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mit ungemeinem Beifall, verschmähte es aber, sich Geld zu machen, lebte in Dürftigkeit dahin und legte für einen Nothfall nur 20 Friedrichsd’or zurück, schrieb vieles und tüchtiges, und begründete durch seine »Kritik der reinen Vernunft« und die »Kritik der praktischen Vernunft« hauptsächlich die nach ihm benannte philosophische Lehre, welche sich großen Beifall und zahllose Anhänger erwarb, der es aber auch nicht an Gegnern fehlte, wie es nicht anders sein konnte, denn noch hat keiner ein philosophisches System aufgestellt, das nicht umzustürzen und zu beseitigen und eigenes oder auch nur ungeeignetes an dessen Stelle zu setzen, andere begierig lauerten.

Aller Verdienste um seine Wissenschaft ungeachtet, blieb der berühmte Mann dennoch an der vaterländischen Hochschule Königsberg 15 Jahre lang Privatdocent, und dauernd in dürftigen Verhältnissen, die er mit stoischem Gleichmuth trug. Als sich im Jahre 1756 die Professur der Philosophie erledigte, suchte Kant dieselbe zu erlangen – es war vergebens. Eben so wenig gelang es, eine 1759 sich erledigende Stelle zu bekommen. Mittlerweile war Kant’s wohlerworbener Ruhm endlich doch bis zu dem König durchgedrungen, und Friedrich der Große befahl nun, die erste Professur, welche sich in der philosophischen Facultät erledigen werde, Kant zu übertragen, und siehe da, es erledigte sich zuerst ein Lehrstuhl der Dichtkunst, und um ein Haar wäre der große Philosoph, der vielleicht nie in seinem Leben ein Gedicht geschrieben, Professor der Poesie zu Königsberg geworden, wenn er nicht mit richtigem Gefühl die Stelle ausgeschlagen hätte. Eine 1766 übernommene Bibliothekaufseherstelle mit geringem Gehalt gab er nach wenigen Jahren wieder auf, da seinem hohen Geist das Vorreiten der sogenannten Paradepferde und die Handlangerei ohne selbstständige eigentliche bibliothekarische Wirksamkeit unmöglich zusagen konnte. Erst im Jahre 1770, bereits 46 Jahre alt, wurde Kant ordentlicher Professor. In der Inauguraldisputation, welche Kant bei dieser Gelegenheit schrieb und vertheidigte, stellte er seine eigenthümlichen Theorien über Zeit und Raum auf.

Im Jahre 1780 trat Kant in der Eigenschaft eines vierten Professors der philosophischen Facultät als Mitglied in den academischen Senat ein und wurde 1786 zum ersten male Rector der Hochschule; jetzt sah er sein Einkommen gemehrt, erlangte die Mitgliedschaft der Berliner Akademie und empfing nach einander mehrere Rufe in das Ausland, nach Mitau, Halle, Jena, Erlangen etc., lehnte aber alle ab und blieb seinem lieben Königsberg treu, über dessen Grenzmarken er kaum einmal in seinem Leben hinausgekommen war. Dort war er der allbeliebte Professor, dort wirkte er durch die geistvollsten Verträge belehrend, bildend, mannichfach anregend; wer ihn gehört hatte, pries sich glücklich, Kant’s Schüler gewesen zu sein, obschon manche seiner Vorträge die ungetheilteste Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Seine Vorträge hielt er frei, er war keiner von denen, die kein Wort weiter sagen, als was im Buche steht; jeden einzelnen Vortrag belebte ein frisch lebendiger Hauch des Geistes.

So lebte und lehrte Kant bis zum Jahre 1794, da störte ihn das durch den übel berüchtigten Schwärmer Wöllner veranlaßte Religionsedict König Friedrich Wilhelm’s II. und eine gegen Kants Schrift: »Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft« gerichtete Cabinetsordre in seinem geist- und lichtvollen Wirken. Kant vertheidigte sich würdevoll, setzte dem beschränkten und beschränkenden Behördenverstand die Freiheit der Facultäten entgegen, trat ab von dem Schauplatz seiner ruhmgekrönten Thätigkeit, und lebte noch 10 Jahre eines ächt philosophischen Daseins, höchst diät, höchst geregelt, niemals krank, stets bei gutem Appetit, den ihm selbst ein Wöllner nicht zu verderben vermochte; dabei war und blieb er heiter, gastfrei und ein großer Verehrer der Kochkunst, welche Einsichtvolle mit Recht zu den schönen Künsten zählen. Ein alter Diener, Namens Lampe, diente und pflegte ihn, und sorgte redlich für den nöthigen appetitfördernden Aerger, bis der letztere ganz zum Cyniker wurde und entlassen werden mußte. Endlich aber sank bei Kant die lang bewährte Kraft des Geistes, wie die des zart gebauten Körpers, die Natur heischte ihren Zoll und er trat ihr denselben gern und willig ab, indem er den sanften Tod eines wahren Weisen starb.