Sigrid, das Fischermädchen

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Autor: Theodor Mügge
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Titel: Sigrid, das Fischermädchen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27–31, S. 417–420, 433–436, 449–453, 465–468, 481–483
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[417]
Sigrid, das Fischermädchen.
Novelle von Theod. Mügge.
1.

Unter den vielen seltsam schönen Meerbusen, welche die westliche Felsküste Norwegens zerspalten, ist der Moldefjord zwar keiner der größten, aber einer der berühmtesten durch die romantische Herrlichkeit seiner Ufer und deren Umgebungen. Der Fjord hat zwei schmale Eingänge. Wasserpässe, zwischen denen die fruchtbare Insel Otteröe liegt; sobald der Reisende diese im Rücken hat, öffnet sich vor ihm ein meilenbreites großes Seebecken, an welchem zur Rechten grüne Weiden und Waldgebiete sich erheben, zur Linken die freundliche Stadt Molde liegt, vor welcher während des größten Theils des Jahres eine Anzahl Briggs, Schooner und Yachten ankern, um Holz bis Holland und getrocknete oder gesalzene Fische bis in die europäischen Südländer zu führen. Der Fjord aber dringt mit zahlreichen Armen und Buchten tief in’s Land; wechselnd und prächtig sind seine Ufer. Zuweilen steigen sie steil in nackten Felsmassen auf, und hinter ihnen liegen die wilden Wäomelandsfjellen aufgethürmt voll zackiger, wunderbarer Klippen; an anderen Stellen leuchten diese Ufer sanft und grün, und manche große und kleine Höfe liegen dort mit ihren Fruchtfeldern und Fruchtgärten, die gar lieblich anzuschauen sind. Dies tritt noch mehr hervor, wenn man die schwarzen Felsmassen dicht dabei betrachtet, welche zuweilen mitten aus den Fluthen des Fjord wie senkrechte Mauern emporsteigen. Zwei- oder dreihundert Fuß tief geht es an solchen Wänden in’s Salzwasser hinab und ebenso hoch zu Spitzen und Wipfeln hinauf, wo nur Meergänse, Alken und Möven hinfliegen und ihre Nester bauen. An einigen dieser Felsen sind alte Runenzeichen in den Stein gehauen, die Siegesdenkmale von Schlachten und Königen, von denen keine Geschichte Kunde gibt. Gewiß ist, daß an diesen Fjorden bis nach Trondhjem hin immerdar kühne nur unternehmende Männer wohnten, ein abgehärteter, die Meere durchschwärmender Menschenschlag, nach Krieg und Beute lüstern. Aber es ist auch richtig, daß hier und auf den Inseln, welche diese Küste begleiten, noch jetzt viele Familien leben, die ihren Ursprung von berühmten Helden aus den Zeiten König Harald Harfagar’s und seines Geschlechtes herleiten.

Und wunderbar sieht es aus, schön und wunderbar, wenn man in die Tiefe dieser Fjords blickt, auf den weiten Halbkreis zahlloser seltsamer Felsen und Hörner, die ihn einschließen. Ein einziger Weg führt durch diese gigantische Mauer, ein schmaler Spalt, den das Thal Romsdalen bildet; wäre er nicht vorhanden, so würde diese Welt unersteiglich verschlossen sein. Unzählige senkrechte Massen voll Zinken und Zacken thürmen sich dort empor, umschimmert von schneeigen Halsbändern, und wenn die Abendsonne darauf glüht und funkelt, kann man solch’ prächtiges Panorama kaum irgend noch wieder finden.

Am Eingänge des Fjord, der Stadt Molde fast gegenüber, springt das Ufer weit vor und südlich biegt es in eine tiefe Bucht ein, die der Torsfjord heißt. Auf der Spitze liegt die Kirche von Besnies, der Pfarrer wohnt nicht weit davon, und über die Halbinsel zerstreut liegen die Höfe und Hütten der Gemeinde. Das Land umher ist grün, es wächst Gerste auf den kleinen Feldern, und in den Gärten werden die Kirschen reif, wenn der Sommer warm ist und die Bäume geschützt stehen. Am Ufer hin wohnen Fischer, denn Fischfang ist doch auch hier die menschliche Thätigkeit, welche die Meisten ernährt, denen nur ein kleines Erbe zu Theil wurde, oder nichts als ihre rüstigen Hände. Drüben in der Stadt Molde wohnen Leute, welche Fische immer brauchen können und auch bezahlen. Frische Fische, wie das Meer sie reichlich hat, sammt Krabben, Krebsen und allerlei Gethier essen die Stadtleute täglich gern mit ihren Familien, aber die Kaufleute schließen auch Contracte mit den Fischern, wenn die Heringsschwärme von Trondhjem herunter kommen und der Segfisch hinauszieht nach seinen Laichplätzen. Dann fahren die Fischer hinaus in die Canäle vor den Außeninseln und in’s offene Meer, und wer ein vierrudrig oder sechsrudrig Boot besitzt, oder wohl gar zwei, und Stellnetze und Angeln dazu, der ist ein wohlangesehener Mann und kann, wenn das Glück mit ihm ist, auch ein Stück Geld verdienen und in seiner Art wohlhabend heißen.

Seitwärts von dem Pfarrhause, das ziemlich hoch und frei lag, senkte sich das Land zum Strande nieder, und dort auf dem Vorsprunge stand eine Fischerhütte, die Einem gehörte, der als ein solcher Glücksvogel galt. Denn zwei große Boote und mehrere kleine schaukelten sich an den Pfählen im Wasser, wo sie befestigt lagen; mehrere lange Netze hingen an den Steinen zum Trocknen ausgespannt. Das Haus war auch nicht ganz klein, sondern, lang gestreckt, stand es auf starken Kreuzbalken, hatte mehrere Fenster, freilich nicht eben hoch und breit, doch helle Scheiben darin und dahinter Vorhänge von rothem Kattun. Ueberhaupt sah es ordentlich und reinlich aus, und obwohl es, wie alle Häuser und Hütten im Lande, ganz aus Holz gebaut war, zeichnete es sich doch vor manchen anderen aus, denn es hatte einen röthlichen Anstrich und die Fensterkreuze waren weiß gefärbt.

Das Pfarrhaus über seinem Kopfe und mancher Gaard der wohlhabenden Bauern umher sahen freilich viel größer und schöner aus; doch wie es da vorn auf dem Vorsprunge stand, frei nach Otteröe hinüberblickte und nach Molde, zur Rechten in den tiefen [418] Torsfjord und gerade aus über das ganze Wasser hin bis auf die Trolltinden von Romsdalen, schien es schöner gelegen, als alle übrigen. Eine liebliche Stelle war es, denn die Felsklippen schützten es von zwei Seiten vor rauhen Winden und schlossen den kleinen Grund hinter dem Hause ein, wo Aepfel- und Kirschbäume beisammen in dem hohen Grase standen.

In diesem Hause, das er vor zehn Jahren neu gebaut, wohnte Gullik Hansen, der Fischer. Von allen Leuten umher wurde er geachtet, als ein ernsthafter, verständiger Mann von großem Fleiß und, obwohl er sich auf seine Vortheile im Handel und Wandel gut verstand, auch von Frömmigkeit und Rechtschaffenheit. Die Kaufleute in Molde machten gern mit ihm Lieferungsgeschäfte, und der Pfarrer, Herr Jöns Bille, sein gelehrter Nachbar, sprach oft mit ihm und hielt gute Freundschaft, obwohl er von seiner Gemeinde als ein stolzer und hochfahrender Mann betrachtet wurde, der es am liebsten mit den Reichen hielt.

Gullik Hansen befand sich an dem Tage, wo diese Geschichte beginnt, nicht zu Hause, aber die Bank neben der Thür, auf welcher er zu sitzen pflegte, war darum doch nicht leer. Denn es saß dort seine Tochter Sigrid, ein achtzehnjähriges Mädchen, neben welcher mancher junge Bursch gern gesessen und ihr geholfen hätte, wenn sie es gelitten. Sie flickte an den Maschen eines alten Netzes, wie dies Fischerkinder thun müssen, und das Netz lag auf ihrem Schooß und auf dem Erdboden zu ihren Füßen; in der Hand hielt sie ein rundes Holz, wie eine lange Nadel, um welche festes Hanfgarn gewickelt war, mit dem sie die neuen Maschen einsetzte. Sigrid war Gullik Hansens einzige Tochter, er hatte jedoch auch einen Sohn, doch dieser war acht Jahre jünger als seine Schwester. Es war ein ziemlich schwächlicher Knabe, des Vaters Liebling, auch deswegen, weil er seiner Mutter ähnlich sah, und diese war gestorben, da er kaum sechs Jahre zählte. Von jener Zeit an hatte Sigrid des Vaters Haushalt geführt und den kleinen Bruder Anders behütet und gepflegt, wie es eine sorgsame Mutter thun würde; dennoch war es ein rothes munteres Mädchen mit hellen großen Augen und braunen Haaren, mit Zähnen, die sie in zwei vollen Reihen zeigte, wenn sie lachte, was häufig geschah, und mit einem Gesicht, in welches die Allermeisten gern hineinschauten, mochten sie jung oder alt sein. Sie war stark und groß; alle Arbeit wurde ihr leicht, und von ihrer Mutter hatte sie Ordnungssinn, von ihrem Vater Ueberlegung und festen Willen geerbt.

Wie Sigrid, mit dem Netze beschäftigt, emsig schaffte, ging die Sonne tiefer an dem Himmel hinab und schien bald nicht mehr weit davon sich in’s Meer zu versenken. Ihr Licht wurde goldig roth und überstrahlte auf’s Schönste den ganzen Fjord und die hohen Trolltinden in den Romsdalsfjellen mit allen ihren wunderlichen Hexenklippen, die bald wie Schlösser der alten Riesenkönige, bald wie versteinerte seltsame Gebilde aussehen, von denen es viele Sagen gibt. Sigrid sah zuweilen hinauf zu den Tinden und einige Male, als sie dies gethan, sah sie auch seitwärts in den Torsfjord hinein, der sich bald zwischen steilen hohen Felsen einbuchtete. Dort aber lag an dem entgegengesetzten Ufer auch ein Fischerhaus unter drei hohen weißen Birken, die ihre langhängenden Zweige auf sein Dach herabträufelten. Die Sonne beschien es eben mit ihrem feurigen rothen Lichte, und es sah sehr schön aus, wie das grüne Geblätter und die weißen Stämme und Aeste davon überglüht wurden. Vielleicht sah Sigrid eben deswegen so lange hin und war in ihren Gedanken so damit beschäftigt, daß sie ihre Arbeit vergaß und ihre Hände in den Schooß legte. Denn viel Anderes zu sehen gab es dort nicht. Das Land umher schien öde und die Hütte selbst unbewohnt, da weder Boot noch Netz zu blicken waren, auch die Läden vor den Fenstern lagen.

Plötzlich aber legte sich eine Hand auf Sigrids Schulter, daß sie erschrocken zusammenfuhr, denn sie hatte Niemand kommen hören. Sie mußte sich ihrem Sinnen ganz hingegeben haben, sonst hätte sie nicht allein die Schritte dessen vernommen, der sie überraschte, sondern auch den Schatten bemerkt, welcher lang über das Gras fiel. Es war ein Mann, der eben nicht ganz leise auftrat, denn er hatte feste Stiefeln an den Beinen, war ein kräftiger Bursch mit breiten Schultern und trug eine blaue Jacke mit Hornknöpfen und einen Glanzhut auf seinem dicken Kopf.

„Du brauchst nicht zu erschrecken, Sigrid,“ lachte er. „Ich bin’s.“

„Ich seh’ es,“ antwortete sie und nahm ihre Nadel wieder auf.

Er zog seine grobe Hand zurück und lachte noch einmal. „Na, na,“ sagte er und setzte sich auf die freie Ecke der Bank, „weh that es Dir nicht. Bist Du ganz allein, Sigrid?“

„Ja, Clas Gorud.“

Clas Gorud nahm seinen Hut ab und strich durch sein struppiges gelbliches Haar, dann setzte er den Hut wieder auf. Darauf sah er seitwärts seine Nachbarin an und fuhr mit den Fingern um seinen Hals zwischen dem blauen bedruckten Tuch. Endlich sagte er: „Ist meine Mutter Grete nicht hier gewesen?“

„Nein, sie ist nicht hier gewesen,“ antwortete Sigrid und arbeitete fort.

„Sie wollte es thun,“ sagte Clas, „es muß ihr was dazwischen gekommen sein.“ Darauf faßte er in seine Tasche, zog eine Dose von Zinn hervor, holte ein Stückchen schwarzen Kautabak heraus, schob ihn zwischen seine Zähne und fing dann wieder an zu lachen. „Geschieht es heute nicht, kann’s morgen geschehen,“ sagte er. „Ich bin noch nicht lange von Molde zurück. Habe mit dem Herrn Schiemann meine Geschäfte in Ordnung gebracht. Das ist ein schneller Mann, Sigrid, er kauft das Holz am ganzen Fjord weg und die meisten Fische dazu.“

„Was hast Du mit ihm?“ fragte Sigrid.

„Gute Dinge,“ antwortete Clas. „Ich soll sein Aufsichtsmann sein beim Handel, und bei mir ist er an den Besten gekommen, denn es kennt Keiner die Sache so wie ich, und die Leute und Stellen dazu.“

„Meinst wohl also, daß Keiner Dir gleich kommt?“ sagte Sigrid spöttisch lachend, und indem sie dies sagte, sah sie wieder nach dem Hause am Torsfjord hinüber.

„Ich denke, es ist so!“ rief Clas, darauf hob er seinen Arm auf und deutete ebenfalls auf das Haus. „Es wird bald in Klunx fallen,“ fuhr er fort, „aber nächstens wird es verkauft.“

„So,“ sagte Sigrid, „wird’s verkauft?“

„Es sind Schulden da, die müssen bezahlt werden. Der leichtsinnige Junge hat dem alten Mann, seinem Vater, ja die letzten Schillinge abgenommen. Noch ein paar Monate vorher, da er starb, mußte er ihm zu Liebe die Stelle verpfänden und hat’s ihm geschickt. Eine Schande war’s, jetzt kommt es danach.“

„Was kommt danach?“ fragte Sigrid.

„Na,“ rief Clas, „daß er ein Lump ist, der nichts mehr hat. Jetzt kann er Soldat bleiben, so lange er lebt, denn hier ist nichts mehr für ihn zu holen. Was der alte Mann sonst noch hinterlassen, ist längst fort, jetzt geht’s an die Stelle. Es wird bald anders aussehen da drüben.“

„Du willst sie wohl gar kaufen?“ fragte Sigrid und sah ihn wieder spottend an.

Clas grinste und nickte. „Warum nicht? ich kann’s brauchen,“ erwiderte er behaglich.

„Weil Du der Erste jetzt bist, mußt Du Dich dort hineinsetzen,“ lachte sie, „wo der saß, der sonst der Erste hieß.“

„Schnack!“ rief er. „Thorkel Ingolf ist nun länger als drei Jahre fort. Damals warst Du noch ein kleines Mädchen. Was weißt Du von ihm?“

„Mehr als Du denkst,“ sagte sie.

„Meinetwegen. Aber der Erste ist er nie hier gewesen. Jetzt soll er nicht einmal der Letzte sein.“ Das sagte Clas mit Spott und dabei sah er sehr häßlich aus, denn sein Gesicht war überhaupt nicht eben wohlgebildet, sein Mund sehr groß, seine Stirn niedrig und seine Nase ging in die Höhe.

Sigrid hörte nicht auf zu lachen, sah ihn jedoch nicht dabei an, sondern knüpfte ihre Fäden. „Kaufe nur die Stelle,“ sagte sie, „wenn Du Geld genug dazu hast. Der Platz ist gut, doch billig wird er nicht sein; Mancher wird danach ausgehen.“

„Es wird sie doch Keiner bekommen, als ich,“ antwortete Clas zuversichtlich. „An den Herrn Schiemann ist sie verpfändet, der hat damals die zweihundert Speciesthaler gegeben, die Thorkel seinem Vater abpreßte, Niemand weiß wozu. Dafür hat Schiemann eine feste Schrift in Händen, daß die Stelle sein ist, wenn nach einem Jahre das Geld nicht zurückgezahlt werden kann. Und jetzt eben ist das Jahr um, Sigrid, und Schiemann will mir den Platz geben und verkaufen. Er will bezahlen, was sonst noch darauf haftet, dann ist sie sein und wird mein werden. Ihm wird so leicht Keiner in den Handel kommen.“

„Daß es ihm nur nicht wieder leid wird,“ lachte Sigrid.

„Hat nichts zu sagen,“ versetzte Clas. „Ich kann ihm gute Dienste leisten, wie sie ihm gefallen.“ – Er zog seinen Hut um [419] den Kopf und grinste und nickte, als Sigrid ihn ansah. „Na,“ fuhr er fort, „da drüben auf Otteröe gibt’s ein Gut, das funfzig oder hundert Mal mehr werth ist, und wenn er das in seine Tasche steckt, kann er mir die lumpige Stelle wohl abgeben.“

„Drüben in Otteröe?“ fragte Sigrid, und indem sich ihre blauen Augen weit aufthaten, fuhr sie fort: „Meinst Du Erik Meldal’s Gut, Clas?“

„Das ist eine richtige Wahrheit!“ sagte Clas. „Erik ist von derselben Art wie Thorkel, darum waren sie auch immer gute Freunde. Und Erik Meldal hat auch nichts mehr, die Schulden haben ihn aufgefressen. Das ganze Gut ist so verschuldet, daß der alte Verwalter Horngreb nichts mehr auftreiben kann, und kann seinem jungen Herrn Erik Meldal, dem Lieutenant, gar nichts mehr schicken. Der muß jetzt also mit seinem Tractement auskommen,“ fuhr er boshaft lachend fort, „das ist ihm gesund; wenn ich aber sein Verwalter wäre, sollte er Geld genug haben. Der alte Horngreb ist ein alter Dummkopf.“

„Was wolltest Du denn machen, Clas?“ fragte Sigrid.

„Verpachten wollte ich das gute Land an Colonisten,“ versetzte Clas, „zu ganz anderen Preisen, als es jetzt geschieht. Und dann hat der Gaard noch einen schönen Wald, alte große Bäume, die sind jetzt viel werth, man findet sie selten mehr so. Weiden liegen dabei, die allerbesten, die man sich denken kann. Dreimal so viel Vieh kann gehalten werden, und dazu kommt die Fischerei in der großen Bucht, die kommt dem Gute allein zu, sammt den Mühlen an der Elf. Es darf nur ein Mann da sein, der die Sache versteht, so fällt alles von selbst in seine Hand; und der Mann ist da und hält die Hand schon auf.“

Sigrid sah lachend auf die mächtigen Hände, welche Clas dabei ausstreckte. „Sind’s Deine Hände, so halt’s fest,“ sagte sie.

„Nehmen sollt’ es mir Keiner,“ antwortete er, „doch dazu gehört, was ich nicht habe.“

„Was?“ fragte sie.

„Geld! Das hat er genug.“

„Wer?“

„Klein Sigrid,“ sagte Clas belustigt, „frag nicht so dumm. Herr Schiemann, wer sonst? Alle Schulden hat er aufgekauft, ganz in der Stille und wie ich es ihm auskundschaftet. Vieles hat er billig gekriegt, denn die Leute waren froh, Geld zu sehen, von dem Schuldenmacher erwarten sie doch nichts mehr.“

„Erik Meldal war kein Schuldenmacher,“ versetzte Sigrid. „Ich habe gehört, daß sein Vater keine gute Wirthschaft hielt, und daß die schlechten Zeiten dazukamen.“

„Alle die Leute aus den alten Familien wollen vornehm hinaus,“ sagte Clas. „Der alte Meldal gehörte auch zu denen, die obenan standen, und weil er Oberst gewesen im Kriege gegen die Schweden, meinte er, er sei der Höchste im Lande. Es ist einerlei, wer die Schulden gemacht hat, jetzt heißt es bezahlen! Also wird’s dem Jungen gehen, wie dem Thorkel, denn die Acten liegen schon beim Landrichter, die Klage ist schon angebracht, und so wie es damit seine Richtigkeit hat, ist Hochzeit!“

„Hochzeit?“ fragte Sigrid. „Wer macht Hochzeit?“

„Zweie,“ lachte Clas, „oder viere. Erstens Herr Peter Schiemann mit Pastor Jöns Bille’s Tochter Else Mary, bei der er eben sitzt, denn ich habe ihn von Molde mit herüber gebracht, und zweitens ein gewisser Clas Gorud mit Gullik Hansen’s Tochter Sigrid, bei der ich eben sitze.“

Und indem er dies sagte, legte er seinen linken Arm um ihren Leib und faßte mit seiner rechten Hand nach ihrer Hand. Aber Sigrid bog sich rasch zurück und rief: „Ich glaub’s nimmermehr,“ und so wie sie diese Worte lustig ausschrie, geschah etwas, das Clas noch weit mehr überraschte. Denn das Netz, das am Boden lag, hob sich plötzlich in die Höhe, und ein ungeheurer Rachen voll weißer Zähne kam darunter hervor und schnappte nach Clas Gorud’s Arm und Hand, daß er mit genauer Noth beide in Sicherheit bringen konnte. Erschrocken sprang er auf und ein paar Schritte zurück, während Sigrid ein schallendes Gelächter anstimmte und ihre Augen sich mit übermüthigem Spott füllten.

