Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied

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Autor: P. (= J. N. Becker)
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Titel: Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied
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Erscheinungsdatum: 1797
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Kurzbeschreibung: Polemik gegen den Fürsten Friedrich Karl zu Wied-Neuwied (1741–1809).
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[104]
VII.


Ueber die Gemüthsbeschaffenheit des regierenden Fürsten von Wied-Neuwied.

Erster Brief.
Neuwied.          

Hier bin ich wieder in dem angenehmen Neuwied, meinem Lieblinge unter den kleinen Städten Deutschlands. Da Du mich aufforderst, mein Theurer! Dir aus meinem Reise-Journale das Interessanteste mitzutheilen; so fange ich mit dieser Stadt an, deren ehemalige Blüte und jeziger Verfall dem Auge des Beobachters vielen Stoff zum Denken darbieten. Durch den schöpferischen Geist des lezt verstorbenen Fürsten Alexanders, ward Neuwied in einem sehr kurzen Zeitraume so zu sagen aus dem Nichts hervorgerufen, und stund da in jungfräulicher Schönheit, angelächelt und bewundert von jedem, dem die Vervollkommnung der moralischen Natur am Herzen liegt, aber auch bitter beneidet und angefeindet von seinen eifersüchtigen Nachbarn.[1] Neuwied war ein unbedeutender kleiner Ort, als Graf Alexander[2] die Regierung antrat. Sein Vater hinterließ ihm nichts, als Jagdzeug, schwere Schulden, und in der Armuth des Ländchens eine schöne Gelegenheit, [105] die grossen Talente zu entwikkeln, womit die Natur ihn ausgerüstet hatte. Er entwikkelte sie aber auch so, daß er die Augen von ganz Deutschland auf sich zog, und sich die Hochachtung der grössesten Männer seiner Zeit erwarb.[3] Sein Verdienst dabei ist um so grösser, da er seiner Erziehung wenig zu danken hatte. Er fühlte es aber, daß ein Funke höhern Lichtes in ihm glimmte, rief ihn selbst hervor, blies ihn an, und bald ward er zur grossen, hellen, wohlthätig erleuchtenden und erwärmenden Flamme.

Sogleich nach dem Antritte seiner Regierung suchte er Ordnung in die zerrütteten Finanzen zu bringen. Sein zweites Geschäfte war, den Verfolgungsgeist der damaligen Zeit zu benuzzen, und allen denen, welche ihres Glaubens wegen Drangsale erlitten, in Neuwied einen sichern Zufluchtsort anzubieten. „Wen Gott nicht nur duldet, sondern sogar segnet, pflegte er zu sagen, den darf ich doch wohl auch dulden.“

Die Bedrängten eilten in grosser Menge nach Neuwied, und verpflanzten ihre mannichfaltigen Talente und Erwerbzweige dahin. Bald ward in dieser kleinen Stadt die Gottheit in siebenerlei verschiedenen Tempeln angebetet, und bald erhoben sich da, wo vorher Pfüzen waren und wildes Gras wuchs, Strassen, welche von thätigen und glüklichen Menschen wimmelten.

Der Graf suchte jedes verborgene Talent auf, wekte das schlafende, zeigte ihm den ihm von der Natur bestimmten Wirkungskreis an, unterstüzte es nach Kräften, und brachte es durch seine unermüdete Thätigkeit [106] und Weisheit dahin, daß die vielen Merkwürdigkeiten Neuwieds eine grosse Menge Reisender aus allen Gegenden Europens anzogen, welche immer dem Geiste eines Mannes huldigten, der in so kurzer Zeit, bei der bedrängtesten Lage seiner Finanzen, eine so schöne Schöpfung zu Stande gebracht hatte.[4]

Die Vorsehung rief ihn zu rechter Zeit ab. Es wäre gar zu hart für ihn gewesen, wenn er Zeuge alles des Jammers hätte seyn sollen, den der schrökliche Krieg über sein geliebtes Neuwied ausgegossen hat.

Doch von diesem seltnen Fürsten, dessen lichtvoller Geist auf einem Königsthrone helle Stralen über ganz Europa geworfen haben würde, nächstens ein mehreres.

Heute von seinem Sohne und Nachfolger in der Regierung, dessen Prozeß in Deutschland so viele Aufmerksamkeit und Theilnahme erregt hat.

Daß das Reichs-Kammergericht in Wezlar ihm die zur Alleinregierung nöthigen Verstandeskräfte abgesprochen, und daß jezt fast alle Glieder des Reichstages gegenseitiger Meinung seyn sollen, weißt Du. Allein eben diese Verschiedenheit des Urtels zweier Gerichtshöfe, welche so ehrwürdig, als erhaben sind, wird ein desto lebhafteres Verlangen in Dir erzeugen, genauer mit der Gemüthsbeschaffenheit und dem Charakter eines Fürsten bekannt zu werden, welcher einen Theil der Weisern der Nazion für sich, den andern gegen sich hat.

Hierüber kann ich Dir Aufschlüsse geben, welche Dich in den Stand sezen werden, Dir diese Theilung der Stimmen zu erklären.

[107] Ich habe sie vorzüglich einem Manne zu danken, der hier lange, und in Verhältnissen lebte, welche ihm die genauere Kenntnis des Fürsten erleichterten. Was dieser Freund mir entdekt hat, wurde mir hier von mehrern schäzbaren Männern, ja sogar von einigen leidenschaftlichen Anhängern des Fürsten bestätiget.

