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und Luther gab sich den scholastisch-aristotelischen nicht minder, wie den humanistischen Studien mit allem ernsten Fleiße hin; aber auch die religiösen zogen sein Gemüth an, dem Jugendlust und Weltfreude meist fremd geblieben waren, wiewohl er ein Herz voll Liebe zu Gott und Menschen und ein für Freundschaft reich empfängliches Gemüth besaß. Das kirchliche Leben in der volkreichen Tochterstadt des goldenen Mainz öffnete und schärfte Luther’s Blick schon jetzt für vieles, was er anders fand, als es sein sollte. Im Jahre 1505 wurde er Magister, trat aus dem Studentenkreise nun schon in den Kreis der tüchtigen Lehrer ein, ohne darum aufzuhören, weiter zu studiren; alles Studium aber hatte kirchlichen Zuschnitt, die Kirche beherrschte die Hochschulen jener Zeit fast unbedingt, daher Luther's frühes Hinneigen zu ihr, eine Frucht seines Frommsinns und seiner Gläubigkeit. Das Studium des geistlichen Rechts, welches Luther begann, half ihm auch, sich der Theologie zu nähern; er fand auf der Bibliothek eine lateinische Bibel, die damals selbst den meisten Gelehrten unbekannt war; ihr reicher Inhalt reizte noch mehr, und zwei heftige Gewitter, in welche Luther nach einander auf freiem Felde gerieth, drängten ihn zum festen Entschluß hin — Mönch zu werden. Das erste streckte einen Freund an seiner Seite tod nieder, das zweite bedrohte ihm selbst abermals das eigene Leben. Er glaubte den Ruf des Herrn aus Flammen und Donner zu hören, und gelobte sich dem Kloster.

Das Augustinerkloster zu Erfurt nahm Luther auf, und dieser begann nun sein Mönchsleben voll Demuth, voll Entsagung und Selbstverläugnung, ja Selbstpeinigung, voll asketischer Strenge gegen sich selbst, ringend nach Erleuchtung, oft von Zweifelqualen gepeinigt; es folgte nach dem martervollen Probejahr die Ablegung des Mönchsgelübdes, diesem die Priesterweihe, durch die der Vater, welcher zürnte, daß Luther gegen seinen Willen den Mönchsstand erwählt, versöhnt wurde.

Von 1505 bis 1508 blieb Luther Mönch, da berief ihn, durch den Ordensprovincial Staupitz, Kurfürst Friedrich der Weise zu Sachsen an die neue Hochschule Wittenberg und dadurch auf die große Bahn seiner Zukunft, die voll Dornen war wie voll Rosen, voll Mühe wie voll Freudigkeit und voll Gottessegen. Als Bakkalaureus der Theologie begann Luther seine Vorlesungen in dem ihm gegen Erfurt unschön genug erscheinenden Wittenberg, ohne aus dem Ordensverbande zu treten; der Professor, welcher die heilige Schrift auszulegen begann und über Aristoteles las, war und blieb Augustinermönch, predigte auch noch voll Eifers und mit vielem Beifall. Da ward ihm 1510 die Mission zu Theil, gen Rom zu reisen, die seinem noch von mancherlei Zweifeln getrübten Gemüth hoch willkommen war. Er ging und sah, staunte und zürnte; der kindlich fromme Sinn ward enttäuscht, der Nimbus der Ferne, so hell und schön über der ewigen Stadt und St. Petri heiligem Stuhle, wie schwand er hinweg vor dem prüfenden Blick des sittenreinen jungen Mönchs, da dieser nun «Roms Wunder» sah, und weit mehr sah, als ihm gut schien! —

Im Jahre 1512 erwarb Luther in Wittenberg die theologische Doctorwürde, lehrte und predigte fernerhin, ein treuer Diener seiner Kirche wie seines Amtes, und begann in den späteren Jahren, immer noch als »Bruder Martinus bei den Augustinern«, welche eine eigene Druckerei besaßen, die literarische Wirksamkeit durch den Druck einzelner Predigten. Die Reuchlinistenfehde bewegte damals die gelehrte Welt; das Bewußtsein der deutschen Nation gegen den päpstlichen Druck und Trug erwachte, die scholastische Theologie fand geistreiche Gegner in Menge und alle die mächtige Bewegung der Zeit und die Stimmen, die nach Licht, Wahrheit und geistiger Freiheit riefen und rangen, fanden ein Echo in Luther's deutschem Herzen. Dazu der immer schamloser getriebene Ablaßhandel, der im Lande Sachsen durch Tetzel auf die Spitze getrieben wurde! —

