Stillleben einer Dichterin der Jetztzeit

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Autor: Joseph Dessauer
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Titel: Stillleben einer Dichterin der Jetztzeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, 29, S. 299–302; 462–464
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch bei George Sand
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[299]
Stillleben einer Dichterin der Jetztzeit.
Von Joseph Dessauer.
1.

Ein heißer Augustmorgen des verflossenen Jahres war es, an dem wir drei Passagiere in das enge Coupé der von Orleans nach Châteauroux gehenden Diligence gepfercht wurden. Was ich in diesem qualvollen Zustande von der Gegend sah, war nicht geeignet, mich zu erheitern. Weite, unbebaute Felder, von Ulmen und Pappeln gradlinig durchzogen, – die letzteren noch dazu bis zu den Gipfeln ihrer Zweige beraubt – schlechte Bauernhütten und zuweilen ein dürftig gekleideter Mensch gaben ein trauriges Bild, durch das sich hügelauf, hügelab die unabsehbare Straße zog.

Etwa eine halbe Stunde vor dem Städtchen La Châtre liegt das Dorf Nohant und in ihm, dicht an der Heerstraße, das Haus der Sand, der auch in Deutschland hochverehrten, aber auch vielgeschmähten Dichterin, der größten Schriftstellerin unserer Tage. Allgemein und selbst auf den gedruckten Fahrtabellen der Eisenbahn wird es nur „le château de Mme. Sand“ genannt, ein Titel, der ihm allein schon durch den Vergleich mit seiner bescheidenen Umgebung unstreitig gebührt. Erst unweit dieses „Schlosses“ wird die Scenerie etwas anmuthiger und erfreulicher. Die Felder, auf denen nur Haidekrant und Ginster wuchsen, weichen mehr und mehr grünen Wiesen, dichte Wälder kleiner Eichen ziehen sich weit nach den blauen Bergen hin, die im Hintergrunde reizende Linien bilden. Nur Wasser vermißte ich; aber es fehlt nicht daran, denn die gelbe Indre fließt durch die Vallée noire, die hier beginnt. Auffallend sind die zahllosen Schafheerden, die, von flachsspinnenden jungen Mädchen gehütet, umher weiden. Unter ihnen mag G. Sand ihr Original zur petite Fadette, aus der die Birch-Pfeiffer ihre bekannte „Grille“ entlehnte, gefunden haben.

An einigen elenden Bauernhütten und einem erbärmlichen Schulhause vorüber gelangten wir endlich an den Garten des Schlosses, der hier an die Landstraße stößt und blos durch ein kleines Holzgitter von ihr getrennt ist. Das Gebäude selbst ist nur wenig sichtbar, doch von dem Garten her winken blühende Oleandersträuche und herrliche Exemplare uralter Bäume. Der Conducteur steigt ab, legt meinen Mantelsack auf die staubige Chaussee, ruft mit gewaltiger Stimme: „Henri! Henri!“ und jagt mit seinem Vehikel weiter. Da stehe ich nun, obschon ich einer ausdrücklichen Einladung der berühmten Frau nach ihrem Tusculum gefolgt bin, an der zugeschlossenen Gitterthür; Henri bleibt unsichtbar, er mag wohl noch schlafen; denn was schläft nicht Alles in Frankreich um acht Uhr Morgens! Da bleibt nichts übrig, als den Eingang wo anders zu suchen. Den schweren Mantelsack nachschleppend, biege ich um die Ecke und gelange auf einen freien Platz, in dessen Mitte sich eine halbverfallene Kirche und prachtvolle, hundertjährige Buchen und Ahornbäume erheben.

Zur Seite, dicht an dem Meierhofe, öffnet ein großes eisernes Gitter das Vorgärtchen des Schlosses. Endlich erscheint Henri, ein freundlicher Mann in blauer Blouse, einem Bauer nicht unähnlich. Er sagt mir, daß im Schlosse noch Alles schlafe und daß er eigentlich nicht wisse, was er mit mir anfangen solle. „Nun, so wecken Sie irgend Jemanden – hier haben Sie meine Legitimation.“ Ich gab ihm den Einladungsbrief seiner Gebieterin – „daraus werden Sie sehen, daß ich kein Vagabund bin.“ Ein zweiter Hausgenosse trat nun dazu; da aber, wie es schien, Beiden das Entziffern geschriebener Buchstaben nicht geläufig war, so verschwanden sie mit dem Briefe und ließen mich eine Zeit lang vor der Thür allein. Das hatte ich mir freilich nun Alles ganz anders [300] gedacht – aber warum verschwieg ich auch meine Ankunft? Ueberraschungen sind gewöhnlich mißlicher Natur. Nach einer Weile kamen die Boten und zwar freudigen Antlitzes zurück. Man öffnete mir Thüren und Thore, führte mich in ein niedliches Zimmer im ersten Stocke und trug mir im Namen des Herrn Manceau irgend eine Labung an. „Wer ist Herr Manceau?“ frug ich; „habt Ihr denn nicht mit Madame Sand gesprochen?“

„Die schläft noch fest,“ war die Antwort; „auch Mr. Manceau schlief, den haben wir aber geweckt. Da er alle Geschäfte des Hauses und der Wirthschaft besorgt, so mußten wir ihm ja Ihren Brief geben. Nun, Sie werden ihn schon beim Frühstück kennen lernen.“

Die liebe kleine Zelle, die mir angewiesen wurde, heimelte mich sogleich an. Alles darin war gar so wohnlich, und zum offenen Fenster drang der Duft blühender Clematis und das Girren der Turteltauben so lieblich herein! Ich warf mich in das reinliche Himmelbett und verträumte ein paar Stunden, bis die Glocke zum Frühstück rief. Das geschah um zehn Uhr – ich eilte in den Salon hinab, wo ich Maurice, den Sohn des Hauses, in einem Kreise mir fremder Leute fand. Er hieß mich freundlich willkommen und stellte mich den Anwesenden vor, unter anderen Herrn Manceau, der sich wegen der Schwierigkeiten entschuldigte, die mir gleich beim Eintritte in das Haus bereitet wurden. – Maurice Sand, den ich vor 21 Jahren als Jüngling verlassen hatte, war nun zum Manne herangereift. An seiner Seite saß sein liebes Weibchen, die Tochter des berühmten Kupferstechers Calamatta, die ihn erst vor wenigen Wochen mit einem Knäblein beschenkt hatte. Auf dem Antlitze der jungen Gatten ruhte der Friede einer glücklichen Ehe.

