder aus Kirchenbüchern noch aus Archiven betreffende Nachrichten von der früheren Vergangenheit des Dichters auf die Nachwelt gelangten. Im Jahre 1651 begegnet uns Paul Gerhard fertig und vollendet als Theolog und als Dichter; er war Propst zu Mittenwalde in der Mark Brandenburg, gelangte zu Ruf und Ansehen auch außerhalb seines Kirchsprengels, und empfing sogar im Jahre 1657 eine Berufung nach Berlin, um an der Nicolaikirche als Diakonus zu wirken. Dieß that Gerhard mit Freudigkeit und Treue, bis eine Zeit kam, die ihn in seinem Wirken störte und betrübte. Es war die Zeit der unseligen kirchlichen Streitereien der Lutheraner und Reformirten über Glaubenslehren, und auch Paul Gerhard gesellte sich zu den strengen lutherischen Theologen, die unermüdlich und unablässig die Reformirten bekämpften, während der Landesherr, Markgraf Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst, letztere schützte und sie geschont wissen wollte. Da geschahe denn das unvermeidliche und unausbleibliche, Paul Gerhard empfing unterm 16. Febr. 1666 die durch seine theologische Hartnäckigkeit erwirkte Entlassung. Dieses Umstandes hat sich die Sage bemächtigt, und eine rührende Erzählung aus demselben geschöpft, deren Inhalt in Kürze dieser ist: Paul Gerhard sei aus Berlin verwiesen worden, und habe zum Wanderstabe in das Exil greifen müssen.