In der nächsten Minute sah Clas, mit wem er es zu thun hatte. Es war ein großer grauer Seehund, der auf seinen kurzen Beinen sich aufgehoben und mit seinen glänzenden Augen ihn anstierte. Voll Wuth und Aerger griff Clas nach einem Steine, der vor ihm lag, und schrie wild auf: „Ich will dich zerschmettern, du Teufelsvieh, du sollst deinen Lohn haben!“

„Thue ihm nichts! Du sollst ihm nichts thun!“ schrie Sigrid eben so laut, indem sie ihre Arme über den Kopf des Thieres legte, und damit zugleich rief Jemand hinter dem Hause: „Was gibt es denn da? Heidu! wirf den Stein fort und sei kein Narr!“




2.

Clas Gorud sah sich um und ließ seinen Arm wirklich sinken, aber Antwort gab er nicht, auch wurde sein Gesicht nicht freundlicher. Es sah einen Mann, den er nicht kannte oder, wenn dies der Fall, nicht kennen wollte. Der Fremde trug einen Soldatenrock von einem der Jägerregimenter, und als er vor ihm stand, rief er lustig: „Das ist Clas Gorud, der hat sich nicht verändert. Er ist noch so ein häßlicher Kerl, wie er immer gewesen.“ Darauf flogen seine Augen zu dem Fischermädchen und gleich streckte er beide Hände nach ihr aus.

„Du bist Sigrid!“ rief er. „Die kleine Sigrid; doch wie groß und schmuck bist Du geworden! Kennst Du mich denn nicht mehr, lieb Sigrid?“

„Du bist Thorkel Ingolf,“ sagte sie und gab ihm ihre Hand.

„Das bin ich, Sigrid.“

„Sei willkommen, Thorkel,“ fuhr sie fort.

„Vielen Dank!“ antwortete er. „Ist Dein Vater zu Haus?“

„Nein,“ sagte sie. „Woher kommst Du?“

„Quer durch’s ganze alte Norge, Sigrid. Ich komme von Frederikshall, wo ich in Garnison gestanden das letzte Jahr.“

„Bleibst Du hier, oder willst Du wieder fort?“

„Das soll Gott wissen,“ antwortete er. „Vom Regiment bin ich entlassen, es war meine Zeit zwar noch nicht um, doch geschah es so auf meine Bitten; denn capituliren möcht’ ich nicht, das wußten sie, und mein Oberst wollte mir wohl. Da nun mein Vater gestorben ist, der Mutter nach, wollte ich sehen, wie es mit mir geschehen soll; habe aber schon genug gehört von den Leuten, was traurig machen kann.“

„Ich mag Dir wohl nichts Besseres sagen können,“ sprach Sigrid.

„Ich muß es nehmen, wie es ist,“ erwiderte er. „Aber sieh hier, sieh! Es kennt mich doch noch Einer.“

Der Seehund war zu ihm herangekrochen und stieß ihn mit seinem dicken Kopfe an. Da er seine Hand ihm hinstreckte und ihn streichelte, leckte das Thier seine Finger und ließ ein winselndes Knurren hören, als Zeichen seiner Freude.

„So ist er noch am Leben, der arme gute Kerl!“ rief Thorkel. „Als ich fort mußte und ihn Dir schenkte, hast Du es freilich versprochen, ihn nicht zu verstoßen. Aber ich glaubte es kaum.“

„Das war nicht recht,“ sagte Sigrid. „Wir haben ihn Alle lieb, er geht nicht von uns. Auch thut er Niemandem ein Leid, wenn’s nicht Einer ist, der Böses im Sinne hat.“

Sie sah dabei schelmisch nach Clas hin, und der Soldat folgte ihren Blicken. Clas hielt den Stein noch in der Hand festgepackt und sah sauertöpfisch aus, ohne sich zu rühren; da aber Thorkel ihm nun auch die Hand hinhielt und freundlich sprach: „Laß die arme Creatur in Frieden, Clas. Du hast ihm sicher wohl einen Stoß gegeben, daß er Dich beißen wollte!“ ließ er den Stein fallen, kam näher und sagte: „Solche Beester gehören nicht ins Haus, doch sei Du willkommen, Thorkel, bist lange fortgewesen.“

„Viel zu lange, Clas. Komm’ aber doch wohl noch zur rechten Zeit,“ erwiderte Thorkel.

„Meinst, weil Dein Haus noch nicht verkauft ist?“ fragte Clas.

„Ich mein’s mancher Dinge wegen,“ war die Antwort. „Jetzt erzählt mir doch, wie es hier gegangen. Es gibt Vieles, was ich von Dir hören möchte, lieb Sigrid.“

So saßen sie alle drei nun auf der Bank, und Thorkel erzählte ebensowohl von seinem Soldatenleben, wie er nach allen Leuten umher fragte. Clas gab ihm Bescheid, und Sigrid setzte ihre Arbeit fort und mischte sich lange Zeit wenig in das Gespräch der beiden Männer. Es war von Dingen die Rede, welche Thorkel Ingolf nicht mit Freuden vernehmen mochte, aber Clas machte keine Umstände mit ihm. Ein norwegischer Bauer ist ein harter Mann. Gewöhnlich kurz von Worten, und man merkt nicht, was in seinem Innern vorgeht. Mag’s ihn auch wie mit Messern schneiden, sein Gesicht verräth es selten, und in Leidenschaft geräth [420] er nur, wenn’s zum Letzten kommt. So hörte auch Thorkel ohne Zeichen einer Bewegung an, wie sein Vater hinfällig geworden und rasch gestorben sei, und wie das kleine Mädchen, das er im Hause gehabt, ihn eines Morgens todt gefunden hatte.

„Ich hatt’s nicht so nahe geglaubt,“ sagte er vor sich niederblickend, „denn es war ein fester Mann.“

„Nun,“ fuhr Clas fort, „sie sagen, er hat sich gegrämt, das soll wohl sein.“

Sigrid sah auf. Thorkel saß stumm und hielt seinen Kopf noch tiefer. Clas zuckte mit den Achseln. „Da er todt war,“ fuhr er fort, „kamen Lensmann und Voigt, es kamen aber auch Leute, die zu fordern hatten. Endlich wurde verkauft, was sich vorfand, es blieb aber doch noch Mancher unbefriedigt übrig.“

Wieder sah Sigrid auf und wieder sah sie die Beiden. Clas schielte nach ihr hin und verzog seine Lippen. „Es hatte Keiner gemeint, daß es so schlecht stand,“ sagte er. „Aber da kam zuletzt auch der Herr Schiemann aus Molde und legte den Schuldschein vor über die zweihundert Thaler, für die ihm die Stelle verpfändet wurde. So kam der Landrichter und faßte zu.“

Sigrid drehte sich rasch um. Thorkel’s Gesicht hatte Farbe bekommen; es war, als ob seine Augen zitterten. Clas stieß sie leise an, es flog ein hämischer Zug über seinen dicken Mund, doch Thorkel schien es nicht zu beachten. Er sah eine Minute lang hinüber nach der Hütte am Torsfjord, und fuhr dann mit seiner Hand über Stirn und Haar, daß sie eine Minute lang sein Gesicht bedeckte. Sein Haar war von schöner brauner Farbe, fein und weich, und sein Gesicht sah männlich, fest und wohlgebildet aus, und als er hinüber schaute, schien es dunkler und fester zu werden. Darauf sagte er ruhig: „Das ist Alles wahr, und zu ändern ist nichts. Morgen werde ich zu dem Herrn Schiemann nach Molde gehen und mit ihm sprechen.“

„Du thust recht!“ sagte Clas, „könntest es aber heut gleich noch näher haben, wenn Du wolltest, könntest ihn beim Pastor finden.“

„Bei dem Herrn Bille?“ antwortete Thorkel, und er sah nach dem Pfarrhofe hinauf, dessen Gartenseite er sehen konnte, denn der Garten stand auf einem Felslager, das steil wohl dreißig Fuß tief abfiel, und indem er hinaufschaute, erblickte er hinter dem Gitter, das eine Brustwehr bildete, ein Frauenzimmer in hellem Kleide, und neben ihr einen Herrn, der sie begleitete.

Da sein Blick an Beiden hängen blieb, lachte Clas auf. „Nun,“ rief er, „bleib lieber, Du möchtest ihn stören, er ist in guter Gesellschaft. Aber wie geht’s denn dem Erik Meldal, dem schmucken Lieutenant? Kommt er nicht auch bald einmal nach Haus?“

„Das könnte wohl sein,“ sprach Thorkel, noch immer hinaufschauend.

„Warst wohl mit ihm zusammen in Frederikshall, nicht wahr?“ fuhr Clas fort.

„Sicherlich, ja,“ sagte Thorkel.

„Und hast ihn dort gelassen?“

„So wird’s sein, Clas.“

„Bringst keine Aufträge von ihm mit?“

„Möglich wär’s.“

„Oho,“ lachte Clas, „der alte Horngreb soll Geld schicken. Nicht?“

„Geld kann Jeder brauchen. Ich auch.“

„Glaub’s Dir gerne,“ sagte Clas ärgerlich, „Ihr habt aber Beide nichts. Hast nicht auch im Pfarrhause eine Bestellung?“

„Wie geht’s der Jungfrau Else droben?“ fragte Thorkel, indem er sich an Sigrid wandte.

„Es geht ihr lustig!“ rief Clas, ehe Sigrid antworten konnte, „überall heißt’s, daß bald Hochzeit sein wird.“

„Mit dem Herrn Schiemann wohl gar?“ fuhr der Soldat heraus.

„Mit wem sonst?“ versetzte Clas.

„Glaubst Du es?“ fragte Thorkel Sigrid.

„Nein,“ erwiderte sie.

„Ich auch nicht,“ lachte Thorkel, „ich glaub’s so wenig, als wenn Clas schwöre, er wollte Dich nehmen.“

„O Du Donnerkerl!“ rief Clas und lachte ebenfalls, indem er beide Fäuste in seine Jackentasche steckte und seine Beine ausstreckte. „Warum wolltest Du es nicht glauben?“

„Warum? Weil der Seehund Dich gleich am ersten Tage zerreißen und auffressen würde. Nimm Dich vor ihm in Acht, er bringt Unglück über Dich!“

Und indem er dies sagte, strich er der Robbe über den glatten Kopf, und es war, als ob das Thier ihn verstände; denn es sperrte seinen Rachen auf und zeigte dem Clas sein weißes Gebiß mit einer solchen Angriffsmiene, daß der Bedrohte nochmals hastig von der Bank aufsprang. Sigrid schlug vor Vergnügen in ihre Hände, und Thorkel war nicht weniger belustigt; Clas aber gerieth in Wuth über den Spott und über das nichtswürdige Vieh, dem er schlimme Titel zuschrie. Noch ehe er jedoch auch den damit bedenken konnte, der die meiste Schuld daran hatte, trat Einer hinzu, der allen weiteren Zank verhinderte.

Sigrid’s Vater kam nach Hause und führte seinen Sohn Anders an der Hand. Er war ein untersetzter Mann von dem knochenstarken Bau der norwegischen Küstenleute. Harte Gesichtszüge und mächtige Kopfmuskeln, kalte Augen voll Bedächtigkeit und eine unbewegliche Ruhe beim Sprechen sowohl, wie in Allem, was er that, ließen sich gleich an ihm erkennen. Als er auf Clas zuschritt, wurde dieser still, dann drehte er den Kopf nach der Bank, und das Lachen hatte ein Ende.

Thorkel sprang auf. „Gottes Friede in Dein Haus, Gullik Hansen,“ sagte er, „ich habe Dich lange nicht gesehen.“

Gullik Hansen änderte seine ernsthafte Miene nicht, nahm aber doch die Hand an, die der Soldat ihm bot, und sagte nur: „Ich auch nicht, Thorkel.“

„Es geht Alles gut bei Dir?“ fuhr Thorkel fort.

„Mag’s auch bei Dir so sein!“ antwortete Gullik.

„Ja, bei mir, bei mir!“ rief der junge Mann. „Es ist Manches geschehen, das nicht gut ist.“

„Mach’s bester,“ sagte Gullik und drehte sich um, indem er Sigrid ansah. „Bist Du fertig mit dem Netze?“ fragte er.

„Ja, Vater.“

„Gut, ich kann’s morgen brauchen. Es kommt Hering von Trondhjem herunter. Weißt Du es, Clas?“

„Ja, ja!“ antwortete Clas, „ich kam, um mit Dir zu sprechen. Herr Schiemann hat mir Auftrag gegeben. Er nimmt Alles, was Du fängst.“

„Und Du, mein kleiner Anders,“ rief Thorkel den Knaben an, der sich über den Seehund geworfen hatte, der ihn mit großer Zärtlichkeit empfing. „Kennst Du mich denn auch noch?“

Das Kind hob den Kopf zu ihm auf. Es sah kränklich aus.

„Es ist ja Thorkel Ingolf, Anders,“ sagte Sigrid.

Da wurde der Knabe freundlich. „Sei Du willkommen,“ sagte er. „Sigrid hat oft von Dir gesprochen. Du hast uns den Hund geschenkt.“

„Und Du hast ihn lieb, Anders?“

„Ja, und ich habe Dich auch lieb.“

[433] Thorkel hatte den kleinen Anders auf seinen Arm genommen und ihn dann auf sein Knie gesetzt. Clas hatte Gullik zur Seite geführt und sprach mit ihm heimlich. Thorkel aber sprach mit dem Knaben und mit Sigrid, freundlich plaudernd, fragend und Antwort gebend über allerlei Dinge, die des Kindes Neugier reizten.

„Willst Du denn nun wieder bei uns wohnen?“ fragte Anders.

„Ich denke, ja,“ antwortete Thorkel.

„In Deinem Hause dort drüben?“

„Ei freilich, lieber Anders.“

„Da ist es schön,“ sagte das Kind leise. „Ich war neulich einmal mit Sigrid dort, doch Dein Haus war verschlossen, und an der Thür hing ein Siegel. Sigrid sagte, der Landrichter hätte es vorlegen lassen, Du kämst wohl nimmer wieder.“

„Nun bin ich doch wieder da,“ fiel Thorkel ein, „und das Siegel schneiden wir ab.“

„Dann kommen wir und besuchen Dich, Sigrid und ich, und bleiben bei Dir.“

„Ja, ja, komm Du nur. Habt ihr denn zuweilen an mich gedacht, Du und Sigrid?“

„Ei wohl,“ sagte Anders. „Sigrid hat mir von Dir erzählt, wie keiner so schnell sei wie Du und so stark am ganzen Fjord.“

„Das lohn’ Dir Gott, Sigrid!“ sagte Thorkel, aber er sagte es halblaut und sah nach ihr hin. Sigrid sagte nichts darauf, sie legte das Netz zusammen.

„Nun willst Du wohl den Hund wieder haben?“ fragte Anders.

„Nein, nein!“ antwortete Thorkel, „der ist Dein und Du sollst ihn behalten. Das wird uns allen Glück bringen.“

„Du bist lieb,“ sagte der Knabe. „Ich will auch immer an Dich denken, so oft ich den Hund sehe.“

Eben kamen die beiden Männer zurück, und es dunkelte auf dem Fjord. Die Nebel stiegen auf, der letzte falbe Schimmer verschwand von den hohen Romsdalsfjellen.

„Geh hinein, Sigrid, sieh nach dem Feuer und mach Dich an den Tisch,“ sagte Gullik. „Du geh mit ihr, Anders. Abendluft taugt Dir nichts!“

„Komm mit uns in’s Haus,“ sagte das Kind zu seinem Freunde.

Doch Thorkel antwortete: „Geh nur voran,“ und als Anders zur Thür hinein war, wandte er sich an den Fischer. „Ist es Dir gelegen,“ fragte er, „wenn ich diese Nacht bei Dir bleibe?“

Es vergingen einige Augenblicke, während Gullik gerade aus sah und schwieg. Darauf antwortete er: „Es geht nicht an.“

Wieder eine Minute, dann sprach Thorkel: „Nimm’s nicht übel, ich fragte, weil mein Vater Dein Freund gewesen.“

Nach einem Weilchen sprach Gullik: „Weil er mein Freund war, darum will ich Dich nicht.“

Thorkel stand auf und sah umher, es war beinahe finster geworden. „Wohl,“ sagte er, „die Nacht ist da, so muß ich fort. Mag es Dich nie gereuen.“ Er ging, es sagte keiner etwas, aber Clas lachte heimlich. Bei Nacht den Bittenden von seiner Schwelle weisen, war ein schwerer Schimpf, ein Urtheil der Verachtung über Thorkel ausgesprochen, dem viele Männer sich anschließen, das aber andere auch wohl tadeln mochten. Da jener einige Schritte gegangen war, schien Reue über Gullik zu kommen. Er rief ihm nach, und Thorkel stand still.

„Kannst das Abendbrod mit uns theilen,“ sagte er.

„Behalte Deine Speise,“ antwortete Thorkel rauh und laut, „ich mag sie nicht.“ Damit verschwand er schnell in der Finsterniß, und Gullik Hansen stand schweigend, bis Clas ihm den Arm drückte.

„So ein Lump will noch trotzen,“ sagte er. „Das hast Du wacker gemacht, Gullik, alle guten Leute werden Dir Recht geben und ihm den Rücken kehren, sowie er an ihre Thür klopft.“

Der Fischer sprach nicht mehr darüber. „Komm herein und laß uns essen,“ sagte er. „Morgen früh gehe ich mit zwei Booten hinaus nach Ageröesund, denk ’s soll guten Fang geben.“




3.

Am nächsten Tage fuhr Thorkel nach Molde hinüber, um mit dem Herrn Schiemann über seine Angelegenheit zu sprechen. Der Kaufmann wohnte in einem der besten Häuser, das er sich neu gebaut und stattlich eingerichtet hatte. Die braune Thür trug einen blanken Griff von Messing und ein blitzendes Schild von demselben Metall, auf welchem der Name des Eigenthümers stand. Die Vorflur war mit Matten belegt, große Flügelthüren führten nach beiden Seiten; aus einer derselben trat eben Clas Gorud, seinen Hut in der Hand. Da er Thorkel kommen sah, that er freundlich und nickte ihm zu.

„Du kommst eben zur rechten Zeit,“ sagte er, „Herr Schiemann sitzt drinnen bei seinem Frühstück, kannst gleich mit ihm verhandeln.“

Thorkel gab darauf keine Antwort, sondern ging auf die Thür zu, klopfte an und ging hinein. Clas blieb stehen, sah ihm hämisch [434] nach und horchte. Auf dem Sopha saß ein dürrer Herr mit langem Gesicht und starken Backenknochen, unter denen die Backen tief einfielen. Er hatte röthliches, dünnes Haar und einen röthlichen Backenbart, scharfe graue Augen und ein strenges Ansehen, das von der lang vorstehenden Nase vermehrt wurde.

Als Thorkel die Thür öffnete und guten Morgen wünschte, drehte er den Kopf hin, dankte nicht darauf, sondern fragte: „Was willst Du?“

„Ich möchte ein Wort mit Dir sprechen, Herr Schiemann,“ antwortete Thorkel.

Ter Kaufmann stemmte den Arm auf den Tisch, in der Hand hielt er ein Messer. Vor ihm stand eine Karaffe mit Portwein und ein halb gefülltes Glas, ein leeres nicht weit davon. Dabei Teller mit Fleisch und Lachs, sammt Butter und Weißbrod. Herr Schiemann nahm ein Stück davon, auch Fleisch dazu, und indem er darauf hin sah, fuhr er fort: „Hast Du nicht gesehen, daß an der anderen Thür „Comptoir“ steht? Wer mich sprechen will, muß dahin gehen. Oder kannst Du nicht lesen?“

„Lesen und schreiben, Herr Schiemann,“ sagte Thorkel. „Nimm es nicht übel. Clas Gorud sagte mir, ich möchte hier hineingehen.“

Der Kaufmann fuhr fort zu essen und trank dazu. Thorkel stand geduldig und wartete. „Ich habe schon gehört, daß Du wieder hier bist,“ begann er. „Warum kommst Du zu mir?“

„Lieber Herr,“ sagte Thorkel, „ich muß wohl. Du hast die Stelle am Torsfjord vom Landrichter beschlagen lassen, so weiß ich nicht, wohin ich soll.“

„Das mag wohl sein,“ versetzte Schiemann, „aber meine Sache ist es nicht. Gestern hat Dich Gullik Hansen von seiner Thür gewiesen, so wird es Dir bei Anderen auch gehen.“

„Ich hoffe es nicht von Dir, Herr,“ antwortete Thorkel.

