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Torquato Tasso (Die Gartenlaube 1895/14)

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Textdaten
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Autor: Richard Schröder
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Titel: Torquato Tasso
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 247–250
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[247]

Torquato Tasso.

Gestorben am 25. April 1595.
Von Richard Schröder.


Wem es je vergönnt gewesen ist, an lauem Frühlingsabende die lärmvollen Gassen Neapels zu durchschlendern, wer unter den Bogengängen Bolognas oder auf den engen Plätzen und Brücken Venedigs Gelegenheit gehabt hat, das Volksleben der Italiener zu studieren, das bei aller Fremdartigkeit uns Nordländer immer von neuem so ungemein sympathisch anmutet, der wird sich gewiß auch einmal in den dichten Kreis von Männern, Frauen und Kindern hineingedrängt haben, welche einen jener volkstümlichen italienischen Erzähler umlagern, die an einer Straßenecke unter freiem Himmel oder auch unter einem weiten Thorwege mit weithin schallender Stimme und unglaublichen Gestikulationen die volkstümlichsten Stellen ihrer Lieblingsdichter vortragen. Oft sind es moderne Romanzen und ergreifende Liebesklagen, oft auch Berichte schauriger, bluttriefender Begebenheiten aus dem Leben eines kürzlich eingefangenen berühmten Banditen, daneben aber auch die schönsten Episoden aus den mittelalterlichen Heldenliedern, die dies dankbare Publikum, das mit gespanntester Aufmerksamkeit an den Lippen des Erzählers hängt, zu jubelnder Begeisterung entflammen oder zu stillen Thränen rühren. Neuerdings zwar verschwindet die typische Figur dieses „Raccontatore“ nach und nach aus den verkehrsreichen Centren der großen Städte, indessen begegnet man ihr auch heute noch häufig genug in den abgelegeneren Vorstädten und vor allem auf Dörfern und in den von der großen Verkehrsstraße abseits liegenden kleinen Landstädtchen. Was wir in solch einem weltvergessenen Oertchen der Abruzzen oder Campaniens zu hören bekommen, das sind natürlich in den wenigsten Fällen die Laute der toskanischen Schriftsprache, in deren Gewand Ariost und Tasso ihre unsterblichen Gesänge gekleidet haben, zumeist sind diese Dichtungen mit unabsichtlichen oder selbst absichtlichen Veränderungen durch mündliche Tradition in den Dialekt der Gegend übertragen und so dem Verständnis und dem Empfinden des einfachen Mannes näher gerückt. Heiße Thränen kann man bei solchem Vortrage fließen sehen, wenn der Deklamator von den Schicksalen Chlorindens und Tankreds, Sophronias und Olindos, Armidas und Rinaldos berichtet, denn unter all den hochgefeierten Sängern der Vergangenheit besitzt jenseit der Alpen noch heute keiner, Alessandro Manzoni allein vielleicht ausgenommen, auch nur annähernd die gleiche Volkstümlichkeit wie der Dichter des „Befreiten Jerusalem“, Torquato Tasso, der wie kaum ein zweiter seiner Zeitgenossen es verstanden hat, nicht allein für die Gelehrten und Kenner, sondern für die ganze Nation zu dichten.

Was indessen diesen Dichternamen so allgemein bekannt gemacht, ihm in der ganzen litterarischen Welt so tiefe Sympathien erworben hat, das läßt sich kaum allein durch die Vorzüge erklären, die den Werken Tassos eigen sind; auch die ergreifenden Schicksale, denen sein Leben unterworfen war, und die selbst wieder großen Geistern aller Nationen, ich nenne unter vielen nur Goethe, Byron, Leopardi, den Stoff zu unsterblichen Schöpfungen gegeben haben, tragen nicht wenig dazu bei. Allerdings ist der Tasso, wie ihn heute die meisten Deutschen kennen und lieben, keineswegs der historische Tasso, dessen verdüstertes Gemüt vor nun genau drei Jahrhunderten in dem einsamen Klostergärtchen von San Onofrio in Rom endlich im Tode die Ruhe fand, um welche der Dichter in seinem wechselvollen Leben vergeblich gerungen hatte, sondern [248] es ist die Idealfigur des Goetheschen Dramas, eine wunderbare Verschmelzung der geschichtlichen Gestalt des Helden mit der des Dichters selbst, der jene frei aus dem eigenen Geiste wieder erzeugte. Aber der geschichtliche Tasso steht dem der Dichtung an tragischem Interesse kaum nach. In dieser Dichternatur erscheint das gewaltige Gähren und Ringen eines Jahrhunderts, zwischen Altem und Neuem, zwischen Geistesknechtung und Freiheit personifiziert, und wenngleich es dem Scharfsinn der Tassoforscher noch immer nicht gelungen ist und vielleicht niemals ganz gelingen wird, den Schleier vollkommen zu lüften, der das innere Leben dieses Mannes deckt, so gehört doch Tasso zu jenen Persönlichkeiten, zu denen man sich, je mehr man in ihr Wesen eindringt, – vielleicht gerade deshalb, weil etwas Unerklärliches, etwas Großartig-Geheimnisvolles in ihnen waltet, – desto mehr hingezogen fühlt.