Man sagt, der berühmte Garrick habe die Kunst besessen, den Anwesenden zugleich eine lachende und eine weinende Gesichtsseite darzubieten. So ohngefähr ist es mit dem Geiste des jezigen Fürsten von Neuwied beschaffen. Von einer Seite betrachtet, scheint er ein ganz ordentlicher Mensch, von zwar gemeinen, aber doch nicht verwirrten Seelenkräften zu sein. Von der andern Seite aber ist das Gepräge einer schweren Gemüthskrankheit so auffallend, daß man Bedenken tragen sollte, ihm die Verwaltung eines Bauerngutes anzuvertrauen. Wenn sein Vater vertrauten Freunden seinen tiefen Kummer über diesen Sohn ausschüttete, erzählte er immer, daß sein verstorbener Leibarzt Kämpf, ein grosser Menschenkenner, ihn am besten beurtheilet habe, indem er gesagt: „Der Erbprinz hat einen Sparren zu wenig, um nach den Gesezen ein Narre zu heissen, und dreie zu viel, um unter die Klugen gerechnet werden zu können.“ – Hélas! il avoit bien raison, le bon Kaempf, sezte er dann seufzend hinzu, il n’avoit que trop raison.[5]

Doch nun zu Thatsachen aus dem Leben des Fürsten! Schon in seiner frühern Jugend bemerkte man eine gewisse Singularität des Geistes an ihm. Er war immer geneigt, eine Sache nur von einer Seite zu sehen, und aller Mühe ohnerachtet konnte man seine Aufmerksamkeit nicht auf die übrigen wesentlichern Theile dieser Sache lenken. Er hatte eine grosse Neigung zur Einsamkeit. Ideen, welche ins Sonderbare und vorzüglich [108] ins Düstere giengen, hatten schon viel Anziehendes für ihn. Aengstlichkeit war ein Hauptzug seines Charakters. Das ist alles, was ich aus dieser Periode seines Lebens habe erfahren können. Allein es giebt doch schon einigen Aufschlus über die nachherigen Phänomene seines Geistes.

Ein schröklicher Priester, der erste des Landes, den vermuthlich der Vater unsres Fürsten nicht durch Zurüksezung beleidigen wollte, oder den er vielleicht nicht genug kannte, ward zum unglüklichen Werkzeuge ausersehen, dem jungen Grafen die Grundsäze des Christenthumes beizubringen. Aber dieser reformirte Grosinquisitor kannte den liebevollen Vater Christi nicht. Er kannte nur den furchtbaren Rächer der kleinsten Schwächen, denn er hatte seine Idee von Gott aus der flammenden Bildersprache einiger alttestamentischen Hizköpfe geformt. Auch war er bettelarm in der einem Seelenhirten so nöthigen Menschenkenntnis. Der zarte, ängstlich-melancholische junge Graf bedurfte eines menschenliebenden, erbarmenden Gottes, der freundlich seinen Kindern die Vaterarme reicht, und ihnen eine sanfte Last auflegt. Allein sein geistlicher Tirann donnerte ihm einen allmächtigen Despoten in die Seele, welcher mit Grimm auf das kleinste Sündchen herabsieht und mit der Freude der Rachgier Qualen für den Sünder bereitet. „Verflucht ist, wer nicht alle Worte des Gesezes erfüllt“ brannte er ihm mit glühenden Buchstaben in das weiche, zaghafte Gemüth ein, ohne ihm zu sagen, welches Gesez den Christen bindet, und überhaupt, ohne ihm diese Stelle, die ihm noch Seelenkoliquen macht, vernünftig zu paraphrasiren.

Wie schädlich ein solcher Unterricht war, wirst Du aus dem, was folgt, sehen; aus seinen biblischen Wortklaubereien, aus seinen verworrenen Begriffen von dem Worte Gesez, und aus der Missethäterangst, mit welcher er so manche Worte der Schrift hörte, oder las.

[109] Genug für Heute! Morgen wollen wir unsern geängstigten jungen Christen auf Reisen begleiten. Lebe wohl.

Zweiter Brief.

