Theophrast war einer der merkwürdigsten Gelehrten,
welcher nicht nur seinen Zeitgenossen ein Räthsel blieb,
sondern auch vielen der Nachkommen ein solches noch
bis diese Stunde ist. Uebel beurtheilt, häufig sogar
geradezu verurtheilt, als medicinischer Marktschreier mißachtet, ist er fast stets der Menge vorgeführt worden,
und nur wenige tiefer in seinen Geist, sein Wesen und
sein Wissen eindringende haben ihn besser gewürdigt,
obschon auf die Gefahr hin, selbst, gleich ihm, verkannt
zu werden. Theophrastus Paracelsus wurde zu Einsiedeln
in der Schweiz geboren, einem berühmten
Mirakel- und Wallfahrtort, wo sein Vater Licentiat
der Medicin war. Der Vater gab dem Sohne eine
sorgfältige Vorbildung und zugleich Anleitung, auf der
eigenen wissenschaftlichen Bahn fortzuschreiten, wozu
eine gute Sammlung der in jener Zeit bedeutendsten
ärztlichen Schriften trefflich diente. Mit der Arzneikunde
war damals das Studium der Physik und
Alchymie auf das innigste verknüpft; eine reine Medicin
und eine reine Chemie gab es noch nicht; die gelehrtesten
Aerzte des Mittelalters huldigten als Söhne
ihrer Zeit den sogenannten geheimen Wissenschaften
und suchten das Wesen der Natur und alles erschaffenen
durch erstere zu erforschen. Als der Sohn vom
Vater nichts mehr lernen konnte, soll ersterer den Unterricht
des berühmten freilich halbmythischen Basilius
Valentinus empfangen und von diesem die Kunst
erlernt haben, den Stein der Weisen zu bereiten.
Sicherer ist, daß Trithemius und Sigismund Fugger
Paracelsus unterwiesen, worauf er ein Wanderleben
begann, und – seine Kunst übend und dabei fortlernend
– ganz Europa, wie Theile Asiens und
Afrikas durchzog. Daß diese Reisen für den hellen
Kopf des Kunstjüngers nicht ohne Frucht und nicht
ohne die Schätze reicher Erfahrung blieben, daß er für
sein Wissen ungleich mehr gewann, als wenn er geeilt
hätte, sich nach dem Studium weniger Jahre behaglich
in irgend einem Ort den häuslichen Heerd zu gründen,
ist außer Zweifel, und der Spruch: »Kenntniß ist
Macht«, bewährte sich bei Paracelsus in glänzender
Weise. Die berühmtesten Aerzte der damals bekannten
Welt hatte der junge Priester des Heilgottes aufgesucht
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/33&oldid=- (Version vom 20.8.2021)