Ueber eine neue Art von Strahlen (Vorläufige Mittheilung)

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Autor: Wilhelm Conrad Röntgen
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Titel: Ueber eine neue Art von Strahlen
Untertitel: Vorläufige Mittheilung
aus: Sonderabbdruck aus den Sitzungsberichten der Würzburger Physik.-medic. Gesellschaft 1895
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Entstehungsdatum: 1895
Erscheinungsdatum: ca. 1896
Verlag: Stahel’sche K. Hof- und Universitätsbuch- und Kunsthandlung
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Erscheinungsort: Würzburg
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Quelle: Posner Memorial Collection, Commons
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[1]
W. C. Röntgen: Ueber eine neue Art von Strahlen.
(Vorläufige Mittheilung.)

1. Lässt man durch eine Hittorf’sche Vacuumröhre, oder einen genügend evacuirten Lenard’schen, Crookes’schen oder ähnlichen Apparat die Entladungen eines grösseren Ruhmkorff’s gehen und bedeckt die Röhre mit einem ziemlich eng anliegenden Mantel aus dünnem, schwarzem Carton, so sieht man in dem vollständig verdunkelten Zimmer einen in die Nähe des Apparates gebrachten, mit Bariumplatincyanür angestrichenen Papierschirm bei jeder Entladung hell aufleuchten, fluoresciren, gleichgültig ob die angestrichene oder die andere Seite des Schirmes dem Entladungsapparat zugewendet ist. Die Fluorescenz ist noch in 2 m Entfernung vom Apparat bemerkbar.

Man überzeugt sich leicht, dass die Ursache der Fluorescenz vom Entladungsapparat und von keiner anderen Stelle der Leitung ausgeht.

2. Das an dieser Erscheinung zunächst Auffallende ist, dass durch die schwarze Cartonhülse, welche keine sichtbaren oder ultravioletten Strahlen des Sonnen- oder des elektrischen Bogenlichtes durchlässt, ein Agens hindurchgeht, das im Stande ist, lebhafte Fluorescenz zu erzeugen, und man wird deshalb wohl zuerst untersuchen, ob auch andere Körper diese Eigenschaft besitzen.

Man findet bald, dass alle Körper für dasselbe durchlässig sind, aber in sehr verschiedenem Grade. Einige Beispiele führe ich an. Papier ist sehr durchlässig:[1] hinter einem eingebundenen Buch von ca. 1000 Seiten sah ich den Fluorescenzschirm noch deutlich leuchten; die Druckerschwärze bietet kein merkliches Hinderniss. Ebenso zeigte sich Fluorescenz hinter einem doppelten Whistspiel; eine einzelne Karte zwischen Apparat [2] und Schirm gehalten macht sich dem Auge fast gar nicht bemerkbar. – Auch ein einfaches Blatt Stanniol ist kaum wahrzunehmen; erst nachdem mehrere Lagen über einander gelegt sind, sieht man ihren Schatten deutlich auf dem Schirm. – Dicke Holzblöcke sind noch durchlässig; zwei bis drei cm dicke Bretter aus Tannenholz absorbiren nur sehr wenig. – Eine ca. 15 mm dicke Aluminiumschicht schwächte die Wirkung recht beträchtlich, war aber nicht im Stande, die Fluorescenz ganz zum Verschwinden zu bringen. – Mehrere cm dicke Hartgummischeiben lassen noch Strahlen[2] hindurch. – Glasplatten gleicher Dicke verhalten sich verschieden, je nachdem sie bleihaltig sind (Flintglas) oder nicht; erstere sind viel weniger durchlässig als letztere. – Hält man die Hand zwischen den Entladungsapparat und den Schirm, so sieht man die dunkleren Schatten der Handknochen in dem nur wenig dunklen Schattenbild der Hand. – Wasser, Schwefelkohlenstoff und verschiedene andere Flüssigkeiten erweisen sich in Glimmergefässen untersucht als sehr durchlässig. – Dass Wasserstoff wesentlich durchlässiger wäre als Luft habe ich nicht finden können. – Hinter Platten aus Kupfer, resp. Silber, Blei, Gold, Platin ist die Fluorescenz noch deutlich zu erkennen, doch nur dann, wenn die Plattendicke nicht zu bedeutend ist. Platin von 0,2 mm Dicke ist noch durchlässig; die Silber- und Kupferplatten können schon stärker sein. Blei in 1,5 mm Dicke ist so gut wie undurchlässig und wurde deshalb häufig wegen dieser Eigenschaft verwendet. – Ein Holzstab mit quadratischem Querschnitt (20 × 20 mm), dessen eine Seite mit Bleifarbe weiss angestrichen ist, verhält sich verschieden, je nachdem er zwischen Apparat und Schirm gehalten wird; fast vollständig wirkungslos, wenn die X-Strahlen parallel der angestrichenen Seite durchgehen, entwirft der Stab einen dunklen Schatten, wenn die Strahlen die Anstrichfarbe durchsetzen müssen. – In eine ähnliche Reihe, wie die Metalle, lassen sich ihre Salze, fest oder in Lösung, in Bezug auf ihre Durchlässigkeit ordnen.