Der Religionsunterricht des jungen Grafen hatte zwei vorzüglich schädliche Seiten. Fürs erste wurde er nicht Kind, sondern ein zitternder Sklave Gottes – und dann ward ihm die Bibel in Bausch und Bogen als Norm für sein Leben vorgehalten, ohne die aufgehobenen Geseze des alten Bundes bestimmt von denjenigen zu trennen, welche jeden Christen verpflichten. Wenigstens ist der Fürst noch jezt wegen dieser Scheidung in Verlegenheit, und hütet sich in manchen Stükken, den Moses nicht zu beleidigen. Als Ehmann konsultirte er ihn immer und unter schweren Seufzern über die Lehre von den Weiberkrankheiten, und über die nach Beschaffenheit dieser Krankheiten von Gott verordnete Dauer der Enthaltsamkeit. Wo Moses ihm dunkel schien, mußte irgend ein Rabbi seine Fakkel hergeben. Als Jüngling schon glaubte er sich an gewisse Fasten gebunden und hielt gewisse Speisen für verboten. Von solchen Ideen gedrükt, bereisete er mit einem Hofmeister einen Theil Europens. Aber welche traurige Art zu reisen! Wann früh morgens Pferde gewechselt wurden, eilte er in den ersten besten Stall des Posthauses, wandte sein Angesicht gegen die aufgehende Sonne, und betete. Daß dieses vermuthlich abgeschmakte Gebete waren, wirst Du aus dem Verfolge sehen. Hatte er einen Fasttag; so mochte ihn der durch das Fahren gereizte Appetit noch so sehr plagen; er erlaubte sich dennoch nicht zu essen, sondern sah mit jämmerlicher Mine dem Hofmeister zu, der sich’s herzlich wohl schmekken ließ. Wenn andre Jünglinge gierig jeden Tropfen der Freude in sich schlürfen, die ihnen [110] Sinnlichkeit und Einbildungskraft darbiethen, oder die aus der Bereicherung des Geistes mit edeln und nüzlichen Kenntnissen erwächst; so war die Seele unsres frommen Jünglinges immer freudenleer. Er sah in den schönsten Theilen Europens nichts, als einen gefährlichen Garten voll reizender verbotener Früchte, worein ihn ein strenger Gott zu seiner Plage gesezt habe. Gerne hätte er seine Hände nach manchen dieser schönen und süssen Früchte ausgestrekt, allein der schrökliche Gedanke, daß ewige Verdammnis der sichere Lohn einer solchen Verwegenheit seyn würde, lähmte sie ihm.

So fuhr denn der zitternde Knecht Gottes mit Sklavenketten gebunden durch die Paradiese dieser Welt.[6] Sein wichtigstes Anliegen auf Reisen war, gelehrte Theologen aufzusuchen, welche ihm die furchtbarsten Stellen der Bibel milder deuteten. Aber es glükte diesen Männern nicht, heilenden Balsam in seine Wunden zu giessen, weil seine verschobene Seele die Klarheit und Stärke ihrer Beruhigungs- und Beweisgründe nicht fassen konnte. Einer derselben, ich weis nicht, war es der schwedische oder dänische Gesandschafts-Prediger in Wien, sagte ihm gerade heraus, er seye inkurabel.

Nach geendigten Reisen vermählte er sich mit einer Gräfin Luise von Wittgenstein-Berleburg. Sein Geist mußte sehr krank seyn, um nicht in den Armen dieser liebenswürdigen und vortrefflichen Dame zu genesen. Aber leider that auch diese von seinem Vater weislich ausgedachte Arznei keine Wirkung. Wollust zeigte sich bald als seine herrschende Leidenschaft, aber weit entfernt, durch ihre nun rechtmäsige Befriedigung aufgeheitert zu werden, leerte er sehr oft ihren Freudenbecher mit zitternder Hand aus.

[111] Seine Art zu leben machte nicht nur alle Bemühungen seiner Leibes- und Seelenärzte scheitern, sondern vergrösserte das Uebel von Tag zu Tag. Heisse Zimmer, worin er oft Wochen lang eingeschlossen war, übel gewählte, besonders erhizende Speisen, stetes Brüten der Einbildungskraft über Bildern der Wollust, welches ihn, nach seinem eigenen Geständnisse, auch in der Ehe, zu häufigen stummen Sünden verleitete, das alles zerstörte seine Gesundheit immer mehr, und schwächte den mit Crudidäten angefüllten Unterleib, der dann wieder an dem Kopfe für das ihm zugefügte Uebel schwere Rache nahm.

Dieser Kopf hekte nun, besonders bei feuchter Frühjahrs- und Herbstwitterung die sonderbarsten Skrupel aus, Skrupel, bei deren Anhörung es kaum möglich ist, sich bei allem Mitleiden, des Lachens zu enthalten.

Ihrer Originalität wegen will ich Dir einige mittheilen, welche er an die Prediger der Grafschaft und andre Gelehrte zu gewünschter Widerlegung geschikt hat.

1ster Skrupel.

„Ach Gott! wie unglüklich bin ich!“ (mit einem solchen Jammerausrufe fangen oft die Skrupel an, die er seinen auserwählten Gewissensräthen zuschikt). „Folgende Ideen machen mich höchst elend:

Wer gesund ist, heurathet gerne, wer heurathet, verrichtet die eheliche Pflicht, wer das thut, zeugt Kinder, Kinder essen und trinken, wer ißt und trinkt urinirt, Urin enthält Salpeter, Salpeter von der Sonne angezogen steigt in die Luft, Salpeter in der Luft vermengt mit andern brennbaren Theilen, erzeugt Gewitter, Gewitter erschlagen Menschen – wer also heurathet, wird ein Mörder, ein Mörder aber kann [112] nicht in das Himmelreich kommen, folglich – bin ich verdammt!“

Was wirst Du aus einer solchen Art zu schliessen von dem Geiste urtheilen, in dem diese Logik ihren Thron aufgeschlagen hat?

Mit einem Skrupel dieser Art kann er vier bis fünf Tage herumgehen und sich plagen, bleich, seufzend, mit einem Gesichte, das nicht nur Melancholie, sondern die äusserste Verwirrung ausdrükt, bis ihn entweder ein anderer Skrupel verdrängt, oder schöne Witterung etliche gute Oefnungen des Unterleibes, gewaltsame Zerstreuungen, oder endlich ein kluger Gewissensrath in den Hinterhalt stellen. Ich sage: in den Hinterhalt stellen, denn ihn ganz zernichten, ist so leicht nicht möglich. Ist der Unterleib wieder angefüllt, wird das Wetter feucht, oder verursachen ihm die entsezlich starken Zwiebelsuppen, die er sehr liebt, Blähungen, dann steht der nemliche Skrupel wieder in verjüngter Kraft vor seinem traurenden Gemüthe.