Schloß Nohant.

Maurice theilte mir mit, daß er die Malerei, seinen ursprünglichen Beruf, jetzt an den Nagel gehangen und ernste Wissenschaft zu seinem Lebenszwecke gemacht habe. Dabei treibe er Schriftstellerei, wozu er sich durch den glücklichen Erfolg von ein paar kleinen Werken aufgemuntert sehe. Nach einer Stunde bewegten Gesprächs trat die Herrin des Hauses, Madame Sand, rasch herein. Sin streckte mir mit unendlicher Freundlichkeit die Hände entgegen, hieß mich herzlich willkommen und fügte dann hinzu: „Armer Freund, Sie haben durch die Hände der Kerkermeister gehen müssen! Das war Ihre Schuld, warum haben Sie sich nicht vorher angekündigt?“ Ueberwältigt von der Freude des Wiedersehens und erstaunt über das so wenig veränderte Aussehen der Eintretenden, war ich kaum einer Antwort mächtig. Wie war es möglich, daß eine so lange Reihe von Jahren nicht stärkere Spuren auf Antlitz und Haltung zurückgelassen hatte! Das war noch dasselbe junonische, leuchtende Auge, die edel gebogene Nase, dasselbe volle Haar, das nur an den Schläfen ergraut war. Haben auch die nahen Sechziger manche Falte in das volle, südlich gefärbte Gesicht gezogen, so hat es, vorzüglich beim Sprechen, noch die fast jugendliche Frische und den heiteren Ausdruck der Vergangenheit. Das Organ ist unverändert, laut und klangvoll. Am meisten hat die Taille gelitten, die zwar früher auch nicht zu den schlankesten gehörte, jetzt aber die normale matronenhafte Stärke hatte. Die Toilette war ein einfaches Morgenkleid, darüber ein weißes Camisol, das Haar zur Seite geglättet, rückwärts in ein Netz von Chenille geschlagen, was dem Kopfe etwas Imposantes, Antikes verlieh.

Ich gebe diese Details zumeist meinen Leserinnen zu Liebe, denen ich auch die tröstliche Nachricht mittheilen kann, daß Mad. Sand eine Crinoline, wenngleich nur eine äußerst bescheidene, trägt. Weniger lobenswerth werden sie es finden, daß die Dichterin noch immer ihre kleinen Papiercigaretten raucht, die ihr Manceau schachtelweise liefern muß.

Die herrliche Wirthin war so guter Laune, so geschwätzig, wußte noch so manches Heitere zu erzählen, was wir im Freundeskreise vor mehr als zwanzig Jahren erlebt hatten, daß ich über die Kraft ihres Gedächtnisses staunen mußte. Es ist ein charakteristischer Zug dieser so groß angelegten Natur, für das Komische, selbst wenn es zum Kindischen wird, so frischen Sinn zu haben. Wie herzlich lacht die Frau nicht bei Veranlassungen und Worten, die gewöhnlich nur Kinder belustigen! – Plötzlich verlangte sie nach ihrem Enkelchen, das nun sogleich hereingebracht wurde. In wahrem Entzücken fiel sie darüber her, küßte dem Kleinen Händchen und Füßchen, nannte es ein über das andere Mal „notre Empereur“ und stellte ihn mir endlich mit hochtragischer Miene und den Worten vor: „Er heißt Marc Antonius. Kommen Sie in den Garten, meine Freunde, um das Kind anzubeten, es ist die Stunde dazu!“

[301] Behutsam nimmt sie den Kleinen aus den Armen der Mutter und trägt ihn triumphirend in den Garten hinaus. Dort, unter hohen schattigen Bäumen, versammelt sich jeden Vormittag die Gesellschaft und bleibt, trotz Hitze und stechender Insecten, bis ein Uhr zusammen. Die zärtliche Großmutter kann sich nicht entschließen, das Kind von ihrem Schooße zu geben, erzählt ihm jetzt schon allerlei Geschichten und behauptet steif und fest, es nehme bereits Antheil an der Außenwelt. Dabei unterstützt sie der sarkastische Manceau, indem er versichert, der Kleine wisse jetzt schon eine Cotelette von einer Nachthaube zu unterscheiden.

Je derber derlei Witze ausfallen, desto mehr lacht die gute Großmutter, die, wie es scheint, in diesen wenigen Vormittagsstunden ihren Geist blos erheitern lassen will, sei das Mittel dazu auch noch so unbedeutend. Um ein Uhr erhob sie sich mit den Worten: „Kinder, es ist Zeit zu arbeiten,“ küßte den Kleinen noch ein Dutzend Mal, übergab ihn der Mutter und zog sich in das Haus zurück.

George Sand.
Nach einer Photographie jüngster Zeit.

„Arbeitet denn Ihre Mutter jetzt bei Tage?“ frug ich Maurice; denn aus früheren Zeiten wußte ich, daß nur die Nächte dazu verwendet wurden.

