Slavische Sagen vom Wechselbalg

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Textdaten
Autor: Jiří Polívka
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Titel: Slavische Sagen vom Wechselbalg
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aus: Archiv für Religionswissenschaft, 6. Band, S. 151–162
Herausgeber: Thomas Achelis
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1903
Verlag: J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Tübingen und Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Princeton-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
Abhandlung über Wechselbalg-Sagen
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[151]
Slavische Sagen vom Wechselbalg.
Mitgeteilt von
G. Polívka, Prag.

Herr Dr. J. Karlowicz hat in dieser Zeitschrift III 184 f. auf einige „Germanische Elemente im slavischen Mythos und Brauch“ hingewiesen. Als Nachtrag zu diesem Aufsatze mögen die folgenden Mitteilungen aufgenommen werden.

Jac. Grimm hat Deutsche Mythologie4 I 388 zahlreiche westeuropäische Traditionen vom Umtausche der Kinder durch Elfen und andere Wesen angeführt und mit viel Nachdruck hervorgehoben, wie gleich alle diese Traditionen sind, besonders in der Erzählung der Art und Weise, mit welcher die Eltern des unterschobenen Elfenkindes des Wechselbalges los werden und zu ihrem eigenen Kinde sich wieder verhelfen. Aus späteren deutschen, französischen und englischen Sammlungen könnte das von Jac. Grimm zusammengetragene Material nicht unbeträchtlich vermehrt werden, doch darauf wollen wir hier nicht eingehen, sondern uns beschränken auf verwandte Traditionen, die bei einigen slavischen Völkern aufgezeichnet wurden. Diese Traditionen sind besonders zahlreich bei den an die Deutschen eng angrenzenden Völkern. In erster Reihe also bei den Čechoslaven.

In Mähren[1] – an einem leider nicht bestimmten Orte – [152] wird erzählt: eine Frau hatte schon siebzehn Jahre ein unterschobenes Kind. Einmal kam ein Wanderer und gab ihr den Rat, was sie anstellen sollte, dass ihr die „Divižena“ (wildes Weib) ihr Kind zurückgebe. Sie solle von der Hagebutte ein frisches Reis abschneiden, in der Mitte der Stube ein Feuer anmachen, rund herum Eierschalen mit Wasser aufstellen, durch ein Loch in der Thür dann beobachten, was geschehen werde. Das Kind werde aus der Wiege heraussteigen und zum Fenster gehen. Dann soll sie nicht zaudern, sondern es mit dem Reis schlagen, bis Blut aus ihm fliesst. Dann wird das Weib kommen und ihr ihr Kind bringen. Das unterschobene Kind sprang wirklich aus der Wiege heraus und sagte: „Wie ich ein alter Teufel bin, so habe ich nicht in solchen Töpfen kochen gesehen.“ Als die Frau die Thür öffnete, kroch es gleich in die Wiege, aber die Frau schlug es bis aufs Blut, bis das wilde Weib kam, ihr ihr Töchterchen brachte und sein eigenes Kind wegführte. Aehnlich ist eine bei den Wallachen Mährens aufgezeichnete Sage[2]. Auf den Rat der Nachbarinnen machte die unglückliche Mutter am Herde Feuer, stellte Eierschalen herum und füllte sie mit Wasser, kroch dann auf den Boden und guckte hinunter durch das Rauchloch, durch welches der Rauch aus der Stube zieht. Da sah sie, wie das Kind auf die Füsse sprang, zum Herde trat, die Eierschalen betrachtete und sagte: „Ich bin schon ein so alter Teufel, aber in solchen Töpfen habe ich, so lange ich lebe, noch nie kochen gesehen.“ Dann kehrte es wieder auf seinen früheren Platz zurück. Von einer Wiege wird nichts erwähnt. Als die Frau zurückkam, wollte das Kind weder sprechen noch gehen. Sie schlug es daher mit einer jungen Haselrute, wie ihr ihre Nachbarinnen rieten, und achtete nicht auf das Geschrei des Kindes. Plötzlich öffnete sich die Thür und die Zauberin warf ihr ihr eigenes Kind in [153] die Stube und nahm sich das ihrige; sie schlug nicht ihr Kind, sondern warf nur der Frau vor, dass sie ihrem Kinde nichts anthat.