3. Die angeführten Versuchsergebnisse und andere führen zu der Folgerung, dass die Durchlässigkeit der verschiedenen [3] Substanzen, gleiche Schichtendicke vorausgesetzt, wesentlich bedingt ist durch ihre Dichte: keine andere Eigenschaft macht sich wenigstens in so hohem Grade bemerkbar als diese.

Dass aber die Dichte doch nicht ganz allein massgebend ist, das beweisen folgende Versuche. Ich untersuchte auf ihre Durchlässigkeit nahezu gleichdicke Platten aus Glas, Aluminium, Kalkspath und Quarz; die Dichte dieser Substanzen stellte sich als ungefähr gleich heraus, und doch zeigte sich ganz evident, dass der Kalkspath beträchtlich weniger durchlässig ist als die übrigen Körper, die sich untereinander ziemlich gleich verhielten. Eine besonders starke Fluorescenz des Kalkspathes (vergl. u. pag. 4.) namentlich im Vergleich zum Glas habe ich nicht bemerkt.

4. Mit zunehmender Dicke werden alle Körper weniger durchlässig. Um vielleicht eine Beziehung zwischen Durchlässigkeit und Schichtendicke finden zu können, habe ich photographische Aufnahmen (vergl. u. pag. 4.) gemacht, bei denen die photographische Platte zum Theil bedeckt war mit Stanniolschichten von stufenweise zunehmender Blätterzahl; eine photometrische Messung soll vorgenommen werden, wenn ich im Besitz eines geeigneten Photometers bin.

5. Aus Platin, Blei, Zink und Aluminium wurden durch Auswalzen Bleche von einer solchen Dicke hergestellt, dass alle nahezu gleich durchlässig erschienen. Die folgende Tabelle enthält die gemessene Dicke in mm, die relative Dicke bezogen auf die des Platinbleches und die Dichte.

Dicke relat. Dicke Dichte
Pt. 0,018 mm 001 21,5
Pb. 0,05 003 11,3
Zn. 0,10 006 07,1
Al. 3,5 200 02,6

Aus diesen Werthen ist zu entnehmen, dass keineswegs gleiche Durchlässigkeit verschiedener Metalle vorhanden ist, wenn das Produkt aus Dicke und Dichte gleich ist. Die Durchlässigkeit nimmt in viel stärkerem Masse zu, als jenes Product abnimmt.

6. Die Fluorescenz des Bariumplatincyanürs ist nicht die einzige erkennbare Wirkung der X-Strahlen. Zunächst ist zu erwähnen, dass auch andere Körper fluoresciren; so z. B. die [4] als Phosphore bekannten Calciumverbindungen, dann Uranglas, gewöhnliches Glas, Kalkspath, Steinsalz etc.

Von besondererer Bedeutung in mancher Hinsicht ist die Thatsache, dass photographische Trockenplatten sich als empfindlich für die X-Strahlen erwiesen haben. Man ist im Stande manche Erscheinung zu fixiren, wodurch Täuschungen leichter ausgeschlossen werden; und ich habe, wo es irgend anging, jede wichtigere Beobachtung, die ich mit dem Auge am Fluorescenzschirm machte, durch eine photographische Aufnahme controllirt.

Dabei kommt die Eigenschaft der Strahlen, fast ungehindert durch dünnere Holz-, Papier- und Stanniolschichten hindurchgehen zu können, sehr zu Statten; man kann die Aufnahmen mit der in der Cassette, oder in einer Papierumhüllung eingeschlossenen photographischen Platte im beleuchteten Zimmer machen. Andererseits hat diese Eigenschaft auch zur Folge, dass man unentwickelte Platten nicht bloss durch die gebräuchliche Hülle aus Pappendeckel und Papier geschützt längere Zeit in der Nähe des Entladungsapparates liegen lassen darf.