„Von mir?“ fragte Schiemann, das Glas in der Hand. Und nachdem er es ausgetrunken, sprach er weiter: „Ich habe die Stelle als Pfand für die zweihundert Thaler verschrieben bekommen. Dein Vater war ein ehrlicher Mann, dem habe ich sie geborgt. Dir hat er das Geld geborgt, kannst Du es wiedergeben?“

„Ja, Herr, ich will’s wiedergeben.“

„Wann?“ fragte Schiemann. „Wie?“

Thorkel schwieg. „Es kann vielleicht bald geschehen, vielleicht auch nicht,“ antwortete er nach einigem Besinnen.

„Ja so!“ sagte der Kaufmann, „Du weißt es nicht. Was hast Du damit gethan? Wo ist es geblieben? Hast es vergeudet?“

„Gleichviel, Herr,“ sprach Thorkel, „fort ist es, ich habe nicht einen Thaler mehr davon. Aber ich bin ja jung und verstehe meine Sache. Gib mir Geduld, ich will für Dich arbeiten. Es kommt jetzt eben die Zeit für den Hering und den Segfisch. Ich will nur das Nothdürftigste haben, alles Andere sollst Du abschreiben.“

Herr Schiemann schnitt sich ein neues Stück Braten ab und sagte dabei vollkommen gleichgültig: „Ich kann Dich nicht brauchen, sieh zu, wer Dich nimmt.“

Thorkel blieb noch einige Augenblicke stehen, dann sprach er: „So vergib, Herr, daß ich anfragte, und Gott’s Gruß!“

Als er die Hand schon auf dem großen Thürgriff hatte, rief Herr Schiemann: „Komm einmal her. Thorkel Ingolf.“

Thorkel kehrte um und trat an den Tisch. Der Kaufmann sah ihn mit den grauen scharfen Augenbrauen an, als wollte er ihn durchsehen. „Wenn ich Dir keine Arbeit gebe,“ sagte er, „wird es kein Anderer thun.“

„Das mag wohl sein,“ antwortete Thorkel.

„Da Gullik nichts mit Dir zu schaffen haben will, folgen ihm alle besseren Leute, und die armen oder schlechten können Dich nicht brauchen.“

„Ich mag sie auch nicht,“ sagte Thorkel.

„Dann werden Lensmann und Voigt bald hinter Dir her sein,“ fuhr der Kaufmann fort, „und werden Dich in’s Loch stecken, wenn Du Dich umhertreibst oder bettelst.“

Thorkel’s Augen wurden größer. „Das wird nicht geschehen, Herr.“

Schiemann schwieg und musterte ihn. „Wo warst Du denn heut Nacht?“ fragte er.

„In einer von den alten Kirchenhütten, an der mein Vater auch einen Theil hatte,“ sagte Thorkel.

„Hast wohl auch heule noch nichts genossen?“

„Viel war’s nicht,“ lautete die Antwort.

„Da, iß,“ sagte der reiche Mann und schob ihm den Teller mit dem Brod und dem Rest vom Fleische hin. Dann nahm er die Krystallflasche und schenkte das leere Glas voll Wein. – „Du dauerst mich,“ fuhr er dabei fort, „warst sonst ein anstelliger Kerl, den gute Leute gern sahen. Was soll nun aus Dir werden?“

Thorkel hatte sich Brod und Fleisch genommen, und war damit beschäftigt. „Ich bin’s noch, Herr,“ sagte er.

„Aber es glaubt’s Niemand mehr von Dir. Du giltst nun als ein leichtsinniger, sündhafter Bursche, der seinen Vater unter die Erde brachte.“ Hier hielt er inne, denn Thorkel’s Augen funkelten ihn an, als wäre Feuer darin. „Willst Du mir sagen, wozu Du das viele Geld gebraucht hast?“ fragte Schiemann.

„Nein, Herr. Es wäre eine lange Geschichte und hälfe doch zu nichts.“

Schiemann stand auf und blieb vor ihm stehen, indem er ihn betrachtete. „Du bist in schlechten Händen gewesen,“ sagte er, „ich will sehen, was ich thun kann; aber Du mußt erst beweisen, ob Du es verdienst.“ Er that nun eine Reihe Fragen an Thorkel über dessen Soldatenleben und kam endlich dabei auch auf den Lieutenant Erik Meldal, über den er ihn genau ausfragte und allerlei erfuhr, das ihm wohl zu behagen schien.

Der junge Officier war schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Garnison, sondern hatte Urlaub genommen und war fortgereist, wohin, wußte Thorkel nicht zu sagen. Aber nach Allem, was er erzählte und was ihm abgefragt wurde, hatte der Lieutenant locker gelebt und beträchtliche Schulden gemacht; auch brachte Schiemann heraus, daß Erik Melval darum gewußt, daß Thorkel seinem Vater das Geld abgepreßt, und zuletzt kam noch Etwas zum Vorschein. – Herr Schiemann fragte, ob der Lieutenant nicht auch Liebschaften angefangen, und Thorkel meinte, daran hätte es ihm wohl nicht gefehlt, denn er sei der schmuckste unter allen Officieren, und da sei ein alter reicher Proprietair gewesen, aus Moß am Christiansfjord, dessen Tochter hätte er bekommen können, wenn er so gewollt.

Herr Schiemann legte ihm seine Hand auf die Schulter und lachte. „So ist er am Ende wohl dem Proprietair und seiner Tochter nachgereist?“ sagte er.

„Es mag wohl so sein,“ versetzte Thorkel.

„Ja, ja,“ rief Schiemann und nickte ihm zu. „Das ist gewiß so, und höre, Thorkel – komm her und trink noch ein Glas. Dann geh in mein Magazin, und suche Dir da einen Anzug aus, wie er Dir paßt. Einen solchen hast Du nöthig, wenn die Leute Dich mit bessern Augen ansehen sollen. Ich werde ihn Dir auf Credit geben, Du siehst also, daß ich Dir beistehen will. Dann komm wieder zu mir, ich schreibe inzwischen einen Brief an den Pastor Bille, damit er Dir seinen Rath ertheilt und Dich in seinen Schutz nimmt. Jetzt geh’ und mach’ daß Du fertig wirst.“

Während er sprach, hatte er schon an einer Klingelschnure gezogen, und es erschien ein Buchhalter, dem er seine Befehle gab und welchem Thorkel nachfolgte. Jeder nordische Kaufmann hat ein Magazin voll Waaren der allerverschiedensten Art, Kleider und Geräthe; vom Hemdenknopf bis zum Pelzrock, und von der Nähnadel und dem Angelhaken bis zur Axt und zum Webestuhl. Es dauerte gar nicht lange, so war Thorkel in einen neuen Menschen verwandelt. In Knopfjacke und Glanzhut, mit einem breiten rothbraunen Tuch um den Hals, trat er wieder herein, und als er vor dem Herrn Schiemann stand, sagte dieser: „Jetzt wird Dich Mancher schon besser betrachten; benimmst Du Dich klug, so wird’s danach auch weiter gehen. Hier hast Du den Brief. Sage dem Herrn Jöns Bille Alles, was Dich bei ihm empfehlen kann. Auf den Kopf gefallen bist Du nicht, weißt selbst zu beurtheilen, was davon abhängt, daß er nicht denkt, Du hättest noch immer leichtsinnige Streiche im Kopfe, Soldatenkniffe und den liederlichen Erik Meldal. Daß er Schuld daran hat, wenn Du schlecht wurdest, ist gewiß. Hat er nicht darum gewußt, daß Du das Geld von Deinem Vater nahmst?“

„Gewußt hat er es,“ sagte Thorkel.

„So verhehle dem Pastor nichts, und dann komm morgen wieder zu mir. Benimmst Du Dich so, daß man Dir vertrauen kaun, so sollst Du Arbeit haben, und wegen der Stelle sprechen wir weiter. Jetzt geh.“

Thorkel setzte sich in den kleinen Nachen, den auf sein Bitten ein alter Bekannter ihm geliehen, und fuhr über den Fjord zurück. Es war ein ziemlich windiger Tag, das Wasser ging unruhig und hoch, aber er regierte den Nachen mit Kraft, als wollte er sein [435] altes Ansehen behaupten, daß er der beste Schiffer sei, und er sah wohl auch, wie Clas am Ufer stand mit mehreren Anderen, die mit ihm meinten, daß Thorkel umkehren müßte, weil er es gegen Wind und Fluthwelle nicht schaffen könnte. Aber der Nachen schnitt in gerader Linie über den Fjord auf Besnies-Kirche los, und er landete Gulliks Hausstelle zur Seite an den Steinen. Darauf stieg Thorkel hinauf, und als er an dem Hause vorbeiging und an der Bank, wo er gestern gesessen, blieb er einen Augenblick stehen. Die Bank war leer, zögernd ging er weiter. Dann sah er sich noch einmal um, da stand Sigrid auf der Thürschwelle.

„Guten Tag, Sigrid!“ sagte er.

„Habe Dank, Thorkel,“ antwortete sie, hielt aber ihre Hände unter der Schürze.

„Lachst Du?“ fragte er und kam näher.

„Warum nicht?“ antwortete sie und sah lachend auf seinen neuen Anzug.

„Herr Schiemann hat ihn mir geborgt,“ fuhr er fort.

„Ei ja,“ sagte sie, „er wird Dich brauchen können.“

Da lachte Thorkel auf. „Das ist richtig, Sigrid. Hier ist ein Brief an den Pastor. Sie meinen es Beide gut mit mir.“

„Wahr’ Dich aber doch, Thorkel,“ sagte Sigrid.

„Wovor?“

„Vor Unrecht.“

„Nu, nu!“ sagte er, „traust Du mir Unrecht zu?“

Sie schüttelte den Kopf und ihre blauen Augen glänzten da bei, als schiene die Sonne hinein.

„Gib Deine Hand her, Sigrid!“ rief er freudig.

„Nein, nein!“ versetzte sie, „Vater hat es mir verboten, auch soll ich nicht mit Dir sprechen, es sei denn, daß es nicht anders geht.“

„Und es geht eben nicht anders,“ lachte er.

„Weil Jungfrau Else hier bei mir war, es ist kaum eine Stunde vergangen,“ fuhr Sigrid fort, „und ich mußte ihr geloben, daß ich Dir sagen wollte, sobald ich Dich sähe, sie müßte mit Dir sprechen und wollte heut Abend, wenn das Essen vorbei und es finster geworden, im Garten sein, gleich hier an der Ecke am Felsen.“

„Und was gibt’s Wichtiges weiter, Sigrid?“ fragte Thorkel, „Du hast mich also erwartet?“

„Freilich hab’ ich’s,“ versetzte sie. „Vater ist mit beiden Booten hinaus auf den Ageröesund, da stand ich am Fenster und sah Dich kommen. Nun aber sollst Du thun, was ich haben will, und sollst es mir schwören.“

„Das will ich, Sigrid,“ sagte er.

„Dann sollst Du Dich ruhig halten, Thorkel, dem Clas aus dem Wege gehen, der ist falsch, und meinen Vater darfst Du nicht noch mehr erzürnen, mußt suchen, daß er wieder sagt: Bist mir willkommen!“

„Wie soll ich das anfangen, lieb Sigrid?“

„Gott weiß es! aber den Gerechten hilft er. Und nun, Thorkel, hör’ an. Du bist ein stolzer Mann, dennoch sollst Du nicht widerstreben. Was ich Dir gebe, das nimm und hilf Dir und mir damit, wenn Du es kannst. Ehrlich ist es mein; nun geh hin zu dem Pastor und mach’s recht.“

Sie drückte ihm etwas in die Hand, das in ein Papier eingehüllt, und ging rasch in’s Haus und machte die Thür zu. Da er den Umschlag abnahm, sah er ein braunes Täschchen, und als er es öffnete, lagen drei Banknoten darin, eine jede von zehn Thalern. Er hielt sie vor sich und sah darauf hin; dann kam’s ihm hell, in die Augen und plötzlich rief er laut: „Gott’s Dank, Sigrid, Gott’s Dank! Ich nehm’s gern an von Dir und will’s Dir lohnen mein Leben lang.“

So steckte er das Täschchen ein und ging hinauf zum Pfarrhofe. Das war ein schönes neues Haus, geräumig und mit großen Fenstern, wie die Häuser in der Stadt. Die Stuben mit Tapeten beklebt, die Thüren weiß gestrichen, die Möbel und Geräthe wie sie Herren von Rang und Reichthum besitzen. Der Pfarrer von Besnies hatte aber auch ein schönes Einkommen, man meinte, die Stelle bringe mehr als zweitausend Thaler jährlich, und überdies hatte Herr Jöns Bille eigenes Geld und eine Frau geheirathet, die ihm auch nicht wenig zugebracht. Jungfrau Else war sein einzig Kind im Hause, seinen Sohn hatte er auf der hohen Schule in Christiania. Die Beiden mußten einmal Alles erben, doch damit hatte es wohl noch Zeit, denn Herr Bille war noch gar nicht alt, kaum fünfzig, ein kräftiger, stattlicher Mann, der sich seines Lebens freute und gern ebensowohl vornehme Gäste in seinem Hause sah, wie nach Molde hinüber fuhr und sonst umher zu den vornehmen Kaufleuten und Landherren.

Früher fuhr er auch häufig nach der Insel Otteröe auf das Gut des alten Obersten Meldal zu Gaste und blieb dort vielmals länger als einen Tag. Die Freundschaft war so groß, daß die Leute meinten, es würde auch Verwandtschaft daraus werden, wenn des Obersten Sohn Erik die Jungfrau Else Bille heimführe. Da aber der alte Herr Oberst gestorben war, und es sich zeigte, wie seine Vermögensverhältnisse zerrüttet, schien Herr Bille dies besser zu überlegen. Es entstanden Zwistigkeiten mit dem jungen Erben, Erik Meldal wurde im Pfarrhause kalt angesehen und statt, wie es anfangs geheißen, seinen Abschied zu nehmen und in Meldalsgaard die Wirthschaft zu führen, ging er plötzlich zu dem Jägerregiment zurück und überließ es seinem alten getreuen Verwalter, die andrängenden Gläubiger zu beschwichtigen.

Darüber war nun Jahr und Tag vergangen, aber seit dieser Zeit hatte die Freundschaft des Pfarrers mit dem Herrn Schiemann in Molde zugenommen. Was er an dem Obersten verloren hatte, ersetzte ihm der Kaufmann bald und besser. Herr Schiemann war ein kluger und reicher Mann, geachtet überall und mit den ersten Familien in Freundschaft. Er war Wittwer, kaum vierzig Jahre alt, hatte keine Kinder. Es gab kein Mädchen, das Nein gesagt hätte, wenn er anklopfen mochte, und daß der hoch würdige Jöns Bille zufrieden mit seinen Besuchen war, konnte der Handelsherr gewiß nicht verkennen. Wäre Jungfrau Else ebenso vergnügt ihm entgegengelaufen, wie ihr Vater mit ausgestreckten Händen, so hätte die Rechnung längst ihren Strich bekommen. Aber Else war so kalt und schwer, wie ein Lachs, wenn er aus dem Wasser gezogen werden soll, so ernsthaft, daß sie über keinen Spaß lachen mochte, und überhaupt so zurückhaltend, daß alles Mühen um ihren Beifall vergebens blieb. Je mehr die Freundschaft ihres Vaters für den reichen Freier wuchs, um so stummer wurde die Tochter, und obwohl Jöns Bille bisher dazu geschwiegen, war er doch über dieses Benehmen sichtlich aufgebracht, suchte es aber als kluger und würdiger Mann mit Milde und guten empfehlenden Worten zu vermitteln.

Eben heute, ehe Thorkel in seinem Hause anlangte, hatte er dies auch gethan, denn Else hatte ihm gestern Gelegenheit zum stärksten Mißfallen gegeben. Herr Schiemann war überaus artig und zuvorkommend gewesen, aber sie hatte seine Höflichkeiten weniger als je erwidert, hatte wie abwesenden Geistes stumm und zerstreut gesessen, und zuletzt war sie verschwunden und ließ sich nicht wieder blicken, gerade da Schiemann erzählte, daß Meldal’s Gut unter den Hammer kommen würde, denn die Gläubiger drängen darauf, und daß er es kaufen werde.

Von dem Gespräche mit seiner Tochter hatte der Pfarrer noch ein erhitztes, ärgerliches Gesicht, denn seine Vorstellungen fielen nicht auf guten Boden. Es war eine Scene entstanden, die er abgebrochen hatte, als Else zu weinen anfing, aber seine letzten Worte waren gewesen: „Du wirst vernünftig handeln und mich nicht zwingen, scharf gegen Dich zu sein. Einem Bettler und leichtsinnigen Menschen kannst Du nicht länger anhängen wollen. Du hast gehört, daß Meldal verkauft wird, es bleibt ihm also gar nichts. Hierher kommt er auch gewiß nicht wieder; willst Du etwa mit ihm in die Garnison ziehen? Dazu bist Du zu gut und ich auch. Nimm also Dein Einsehen zusammen und beweise es gegen Schiemann, daß er einer Närrin nicht den Rücken kehrt, und andere Leute auch, und ich – ich!“

Er schlug sich mit Heftigkeit mit der flachen Hand auf die Brust, und da Else, mit dem Tuch vor ihren Augen, sich entfernte, ging er mit großen Schritten im Zimmer umher, und ging noch, als Thorkel die Thür aufmachte. Da ihn der Pastor sah, rollten seine Augen. Er suchte Einen, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. Jetzt schickte ihm der Himmel ein Opfer. Er hob seinen Kopf zum Strafgericht empor und blickte den Sünder durchbohrend an. „Haha!“ rief er, „da bist Du ja! Es ist doch Thorkel Ingolf, den ich vor mir habe?“

„Ja, Herr Pastor, der ist es,“ antwortete Thorkel unerschrocken.

„Und Du gräulicher Mensch wagst es, Dich hier blicken zu lassen?“ fuhr Herr Bille mit mächtiger Stimme auf. „Kommst Du hierher zurück, damit alle rechtschaffenen Menschen mit Fingern auf Dich weisen und Dir Schimpf nachrufen?“

[436] „Wohin soll ich, Herr?“ versetzte Thorkel. „Schilt mich nicht zu sehr.“

„Es wäre Dir besser, Du gingst bis an’s äußerste Ende der Welt, ungerathner Sohn,“ rief der Pastor, „dahin, wo Dich Niemand kennt.“ Und noch lauter schreiend, denn er hatte Grund dazu, fuhr er fort: „Dich wird Gott finden und züchtigen, wie er die ungehorsamen, an der Seele verdorbenen Kinder niederwirft unter seine Gerichte, die ihres Vaters Fluch aus sich geladen haben.“

„Höre auf, Pastor,“ sagte Thorkel ruhig, „Du sprichst nicht so, wie Du sprechen sollst. Mein Vater hat mich gesegnet noch in seiner letzten Stunde und geseufzt, daß ich nicht bei ihm war. Was ich gethan habe, ist geschehen, war’s Sünde, muß ich sie tragen. Doch von dem Allen ist hier nicht die Rede. Ich komme zu Dir, um Dir einen Brief zu bringen, den Herr Schiemann in Molde mir mitgegeben hat. Hier hast Du ihn!“

Dabei zog er den Brief aus der Tasche und reichte ihn dem Geistlichen hin, auf dessen geröthetem Gesicht sich eine Donnerwolke lagerte, die wie vor einer Frühlingswärme verging. Sein aufgehobener Arm, mit welchem er diesen frechen Kerl aus seinem Hause weisen wollte, sank nieder, schweigend nahm er das Schreiben und las es, und während dies geschah, wurden seine Mienen ruhiger und milder. Darauf sah er über den Rand des Blattes Thorkel an, und wieder hinein und wieder auf, bis er endlich begann: „Du willst also umkehren von den falschen Wegen und ein ehrbarer Bauersmann werden?“

„Ja, Herr, ich will Bauer sein bis an mein Ende,“ antwortete Thorkel.

„Herr Schiemann sagt hier, daß Du ihm Vieles mitgetheilt hast über die Art, wie Du in’s Verderben gerathen, und daß Erik Meldal um Alles gewußt hat, was Du getrieben.“

„Das hat er, Herr Pastor, und war mit mir in solcher Freundschaft, daß mir auch nichts verborgen blieb, was er that.“

„So!“ rief Herr Bille, und sein Gesicht wurde freundlich.