Eine andere wallachische Sage[3] weicht etwas ab: Eine Frau, der ein Kind mit einem Riesenkopf unterschoben war, ging um Rat zu einem Beschwörer und der riet ihr, sie solle von neun Weiden frische Reiser abbrechen, mit ihnen in der Mitte der Stube Feuer anmachen genau zur Mittagsstunde, um das Feuer herum mit Wasser gefüllte Eierschalen aufstellen, das Kind auf dem Bette lassen, aus der Stube hinaus auf den Boden gehen und durch eine Spalte beobachten, was weiter geschehen werde. In die Stube kam die „Divoženka“ mit dem Kinde, ging um das Feuer herum, wunderte sich und gab selbst ihrer Verwunderung Ausdruck mit denselben Worten, wie sonst gewöhnlich das unterschobene Kind. Sie legte sodann das entführte Kind auf das Bett und entfernte sich mit ihrem eigenen. Von einem Prügeln des Kindes wird nichts erzählt.

Mit dieser Sage ist ein anderes Motiv noch verbunden in einer Version aus dem nordöstlichen Mähren[4]: Ein Bettler belehrte eine Frau, dass ihr hässliches, grossköpfiges Kind ein Zauberkind („veštík“) ist, von der Zauberin unterschoben, und riet ihr, sie soll zwölf Eierschalen nehmen, sie mit Wasser füllen, in zwei Reihen in der Mitte der Stube aufstellen und zwischen ihnen Feuer anmachen. Ist es ein Zauberkind, wird es etwas sagen. Und wenn es etwas spricht, soll sie eine Rute von einer Goldweide nehmen und es schlagen, möglich, dass die Zauberin es sich holt. Die Frau machte das alles, aber die Zauberin kam nicht. Es gingen also die Eheleute mit dem Zauberkinde nach Freiberg zum hl. Valentin, wie ihnen weiter der Bettler geraten hatte. Als sie am Wege [154] auf sumpfige Wiesen kamen, hörten sie eine sonderbare Stimme aus dem Gebüsche: „Wohin gehst du?“ Und das Zauberkind meldete sich: „Ach, zu einem gewissen Valentin nach Freiberg.“ Die Mutter schlug nun den Wechselbalg mit der Rute von einer Goldweide, bis er sich am Boden wand. Da erschien im Gebüsch ein altes, hässliches Weib, sprach ähnlich wie bei Kulda II, gab der Mutter das Kind zurück und nahm sich sein eigenes. Hier wurde also ein neues Motiv hinzugefügt, wie wir es auch in einigen deutschen Sagen treffen, wie z. B. bei G. Schambach und W. Müller, Niedersächsische Sagen und Märchen S. 132 No. 149, bei H. Pröhle, Unterharzische Sagen S. 50 No. 128, Grässe, Sagenbuch des preussischen Staates I 527, Am Urquell V 248, oder auch selbständig wie bei O. Schell, Bergische Sagen S. 325 No. 6. Hiermit vergleiche auch einige irische Sagen, wie bei P. Kennedy, Legendary Fictions of the Irish Celts2 p. 76; T. Crofton Croker, Irish Fairy Legends S. 52, W. B. Yeats, Märchen aus Irlands Gauen S. 25f.