In Sorrent, jenem lieblichsten Orte der Südküste des Golfs von Neapel, das durch so manchen berühmten Namen mit der Geschichte italienischer Kunst verknüpft ist, stand auf einer hohen, schroff aus dem Meere aufsteigenden Felsenwand das Haus, in welchem Torquato, als Sohn des Dichters Bernardo Tasso, am 11. März 1544 zur Welt kam. Die stille Sehnsucht nach diesem Orte seiner glücklichen Kindheit, den Citronen- und Orangenhainen, in denen er zu spielen pflegte, nach den milden Lüften, dem klaren, tiefblauen Himmel und dem Silberglanz des leuchtenden Meeres hat ihn später oft, inmitten der rauschenden Festlichkeiten an den Fürstenhöfen, die ihn gastlich aufnahmen, schwermütig gestimmt. Auch hat die traute Heimat ihm später nach langer Abwesenheit, als düstere Schatten schon längst sein Gemüt umlagerten, noch einmal freundliche Aufnahme gewährt und an dieser lachenden Meeresküste sich das letzte kurze Intermezzo von Glück und Frieden im Leben des unglücklichen Mannes abgespielt.

Bei den Jesuiten in Neapel erhielt Torquatillo, wie ihn der Vater mit Vorliebe zu nennen pflegte, den ersten Unterricht. Aber je mehr die Patres die hohen geistigen Eigenschaften, die in dem Knaben schlummerten, erkannten, um so mehr bemühten sie sich, den klaren Verstand des frühreifen Kindes auf die dürren Wege jesuitischer Scholastik zu leiten. Unter ihrer Zucht wurde das hohe Selbstvertrauen, das bei Torquato in ganz besonders hohem Grade hervorgetreten war, abgeschwächt und möglichst ganz zu unterdrücken versucht, ja man strebte mit allen Mitteln der geltenden Disziplin dahin, dem Knaben Mißtrauen in seine geistigen Fähigkeiten einzuflößen, ein Zug, der sich selbst bei dem Mann nie wieder verlor und ihm so oft das berechtigte Vertrauen in seine dichterische Veranlagung in das Gegenteil verwandelte. Der Ausbildung natürlicher Urteilskraft wurde weder Raum noch Zeit gegeben und sein tiefes Gefühl, sein brennender Ehrgeiz, seine übermäßig erhitzte Phantasie lediglich für äußere Glaubenspraxis, für das Ceremonienwesen ausgenutzt. Bereits mit neun Jahren ließen seine Lehrer den Knaben zum Abendmahl zu, von dessen symbolischer Bedeutung er nichts verstand. Um so mehr schmeichelte der feierliche Akt, bei dem alle Blicke der versammelten Menge auf ihn gerichtet waren, seinem Ehrgeize, und teils von diesem Gefühle beseelt, teils im Banne der unbewußten Einwirkung dieses Mysteriums fiel er auf die Kniee nieder, um den Leib des Herrn zu genießen.

Alfons II., Herzog von Ferrara und Modena.