„Du weißt also, was er getrieben, und jetzt, so steht hier, ist er fort, einem Mädchen nach?“

„Ja, meiner Seele!“ sagte Thorkel lachend, „er ist Einer hinterher, mit der er es vorhat.“

„Mein Sohn,“ sprach der Pastor würdevoll und ihn scharf ansehend, „kann man Dir auch vertrauen, daß Du die volle Wahrheit sprichst?“

„Ei ja!“ versetzte Thorkel, „ich mag mich nimmer zum Lügen gebrauchen lassen, darauf verlaß Dich, Herr. Und damit Du siehst, daß ich thue wie ich sage, so will ich Dir eine Sache anvertrauen, die sicher ist.“ Er trat ihm näher und sprach leise: „Es hat mir Jemand Nachricht gebracht, daß ich heut Abend in Deinen Garten kommen möchte, da wollte Deine Tochter mit mir reden.“

„Else?“ fragte Jöns Bille erstaunt und erschrocken.

„Wenn Du es nicht willst, werde ich nicht hingehen,“ antwortete Thorkel.

Der Pfarrer schwieg einige Minuten, aber er wurde immer freundlicher dabei, und endlich sah er sehr zufrieden aus und lachte.

„Nein, lieber Thorkel,“ sagte er, „ich sehe nun, daß Du treu bist, und darum sollst Du hingehen und sollst die volle Wahrheit sagen. Willst Du das thun?“

„Ja, Herr,“ sprach Thorkel.

„Du mußt ihr nichts verschweigen,“ fuhr Herr Bille fort. „Alles, was sie Dich fragt, sollst Du beantworten, und was Du weißt, ihr nicht verheimlichen. Und höre, Mann: Du sollst mir das nicht umsonst thun. Ich will Dir helfen vor aller Welt, Niemand soll Dir Böses nachreden. Ich sowohl wie Herr Schiemann, wir werden für Dich sorgen, daß Du zufrieden sein wirst.“

Nach einer halben Stunde kam Thorkel aus dem Pfarrhause, und der Pfarrer ging mit ihm bis an die Thüre und sagte da laut: „Komm bald wieder, Thorkel Ingolf!“




4.

Als es Abend geworden, leuchtete das Feuer vom Heerde Gullik Hansens. Beim hellen Flammenschein saß er davor und blickte finster hinein, denn er hatte keinen guten Tag gehabt. Mit seinen beiden Booten war er außen an dem Ageröesund gewesen, hatte aber fast nichts gefangen. Lag’s an dem scharfen Winde oder an der Strömung, er dachte darüber nach; doch Andere, die nicht weit davon hielten, machten guten Fang. Ein Fischer hängt wie ein Jäger vom guten Glück und vom Zufall ab, oder vom bösen Nix, dem Neck und den Meerfrauen, die den Fisch von des Einen Netz fortjagen und in die Fallen ihrer Günstlinge führen. Es kann aber auch Hexerei dabei vorkommen. Wer sich darauf versteht, auf Bannsprüche und Verwünschungen, der kann machen, daß Unglück seinen Feind verfolgt, daß seine Thiere sterben und verderben, seine Bäume und Saaten verdorren, seine Kugel nicht tödtet, ob er das Wild auch mitten durch schösse, und daß in seine Netze kein Fisch geht. Ein Volk, das einsam lebt und wohnt in wilden Gebirgen und an wilden Küsten, Jahr um Jahr im Kampfe mit der Natur und deren Schrecken, mit Stürmen und Nebeln, dabei von alten Zeiten her mit Wundern und Sagen reich versorgt, das läßt so leicht nicht los vom Glauben an gute und böse übernatürliche Wesen und Kräfte. Gullik Hansen war ein Mann, dem es nicht an Verstand fehlte, doch in Nacht und Nebel hatte er Manches gesehen und Manches gehört, das nicht von Menschen kam, auch Manchen gekannt, dem Neck und Hexerei arg mitgespielt.

Als er mürrisch in sein Haus trat, fand er aber noch eine andere Sorge. Sein Sohn Anders lag krank im Bette voll Fiebergluth und Mattigkeit, es war ihm zur Mittagszeit plötzlich angetreten, Sigrid hatte ihn niederlegen müssen, sie saß bei ihm in der Kammer. Vor dem Fischer aber, auf dem Klotz am Heerde, saß dafür ein altes Weib, das häßlich aussah. Sie hatte nackte Füße in den Schuhen, trug einen weiten rothen Rock und eine braune Jacke. Ihre Nase war aufgestülpt, wie Clas Goruds Nase, ihre Lippen dick wie seine Lippen, und ihre Augen flogen beweglich umher wie seine Augen. Es war seine Mutter Grete, der ihr Sohn so ähnlich sah, und es war eine starkknochige feste Frau, vor der die Leute umher meist mehr Furcht als Zuneigung empfanden, denn sie galt als falsch und böse, aber auch als klug und erfahren in vielen Dingen. Wenn Einer krank war, ging er zu ihr und holte sich Rath. Sie konnte die Rose und das Blut besprechen, konnte Warzen fortschaffen und konnte Gliederschmerzen heilen. Sie machte auch Salben gegen Frost und Wunden und kochte Tränke gegen alle Krankheiten, aber das Beste that doch ihr Pusten und Streichen und was sie heimlich dabei murmelte und Kreuze machte. Es war also eine weise Frau, die häufig in die Bauerhöfe geholt wurde, aber sie wußte auch sonst noch von vielen verborgenen Dingen, sagte manchem Mädchen ihr Schicksal voraus, was ihr bestimmt sei und was nicht, was geschehen müsse, wenn Wünsche sich erfüllen sollten, und was Jeder thun solle, wenn er Schaden oder Unglück von sich abwenden wollte.

Daß die kluge Grete ihrem Sohn Clas zumeist Glück zu schaffen suchte, und daß Sigrid ihr wohl gefiel, konnte ihr Niemand verdenken. Sie war einverstanden, daß Clas diese für sich ausgesucht, auch wußte sie, was entgegen lag und fortgeschafft werden mußte. Als sie heute gekommen, war es ihre Absicht, Gullik Hansen weiter in den rechten Weg zu bringen, und leid that es ihr nicht, daß üble Dinge ihn betroffen. Daß sie kam, war aber auch dem Fischer lieb. Sie konnte nach dem Knaben sehen und Rath geben, that dies auch, strich ihm Kopf und Hände, blies ihn an, betrachtete und bekreuzte ihn. Darauf setzte sie sich an das Feuer und zog aus ihrer Tasche eine kleine schwarze Tabakspfeife. Gullik reichte ihr seinen Tabaksbeutel hin, und sie stopfte die Pfeife, brannte sie an und rauchte. Das graue Haar hing ihr unter dem Kopftuch hervor, der Feuerschein spielte über ihr Gesicht, und zuweilen beugte sie sich über den Heerd und sah in die weiße Asche, die das Birkenholz übrig ließ.

Es dauerte ziemlich lange, daß Keiner sprach. Gullik saß still und ließ sie gewähren, bis Grete endlich dreimal in’s Feuer spuckte und den Kopf zu ihm hindrehte. „Richtig ist’s nicht hier,“ sagte sie, „das Unglück hast Du im Hause.“

„Was für Unglück?“ fragte Gullik.

„Du magst es machen, wie Du willst,“ fuhr sie fort, „es wird Dich nicht verlassen, wenn Du nicht klug bist.“

„Was meinst Du?“ fragte er weiter.

„Es hat Einer Dich verflucht, möchte Dich verderben.“

„Womit?“ fragte Gullik langsam und starrte sie an.

Eben rief draußen Clas: „Willst Du von der Thür, Du Beest, Du! Ich schlage Dich todt, Du Teufelsvieh!“

[449] Während Clas draußen auf die arme Robbe losschalt, griff seine Mutter drinnen den Fischer an dem Arm, schob ihren Xopf dicht an sein Gesicht und murmelte ihm zu: „Damit, Gullik: so lange Du Thorkel’s Seehund im Hause hast, hat Dich das Unglück. Wirf ihn in’s tiefe Wasser, gib ihn Clas, der soll thun, was ich sage. Dann ist Clas mit Dir, und Thorkel bist Du los. Jetzt hilf ihm.“

Gullik machte die Thür auf. Der Seehund lag davor und hielt Clas mit grimmigem Zahnfletschen von sich ab. Der Fischer gab dem Thiere einen Stoß, der es seitwärts warf, darauf ging er zurück, ohne ein Wort zu sagen, und setzte sich wieder an seinen Platz. Clas kam nach, aber seine Mutter winkte ihm zu, daß er schweigen sollte; so setzte er sich auch an’s Feuer und betrachtete Beide. Grete rauchte, legte ein paar Holzstücke auf die Flamme, daß sie hell aufloderte. Sie hielt die kurze Pfeife zwischen ihren breiten Lippen, der Dampf zog über ihr Gesicht, ihre Augen funkelten daraus hervor. Ihre Ellenbogen stemmte sie auf die Beine, legte ihr dickes Gesicht in beide Hände und hockte so vor dem Heerde. „Besser wird’s nicht, Gullik,“ begann sie nach einer Weile, ohne ihn anzusehen, „Du wirst es inne werden. Dein Kind wird nicht eher wieder aufstehen, guter Fang wird nicht kommen, Du wirst Unglück haben, Unglück überall, bis der böse Aand aus Deinem Hause ist. Ja, ja, Gullik, es ist ein Bann, ich sag’s Dir, ich seh’s in Deinem Feuer.“

Der Fischer blickte stier ihren Blicken nach. Es war ein Grausen in seinem Kopf, das ihm die Haut zusammen zog. Er dachte daran, wie Thorkel gesagt hatte: „Mag es Dich nicht gereuen!“ dachte an den Schimpf, den er ihm angethan.

„Wirst morgen auch nichts fangen,“ sagte Grete, „der Busemand hält Wache, läßt nichts in Deine Netze. Schickt gräulich Wetter, reißt Dich nieder, legt sich auf Anders mit seinen Plagen.“

„Was soll ich thun, Grete?“ murmelte der geängstigte Mann.

Sie beugte sich zu ihm und sprach: „Du wirst es sehen, Gullik, es wird morgen sein, wie heute, dann eile Dich. Der Hund muß in den Langfjord; wenn es Nacht ist, gib ihn an Clas –“

In dem Augenblick sah Clas auf, und da er nach seiner Mutter blickte, sah er noch etwas an dem kleinen Fenster hinter ihr an der Hüttenwand. Es war ein Gesicht oder ein Schatten, der schnell verschwand, aber er glaubte ihn doch erkannt zu haben, und ohne etwas zu sagen, stand er auf, ließ seine Mutter bei Gullik sitzen und ging hinaus. Als er draußen anlangte, sah er sich um und horchte. Die Sterne standen am Himmel, der Wind schwieg, sehen konnte er nichts, denn es war sehr dunkel, aber von den Steinplatten her, auf denen des Pfarrers Garten lag, hörte er ein Geräusch, und den steilen Hang herunter kollerte ein Stein. Es stieg Einer dort hinauf, hatte auf den Stein getreten und ihn zum Fallen gebracht. Clas besann sich nicht lange, folgte ihm leise nach, und da es ihm Wenige gleich thaten an Kraft und Behendigkeit, war er schnell oben, und so behutsam still, daß nicht der mindeste Lärm entstand. An dem Gitter duckte er sich dicht nieder und lag am Boden, bis er sich aufrichtete und in den Garten spähte. Es kam ihm vor, als regte sich etwas nicht weit von ihm unter einem Apfelbaum, der sein breites Geäst über den Weg ausstreckte, und plötzlich hörte er auch ein Geräusch in dem Gange, der vom Pfarrhause herführte. Es kam ein Anderer von dorther, und nun trat der unter dem Baume hervor und ging ihm entgegen.

Sobald dies geschah, stieg Clas über das Gitter, und wenige Augenblicke vergingen, so befand er sich unter dem Apfelbaume. Der Stamm war dick, und ein paar Fuß über dem Boden theilte er sich in eine Gabel; zwischen dem starken Geäst konnte ein Mann gut stehen, sich anlehnen und sich verbergen. Und hier stand Clas Gorud fest angeklammert und hörte mit gespannten Ohren; es dauerte jedoch einige Zeit, ehe er etwas vernehmen konnte. Denn die beiden Personen blieben fern in dem Gange, er hörte kaum, daß sie zusammen sprachen. Bald jedoch kamen sie näher, Clas hatte dies wohl erwartet, denn der große Baum gab ihnen den besten Schutz für ihre Heimlichkeiten. Und nun wußte er auch, wer Beide waren: Jungfrau Else und Thorkel, sie wurden schnell von ihm erkannt.

„Es geht ihm also gut, sagst Du?“ fragte des Pfarrers Tochter.

„Ich denke,“ antwortete Thorkel, „es soll ihm bald noch besser gehen.“

„Wie meinst Du das?“ fuhr sie fort.

„Ich meine, er wird nicht unterliegen. Wird einmal wieder in Meldalsgaard wohnen und seinen Namen zu Ehren bringen.“

„Hat er Dir nichts aufgetragen an – an mich? Keinen Gruß?“

„Nein, nein!“ sagte Thorkel. „Er war fort, als ich ging. Es kam schnell, daß ich entlassen wurde.“

„Du weißt auch nicht, wo er ist?“

„Ich kann’s nicht sagen,“ antwortete Thorkel. „Es möchte falsch sein.“

[450] Es verging eine Minute, dann begann Jungfrau Else wieder zu sprechen, aber ihre Stimme war schwach und wie von Furcht gebrochen. „Höre mich an, Thorkel,“ sagte sie, „willst Du mir antworten?“

„Gewiß will ich das,“ versetzte er.

„Und willst nur die reine Wahrheit sagen?“

„Darauf kannst Du Dich verlassen, Jungfrau.“

„Man hat mir mitgetheilt, daß Erik ein schlechtes, wüstes Leben führt – ich will nicht sagen, von wem ich es hörte, aber –“

„Ich kann’s denken,“ fiel Thorkel ein, „es gibt welche, die solche Sachen Dir gern erzählen.“

„Daß er seine Schulden leichtsinnig vermehrt, und daß er auch Dich verlockt hat, so daß Du das Geld von Deinem armen Vater fordern und ihm geben mußtest,“ fuhr Else fort.

„Ja,“ sagte Thorkel, „das Geld habe ich ihm gegeben.“

„Ist das wahr?!“ rief sie schmerzlich erschrocken.

„Wahr und gewiß,“ sagte Thorkel, „aber fürchte Dich nicht davor. Er hat mich nicht verlockt, ich gab es ihm, ohne daß er es forderte. Er wußte es nicht eher, daß ich an meinen Vater geschrieben, bis ich das Geld hatte.“

„Was hat er damit gemacht?“ fragte sie.

„Das ist seine Sache, nicht meine,“ antwortete Thorkel, „doch glaube Gutes von ihm, Jungfrau Else, er verdient es.“

„Sagst Du es!“ versetzte sie aufgeregt, „wie soll ich es glauben?“

„Weil es eine richtige Sache ist,“ erwiderte er mit fester Stimme.

„Und was ist richtig?“ fuhr Else fort. „Daß er – einem Mädchen nachgereist ist?“

Da fing Thorkel an zu lachen, ganz lustig und laut, als sei er davon besonders erfreut. „Höre an, Jungfrau Else,“ fuhr er dann heraus, „laß Dich davon nicht bange machen. Einem Mädchen ist er nach, aber heirathen wird er es nimmer, Du kannst es glauben. Das geschieht so wenig, wie der täppische Lümmel Clas mein lieb Sigrid heirathen wird, so wenig, wie König Olafs Hochzeitszug je von den hohen Romsdalsfjellen niedersteigt, und die Heidenpriester wieder lebendig werden, die er in Stein verwandelt hat, und die dort stehn bis in Ewigkeit. Und nun gib Dich zufrieden, Jungfrau Else, ich sage Dir, es ist Alles Lug und wird sich erweisen.“

„Erik ist nicht in Schande und Sünde?“ fragte sie mit neuem Glauben.

„Es ist kein Falsch an ihm, Du sollst es erfahren.“

„Er hofft zu uns zurückzukehren?“

„Das denkt er sicherlich.“

„Und denkt – denkt auch an mich?“

„Ja, ja!“ rief Thorkel, „es ist kein Tag vergangen, wo er nicht von Dir gesprochen hätte und alter Zeiten gedacht. Und was jetzt“ – er hielt inne und fuhr dann fort: „Warte nur noch kurze Zeit, Nachricht muß von ihm kommen, und was ich erfahre, sollst Du sogleich wissen. Du hast an mir einen guten Freund, Jungfrau Else, das glaube immer.“

„O, guter Thorkel, ich glaube es gern!“ sagte das Fräulein mit zitternder Stimme.

„Ja, ja!“ fuhr er fort, „es ist sowohl um Erik’s wegen, wie deinetwegen und um Sigrid, und weil es mir geht wie Dir und ihm. Aber Du mußt muthig sein. Laß Dich nicht beschwatzen von dem hohlbäckigen Kerl in Molde; mit all seinem Gelde ist er doch nichts werth.“

„Ach! lieber Thorkel,“ seufzte sie leise, „mein Vater!“

„Ei, so sprich mit ihm und sage. Du willst den reichen Schiemann nicht haben.“

„Bin ich nicht meines Vaters Kind?“ versetzte sie. „Kann Sigrid ihrem Vater ungehorsam sein, wenn er ihr befiehlt, zu gehorchen?“

Er schwieg und besann sich. „Das geht freilich nicht an,“ sprach er darauf, „obwohl es hart ist, aber Vaters Wille muß Recht bleiben. Nun, so mache es also, wie Sigrid, mache ein froh Gesicht: laß Dir nicht merken, wie es in Deinem Herzen steht, und suche es klug zu wenden.“

„Wie soll ich es wenden, lieber Thorkel?“ fragte sie betrübt.

„Höre,“ versetzte er. „Es ist ein altes richtiges Wort für jeden Menschen, der in Noth ist, daß, wer Zeit gewinnt, viel gewinnt, oft Alles. Wenn der Sturm unser Boot faßt, suchen wir es von den Klippen abzuhalten, in’s offene Wasser, unter Gottes Schirm. So thue Du es, und halt aus; wer weiß, wie bald sich Wind und Wetter ändern. Verschieb’s bis zum Herbst, sage: ich will’s bedenken! Ich meine, Sigrid wird’s auch so machen, wenn Clas ihr zu nahe kommt. Sei gutes Muthes, Jungfrau Else, wir wollen mit ihnen schon fertig werden.“

Ein Geräusch entstand am Pfarrhause. Die Hausthür wurde zugeschlagen. „Das ist mein Vater,“ flüsterte das Fräulein, „ich will ihm entgegen gehen, eile Du davon. Doch habe Dank, lieber Thorkel, und wenn Du mich sehen willst, wenn Du mir etwas zu sagen hast –“

„Dann sage ich es Sigrid und komme zu Dir hierher,“ fiel er ein.

„So geh – geh. Gott behüte Dich und behüt’ Sigrid!“

„Vor dem Schlingel dem Clas,“ lachte Thorkel hinter ihr her. „Ei ja, den soll der Seehund verschlingen, oder ich thu’s selbst.“

Mit einem Sprunge war er über das Gitter und verschwunden. Nachdem aber Alles still blieb, glitt Clas an dem Stamme nieder und ballte seine Faust hinter ihm her. „Warte, Du Schuft,“ sagte er, „Du sollst den Clas Gorud kennen lernen. Du und das nichtswürdige Vieh, ich zertret’ Euch Beide!“




5

Am nächsten Morgen befolgte Thorkel das Gebot des Herrn Schiemann. Er fuhr in seiner Jolle nach Molde hinüber, obwohl das Wetter noch schlechter war, als gestern, und eine schäumende Fluth durch den Canal von Otteröe in den Fjord drang. Da er an das Haus des Kaufmanns kam, saß Clas auf der Bank und mit ihm noch zwei andere Männer, handfeste Burschen, die in dem Speicher arbeiteten. Ihre Zwillichjacken hatten sie aufgestreift und ihre Lederschürzen, die ein breiter Schnallenriemen um den Leib befestigte, abgelegt. Als sie ihn kommen sahen, steckten sie die Köpfe zusammen und betrachteten ihn dann von oben bis unten. Thorkel ging vorüber und kehrte sich nicht daran, sagte guten Tag und blickte Clas an, der ihn ebenfalls anschaute und gleichgültig dankte, aber in seinen Augen lag nichts Gutes.