„Nur einige Stunden,“ war die Antwort, „aber die Hauptarbeit geschieht doch während der Nächte. Die gute Mutter schreibt unausgesetzt von elf Uhr Nachts bis vier Uhr Morgens; oft noch etwas länger. Um ein Uhr nach Mitternacht nimmt sie etwas Speise zu sich. Zum Schlafe genügen ihr wenige Stunden, Sie haben gesehen, daß sie heute schon um elf Uhr unter uns saß, und da hatte sie ihr Frühstück bereits auf ihrem Zimmer eingenommen.“

Nun wußte Jeder irgend etwas Charakteristisches und Lobendes zu erzählen: als das größte Lob aber erschien mir die Begeisterung, mit der die junge Schwiegertochter von ihr, als der besten aller Mütter, sprach. – Darauf bat ich Maurice, mich ein Bischen im Hause herumzuführen. Hier das ziemlich genaue Bild davon.

Ueber einige Stufen, die ein dichter, blühender Bogen von Clematis umlaubt, gelangt man aus dem Garten in den luftigen Speisesaal, dem zur Linken der eigentliche Salon und zur Rechten die Zimmer des Sohnes und seiner Familie sich anschließen. Alles ist in großartigem, aristokratischem Style angelegt und mit Comfort, wenngleich nicht mit Luxus, meublirt. In der Mitte des Salons steht ein langer Tisch, um den sich Abends bei dem Scheine einer einzigen, noch dazu beschirmten Lampe die ganze Gesellschaft schaart. Ein Pianino, ein paar antiker Kasten mit vielerlei Raritäten, ein zierlicher Kamin, mit dem eleganten Zubehör, und altfränkische Meubles garniren die Wände. An den Tapeten hängen Bilder aller Art: Portraits und Genrebilder, historische Gemälde und Aquarellveduten. Von den Portraits fielen mir drei am meisten auf: das Bildniß des Marschalls von Sachsen (des eigentlichen Ahnherrn der Sand), das Bild der schönen Gräfin Königsmark und jenes ihres eigenen Vaters, in Husarenuniform. Nie sah ich ein edleres Antlitz und geistreichere Augen, die an Größe und Glanz nur mit denen der Tochter zu vergleichen sind.

Eine breite, gebogene Stiege, auf der die Büste der Malibran steht, führte in den ersten Stock, zu zwei rechts und links laufenden Corridoren. An beiden Seiten derselben liegen die Schlaf- und Fremdenzimmer, mit der Aussicht theils nach dem Garten, theils in den Vorhof, den ein großes Gebüsch in der Mitte ziert An diese Fronte sind kleine, mit Thürmchen versehene Vorsprünge gebaut, ebenfalls bewohnbar, und dem Ganzen eine Art feudalen Charakters gebend. In aller diesen Gemächern herrschen die größte Ordnung und Reinlichkeit. Die Zimmer der Hausfrau gehen nach dem Garten, doch war jetzt nicht die Zeit, sie in Augenschein zu nehmen. Dafür traten wir bei Manceau ein. Es sah bunt und originell aus in seiner Clause. An den Wänden Gypse, Bilder, Skizzen aller Art, algier’sche Waffen, chinesische Mützen, trockene Blumenkränze, kurz ein artistisches Untereinander. Er selbst saß an einer Blende und war in einer Arbeit vertieft. Jetzt erst sollte ich erfahren, daß er ein Kupferstecher, und zwar einer der hervorragenden in Frankreich ist. Aber mit welcher Selbstironie zeigte er uns seine Arbeit!

„Sehen Sie,“ sprach er, „das freut mich Alles wenig, aber wenn ich Literatur treibe und mir einbilde, ein Schriftsteller zu sein, bin ich im Paradiese.“

„Was? Sie schriftstellern auch?“

„Nun, in den Jahren, die ich jetzt hier bin, habe ich schon Etwas lernen können. Sehen Sie, ich bin mit der Idee hergekommen, acht Tage zu bleiben, und bin jetzt dreizehn Jahre hier. Und so wie mir ist es noch Jemandem gegangen, der ebenfalls für ein paar Tage kam und den man Jahre lang nicht fortkriegte.“

„Das ist wahr,“ sagte Maurice, „aber es geschah zu unserm allerseitigen Behagen.“

Manceau gebot plötzlich Stillschweigen, denn Madame, die nicht weit von uns arbeite, könne uns hören. Wir trennten uns, und ich suchte mein Bett auf; die schlaflose Nacht lag noch wie Blei in meinen Gliedern. Nach wenigen Stunden süßen Schlafes weckte mich das Bellen des Haushundes und das Vorfahren [302] einer Kutsche. Es war 4 Uhr Nachmittags, und Madame Sand fuhr zur Indre, in’s kalte Bad. Nach einer starken halben Stunde kehrte sie in’s Schloß zurück. Hier wurden bereits Anstalten zum Diner gemacht. Es sollte im Garten, auf dem freien Platze servirt werden, den man beim Herabsteigen aus dem ersten Salon betritt. Die Tafel stand, anmuthig gedeckt, unter einem duftenden Bogen von Clematis. Um sechs Uhr kamen die Damen in frischer, leichter Sommertoilette herab.

Madame Sand, weit entfernt darin irgend einen Luxus zur Schau zu tragen, weiß doch jederzeit elegant, einfach und ihrem Alter angemessen zu erscheinen. Sie giebt selbst den Schnitt und die Verzierung ihrer Kleider an, die immer nur geringen Aufwand erfordern. Das Haar trug sie wie am Morgen, doch diesmal in einem etwas reicheren, dunkelrothen Netze und um die Stirn einen Epheuzweig. Bei einer anderen Matrone hätte das ein bischen prätentiös ausgesehen, aber bei dieser anspruchslosen, ursprünglichen Natur erscheint alles ungesucht. Wahrscheinlich hatte das liebe Schwiegertöchterchen die angebetete Mutter bekränzt.

