Ueber die Verbrecherkolonien der Engländer in Australien, und über die Errichtung französischer Verbrecherkolonien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ueber die Verbrecherkolonien der Engländer in Australien, und über die Errichtung französischer Verbrecherkolonien
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 38–39; 41, S. 149-150, 154–155, 163–164.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[149]

Ueber die Verbrecherkolonien der Engländer in Australien, und über die Errichtung französischer Verbrecherkolonien.


Die reißenden Fortschritte, welche der Wohlstand der brittischen Verbrecherkolonien im Südmeere während eines Zeitraums von vierzig Jahren gemacht hat, verdienen die Aufmerksamkeit der Regierungen im höchsten Grade. Die Deportation überhaupt ist etwas altes, aber nirgends ist sie noch unter diesem wohlthätigen Gesichtspunkte erschienen. Bei den Römern kam sie als Maßregel der hohen Polizei unter den Nachfolgern August’s, ja unter diesem selbst schon auf, traf aber immer nur Einzelne, die den Haß mißtrauischer Despoten, oder die Verfolgung des Majestätsgesetzes auf sich gezogen hatten. In einem solchen Falle war ein unwirthbarer Felsen des mittelländischen Meers, Egyptens oder Mauritaniens Wüsten, die Mündungen der Donau und des Dniepers, Germaniens oder Britanniens Wälder, die Grenzen des Reichs gegen Arabien, am Euphrat oder am Caucasus das Sibirien, wo die Opfer einer launischen Justiz oft elender Weise verschmachten mußten. Von einer andern Seite zeigt uns besonders die Geschichte der asiatischen Eroberer die Deportation, wenn manchmal ganze Völkerstämme, um jeden Abfall derselben zum voraus unmöglich zu machen, ihren väterlichen Wohnsitzen entrissen und mitten unter das Volk der Eroberer versetzt wurden. Als ein Mittel, die politische Einheit großer aus heterogenen Bestandtheilen zusammengeraffter Reiche zu befestigen, mochte sich diese Art von Deportation einer rücksichtslosen Politik empfehlen. Im XV und XVI Jahrhundert, als die Schifffahrt mit einer bis dahin unbekannten Kühnheit die alten Grenzen des Oceans überschritt, bildete die Deportation von Verbrechern und Heimathlosen die ersten Elemente einer europäischen Bevölkerung beinahe auf allen Kolonialplätzen der Antillen, Süd- und Nordamerika’s. Aber diese Transporte von Verurtheilten waren nicht das Ergebniß politischer Combinationen oder einer ordentlichen peinlichen Gesetzgebung; die Gefängnisse thaten sich oft nur auf, um den Staat der lästigen Sorge für diese Elenden zu überheben, die dann, an fremden Küsten hülflos ausgesetzt, und ihrem Schicksale überlassen, entweder dem Mangel und der Noth unterlagen, oder mit Wuth sich auf die unglücklichen Gegenden stürzten, denen man statt Menschen eine neue Art Raubthiere zu Bewohnern gegeben hatte. England gab in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts der Welt das erste Beispiel eines tief gedachten und mit Beharrlichkeit durchgeführten Planes, der nicht nur das Land von schädlichen Gesellschaftgliedern säubern, sondern auch in der Strafe, welche den Missethäter vom Schauplatze seiner Verbrechen entfernte, das Mittel für die Besserung seines physischen und moralischen Zustands finden ließ. Das Alterthum schon hatte die Verbannung, womit nicht selten die Ausstoßung aus der gesitteten Welt scheinbar oder wirklich verbunden war, als die der Todesstrafe am nächsten kommende Strafe angesehen; die englische Gesetzgebung oder Rechtspraxis ließ sie in vielen Fällen, meist durch Vermittlung der königlichen Begnadigungsprärogative an die Stelle der Todesstrafe treten. Manche Kriminalisten, die statt der letzteren ein Surrogat ausfindig zu machen Bedacht nahmen, trifft der Vorwurf, daß sie aus vermeinter Gerechtigkeitsliebe, indem sie dem Staate das Recht, Lebensstrafen zu verhängen, absprachen, zu grausamern Strafen riethen, als der Tod ist. Wenn der Verbrecher die Schuld, vielleicht eines Augenblicks, einer Stunde, durch ein langsames, Jahre lang dauerndes Hinsterben in finstern Kerkern, aus denen keine Erlösung ist, abbüßen soll, so fragt man mit Grund, ob der Tod, der doch immer die Strafe der höchsten Verbrechen bleibt, nicht einer solchen lebenslänglichen Freiheitsberaubung vorzuziehen sey. Die Justiz giebt dadurch, daß sie dem Verbrecher das Leben läßt, die Möglichkeit zu, daß derselbe sich mit der Welt wieder versöhnen könne, ja sie gibt ihm als Pflicht auf, daß er sich mit ihr versöhnen solle, denn sonst hätte die Wohlthat des Lebens keinen Sinn; indem sie ihm aber jede Hoffnung zur Rückkehr unter die Menschen abschneidet, und ihn für immer an einem Ort aufbewahrt, wo keine freie Handlung, also auch keine Versöhnung möglich ist, so entzieht sie ihm Mittel und Zweck derselben, und geräth dadurch mit sich selbst in Widerspruch. Die Deportation, wie sie von den Britten verstanden worden ist, bringt in sofern die peinliche Rechtspflege in Einklang mit der Moral, als sie das dem Verbrecher geschenkte Leben zugleich für ihn selbst wie für den Staat nutzbar macht.

