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er die Kunstausdrücke in der Philosophie vorsichtig und allmälig in deutscher Sprache wiedergab, was zwar Thomasius auch schon begonnen, aber mit weniger Erfolg ausgeführt hatte. Die lateinische Sprache war noch so beliebt auf den Kathedern, daß Wolf sich sogar genöthigt sah, die von ihm deutsch herausgegebene Denklehre später in das Lateinische zu übertragen, was ihn wohl bewog, nach seinen deutsch veröffentlichten Werken über Metaphysik, Moralphilosophie, Politik mit Oekonomik, nebst einigen mathematischen und physikalischen Werken mehrere umfassendere Werke über Logik, Psychologie, Ontologie, Ethik, natürliche Theologie, Politik und Völkerrecht lateinisch zu schreiben und herauszugeben. Wolf war es, der dem Studium der Weltweisheit in Deutschland zuerst sichern Halt und Boden gewann, indem er es in eine mathematisch-wissenschaftliche Form goß, zuerst ein allgemeines philosophisches System aufstellte und die Lehren der theoretischen, wie der praktischen Philosophie in allen Theilen erweiterte, so wie zugänglicher und gemeinnütziger machte.

Dieser großen und unvergeßlichen Verdienste ungeachtet erlebte Wolf, welchem bei stets sich mehrendem Ruhme Anerkennung und Berufungen zuströmten (er sollte wieder nach Leipzig, sollte nach Wittenberg, selbst nach St. Petersburg), mannichfaltige Anfechtungen und hatte Kämpfe mit gewichtigen Gegnern zu bestehen. Ehrenbezeugungen, Titel und Würden (Wolf wurde als Mitglied der Berliner Akademie ausgenommen, vom König Friedrich Wilhelm I. zum Hofrath ernannt) erweckten Neid und Mißgunst; die in Halle vorwaltende pietistisch-mystische Richtung, deren theologischer Anschauung die Philosophie stets ein Dorn im Auge war und noch ist, verketzerte den großen Philosophen, beschuldigte ihn in seiner Wissenschaft der Neigung zum Atheismus und Fatalismus, und brachte es durch anhaltendes Bohren, Dr. Joachim Lange an der Spitze, endlich wirklich dahin, daß der im Netz frömmelnden Truges in Hinsicht auf Wolf förmlich eingesponnene König – Wolf 1723 seines Lehramtes entsetzte und ihm gebieten ließ, binnen 48 Stunden bei Strafe des Stranges das Land zu räumen.

Wolf begab sich nach Cassel, wo ihn der heller blickende Landgraf Carl mit offenen Armen empfing und ihn sofort zu seinem Hoftath ernannte, auch als ersten Professor der Philosophie zu Marburg anstellte. Während nun der Streit für und gegen die Wolf’sche Philosophie weiter griff und viele Federn beschäftigte, wurde Wolf vom Ausland mit Ehren überhäuft. Ein erneuter Ruf nach Petersburg und ein Ehrengehalt von Seiten Peter des Großen, Mitgliedschaften der Akademien dort, wie zu London, Paris und Stockholm wurden ihm zu Theil, endlich auch völlige Rechtfertigung bezüglich aller Anschuldigungen, glänzende Zurückberufung und Wiedereinsetzung mit erhöhten Titeln, und so kehrte Wolf unter König Friedrich II. als königl. Geheimrath und Vicekanzler der Universität und Professor des Natur- und Völkerrechts nach Halle zurück. 1743 wurde er wirklicher Kanzler und 1745 vom Kurfürsten von Bayern als Reichsvikar in den Freiherrenstand erhoben. Er konnte sein ruhmgekröntes Leben in Frieden und hohen Ehren zu Ende führen, wenn auch im Greisenalter die frischlebendige Kraft zu welken begann, die seiner Mannesthätigkeit ihre unverwelklichen Ruhmeskränze geflochten hatte.