Seite:Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen.pdf/136

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Auf dem Wege sei Paul Gerhard’s Frau von der größten Niedergeschlagenheit und Trostlosigkeit über ihr Schicksal ergriffen worden, da sei der Dichter in den Garten des Gasthauses, darin beide übernachteten, gegangen, und habe das unvergleichlich schöne Trostlied: Befiehl du deine Wege, gedichtet. Da seien noch denselben Abend Boten des Herzogs Christian zu Sachsen-Merseburg gekommen, und haben ihm die Nachricht überbracht, daß ihr Herr ihm ein Jahrgehalt ausgesetzt habe, und sobald als möglich ihn durch eine Predigerstelle versorgen wolle. – Paul Gerhard wurde aber, obschon seines Dienstes entlassen, keineswegs aus Berlin vertrieben; seine ihm liebevoll anhängende Gemeinde erhielt ihn, die Stadt und die Stände der Mark kamen fürbittend bei dem großen Kurfürsten ein, ihn wieder zu Gnaden anzunehmen, was auch durch eine Verfügung vom 19. Jan. 1667 erfolgte. Die rücksichtvolle Gnade des Regenten ging so weit, daß Paul Gerhard sogar von der Verpflichtung entbunden wurde, das Gelöbniß, die Reformirten ferner nicht durch Wort und Schrift zu bekämpfen, zu unterschreiben, da er sich weigerte dieses zu thun, und es erging an ihn blos die mahnende Aufforderung, sich in den kirchlichen Streithändeln geziemender Mäßigung zu befleißigen. Da jedoch zu solcher Mäßigung Paul Gerhard der Wille und der Gehorsam mangelte, so verließ er nun Berlin freiwillig und zog in das Sachsenland. Ob er, wie hier und da angegeben ist, in dieser Zeit seines freiwilligen Exils die meisten seiner Lieder gedichtet, oder nicht viel mehr in befriedigender Wirksamkeit und in beschaulicher Stille, ist eine Frage, die sich leicht von selbst beantwortet, um so mehr, als der Aufenthalt in Sachsen ein Exil um so weniger genannt werden kann, da es niemand einfiel, den Dichter zu verfolgen, und schon 1669 der Herzog zu Sachsen-Merseburg ihm das Archidiakonat zu Lübben in der Niederlausitz verlieh. Dort starb Gerhard als Oberpfarrer, nachdem er ein ziemlich hohes Alter erreicht. Er hatte nur einen einzigen Sohn, der sich auch zum Prediger heranbildete.

Paul Gerhard hinterließ an Geisteswerken nur seine religiösen Lieder, aber in ihnen einen reichen, viele Bände anderer theologischen Schriften aufwiegenden Schatz. Manche in seiner Zeit liegende Rauhigkeit – selten Anstößigkeit – im Ausdruck, und hier und da eine prosaische Wendung abgerechnet, sind diese Lieder formgerecht, gedankenvoll, poetisch schön und innig fromm. Nächstdem spricht aus vielen der Lieder eine große Kenntniß der Natur, wie Vorliebe und Beobachtungsgabe für dieselbe. Davon zeugt am meisten das reizende Sommerlied: »Geh aus mein Herz und suche Freud«. Viele andere, wie z. B. das angeführte: »Befiehl du deine Wege;« »Ich weiß daß mein Erlöser lebt;« »Nun danket all und bringet Ehr;« »Nun ruhen alle Wälder;« »O Haupt voll Blut und Wunden;« »Sollt ich meinem Gott nicht singen?« »Wach auf mein Herz und singe;« »Warum sollt ich mich denn grämen?« »Wie soll ich dich empfangen?« »Zweierlei bitt ich von dir« – wurden Lieblingslieder der deutschen Nation, und eine noch ungleich größere Anzahl ging in alle lutherischen Gesangbücher über, und die selbstständige Ausgabe derselben erlebte viele Auflagen, erschien auch öfter in verbesserter Gestalt. Von neueren Dichtern kam Gellert Paul Gerhard am meisten nahe.