Die uns hier beschäftigende Tradition wurde mit einem verbreiteten Märchenstoff verbunden in einer westmährischen Version[5]. Das wilde Weib stahl einer Königin ihr Söhnchen und legte an dessen Stelle in das Bett sein eigenes scheussliches Kind mit einem viereckigen Kopf und kleinen, länglichen Augen; zugleich wechselte es noch sein Kind mit einer Kaufmannstochter ein. Beide Kinder brachte das Weib in den Wald zu einem Zauberer. Dem Könige riet „eine sehr weise und erfahrene Alte“, wie er sich überzeugen könnte, dass beide Kinder von dem wilden Weibe unterschoben sind: mitten in der Stube wird ein Feuer angemacht, ringsherum Schalen aus Mohnköpfen aufgestellt, mit Wasser gefüllt, beide Kinder – das des Kaufmanns wurde auch gebracht – in die Stube eingeschlossen. Der König und die Königin beobachteten [155] durch Löcher, die sie in der Thüre ausbohren liessen, die Kinder und sahen, wie der wilde Knabe mit dem Mädchen um das Feuer herumging, und als das Wasser zu sieden begann, blieben beide stehen und der Knabe brummte mit widerlicher Stimmer: „Hm, hm, ich bin doch schon ein recht alter Teufel, aber solche Töpfe habe ich noch nie gesehen.“ Dasselbe lispelte das Mädchen. Das ist die Einleitung des weit verbreiteten Märchens von den zwei Kindern bei einem Zauberer, der ihnen übermenschliche Aufgaben auferlegt (mit einer hölzernen Hacke im Walde bis abends sieben Klafter Holz zu hacken; Vögel fangen und so viel Federn von ihnen zu sammeln, dass daraus ein zwei Stock hohes Schloss gebaut werden könnte; mit einem zerrissenen Korb alles Wasser aus dem Teiche ausschöpfen) – der Knabe vollführt alle mit Hilfe der Kaufmannstochter, statt wie gewöhnlich der Tochter des Zauberers; weiters Flucht des Knaben und Mädchens, Verwandlungen (in einen Apfelbaum mit zwei Aepfeln, einen Rosenstrauch mit zwei Rosen, einen Teich mit einem Enterich und einer Ente), der Knabe vergass auf das Mädchen, obzwar er durchaus nicht dessen Verbot übertrat, nicht die Mutter küsste u. a., wie gewöhnlich erzählt wird.

In anderen čechoslavischen Erzählungen wird der Wechselbalg auf eine andere, weniger charakteristische Weise beseitigt. In einer ungarisch-slovakischen Sage[6] wird das unterschobene Kind in einen Topf gesetzt und der Topf aufs Feuer gestellt; die „stryga“ erbarmt sich endlich dessen Qualen und bringt das entführte Kind zurück.

Das erinnert an eine deutsch-ungarische Sage[7]: Die Nachbarin riet der unglücklichen Mutter, wie sie ihr eigenes Kind zurückbekommen könnte: sie soll einen Kessel voll Wasser [156] aufstellen, abends, bis das Ave Maria erklingt, soll sie ein grosses Feuer anmachen, und wie das Wasser anfängt noch während des Läutens zu kochen, soll sie sich stellen, als ob sie das Kind in das siedende Wasser werfen wollte, aber ihm nichts anthun, sonst könnte ihrem eigenen Kinde Leid zugefügt werden. Es kam wirklich jener Mann, welcher die Kinder auswechselte, und brachte das Kind zurück. Aehnlich wird auch in Irland erzählt[8], auch in Schottland[9].

Gleicherweise bekam die Mutter ihr Kind zurück in einer Sage aus Ostböhmen[10], als sie den Wechselbalg in ein eigens auf den Rat eines Wanderers angemachtes Feuer werfen wollte. Das wilde Weib (Divoženka) liess sich durch den Rauchfang hinunter, entriss ihr das Kind und gab ihr das entführte Kind zurück, aber nicht unversehrt, sondern mit einem ganz zerkratzten Gesicht.