„Geh nur hinein,“ sagte er. „Herr Schiemann wartet auf Dich. Er hat längst nach Dir ausgeschaut.“

Thorkel besann sich einen Augenblick, steckte seine Hand in seine Tasche, als suche er dort etwas, ging aber dann weiter. Der Kaufmann saß an seinem Schreibspind und blickte nicht auf.

„Wer ist da?“ fragte er, während er weiter schrieb.

„Ich bin’s, Herr!“ antwortete Thorkel. „Gottes Gruß in Dein Haus.“

„O, Du also!“ sagte Schiemaun. „Was willst Du?“

„Du hast mich herbestellt, so bin ich gekommen.“

„Du warst also bei dem Pfarrer, hast meinen Brief bestellt?“

„Das that ich, Herr.“

„Und sagtest Jöns Bille die volle Wahrheit?“

„Ja, Herr.“

„Dankte er Dir nicht?“

„Das that er.“

„Er wollte Dich schützen vor Allen, die Dir schaden würden?“

„So sprach er, Herr.“

„Und gab er Dir nicht einen Auftrag?“

„Ein Auftrag war’s eben nicht, aber er hieß es gut, zu thun, was ich ihm vertraute.“

„Was war’s?“

„Nun, Herr, ich sollte der Jungfrau Else die Wahrheit sagen. Sollte getreulich antworten, was sie fragte.“

„Und das thatest Du?“

„Ja, Herr.“

„Hast ihr das schlechte Leben Erik Meldals geschildert?“

„Ich hab’s geschildert wie es ist.“

Herr Schiemann legte die Feder hin, las den Brief durch, den er geschrieben, und streute Sand darauf, dann drehte er sich um, und seine grauen scharfen Augen hefteten sich auf Thorkel.

„Gut,“ sagte er, „und jetzt kommst Du zu mir und willst Deinen Lohn haben?“

„Lohn nicht, Herr, doch fragen möcht’ ich, ob Du mir die Stelle nicht herausgeben willst. Du kannst Deine Bedingungen machen.“

[451] Ein Lachen flog über das harte Gesicht des Kaufmanns. „Nein,“ sagte er, „die Stelle bekömmst Du nicht, die habe ich Clas Gorud versprochen, aber Dein Lohn soll Dir nicht fehlen. Sieh, hier habe ich soeben Deinetwegen an den Voigt Hegborg geschrieben und Dich ihm dringend empfohlen; das will ich Dir vorlesen, damit Du siehst, daß ich dankbar bin.“ Er nahm dabei das Blatt auf und las laut:

„Mein lieber Freund Hegborg! Seit drei Tagen ist der Thorkel Ingolf wieder hier, auf den ich Dich aufmerksam mache, als auf einen Burschen, um dessen Versorgung ich Dich dringend bitte. Ich habe mich seiner annehmen, habe ihm Arbeit geben wollen und hatte beschlossen ihm beizustehen, wenn er es verdiente, ebenso hat dies der gute Herr Jöns Bille gethan. Er hat es aber vorgezogen, uns auf’s Schändlichste zu belügen und zu betrügen, und da er sich obdachlos umhertreibt, alle ehrliche Leute ihn von sich weisen, auch Niemand ihm Arbeit geben wird, ein solcher Vagabund aber nur der Gemeinde gefährlich werden kann, so schaffe uns Ruhe vor ihm und gib ihm Beschäftigung im Spinnhause.“

„So,“ sagte Herr Schiemann, „jetzt weißt Du, wie ich Dich empfohlen habe und was Dir bevorsteht.“

Thorkel hatte, ohne eine Miene zu verziehen, zugehört. Endlich fragte er gelassen: „Warum hast Du das gethan, Herr?“

„Du frecher Kerl fragst noch danach!“ schrie der reiche Kaufmann. „Willst Du es leugnen, daß Du mein und Herrn Jöns Bille’s Vertrauen auf’s Schändlichste gemißbraucht hast?“

„Du hast Dich selbst betrogen, Herr,“ sagte Thorkel. „Es hat Einer, wie ich merke, gehört, was ich am Abend in des Pfarrers Garten sprach, und das scheint Dir nicht zu gefallen. Aber Du fordertest mich auf, die Wahrheit zu sagen, der Pfarrer auch. Ich habe richtig gethan, was ihr Beide begehrtet; was scheltet ihr mich? Wolltet ihr Einen haben, der Euch zur Liebe lügen und verleumden sollte, dann seid ihr an den Unrechten gekommen.“

„Du Lump Du!“ sagte Herr Schiemann wüthend und ballte die Faust. „Aus meinem Hause mit Dir! Doch erst warte noch.“ Er riß an der Klingel, und durch die eine Thür traten Clas und die beiden Arbeiter herein, durch die andere Thür der Buchhalter.

„Nehmt dem Kerl das Zeug vom Leibe!“ schrie ihnen Schiemann zu. „Alles, was er trägt, ist mein Eigenthum; dann werft ihn hinaus auf die Straße, zu Spott und Schande!“

„Herr,“ sagte Thorkel, „Du thust als gäbe es keine Gesetze in Norwegen, als könntest Du mit mir verfahren, wie es Dir beliebt. Du belügst den Voigt. Niemand hat noch von mir Leid oder Schaden erfahren; Deine Falschheit wird an den Tag kommen.“

„Mach keine Umstände, Junge!“ rief Clas und packte ihn beim Kragen. „Faßt ihn an und hinaus mit ihm!“

Mit einer blitzschnellen Wendung drehte sich Thorkel um, und ehe die beiden Arbeiter zuspringen konnten, bekam Clas einen Schlag an den Kopf, daß er gegen die Thür flog. In demselben Augenblick war Thorkels Hand auch in seiner Tasche, und ein breites scharfes Messer, wie Bauern und Fischer es in einer Lederscheide tragen, blitzte den Männern entgegen, die es nicht wagten, näher zu kommen.

„Wahrt euer Leben,“ sagte Thorkel, „ich rathe es euch. Du aber. Du schlechter Mann, wisse, daß Deine Falschheit Dir nichts helfen soll, Du wirst daran zu Schanden werden. Was ich an Kleidern trage, habe ich von Dir gekauft, auf Deinen Rath, und da wir es zusammenrechneten, betrüg meine Schuld acht Thaler. Ich kam Dir diese zu bringen, denn ich mag nicht in Deinem Schuldbuche stehen. Hier ist Dein Geld, und jetzt macht Platz, ihr dort, und schämt euch Alle eurer schlechten Handlungen wegen.“

Er legte acht Thaler auf den Tisch, die Herr Schiemann mit Verwunderung ansah. Nicht acht Groschen hatte er bei dem Burschen vermuthet und er wollte schon fragen, wo dieser das Geld gestohlen habe, aber Thorkel sah nicht aus, als ob er sich noch mehr gefallen ließe. Er hielt das Messer noch immer fest, und seine Augen hatten einen röthlichen Glanz, sie flogen wie Falkenaugen umher. Den starken Clas hatte er mit dem einen Schlag von sich geworfen, daß er noch immer wie betäubt stand; einem solchen verwegenen Kerl war leicht noch Schlimmeres zuzutrauen. Herr Schiemann schwieg daher, obwohl er voller Aerger war, denn Thorkel halte die Rache, die er ihm zugedacht, vereitelt. Nackt und bloß sollte er aus dem Hause gejagt und dabei ordentlich durchgewalkt werden. Die beiden Arbeiter hielten dazu schon die Schnallenriemen ihrer Lederschürzen bereit; jetzt ging der freche Kerl davon, ohne daß ihm ein Finger weh that. Es konnte ihn Niemand halten.

„Hinaus mit Dir!“ rief daher der reiche Kaufmann, „Du sollst bald finden, was Du verdienst von Voigt und Gericht.“

„Ich fürchte mich nicht vor Dir,“ antwortete Thorkel lachend. „Du wirst es schon lassen, mich anzuklagen, denn Du hast ohne alles Recht mich angegriffen, und Deine schlechten Handlungen würden an den Tag kommen. Sei also froh, wenn ich schweige, und nimm Dich wohl in Acht vor den Steinen, die auf Deinem Wege liegen.“

Damit ging er stolz auftretend hinaus, und Niemand rührte sich, um ihn anzutasten; als er aber fort war, schleuderte Herr Schiemann den Brief an den Voigt in eine Ecke des Schreibtisches, denn er dachte nicht mehr daran ihn abzuschicken, hatte auch überhaupt wohl nur Thorkel damit schrecken und einschüchtern wollen. Verdrießlich zog er die Stirn zusammen und schwieg eine Minute lang; darauf sagte er zu den Arbeitern: „Ihr mögt gehen, doch sagt es allen Anderen, daß keiner sich untersteht, mit diesem Vagabund Gemeinschaft zu halten. Arbeit soll er in Molde nicht finden, dafür werde ich sorgen, und jeder Mann am Fjord, der sich mit ihm einläßt, soll keinen Fisch hier verkaufen, so wahr ich Schiemann heiße!“

Das war ein schweres Wort von dem Heren und hatte Gewicht. Die Kaufleute hielten zusammen in allen Dingen, daher besaßen sie große Macht und Gewalt. Wo ein Fischer widerspenstig war, die Preise nicht annehmen wollte, die einer der Herren ihm bot, oder sich grob und aufsässig zeigte, nahm ihm keiner mehr seine Waare ab, auch wenn er sie halb so billig lassen wollte. Das ist so üblich an diesen Küsten, darum sind die Fischer ganz in den Händen der Kaufleute, und diese Acht war nun über Thorkel ausgesprochen, der eilen mochte, daß er wo anders hinging, um sein Leben zu fristen.

Die Arbeiter gingen erschrocken fort, Clas jedoch blieb noch stehen, und zu ihm wandte sich Herr Schiemann, halb ärgerlich, halb hämisch, indem er ihn von der Seite ansah. „Er hat Dir wohl den Kopf eingeschlagen, Clas,“ fragte er, „daß er Dir so wackelt?“

„Beinahe,“ sagte Clas, die eine Kopfseite haltend, „aber noch nicht.“

„Warum wehrtest Du Dich nicht besser?“

„Ein ander Mal soll’s geschehen. Ich versah’s mir nicht,“ murmelte Clas grimmig.

„Die Stelle bekommst Du,“ sagte Schiemann, „aber ich schenke Dir ein sechsrudrig neues Boot obenein, wenn Du es dem Hallunken für immer eintränkst.“

„Es wird sich schon finden, wo ich es kann,“ versetzte Clas und verzerrte sein Gesicht.

„So thu’s,“ antwortete Schiemann. „Bring ihn fort von hier auf irgend eine Weise, sonst macht er uns noch mehr Aerger und Scham. Er soll nicht wieder in des Pfarrers Garten, laure ihm auf und vertreibe es ihm. Geschieht es nicht, so wird er Dir auch die Sigrid stehlen.“

„Bei Gott,“ sagte Clas und ballte seine Fäuste, „er soll nicht weit mehr kommen. Der Schlag an meinem Kopf soll ihm vergolten werden, mag’s Blut und Leben kosten.“

„Schweig still, Du Narr!“ sagte Herr Schiemann und lachte dabei, „solche Worte muß man nicht aussprechen. Es ist an dem schlechten Buben wahrlich nichts gelegen, und Niemand würde sich viel um ihn kümmern, aber wenn ihm etwas zustieße, könnte man meinen, Du seist Schuld daran. Geh und mache Dir einen Umschlag, Deine Backe schwillt an; heil’s aber auch von innen mit einem vollen Glase auf meine Kosten.“

So ging Clas und er hatte sich Alles, was Herr Schiemann gesagt, gut gemerkt, denn als er darauf mit seinen Cameraden beisammen saß, schimpfte und fluchte er nicht über Thorkel, sondern sprach von ihm weit mehr mit Bedauern über die Bosheit, mit welcher er alle Güte des Herrn Schiemann vergolten und so ihm selbst, der es gut mit ihm gemeint, dafür aber geschlagen worden sei. Das aber möchte vergeben und vergessen bleiben alle Zeit. Als es zu dunkeln begann, begab sich Clas nach Hause und hielt dort mit seiner Mutter Rath, die soeben von Gullik Hansen gekommen war. Sie sagte ihm mancherlei gute Nachrichten, welche Clas mit Wohlgefallen anhörte. „Gut, Mutter, gut!“ sprach er endlich, „es soll Alles so geschehen, wie Gullik es anordnet, gleich will ich zu ihm hin und es ausführen. Ehe der Morgen kommt, bin ich wieder da.“

[452] Er stülpte seinen Hut auf, und Grete streichelte ihn und sagte kichernd: „Alles ist Dein, Clas, Alles was Gullik hat. Denn der Junge wird nicht groß, der muß sterben, und wie Sigrid ist keine Andere weit umher. Mach’s also klug; wenn Du sie hast, soll sie schon gehorchen.“

„Das soll sie, Mutter,“ antwortete Clas, „ich will ihr die falschen Gedanken austreiben. Jetzt geh ich hin, mit dem einen Racker fertig zu werden, die anderen sollen ihm nachfolgen.“

„Mach’s klug, Clas, mach’s klug!“ schrie die weise Grete ihm nach, „thue Alles was er Dir sagt!“

Clas lachte wild auf, ging hinaus und kam nach einer Weile zu Gullik Hansen in die Stube. Der Fischer saß wiederum an seinem Heerd und sah noch finsterer aus als am Tage zuvor. Clas wußte schon warum. Der Fang war wiederum schlecht gewesen, und in der Kammer lag das Kind, kränker noch als er es verlassen.

„Guten Abend, Gullik,“ sagte Clas.

Gullik öffnete kaum die Lippen, sah in’s Feuer.

„Wo ist Sigrid?“ fragte Clas.

Gullik deutete auf die Kammerthür.

„Nun! nun!“ sprach Clas leise, „es thut mir weh. Du hast den Teufel im Hause, der muß fort.“

„Komm heraus,“ sagte Gullik und stand auf.

Sie standen Beide unter dem Vorbau. Der Wind trieb die Wolken von Westen her, auf dem Fjord lag Nebel, dann und wann blitzte ein flimmernd Leuchten über den Himmel.

„Willst Du es thun?“ fragte Gullik.

„Ja, gerne,“ antwortete Clas. „Alles was Du sagst.“

Der Fischer schwieg eine Weile, sah über das Wasser hinaus ostwärts hin und fuhr dann fort: „Du kannst in drei Stunden in den Langfjord sein, kannst auch ein Segel brauchen; der Nebel wird weichen, dann kommt der Mond.“

„Ich richt’s getreulich aus,“ sagte Clas, „Du weißt, ich kenne jeden Stein. Wo ist der Teufelshund?“

„Ich habe ihn in einen Sack gesteckt,“ murmelte Gullik „zugebunden und in die Jolle gelegt.“

„So leb wohl,“ sprach Clas, „ich will ihn versorgen.“

Der Fischer hielt ihn bei der Hand fest. „Höre, Clas,“ begann er, „Anders hat das Thier lieb, Sigrid auch, Uebles soll ihm nicht geschehen. Du sollst mir geloben, dem Hund nichts zu Leide zu thun, sollst ihn in’s Wasser werfen unter den hohen Felsen von Roe, von dort hat ihn“ – er sprach den Namen nicht aus, der ihm auf die Lippen kam – „von dort ist er hergekommen,“ verbesserte er sich.

„Ich gelob’s sicherlich; bring ihn lebend und gesund bei Roe in’s Wasser,“ sagte Clas.

„So fahr mit Gott!“ sprach Gullik, ließ ihn los und ging in’s Haus zurück.

Clas ging hinunter, wo an den Steinen die Jolle des Fischers lag. Die Ruder in den Bändern, ein leichtes Segel über dem Stern, unter der Stange aber ein Sack, aus welchem ein grimmiges Geknurr kam, als er seine Hand darauf legte. „Wart, du sollst schon ruhig werden,“ murmelte Clas, und im nächsten Augenblick schwamm die Jolle unter dem Ufer hin. Er warf sich auf die Ducht, faßte die beiden Riemen und arbeitete mit Kraft und Geschick. Die Fluth drang eben in den Fjord und half ihm, das leichte scharfe Boot schoß pfeilschnell unter Kirche und Pfarrhans fort, quer über den Torsfjord, dann über die tiefe Bucht des Romsdalsfjord, gerade auf den Langfjord los. Die dichten Nebelschichten auf dem Wasser hielten den starken Ruderer nicht auf, er sah sich kaum einmal um nach den Felsen und Klippen, die an manchen Stellen aus der Tiefe auftauchten und mit ihren schwarzen Massen die Finsterniß vermehrten. Clas leitete sein kleines Fahrzeug mit festen Schlägen an mancher Kante vorbei, wo die Fluthwelle aufschlug und mit weißem Gischt hoch aufspritzte. Er ermüdete nicht, und seine Kraft ließ nicht nach. Daher trieb schon, noch ehe die dritte Stunde um war, die Jolle in den schmalen Wasserspalt, der Langfjord genannt, dessen hohe Uferwände dann immer mehr aufstiegen und die dunkelste Nacht umher verbreiteten. Hier lag der Nebel so fest und schwer, daß vom Himmel gar nichts zu sehen war. Wehte schon draußen kaum dann und wann ein Windhauch, so ließ sich hier gar nichts davon spüren, aber das phosphorische Zucken, das zuweilen wie Blitzgezitter durch das Dunkel drang und bald nach dieser, bald nach jener Seite hin über das Boot forthuschte, wurde ab und zu heller und beleuchtete auf Augenblicke ein paar Schritte weit den Nebel und das Wasser. Wenn Clas hinauf sah, war es, als schwebe ein riesiges Gespenst, ein fahles Licht in seiner nassen Riesenhand, über dem Fahrzeug und folge ihm nach. Dann und wann hielt er die Ruder an, blickte nach dem Geflacker und horchte in den Nebel hinein. Es kam ihm vor, als sei nicht weit von ihm ein Geräusch entstanden, aber er konnte doch nichts sehen, auch nichts hören. Er legte sich hart in die Riemen und holte so fest aus, daß sie sich bogen und die Jolle schäumend durch das Wasser schnitt.

Es that es ihm Keiner darin gleich; wer hinter ihm war, mußte zurückbleiben. Doch nach einer halben Stunde war’s wieder so, als ob ein Ruderschlag vor ihm her geschah. Er sah sich um, da blieb es still. „Es wird ein Lachs sein, der aufspringt,“ sagte Clas, „weiter ist es nichts. Allem Trollenspuk hier umher hat der heilige Olaf ein Ende gemacht. Der hat all das wüste Hexenvolk in die Klüfte der Romsdalsfjellen gestürzt und zu Stein verwandelt. Ich bin nicht so dumm, mich davor zu fürchten,“ lachte er auf, „nicht so dumm, wie Gullik Hansen.“ – Er schwieg still, es rauschte in dem dichten Nebel zur Seite. In der Ferne klang’s, als schlüge eine Kirchenuhr; es mußte Mitternacht sein, und wie er horchte, fuhr plötzlich ein scharfer Windstrom durch die schmale Felsengasse. „Heida!“ rief er, „der Wind setzt um. Da drüben liegt Besdals Kirche, hier fangen die hohen Klippen von Roe an, jetzt will ich nicht weiter. Komm her, du Satansvieh, wir haben ein Wort zusammen zu sprechen. Lebendig bist du, gesund bist du auch, ich hab’s an Gullik so gelobt und getreu gehalten. Habe ihm zugesagt, dich hier in’s Wasser zu werfen, aber nicht versprochen, dich aus dem Sack zu thun. Mußt also zusehen, wie es sich da drinnen leben läßt, ob die Fische zu dir hinein kommen oder du zu ihnen hinaus, wenn der Neck dir hilft oder –“

„Ich!“ sprach eine Stimme im Nebel neben dem Boote, und Clas fiel beinahe zu Boden. Er hatte die Schalten eingezogen und stand neben dem Sack am Stern, als ein harter Stoß die Jolle erschütterte. In dem Augenblick flammte ein helles Leuchten auf, und Clas sah dicht an seinem Bord eine andere Jolle, und vorn in der Spitze, keinen Fuß weit von ihm, stand Thorkel. Er sah ihn genau stehen, erkannte jeden Zug in seinem Gesicht, sah, daß er im Begriff war, hinüber zu springen. Da raffte sich Clas auf, und sein Arm fuhr durch die wiedergekehrte Finsterniß. Ein schwerer Körper schlug rückwärts über ins Wasser und versank darin, der Sack mit dem Hund flog hinter ihm her.

