Seite:Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen.pdf/371

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Ludwig Tieck.
Geb. d. 31. Mai 1773, gest. d. 28. April 1853.


Eine der hervorragendsten Persönlichkeiten und Erscheinungen in der deutschen poetischen Literatur, der, wie viele ihm ebenbürtige, aus der Enge kleinbürgerlicher Sphäre zu den Höhen der Wissenschaft sich aufschwang, durch ein langes Leben hindurch anregend auf andere, erfolgreich und mit hohem Ruhme wirkte und sich der Anerkennung der gebildetsten seiner Nation erfreute.

Ludwig Tieck wurde in Berlin geboren und war der Sohn eines gebildeten Seilermeisters; er hatte noch einen Bruder, welcher ein berühmter Bildhauer, und eine Schwester, welche eine liebenswürdige Frau und talentvolle Schriftstellerin wurde. Nach dem Besuch eines berliner Gymnasiums studirte Tieck zu Halle, Göttingen und Erlangen Geschichte und Literatur der Poesie mit großem Fleiße, machte dann eine ziemlich ausgedehnte Reise, befreundete sich in Jena mit den Gebrüdern Schlegel, in Weimar mit Herder und andern bedeutenden Geistesgrößen, und verheirathete sich in Hamburg mit der Tochter eines Predigers. Von allen literarisch strebenden Bekanntschaften Tiecks war es besonders die mit den Gebrüdern Schlegel, welche ihn dauernd anzog und die er dauernd festhielt, deshalb begab er sich auch wieder nach Jena, zog dann mit den genannten Brüdern nach Dresden, lebte dort in den Jahren 1801 und 1802 und ließ mit August Wilhelm v. Schlegel den Musenalmanach 1802 erscheinen. Tieck’s enge Befreundung mit den Brüdern und einigen ihnen verwandten Dichtergeistern rief die sogenannte romantische Schule hervor, die Opposition machte gegen Goethe, Schiller und die diesen Heroen nachstrebenden jüngeren Dichter. Die romantische Schule zeichnete sich eben so sehr durch große, tüchtige Begabung ihrer Koryphäen und durch die Hervorbringung achtungwerther Poesieschöpfungen aus, als durch große Verirrungen in das bodenlos phantastische, mystisirende und mystificirende Gebiet und durch manches völlig ungenießbare Dichtwerk. Dabei wurde eine große Unduldsamkeit gegen die dieser Schule nicht huldigenden und ihr nicht angehören wollenden Dichter geübt, und eine vernichtende Richtung in der Kritik ausgebildet, die stets mehr schadet als nützt. Im Sinne dieser Schule dichtete Tieck mehrere der alten Volksbücher um, Haimonskinder,