Oefters half sich die unglückliche Mutter auf eine viel einfachere Art. In einer Sage aus der Gegend von Humpoletz im östlichen Böhmen[11] bekam die Mutter ihr Kind zurück, als sie das unterschobene Kind mit einer Birkenrute grausam prügelte und zwar auf den Rat Seiner Hochwürden. Das wilde Weib brachte ihr Kind geradeso geprügelt zurück. Auch bei den Slovaken Mährens[12] wird erzählt, dass dem Wechselbalg nichts Böses zugefügt werden darf, denn die wilden Frauen würden dasselbe dem entführten Kinde anthun. Es ist das derselbe Glaube, den wir auch in deutschen Sagen treffen, so in Ostpreussen bei E. Lemke, I 62f., in norwegischen [157] Sagen bei P. Chr. Asbjörnson, Auswahl norwegischer Volksmärchen und Waldgeistersagen S. 278, ähnlich auf Island, vgl. Köhler, Kleinere Schriften I 219, P. Kennedy, Leg. Fictions of te Irish Celts p. 80, in Irland: Grimm, Irische Elfenmärchen S. 39f. No. 7.

Weiter nach Osten finden wir höchstens schwache Spuren der westeuropäischen Tradition. So in einer im Krakauer Land aufgezeichneten Sage[13]: In einem Bauernhaus war ein Kind, von dem niemand zweifelte, dass es das Kind einer Fee („boginka“) sein musste; das bezeugte dessen Aussehen und Benehmen. Sie schlugen es, aber das half nichts. Endlich rieten die Frauen dem Bauern, er möge einen Frosch backen, den Topf zudecken, auf den Boden kriechen und durch ein Loch beobachten, was das Kind machen würde. Das Kind kroch auf den Ofen, guckte in die Töpfe und als es den Frosch bemerkte, sagte es: „Myś abo nie myś – ziaba abo nie ziaba! – ziaba! bo gdyby bylo kulcątećko, to by mialo skrzydelećka!“[14], und warf den Frosch auf die Erde. Der Bauer betrat nun schnell die Stube und fing das Kind grausam an zu schlagen, so dass noch dieselbe Nacht die Feen kamen, das entführte Kind zurückbrachten und ihr Kind mitnahmen. Das Kind war aber gleichfalls geprügelt worden und starb bald. – Ein ähnliches eigentümliches Mittel, um die Verwunderung des Wechselbalges zu erregen und ihn zum Sprechen zu zwingen, finden wir in einer dänischen Sage; in der wurde ihm ein mit Haut und Haaren gefülltes Schwein vorgelegt, und der Wechselbalg rief ähnlich wie beim Anblicke der Eierschalen aus: „Dreimal sah ich schon den jungen Wald auf Tisö, aber nie habe ich so etwas gesehen!“ (Grimm, D. Mythol.4 I 388).

Enger hängt mit der westeuropäischen Tradition eine andere polnische in Bezirke Wieliczka im westlichen Galizien [158] aufgezeichnete Sage zusammen[15]: Der Wechselbalg schaute, als er allein war, in die Töpfe und sagte: „Malo papaje“. Er wurde durch eine Oeffnung in der Decke bemerkt, auf den Hof hinausgetragen und geprügelt; sie fütterten ihn aus Eierschalen. Eine ähnliche Sage kennen wir noch aus einem anderen Orte Galiziens[16]: Eine Mutter, der das Kind war ausgetauscht worden, bereitet Ganseier vor, trägt das Kind auf den Düngerhaufen hinaus, und als er essen will, schlägt sie ihn grausam mit einer Birkenrute. Als die Fee („boginka“ oder „mamuna“) ihr Kind weinen hörte, brachte sie das entführte Kind zurück. Es wurde da besonders bemerkt, dass man darauf sehen muss, dass die Fee aus Zorn nicht das Kind töte.