Das Diner war aufgetragen. Wir nahmen unsere Plätze ein und machten ihm Ehre, denn die Wahl der Speisen und ihre Zubereitung waren auf gleicher Höhe. Doch die sorgsame Hausfrau blieb mehr Zuschauerin als Mitwirkende. Ein großes, schlankes Mädchen bediente uns; es war mir schon des Morgens beim Frühstück aufgefallen. Marie, so hieß es, hatte eines jener feinen, echt französischen Gesichtchen, das, von einem niedlichen Bauernhäubchen eingerahmt, an die bekannte Chocoladiere in der Dresdner Gallerie erinnert. Ihr übriger Anzug war städtisch, doch gab die Schürze, die über das ganze Kleid herabfiel, dem Ganzen einen fast klösterlichen Charakter. Hinter ihr her humpelte ein zweiter dienender Geist, ebenfalls ein Mädchen, das nun freilich in Gestalt und Art mit der graziösen Marie bedeutend contrastirte. Als ich Madame Sand mein Wohlgefallen an dem ländlichen Ariel äußerte, theilte sie mir Folgendes mit: „Marie, die Tochter eines Bauern, ist unter meinen Augen aufgewachsen, hat mancherlei gelernt und ist ein entschiedenes Bühnen-Talent. Sie spielt gewöhnlich die Hauptrollen in den Stücken, die ich für mein Haustheater schreibe, und übertrifft an Wahrheit und natürlicher Grazie alle ihre Rivalinnen. Wie schade, daß Sie das Mädchen nicht auf den Bretern sehen können! Sie wären gewiß derselben Meinung.“

Da das Thema des Theaters angeschlagen war, so frug ich sie, ob sie von der Bearbeitung ihrer Fadette für die deutsche Bühne etwas wisse. Sie verneinte es, freute sich aber sehr, als ich sie von dem Erfolge der „Grille“ unterrichtete.

„Ja, Marie ist ein entschiedenes Genie für’s Theater,“ fiel Manceau ein; „wir sind übrigens alle Kraftgenies und Tausendkünstler, die wir in der Atmosphäre von G. Sand leben, von père Matthieu angefangen. In diesem verzauberten Schlosse geschieht Alles durch die Hände seiner Bewohner. Der Nagel, der in die Wand geschlagen wird, und das Bild, das daran hängt, sind Werke unserer eigenen Geschicklichkeit. So ist der junge Mann, der Ihnen heute Morgens bald die Thür vor der Nase zugeschlagen hätte, unser Tapezierer, Vergolder, Theaterschneider, Decorateur und zur Noth dramatischer Künstler selbst. Mit père Matthieu hat es aber eine eigene Bewandtniß. Der ist blos Zimmermann, hat sich aber zum Haustischler emporgeschwungen. Jeden Monat macht er schweigend die Runde im Schlosse, untersucht die Möbel, Fensterrahmen und sonstiges Holzwerk, die schadhaften Stücke werden mitgenommen und reparirt; findet er aber, daß irgendwo ein Tisch oder ein Kasten am Platze wäre, so macht er sie neu, so gut es eben geht, und stellt sie, immer schweigend, hin. Ende jeden Monates bringt er seine Rechnung, läßt sie sich zahlen und geht, ohne den Mund geöffnet zu haben, fort. Nun, das wäre Alles noch in der Ordnung. Was sagen Sie aber dazu, daß er blos seinem Willen folgt? Wehe Ihnen, verlangen Sie irgend ein Möbel oder eine Reparatur von ihm, er giebt Ihnen kein Gehör; Sie bleiben so lange auf Ihrem zerbrochenen Stuhle, an Ihrem wackligen Tische sitzen, bis er selbst einmal es für gut findet, die Patienten in die Cur zu nehmen.“

„Und ein solches Original behalten Sie?“ frug ich die Sand.

„Was ist zu thun?“ antwortete sie. „Der Mann ist über siebzig Jahre und hat mich zur Welt kommen sehen. Kann man dem zürnen? Im Gegentheil – mich amüsirt sein Treiben.“ Die Tafel war unter Lachen aufgehoben, und schnell wurden hölzerne Kugeln herbeigebracht, mit denen man ein Spiel im Freien begann.

Ich begnügte mich mit dem Zusehen, staunte aber über die Geschicklichkeit der Sand, die fast immer am glücklichsten und sichersten warf. Das hereinbrechende Dunkel machte der Sache ein Ende. Die Lampe im Salon brannte bereits, und die Gesellschaft ließ sich in lautem Gespräch um den langen Tisch nieder. Madame Sand zog Spielkarten hervor und begann eine Patience. „Sehen Sie, lieber Freund, dieses Spiel treibe ich nun über 30 Jahre und lege noch dazu immer die nämliche Patience – freilich habe ich eine Menge Finessen dazu erfunden. Aber Sie können etwas Besseres spielen, als das – öffnen Sie das Pianino, ich lechze nach Musik, nach Mozart, Beethoven, Weber – nur ja keine Zeit verloren, wir sind ein andächtiges Publicum.“

„Don Juan! Don Juan!“ schrie man von allen Seiten. Ich mußte mich zum Clavier setzen und spielte so ziemlich die ganze Oper unter Jubeln und Jauchzen meines Auditoriums.