Doch die Sache hat mehr als eine Seite, von der sie sich empfiehlt. Großbritannien war, bei seiner Herrschaft über die Meere, vorzüglich das Land, dem wir hierüber Belehrung verdanken sollten. Der nordamerikanische Krieg war beendigt; das Mutterland hatte die Emancipation seiner Kolonien nicht hindern können, und nur [150] seine Hülfsquellen erschöpft; als Folge der übermäßigen Kriegsanstrengungen lastete eine Masse von materiellem und sittlichem Elende auf Großbritannien. Der Friede vermochte nicht alle die Leidenschaften zu beschwichtigen, welche der gewaltige Sturm entfesselt hatte. Die Zahl der Verbrecher, welche die öffentliche Sicherheit gefährdeten, vermehrte sich erstaunlich, und erweckte die Besorgnisse der Regierung. Die allezeit gefüllten Gefängnisse kosteten dem Staate große Summen. Noch schmerzte auch der Verlust jener unermeßlichen Länderein, die sich gleich erwachsenen Kindern vom elterlichen Hause getrennt hatten. Man sah sich nach Ersatz um, und so ward die Errichtung neuer Kolonien als einer künftigen Quelle des Nationalreichthums beschlossen; zugleich dachte man, indem hiezu die Hände von oft eben so kräftigen als lasterhaften Verbrechern benutzt wurden, die Heimath von ihrem Auswurf zu säubern. Die Regierung warf ihre Blicke auf Afrika, aber man suchte umsonst auf dessen Küsten eine Lage zu entdecken, welche einer Niederlassung günstig geschienen hätte. Sir Joseph Banks, der sechszehn Jahre früher Cook auf seiner Reise nach Australien begleitet hatte, bezeichnet der Regierung als geeignet für den obigen Zweick das nach seinen gemachten botanischen Erwerbungen genannte Botanybay auf der östlichen Küste des großen australischen Festlands. Der klimatische Charakter dieser Gegenden, der gemäßigter ist als Länder unter gleicher Breite in andern Welttheilen, die gesunde, auch dem Europäer zusagende Lage, der reich ergiebige Boden, der ungedüngt beim ersten Umbrechen 100 bis 200fältige Frucht trägt, eine unbegrenzte Ausdehnung des Landes, endlich die Entfernung von Europa und von jeder andern Kolonialniederlassung – alles vereinigte sich hier, was der zu errichtenden Kolonie förderlich seyn konnte. Das brittische Neusüdwallis, mit Einschluß der Insel Vandiemensland, erstreckt sich von Norden nach Süden über eine Fläche von mehr als 30 Breite-Graden, und wenn man als westliche Grenze, wie die Britten thun, eine Linie annimmt, die man von Anheimsland südwärts bis zu den Inseln St. Franz und St. Peter zieht, so kann man wohl sagen, daß die dortige Kolonie der Embryo zahlreicher künftiger Völker und Reiche sey. Am 20 Januar 1788 landete nach einer Reise von acht Monaten der Statthalter Arthur Phillip mit einer kleinen Flotte von Transportschiffen, die unter dem Schutz von zwei Kriegsschiffen segelten, in Botanybay, und da ihm dieser Ort für die Ansiedlung wegen Wassermangels nicht passend schien, so begab er sich nach dem fünf Stunden entfernten Port Jackson, wo er an einer der zahlreichen Buchten dieses für alle Flotten der Welt hinreichend geräumigen Hafens den Grund zu der Hauptstadt der Kolonie, Sydney, legte, ohne sich durch das feindselige warra! warra! (fort! fort!) einiger Eingebornen abschrecken zu lassen. Das ganze für die Bildung der künftigen Kolonie bestimmte Personal belief sich auf 1030 Köpfe, worunter sich 565 männliche und 192 weibliche Verbrecher befanden. Unterwegs hatte man 36 Personen durch Krankheit oder andere Zufälle verloren. Der Viehstand der Kolonie bestand aus 1 Zuchtstier, 4 Kühen, 1 Bullenkalb, 1 Hengst, 3 Stuten, 3 Füllen. In der Folge hat man vom Cap, von Brasilien und von Bengalen Pferde, Rinder, Schaafe und Geflügel, von den Freundschafts- und Gesellschaftsinseln Schweine eingeführt. Nach Beseitigung der ersten Schwierigkeiten wurden die Hausthiere bald einheimisch und vermehrten sich stark; die Güte der Raçe litt durch die Verpflanzung nicht.

