In einer Vorstadt Wiens in dürftigen Verhältnissen
geboren, erhielt Franz Schubert eine durch nichts das
Gewöhnliche überschreitende Bildung. Seine schöne
Stimme verschaffte ihm die Aufnahme unter die Hofkapellknaben
(1808), wodurch zugleich für seine musikalische
Ausbildung im kaiserlichen Convict gesorgt war,
in dem er mit außerordentlicher Schnelligkeit überraschende
Fortschritte machte. Nachdem er dasselbe verlassen hatte,
lebte er Anfangs im älterlichen Hause, dann für sich
ganz der Musik, indem er sich durch Unterricht und
das knappe Honorar für seine Compositionen den nothdürftigsten
Unterhalt zu verschaffen suchte. Zu einer
gesicherten selbständigen Existenz hat er es nie gebracht;
sich geltend zu machen, war so wenig in seiner Natur,
als von seinen künstlerischen Bedürfnissen irgend etwas
socialen oder bürgerlichen Verhältnissen aufzuopfern.
Diese beschränkte Lage aber, wie der Mangel an glänzenden
äußeren Erfolgen vermochten seine Lust an unausgesetztem
künstlerischem Schaffen so wenig als seinen
Lebensmuth auf die Dauer zu schwächen. Den größten
Theil des Tages war er mit Componiren beschäftigt,
den Abend pflegte er in heiterem Gespräch beim Wein
in einem befreundeten Kreise von Künstlern zuzubringen,
die an ihm mit gleicher Verehrung und Liebe hingen,
und ihn, wie wenig er auch hervorzutreten pflegte, als
die Perle ihres Kreises ansahen. Aus diesem stillen
Leben raffte ein früher Tod ihn unerwartet fort.
Die Menge seiner Compositionen ist bei einem so kurzen Leben schon an sich staunenswerth. Alle Gattungen, für die Kirche, das Theater, Instrumental- und Gesangmusik sind aufs reichste vertreten. Der geringste Theil davon ist gedruckt, und auch jetzt sind es außer einer Symphonie – einer von den sehr wenigen, die als wahre Sprößlinge der Beethoven’schen gelten können – einigen Compositionen aus dem Gebiet der Kammermusik nur seine Lieder, welche das Publicum kennt und liebt. Die Fülle und Schönheit derselben ist auch so außerordentlich, daß sie allein hinreichen, seinen Namen unsterblich zu machen. Was die Kraft schöpferischer Erfindung anlangt, so steht Schubert keinem Komponisten nach, und unter allen sind wenige, die sich mit ihm messen können. Und zwar ist es nicht
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/333&oldid=- (Version vom 14.9.2022)