2ter Skrupel.

Ich lasse die Lamentationen, welche als elegische Einleitung voraus gehen, weg.

„Die erste Pflicht eines Regenten ist, seine Unterthanen so glüklich zu machen, als nur möglich. Unter die phisischen Beglükkungsmittel gehört der Anbau des Klees, und für unsern Boden, besonders des sogenannten medischen Klees. Nun sollte ich also dereinst als regierender Herr recht vielen medischen Kleesaamen kaufen und unter meine Unterthanen vertheilen. Allein hier steigt mir ein banger Zweifel auf.

Der medische Klee hat seinen Namen von dem alten Königreiche Medien, wo er zu Hause ist. Vielleicht haben die ehemaligen rechtmäßigen Könige von [113] Medien die Ausfuhr dieses Kleesaamens verbothen. In diesem Fall müßte ich die Erlaubniß, ihn zu kaufen, erst einholen. Allein von wem? Jene Könige sind durch Usurpatoren vom Throne gestossen worden. Diese können mir die Erlaubniß nicht geben, ich müßte mich also wohl sorgfältig erkundigen, ob nicht von jenen alten rechtmäßigen Besizern der medischen Krone noch ächte Descendenten im Dunkeln herumschleichen, und dann von diesen die Erlaubnis zu erhalten suchen, sonst handle ich gegen die Geseze, und kann nicht selig werden.“

Ich enthalte mich allen Bemerkungen – Wir werden wohl aus dieser Manier, Syllogismen zu formen, einerley Resultat ziehen.

3ter Skrupel.

Als er über diesem brütete, war seine Stirne mit großen Schweißtropfen bedeckt, welche die Angst ihm auspreßte. – Er hatte einen Stuhl verkehrt auf dem Kopfe, und gieng so jammernd in seinem Zimmer auf und ab. – Der Skrupel ist folgender:

„Die Bibel sagt: Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele – u. s. w. Ganz ist ganz, ist nicht halb, nicht zweidrittheile, nicht dreiviertheile etc. – Ganz ist ganz. Soll ich Gott ganz lieben; so darf ich meine Gemahlin nicht lieben, den Coitum nicht, Nothhausen nicht, (ein kleines Landguth, welches er bebaute) kein Essen, kein Trinken, kurz gar nichts andres. Das kann ich aber nicht, also bin ich verdammt, denn verflucht ist, wer nicht die Worte des Gesezes erfüllt.“

4ter Skrupel.

„Tag und Nacht mit Beten anzuhalten ist auch [114] eine in der Bibel enthaltene Vorschrift. Soll ich das thun; so darf ich nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen, nichts anders reden, ich muß mein ganzes Leben über anhaltend beten, sonst bin ich verdammt etc.“ Solcher lächerlichen Skrupel hekte seine Seele eine Menge aus, die immer wechselsweise Besiz von ihr nahmen. Da aber die angeführten hinreichend sind, dir einen Begriff von seiner Logik zu geben; so will ich es dabei bewenden lassen, und dir dafür noch etwas von seinem Morgengebete sagen.

Es war Gewissenssache für ihn, jeden Morgen das Unser Vater zu beten. Aber auch dieses schöne, einfache und kindliche Gebet gereichte ihm zur Marter, weil ihm seelenbange war, der liebe Gott mögte, wenn er es so nude et crude herbetete, den Sinn, der darin enthaltenen Bitten und Versprechungen weiter ausdehnen, als er ihn ausgedehnt wissen wollte. Er machte deswegen einen ausnehmend komischen Kommentar dazu, und verklausulirte sich darin so fein und behutsam gegen Gott, als wenn er es mit dem gefährlichsten Gegner zu thun hätte, welcher begierig nach jeder Blösse haschet, die er ihm durch irgend einen zu bestimmten Ausdruk geben könnte. Z. E. bei den Worten:

Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel! sezte er folgendes hinzu:

„Das will ich nun nicht so verstanden wissen, o Gott! als wenn von mir im eigentlichen Sinne der Worte dein Wille geschehen sollte, wie im Himmel. Das kann ich nicht versprechen, zumal da ich nicht weiß, wie er im Himmel geschieht. Nein! sondern ich will ihn thun, insofern er mir hienieden bekannt ist, wie du ihn geoffenbaret hast, und ich ihn nach meinen schwachen Kräften thun kann. Zu mehrerem kann ich mich hiemit unmöglich verpflichten, verwahre mich vielmehr dagegen bestens.“

[115] Dieses sein commentirtes Unser Vater war sehr lang, und litt häufige Abänderungen und Zusäze, weil ihm allzu vieles einfiel, daß Gott in seine Worte legen, worüber er ihn verantwortlich machen könnte, und wogegen er also auf das allerbestimmteste protestiren zu müssen glaubte. Weil ihm unter dem eigenen Lesen des Gebetes dennoch immer neue trübe Gedanken vor die Seele kamen; so gerieth er auf den glüklichen Einfall, es sich vorlesen zu lassen, und zwar etwas geschwinde, um ängstigenden Ideen keine Zeit zum Eindringen zu lassen. Zu Zeiten brach der Vorleser ob dem drollichten Commentar in ein lautes Gelächter aus, und dann lachte der Prinz aus vollem Halse mit, allein das hatte die für ihn sehr unangenehme Folge, daß nun, nach seinen Grundsäzen, das Gebet wieder von vorne angefangen werden mußte.

