Dieser hochberühmte Staatsmann, dem Deutschland unendlich
viel schuldet und dessen Andenken ein dauernd
gesichertes ist, wurde zu Nassau geboren, und widmete
sich in Göttingen staatswissenschaftlichen Studien.
Nach der Rückkehr von der Universität fand der äußerst
befähigte junge Mann, der einer der ältesten und angesehensten
Familien angehörte, bald eine Anstellung
als preußischer Bergrath, 1793 als Kammerpräsident
in Westphalen, in welcher Stellung er sich unter
anderm durch bedeutende Straßenbauten große Verdienste
erwarb. Als der Minister Struensee mit
Tode abgegangen war, erhielt v. Stein das Ministerium
über die Abtheilung des Zoll-, Accise-,
Steuer- und Fabrikwesens, welches ihm aber manchen
Verdruß und manche Reibung zuzog, die sein von
Natur heftig angelegter Charakter ihn nicht ertragen
ließ, und da er den Schutz nicht fand, den die Lenker
an den Spitzen der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung
für die Ausführung ihrer Anordnungen
haben müssen, so begehrte er im Januar 1807 seinen
Abschied, der ihm auch in nichts weniger als gnädigen
Ausdrücken ertheilt wurde.
Freiherr vom Stein zog sich auf seine Güter zurück, während Deutschland und zumal Preußen in trauervoller Erniedrigung von der napoleonischen Herrschaft gehalten und geknechtet wurde. Wohl fühlte man, wie sehr die rechten Männer fehlten, den ganz niedergedrückten Volksgeist wieder zu beleben, und wie sehr es Noth thue, durch wohl überdachte Einrichtungen eine Aenderung der Dinge vorzubereiten. Freiherr vom Stein war ein solcher Mann im höchsten Sinne des Wortes, Preußen rief ihn zurück, und er bewirkte eine Umgestaltung des verwaltenden Staatswesens, die sich von den nachhaltigsten nützlichen Folgen zeigte, während Scharnhorst in der Stille und in verwandter Weise die Umgestaltung des preußischen Heerwesens vorbereitete und bewirken half. Es waren tiefeingreifende Veränderungen, welche v. Stein anbahnte, sie fanden auch nicht gleich allgemeine Anerkennung und Billigung, am wenigsten bei v. Stein’s Standesgenossen, beim höhern und niedern Adel, denn nach einem Edict vom 9. Oct. 1807 wurde dem Adel das vorher ausschließliche Recht auf den Besitz von Rittergütern entzogen, auch der Bürger und Bauer durften nun Rittergutsbesitzer
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/359&oldid=- (Version vom 14.9.2022)