„Und jetzt den Freischütz!“ rief die Sand, die längst die Patience bei Seite geschoben hatte und deren Augen leuchteten. –

„Nun genug für heute, mein alter Freund,“ sprach die liebenswürdige Hausfrau, als der letzte von Weber’s süßen Klängen verhallt war; „Sie bedürfen der Ruhe. Mögen Ihnen die Schatten Mozarts und Weber’s Rosenblätter auf das Lager streuen! Oder ohne Poesie: schlafen Sie süß, bis in den hohen Tag hinein!“

Alles ging auseinander und Jeder suchte sein Zimmer auf.

Gewöhnt, am frühen Morgen aufzustehen, verließ ich mein Lager, als noch Alles im Haust fest schlief. Die Hitze war erträglich, und so konnte ich die Partien des Gartens aufsuchen, die uns in späteren Stunden der „angenagelte Sonnenschein“ (um mit dem uns unlängst entrissenen Hebbel zu sprechen) unnahbar machte. Ich betrat den Blumengarten, der dieses Jahr wohl gelitten hatte, aber noch immer des Schönen vielerlei bot.

„Ich mache Ihnen mein Compliment,“ redete ich den Gärtner an, „daß Sie bei dieser afrikanischen Hitze so Schönes und Mannigfaltiges geleistet haben.“

„Unsere Dame liebt die Blumen leidenschaftlich,“ erwiderte er, „ist selbst eine tüchtige Botanikerin und hütet ihre Pflanzen wie die Kinder.“

„Also daher mag es wohl kommen, daß ich keine Bouquets und Blumentische im Hause entdeckte?“

„Sie würde böse werden, wollte ich die Zimmer damit versorgen. Das blüht und verblüht an seinem Orte und seiner Stelle. Doch nun sehen Sie sich auch den Küchengarten und unsere Obstbäume an. Alles, was nur das Haus davon bedarf, wird da gezogen.“ Und da mußte ich von Kohlstaude zu Rübe, von Aprikose zu Pfirsiche wandern, bis wir endlich an ein kleines Wäldchen kamen, das Mad. Sand, wie ich später erfuhr, ihr „petit Trianon“ nennt. Kaum giebt es auf Erden ein anmuthigeres Bosquet, als dieses. Man ließ es wild heranwachsen und zog nur schmale Wege durch, die mit feinem Kies belegt sind. Den Boden bedeckt dichter Waldepheu; er umspinnt die Bäume und fällt an hundert Orten malerisch von ihnen herunter. Man glaubt in einem Urwalde zu sein, denn kein Strahl der Sonne erhellt dieses Gewirr von Baum und Schlingpflanze. Aller Augenblicke wird das Auge von irgend einem mit Geschmack, aber höchst einfach ausgeführten besonderen Gegenstande überrascht. Da giebt es enorme Lehnstühle, zu denen sich die Zweige und Stämme der Bäume hergeben mußten, kleine Brücken führen über ein Bächlein, das diese Wildniß durchzieht; plötzlich bildet es ein niedliches Becken, das von Farren und blauem Agapanthus eingerahmt und mit blühenden Nymphäen bedeckt ist. Hier ladet ein einfacher Kiosk, dort eine Eremitage zum Ausruhen ein.

„Sehen Sie,“ sagte der Gärtner, „diese abscheuliche Einsiedelei hätte uns vor einigen Jahren bald unsere gute Frau geraubt. Sie saß da lange, lange, bis in die Nacht hinein, wahrscheinlich um zu dichten, und als sie in’s Schloß zurückkam, war sie todtenbleich, hatte das Fieber und verfiel sogleich in schreckliche Phantasien. Der Arzt von La Châtre erklärte den Zustand für höchst gefährlich, man schrieb um drei der größten Aerzte nach Paris – doch als die kamen, – und das geschah wunderbar schnell – war das Fieber verschwunden und Madame auf dem Wege der Besserung. Ja, die hat eine starke Natur, und Gott wird sie uns gewiß noch lange erhalten! Aber die Folgen der Krankheit dauerten lange, und ich glaube, sie ist noch immer etwas leidend davon, nur gesteht sie es nicht, wenn man sie fragt. Sie ist dann nur immer etwas ernster.“

[462]
Zweiter Tag.
I.
George Sand als Großmutter. – Ihre Seelenwanderungsphantasie und ihre Sehnsucht nach Deutschland. – George Sand’s materielle Erfolge. – Die fröhliche französische Schauspielerin. – George Sand im Provinztheater. – Das Local ihrer Hausbühne.

Heute ging es beim Frühstück lärmend zu. Calamatta, der Vater der jungen Frau, war angekommen. Die Erscheinung des berühmten Kupferstechers, von dem ein meisterhaft gestochenes Bild der Sand aus jüngeren Jahren existirt, macht einen imposanten Eindruck. Man glaubt einen italienischen Maler aus der Medicäerzeit zu sehen.

„Wir bekommen heute noch einen Gast,“ begann Madame Lambert, sich zu mir wendend, „ein liebes, junges Mädchen, das zufälliger Weise meinen Namen führt. Mlle. Adele Lambert ist Schauspielerin und bringt gewöhnlich ihre Ferien bei Mad. Sand zu. Das artige Kind ist überselig, wenn es hier ist; denn es lebt sonst in kargen Verhältnissen.“

„Da bekommen wir vielleicht auch eine theatralische Vorstellung?“

„Das glaube ich nicht, denn Mad. Sand hat noch nichts Neues geschrieben; aber ich habe etwas von einem Marionetten-Theater munkeln hören, das man Ihnen zu Ehren in Bewegung setzen wird. Mein Mann und Maurice sind die glücklichen Dichter, die stets unter dem Enthusiasmus des Publicums Stücke dafür schreiben. Lassen Sie sich überraschen.“

Ich versprach es, obgleich ich mir vorgenommen hatte, am andern Tage abzureisen. Jetzt trat Mad. Sand ein, setzte sich zu uns und erquickte sich an dem strahlenden Gesichte ihrer Schwiegertochter, die nun Alles, was sie liebte, um sich hatte. Wie am vorigen Tage, ward das Kind hereingebracht, das sich diesmal gefallen lassen mußte, fortwährend auf den Armen der Großmutter und des Großvaters herumzuspazieren. Wie am vorigen Tage auch bewegte sich die Gesellschaft in den Garten, und Mad. Sand benutzte das lebhafte Gespräch, um sich ganz allein in den Besitz ihres angebeteten Empereur zu setzen.