So haben sich denn Skrupel und Wollust in seinen Kopf und in seine Zeit getheilt, nur daß die leztere mehr Gewalt über ihn hatte, als die erstern. Er hielt sich ein Tagebuch, dessen fast einziger wesentlicher Inhalt nichts anders ist, als eine sehr lebendige Darstellung seiner Begierden, seiner Freuden und Leiden in Hinsicht auf diese Leidenschaft. Fast unaufhörlich war seine Einbildungskraft mit Ideen beschäftigt, welche in dieses Feld einschlugen. – Entzükkend war für ihn die Stelle: „Sättige dich an ihren Brüsten“ weil er darin die Erlaubnis fand ins Unendliche sich zu ergözen – aber dann machten ihm wieder andre Stellen schweren Kummer, besonders solche, in welchen er ein Verbot fand, die Blöße seines Weibes aufzudecken. Doch war eine milde Erklärung solcher Stellen unserm durch Lebensart und gewisse gefährliche Uebungen geschwächten Kranken zu einem leicht zu errathenden Behufe conditio sine qua non. – Er suchte deswegen Autoritäten auf. Einmal hielt er mit einer Bauernfrau ein examen rigorosum über den methodum wie sie [116] gewisse Ehstandsgeschäfte mit ihrem Manne triebe, und sezte das arme Weib in die äußerste Verlegenheit. Reisenden gab er den Auftrag, in großen Bibliotheken nachzusehen, ob nicht die alten orientalischen Völker mit ihren Weibern ganz entkleidet zu Bette giengen. Sein Lieblingsbuch in der Bibel war das hohe Lied Salomons, weil der Geist der darin athmet, so ganz mit den seinigen übereinstimmte. Einem Briefe kann ich nicht anvertrauen, was ich über die unglüklichen Auswüchse der wollüstigen Imaginazion des Fürsten weiß, und gewiß weiß, weil ich von einem Manne belehret bin, welchem der verstorbene Fürst alle diese traurigen Geheimnisse mitgetheilt hat. Diese Stimmung, verbunden mit einer, wie natürlich, immer zunehmenden Schwäche, ist denn die einzige Ursache der Disharmonie zwischen ihm und seiner vortreflichen Gemahlin. Da Küchenkünste, wodurch er die träge Mannheit hervorzulokken, oder die halb erstorbene wieder auf einige Minuten ins Leben zurük zu rufen suchte, anfiengen, fruchtlos zu werden; so that er an diese Gemahlin Forderungen von so niedriger Art, daß sie dieselben, und das mit dem herzlichsten Beifalle von Seiten seiner eignen Aeltern, mit Schauder von sich wälzen mußte.

In dieser Noth faßte er den Entschluß, eine Beischläferin zu halten, und sein Reitknecht, welchen er ausgesandt hatte, um ihm eine zu wählen und zu bringen, brachte ihm die Tochter eines Scharfrichters.

Unglüklich fiel freilich dieser erste Versuch aus, denn die Undankbare lohnte dem Fürsten ihre Standeserhöhung schlecht, indem sie ihm eine unreine Krankheit mittheilte, womit die Befriediger ihrer durch ihn nur gereizten Begierden sie beschenkt hatten.

Es ist auffallend, daß der sonst so ängstlich scrupuleuse Fürst in dieser Lieblingsleidenschaft nun alle Schranken niederreißet, die seinen Begierden hinderlich sind.

[117] Daß nun sein Gehirn, an welches Edikt über Edikt ergieng, das erloschene Feuer des Körpers aufzuschüren, ob der schröklich ermattenden Arbeit ganz erschöpft wurde, und für jede andre Thätigkeit sich todt oder verworren zeigte, war nothwendige Folge.

Auch betrug er sich in allen seinen Verhältnissen als ein bedaurungswürdiger, unglüklicher Mann.

Seine Gemahlin haßte er, weil ihre edle und feine Seele sich mit keinen Unflätereyen vermählen konnte, und sein Haß gegen sie war so brennend, daß er einem seiner auswärtigen Bekannten schrieb, es würde nach dem Tode seines Vaters sein erstes Geschäfte sein, mit dem Stokke in der Hand in ihr Zimmer zu eilen, und sie zu prügeln.

Seinen ehelichen Kindern begegnete er mit unnatürlicher Kälte, weil die Wärme seines Herzens von andern Gegenständen verzehrt wurde. Es ist eine durch gedrukte Akten bekannte Thatsache, daß, nach dem Tode des alten Fürsten, einer der jungen Prinzen einmal durch Schuld des Vaters aus Mangel von Beinkleidern das Zimmer hüten mußte, während daß der Sohn seiner Maitresse einen Bedienten hat, und beinahe prinzlich verpflegt wird. Einer seiner Plane war, seinen ehelichen Söhnen Bauerngütchen zu kaufen, sie darauf zu sezen, und da ihre schönen Anlagen zu künftigen nüzlichen Staatsbürgern zu vergraben.

