Unsere Batterie bei Werder’s Corps

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Titel: Unsere Batterie bei Werder’s Corps
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 306–307
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[304]

Bergübergang von Abtheilungen des Werder’schen Corps bei den Kämpfen vor Belfort.
Originalzeichnung von Chr. Sell.

[306]
Unsere Batterie bei Werder’s Corps.
Erzählt von einem sächsischen Artilleristen.
(Mit Abbildung.)


Die königlich sächsische leichte Reservebatterie Nr. 2, Hauptmann Krutzsch, wurde am zweiundzwanzigsten December 1870 in Sachsen mobilisirt und verließ die Heimath am Weihnachtsabend, um sich zur Besatzung von Nanzig zu begeben. Auf der Fahrt dahin erhielt unser Batteriecommandant den Befehl, von Nanzig die Richtung nach Epinal einzuschlagen und sich dem damals hart bedrängten Werder’schen Corps zur Verstärkung anzuschließen.

Am Neunundzwanzigsten kamen wir in Epinal an. Der Etappencommandant, der königlich sächsische Oberst von Schmiden, und das damals dort garnisonirende Landwehrbataillon Nr. 103 erfreuten uns durch einen feierlichen Empfang mit Musik; aber schon bei diesem Einzuge wurde uns gesagt, daß wir wohl morgen gleich in’s Feuer kommen würden. Pferde und Mannschaft hatten schwer in der grimmigen Kälte gelitten und waren steif gefroren, dennoch war an keine längere Rast zu denken, und schon am andern Morgen ging’s in Eilmärschen über Plombières, Luxeuil und Vesoul bis Gray vorwärts. Bei Gray kam uns die badische Division auf ihrem Rückzug von Dijon entgegen, und wir kehrten mit ihr nach Vesoul zurück, wo wir feste Stellung nahmen. Das geschah am ersten Januar, und das war unsere Sylvesterfeier.

Hier standen wir bis zum Zwölften im angestrengtesten Dienst und im Verein mit dem preußischen Reservejägerregiment Nr. 1 und dem rheinländischen Landwehr-Füsilierregiment Euben, Nr. 25, jede Minute den Feind erwartend und zum Kampf bereit. – Wir Leute erfuhren, wie so oft in diesem Krieg, erst nachher, in welcher Gefahr wir und das ganze Corps, ja das liebe Vaterland selbst gestanden, und wie viel darauf ankam, daß hier Leib und Leben daran gegeben wurde, um den Plan Bourbaki’s, mit seiner Uebermacht und der Hülfe Garibaldi’s Belfort zu entsetzen, durch das Elsaß in Süddeutschland einzubrechen, die Tausende französischer Gefangenen zu befreien und unsere Heere in Frankreich ganz von Deutschland abzuschneiden, so gründlich als möglich zu vernichten.

Während dieser Zeit mußten wir mehr als einmal in der Nacht Alarm schlagen und zwar auf ganz besondre Weise. Jeder Trompeter, Signalist, Trommler, Alles war auf den Beinen, und Jeder machte nicht nur den möglichsten Lärm, sondern wechselte seinen Standort und wiederholte Strecke um Strecke weiter nach links, rechts und rückwärts, soweit nur das Terrain es erlaubte, seine Alarmzeichen, so daß durch die Nachtstille hin dem Feinde unsere Anzahl zehnmal stärker erscheinen mußte, als sie war. Und wirklich mußte diese Kriegslist gewirkt haben, denn wir blieben, obwohl von Feinden umringt, doch bis zum Zwölften unangegriffen. Nur das Landvolk führte seinen dummen Franctireurskrieg gegen die Unsern, und deshalb mußten wir noch vor unserm Abmarsch, der am Zwölften stattfand, ein Dorf in Brand schießen, weil die Bauern dort unsere braunen Husaren meuchlings angefallen hatten.

Wir hatten Ordre, über Lure und Ronchamp nach Belfort zu marschiren. An diesen Marsch wird jeder von uns denken, so lange er lebt. Wenn die Gebirge dort auch keine Alpen sind, so giebt’s doch so steile Höhen und Schluchten, daß heute sicherlich kein Mensch es glaubt, daß wir nicht blos mit Roß und Mann, sondern sogar mit unseren Kanonen darüber kamen. Kälte fünfzehn Grad, Schnee fußhoch, Glatteis unterm Schnee und Felsenwege wie die Dächer steilauf! Da galt’s, sich selbst mit aller Kraft in die Speichen legen, ziehen und schieben, bis der Athem ausging, Roß und Mann in der grimmigen Kälte in Schweiß gebadet – Schritt für Schritt vorwärts und oft genug wieder rückwärts, Hinstürzen und Aufraffen, ja, es war ein Stück Arbeit – bergauf – und wie ging’s nun gar erst bergab! Wir legten freilich Eisketten um die Räder, sonst hätte eine Rutschpartie beginnen können, bei der wir Alle in die Abgründe geschleudert worden wären; aber die Steile war so arg, daß die Pferde an den Spannketten hängend auf den Hintern rutschten, zitternd die Hufe vorstreckten und so um ihrer Last in die Tiefe hinabkamen.