Für das leicht empfängliche, eindrucksfähige Gemüt des Knaben war es daher ein großes Glück, von dem lästigen und verderblichem Zwang dieser tendenziösen Lehrmethode bald befreit zu werden. Tasso mußte bereits nach wenigen Jahren Neapel verlassen, um seinem Vater in die Verbannung zu folgen, die dieser gleichzeitig mit dem Fürsten Ferrante Sanseverino von Salerno hatte auf sich nehmen müssen, da er zu stolz und zu treu war, sich im Unglück von seinem Herrn loszusagen. Der Abschied des zehnjährigen Torquato von seiner kaum aus schwerer Krankheit genesenen Mutter war ungemein schmerzlich; sie ahnten vielleicht, daß es auf dieser Welt für sie ein Wiedersehn nicht geben sollte, und als Tasso nach vierundzwanzig Jahren in dem trostlosesten Augenblicke seines Lebens als ein Flüchtling vor der Gehässigkeit der Menschen umherirrte, da tauchte in dem von aller Welt Verlassenen von neuem wieder die Erinnerung auf an diese schmerzlichste aller Trennungen:

„Doch vom Geschicke ward, ein zarter Knabe,
Dem Mutterbusen grausam ich enthoben,
Der Küsse denk’ ich seufzend noch im Herzen,
Der thränenfeuchten, denke noch mit Schmerzen
Ihrer Gebete, die im Wind zerstoben.
Denn nie mehr sollt’ ich Aug’ in Aug’ ihr blicken,
Nie, mehr sie an mich drücken,
Von Mutterarmen eng und fest umwoben!
Dem Vater, gleich Aeneas’ Sohn, Askanen,
Folgt’ ich dem Irrenden, auf irren Bahnen.“

Und in der That sind es irre Bahnen, die ihn der wackere Vater, der gleich dem Sohne von einem finstern Schicksal verfolgt wurde, in den nächsten zehn Jahren führt und die später Torquato allein fortsetzt, ein unstetes Wandern, das nicht eher ein Ende nimmt, bis man ihn, gebrochen an Körper und Geist, in der einsamen Klosterkirche auf dem Janiculus in Rom zur ewigen Ruhe bettet. Von Rom werden die Flüchtlinge durch die kriegerischen Verwicklungen zwischen Philipp II. und Paul IV. nach Bergamo, Bernardos Vaterstadt, getrieben, von da geht’s an den Hof des Herzogs von Urbino, von Urbino nach Venedig. Mit fünfzehn Jahren weilt Torquato als Student in Padua, wo er sein erstes großes Heldengedicht „Rinaldo“ dichtet und veröffentlicht. Von Padua geht’s an die Universität Bologna und von da zurück nach Padua, dann zum erstenmal an den Hof der Este in Ferrara, an den von Paris und Fontainebleau und wiederum nach Ferrara. Hier nun liegt der Schwerpunkt dieses abenteuerlichen Lebens, Ferrara ist das Weimar Tassos geworden, und mehr als eine Parallele ließe sich zwischen den beiden Fürstensitzen des sechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts ziehen. Hierher wird Tasso eingeladen, um ganz seiner Kunst zu leben, aber das Hofleben und die Eindrücke des politischen Lebens lenken ihn ab von der Ausführung seiner poetischen Entwürfe; hier findet er, der zu vollem Glück nur im Frauenumgang gelangt, ganz wie Goethe in Weimar, jede Art desselben; wie diesem die Freundschaft der Herzoginmutter Anna Amalie und der Herzogin Luise zu teil wird, so darf er sich der Gunst der Schwestern des Herzogs erfreuen; und auch sein leicht entzündliches Herz gerät durch seine Stellung zum Hof in leidenschaftliche Konflikte. Das Unglück will nur, daß der Hauptkonflikt, in den er gerät, ihn hinreißt, gegen die dem Herzog und seinem Hause schuldige Rücksicht zu freveln. [249] So wird auch hier der Boden ihm bald zu heiß, und es duldet ihn in Ferrara nicht länger. Wiederholt treibt sein unruhiger Geist ihn fort nach Venedig und Padua und als Flüchtling eilt er endlich nach Sorrent, um hier im Kreise der Familie seiner Schwester Cornelia noch einmal die stillen Freuden eines ungestörten Familienlebens zu genießen.