Fraglich erscheint es noch, ob die chemische Wirkung auf die Silbersalze der photographischen Platte direct von den X-Strahlen ausgeübt wird. Möglich ist es, dass diese Wirkung herrührt von dem Fluorescenzlicht, das, wie oben angegeben, in der Glasplatte, oder vielleicht in der Gelatineschicht erzeugt wird. „Films“ können übrigens ebenso gut wie Glasplatten verwendet werden.

Dass die X-Strahlen auch eine Wärmewirkung auszuüben im Stande sind, habe ich noch nicht experimentell nachgewiesen; doch darf man wohl diese Eigenschaft als vorhanden annehmen, nachdem durch die Fluorescenzerscheinungen die Fähigkeit der X-Strahlen, verwandelt zu werden, nachgewiesen ist, und es sicher ist, dass nicht alle auffallenden X-Strahlen den Körper als solche wieder verlassen.

Die Retina des Auges ist für unsere Strahlen unempfindlich; das dicht an den Entladungsapparat herangebrachte Auge bemerkt nichts, wiewohl nach den gemachten Erfahrungen die im Auge enthaltenen Medien für die Strahlen durchlässig genug sein müssen.

7. Nachdem ich die Durchlässigkeit verschiedener Körper von relativ grosser Dicke erkannt hatte, beeilte ich mich, zu erfahren, wie sich die X-Strahlen beim Durchgang durch ein [5] Prisma verhalten, ob sie darin abgelenkt werden oder nicht. Versuche mit Wasser und Schwefelkohlenstoff in Glimmerprismen von ca. 30° brechendem Winkel haben gar keine Ablenkung erkennen lassen weder am Fluorescenzschirm, noch an der photographischen Platte. Zum Vergleich wurde unter denselben Verhältnissen die Ablenkung von Lichtstrahlen beobachtet; die abgelenkten Bilder lagen auf der Platte um ca. 10 mm resp. ca. 20 mm von dem nicht abgelenkten entfernt. – Mit einem Hartgummi- und einem Aluminiumprisma von ebenfalls ca. 30° brechendem Winkel habe ich auf der photographischen Platte Bilder bekommen, an denen man vielleicht eine Ablenkung erkennen kann. Doch ist die Sache sehr unsicher, und die Ablenkung ist, wenn überhaupt vorhanden, jedenfalls so klein, dass der Brechungsexponent der X-Strahlen in den genannten Substanzen höchstens 1.05 sein könnte. Mit dem Fluorescenzschirm habe ich auch in diesem Fall keine Ablenkung beobachten können.

Versuche mit Prismen aus dichteren Metallen lieferten bis jetzt wegen der geringen Durchlässigkeit und der in Folge dessen geringen Intensität der durchgelassenen Strahlen kein sicheres Resultat.

In Anbetracht dieser Sachlage einerseits und andererseits der Wichtigkeit der Frage, ob die X-Strahlen beim Uebergang von einem Medium zum anderen gebrochen werden können oder nicht, ist es sehr erfreulich, dass diese Frage noch in anderer Weise untersucht werden kann, als mit Hülfe von Prismen. Fein pulverisirte Körper lassen in genügender Schichtendicke das auffallende Licht nur wenig und zerstreut hindurch in Folge von Brechung und Reflexion: erweisen sich nun die Pulver für die X-Strahlen gleich durchlässig, wie die cohärente Substanz – gleiche Massen vorausgesetzt – so ist damit nachgewiesen, dass sowohl eine Brechung als auch eine regelmässige Reflexion nicht in merklichem Betrage vorhanden ist. Die Versuche wurden mit fein pulverisirtem Steinsalz, mit feinem, auf electrolytischem Wege gewonnenem Silberpulver und dem zu chemischen Untersuchungen vielfach verwandten Zinkstaub angestellt; es ergab sich in allen Fällen kein Unterschied in der Durchlässigkeit der Pulver und der cohärenten Substanz, sowohl bei der Beobachtung am Fluorenscenzschirm, als auch auf der photographischen Platte.