Eine andere polnische Sage aus der Umgebung von Pinczow[17] erzählt: Die unglückliche Mutter soll den Ofen ordentlich mit Birkenreis einheizen, die Stube mit Stroh belegen, den Wechselbalg auf eine Schaufel legen und machen, als ob sie ihn in den Ofen werfen wollte; indem kommt die erschreckte Fee (boginka), wirft auf das Stroh das entführte Kind und nimmt ihr Kind mit. Diese Sage ist enger verwandt mit der oben erwähnten ostböhmischen. Aehnlich in Holstein bei Karl Müllenhof, Sagen, Märchen, Lieder S. 314. Sonst lesen wir nur, dass die Leute den Wechselbalg los werden dadurch, dass sie ihn stark durchprügeln, so in verschiedenen Orten in Galizien[18] und in Russisch-Polen[19]; gleichfalls in [159] kleinrussischen Sagen, bei den Huzulen[20] und in der Ukrajina[21], mit einigen wenig bedeutenden Abweichungen und Zugaben: die Leute helfen sich mit geheimen Beschwörungsformeln, lassen das Kind eine Weile am Düngerhaufen und warten versteckt, bis der Teufel das gestohlene Kind zurückbringt, um sein Kind aus der Qual zu befreien. Die Fee („bohyna“) bringt das Kind manchmal nicht geprügelt, hübsch und rein zurück.

Daneben wurde in der Ukrujina noch eine andere Sage[22] aufgezeichnet, die wir auch bei den Deutschen vorfinden. Die Teufel wechselten ein Kind aus; die Mutter wusste nichts davon und pflegte es wie ihr eigenes. Das Kind wuchs gar nicht, obzwar es sehr viel ass. Endlich fingen sie an, an dem Kinde Hörner zu beobachten. Die Frau verlegte sich auf eifriges Beten, doch ohne Erfolg. Einmal, als sie von einer Wallfahrt heimkehrte, führte sie der Weg durch hohes Schilfrohr. Wie sie so längst des Dammes mit anderen Frauen ging, hörte sie aus dem Schilf eine Stimme: „Imberes! wo warst du?“ – „Bei einem Weibe“, antwortete das Kind. – „Was hast du dort gemacht?“ – „Gegessen und getrunken.“ Eine Pilgerin sagte nun der Frau, sie solle das Kind wegwerfen, es sei nicht das ihre. Als sie es wirklich that, fing es an zu pfeifen, zu tanzen und mit dem Wirbel das Schilf zu brechen.

Verwandt ist eine Sage der ungarischen Slovaken[23]: Gewisse Eltern gingen mit dem Wechselbalg um Ablass zum hl. Geist, am Wege wollten sie ausruhen bei einem Sumpfe. Da rief aus dem Sumpfe eine Kröte: „Quorsum, quorsum?“ Der Wechselbalg antwortete: „Ad sanctum spiritum.“ Der Vater wunderte sich sehr, dass das Kind zu Hause nicht ein Wort sprechen kann, und jetzt kann es sogar lateinisch, und [160] warf es in den Sumpf. Als er nach Hause zurückkehrte, fand er sein eigenes Kind.

Ganz ähnlich und offenbar verwandt sind einige deutsche Sagen, bei O. Schell, Bergische Sagen S. 351 No. 54; S. 458 No. 65, K. Müllenhof op. c. S. 314f. No. 426.

Von allen erinnert an die gewöhnliche westeuropäische Tradition noch eine weissrussische Sage aus dem Bezirk Wolkowysk, Gouvernement Grodno[24]: Eine Frau hatte schon drei Jahre einen Wechselbalg, der sprach nie, lag immer und war kalt wie ein Frosch. Die Frau fuhr zu einem Zauberer um Rat. Der riet ihr nun, in der Mitte der Stube Kienhölzer anzuhäufen, das Kind zu ihnen zu setzen und sie anzuzünden; durch ein Loch soll sie beobachten, was das Kind anfangen werde. Dann soll sie es auf den Hof hinaustragen und mit aller Kraft schlagen. Die Frau befolgte den Rat, sah, wie das Kind aufstand, beim Feuer sich wärmte und fortwährend murmelte: „A tie, tie, tie…“ Die Teufelin brachte der Frau ihre Tochter „schön wie eine Blume“ zurück; hatte ihr also nichts angethan.