Lange rang Luther mit sich selbst; nicht ohne eifriges Studium, nicht unvorbereitet that er endlich den großen Schritt voll weltgeschichtlicher Bedeutung, als er seine 95 Sätze gegen den Ablaß am 31. Oct. 1517 an die Schloßkirche zu Wittenberg anschlug; aber er that ihn voll Mannesmuth, voll Gotteskraft, und es begannen seine neuen Kämpfe, seine herrlichen Siege. That gebar sich aus That; die Heldenlaufbahn des muthigen Ringers war begonnen, er mußte sie vollenden, und wie er sie vollendet, davon geben Worte und Werke unvergängliche Zeugnisse. In Augsburg vor Cajetan, in Altenburg vor Miltitz vertheidigte sich Luther männlich, trotzte dem Bann des Papstes in Wittenberg und schleuderte die Bulle in das flammende Feuer. So auch zog er unerschrockenen Muthes gen Worms, während sein Ruhm schon Deutschland durchflog, und stand 1521 wie ein unerschütterlicher Fels vor dem Kaiser und der Reichsversammlung. — »Gott helfe mir, ich kann nicht anders, Amen!« mit diesen Worten besiegelte Luther sein Bekenntniß, und Gott half ihm. Schirmend wachte über ihn, ohne persönlich in den Glaubensstreit sich einzumischen, das Auge seines zwar frommen, aber hellblickenden Fürsten, und dieser ließ ihn, dem die Acht auf dem Fuße folgte, auf der Heimreise, da Luther in Möra die Verwandten von Eisenach aus besucht hatte, heimlich aufheben und auf Schloß Wartburg in Sicherheit bringen, das ihm 10 Monden lang gar ein heimlichtrauliches Asyl war, wo er in Rittertracht einherging und doch gelehrt und geistlich lebte, wo er das unsterbliche Werk der Bibelübersetzung begann und förderte, bis der Bildersturm in Wittenberg ihn bewog, die eigene Sicherheit in die Schanze zu schlagen und auf den Kampfplatz zu eilen, auf den er berufen war von der innere Stimme durch den Wink der ewigen Wahrheit.

Das umfassende Werk der Kirchenverbesserung, dessen Werkmeister Luther war, nahm nun zunächst in Sachsen den gedeihlichsten Fortgang, breitete sich weiter und weiter aus, doch war es schwer und mühsam, war eine langsam reifende, oft bedrohte Frucht. Dieses Werk ist als ein reicher Schatz der gesammten christlichen Kirche zu gute gekommen, auch der katholischen, deren einsichtvolle und kenntnißreiche Bekenner dieß eingestehen. Dem Wohl der Kirche galt Luther's Wirken, nicht spalten wollte er, nicht Parteiführer sein, nicht die Kirche verwirren, nur Mißbräuche abschaffen, Menschensatzung verbannen, Gottes Satzung bestehen lassen. Er konnte nun nicht mehr anders, als das Mönchskleid ablegen; er verheirathete sich, weil er im Ehestande ein gottgebotenes Gesetz erfullte und sein eheliches Leben war ein Muster von Sitte, Keuschheit und Treue.

Luther’s zahlreiche Schriften gingen von Hand zu Hand, zündeten aller Orten und Enden, sein Fleiß, seine Thätigkeit grenzten an das unglaubliche; die Fülle seiner Werke giebt von diesem Fleiße Kunde. Als Dichter stand er da, wie ein Prophet, gottbegeistert; an Mächtigkeit über die Sprache übertraf ihn keiner, er schuf Deutschland eine geläuterte Prosa. So waltete und wirkte Luther, bis die Zeit kam, da er müde wurde von der mühsamen rastlosen Arbeit, müde — aber nicht schwach; gottgetrost konnte er auf sein vollbrachtes Leben blicken, als sein Scheiden an dem Orte erfolgte, an dem er geboren ward, von dem er ausgegangen, wie er leise geahnet, vielleicht gehofft hatte. Die Leiche wurde unter den lautesten Wehklagen der ganzen Bevölkerung nach Wittenberg gebracht und in derselben Schloßkirche beigesetzt, an deren Pforte er den großen Glaubenskampf begonnen hatte.