[6] Dass man mit Linsen die X-Strahlen nicht concentriren kann, ist nach dem Mitgetheilten selbstverständlich; eine grosse Hartgummilinse und eine Glaslinse erwiesen sich in der That als wirkungslos. Das Schattenbild eines runden Stabes ist in der Mitte dunkler als am Rande; dasjenige einer Röhre, die mit einer Substanz gefüllt ist, die durchlässiger ist als das Material der Röhre, ist in der Mitte heller als am Rande.

8. Die Frage nach der Reflexion der X-Strahlen ist durch die Versuche des vorigen Paragraphen als in dem Sinne erledigt zu betrachten, dass eine merkliche regelmässige Zurückwerfung der Strahlen an keiner der untersuchten Substanzen stattfindet. Andere Versuche, die ich hier übergehen will, führen zu demselben Resultat.

Indessen ist eine Beobachtung zu erwähnen, die auf den ersten Blick das Gegentheil zu ergeben scheint. Ich exponirte eine durch schwarzes Papier gegen Lichtstrahlen geschützte photographische Platte, mit der Glasseite dem Entladungsapparat zugewendet, den X-Strahlen; die empfindliche Schicht war bis auf einen frei bleibenden Theil mit blanken Platten aus Platin, Blei, Zink und Aluminium in sternförmiger Anordnung bedeckt. Auf dem entwickelten Negativ ist deutlich zu erkennen, dass die Schwärzung unter dem Platin, dem Blei und besonders unter dem Zink stärker ist als an den anderen Stellen; das Aluminium hatte gar keine Wirkung ausgeübt. Es scheint somit, dass die drei genannten Metalle die Strahlen reflectiren; indessen wären noch andere Ursachen für die stärkere Schwärzung denkbar, und um sicher zu gehen, legte ich bei einem zweiten Versuch zwischen die empfindliche Schicht und die Metallplatten ein Stück dünnes Blattaluminium, welches für ultraviolette Strahlen undurchlässig, dagegen für die X-Strahlen sehr durchlässig ist. Da auch jetzt wieder im Wesentlichen dasselbe Resultat erhalten wurde, so ist eine Reflexion von X-Strahlen an den genannten Metallen nachgewiesen.

Hält man diese Thatsache zusammen mit der Beobachtung, dass Pulver ebenso durchlässig sind, wie cohärente Körper, dass weiter Körper mit rauher Oberfläche sich beim Durchgang der X-Strahlen, wie auch bei dem zuletzt beschriebenen Versuch ganz gleich wie polirte Körper verhalten, so kommt man zu der Anschauung, dass zwar eine regelmässige Reflexion, wie gesagt, nicht stattfindet, dass aber die Körper sich den X-Strahlen gegenüber ähnlich verhalten, wie die trüben Medien dem Licht gegenüber.

[7] Da ich auch keine Brechung beim Uebergang von einem Medium zum anderen nachweisen konnte, so hat es den Anschein, als ob die X-Strahlen sich mit gleicher Geschwindigkeit in allen Körpern bewegen, und zwar in einem Medium, das überall vorhanden ist, und in welchem die Körpertheilchen eingebettet sind. Die letzteren bilden für die Ausbreitung der X-Strahlen ein Hinderniss und zwar im Allgemeinen ein desto grösseres, je dichter der betreffende Körper ist.

9. Demnach wäre es möglich, dass auch die Anordnung der Theilchen im Körper auf die Durchlässigkeit desselben einen Einfluss ausübte, dass z. B. ein Stück Kalkspath bei gleicher Dicke verschieden durchlässig wäre, wenn dasselbe in der Richtung der Axe oder senkrecht dazu durchstrahlt wird. Versuche mit Kalkspath und Quarz haben aber ein negatives Resultat ergeben.

10. Bekanntlich ist Lenard bei seinen schönen Versuchen über die von einem dünnen Aluminiumblättchen hindurchgelassenen Hittorf’schen Kathodenstrahlen zu dem Resultat gekommen, dass diese Strahlen Vorgänge im Aether sind, und dass sie in allen Körpern diffus verlaufen. Von unseren Strahlen haben wir Aehnliches aussagen können.