[154] Ein Umstand, welcher die rasche Zunahme der Bevölkerung hinderte, war das Mißverhältniß der weiblichen zur männlichen Bevölkerung, weil die Regierung nicht gerne weibliche Verbrecher mit bedeutenden Unkosten nach einer so entfernten Kolonie schickte. Unter 17000 während der Jahre 1788–1815 Deportirten, waren blos 3500 Weiber, und während auf Neusüdwallis 1810–1821 die männlichen Verbrecher in eilf Jahren von 2734 auf 12,608 anwuchsen, verminderte sich die Zahl der weiblichen von 1266 auf 1206. Bei der freien Bevölkerung ist jedoch das Verhältniß weniger ungleich: 1821 kamen auf 5323 Männer 3422 Weiber, während 1810 das Verhältniß 1255 zu 734 war. von den oben angeführten 17000 Deportirten starben in jenem Zeitraum von 27 Jahren 5500; dieser Verlust wurde aber durch 9000 Kinder die sie erzeugten, reichlich ersetzt. Gegenwärtig beläuft sich die gesammte Bevölkerung in Neusüdwallis mit Einschluß von Vandiemensland auf 60,000 Seelen; in Neusüdwallis allein wohnten im Jahr 1801 8,293, im Jahr 1821 29,783, und jetzt 40,000 Menschen, worunter die freiwilligen Einwanderer mitbegriffen sind. Sechs Ortschaften auf Neusüdwallis führen den Namen Städte, vier auf Vandiemensland, welches seit 1803 colonisirt ist, und unter einem eigenen Gouverneur steht[1] Sydney kann man eine ziemlich regelmäßige Stadt heißen; sie hat 1100 Häuser, und in Zukunft darf nur unter Aufsicht, und nach dem Plan eines öffentlichen Baumeisters gebaut werden. Seit 1817 ist hier eine öffentliche Bank. Die vornehmsten Einwohner der Kolonie vereinigten sich in eine Aktiengesellschaft, und erhielten das Patent auf sieben Jahre; 12,600 Pf. war das Kapital; Banknoten wurden ausgegeben zu 2½ Schilling, 5 Schill., 10 Schill., 1 Pfd. und 5 Pfd. Am letzten Januar 1821 waren 5902 Pfd. im Umlauf, die Dividenden der Gesellschaft betrugen vom 1sten April 1817 bis Dec. 1818, auf das Jahr berechnet, 12 pCt.; 1819 21 pCt.; 1821 12 pCt. Diese Banknoten und spanische Piaster sind die Mittel des Verkehrs auf Neusüdwallis. Auch Vandiemensland erhielt 1823 eine Bank.[2]

Die Literatur ist noch nicht bedeutend. Australasian Magazine, or compendium of religious, literary and miscellaneous intelligence in Sydney erscheint seit einigen Jahren als Monatschrift unter der Leitung der Methodistischen Missionäre. In einer Kolonie, deren Grundstock aus verdorbenen und desperaten Verbannten besteht, können die frommen Bemühungen dieser Enthusiasten manches Gute stiften, wiewohl zu erwarten ist, daß weder die Literatur noch die Religion der Bewohner von Neusüdwallis sich ihren Ton und Charakter nach diesen Missionären bilden werde. Der Gouverneur Sir Thomas Brisbane hatte eine philosophical society of Australasia vor einigen Jahren gestiftet. Die Bekanntmachungen dieser Gesellschaft gaben die erfreulichsten Beweise ihres großen Nutzens und ihrer Thätigkeit für die Verbreitung nützlicher Kenntnisse, besonders solcher, die das Land selbst, seine [155] Geographie u. s. w. betrafen, als der Herausgeber anzeigt, daß sie aufgehört habe, wobei er jedoch die Hoffnung ausdrückte, daß sie vielleicht wieder hergestellt werde.

