Seite:Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen.pdf/401

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Nicolaus Ludwig , Graf zu Zinzendorf.
Geb. d. 26. Mai 1700, gest. d. 9. Mai 1760.


Der berühmte Stifter der evangelischen Brüdergemeinde! Ein Mann von edlem Herzen, frommem Wandel, erregbarer Phantasie voll innerlichen Geistes- und Gemüthslebens, religiöser Mystik zugänglich und ihr neuzeitlicher Vorkämpfer. – Graf Zinzendorf wurde zu Dresden geboren und erhielt seine erste Erziehung durch seine Großmutter, eine Frau von Gersdorf, zu Großhennersdorf, einem jetzt blühenden Fabrikort in der Lausitz. Die Frömmigkeit dieser Frau und der Einfluß Philipp Jacob Spener’s, der vor seinem Weggang von Dresden nach Berlin viel mit ihr verkehrte, die lebhafte Sehnsucht desselben, die Kirche aufs neue zu reformiren, gaben dem jungen Grafen frühzeitig die Geistesrichtung, der er durch sein ganzes Leben unerschütterlich treu blieb. Treulich gehegt und gepflegt wurde sie auf dem Pädagogium zu Halle, wohin man den Knaben in seinem 11. Jahre sandte, dessen Stifter, der große Menschenfreund August Herrmann Franke, unmittelbar sich des gräflichen Knaben annahm, und ihm den eignen frommen, vielleicht überfrommen Geist einhauchte. Nicht reiten, tanzen und fechten war es, was dort die Stunden des Sprossen eines altreichsgräflichen Geschlechts ausfüllte, sondern weinen, beten und grübeln; und die Neigung zum selbstvertiefen in das dunkle mystische Gebiet einer heißersehnten Gottseligkeit ließ ihn schon in Halle ein Bündniß mit Gesinnungsgenossen gründen, das den Namen vom Senfkorn im Evangelium des Matthäus lieh. Um dieser Richtung ein Gegengewicht zu geben, wurde der junge Graf 1716 auf die Hochschule Wittenberg gesandt, dort dem Studium der Rechtskunde obzuliegen, allein ihn zog es ausschließlich zur Theologie. Er sah das kirchliche Leben allgemein verflacht, und ersehnte nichts mehr als eine Wiedergeburt und Läuterung der christlichen Kirche, und wo möglich eine Vereinigung der drei Konfessionen zu einem großen, allgemeinen, auf die schöne Einheit des Urchristenthums zurückgeführten Bruderbunde. Diese suchte er aber nicht durch verflachende Allgemeinheit, philosophische Spitzfindigkeiten und vernünftelndes Lossagen von jedem Glauben zu erreichen, sondern er hielt unwandelbar fest an den unumstößlichen Satzungen der heiligen Schrift und des geoffenbarten Christenglaubens. Daher waren