„Jetzt freßt Euch Beide!“ schrie Clas, sprang an die Sitzbank und griff nach einem seiner Schalten. Mit beiden Händen das schwere Holz schwingend, suchten seine Augen den Punkt, wo Thorkel auftauchen sollte, und dort rauschte es im Wasser, ein gurgelnder Ton, wie ein erstickter Schrei, drang heraus. Mit furchtbarer Gewalt sauste das Ruder nieder, darauf kein Laut mehr. Der Nordlichtschein huschte über die Fläche hin, nichts als Blasen waren zu sehen und ein langer schaumiger Streifen. Noch stand Clas in grimmiger Siegesfreude, erbarmungslos lauernd; da öffnete sich der Himmel über ihm, und wie von einer blutigen Sonne beleuchtet, lagen Wasser und Nebel in Blut verwandelt. Es dauerte nur einen Augenblick, aber ein Grausen überkam den grimmigen Mann. Die Jolle, von welcher er Thorkel herabgestürzt, lag noch dicht neben ihm; er ergriff sie bei der Kette, hakte sie an sein eigen Boot, und dann ruderte er mit aller Macht, daß er in wenigen Minuten weit von dem Schauplatz seiner That sich befand.

Das Nordlicht aber schlug immer wieder seine rothen Augen auf, leuchtete ihn an und zeigte ihm zu beiden Seiten des Fjord die glatten steilen Felsenwände, welche unersteigbar in das düstere Becken sanken. Kein Mensch konnte sich hier vom Tode retten, er konnte sich nicht anklammern, nicht halten, nicht aufsteigen. Da war kein Busch, kein Strauch; nichts als lange Seetanghalme, die auf- und niederwogten; viele Faden tief kein Grund. Wie Clas das dachte, und daß auf eine Meile weit kein Platz sei für eines Menschen Fuß, ruderte er mit größerer Macht; doch immer wieder huschte das blutige Licht über ihn hin, und in der Dunkelheit rauschte es und begann zu winseln. Es war ihm, als höre er ein Geschrei, Thorkel’s Stimme, die ihm nachrufe: „Halt, Du Mörder, halt!“

Er sprang auf, riß die Kette der Jolle von der Ducht los, wo er sie festgemacht, und fuhr dann eilig weiter. „Der Teufel [453] hat Dich hergeführt, der Teufel mag Dir beistehen!“ schrie er wild lachend. „Da ist Dein Boot, er mag es Dir bringen!“

Eben befand er sich am Ausgange des schmalen Felsenspalts, und vor ihm lag wieder das breite Wasser. Jetzt sprang der Wind auf und er wehte nördlich. Clas stellte sein Segel, das kleine Fahrzeug flog rasch dahin, dann kam der Mond durch Wolken und Nebel und leuchtete ihm. Er wischte den Schweiß vom Gesicht, es wurde ihm leichter. Niemand wußte, was er gethan, und es ward ihm immer gewisser, es sei recht und sollte so sein. Wie kam der elende Tagedieb ihm nach? Hatte er ihm aufgelauert, war er ihm nachgeschlichen, der verdammte Spion? Oder war es doch Alles ein Hexenspuk, war’s ein Gespenst, das ihn so genarrt? – „Nein, nein!“ sagte Clas, „er war’s, und dies ist meine Hand, die ihn niedergestürzt, dies ist der Sprung im Ruder, als ich ihn auf den Kopf schlug. Recht ist Dir geschehen. Du schlechter Kerl. Jetzt sind wir sie Beide los, den Teufelshund und ihn. Mag man ihn finden, wenn er nicht unten bleiben will bei den Riesen und Trollen, was geht es mich an? Wer wird sich um ihn kümmern? Herr Schiemann sagt’s auch; jedermann wird froh sein, und jetzt ist Keiner da, der mir die Stelle und Sigrid nehmen soll!“

Mit solchen Tröstungen beendete Clas seine nächtliche Fahrt, langte wohlbehalten zu Hause an und schlief zufrieden ein.

[465]
6.

Am nächsten Morgen wurde Clas von seiner Mutter aufgerüttelt, und sie sprach zu ihm: „Du darfst nicht länger liegen. Herr Schiemann ist spät noch selbst hier gewesen, daß Du gleich in der Frühe bei ihm sein sollst.“

Clas sprang auf und rieb sich die Augen. „Gut,“ sagte er, „doch lange soll er mich nicht mehr so commandiren. Die Stelle soll er jetzt herausgeben und ein neu sechsrudrig Boot dazu; hab’ ich das, so will ich mein eigener Herr sein.“

„Der ist so hart wie ein Stein,“ sagte Grete. „Versprechen thun die Herrn viel, aber halten ist nicht ihre Sache.“

Clas lachte. „Ich will ihn schon kriegen!“ antwortete er. „Hab ich erst Haus und Boot, so sagt Gullik auch nicht Nein, und Sigrid ist’s zufrieden.“

„Hör’ an,“ sagte Grete, „ich will Dir was vertrauen. Die hat’s noch immer mit dem Thorkel, ich weiß es gewiß. Gestern Abend, da Du fort warst, schlich ich Dir nach, und wer stand an dem Fenster von Gullik’s Kammer? Der Lotterbub’ war es. Er sprang davon, aber ich kannte ihn doch.“

„Hat er mit Sigrid gesprochen?“ fragte Clas.

„Ich weiß es nicht. Ich ging darauf zu Gullik hinein, aber wußte nicht recht, ob ich’s ihm sagen sollte, was ich gesehen. Sigrid habe ich den ganzen Abend über gut bewacht und viel Schlechtes erzählt, was die Leute von Thorkel sagen.“

Clas lachte noch mehr. „Das hast Du nicht mehr nöthig,“ rief er, „hast es auch nicht nöthig, Sigrid zu bewachen. Laß sie nur an’s Fenster laufen und umhersuchen, sie wird ihn nimmer finden.“

„Warum wird er nicht zu finden sein?“ fragte Grete und machte große Augen.

„Nun!“ sagte Clas bedächtig, „ich meine nur so. Weil das Teufelsvieh, der Hund, fort ist, wird er auch fortbleiben.“

Grete grinste ihn an und sah falsch unter ihren grauen Haaren hervor; aber Clas legte seine feste Hand auf ihre Schulter und sprach an ihrem Ohre: „Schweig stille. Eher soll diese Hand verlahmen, ehe der wieder an Gullik’s Haus kommt. Darauf verlaß Dich und frag nicht mehr.“

So ging er hinaus, und Grete sah ihm vergnügt nach. Sie setzte sich an’s Feuer, und aus ihrer kleinen schwarzen Pfeife stiegen dicke Dampfwolken auf. Was hatte Clas gethan? Den stolzen Thorkel niedergelegt, daß er nimmer wiederaufstand? – „Recht! recht!“ kicherte sie, „so ist Friede im Hause, Clas. Es ist eine feine Stelle am Torsfjord, wirst gut da wohnen.“

Als Clas nach Molde kam, fand er, daß Herr Schiemann ihn schon erwartete und ziemlich ungeduldig war. „Warum kommst Du so spät?“ fuhr er ihn an. „Hast Du zu viel getrunken, daß Du nicht früher aufstehen konntest?“

Clas hatte große Lust, grob zu werden, allein er unterdrückte dieselbe. Die Wahrheit, was er in der Nacht gethan, mochte er auch nicht sagen, aber er sagte: „Nimm’s nicht übel, Herr, ich hatte noch spät einen weiten Gang abzumachen; hoffe wohl, daß Du damit zufrieden sein wirst.“

„So?“ sagte Schiemann und sah ihn an. „War’s etwa, um nach dem Landstreicher zu sehen?“

„Ei ja!“ versetzte Clas, „es könnte wohl so sein.“ Er riß den Mund weit auf, faßte in sein blaues Halstuch und kniff die Augen zusammen.

„Wo ist er denn?“ fragte der Kaufmann.

„Kann’s nicht sagen, Herr,“ grinste Clas, „meine jedoch, er ist fortgereist.“

„So?“ sagte Herr Schiemann noch einmal. Darauf setzte er hinzu: „Kommt er nicht wieder?“

„Nein, nein!“ sprach Clas, „ich glaub’s nicht. Er wird keinen Einspruch mehr thun wegen der Stelle, und das sechsrudrige Boot, das Du mir versprochen hast, kannst Du mir immer geben.“

„Du sollst es haben,“ sagte Herr Schiemann, „und auch die Stelle wird Dir nicht entgehen, Clas, sobald wir gewiß sind, daß der Landstreicher sich auch wirklich fortgemacht hat. Gut! gut!“ fuhr er fort, als er die Mienen seines Vertrauten betrachtete, „ich glaube Dir, Mann, wir wollen uns nicht weiter um den Schelm bekümmern. Aber Du sollst Hochzeit halten mit mir an einem Tage, und mein Geschenk sollen Stelle und Boot sein. Also hilf sorgen, daß es bald geschieht, und eben deswegen sollst Du heute nach Otteröe fahren.“

„Oho,“ rief Clas vergnügt über die erneuten Versprechungen, „nach Meldalsgaard, Herr?“

„Ja,“ sagte der Kaufmann. „Was Du im Garten des Pfarrers erhorcht hast, ist richtig. Ich habe dem guten Herrn Jöns kein Wort davon gesagt, er würde sich nur darüber betrüben und ärgern. Als ich aber gestern in’s Pfarrhaus kam, wen fand ich dort? Den alten Horngreb.“

„Die alte Nachteule!“ lachte Clas. „Kam er auf’s Bitten?“

„Er ist ein Spitzbube!“ sagte Schiemann. „Er saß wie ein Heiliger bei dem Pfarrer und hatte ihn ausgefragt, ob er nichts von seinem jungen Herrn gehört habe. Da aber Herr Jöns antwortete, was er vernommen, auch fallen ließ, daß es zum Verkauf [466] des Guts kommen werde, hatte er feierlich versichert, es sei Alles falsch und erlogen. Nimmer werde auch der alte Familiensitz in andere Hände gelangen, möchten diese so gierig darnach sein, wie sie wollten.“

„Ich habe den alten Kerl schon weinen sehen, wenn er davon sprach,“ fiel Clas spottend ein.

„Höre an,“ fuhr Schiemann fort, „ich glaube noch mehr. Der Pfarrer hat auf solch Geplapper nichts gegeben, doch sicher hat es die Jungfrau Else besser angenommen, oder Horngreb hat noch besonders mit ihr gesprochen. Ich weiß es nicht, allein ich zweifle nicht daran, denn ich sah es an ihrem Gesicht und an Allem was sie that. – Und ich will nun wissen,“ fuhr er fort, indem er sich vor Clas stellte, „was der alte Kerl im Sinne hat. Du sollst hinüber fahren und ihn besuchen, sollst ihn ausforschen und mir dann Nachricht bringen. Ich will Nachmittag wieder zu dem Pfarrer, komm dann zum Pfarrhaus herauf und erwarte mich. Um neun Uhr will ich nach Haus, dann sage mir Alles was Du erfahren konntest.“

Er gab ihm noch mehrere Anweisungen, und nach einer Stunde fuhr Clas durch den Sund von Reknös nach Otteröe, das sich quer vor die Mündung des Fjord legt. Das Wetter hatte sich aufgehellt, und die grüne hohe Insel war wolkenklar und glänzte von Sonnenlicht. Wo die Westküste sich umbiegt, sprang eine breite Bucht ein, und in der südlichen Ecke lag dort ein großer Hof, der weit über Land und See schaute. Das Klima ist auf allen diesen Inseln weit milder, als auf dem Festlande; Clas schaute die grünen umbuschten Höhen und sanftfallenden Thäler wohlgefällig an und sagte: „Da liegts, als wär’s ein Königssitz; es kann keiner einen besseren in ganz Norge haben. Da kommt der Bach herunter und friert niemals, der Wald steht zu beiden Seiten, Schnee liegt nirgend hier fest, sie können das Vieh fast das ganze Jahr über im Freien halten, es findet sein Futter. Hei! hätt’ ich’s, kein verdammter Krämer in Molde sollt’ es mir nehmen; aber das vornehme Volk taugt auch nichts, und diesem Meldal, der mit dem Lump, dem –“ er blieb stehen und sprach nicht weiter. An einem Fenster im Hause, dem er sich zugekehrt, war ein Gesicht erschienen und gleich wieder verschwunden. Clas hatte es nicht erkannt, aber es fiel ihm Jemand dabei ein, daß ein Schauder ihm über den Leib lief. Im Augenblick darauf jedoch lachte er, denn da stand es wieder an derselben Stelle und kein ander Gesicht war es, als das des alten Horngreb, das ihn groß ansah.

„Wer soll’s auch anders sein, als die alte Eule!“ murmelte Clas, nickte ihm zu, trat in’s Haus und sogleich auch in die Stube. „Gottes Frieden!“ sagte er. „Du erlaubst es doch, daß ich vorspreche?“

„Setz Dich, wenn Du willst,“ antwortete der alte Mann.

„Ich war in Ageröe,“ fuhr Clas fort. „Es geht gut mit dem Hering, ist frischer Fang.“

„Wir können es brauchen,“ erwiderte der Verwalter.

Clas sah auf den Tisch. Da stand eine Schüssel mit Flachbrod, eine andere mit Butter und geräuchertem Fleisch, auch eine Flasche und Gläser. „Hast Du Gäste gehabt?“ fragte er.

Der Alte sagte trinkend „ja,“ nahm dann die Flasche, schenkte ihm ein Glas Branntwein ein und schob es ihm hin. Clas blickte ihn scharf an und in der Stube umher. Diese war geräumig, die Wände auch mit Tapeten bekleidet, doch zerrissen und verräuchert, die Geräthe alt und verbraucht, das Rohrgeflecht in den schweren Birkenstühlen zerlöchert. Der Verwalter blickte mürrisch unter seinen breiten, ergrauten Augenbrauen hervor. Er hatte einen ehrwürdigen, greisen Kopf. Seine langen grauen Haare, nach hinten gekämmt, ließen die hohe Stirn frei; das ganze Gesicht war voll Falten, und es kam Clas vor, als hätten sich diese vermehrt, der Alte sähe noch trauriger und kummervoller aus, als es sonst schon der Fall war. „Na,“ sagte er, und hob das Glas auf, „Du sollst leben, Vater Olaf! Warum siehst Du so verdrießlich aus?“

„Es macht wohl, weil ich Dich sehe,“ antwortete der alte Mann und blickte finster auf.

„Ei,“ lachte Clas, „was willst Du von mir? Ich bin Dein guter Freund.“

„Behalte Deine Freundschaft!“ sagte Horngreb.

„Sei doch nicht so böse!“ rief Clas und schenkte sich ein neues Glas ein. „Komm, setz Dich her, das ist ein guter Trank. Der Schwarze soll mich holen, wenn ich es nicht gut meine und Dir guten Rath geben will. Willst Du ihn hören?“

„Sprich,“ erwiderte Horngreb und setzte sich.

„Ist’s wahr,“ fragte Clas, „daß Dein Lieutenant mit einem Frauenzimmer fortgelaufen ist, Niemand weiß wohin?“ und schob ein ungeheures Stück Flachbrod zwischen seine Zähne, die es krachend zermalmten.

Horngreb stützte den Kopf in seine Hand; es war Clas, als hörte er lachen. „Lachst Du?“ fragte er und sah sich um.

„Was weißt Du davon?“ rief der Alte und fuhr auf. „Mach Dich fort!“

„Sachte, sachte!“ sprach Clas bedächtig, „ich meine es gut. Heiß mich nicht gehen. Bald wirst Du selbst gehen müssen, wenn Du nicht klug bist. Meldal’s Hof kommt zum Verkauf, die Klage liegt fertig beim Landrichter, Herr Schiemann hat fast alle Schuldbriefe angekauft. Es wird nicht Winter werden, so ist der Gaard sein Eigenthum.“

„So schnell wird’s nicht damit gehen,“ brummte der Alte und schlug seine Augen nieder.

„Ja, ja!“ rief Clas, „aber es soll Dir nichts schaden, wenn Du willst. Ich will’s machen, daß Schiemann Dich in seinen Dienst nimmt. Gefällt es Dir?“

Es trat ein Schweigen ein, bis Horngreb endlich langsam sagte: „Warum nicht? Wenn er Herr hier wird, will ich sein Diener sein.“

„Das ist ein Wort!“ rief Clas, „Du kannst Dich darauf verlassen. Er kann Dich brauchen und wird gut bezahlen, wenn Du treu bist.“

„Das will ich sein,“ sprach der alte Mann.

„So komm nach Molde und sprich selbst mit ihm, er wird es gerne sehen und Dich gut aufnehmen. Weißt Du nichts von dem Erik Meldal? Hat er nicht an Dich geschrieben?“

Horngreb schüttelte den Kopf.

„Warum gingst Du gestern zu dem Pastor?“

Der Alte schwieg stille, endlich sprach er mit seiner harten Stimme: „Niemand will von ihm wissen, auch die nicht, die sonst thaten, als sollte ihre Liebe von Ewigkeit sein.“

„Oho,“ lachte Clas höhnisch auf. „Sie haben Dich nicht gut aufgenommen, wie ich merke; das geht so her in der Welt und steht schon in der Bibel: Wer da hat, dem wird gegeben. Das ist ein feiner Spruch, alter Olaf. Hat Schiemann Meldal’s Hof, so hat er auch die Jungfrau Else, und habe ich die Stelle am Torsfjord, so hab’ ich auch die Sigrid.“

„Meinst Du wirklich, daß es so kommt?“ fragte Horngreb.

„So gewiß wir Beide hier sitzen!“ schrie Clas mit einem neuen vollen Glase. „Wir machen an einem Tage Hochzeit, und Du mußt dabei sein. Hurrah hoch!“ Indem er dies schrie und trank, hörte er wieder ein Lachen, so laut als lachten ihrer mehrere hinter und vor ihm, und da er erstaunt absetzte, sah er daß Horngreb noch beim Lachen war.

„Ja, ja!“ rief der Verwalter, „wenn Else und Sigrid zur Kirche gehen, will ich nicht fehlen. Darauf stoß ich mit Dir an, Clas Gorud; doch habe ich immer gemeint, daß Thorkel Ingolf sich die Sigrid nicht nehmen lassen würde.“

„Weißt Du was?“ begann Clas mit boshaften Augen. „Er soll sie haben, wenn Erik die Else bekommt. Meinst Du nicht?“

„Das mein’ ich!“ rief der Alte, und sie lachten Beide und nickten sich zu, als wären sie einverstanden. Darauf rückte Clas noch näher und schrie: „Der Eine paßte immer zum Anderen, darum sollen sie beisammen bleiben; wir aber wollen gute Freunde sein und wollen zusammenhalten und einander beistehen.“

Nach einer halben Stunde schien ihr Bündniß abgeschlossen und dem Clas gewiß, daß der Verwalter Alles thun würde, was man von ihm verlangte. Daß er von Erik Meldal nichts wußte und nichts hoffte, hatte er ihm wiederholt, auch daß er dem Herrn Schiemann dienen würde, wenn dieser ihn haben wollte. Zuletzt noch sagte er: „Gleich kann ich nicht nach Molde kommen, aber bald soll’s geschehen, und wenn Herr Schiemann mich dann nehmen will, kann er mich bekommen. Das aber möchte ich ihm gleich rathen und auch Dir rathen, Clas: wartet nicht länger mehr, er bei den, Pastor, Du bei Gullik. Sie sind euch Beiden gewogen, ich weiß es, und der ist ein Narr, der Fluth und Wind verpaßt, denn Niemand weiß, wann sie wiederkommen.“

„Meiner Seele!“ rief Elas erfreut, „das ist ein guter Rath. Daran sehe ich, daß Du es ehrlich meinst, auch Herr Schiemann wird es erkennen. Heute noch soll er wissen, wie Du gesinnt bist, und jetzt noch ein Glas, dann lebe wohl, Olaf Horngreb, es soll Dir nicht leid thun, daß ich bei Dir war.“

[467] „Nein, nein!“ versetzte der Verwalter, „ich hoffe auch, Du sollst mit mir zufrieden sein.“

So schieden sie in bester Freundschaft; als Clas sich aber von dem Hause entfernte, hörte er drinnen wieder das Gelächter und mußte mit lachen. „Wart, Du alter dummer Kerl,“ sagte er, „Dir wird das Lachen bald vergehen. Ist Alles abgethan, wirft Schiemann Dich doch hinaus, und wenn Einer hier Meier sein soll, so will ich es sein und kein Anderer.“

Clas blieb in froher Laune, besuchte noch ein paar Bekannte, that groß mit seinen Aussichten und seinem Ansehen bei dem reichen Kaufmann und kam zurück, als der Abend schon dämmerte. Er hatte noch manches Glas getrunken, und als er in seinem Boote an Gulliks Haus hinfuhr, sah er Sigrid vor der Thür sitzen.

„Heida!“ schrie er hinaus, „geht’s Dir gut, Sigrid?“

„Es geht gut,“ nickte sie und lachte.

„Soll ich zu Dir kommen?“ fragte er.

„So komm!“ rief sie hinab.