Sein Vater machte häufige Versuche, ihn durch Unterredungen, durch Mittheilung von Akten, und den Votis der Glieder der verschiedenen Dikasterien, endlich dadurch, daß er ihn in wichtigen Angelegenheiten den Sessionen beiwohnen ließ, welche er mit seinen Räthen hielt, zu seiner künftigen Bestimmung vorzubereiten, allein auch dieses Mittel schlug fehl, weil er alle Gegenstände mit kranken Augen des Geistes beleuchtete. Immer schob sich eine Queridee vor, die ihn hinderte, die Hauptsache so zu sehen, wie sie jeder vernünftige Mensch [118] sehen mußte. Auch an den unbedeutendsten Dingen sties sich seine Seele. – So hielt er, zum Beyspiele, das oft unvermeidliche Antidatiren eines Briefes für Sünde, so die gewöhnliche Unterschrift eines Reichsgrafen in Briefen, oder Bittschriften an Kaiserliche Majestät für Sünde, und ließ voraussehn, daß er einst auch durch solche Kleinigkeiten dem Gange der Geschäfte die schädlichsten Hindernisse in den Weg legen würde.

Die von Wollust und Skrupeln unbesezten Stunden, füllte er mit landökonomischen Versuchen, mit Aushekkung von Planen für die Zukunft, ja zu Zeiten mit Aussinnung kleiner Handlungsspekulazionen aus, allein auch diese Versuche seines Geistes gaben wenig tröstliche Aussichten. Er bebaute ein von der Kammer gepachtetes Guth, aber so unglüklich, daß er verschiedene male dabey banquerot machte. Einer seiner Lieblingsplane war, einst Waldungen auszurotten, das bewurzelte Erdreich unter unverheirathete Bauern und Bauernmädchen auszutheilen, sie zu verheirathen, durch Befriedigung eines ihm so süßen Naturtriebes glüklich zu machen, und so das Gebiet des moralischen Reiches Gottes zu erweitern. Das war eine lachende Idee für sein Herz. Freylich bedachte er dabei die Schwierigkeiten der Urbarmachung eines solchen Waldstükkes nicht, auch fiel ihm nicht ein, daß 22000 Rthl., welche das trefflich verwaltete Forstwesen dem fürstlichen Hause jährlich einträgt, bei dessen großer Schuldenlast keine Kleinigkeit sind.

Ein andres Plänchen gefiel ihm so sehr, daß er es der Welt in einer brochure mittheilte. Er glaubte nemlich ganz fest, daß er durch gewisse Armenanstalten, die er sich dereinst zu stiften vorsezte, selbst sehr reich werden würde. Gelesen hab’ ich das Ding. Von seinem innern Werthe brauche ich dir wol nichts zu sagen.

Die Handlungsspekulazionen geriethen auch nicht besser. Ein Pröbchen nur davon! Er schikte eine Anzahl [119] alter, ausgemergelter Pferde nach Paris, in der gewissen Hoffnung, sie dort mit großem Vortheile zu verkaufen. Der Knecht, welcher sie transportirte, hatte nicht Geld genug, die Pferde hatten das Fasten nicht gelernt, einige sollen krepirt sein, andre mußten verkauft werden, um die noch lebenden und den Knecht zu füttern, kurz der lezte kam mit leerem Beutel zurük, und glüklich war das gewiß, weil der Fürst sonst gereizt worden wäre, ins grosse zu handeln, und den Finanzen des Hauses dadurch völlig die Auszehrung zu geben.

So war denn beinahe alle sein Thun und Lassen mit einem Stempel bezeichnet, für welchen ich keinen Namen weiß. Ich sage: beinahe alle sein Thun und Lassen, denn gewiß ist es, daß er oft, wenn er seine Kräfte zusammen raffte, einen ziemlich dichten Flor vor die dunkeln Gewölke in seinem Kopfe zu ziehen wußte, und viele Menschen blendete, die von der Natur mit keinem sehr durchdringenden Auge begabt waren. Er ist höflich, weiß manches gesehene und gelesene ganz artig zu erzählen, er hat (versteht sich an heitern Tagen, besonders in Gegenwart von Fremden, wo er sich anstrengt) einen ganz erträglichen Wiz, ja er spielt sogar gut Schach. Warlich genug für einen Fürsten, um eine Menge Lobredner seines Geistes zu finden. Allein den Menschenkenner konnte er niemals irre machen, denn immer nahm sein Ideengang eine auffallend eigne Richtung, und, sobald das Gespräch einen Augenblik stokte, kehrte er wieder in sich selbst zurük. Das Auge bekam seinen alten, verwirrten Blik, die Stirne runzelte sich, der Flor fiel ab, und man sah, daß Finsternis das Element dieses Geistes war, und die manchmal durchbrechenden Lichtfunken ein bloßes Welterleuchten.

