Seite:Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen.pdf/48

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hörte ihre Urtheile über seine poetischen Leistungen, feilte eifrig, las ältere und neuere Dichter und schrieb voll Begeisterung viele seiner schönsten Dichtungen. Aus Percy’s Ueberbleibseln der altenglischen Poesie sog Bürger die Vorliebe für Ballade und Romanze, und war so glücklich, die wenigen Versuche, welche bereits Gleim und einige andere in diesen Formen der epischen Dichtung gemacht hatten, weit zu überflügeln. Auch die gleichzeitig strebenden Hölty, die Stolberge u. a. ließ er in der Ballade hinter sich zurück, obschon ein gewisser einfarbiger Ton, selbst oft des Metrums nahe verwandte Einerleiheit der Balladendichtung jener Mitglieder des Göttinger Hainbundes eigen ist und manche höchstprosaische, ja häufig triviale Wendung und Ausdruckweise sie weit unter die Balladen Goethe’s ordnete. Dieser Mißgriff entsprang einzig dem Irrthum so vieler, der Volksdichter dürfe oder müsse sogar gemein schreiben. Später that Bürger dieß nicht mehr; er erkannte das richtige und ehrte den Geschmack.

Das eifrige Studium Shakspeare’s wirkte nicht minder vortheilhaft und anregend auf Bürger ein; er fand zudem durch Boje’s freundschaftliche Vermittlung 1772 eine kleine Stellung als Justiziar der Herren von Uslar auf Altengleichen, welche zwar nicht glänzend war, aber doch einigen festen Halt und Gehalt bot, auch den noch immer zürnenden Großvater versöhnte und zur Zahlung der Schulden des Enkels bewog, sowie er auch Bürgschaft für letzteren leistete. Durch einen unredlichen Freund wurde Bürger leider um den größten Theil dieser Summe betrogen, und dieser Umstand brachte ihn in nachhaltige Verlegenheiten.

Der ländliche Aufenthalt war Bürger’s Muse günstig; die Dichtung seiner »Lenore«, die ihn so berühmt machte, entstand in dieser Zeit; langsam reifend, eine schwere Geburt, rang sich dieß Gedicht von seinem Herzen; er führte gleichsam Protocoll über die Entstehung jeder Strophe, schrieb davon fast allen seinen Freunden, feilte unendlich viel daran und heraus, und konnte neben so manchen hochpoetischen Stellen doch manche ganz prosaische Wendung nicht überwältigen. Bürger’s Lenore entrollt als Gedicht den ganzen dämonischen Charakter sinnlich glühender Leidenschaft, die den Dichter selbst beseelte und dem Verderben weihte, aber er schrieb dennoch mit ihr seinen Namen in das goldene Buch der auserkorenen.

Im Jahre 1774 verheiratete sich Bürger mit Dora Leonhart, zog nach dem Dorfe Wölmershausen, das in seinem Gerichtssprengel lag, und nahm die 14 bis 15jährige Schwester seiner Frau, Auguste, mit in seinen jungen Haushalt auf. Die Gattin wußte seine Liebe wohl nicht zu fesseln, die vor seinen Augen sich entfaltende junge Rose warf Flammen der Leidenschaft in das leicht erregbare Dichterherz; langer harter Kampf und endliches erliegen und ein von der Sitte verdammtes Verhältniß war die Folge, welchem die Lieder an Molly so schön und glühend entsproßten, wie die Nenuphar einem heißen Sumpfe Indiens. Nach zehn Jahren eines Lebens voll Qual und Marter der Liebe löste der Tod von Bürger’s Frau 1784 das Eheband, nachdem Bürger, um sein Einkommen zu bessern, eine Pachtung übernommen hatte; prosaischeres und unklugeres konnte der Dichter, der von Oekonomie nichts verstand, nicht thun; ein Jahr vor dem Tode seiner Frau gab er die Pachtung wieder auf, aber er hatte fast das ganze Vermögen seiner Frau und Schwägerin in dieses Unternehmen gesteckt und rettete wenig oder nichts. Jener falsche Freund, der Bürger um sein Geld betrogen hatte, klagte ihn fast gleichzeitig des Mangels an Ordnung und Treue in seinem Amte an, und Bürger, obschon unschuldig, legte seine Stelle nieder und zog nach Göttingen. Jetzt stand er nun ganz frei – arm und doch unermeßlich reich, ein Gott im Ueberschwang seiner Gefühle. All sein sinnen, denken und fühlen goß er in das einzige herrliche „Hohe Lied von der Einzigen“, dessen überreiche überschwengliche Kraft- und Prachtsprache, dessen absichtvoller „Pomp der Töne“ unerreichbar erscheint. Es war das Wonne- und Wollustjauchzen eines gefangenen Sprossers, der in einer Mainacht sich dem Kerker entrungen, es weinen noch heute fühlende Herzen die seligen Thränen, die gewiß der Dichter bei Vollendung dieses Liedes weinte. Auguste – seine Molly, seine Einzige, wurde sein – wäre sie es geblieben, so blieb Bürger ein beglückter Mann, sein wachsender Ruhm hätte ihn nicht untergehen lassen. Aber Auguste starb im ersten Wochenbette, und gebrochen war ihm, dem feurig liebenden, Kraft und Muth und Mannheit. In Göttingen las Bürger als Privatdocent über die Philosophie Kants, und fristete damit seinen Unterhalt, während er zu kränkeln begann. 1789 wurde er zum Professor extraordinarius ernannt, aber ohne Gehalt. Seine Kinder erheischten eine Erzieherin, eine Mutter – statt nun mit 42 Jahren ein vernünftiges Eheband zu schließen, ließ er sich durch eine romantische Schwärmerei und durch ein Mädchen aus Schwaben bethören, das ihn ansang, sich ihm antrug – er heirathete 1790 diese Elise Hahn und mit ihr die Hölle. Nach 2 Jahren ließ er sich wieder von ihr scheiden, und sie durchzog deklamirend und abenteuernd die deutschen Länder, und trug, indem sie frech seinen Namen fortführte, den Schimpf und die Verirrungen des armen Dichters durch die Welt, zuletzt kaum von einer Vagabundin zu unterscheiden. Bürger fiel in Verarmung und Siechthum, die Freunde verließen ihn; zu spät, wie gewöhnlich, kam ihm eine Hülfe und neue Hoffnung – Kummer und Krankheit führten ihn zum schnellen sanften dahinscheiden im 47. Lebensjahre. Ein Dichterleben! Ein Dichterloos! –