Gleich war er oben, und da saß sie wieder bei einem Netze.

„Nun mußt Du den Knäuel fortwerfen und mit mir sprechen, klein Sigrid,“ sagte er, „ich habe Dir viel zu erzählen.“

„Was ist es, Clas?“ fragte sie.

„Ei, Du Wetterding!“ schrie er, „thust Du, als wüßtest Du es nicht? Bin ich nicht Clas Gorud? Gleich komm her und rück nicht fort. Sieh dort nach dem Torsfjord hin, da sollst Du wohnen. Binnen vier Wochen ist Alles dort mein und Du auch.“

„Schrei nicht so,“ sagte Sigrid. „Mein Bruder ist eingeschlafen, es geht heut um vieles besser. Aber er könnte aufwachen.“

„Laß ihn,“ sprach Clas, „ich hab’s mit Dir zu thun. Ein sechsrudrig Boot wird dort liegen, andere dazu, und wer weiß, was dann weiter geschieht in kurzer Zeit. Wer weiß, ob’s nicht besser ist, Verwalter in Meldalsgaard zu sein. Was sagst Du dazu?“

„Mir gefällt es,“ antwortete Sigrid.

„Und möchtest mich gleich heirathen? Wie?“

„Ich möchte wohl, Clas,“ sagte sie, ihre Augen lustig aufschlagend, „aber –“

„Was hast Du?“

„Ich fürchte mich.“

„Wovor?“

„Hast Du nicht gehört, was Thorkel gesagt hat?“

„Thorkel? haha!“ lachte er gewaltsam auf. „Verdammt soll er sein und sagen – sagen – was war’s?“

„Der Seehund würde Dich fressen!“

„Mich nicht, sei sicher, doch ihn – ihn! Komm her, klein Sigrid, ich laß Dich nicht.“

Da schnarchte und schnaufte es unter dem Netze, und ein mächtiger grauer Kopf klappte seine weißen Zahnreihen auf. Mit einem Satze stand Clas drei Schritte weit, stier blickend mit weit aufgerissenen Augen und sprachlos. Aber Sigrid drückte ihre Hände in die Seiten, verbarg ihr Lachen und rief, als seufzte sie vor Kummer: „Ich sagte es ja, Clas, warum hörst Du nicht? Er frißt Dich auf, also kann es nicht sein.“ Indem sie dies sagte, stieg ihr Vater die Steine vom Ufer herauf; eben war er in seiner Jolle dort gelandet. Er sah den Hund und sah Clas, blickte finster auf Beide, darauf seine Tochter an.

„Wo kommt der Hund her?“ fragte er rauh. „Da ich heute früh abfuhr, war er nicht da.“

„Ich weiß es nicht,“ antwortete Sigrid, „doch als ich aus der Thür trat, da Du fortwarst, lag er auf der Schwelle naß im Sonnenschein.“

In des Fischers Gesicht rührte sich keine Miene. „Geh hinein,“ sagte er zu Sigrid und wandte langsam den Kopf. Darauf, als die Thür geschlossen, sprach er zu Clas: „Wohin hattest Du ihn gebracht?“

„So wahr mir Gott helfe!“ versetzte Clas, „ich brachte ihn in den Langfjord und – und – wenn’s kein höllischer Teufel ist, so weiß ich nicht, wie er zurückkommen konnte.“

Gullik Hansen drehte sich um, ging in sein Haus und warf die Thüre zu. Ein paar Minuten stand Clas unentschlossen, seine Augen hefteten sich auf den Hund, der ihn unverwandt ansah, und jetzt fiel ihm Alles ein; er konnte es nicht fassen. Mit scheuen Blicken sah er sich um, des Hundes Kopf schien immer größer und dicker, die Augen immer feuriger zu werden. Rasch sprang er hinab und eilte schnell davon.

Als es aber finster geworden war, kam die alte Grete und ging in Gulliks Haus. Sie setzte sich an des Fischers Heerd und sprach mit ihm. Er war noch kummervoller: der Fang war wieder schlecht gewesen, er hatte seine Boote draußen gelassen mit seinen Männern in der Bucht von Ageröe und kehrte in der Jolle allein zurück, vielleicht, daß es ohne ihn sich besserte. Der Knabe aber, mit dem’s am Tage besser gegangen, lag nun wieder im Fieber und in Betäubung. Er hatte ihn nicht gekannt, sondern sprach irre.

„Weil der Neck und der Fluch nicht von Dir lassen wollen,“ sagte Grete, „sonst wär’s anders; weil sie den Hund Dir in’s Haus zurückgeschickt haben, liegt der Junge im Krampf. Ehe Du den Hund nicht los bist, kommt nichts Gutes. Jetzt mußt Du ihn selbst fortschaffen, gleich morgen, noch ehe es hell wird. Fahre mit ihm hinaus nach Haröe’s Klippe Onen. Da gibts tiefe Löcher zwischen den Felsen, das sind Hexenlöcher, darin wohnen die Meertrollen. Dort hinein wirf ihn; darin muß er umkommen. Hörst Du?“

„Ich hör’s,“ murmelte Gullik.

„Noch Eines,“ sagte Grete und faßte ihn beim Arm, „darauf merke. Ehe Du ihn hinabstößt, nimm Dein Messer und stich ihm die Augen aus.“

„Nein, nein,“ schüttelte sich der harte Mann, „das kann nicht sein.

„Es muß sein,“ sprach Grete, „sonst kommst Du nicht frei, und Anders –“ In dem Augenblick drang aus der Kammer ein Schrei, und der bekümmerte Vater sprang auf und ging hinein. Grete schaute ihm nach und rief: „Mach’ Dein Messer scharf, sonst ist es vorbei mit ihm.“

Um die neunte Stunde stieg Clas zu dem Pfarrhofe hinauf und blieb seitwärts stehen, wo nach der Kirche hin mächtige Steine lagen. Dort setzte er sich nieder, knöpfte seine Jacke dicht zu, zog den Kragen über die Ohren und steckte die Hände in die Taschen, denn es war kalt geworden. Ein feiner, feuchter Nebel, durch den doch einzelne Sterne glänzten, wurde vom Wasser herauf in die Luft getrieben. Clas saß still und wartete. Er sah hinab nach Gulliks Haus und konnte das Licht darin erkennen. Dabei dachte er an Sigrid, und ein grimmiges Lachen lief durch sein Gesicht. „Ich will Dich doch haben,“ murmelte er, „und dann will ich Dich demüthig und folgsam machen.“ Dann fiel ihm wieder der Hund ein; er hatte seiner Mutter Grete, erschrocken wie er war, Alles erzählt, aber sie hatte ihn getröstet. Das Band am Sack mußte aufgegangen sein, vielleicht war auch keines darum geknüpft gewesen, Clas wußte es nicht. Da das Vieh in der Tiefe lag, hatte es sich befreit; Seehunde können lange unter Wasser bleiben. So war er entkommen und fand den Weg zurück. Aber von Thorkel wußte Niemand, der war verschwunden. Grete hatte eben von einem Nachbar vernommen, daß eine Fischerjolle aufgefunden wurde, auf den Steinen von Vedöen, halb voll Wasser. Morgen würde es Sigrid auch wohl erfahren und mehr dazu, daß Thorkel die Jolle geliehen, und dann – Clas stemmte seine Arme auf seine Kniee und lachte boshaft in seine Hände. „Was geht es mich an?“ sagte er, „mag sie weinen, wenn sie will; sie wird schon aufhören, und dann ist der Schandbube vergessen.“

In dem Augenblick schreckte er auf. Ein dunkler Schatten glitt an dem Pfarrhause hin. Er kam vom Garten her; wo es in die Tiefe hinunter ging, war er verschwunden. Clas hatte Schritte gehört und anfangs gemeint, es sei Herr Schiemann, dann aber wußte er nicht, was wahr oder falsch sei. Es brauste in seinem Kopfe wie ein Donner, um ihn her schwebten schreckliche Gesichter. Er sah eines, blaß und naß, langer Seetang hing daran nieder, darunter weit offene stiere Augen. Er konnte sich nicht bewegen, obwohl es ihm immer näher kam, immer schrecklicher wurde. Da ging die Thür im Pfarrhause auf, und ein heller Lichtschein flog über den Platz, gerade auf Clas, fort waren die Gespenster.

„Gute Nacht, bester Freund! Träumt recht viel Schönes, Jungfrau Else, und morgen erzählt es mir, ich verstehe mich auf die Auslegekunst!“ rief Herr Schiemann an der Thür und nahm dort Abschied.

Und Clas rieb sich die Augen, reckte seine mächtigen Schultern, ballte die Fäuste und sprach: „Das ist Alles Quark, meine Mutter hat Recht. Wer todt ist, kommt nicht wieder. Neckt’s mich noch einmal, so schlag ich’s in den Grund.“

„Bist Du da, Clas?“ fragte Herr Schiemann.

„Ja, Herr,“ antwortete dieser.

„Bringst mir gute Nachricht?“

[468] „Steht Alles gut, Herr.“

„Nun, so komm und fahr mich über,“ lachte der Kaufmann, „mit mir steht es auch gut. Ich glaube, Du wirst nächstens in dem neuen Boote am Torsfjord sitzen.“




7.

Als der Morgen dämmerte, stieg Gullik Hansen in sein kleines Fahrzeug und stieß rasch vom Ufer ab. Nur einmal warf er die Augen nach seinem Hause hinauf und zog sie scheu zurück, sah nach vorn hin, wo unter der Ruderducht wiederum ein Sack lag und darüber sein dicker Friesrock. Dann setzte er die Segelstange ein und blickte nach den Trolltinden hinauf. Von dort her kam der Windzug. Nachdem er die Leinen geordnet und den Kloben in den Haken gehängt, ließ er das Segel ausrollen und griff nach den Schoten. Die Jolle lief leise in den Canal von Otteröe, sie lief mit der Ebbe mehr als mit der schwachen Luftbewegung. Grämlich vor sich niederschauend, saß Gullik lange Zeit, denn es war ihm schwer ums Herz; ein schlimmer Gang, den er vorhatte.

Mitten im Canal frischte der Wind ein wenig auf, das Boot zog rascher an der Insel Mien vorbei, dann lag breites Wasser vor ihm, jenseit eine lange Kette niederer Felseilande, die einen granitnen Wall gegen die brandenden Wogen des atlantischen Meeres bilden. Die Nebel flogen hier rasch in grauen langflatternden Streifen und Fetzen über das Wasserbecken. Der Wind trieb sie vor sich her ins Meer hinaus, aber über der langen Felsenlinie hingen sie schwer und dunkel und bildeten eine düstere Bank, aus welcher da und dort ein kahler, schwarzer Kopf aufragte. Zur Linken hoch am Himmel lagen die Trolltinden im hellen Sonnenschein; das Tagesgestirn kam leuchtend über dem weißen Doppelkegel des Romsdalshorns hervor und überfunkelte den ganzen Kranz der Hochlandsgipfel mit seinen Strahlen.

Wenn Gullik Hansens Herz nicht so beschwert gewesen, hätte er sich wohl an diesem edlen Gottesmorgen freuen mögen. Da er weiter hinauskam, glänzte die Sonne auch warm über ihm und sein Boot und spielte mit den kleinen hüpfenden Wellen, die zu glitzern und zu flüstern und zu lachen begannen. Fische sprangen auf und zeigten ihre silbernen Seiten. Die Möven und die Meerschwalben schrien über ihm und schwirrten freudig um seinen Mast; schwarze Alken mit rothen Kämmen saßen auf den Klippen, schlugen mit ihren Flügeln und sonnten sich; alle Thiere empfanden neues Leben, das Wetter wurde besser – da fiel des Fischers Blick auf den Sack unter seinem Rock, der bewegte sich auch und schob sich zur Seite – er wandte seinen Kopf schnell davon fort und sah nach Otteröe hin, um nichts mehr von dem Sack zu sehen.

Die Insel hat hohe Küsten, und wo die Meldalsbucht sich öffnet, sprang ein Vorgebirge scharf in die See hinaus. Dort standen zwei Männer und schauten auf die Jolle, die ihren Weg quer über nach Sondöe nahm. Die Entfernung war schon weit, Gullik konnte die Leute nicht erkennen, aber er meinte, daß der Eine davon der alte Horngreb sein müsse; der Andere schien ihm jung und groß und trug einen Mantel, den der Wind flattern ließ. Ueber Gullik kam ein Gedanke, bei dem er seine Augen noch mehr anstrengte, aber er schüttelte endlich doch den Kopf. Er kannte den jungen Erik Meldal gut genug, seinen Vater hatte er noch besser gekannt. Es war ein wackerer Herr gewesen, niedere Leute hatten ihn immer gern gehabt, und Gullik dachte mit Kummer daran, wie das alte Geschlecht herunter gekommen sei und nun sein Gut dem reichen Herrn in Molde zufallen sollte. Das war ein harter, schlauer Handelsmann, freilich klug und niemals ein Verschwender. Es mochte ihn keiner gern, aber er konnte commandiren, denn jeder fürchtete ihn, und in Molde machten es ihm die anderen Herren nach, er gab den Ton an. In den alten Familien war ein großmüthig Wesen: mochten manche auch stolz und hochfahrend sein, so saugten sie doch arme Leute nicht aus, wie die Handelsherrn. Diese drängten und zwackten, suchten nur ihre Vortheile, und jemehr sie zur Herrschaft gelangten mit ihren Speculationen, Landkäufen und Waldkäufen, um so geringer wurden die Verdienste der Fischer und Arbeiter.

Gullik Hansen fühlte daher bei seiner Vorstellung über den Fremden dort oben den Wunsch, daß es Erik Meldal sein möchte; aber wo sollte der herkommen, und wenn er es wäre, was konnte es helfen? Das Gut war doch einmal schwer verschuldet, die Schuldbriefe hatte Herr Schiemann: wo sollten Mittel herkommen, die zu bezahlen? Dann dachte Gullik daran, was Clas Gorud ihm erzählt, was dem bevorstand und was ihm selbst durch Clas und dessen Freundschaft an Vortheilen zuwachsen sollte. Da fiel ihm sein ganzer Kummer wieder ein. Es fiel ihm Sigrid ein und der liederliche, falsche Thorkel, von dem er wohl früher gedacht, er sollte sein Mädchen haben, sie sollten ein Paar werden. Aber Thorkel hatte über seinen Vater Schande und Tod gebracht, und der Erbe von Meldal war nicht besser denn er. Und Anders lag krank auf den Tod, und in dem Seehund steckte ein Hexenfluch, der ihn unglücklich machen sollte. Der Knabe war munter gewesen lange Zeit, doch so wie er Thorkel von seiner Thür gewiesen, so wie dieser gerufen: „Mag es Dich nie gereuen!“ war das Unglück gekommen.

Anfangs wohl hatte der Fischer gezweifelt, ob Thorkel es ihm angethan, aber nach und nach wurde der Aberglaube mächtiger. Es gab Zaubersprüche und böse Menschen, die solche Künste verstanden. Thorkel hatte in seiner Sache sich an solche gewandt oder kannte solchen Bannfluch, und die alte Grete verstand sich darauf. Sie wußte, daß der Hund aus dem Hause müsse, der Hund, der Thorkels Geschenk war, den der Knabe liebte und Sigrid. Und wäre der Teufel nicht dabei gewesen, wie konnte das Thier den Weg ins Haus zurückfinden? Darin mußte es doch stecken. Der Hund mußte fort, es mußte so geschehen, wie Grete es geboten, und indem er grimmig auf den beweglichen Sack schaute, preßte er seine Zähne zusammen und sagte mit Festigkeit: „So soll es sein und nicht anders. Wenn das Kind gesund wird, soll Sigrid Clas heirathen. Habe wohl nimmer gedacht, diesen zum Schwiegersohn zu nehmen, aber er ist ehrlich, und wenn er die Stelle am Torsfjord hat und ein sechsrudrig Boot, ist nichts mehr zu sagen. Er kann mir auch Vortheile verschaffen bei dem Herrn Schiemann, was aber kann ein solcher Landläufer, wie der, den ich mit Recht aus dem Hause warf?“

Nach dieser Rechtfertigung lockerte Gullik sein Segel, denn der Wind wurde stärker und blies mehr nördlich. Das Boot flog jetzt rasch auf die Felsen von Sondöe los und dann daran vorüber in’s Meer hinein, wo ganz außen noch eine hohe Klippe aus dem Wasser ragte: das war Onen, wohin Gullik wollte. Nach beiden Seiten in der Ferne gab es schwarze Punkte auf den Wellen, das waren Fischerboote, die dort ihren Fang trieben, aber Gullik lief mit seinem Fahrzeug in einen kleinen Einschnitt am Felsen, deren es viele gab, und dann sprang er auf die Steine, zog die Jolle weit hinauf, ergriff den Sack und trug und schleppte ihn mit Mühe bis auf die Höhe der Klippe.

[481] Kein Strauch und kein Halm war auf der Klippe zu sehen, wohin Gullik den Sack mit dem Seehunde geschleppt hatte. Zerrissen und ausgewühlt lagen die Felslager, zertrümmert und zerborsten von vieltausendjährigen Stürmen. Nur aus manchen Fugen wucherten schilfige Fäden, die im Winde raschelten, und unten stöhnte das Meer, wenn es gurgelnd in die tiefen Höhlungen drang, die es in zeitlosen grimmigen Kämpfen geschaffen. Wenn Winterstürme wütheten, flog die Brandung über die Klippe fort und zwischen den Felslagern senkten sich tiefe Köcher hinab, die von Eis und Schnee ausgefressen, zerbröckelt und zermürbt waren und auf deren Grunde schlammiges Wasser dunstete. Zu einem solchen Loche schleifte Gullik den Sack, blieb dabei stehen und sah hinunter. Es war mehr als zehn Fuß tief, von allen Seiten steil und fast rund. Bartflechten hingen darin nieder bis auf die schwarze, zitternde Flüssigkeit, die den Boden bedeckte.

Ein paar Augenblicke starrte Gullik vor sich hin, dabei falteten sich seine harten Hände zusammen, er stand in tiefen Gedanken. Darauf aber ließen sich seine Finger los, und langsam kamen die Worte über seine Lippen: „Es muß so sein, also mag’s geschehen!“ Und indem er mit der linken Hand nach dem Sacke griff, faßte seine rechte in die Tasche; er zog dort sein Messer heraus, ließ aber die Scheide darin stecken. Es war ein langes scharfes Messer, wie es die Fischer zum Ausweiden der Fische bei sich führen. Mit einem Schnitt ist der stärkste Kabeljau damit von oben bis unten aufgerissen, die scharfe Spitze trennt ihm Kehle und Kopf. Gullik hielt es in seiner vollen Hand so gefaßt, wie es zu Stoß und Schnitt nöthig war, und während er sich bückte und die Schnur vom Sacke zurückschlug, schlossen sich seine Finger fester um den Griff des Messers, als wollte er rasch sein blutiges Werk thun. Da wühlte sich der graue dicke Kopf des Seehundes aus der Umhüllung hervor, und die Freude, welche das Thier empfand, dem Gefängniß entronnen zu sein und den wohlbekannten Beschützer nun zu sehen, drückte sich in seinen glänzenden Augen und schnellen, schmeichelnden Bewegungen aus. Er kroch zu Gullik’s Füßen, blickte zu ihm auf und leckte seine Hand. Das Gesicht des Fischers zuckte, das Messer zitterte in seinen Fingern, er hob den Arm auf und ließ ihn wieder sinken, er konnte es nicht vollbringen. Seinen Kopf richtete er zum Himmel empor, kreischend flogen die Seeschwalben über ihm, unter seinen Füßen stöhnte in den Höhlen die Brandung, als läge da ein Sterbender. Das mahnte ihn wieder an sein sterbendes Kind.

„Nein, nein,“ sagte er entschlossen und hart, „du mußt daran. Besser du als er, Gott steh’ dir bei!“ Und damit griff er dem Hund in’s Genick, preßte ihn mit aller Kraft zusammen und zückte das Messer auf dessen Augen. Aber indem sein Arm niederfahren wollte, hörte er eine Stimme dicht neben sich, die ihn anschrie, und im Schrecken ließ er den Hund los.

Thorkel Ingolf stand dicht bei ihm; ein stieres Entsetzen kam über den Fischer, und da er ihn ansehen wollte, vermochte er es nicht, er mußte die Augen niederschlagen. Thorkel sprach kein Wort, aber der Hund benutzte seine Freiheit, er kroch zu ihm hin, Schutz bei ihm zu suchen. Da fuhr ein grimmiger Zorn durch Gullik’s Brust. Sein Arm mit dem Messer streckte sich, sein kaltes Gesicht schwoll an, er athmete schwer. „Bist Du da, Du elender Kerl?“ schrie er. „Hast noch nicht genug Unglück über mich gebracht? Willst Deinen Hexenhund haben, mir die Plagegespenster weiter in’s Haus zu bannen?“

„Wie sprichst Du so, Gullik Hansen?“ antwortete Thorkel. „Weißt Du nicht, daß ich gern Dir nur Liebes thun möchte?“

Der Fischer schwieg, seine Augen rollten noch immer. „Wie kommst Du hierher?“ fragte er endlich.