Das seit längerer Zeit erscheinende Wochenblatt, Sydney Gazette and New-South-Wales Advertiser ist eine Regierungszeitung, welche durch die Hände des Kolonialsekretärs in’s Publikum kommt. Hobarttown, die Hauptstadt von Vandiemensland, 1823 eine Stadt von ungefähr 600 Häusern mit 3500 Einwohnern, beginnt wie Sydney die Wohlthaten der Presse zu erfahren. Die Hobarttown Gazette erscheint seit mehreren Jahren jeden Freitag; neu ist zu Port Dalrymple die Tasmanian Gazette. Der Tasmanian Almanack for 1825 darf, was den Styl betrifft, jedem ähnlichen Producte in Großbritannien an die Seite gestellt werden. Aus diesem Almanach ersehen wir, daß, ausser seiner Bank, Vandiemensland folgende Institutionen besitzt: die australische Gesellschaft (the Australian Company) errichtet den 31. Oct. 1822; die Ackerbaugesellschaft (Agricultural Society) 1821; die Gesellschaft der Künste (Society of Arts); die Hülfs-Bibelgesellschaft (Auxiliary Branch Bible Society) 1819; die Westleyanische Neben-Missionsgesellschaft (Wesleyan Branch Missionary Society) 1823. Aus derselben Quelle ersehen wir, daß die Kolonie zu Hobarttown und auf andern Theilen der Insel 5 öffentliche Branntweinbrennereien, 11 öffentliche Brauereien, 1 Seifen- und Salz-Manufaktur, 1 Hutmanufaktur, 1 Leim- und Pergament-Manufaktur, 3 Gerbereien besitzt.

Auf Neusüdwallis hält die Zunahme des Viehstands mit der Bevölkerung gleichen Schritt. Die Kolonie, welche 1810 an Pferden 1114, an Hornvieh 11,276, an Schafen 34,550, an Schweinen 8992 Stück, und 81,937 Morgen an Weiden, 13,700 Morgen als Ackerland im Besitz hatte, besaß 1821 schon 4,014 Pferde, 68,149 Rinder, 119,777[3] Schafe, 29,042 Schweine, 349,195 Morgen Weide, und 32,271 Morgen Ackerland. Die jetzige Ausfuhr von Landesprodukten nach England, (worunter 1821 181,500 und 1824 schon 383,000 Pfd. Wolle,) beträgt 2,350,000 Fr.; die Einfuhr von da 5,103,000 Franken; die öffentlichen Einkünfte der Kolonie 1,150,000 Franken, der Werth des Grundeigenthums 40,000,000 Fr. Die vier und zwanzig Individuen, welche die Bittschrift an die Regierung um Erlaubniß, Kolonialversammlungen zu halten, unterzeichnet haben, besitzen an angebauten Ländereien, an Gebäuden und Schiffen ein Vermögen von 950,000 Pf., was 200,000 mehr ist als der Werth des Eigenthums der ganzen Bevölkerung im Jahr 1810. – gewiß alles, was man von einer Kolonie erwarten kann, die sich unter so vielen Hindernissen in dieser ungeheuren Entfernung vom Mutterlande bilden mußte. Wenn auch nicht, wie Chateauneuf (De la colonisation des Condamnés et de l’avantage, qu’il y aurait pour la France à adopter cette mesure) meint, Großbritannien, das diese Kolonie in 31 Jahren auf 5,301,023 Pf. St. zu stehen gekommen ist, vielleicht zehenmal so viel erspart hat, weil es 33,000 Verbrecher weniger in England zu unterhalten, zu bewachen, und Gefängnisse für sie zu bauen hatte; wenn auch diese Colonien in sittlicher Hinsicht noch Manches zu wünschen übrig lassen, und dadurch Einwürfen ausgesetzt sind, welche Leute ohne wirkliche Kenntniß der Dinge und der Menschen dagegen erheben könnten; so bleibt als Versuch, das Nützliche mit dem Guten zu vereinigen, Neusüdwallis merkwürdig genug, und eine Regierung, die einem erst in ferner Zukunft sich verzinsenden[4] Unternehmen so große Geld-Opfer zu bringen, und es mit eben so viel Klugheit als Menschlichkeit ausführen wußte, verdient unsere ganze Achtung. Ließe eine Regierung sich von bloßer Philanthropie leiten, so würde sie ohne Zweifel mehr