Auffallend erhalten und den deutschen Sagen ähnlich ist die bei den ostpreussischen Litauern aufgezeichnete Version[25]: Eine Bäuerin erzog ein von der „laume“ unterschobenes Kind. Der Wechselbalg war schon zwölf Jahre alt, aber ebenso körperlich wie geistig schwach. Ein alter Bettler riet endlich der Frau, sie soll eine Schale so zubereiten, dass sie sie wie einen Kessel aufhängen könne, sie mit Wasser füllen und vor dem Kinde machen, als ob sie Bier kochen wollte; das Kind wird sprechen, bis es das sehen wird, aber auch bald sterben. Das Kind frug wirklich die Frau: „Mutter, was machst du da?“ Sie antwortete: „Kind, ich mache alus (Hausbier).“ Der Wechselbalg wunderte sich: „Erbarme dich, [161] Herr Gott! ich bin doch so alt, ich war schon auf der Welt, ehe der Wald in Kamschen gesetzt wurde, wo doch so grosse Bäume emporwuchsen und die sind schon lange da, aber solche Wunderdinge habe ich noch nie gesehen.“ Er sprach nichts weiter, sondern erkrankte und starb auch bald. Hier kam zum Ausdruck der litauische Aberglaube, dass ein Wechselbalg nie älter wird als zwölf, höchstens dreizehn Jahre.

Eigentümlich ist, dass diese Sage den Lausitzer Serben ganz unbekannt ist. Aufgezeichnet werden nur Sagen, dass sich die Leute vom Wechselbalg durch Prügeln befreien[26]. Freilich führt eine ähnliche Sage Edm. Veckenstedt aus einer Ortschaft des Spreewaldes an[27]. Nachdem aber diese Sammlung als sehr unzuverlässig betrachtet wird[28], wollen wir diese Sage nur unter Vorbehalt und der Vollständigkeit halber anführen. Die „Ludkis“ tauschten fremden Eltern das Kind aus. Das unterschobene Kind lag immer in der Wiege, es musste immer gefüttert werden, sprach nicht und ging nicht. Den Leuten ging das beste Essen verloren, wenn sie ausser Hause auf der Arbeit waren. Einmal wollten sie ausforschen, wer ihr Fleisch verzehrt. Sie versteckten sich unter das Fenster und schauten. Da sahen sie, wie das Kind die Wiege verliess, schnell zum Herde ging und das Fleisch aus dem Herde nahm. Da sagte nun die Frau zu ihrem Manne, dass sie schon längst ahnte, dass es nicht ein gewöhnliches Kind sei, und versuchen will, ob es sprechen könne. Sie kochte also den anderen Tag ein Stück Leder, und als die Leute sich wieder versteckten, kroch wieder der Wechselbalg aus der Wiege heraus, reichte mit der Hand in den Topf, und als es das Leder erblickte, sagte es: „Aha, heute giebt es Schuhsohlen.“ Sie wurden dessen aber nicht los, auch schlugen [162] sie ihn nicht. Diese Version ist sehr ähnlich der ostpreussischen Sage bei E. Lemke I 62f., gewiss näher verwandt mit derselben, doch verdorben. In dieser ostpreussischen Sage sagte der Wechselbalg gleich wie in diesem Sagenkreise überhaupt: „Ich bin schon so alt wie der Wald, aber nie habe ich gesehen, dass die Menschen Schuhe kochen.“ Die Frau prügelte dann den Wechselbalg mit Weidenruten, die Unterirdischen brachten ihr ihr Kind zurück, aber so geprügelt, dass es bald starb.

Die Idee von dem Austausche menschlicher Kinder von überirdischen Wesen scheint bei allen slavischen Völkern vorzukommen, wenigstens bei allen westslavischen und nordslavischen (russischen) Stämmen. Dem kleinrussischen Volksglauben gemäss wechselt die Bohyna ungetaufte Kinder aus[29]. Auch bei den Grossrussen treffen wir ähnliches, so im Gouvernement Jaroslaw[30]: Die Teufel rauben manchmal ungetaufte Kinder oder auch solche, die von ihren Eltern verwünscht werden. Aus ersteren werden dann Rusalken, Waldgeister (lêšije) u. a., die letzteren werden manchmal den Eltern zurückgegeben. Auf welche Weise erfahren wir leider nicht.