Sich plötzlich zu mir wendend, begann sie: „Sehen Sie, das Glück, ein Enkelchen auf Ihrem Schooße zu wiegen, hätte Sie nicht zum Hypochonder werden lassen. Man weiß nicht, was man zuerst an so einem Wesen bewundern soll. Diese Augen – sehen Sie nur!“

„Ich sehe recht gut, daß diese Augen schön sind, aber auch gern schlafen möchten und vor lauter Zärtlichkeit der Großmama nicht dazu kommen können.“

„Sie irren; – so ein Junge läßt sich nichts verbieten; der ist ein kleiner Hercules.“

„Vielleicht wird er’s einmal! Sie glauben ja ohnedies an eine Seelenwanderung. Erinnern Sie sich noch, wie Sie uns vor Jahren mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt erzählten, daß Sie in einer früheren Existenz Essenkehrerjunge waren und Ihrem savoyardischen Papa schreiend durch die Gassen von Paris nachgingen?“

Sie lachte herzlich. „Und Sie, deutscher Mann, finden derlei wache Träume absurd?“

„Ach, wir sind sehr realistisch geworden, und wenn Sie unsere neueren Physiologen und Philosophen, einen Moleschott, einen Schopenhauer kennten, Sie wären es vielleicht auch.“

„Ich kenne die Werke Eurer Denker, wenngleich nur im Auszuge, selbst Euren großen Kant. Doch das Gefühl hat seine Berechnungen, wie die Mathematik, und diese sind ebenso richtig.“

Und nun begann eine Philosophie des Herzens, die mit so vieler Ueberzeugung gegeben wurde, daß man ihr zuhorchte, wie den Worten des Propheten.

„Poet, Prophet! sagt unser großer Dichter, und ich wünschte, er hätte diesmal auch bei Ihnen Recht, theure Freundin. Mit dieser festen Ueberzeugung, daß das Ideal ewig in uns fortlebt und stets zu höherer Ausbildung gelangt, kann man ruhig leben und sterben.“

„Das Eine thue ich auch und das Andere werde ich hoffentlich dereinst. Aber vorläufig habe ich noch einen warmen Wunsch: ein paar Jahre in Deutschland zu leben.“

„Wie? Das wollten Sie?“

„Ich sehne mich darnach seit lange.“

„Kommen Sie, Geehrteste! Sie würden bei uns große Triumphe feiern.“

„Die sind’s wahrlich nicht, die mich hinzögen, denn ich bin eine schüchterne Natur und fliehe alle Huldigungen, wo ich kann, aber ich suche bessere, einfachere Menschen, als sie jetzt unser Frankreich bietet.“

„Nun, mit der Einfachheit ist’s bei uns auch nicht mehr weit her. Wir haben viel von Euch gelernt.“ – Das Gespräch nahm eine andere Wendung. Wir kamen auf das Capitel der Geselligkeit und des vielleicht zu weit getriebenen Bedürfnisses danach.

„Sie selbst, Beste,“ sagte ich, „leben umgeben von einer Art von Hofstaat. Ich dachte Sie mir in completer Einsamkeit, als ich hörte, Sie hätten Paris für immer verlassen.“

„Was Sie jetzt bei mir finden, ist auch nur ein kleiner Kreis der Intimen, die ihre Ferien bei mir zubringen. Die meiste Zeit hindurch bin ich allein und nur von meiner Familie umgeben. Wie könnte ich mich auch sonst mit meinem Einkommen vernünftig und ohne Schulden gebaren?“

„Nun, ich denke wohl, daß Sie Ihr Pfund auch finanziell bedeutend verwerthet haben.“

„Ja, verdient habe ich wohl mit meiner Feder über eine Million, aber mit dem Capitalisiren ging’s immer schlecht.“

„Das gute Herz mit seiner Philosophie,“ erwiderte ich, „ich kann mir’s denken, das hat nach allen Seiten gespendet. Dafür wird es auch von den Armen angebetet wie das Herz einer Heiligen.“

„Sie irren,“ sagte sie lächelnd, „meine Armen hier zu Lande nehmen auf eine eigene Art, die ihr Gewissen beschwichtigt. Ihr Satz lautet: ‚Warum sollten wir uns nicht beschenken lassen, da es ihnen Freude macht?‘ Aber ich plaudere da mit Ihnen, und sollte schon bei der Arbeit sitzen.“

„Haben Sie denn gar so viel zu schreiben? Sie werden sich noch um Ihre Gesundheit bringen.“

„Es geht nicht anders. Drei Bände jährlich meinem Verleger zu liefern, habe ich mich contractlich verpflichtet. Dazu kommen noch Feuilletons, Kritiken und andere Tagesarbeiten.“

„Wo Sie nur immer Stoff zu Ihren Romanen hernehmen?“

„Nun, daran fehlt es nie, man muß nur Aug’ und Ohr an rechten Orten öffnen. Beinahe jeder Mensch liefert mir unwillkürlich etwas, das ich benutzen kann. Sie selbst, mein Freund, haben mir erst gestern einen kleinen, Ihnen eigenthümlichen Charakterzug mitgetheilt. Wollen Sie, daß ich Sie zur Hauptperson einer Erzählung mache?“

[463] „Nein, um Gotteswillen, ich danke für alle Illustrationen, die meine Person angehen, selbst wenn Ihre Feder sie zeichnet.“

Meine Angst belustigte sie; aber das Gespräch war zu Ende, denn „meine Arbeit! meine Arbeit!“ rief sie, sich erhebend, legte das Kind in die Arme des Großvaters, sagte uns ein freundliches Adieu, mes amis!“ und eilte in das Haus zurück. – Mittlerweile war ich mit Maurice nach dessen Atelier gegangen – er malte ja immer noch im Stillen – und ließ mir die reichen Schätze seiner Skizzenbücher zeigen. Das war ein wahrer Hochgenuß, denn selten wird man Skizzen dieser Art mit so künstlerischer Hand entworfen finden. Plötzlich trat Madame Sand, ihre Papiercigarette rauchend, ein.