Tadel als Lob treffen, weil sie das wesentliche im politischen, die Interessen, nicht wahrte. Eine Colonisirung von Deportirten, sagt Chateauneuf, ist zu betrachten, als die Gründung eines neuen Volks in einem neuen Lande und in sofern als ein neuer Stapelplatz, der den Manufakturen und Produkten des Mutterlandes eröffnet wird. Genug für den Beifall des Politikers. Der philosophische Gesetzgeber und Moralist haben einen weitern Gesichtspunkt. Man bestraft ein Verbrechen: die Sicherheit, die gestörte Ruhe der Gesellschaft, die verletzte Heiligkeit der Gesetze heischen Genugthuung; aber der Zweck der Bestrafung ist nur halb erreicht, wenn die Besserung des Schuldigen nicht mit bedacht wird. Straft man ohne diese Rücksicht, so macht man den Bestraften zu einem Feind, der beständig bewacht werden muß, weil er mit Gewalt oder List sich an der Gesellschaft rächen will, die ihn ausgestoßen hat. Je grausamer, je entehrender die Strafe ist, die ihm auferlegt wurde, desto unversöhnlicher ist seine Rache. Man weiß, wie viele Verbrechen von Rückfälligen begangen werden, die ungebessert aus den Händen der Gerechtigkeit in die Welt zurücktreten, und wie unbedeutend im Verhältniß zur Bevölkerung die Anzahl von Bösewichtern ist, welche die Gerichtshöfe fortwährend in Athem erhalten, und dem Staat unermeßliche Summen für Rechtspflegen abnöthigt. Die Deportation ist das einzige Mittel, diesem Uebelstande, wo nicht gänzlich, doch theilweise abzuhelfen, ein Mittel, dessen Nothwendigkeit namentlich auch für Frankreich von Tag zu Tag einleuchtender wird.

[163] Von 1813 bis 1820 wurden in Frankreich 45,650 Individuen von den Assisen verurtheilt; darunter blos 9,000 zu kürzerem oder längerem Gefängnisse. Der Rest von 36,650 bevölkerte die Zuchthäuser und die Galeeren. Der Tod vermindert diese Summe, aber in minderm Grade als man glaubt. Dr. Villermé berechnet, daß auf den Galeeren zu Brest die Sterblichkeit 1 von 49 beträgt – ein weit günstigeres Verhältniß, als im gewöhnlichen Leben in Frankreich; da aber das Verhältniß in Rochefort vor einigen Jahren 1 von 24 war, so kann man im Durchschnitt 1 von 28 oder 30 als die Sterblichkeit auf den Galeeren annehmen, und in den Zuchthäusern 1 von 12 bis 15. Die Bevölkerung in diesen Anstalten nimmt beständig zu, und die Erbauung neuer Gefängnisse auf den verschiedenen Puncten des Königreichs beweist, wie bedeutend diese Zunahme ist. Nach Dr. Villermé waren 1818 in den Gefängnissen 44,480. Jedes Jahr werden ungefähr 2,000 frei, die mit dem Zeichen der Schande gebrandmarkt, und unter der Aufsicht der Polizei in die Gesellschaft zurückgeworfen werden. Solcher Revenants sind in ganz Frankreich mehr als 30,000, und darunter 2/3 aus den Zuchthäusern und von den Galeeren. Nach dem Berichte des Siegelbewahrers kamen 1826 269 Rückfällige vor die Gerichte, d. h. das Verhältniß dieser Classe von Angeklagten zur Summe der jährlich Freigelassenen ist 1 von 75, zur Landesbevölkerung 1 von 4,195. Es gibt wenige Verbrechen, wobei nicht vormalige Galeerensclaven compromittirt sind. Der genauen Kenntniß ihres jeweiligen Aufenthaltsorts verdankt man die Unfehlbarkeit der gerichtlichen Verfolgungen; sie aber von neuen Angriffen auf die öffentliche Sicherheit abzuhalten, reicht die polizeiliche Aufsicht nicht hin, wenn man nicht jedem von ihnen einen eigenen [164] Wächter an die Seite stellen will; die Noth zwingt sie, die Confination zu brechen. Man flieht sie, und sie fliehen wieder, wo man sie kennt. Aber kennt man sie nicht