In seiner letzten Arbeit hat Lenard das Absorptionsvermögen verschiedener Körper für die Kathodenstrahlen bestimmt und dasselbe u. a. für Luft von Atmosphärendruck zu 4,10, 3,40, 3,10 auf 1 cm bezogen gefunden, je nach der Verdünnung des im Entladungsapparat enthaltenen Gases. Nach der aus der Funkenstrecke geschätzten Entladungsspannung zu urtheilen, habe ich es bei meinen Versuchen meistens mit ungefähr gleichgrossen und nur selten mit geringeren und grösseren Verdünnungen zu thun gehabt. Es gelang mir mit dem L. Weber’schen Photometer – ein besseres besitze ich nicht – in atmosphärischer Luft die Intensitäten des Fluorescenzlichtes meines Schirmes in zwei Abständen – ca. 100 resp. 200 mm – vom Entladungsapparat mit einander zu vergleichen, und ich fand aus drei recht gut mit einander übereinstimmenden Versuchen, dass dieselben sich umgekehrt wie die Quadrate der resp. Entfernungen des Schirmes vom Entladungsapparat verhalten. Demnach hält die Luft von den hindurchgehenden X-Strahlen einen viel kleineren Bruchtheil zurück als von den Kathodenstrahlen. Dieses Resultat [8] ist auch ganz in Uebereinstimmung mit der oben erwähnten Beobachtung, dass das Fluorescenzlicht noch in 2 m Distanz vom Entladungsapparat wahrzunehmen ist.

Aehnlich wie Luft verhalten sich im Allgemeinen die anderen Körper: sie sind für die X-Strahlen durchlässiger als für die Kathodenstrahlen.

11. Eine weitere sehr bemerkenswerthe Verschiedenheit in dem Verhalten der Kathodenstrahlen und der X-Strahlen liegt in der Thatsache, dass es mir trotz vieler Bemühungen nicht gelungen ist, auch in sehr kräftigen magnetischen Feldern eine Ablenkung der X-Strahlen durch den Magnet zu erhalten.

Die Ablenkbarkeit durch den Magnet gilt aber bis jetzt als ein characteristisches Merkmal der Kathodenstrahlen; wohl ward von Hertz und Lenard beobachtet, dass es verschiedene Arten von Kathodenstrahlen gibt, die sich durch „ihre Phosphorescenzerzeugung, Absorbirbarkeit und Ablenkbarkeit durch den Magnet von einander unterscheiden“, aber eine beträchtliche Ablenkung wurde doch in allen von ihnen untersuchten Fällen wahrgenommen, und ich glaube nicht, dass man dieses Characteristicum ohne zwingenden Grund aufgeben wird.

12. Nach besonders zu diesem Zweck angestellten Versuchen ist es sicher, dass die Stelle der Wand des Entladungsapparates, die am stärksten fluorescirt, als Hauptausgangspunkt der nach allen Richtungen sich ausbreitenden X-Strahlen zu betrachten ist. Die X-Strahlen gehen somit von der Stelle aus, wo nach den Angaben verschiedener Forscher die Kathodenstrahlen die Glaswand treffen. Lenkt man die Kathodenstrahlen innerhalb des Entladungsapparates durch einen Magnet ab, so sieht man, dass auch die X-Strahlen von einer anderen Stelle, d. h. wieder von dem Endpunkte der Kathodenstrahlen ausgehen.

Auch aus diesem Grund können die X-Strahlen, die nicht ablenkbar sind, nicht einfach unverändert von der Glaswand hindurchgelassene resp. reflectirte Kathodenstrahlen sein. Die grössere Dichte des Glases ausserhalb des Entladungsgefässes kann ja nach Lenard für die grosse Verschiedenheit der Ablenkbarkeit nicht verantwortlich gemacht werden.

Ich komme deshalb zu dem Resultat, dass die X-Strahlen nicht identisch sind mit den Kathodenstrahlen, dass sie aber von den Kathodenstrahlen in der Glaswand des Entladungsapparates erzeugt werden.

[9] 13. Diese Erzeugung findet nicht nur in Glas statt, sondern, wie ich an einem mit 2 mm starkem Aluminiumblech abgeschlossenen Apparat beobachten konnte, auch in diesem Metall. Andere Substanzen sollen später untersucht werden.

14. Die Berechtigung, für das von der Wand des Entladungsapparates ausgehende Agens den Namen „Strahlen“ zu verwenden, leite ich zum Theil von der ganz regelmässigen Schattenbildung her, die sich zeigt, wenn man zwischen den Apparat und den fluorescirenden Schirm (oder die photographische Platte) mehr oder weniger durchlässige Körper bringt.