„Legt jetzt Euere Zeichenbücher bei Seite,“ sprach sie eilig, „und folgt mir. Mlle. Lambert kommt brühwarm aus Paris; wir wollen sie willkommen heißen.“

Wir gingen in den Salon hinab. Da war’s lebendiger, als je. Die Damen schwatzten um die Wette, und das kleine, zierliche Wesen, das noch in Reisekleidern dastand, wurde auf das Ungestümste umarmt.

„Bin ich glücklich, wieder einmal die Luft von Nohant einzuathmen und Ihre lieben Hände zu küssen, beste Madame Sand!“

So jubelte die Kleine, und sprang wie toll im Zimmer umher. Die schwarzen Augen leuchteten dabei, wie Glühwürmchen, und das dunkle Haar flog wild um Stirn und Nacken.

Madame Sand beschwichtigte das närrische, hübsche Kind, indem sie es bei der Hand nahm und mich ihm mit aller Gravität vorstellte.

„Adele, wir haben unserem alten Freunde schon manches Hübsche von Dir erzählt, nimm Dich also zusammen und lasse Dir ein Bischen von ihm den Hof machen.“

„Armes Fräulein,“ sprach ich lachend, „der Winter, der dem Frühling den Hof machen soll, der würde hübsch ankommen! Aber wenn Sie einen Großpapa brauchen?“ Ich hatte kaum das Wort ausgesprochen, so standen auch schon Thränen in Adelen’s Augen. Sie entfernte sich langsam und schweigend.

„Das arme Kind hat den Großvater wirklich vor Kurzem verloren,“ sagte mir die Sand, „und steht nun ohne männliche Stütze da, die kranke Mutter mit einer unbedeutenden Gage ernährend. Lassen wir sie ein bischen weinen; es wird gleich wieder Sonnenschein kommen.“

Und so war’s auch. Adele erblickte Manceau, machte ihm eine tiefe, ceremoniöse Verbeugung, lachte ihm plötzlich in’s Gesicht und zog ihn tanzend in den Garten hinaus.

„Hab’ ich’s Ihnen nicht gesagt?“ begann die Sand. „Es ist ein tolles Ding, aber von vortrefflichem Gemüth und unbescholtener Sittlichkeit. Wenn sie mit Manceau zusammen ist, so giebt’s ein wahres Kreuzfeuer von Invectiven.“

Es schlug vier Uhr auf der großen Pendule, und die Sand lud die Damen zum Besuche der Indre ein.

Um sechs Uhr war, wie immer, das Diner aufgetragen. Marie stand, der lieblichste aller Kammerdiener, mit der Serviette unter dem Arme, am Credenztisch. Adele tollte, Manceau neckte, kurz Alles war rosenrothen Humors; da betrat Mme. Sand mit ernster Miene das Zimmer. Sie winkte mich an ihre Seite, war und blieb aber wortkarg. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck physischen Leidens.

„Sie scheinen plötzlich unwohl, verehrte Freundin?“ redete ich sie an. „Das kalte Wasser hat diesmal seine Schuldigkeit nicht gethan?“

„Sie irren,“ antwortete sie, „es ist nichts, gar nichts!“

Ich dachte der Worte des Gärtners und war mehr als früher überzeugt, daß sie leide, aber es nicht eingestehen wolle. Daß dieser Wechsel des Befindens so schnell eintreten könne, dachte ich mir unmöglich. Sie nahm außer der Suppe und einem Bischen ihres Lieblingsgerichtes auch nicht das Geringste zu sich, verrichtete aber das mühsame Amt des Austheilens mit gewohnter Accuratesse.

Das Gespräch wollte nicht recht vorwärts. Wir kamen auf allerhand Trübes zu sprechen, so auch auf Delacroix, den ich sterbend in Paris verlassen hatte.

Adelen war es vorbehalten, den ernsten Geist zu bannen, der heute die Gesellschaft beschlichen hatte. Zu den Füßen der Sand gekauert, erzählte sie ihr nach Tische eine Unzahl niedlicher, heiterer Geschichten. Am Abende gelang es noch den fröhlichen und frischen Melodien des Barbiers von Sevilla den letzten Rest von Ernst, der auf der Stirn der Hausfrau lag, zu zerstreuen. Diesmal übernahm auch Madame Maurice einen Theil der musikalischen Produktionen. Sie sang mit wohlklingender Stimme neapolitanische Liedchen. Adele brachte den kleinen Marc Antoine jubelnd herein, damit er ebenfalls die Mama bewundern möge.

Der folgende Tag war ein Sonntag, doch wie verschieden war er von den unsern, die das Gepräge der Festlichkeit auf alle Menschen zu drücken scheinen! Nur die Natur hatte ein Feiertagsgesicht und -Kleid. Es hatte bei Nacht ein wenig geregnet, und somit war der häßliche Staub weggeschwemmt, der auf Baum und Wiese lag. Ein großes Ereigniß stand für den Abend auf dem Repertoir. Im nahen La Châtre wurde Theater gespielt. Madame Sand besucht es jedesmal und lud mich ein, sie dahin zu begleiten.