Das sah niemand mit mehr Klarheit ein, als sein großer Vater. Aber – wie viele tiefe Seufzer, wie viele heiße Thränen preßte das dem starken, auch in den [120] größesten Widerwärtigkeiten sonst so tapfern Manne aus! Nur einen Sohn haben, und einen solchen Sohn! Man mußte das gefühlvolle Herz des alten Fürsten kennen, um sich einen Begriff von seinen Leiden zu machen. Er hatte alle Heilungsmittel angewandt, die ihm sein fruchtbarer Geist darboth, Vorstellungen, Belehrungen, sanfte, rührende Bitten, Aerzte, aber alles vergeblich! Was seinen Jammer vermehrte, war der Gedanke, daß die Geisteskrankheit seines Sohnes eine unausrottbare Wurzel habe, daß sie in einer Art von Idiosynkrasie gegründet seyn, welche von alten Zeiten her seiner Familie eigen ist, und Kraft welcher in vielen Gliedern derselben Genie und Narrheit als gleichzeitiger Urstoff dicht neben einander liegen.

Sein Bruder, ein preußischer General, und, nach dem Zeugnisse des kompetentesten Richters, des Großen Friedrichs, ein vortreflicher Offizier wurde ein Narr[7], und erschoß sich. Sein Enkel, Prinz Clemens, dessen Jugend zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, kam in dem Alter, in welchem der Geist des Menschen gewöhnlich in der schönsten Blüthe steht, aus östreichischen Diensten zurük, mit den ersten Kennzeichen der Verwirrung, die unter den Augen seines gebeugten Großvaters von Tag zu Tage zunahm, und schnell zu Narrheit reifte. Zwar schienen bey jenem Geiz, und bey diesen Ausschweifungen, den unglüklichen Urstoff praedominant gemacht zu haben. Allein mit desto größerer Wehmuth mußte sich dem alten Fürsten der Gedanke aufdrängen, daß für seinen Sohn auch nicht die mindeste [121] Hoffnung mehr übrig seyn, da schon die Natur ihm des bösen Stoffes mehr mitgetheilt hatte, als des Guten und dieser leztere durch Wollust noch vollends zerquetscht worden ist.

Das tiefdringende Auge des Fürsten schob den Vorhang weg, welcher die Zukunft verhüllte. Er sah voraus, daß, wenn er einst nicht mehr seyn würde, Leiden der bittersten Art seine Gemahlin erwarteten, die er mit unbegränzter Zärtlichkeit liebte, daß seine Schwiegertochter der ganzen Wuth seines auf sie erbitterten Sohnes, und vielleicht den Verfolgungen einer maitresse würde preis gegeben werden, daß seine Enkel und Enkelinnen von ihrem Vater nichts zu erwarten hätten, als Hindernisse zu ihrem Glükke, daß edle und brauchbare Diener verjagt, oder verscheucht, Schurken und Unwissende an deren Stelle gewählt, die Gerechtigkeitspflege durch Cabinetseingriffe gestört, Waldungen verschleudert, die Einkünfte geschmälert, eine kaiserliche Commission herbeigerufen, und daß endlich in dem Bezirke seines Schlosses, den vorher Reinheit der Sitten heiligte, das Laster frech herumtaumeln würde.

Das alles glaubte der edle Greis voraus zu sehen. Welche Entschließungen dieser trübe Blik in die Zukunft in ihm erzeugt habe, davon in meinem nächsten Briefe.

Dritter Brief.

Traurig war die Gemüthslage des alten Mannes. Je heller sein Geist in die Zukunft sah, desto lauter und ernster forderte sein Gewissen, daß er auf irgend eine Art künftigem Unglükke vorbeuge.

Zweifelsucht und Unentschlossenheit sind die natürlichen Gefährten des hohen Alters. Kömmt es nun gar darauf an, einem einzigen Sohne wehe zu thun, und ihn durch einen entscheidenden Schritt vor den Augen der Welt herabzuwürdigen, so muß ja wohl diese Unentschlossenheit den höchsten Gipfel erreichen. Das [122] war der Fall bei dem Fürsten. Lange währte der Kampf zwischen seinem Vaterherzen und dem Gefühle höherer Pflichten. Er wankte von einem Plane zu dem andern. Endlich raffte er sich zusammen, erklärte durch ein am 25sten April 1788 errichtetes Testament seinen Sohn für succeßionsunfähig, und ernannte seinen zweyten Enkel zum Nachfolger in der Regierung. Zu dieser Ausschliessung von der Regierung berechtigte ihn schon ein zwischen den Grafen von Wied 1613 geschlossener Stamm-Verein. Er fügte aber dieser Enterbungs-Akte noch wichtige Gründe bei, nemlich:

„Das düstre Wesen seines Sohnes von Jugend an, seine Sonderbarkeiten, die verkehrte Richtung seines Verstandes und überspannte Einbildungskraft, seine übeln ökonomischen Versuche und dadurch gemachten Schulden, seine unanständige Lebensart, und die schimpfliche Behandlung seiner Gemahlin.“

Dieses Testament wurde bei der neuwiedischen Regierung deponirt, und die Dienerschaft darauf verpflichtet.

Die Wirkung dieser Verfügung auf die Seele des Erbprinzen kannst du dir leicht denken, so wie seine Bemühungen, die Zurüknahme dieses ihm verhaßten Testamentes zu bewirken. Es gelang ihm, seinen ehmaligen Hofmeister, den geheimen Rath Beckmann in sein Interesse zu ziehen. Dieser ängstigte den alten Fursten durch die Versicherung, daß das Testament schwere Prozesse zur Folge haben würde, so sehr, daß er es wieder zurüknahm.

