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Johann Gottfried von Herder.
Geb. d. 25. Aug. 1744, gest. d. 18. Dez. 1803.


Priester Gottes, Priester der Humanität, in dieses Wortes würdigster und erhabenster Bedeutung zählt Herder unbestritten zu des deutschen Vaterlandes größten Dichtergeistern und lebt mit unvergänglichem Nachruhm gefeiert im dankbaren Andenken der Nation.

Herder’s Geburtsort ist das ostpreußische Städtchen Morungen; sein Vater war dort Töchterlehrer, Cantor, auch gelernter Tuchmacher; er ertheilte dem frühzeitig lernbegierigen Sohn selbst den ersten Unterricht, versagte ihm aber außer Bibel, Gesangbuch und Catechismus jedes andere Buch, und der Knabe mußte verstohlen vom Lebensbaume unterhaltender und belehrender Literatur naschen, so sehr ihn auch das lesen der Bibel anzog und befriedigte. Ein Prediger des Ortes half ihm weiter, rieth ihm indeß vom studiren ab und bediente sich seiner als Abschreiber, wobei dem jungen Herder der Gebrauch der Bibliothek dieses Geistlichen verstattet blieb, so wie die Theilnahme am Unterricht der eigenen Söhne. Ein russischer Wundarzt bot Herder an, ihm nach Petersburg zu folgen und die Chirurgie bei ihm zu erlernen; Herder folgte ihm bis Königsberg, entsagte aber dort seinem Vorhaben, da sein weiches Gemüth Sectionen beizuwohnen ihm unmöglich machte. Es fanden sich hülfreiche Freunde; Herder, mit manchen schönen Vorkenntnissen, sah sich aufgemuntert, Theologie zu studiren, verband dann mit dieser das Studium der Philosophie, wurde eifriger Jünger Kant’s, wandte sich auch andern verwandten Studien zu, befreundete sich mit Hamann, und sah sich, unterstützt durch Fleiß, höchst glückliche Begabung und endlich durch jene höhere Führung, ohne deren Macht und Willen auch der Begabteste geistig verkommen kann, bald an das Ziel seiner Wünsche getragen. Im Jahre 1762 hatte Herder seine Studien begonnen, im folgenden Jahre wirkte er schon selbst als Lehrer am Collegium Friedericianum, und 1764 wurde er Collaborator und Prediger an der Domschule zu Riga. Dahin, wohin das Schicksal schon früher ihm zu winken schien, nach St. Petersburg, winkte es nochmals, Herder sollte dort Direktor der Peters-Schule werden, allein er lehnte den Antrag ab und sah dieß in Riga dankbar anerkannt. Gleichwohl war