Aber kaum ein Jahr hält es ihn in dieser traulichen Umgebung. So wenig er das Leben am Hofe Alfonsos ertragen konnte, so wenig vermochte er es auf die Dauer zu entbehren. So ergreift ihn denn die Sehnsucht nach den vergangenen glücklichen Tagen, und, von Ehrgeiz und Liebe unwiderstehlich gedrängt, fliegt er, wie der Schmetterling zur Flamme, nach Ferrara zurück. Von neuem versengt, entflieht er von neuem, diesmal weniger weit, erst nach Urbino, dann nach Turin, von dort ausgeliefert, wird er auf seines Fürsten Befehl zur Heilung seines zerrütteten Geistes in das Hospital Sant’ Anna eingesperrt. Hier setzt nun der Geist die irre Wanderung fort, an der die sicheren Wände seiner Zelle den Körper hindern, aber kaum daß er nach siebenjährigem qualvollen Aufenthalt als gebrochener Mann seinen Kerker wieder verlassen darf, beginnt auch das ruhelose Leben von neuem. Man glaubt ihn auf einer Wallfahrt zum Heiligtume in Loreto und er taucht plötzlich in Rom und Neapel auf; kaum hat er sich in Florenz auf dem lieblichen Hügel von Monte Oliveto glücklich eingerichtet, so finden wir ihn abermals in der Stadt der Päpste.

Und so geht es neun Jahre lang fort! Wohl siebenmal pilgert der müde Fuß die staubige Landstraße von Rom nach Neapel, von Neapel zurück nach Rom. Elend und krank langt er zum letztenmal in der ewigen Stadt an, wohin er auf Einladung der Kardinäle Quinto und Cinzio gewandert ist, um der höchsten Ehre, von der er sein Leben lang geträumt hat, der Krönung auf dem Capitol mit dem Lorbeer Petrarcas, teilhaftig zu werden. An den Thoren empfangen ihn die Neffen des Papstes mit einem großen Gefolge von Würdenträgern und eine unabsehbare Menge jubelnden Volkes, dem Papst darf er die Füße küssen und empfängt dessen Segen. Doch ehe seine Hand den so heiß ersehnten Lorbeer ergreifen kann, bricht er zusammen, nachdem er noch auf dem Totenbette den Wunsch geäußert hat, man möge gerade dasjenige seiner Werke, das allein der Nachwelt seinen Namen überliefert hat, die Gerusalemme liberata, das „Befreite Jerusalem“, dem Feuer weihen. In aller Stille ist er dann wenige Tage darauf in dem reizenden Klostergärtchen von San Onofrio, das jeder Romfahrer kennt, zu Grabe getragen worden.

Das äußere Lebensbild des Dichters, das sich hier in aller Kürze vor dem Leser entrollt hat, ist vollendet. Tasso selbst hat nur allzu wahr in dem Gedicht an seine Seele davon gesungen:

„Indes ist sonnenlos mein Tag; ich sehe
Verhüllt des Nachts der Sterne lichtes Heer.
Ich hatte Wünsche viel wie Sand am Meer
Und innen nichts und außen nichts denn Wehe.“

Leonore von Este.

Es war ein Dichterleben in jedem Sinne des Wortes, auch darin, daß alle persönlichen Schicksale im engsten Zusammenhange stehen mit der großen Aufgabe, die diesen Feuergeist von den ersten knabenhaften Flügen bis zu seinen letzten Entwürfen erfüllte: mit dem großen unsterblichen Heldengedicht vom „Befreiten Jerusalem“. Die schwere Krisis, deren Verlauf in die Tage seines Aufenthaltes am Hofe Alfonsos II. zu Ferrara fällt, ist auch eine Krisis in seinem dichterischen Schaffen, und darum ist es nötig, um zu einem vollen Verständnis des Lebens und Dichtens Tassos zu gelangen, den wichtigsten Personen einige Beachtung zu schenken, die in den Villen und Gärten von Belriguardo und Castel Durante, in den glänzenden Palästen von Ferrara mit dem Dichter in nächste Berührung gekommen sind, ihn zu begeistertem Schaffen angeregt, ihm dabei vor der Seele geschwebt haben und von denen eine ihm jene Liebe eingeflößt hat, die er, freilich durch eigene Schuld, mit einem Leben voll Verzweiflung und brütendem Wahnsinn hat bezahlen müssen: ich meine die Schwester des Herzogs Alfonso II. von Este, Leonore.