Viele derartige Schattenbilder, deren Erzeugung mitunter einen ganz besonderen Reiz bietet, habe ich beobachtet und theilweise auch photographisch aufgenommen; so besitze ich z. B. Photographien von den Schatten der Profile einer Thüre, welche die Zimmer trennt, in welchen einerseits der Entladungsapparat, andererseits die photographische Platte aufgestellt waren; von den Schatten der Handknochen; von dem Schatten eines auf einer Holzspule versteckt aufgewickelten Drahtes; eines in einem Kästchen eingeschlossenen Gewichtssatzes; einer Bussole, bei welcher die Magnetnadel ganz von Metall eingeschlossen ist; eines Metallstückes, dessen Inhomogenität durch die X-Strahlen bemerkbar wird; etc.

Für die geradlinige Ausbreitung der X-Strahlen beweisend ist weiter eine Lochphotographie, die ich von dem mit schwarzem Papier eingehüllten Entladungsapparat habe machen können; das Bild ist schwach aber unverkennbar richtig.

15. Nach Interferenzerscheinungen der X-Strahlen habe ich viel gesucht, aber leider, vielleicht nur in Folge der geringen Intensität derselben, ohne Erfolg.

16. Versuche, um zu constatiren, ob elektrostatische Kräfte in irgend einer Weise die X-Strahlen beeinflussen können, sind zwar angefangen aber noch nicht abgeschlossen.

17. Legt man sich die Frage vor, was denn die X-Strahlen, – die keine Kathodenstrahlen sein können – eigentlich sind, so wird man vielleicht im ersten Augenblick, verleitet durch ihre lebhaften Fluorescenz- und chemischen Wirkungen, an ultraviolettes Licht denken. Indessen stösst man doch sofort auf schwerwiegende Bedenken. Wenn nämlich die X-Strahlen ultraviolettes [10] Licht sein sollten, so müsste dieses Licht die Eigenschaft haben:

  1. dass es beim Uebergang aus Luft in Wasser, Schwefelkohlenstoff, Aluminium, Steinsalz, Glas, Zink etc. keine merkliche Brechung erleiden kann;
  2. dass es von den genannten Körpern nicht merklich regelmässig reflectirt werden kann;
  3. dass es somit durch die sonst gebräuchlichen Mittel nicht polarisirt werden kann;
  4. dass die Absorption desselben von keiner anderen Eigenschaft der Körper so beeinflusst wird als von ihrer Dichte.

Das heisst, man müsste annehmen, dass sich diese ultravioletten Strahlen ganz anders verhalten, als die bisher bekannten ultrarothen, sichtbaren und ultravioletten Strahlen.

Dazu habe ich mich nicht entschliessen können und nach einer anderen Erklärung gesucht.

Eine Art von Verwandtschaft zwischen den neuen Strahlen und den Lichtstrahlen scheint zu bestehen, wenigstens deutet die Schattenbildung, die Fluorescenz und die chemische Wirkung, welche bei beiden Strahlenarten vorkommen, darauf hin. Nun weiss man schon seit langer Zeit, dass ausser den transversalen Lichtschwingungen auch longitudinale Schwingungen im Aether vorkommen können und nach Ansicht verschiedener Physiker vorkommen müssen. Freilich ist ihre Existenz bis jetzt noch nicht evident nachgewiesen, und sind deshalb ihre Eigenschaften noch nicht experimentell untersucht.

Sollten nun die neuen Strahlen nicht longitudinalen Schwingungen im Aether zuzuschreiben sein?

Ich muss bekennen, dass ich mich im Laufe der Untersuchung immer mehr mit diesem Gedanken vertraut gemacht habe und gestatte mir dann auch diese Vermuthung hier auszusprechen, wiewohl ich mir sehr wohl bewusst bin, dass die gegebene Erklärung einer weiteren Begründung noch bedarf.


Würzburg, Physikal. Institut der Universität. Dec. 1895.



Verlag der Stahel’schen k. Hof- u. Univers.-Buch- u. Kunsthandlung in Würzburg.

Anmerkungen der Vorlage

  1. Mit „Durchlässigkeit“ eines Körpers bezeichne ich das Verhältniss der Helligkeit eines dicht hinter dem Körper gehaltenen Fluorescenzschirmes zu derjenigen Helligkeit des Schirmes, welcher dieser unter denselben Verhältnissen aber ohne Zwischenschaltung des Körpers zeigt.
  2. Der Kürze halber möchte ich den Ausdruck „Strahlen“ und zwar zur Unterscheidung von anderen den Namen „X-Strahlen“ gebrauchen. Vergl. u. pag. 9.