Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Das Lindigsfrauchen in Gerstungen

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Die drei Auflagen Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Vom Bilstein
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65.
Das Lindigsfrauchen in Gerstungen.

Bei Gerstungen soll noch ein Schloß gelegen haben, das Lindigsschloß geheißen, darauf lebte ein Burgfräulein, schön vom Körper und wundersam begabt mit Geist, daher es auch Umgang pflog mit den Geistern des Thalflusses, den Nixen, und jenen der Berge, mit den Wichtlein im Werrathale. Solche Neigung wurde den Aeltern des Fräuleins kund und mißfiel ihnen, sie sendeten daher ihr allzugeistreiches Kind in ein Kloster. Im Kloster gefiel sich aber die Jungfrau keineswegs und sah dieselbe es daher gar nicht ungern, daß ein junger Graf von Brandenburg sich sterblich in sie verliebte, sie aus dem Kloster entführte und sich mit ihr vermälte. Aber auch als Gräfin von Brandenburg vermochte jene Huldin ihre Neigung zur dämonischen Welt nicht aufzugeben; sie hatte viele heimliche Zusammenkünfte mit der Werranixe, deren Schloß just unterm Wasserspiegel zunächst der Brandenburg lag, und durch geheime Gänge mit dem Schlosse auf dem Berge in Verbindung stand. Sie gelobte ihren einzigen Sohn der befreundeten Wasserfeine, und diese säumte nicht, denselben, als er zu Jünglingsjahren gekommen war, in ihr Reich hinabzuziehen. Seine Mutter wurde nicht alt; sie starb, ohne zu beichten und von ihren Sünden losgesprochen zu werden, und daher gelangte ihre arme Seele auch nicht in den Himmel, sondern in das Zwischenreich, dessen Bewohner und Bewohnerinnen von Zeit zu Zeit noch auf Erden umher geisten müssen. Selbiges Loos fiel denn auch dieser Gräfin von Brandenburg; sie muß alle sieben Jahre einmal erscheinen, als Matrone [105] gekleidet, einen Leidschleier um den Kopf, ein Schlüsselbund in der Hand, und im Gesichte so weiß wie ein Quarkkäse. So erscheint sie auf der alten Lindigsburgstätte, und davon heißt sie das Lindigsfrauchen, dann aber auch unter der Brandenburg und auch auf dem Wege von Gerstungen nach dem ehemaligen Kloster im Kolbacher Thale, wo sie als Nönnelein gelebt hatte. Das Lindigsfrauchen hat die nicht sehr angenehme Eigenheit, sich nächtlichen Wanderern aufzuhocken, und so sehr ätherisch sie im Leben gewesen sein mag, als sie noch mit ätherischen Wesen Umgang gepflogen, so irdisch schwer wurde sie denen, die sie hockeln mußten. Wer sie aber bis ans Ziel, wohin sie just getragen sein will, hockelt, dem erschließt sie Gewölbe und Keller voll Schätze, und macht ihn über die Maßen reich. Die Sage theilt aber mit, daß von solchem hockeln ein Bauer, Namens Oehme, ein Fleischer, Namens Rösing und Andere den blassen Tod davon getragen haben, nennt aber keinen, der zur Zeit durch das Lindigsfrauchen glücklich geworden.