überall? Wie soll ein solcher Unglücklicher Arbeit finden, die ihn ernährt, Menschen, die ihn aufnehmen? Jeder, der eine entehrende Strafe erlitten, bekommt statt des gewöhnlichen Passes eine Karte, welche seine Verurtheilung enthält, und ihm nach seiner Wahl einen Aufenthaltsort anweist, den er nicht ohne Erlaubniß verlassen darf, wo er sich von Zeit zu Zeit vor der Behörde zu stellen hat, wo er aber in der Zwischenzeit ohne Aufsicht bleibt. Man hat die Zweckmäßigkeit jener Karte bestritten, und doch ist ihre Nothwendigkeit unläugbar. Man kann doch unmöglich dem gewesenen Galeerensklaven ein Zeugniß der Sittlichkeit ausstellen, durch eine offizielle Lüge seine Schande bedecken, ihm eine Achtung verschaffen, die nur dem Rechtschaffenen gebührt, ihm die Mittel reichen, das öffentliche Zutrauen, gegen das er schon gefrevelt, von Neuem zu täuschen; man kann eben so wenig voraussetzen, daß derselbe von der Ruderbank andere Grundsätze zurück bringe, als die, welche ihn dahin gebracht haben, daß er komme, um der Welt das erbauliche Beispiel eines zerknirschten gebesserten Verbrechers zu geben. Wer will an die Tugend der Gefängnisse, an die Reue der Zuchthäuser glauben? Wenn auf der einen Seite die polizeiliche Aufsicht unerläßlich, auf der andern mit bedeutenden Inconvenienzen verbunden ist, so verlangt Chateauneuf, daß dieser Stand der Dinge anders werde, daß man ein in seinen Prinzipien vernünftigeres, in seinen Folgen weniger gefährliches Strafsystem einführe. – Setzen wir als Axiom fest, daß die Strafe die sittliche Besserung des Schuldigen zum Zweck haben solle. – „Es giebt nur Ein Mittel“ rufen die Einen; „man muß die religiösen Gefühle in den Herzen, wo sie erloschen sind, wieder anfachen.“ „Erleuchtet die Geister,“ sagen die Andern; „verbreitet den Unterricht in die Hütten der Aermsten, und vertraut den Wohlthaten der Aufklärung.“ Chateauneuf ergreift weder das eine noch das andere dieser Systeme ausschließlich. Ohne Zweifel ist der sittliche Einfluß der Religion unermeßlich, aber die Völker und die Individuen – man betrachte die Italiener und Spanier – sind nicht eben in demselben Verhältnisse tugendhaft, wie sie in den Vorschriften ihrer Religion pünktlich sind. Und die Aufklärung, welche die Sitten verfeinert, wechselt oft nur die wilde Kraft der Barbaren gegen die raffinirte Lasterhaftigkeit greiser Völker. In England ist der Unterricht zweimal so verbreitet, als in Frankreich; die Verbrechen aber sind daselbst viermal so zahlreich: im Jahr 1826 kam auf 4211 Menschen in Frankreich Ein Verbrecher, in England aber auf 950. In Frankreich sind die zwei äußersten Puncte der Civilisation Paris und Corsica: man bemerke die Verschiedenheit des Charakters, welchen die Vergehungen in beiden annehmen. In Paris werden 90 von 100 wegen Vergehen gegen das Eigenthum, in Corsica 76 von 100 wegen Verbrechen gegen Personen verurtheilt. In ganz Frankreich sind die Verbrechen gegen Personen 29 von 100, in England kaum 4 von 100. Dieß ist die positive Wirkung der Civilisation auf die Sitten: indem sie die Verbrechen gegen die Personen in Verbrechen gegen die Sachen verwandelt, macht sie aus einem Mörder einen Gauner, aus einem Räuber einen Betrüger; sie setzt die List an die Stelle der Kraft, den Diebstahl an die Stelle der Gewaltthat. Diese sittliche Veränderung ist vielleicht eine Verbesserung, aber gewiß nicht die, welche man für die Verurtheilten suchte. Welches soll also der mächtige Einfluß seyn, der einem verdorbenen Herzen die