„Amüsirt Sie denn so ein Provinztheater?“ frug ich sie ganz erstaunt und die Einladung höflich ausschlagend.

„Mein Gott, nicht im Geringsten; die Leute spielen sehr mittelmäßig, und noch dazu ist die Hitze dort fast tödtend – aber was wollen Sie? ich habe nicht den Muth, meine Visite abzulehnen.“

Madame Lambert vertraute mir aber, sie thue es blos, um den armen Schauspielern eine gute Einnahme zu verschaffen.

„Man weiß in La Châtre,“ setzte sie hinzu, „daß Mad. Sand des Sonntags in’s Theater kommt. Alles will sie sehen, Alles drängt hin, macht ihr förmlich Spalier. Der Zweck ist erreicht, die Casse wird voll, wenngleich das arme Opfer von acht Uhr bis Mitternacht dasitzen und buchstäblich gute Miene zum bösen Spiele machen muß.“

Um sieben Uhr Abends fuhr die Kutsche vor. Diesmal war’s nicht das lustige Wägelchen, an dem ein einziges Pferd oft ein halb Dutzend Passagiere weiter ziehen mußte. Der Wagen hatte ein stattliches, antikes Ansehen und ein geräumiges Interieur.

Nach einer halben Stunde kamen die Damen in großer Toilette herab. Auch Marie mußte einsteigen. Sie war unter ihrer blendenden Cornette hübscher als je und freute sich wie ein Kind auf die Vorstellung. Sylvain, der Bruder Henri’s und, wie dieser, seit Jahren im Hause, hieb in die Pferde ein, und die Carosse rumpelte zum Thore hinaus.

„Heute Abend müssen wir uns schon auf unsere eigene Faust amüsiren, lieber Freund,“ sagte Maurice, sich zu mir wendend.

„Aber Sie haben jedenfalls gut gethan, nicht mitzufahren, denn die Sache ist erbärmlich und meine Mutter kommt immer halb todt gelangweilt zurück.“

Wir gingen in den Salon, trieben tolles Zeug, machten Musik und zogen uns etwas früher zurück, da Maurice an die Composition des Stückes gehen wollte, das morgen Abend von den Marionetten dargestellt werden sollte. – „O, Sie vernünftiger Großpapa, der Sie gestern zu Hause blieben!“ rief mir des andern Morgens Adele entgegen. „Das war ein Theater! Wenn wir so spielten!“ setzte sie sich in die Brust werfend hinzu. „Man gab uns den alten ‚Gamin de Paris‘ und dazu noch einige Stücke. Mad. Sand hatte die größte Mühe, den Schlaf zu bekämpfen; aber sie nickte nur so manchmal ein, denn sie wußte, daß Aller Augen auf sie gerichtet waren!“

Mich darauf zu Maurice wendend, frug ich, wie lange er in voriger Nacht gearbeitet habe. „Bis zwei Uhr,“ erwiderte er. „Das Scenarium ist fertig; an uns ist’s jetzt, unser Publicum durch einen geistreichen Dialog zu unterhalten. Aber viel Geist müssen wir entwickeln, denn das Drama hat drei Acte.“

Madame Sand kam dazu und forderte mich auf, einstweilen das Local in Augenschein zu nehmen. „Ich zeige Ihnen dabei unser Haustheater,“ sagte sie und führte mich fort. Wir gingen durch einen schmalen Corridor zu ebener Erde und traten in einen ziemlich beschränkten Raum, dessen Haupteingang gegen den Garten lag.

„Das ist unser Parterre,“ begann sie, „es faßt etwa sechszig Personen.“

Ein nett gemalter Vorhang verdeckte die Bühne. Er wurde aufgezogen und ich war von der angenehmen Größe derselben und der vortrefflichen Dekoration, die ein Glashaus vorstellte, frappirt.

„Jetzt kommen Sie einmal auf’s Podium und sehen Sie, wie der kleine Raum benutzt ist.“

Manceau trat dazu, er machte die Honneurs der Bühne, die [464] theilweise sein Werk war. „Sie sollen sich überzeugen,“ sprach er, „daß es uns an keiner Finesse fehlt, wir können selbst versinken, wenn’s darauf ankommt; freilich müssen wir dann auf dem Bauche hinauskriechen.“ Er öffnete dabei verschiedene Fallbreter. „Und Wind machen wir, wie sonst nirgends auf der Welt, auch Regen, Donner und Blitz. Hören Sie einmal!“ Er verschwand, und im Augenblicke kündigte sich ein wahres Elementarereigniß an. Der Sturm tobte, der Regen fiel in Strömen herab, der Donner rollte - Mad. Sand amüsirte sich dabei wie ein Kind, und ich war verdutzt – so einen Höllenlärm hatte ich mir in dem kleinen Raume unmöglich gedacht. Es ist wahrhaft wunderbar, welches Geschick der Franzose in solchen Arrangements entwickelt und mit welcher Naturtreue und welchem Kunstsinn er in Scene setzen kann.

„Ich habe mich meiner Haustruppe verpflichtet,“ sprach Mad. Sand auf’s Neue, „ihr wenigstens alle zwei Monate ein neues Stück zu liefern, wozu ich dann immer meine Freunde aus der Nachbarschaft lade. Es ist dies zugleich eine Art Studium für mich selbst, und schon Mancherlei habe ich davon auf die Pariser Theater übergehen lassen. Doch mit denen zu thun zu haben, hat mich niemals gefreut, ich bin keine bewegliche Natur (nature remuante) und das gehört dazu, wie ebenso viel Stoicismus.“