Noch immer, nachdem die Kritik nun drei Jahrhunderte Zeit gehabt hat, sich mit den Personen und Verhältnissen an diesem damals glänzendsten aller Höfe Italiens zu beschäftigen, nachdem litterarische Fälschungen begangen, Prozesse geführt, auf Anklagen und sogenannte „Ehrenrettungen“ Ströme von Tinte verschwendet worden sind, werden von neuem die Kardinalfragen aufgeworfen: Hat Alfons als ehrlicher Freund oder hat er als Verräter an Tasso gehandelt? Hat dieser die Prinzessin Leonore ernstlich geliebt, wurde seine Neigung erwidert? Und ist Tasso um dieser Leidenschaft willen sieben Jahre lang in dem Irrenhause von Sant’ Anna eingesperrt gewesen, oder war er in der That geistesgestört? So viele Biographen des Dichters wir hierüber um Rat fragen, von seinem Zeitgenossen Manso bis herab zu dem unsrigen Pier Leopoldo Cecchi, von Goethe, Byron, Leopardi bis auf Silvio Pellico, Quinet und Speyer, so viele verschiedene Antworten auf diese uns so lebhaft interessierenden Fragen erhalten wir. Und selbst die treffliche im Jahre 1855 von Guasti besorgte fünfbändige Ausgabe der Briefe Tassos, die mit seinem zehnten Jahre beginnen und bis in die Tage seiner letzten Krankheit reichen, haben den Federkrieg nicht zu enden vermocht. So müssen wir uns denn einstweilen der Meinung anschließen, die, auf diese Briefe und seine lyrischen Gedichte gestützt, den größten Grad von Wahrscheinlichkeit für sich zu haben scheint.

Als Torquato, ein kühn in das Leben schauender 21jähriger Jüngling, dem dank seinem „Rinaldo“ schon der Ruhm eines trefflichen Dichters vorausging, in Ferrara einzog, fand er den glänzenden Hof anläßlich der Hochzeit des Herzogs mit Barbara von Oesterreich in einem Taumel von Festlichkeiten und Enthusiasmus und das höfische Leben zeigte sich ihm von der glänzendsten Seite. Eine hochgespannte Natur, welche Liebe und Freundschaft gleich der Dichtkunst nur als reine, hohe Seelenkraft zu empfinden vermochte, fühlte sich Tasso in Gesellschaft der beiden Schwestern des Herzogs, der schon reifen, um ein Jahrzehnt älteren Lucrezia, der späteren Herzogin von Urbino, und der blassen, kränkelnden, idealgestimmten Eleonore, der „Schülerin des Plato“, in einer Region, wo „alles Gemeine schwand“; anerkennungsbedürftig und ehrgeizig schlürfte er hier den vollen Becher feinsten und berauschendsten Lobes, von zartesten Händen kredenzt. Bei hundert Gelegenheiten, wenn wir den in dieser Zeit entstandenen lyrischen [250] Gedichten Glauben schenken dürfen, erwachen in seinem Herzen wechselnde Liebesgefühle:

„Gespornt von jener Sehnsucht, welche führet
Die Seelen gern zu süßen Liebesschmerzen,
Versucht’ ich viel der Frau’n und vieler Herzen
Fand weich ich, wen’ge blieben ungerühret.“

Aber schnell, wie sie gekommen, verlöschen sie alle wieder und erblassen vor einer glühenden Leidenschaft, die des schwärmerischen Jünglings Herz dauernd erfüllt. Sie galt der jüngeren Schwester seines Fürsten, ihr widmet er mehr oder weniger alles, was seine Kunst Herrliches in dieser Zeit hervorbringt, und beklagt nur, daß seine Feder nicht imstande sei, von ihr, der Göttlichen, ein treffendes Bild zu entwerfen. Auch in der herrlichen Episode von Olindo und Sophronia, die er zu Leonores Verherrlichung dem zweiten Gesange seines „Befreiten Jerusalems“ einwob, hat uns Tasso mit leuchtenden Farben ihr Bild, wie es ihm vorschwebte, gezeichnet, und wie er das Verhältnis zwischen jenen beiden Liebenden dort geschildert, so oder ähnlich wird es zu jener Zeit wohl zwischen ihm und Leonore gestanden haben:

„So reizend sie, so sehr ist er bescheiden,
Voll Wunsch, an Hoffnung arm, fern von Begier.
Zu reden bang, erträgt er still sein Leiden,
Wenn nicht verschmäht, doch unbemerkt von ihr.
So hat der Arme längst für sie geschmachtet,
Die ihn nicht sieht, nicht kennt, vielleicht verachtet.“

Gerade diese Liebe Tassos zu Leonore ist es, um die sich ein ganzer Mythenkreis gebildet hat, Einige glauben sie zwar in das Reich der Fabel verweisen zu müssen und wollen alle seine Aeußerungen überschwenglicher Liebe zu bloßen dichterischen Komplimenten stempeln, wie sie Tasso auch andern Damen des Hofes, z. B. der geistvollen Lucrezia Bendidio und der schönen Leonore Sanvitale, in gleichem Maße dargebracht habe; allein wenn man seine an die Herrin gerichteten Sonette mit Aufmerksamkeit durchliest, so wird man unschwer herausfühlen, daß durch die Ehrfurcht und die durch äußere Rücksichten gebotene Zurückhaltung an vielen Stellen ein Ton echter Leidenschaft unverkennbar hindurchklingt. Daß Tasso einmal in überwallender Leidenschaft der Prinzessin an die Brust gesunken, dabei verraten und dieserhalb aus seinem Paradiese verjagt worden sei, ist zwar bei seinem Temperament nicht ohne weiteres unter die Unmöglichkeiten zu verweisen, indessen durch urkundliche Beweise kann diese Episode nicht gestützt werden. Auch daß diese unerlaubte Liebe zu der Schwester seines Fürsten diesen bewogen habe, Tasso in ein Irrenhaus zu stecken und ihn sieben Jahre lang darin schmachten zu lassen, ist geschichtlich nicht unanfechtbar zu beweisen und um so unwahrscheinlicher, als andere weit näher liegende Gründe einen Wechsel in der Gesinnung Alfonsos seinem Schützling gegenüber vollkommen erklärlich machen. Es ist ja allgemein bekannt, daß zwischen den Höfen der Medici und der Este seit alter Zeit eine tief eingewurzelte Eifersucht bestand, die mehr als einmal dazu verleitete, sich gegenseitig Berühmtheiten des Kunstlebens abspenstig zu machen. Nun war es keineswegs ein Geheimnis, und Tasso selbst hat kein Hehl daraus gemacht, daß er mit dem Herzog von Toskana in Unterhandlungen zum Zwecke seines Uebergangs in dessen Dienste gestanden habe. Alfonso aber war nicht die Persönlichkeit, unter seinen Augen Waffen gegen sich schmieden zu lassen; er ließ Tasso, als sich bei ihm zu alledem noch untrügliche Symptome einer Krankheit, die man füglich nur als Verfolgungswahnsinn bezeichnen kann, gesellten, in Haft nehmen und ihn in dem Hospital von Sant’ Anna jene sieben Jahre lang in Gewahrsam halten.

Der Dichter verließ die Haft, wie erwähnt, gebrochenen Geistes und auch die ferneren Jahre seines Lebens zeigen ihn in einer Zerrüttung, welche ihren Charakter von quälenden Wahnvorstellungen erhielt, wobei nur allmählich die hoffnungslose Ergebung in sein trauriges Schicksal und die Abmattung seines Geistes den Zustand milderten.

In San Onofrio in Rom, wo Tasso starb, hat er auch die letzte Ruhestätte gefunden. Pius IX. ließ vor kaum vierzig Jahren das Grab des unglücklichen Sängers der Gerusalemme liberata mit einem kostbaren Denkmal schmücken, das allerdings in seiner pomphaften Geschmacklosigkeit wenig zu dem Wesen des Toten paßt. Auch das römische Volk ehrt noch heute das Andenken des Dichters, denn an seinem Todestage pilgert Arm und Reich zur Klosterkapelle hinauf, um der Seelenmesse beizuwohnen, die fromme Mönche alljährlich für das Heil der Seele dieses unglücklichen Dichters lesen.