„Das geht natürlich genug zu,“ sagte Thorkel. „Ich stand gestern dicht an Deinem Fenster, als Grete Dir rieth, den armen Hund grausam zu martern und zu tödten, damit Anders gesund werde. Ich wollte das nicht leiden, Gullik, wollte Dir sagen, welche Sünde es sei, darum fuhr ich hierher auf die Klippe, noch ehe Du kamst, und erwartete Dich.“

Gullik blickte noch immer finster. „Was schlichst Du Dich an mein Fenster?“ fragte er.

„Auch das will ich Dir sagen. Ich hatte am Abend vorher schon Sigrid ein Mittel für den Kranken gebracht, in Meldalsgaard hatte ich es für ihn bekommen. Es wird ihn gesund machen.“

„Du brachtest ihm ein Mittel?“ rief Gullik entsetzt. „Willst Du ihn morden?“

„Sei verständig,“ sagte Thorkel. „Das Mittel ist von einem berühmten Doctor in Christiania und wird Anders wohlthun, denn seine Krankheit ist sicherlich nichts, als wiederholtes hartes Fieber. Gestern schon ist es danach fortgeblieben, heute wirkt es sicherlich noch besser. Der mir das Mittel gab, wird selbst mit Dir sprechen, und Du mußt den Doctor holen, was Du gleich hättest thun sollen, statt der bösen alten Grete zu glauben, die so schlecht ist, wie ihr Sohn Clas.“

Da fuhr Gullik auf, es war halb Aerger, halb Scham. „Schiltst Du ihn,“ drohte er, „Du, der so viel Schlimmes that [482] und, was gute Leute Dir boten, mit Undank vergolten hat? Clas ist wacker, aber Du – Du gehst mit Schande und Lügen um!“

Thorkel blieb ruhig, doch sein Gesicht wurde ernst und seine Augen groß. „Wann hast Du je gehört, daß ich lüge?“ antwortete er. „Nimmer wird Schande über mich kommen, hüte Du Dich davor und hüte Dich vor Clas. Du hattest ihm den Hund gegeben, ihn nach dem Langfjord zu bringen, dort traf ich ihn an, als er ihn eben mit dem Sack in’s Wasser werfen wollte, damit er elend dabei umkomme. Da ich zu ihm sprang, stürzte er mich hinein, mitten zwischen den steilen Klippen von Röe, und noch glaubt er, daß ich tief unten bei den Trollen liege. Eilig machte er sich fort, nahm mein Fahrzeug mit und war sicher, mich erschlagen zu haben.

Aber der Hund kam in die Höhe und ich auch. Ich brachte ihn aus dem Sack und wir schwammen beisammen; die Ebbe half uns glücklich heraus bis nach Bedöe. Dort ließ ich den Hund weiter schwimmen, ich wußte wohl, daß er den Weg zu Dir zurück finden würde; mehr als einmal war er früher schon mit mir in dem Langfjord gewesen. Ich aber ging weiter und die Nacht durch bis zum Morgen, wo ich nach Meldal’s Gut kam. In dem Gaard bin ich bis jetzt gewesen, dahin führte mich Gottes Hand, ich kam zur rechten Zeit.“ – Er schwieg ein Weilchen und setzte dann hinzu: „Du siehst wohl, daß Clas Gorud ein böser Schelm ist, der keine schlechte That fürchtet. Seine Mutter hat den Plan gemacht, Dich zu verlocken, durch Aberglauben und Bosheit mich von Dir zu stoßen und zu verderben. Du sollst ihm Sigrid geben, mir will er meine Stelle nehmen, möchte auch wohl gern Dein Erbe sein, wenn Anders stürbe; aber von dem Allen wird nichts werden. Ich denke, Du glaubst es mir, Gullik Hansen.“

Der Fischer antwortete nicht und regte sich nicht. Endlich blickte er Thorkel fest an und fragte: „Ist das Alles wahr, Thorkel, ist es so geschehen?“

„Es ist kein falsches Wort darin,“ sprach Thorkel. „Willst Du meine Hand jetzt nehmen?“

Gullik blickte ihn nochmals an, darauf hob er seine Hand auf. „Ich will,“ sagte er, „bei Gottes Wort! Ja, ich will! – Jetzt setze Dich nieder und laß uns reden.“




8.

Als Herr Schiemann am Nachmittage dieses Tages seinen Aufsichtsmann Clas zu sich hereinrufen ließ, stand der reiche Kaufmann eben vor dem goldrahmigen Spiegel und steckte eine kostbare, mit funkelnden Steinen besetzte Nadel in seine Halstuchschleife. Auf dem Tische lag ein feiner prächtiger Blumenstrauß, daneben stand ein Kästchen von gepreßtem Leder, und weiterhin sah Clas eine Kette von Granatsteinen mit großem Schloß, wie stattliche Bauerntöchter solche als Sonntagsputz tragen. Das Kästchen war geöffnet, mit weißem Atlas gefüttert, darin glänzte ein Goldschmuck, wie Clas ihn nie gesehen. Herr Schiemann trug einen neuen schwarzen Frackrock, eine weiße Weste, gelbe Handschuhe, und der weiße Halskragen stand ihm steif über den rothgelben Bart und die hohlen Backen bis an die Mundwinkel. Da er sah, wie Clas vor Verwunderung Mund und Nase aufsperrte, fing er an zu lachen und kam auf ihn zu.

„Nun, Clas,“ sagte er, „der alte Horngreb ist sicherlich zwar ein falscher Kerl, mit dem wir bald abrechnen wollen, aber er hat uns doch den guten Rath gegeben, unsere Sachen schnell in Richtigkeit zu bringen und keine unnütze Zeit zu verlieren. Da liegt mein Brautgeschenk für Jungfrau Else; bringe Du Deiner Sigrid, was Du hast, nimm ihr aber auch die Kette da mit und hänge sie ihr um den Hals; sie wird wohl stille halten.“

„Ja, ja, Herr!“ rief Clas erfreut, „viel tausend Dank alle Zeit!“

„Im Uebrigen bleibt es, wie ich bestimmt habe,“ fuhr Herr Schiemann fort. „Morgen werde ich mit Dir zum Landrichter gehen, mein Recht auf Dich übertragen und die Schrift aufnehmen lassen. Sobald wir die Stelle zugesprochen bekommen, sorge ich für die Einrichtung, das kannst Du Gullik und Sigrid sagen, auch werde ich selbst mit ihnen sprechen. Bringe sie Beide hinauf in’s Pfarrhaus, wenn Du fertig bist, und jetzt mach’, daß wir hinüber kommen, es wird bald dunkel werden.“

Clas sprang nach dem Boote, trug die Kissen auf den Steuersitz, und gleich darauf kam Herr Schiemann, den Blumenstrauß in der Hand. Alle Leute, die ihn sahen, staunten ihn an. Er setzte sich in das Boot, und Clas arbeitete so rasch, als hätte er doppelte Kräfte. Das Fahrzeug lag bald unter der Kirche, und als der reiche Bräutigam sich frohgelaunt entfernt hatte, lief der arme schnell in seine Hütte, schrie seine Mutter an, ihm die Sonntagsjacke zu bringen, sein rothes Seidentuch und die neuen Schuhe. Grete warf die Pfeife fort und schrie: „So ist’s gut, Clas, jetzt haben wir sie. Geh Du hin und dann bring’ sie her. Ich will mich auch putzen, wie’s einer Brautmutter zukommt, und will rothen Grütze kochen und Heringe braten. Der Fang ist heute gut gewesen. Gullik’s Boote kamen beide voll von Fischen. Er stand darauf. „Hast Glück gehabt, Gullik?“ schrie ich ihm zu. „Ja, ja,“ antwortete er. „Ist Alles in Ordnung!““

Sie knüpfte ihm das Seidentuch um, kicherte und nickte dabei. „Nun geh,“ sagte sie, „bist schmuck und bist willkommen. Der Hund liegt in den Hexenlöchern von Onen, und Thorkel dazu; Keiner mehr wird Dir Sorge machen.“

Clas ging stolz lachend fort; was konnte ihm jetzt noch fehlen? Er schritt auf Gullik’s Haus zu, und eben trat die rothe Abendsonne aus den Wolken und leuchtete über den Fjord fort auf die Trolltinden von Romsdalen. Da stand oben der ganze Hochzeitszug, den der heilige Olaf einst in Stein verwandelt hatte. Der heidnische König mit seiner schönen Tochter, die Priester und der riesige Bräutigam mit allen Hochzeitsleuten, den Fiedlern und Fahnenschwenkern schienen lebendig zu werden. Es war dem Clas Gorud, als winkten sie ihm und fingen an zu springen und zu tanzen. – „So soll’s auf meiner Hochzeit sein,“ sagte er. „Alles soll tanzen, was Beine hat, und Keiner soll fort, so lange er gerade stehen kann; es muß wenigstens zwei Tage lang gegessen und getrunken werden.“

In dem Augenblick hörte er Sigrid’s helle Stimme und wie sie laut sprach: „Ja, ja, Else und ich, wir wollen beisammen unter der Krone gehen.“

Clas zog die Granatenschnur aus seiner Tasche; was er hörte, machte ihn jubiliren. Er hielt die Schnur hoch, sprang um die Ecke des Hauses und schrie: „Das sollst Du, Sigrid, und sollst –“ da hielt er plötzlich inne.

Vor ihm lag der höllische Hund gerade vor Sigrid’s Füßen, und sie mit ihren Händen um eines Mannes Hals, der eben seinen Kopf aufrichtete und zu ihm hinschaute. War’s wahr, oder that’s wiederum der höllische Neck und blendete seine Augen? War’s ein Gespenst, ein Schatten, ein Trug? In den Schrecken des Anblicks mischte sich Clas Gorud’s Wuth. Er faßte die Granatenkette in seiner Hand zusammen und schleuderte sie gegen das Gebilde. „Verfluchter Spuk!“ schrie er, „ich will Dich zermalmen!“

Aber indem er dies sagte, war Thorkel Ingolf schon an ihm, hatte ihn mit beiden Händen gefaßt und hoch aufgehoben. Er rannte mit ihm an die Wand, daß es krachte. Dann hob er ihn von Neuem auf und ließ ihn wieder fallen, darauf zum dritten Male, ohne zu sprechen, schleuderte ihn über die Steine fort zu Boden. Nun wurde er festgehalten. An dem einen Arm hielt ihn Sigrid, am andern Gullik Hansen. – „Halt ein,“ sagte der Fischer, „er hat genug. Geh fort mit ihm, Sigrid, geh hinein, Thorkel.“ Clas lag wie todt, das Blut floß ihm aus dem Munde. –

Zu derselben Zeit hatte auch Herr Peter Schiemann seine Werbung im Pfarrhause angebracht, wo der Pfarrer Jöns Bille ihn einige Zeit warten ließ, ehe er zu ihm hereintrat. Herr Jöns hatte seinen großen schwarzen Rock angezogen und sah sehr feierlich aus, als er sich verbeugte.

„Nun,“ sagte Herr Schiemann lachend und ihm die Hand schüttelnd, „ich glaube, Sie haben mich erwartet, mein werther Freund?“

„Das habe ich allerdings,“ antwortete der Pfarrer, „da Sie gestern so gütig waren –“

„Ohne alle Umstände!“ rief der reiche Kaufmann, „Sie dürfen mit mir keine Umstände machen, hätten im bequemen Hausrocke bleiben sollen, theuerster Freund. Wo ist Fräulein Else?“

„Ich denke, sie wird im Garten sein,“ sagte Herr Bille.

„So darf ich sie wohl aufsuchen, sobald ich –“ Herr Schiemann lachte. „Ich darf doch?“ fragte er. „Ich möchte ihr diese Blumen bringen und etwas fragen, wenn ich Ihre Erlaubniß dazu habe. Was es ist? Aufrichtig, ich hoffe, Sie wissen es. Es ist kein Geheimniß.“

„Sie haben Else der Ehre gewürdigt, Ihre Blicke auf sie zu [483] richten,“ sagte Herr Bille mit würdiger Haltung, indem er ebenfalls lächelte und seine Hände faltete.

„Sprechen Sie nicht von Ehre!“ rief Herr Schiemann, „ich werde glücklich sein, wenn Sie mich mit Allem, was ich habe, als Sohn auf- und annehmen. Wollen Sie?“

Er sagte dies sehr zuversichtlich, aber der Pfarrer machte ein süßes Gesicht, wiegte den Kopf dabei und antwortete: „Was könnte mir größere Freude gewähren? Aus dem Grunde meines Herzens bin ich Ihnen dankbar.“

„So erlauben Sie, daß ich Else aufsuche?“ unterbrach ihn der ungeduldige Bräutigam und stand auf.

Herr Bille hielt ihn mit einem sanften Handwinken zurück. „Warten Sie noch, geehrter Herr Schiemann,“ sagte er, – „noch ein Umstand, – hm! ja, dieser ist es. Sie wissen, daß meine Tochter – Else – Sie haben gehört, wie deren frühere Neigung für Erik Meldal –“

„Das sind alte Geschichten, ich frage nichts danach!“ fiel Herr Schiemann großmüthig abwehrend ein. „Schweigen wir davon, hochverehrter Freund.“

„Dennoch,“ sagte Jöns Bille und hielt ihn wieder fest – „dennoch ist ein Umstand eingetreten – ja wohl, ein Umstand, der sehr sonderbar ist.“

„Was ist es?“ fragte Schiemann.

„Eine Nachricht, die – die – Sie wissen es nicht, und ich habe es auch nicht gewußt, daß Erik Meldal noch einen Verwandten von seiner Mutter Seite besaß. Die Großmütter, glaube ich, waren Schwestern – aber man hatte sich in der Familie so ziemlich vergessen, wie das nicht selten geschieht; kümmerte sich nicht um einander.“

„Nun, dieser Vetter oder dergleichen?“ unterbrach ihn Schiemann.

„Er wohnte in Moß, und Erik Meldal lernte ihn kennen.“

„O!“ rief der Handelsherr lachend, „so ist es wohl der Gutsbesitzer, der mit seiner Tochter nach Frederikshall kam, worauf der lustige Lieutenant ihr nachreiste? Hat er sie geheirathet?“

„Das ist nicht geschehen, aber –“

„Er hat sich mit ihr verlobt?“

„Auch das nicht,“ erwiderte Herr Bille, verlegen räuspernd. „Dieser Vetter ist im vorigen Jahre gestorben.“

„Ja freilich, dann mußte er die Trauerzeit abwarten, doch nun wird wohl bald Hochzeit sein?“

„Lassen Sie mich ausreden,“ sagte der Pfarrer. „Die Tochter war eine Pflegetochter, schon etwas bei Jahren. Sie hat jedoch das ganze hinterlassene Vermögen geerbt, und das war beträchtlich.“

„Um so besser!“ lachte Schiemann; „der leichtsinnige Patron wird sich an ihr Alter nicht kehren, wenn’s mit dem Gelde seine Richtigkeit hat.“

„Es ist vom Heirathen überhaupt nicht die Rede!“ rief Herr Bille heftiger. „Es ist ein altes elendes Frauenzimmer, aber das Testament konnte angegriffen werden. Wenn dies jedoch geschehen sollte, mußten Untersuchungen angestellt, mußten Advocaten zu Rathe gezogen werden, mußte nach Christiania und Moß gereist werden. Erik Meldal hatte weder Muth noch Lust dazu, er hatte auch kein Geld, um die Reisen und Schritte zu machen. Aber Thorkel ließ ihm keine Ruhe, und endlich schrieb er heimlich an seinen Vater, der borgte sich zweihundert Thaler bei Ihnen und schickte sie ihm.“

„Das Geld gab er darauf gewiß dem Lieutenant?“ fragte Herr Schiemann und verzog sein Gesicht.

„Das that er. Erik reiste nach Christiania und nach Moß, und jetzt ist ein Vergleich mit der Pflegetochter abgeschlossen worden, wonach sie Beide die Erbschaft theilen. Er kommt dadurch zu einer beträchtlichen Summe.“

Herr Schiemann hatte eine Zeit lang ernsthafter zugehört, jetzt aber rief er vorwurfsvoll spottend: „Und das glauben Sie, mein verehrter Freund? Solche Märchen wollen Sie sich doch nicht aufbinden lassen?!“

„Es ist Wahrheit!“ rief Herr Bille würdevoll. „Mein Sohn schreibt es mir aus Christiania, und diesen Brief sammt gültigen Beweisen habe ich heute erhalten von – von –“

„Von mir!“ sagte Jemand hinter dem Herrn Schiemann, und da er sich überrascht umwandte, als er die kräftige volle Stimme hörte, sah er die Thür weit geöffnet. Mitten darin stand der Lieutenant Erik Meldal, an seiner Hand Fräulein Else. Hinter den Beiden aber erblickte er Sigrid und Thorkel Ingolf, und ganz hinten standen der Fischer Gullik Hansen und der Verwalter Horngreb von Meldalsgaard.

Herr Schiemann sah mit einem Blick die ganze Gesellschaft, kehrte sich dann wieder ab, steckte seinen Blumenstrauß hastig in die Tasche und griff nach seinem Hute.

„Das sind allerdings Gottes Schickungen,“ sprach Herr Bille mit süßem Gesicht. „Er hat es so gefügt, und Sie werden einsehen, lieber, geehrter Freund, daß – daß -–“

„Ich gratulire! gratulire!“ rief Herr Schiemann, und beugte sich rechts und links, „habe nichts weiter hinzuzufügen.“

„Bleiben Sie doch,“ sagte Herr Bille und faßte nach seiner Hand.

„Dringende Geschäfte!“ antwortete der Kaufmann. „Ein ander Mal. Leben Sie wohl, Herr Pfarrer, leben Sie wohl!“

„Nur noch ein Wort!“ begann Erik Meldal und trat näher. „Sie sind so freundlich gewesen, sich meiner in jeder Weise anzunehmen, auch verschiedene Schuldbriefe einzukaufen, die auf Meldal haften. Ehe ich mich verheirathe und mein Gut bewohne, möchte ich diese Documente einlösen.“

Schiemann blickte zu ihm auf. Es war ein stattlicher junger Mann, so recht „Einer vom alten Stamme“, und seine Augen blitzten stolz und verächtlich. „Ja so!“ rief Schiemann, „Ihre Schuldbriefe! Das kann morgen geschehen und muß geschehen!“

„Halten Sie die Papiere bereit,“ antwortete Meldal. „Horngreb wird Ihnen das Geld bringen.“

„Warte noch, ich muß Dir auch etwas sagen,“ sprach Thorkel und hielt den Eiligen abermals auf. „Auch meines Vaters Verschreibung mußt Du herausgeben, das Geld ist schon in meiner Tasche. Ich habe es dringend, denn hier ist Sigrid, die, so schnell es geht, am Torsfjord wohnen will; der Pastor soll uns heut noch aufschreiben, Erik auch.“

Herr Schiemann sagte nichts, er konnte vor Grimm nicht sprechen. Thorkel aber ließ seine Hand nicht los, sondern drückte ihm die Granatenkette hinein, die er aus seiner Tasche holte. „So,“ sagte er, „das nimm mit, Sigrid will sie nicht. Und höre, schicke dafür Deinem Manne, Clas, den Doctor aus Molde. Er hat einen schlimmen Fall gethan. Ich habe es ihm vorher gesagt, der Seehund ist sein Unglück gewesen!“

Da lachte Sigrid hell auf, und wie sie es that, stimmten die Anderen alle ein, nur Gullik blieb ernsthaft, und der Pastor lächelte leise. Herr Schiemann stürzte wüthend zur Thür hinaus, doch das Gelächter folgte ihm nach, er hörte es noch, als er über den Platz lief. Vier Wochen darauf standen der junge Herr von Meldalsgaard und Thorkel Ingolf neben den beiden Bräuten am Altar, und noch erzählen die Leute von dieser Hochzeit, wie lange keine gewesen. Herr Schiemann zog bald darauf aus Molde fort; die Leute erzählten zu viel von ihm und seiner Brautwerbung, was Spott brachte. Clas Gorud aber geschah, wie er es verdient und sich verschworen. Seine rechte Hand war vom Fallen gebrochen, blieb lahm und verdorrte. Endlich kam er elend um in Trunk und Schande, und nun wär’s der alten Grete übel ergangen, wenn Thorkel und Sigrid nicht für sie sorgen halfen bis an ihr Ende.