Jene eigentümliche Art und Weise mit den Eierschalen insbesonders kommt jedoch bloss in der čechoslavischen Volkstradition vor, weiter nach Osten finden wir nur mehr schwache Spuren, und zwar in zwei polnischen Sagen aus Galizien und in einer weissrussischen Sage aus dem Gouvernement Grodno, also nur ganz vereinzelt. Weiter nach Osten verliert sich jede, auch nur die geringste Spur. Wir können also gewiss annehmen, dass die deutsche Vorstellung vom Wechselbalg und die deutsche Tradition von dessen Beseitigung von dem čechoslavischen Volk, besonders in Mähren, übernommen wurde, weiter nach Osten drang sie jedoch nur sehr schwach durch. Daher ist noch diese Tradition unter die germanischen Elemente im slavischen Mythus und Brauch einzureihen.


  1. Český Lid IV 523f.
  2. B. M. Kulda, Moravské národní pohádky 1875 II 264f.
  3. M. Václavek, Valašské pohádky a pověsti 1894 S. 135.
  4. Národní písně, pohádky, pověsti etc. Slavie. Rady II odd. 2. Národní pohádky a pověsti S. 143f. N. 44.
  5. B. M. Kulda, Morav. nár. pohádky a pověsti III 75f. N. 9.
  6. Pavol Dobšinsky, Prostonárodnie obyčaje, povery a hry slovenské S. 115.
  7. Theodor Vernaleken, Mythen und Gebräuche des Volkes in Oesterreich S. 232f. No. 46.
  8. Irische Elfenmärchen. Uebersetzt von den Brüdern Grimm S. 35 N. 6. T. Crofton Croker, Fairy Legends and Traditions of the South of Ireland p. 55f.
  9. Popular Tales of the West Highlands orally collected … by the Late J. F. Campbell. New edition II 57 N. 28; ebenso auf der Insel Guernesey, Revue des trad. popul. III 162.
  10. Český Lid V 78.
  11. Ib. S. 235.
  12. Ib. VII 83.
  13. St. Ulanowska, Wśród ludu krakowskiego. Wisla I 71f.
  14. „Maus oder nicht Maus – Frosch oder nicht Frosch! – ein Frosch! Denn wenn es rund wäre, hätte es Flügelchen!“
  15. St. Cercha, Przebieczany, wieś w powiecie wielickim. Materyaly antropol.-archeol. i etnograf IV Abt. 2 S. 133.
  16. Seweryn Udziela Materyjaly etnograf. z miasta Ropczyc i okolicy. Zbiór wiadom. do antropol. krajowéj X Abt. 3 S. 111.
  17. Ks. Wlad. Siarkowski, Materyjaly do etnografii ludu polskiego z okolic Pinczowa. Zbiór wiad. do antropol. kraj. IX Abt. 3 S. 54.
  18. Kolberg Lud VII 45f. Stan. Ciszewski Lud rolniczo-górniczy z okolic Slawkowa w pow. Olkuskim 154f., J. Swietek Lud nadrabski 476.
  19. Wisla IV 100, Kolberg Lud XXI 146.
  20. Kolberg Pokucie III 100.
  21. P. Čubinskij, Trudy etnografičeskoj ekspedicii I 130, 195. Ant. Nowosielski Lud ukrainski II 160.
  22. P. Čubinskij cp. c. I 193f.
  23. P. Dobšinsky, Prostonárodnie obyčaje etc. S. 115.
  24. M. Federowski, Lud bialoruski I 37 N. 112.
  25. A. Schleicher, Lituanica. Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften, Philos.-histor. Kl. XI 104f.
  26. Adolf Černy, Mythiske bytosće lužiskich Serbow S. 173f.
  27. Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche S. 173f. N. 68.
  28. Adolf Černy op. c. S. 11.
  29. Zivaja Starina X 599.
  30. Etnografičeskoje Obozrênije LI 82.