Tugend und die Liebe zur Ordnung wieder geben soll, wenn die Religion und die Aufklärung allein es nicht vermögen? „Es giebt,“ sagt Chateauneuf, „nur ein wirksames Mittel, den Verbrecher zu ändern: man ändere seine Lage. Er kennt keinen eigenen Besitz; man gebe ihm denselben, man knüpfe ihn an das Gute, indem man das doppelte Interesse für die Familie und das Eigenthum in ihm erweckt. Dieß ist aber in Frankreich nicht möglich; thut es daher anderswo, und seyd überzeugt, daß ein Deportirter, der 1000 Meilen fern den Acker baut, dessen Ertrag ihm gehört, auf jeden Fall mehr werth ist, als der Galeerensklave, der unter der Last der Ketten und der Schläge den Schlamm unserer Häfen wegschafft, und die Lecke unserer Schiffe ausbessert.“ Das Eigenthum ist die wahrhafte Grundlage der öffentlichen Moral, weil es dem Menschen das Gefühl seiner Würde und ein Interesse für die Aufrechthaltung der bürgerlichen Ordnung einflößt. Wenn Frankreich über England eine unermeßliche moralische Ueberlegenheit besitzt, so verdankt es dieselbe der gleichmäßigeren Vertheilung des Eigenthums. Immer waren und sind es die Proletarier, welche die Gefängnisse bevölkern. Die Deportation hat zur Folge, daß das Land von der verdorbensten Klasse dieser Leute befreit wird, die in einem Zustand immerwährender Zerfallenheit mit den Gesetzen sich befinden; auf einem andern Punkt der Erde wird aus ihnen eine neue Bevölkerung von Land-Eigenthümern.

Die Hauptschwierigkeit gegen die Ausführung des Deportationssystems ist nicht der Geldaufwand. Chateauneuf berechnet, daß die Gefangenen in Frankreich jährlich 11 Millionen kosten, ohne daß man eine productive Arbeit von ihnen erhielte. Angenommen, daß die Arbeit eines Deportirten in den Kolonien gleich sey der Arbeit eines Negers, und daß der erste Transport aus 5,000 Verurtheilten bestehe, so ist im Verlauf einiger Jahre der Ertrag ihrer Arbeit 2,500,000 Fr.; und wenn ihre Anzahl auf 10,000 gebracht wird, 5,000,000 Fr., eine Summe, die hinreicht, um die Kosten der Niederlassung zu decken. Schwieriger ist es den Ort zu bestimmen, wo Frankreich seine Deportirten-Colonie errichten könnte. Chateauneuf wagt keinen Vorschlag deshalb zu machen. Indessen ist die Deportation in den Gesetzbüchern des Staats als Strafe ausgesprochen. Die Gerichte erkennen auf sie, und so entsteht die bizarre und grausame Anomalie, daß die Unglücklichen, die auf einen fremden Boden gebracht werden sollten, fortwährend in den Kerkern von Mont S. Michel seufzen.


  1. 1821 bestand die Bevölkerung von Vandiemensland aus 7185 Individuen; darunter waren 3246 freie Kolonisten, und 3939 Verbrecher.
  2. 1825 wurde Neuseeland von einer brittischen Handelsgesellschaft wegen des Flachsbaus (phormium tenax) colonisirt.
  3. Auf Vandiemensland ist die Schafzucht stärker; es fanden sich 1821 daselbst 174,178 Stück, den Emancipirten, und 87,390 Stück den freiwillig Eingewanderten gehörig. Mit jedem nach Neuholland abgehenden Schiff werden Schafe von spanischer und sächsischer Race dahin abgeschickt.
  4. Die Zeit des Verzinsens ist nicht mehr fern. Die australische Ackerbaugesellschaft mit einem Kapital von 1,000,000 Pf. in 10,000 Aktien von 100 Pf., 1824 errichtet, welcher die Regierung 1,000,000 Morgen Landes überläßt, unter der Bedingung, die Schafe, Wein- und Oel-Kultur zu befördern, soll das übrige thun. England hofft seinen Bedarf an feiner Wolle, jährlich für 20,000,000 Pf., statt aus Deutschland und Spanien, bald (?) aus Australien beziehen zu können.