Statt dessen ließ er seinen Sohn einen eidlichen Revers ausstellen. Er hoffte, dessen Skrupulosität würde diesen Eid heilig halten. Durch diesen Revers wollte er ihm nur die traurige Macht nehmen, Dinge zu thun, welche für Haus und Land gar nachtheilig wären.

[123] Dieser Revers bestimmt das Verhältnis seines Nachfolgers zu seiner Gemahlin und Kindern, und legt ihm das Gesez auf:

„Die Waldungen forstmäßig zu behandeln, keine Schulden zu machen, und den jährlich zu fertigenden Kameral-Statum ohne einhellige Bestimmung der Rentkammer und Regierung nicht abzuändern.“

Die Garantie davon übernahmen die jezt regierenden Fürsten zu Wied-Runkel und Wittgenstein-Berlenburg.

Sehr bald nach seinem den 7ten August 1791 erfolgten Regierungs-Antritte, zeigte er durch einen ohne Zuthun der Garants, noch der Landes-Dikasterien geschlossenen schädlichen Vergleich mit den Unterthanen, wie wenig er sich durch den eidlichen Revers für gebunden hielt. Die Garants kamen bei dem Reichskammer-Gerichte nicht nur gegen diesen Vergleich ein, um dessen Bestätigung zu hindern, sondern zeigten zugleich an, daß der Fürst blödsinnig, und also kuratelbedürftig seie.

Die eigne Mutter, Gemahlin und Dienerschaft des Fürsten bestätigten dieses, und gaben so starke Beweise davon an, daß das Reichskammer-Gericht sich gedrungen glaubte, nun kuratelmäßige Verfügung treffen zu müssen. Dieses geschah, und zwar Anfangs mit einer, ich mögte sagen, höchst galanten Schonung, indem es sich in seinem Urtel nicht einmal das Wort: Gemüthskrank erlaubte.

Was weiter erfolgt ist, weist du, weiß ganz Deutschland, dessen Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Prozes sehr gespannt war.

Es ist traurig, daß es Dinge giebt, deren Natur so geartet ist, daß die in manchen Fällen sehr herzhaften Geseze hier eine ängstliche, unbestimmte Sprache reden, und sich in ein ewiges Dunkel hüllen, und vielleicht hüllen müssen. Unter diesen Punkten steht gewiß die Frage oben an: Was ist Imbecillität? Was Geistesschwäche?

[124] Das Gesez kann dem Richter hier nur allgemeine Winke geben. Er selbst muß in einem bestimmten Falle den Umfang der Pflichten eines wegen Geistesschwäche Angeklagten, und die zu Ausübung dieser Pflichten erforderlichen Kräfte genau kennen, und dann als Philosoph aus Thatsachen entscheiden, ob jener den erforderlichen Grad von Geisteskräften besize, oder nicht? Will man das Amt eines Regenten nicht ganz lächerlich machen, so gehören, deucht mich, zu einem solchen Amte, wo nicht ausgezeichnete, doch ganz gesunde Geisteskräfte, und daß der Fürst von Neuwied diese nicht hatte, davon werden dich meine Briefe wohl sattsam überzeugt haben.

Laut öffentlichen Nachrichten sollen beinahe alle Vota in Regensburg für die Regierungsfähigkeit des Fürsten ausgefallen seyn. Das giebt mir die angenehme Zuversicht, daß er wieder genesen ist. Aber ich kann dir nicht bergen, daß ich vor einen Rükfalle zittre. Und wie gewöhnlich sind Rükfälle bei solchen Krankheiten!

Ich mag nicht an die traurigen Folgen denken, welche im Falle eines solchen Unglükkes unausbleiblich sind.

Mein Herz hängt zu warm an dem angenehmen, ehmals so blühenden Neuwied, und der liebenswürdigen Familie des Fürsten, als daß ich ohne Wehmuth mir sie unglüklich denken könnte. Die jungen Prinzen sind hofnungsvolle Pflanzen, und die zwei Prinzeßinnen? O wohl dem jungen Manne, dem das schöne Loos beschieden ist, sie ins Brautgemach zu führen! Er wird für einige Unannehmlichkeiten seiner Verbindung mit ihrem Vater reichlich entschädiget!

Dein P.          
  1. Sie nannten es der vielen Religionsparteien wegen, die daselbst freyen Gottesdienst üben, des Lieben Gottes Thiergarten.
  2. Er wurde erst in seinem hohen Alter in den Fürstenstand erhoben.
  3. Nur einen Beweis aus vielen: Friederich der Einzige musterte einst in einem traulichen Zirkel, verschiedene Reichsstände, und bestimmte, wozu er sie gebrauchen könnte. Als die Reihe an den Grafen von Neuwied kam, bedauerte er, daß er diesen grossen Kopf nicht zum Staatsminister haben könne.
  4. Einige Menschen haben mich versichert, daß in den ersten Jahren seiner Regierung der Graf sich öfters in der Nothwendigkeit befand, 30 bis 40 Gulden von einem seiner Unterthanen zu entlehnen.
  5. Die französische Sprache war seine Lieblingssprache.
  6. Italien und Frankreich.
  7. Zur Entschuldigung dieses Ausdrukkes, wenn er anders einer Entschuldigung bedarf, folgendes: Le Duc de Bourgogne demanda à l’Abbé de Choisy, comment il feroit pour dire, dans son histoire de Charles VI, que Charles VI etoit fou? Monseigneur, répondit l’Abbé, je dirai, qu’il étoit fou!