Ronchamp, ein wichtiger Ort für diesen Krieg, denn hier befand sich das Laboratorium für die Munition der Belforter Belagerungsarmee, sollte es auch für uns werden, denn hier schien es am fünfzehnten Januar zu einer Schlacht zu kommen. Es war ein Sonntag, und schon früh halbacht wurde derselbe nicht etwa eingeläutet, sondern auf linkem und rechtem Flügel unserer Stellung zugleich mit Kanonendonner begrüßt. Es kam jedoch nicht zum rechten Ernst, als ob der Feind es hier nur auf einen Scheinangriff abgesehen hätte. Dennoch war der Tag heiß genug. Wir hatten mit unserer Batterie eine Brücke über den kleinen Fluß dort zu vertheidigen, die, im Fall eines nothwendigen Rückzugs unserer Seits, von uns sofort gesprengt werden sollte. Unsere Kampfgenossen, die preußischen Reservejäger von Nr. 1, hatten jedoch alle Angriffe des Feindes tapfer zurückgeschlagen.

Noch am selben Abend erhielten wir den Befehl, nach Frahier vorzurücken, mit der besondern Weisung, uns dort so viel wie möglich selbst Quartier zu suchen. Frahier liegt in einem von nahen waldigen Höhen begrenzten Thale und ist ein stattlicher Marktflecken. Vom Nachtmarsch todtmüde, sorgten wir erst für unsere Pferde, dann für uns, Alles nach Ruhe lechzend. Aber kaum waren unsere Pferde in den Ställen und wir auf der Streu, als eine furchtbare Kanonade über uns hereinbrach. Von den Höhen donnerte es Schlag auf Schlag und selbst Mitrailleusen knatterten dazwischen. Ei, wie geschwind waren wir da munter, Alle, Roß und Mann – und nun ging’s vor Allem an’s Alarmschlagen, wie’s unser General von Werder uns nun einmal beigebracht hatte. Das rasselte, trommelte, pfiff, tönte und schmetterte so nah und fern und hier und dort und überall, daß eine Armee von hunderttausend Mann keinen größeren Spectakel hätte machen können. Und es half abermals! Nachdem die Franzosen eine Masse Munition vergeblich verpufft hatten, schwieg ihr Feuer. Eine ihrer legten Granaten fuhr in einen Nußbaum, neben dem wir standen, und da rief unseres Lieutenants Frank lustiger Dienstbursche Preuße: „Dumme Kerle, jetzt Nüsse zu schütteln! Es sind ja keene druff!“ Wie spottschlecht die Granaten der Franzosen waren, hatten wir bald an ihrer geringen Wirkung erkannt. Später warf ich mit Preuße über zweihundert unexplodirte in einen Ziehbrunnen bei Frahier. Wer den Schatz einmal hebt, der kann lachen.

Aller Schlaf war uns für diese Nacht vergangen; wir bivouakirten mit großem Jubel über den glücklichen Erfolg. An Wein, Fleisch und Cigarren fehlte es uns nicht; nur Brod hatten wir schon drei Tage nicht gesehen und bekamen auch keins bis nach errungenem vollständigen Siege, das heißt nach noch acht Tagen.

Am Sechszehnten in aller Frühe eröffneten jedoch die Franzosen ihr Feuer wieder auf dem linken Flügel und zwar mit dreiundvierzig so gut gedeckten Geschützen, daß wir nur ein einziges Rohr derselben sehen konnten. Ihnen gegenüber standen nur wir mit unserer sächsischen und einer Badenser Batterie. Eine preußische Reservebatterie war hinter uns zur Deckung etwaigen Rückzugs [307] aufgestellt und konnte wegen ihrer Position uns nicht unterstützen. So mußten unsere beiden Batterien allein den ganzen Tag bis zum hereinbrechenden Abend das heftigste Feuer aushalten und so gut wie möglich erwidern. Wir standen auf zwei Anhöhen uns gegenüber; unsere Reiterei konnte uns so wenig wie unsere Infanterie helfen, denn das Zündnadelgewehr konnte den Feind nicht erreichen, während wir fortwährend den Kugeln der Chassepots ausgesetzt waren.

Da kam der Befehl vom General von Werder, uns zurückzuziehen und zwar nach einer Richtung, die offenbar nur zur Täuschung des Feindes eingeschlagen war, denn gleich darauf mußten wir eine Schwenkung in ganz anderer Richtung machen und wieder Posto fassen, um sofort an die rührigste Arbeit zu gehen. Hier wurden die Anhöhen verschanzt, mit schwerem Geschütz besetzt, Bäume gefällt, um die Wege unzugänglich zu machen, kurz Alles gethan, um einem mächtigen Feinde, und das war damals für uns noch die Bourbaki’sche Armee, alle nur menschenmöglichen Hindernisse für einen Durchbruch auf dieser Seite entgegenzustellen.

An demselben Abend war bei Belfort, auf beiden Seiten, der französischen wie der deutschen, das allerheftigste Feuer seit der ganzen Belagerung. Daß das eine Bedeutung hatte, die mit unserer schweren Arbeit zusammenhing, konnte man sich wohl denken. Das sollte uns für diese Nacht noch deutlicher werden. Wir erhielten den Befehl, auf der Stelle, wo wir standen, zu bivouakiren; aber zugleich ward uns streng verboten, Feuer anzuzünden, ja nicht einmal Tabak sollten wir rauchen, um unsere Stellung nicht zu verrathen. Und es waren siebenzehn Grad Kälte, und wir, lauter Landwehr, waren doch auch keine Jünglinge mehr. Aber da kam der General von Werder selber zu uns und sagte: „Meine alte Landwehr, haltet’s nur diesmal so aus, es wird schon einmal gehen. Es geschäh’ ja nicht, wenn’s nicht sein müßte, wenn nicht so viel davon abhinge. Haltet fest, verzagt nicht, morgen bekommen wir Hülfe.“ So ein Wort, das das Herz warm macht, hilft wahrlich auch für die Glieder. Aber eine schreckliche Nacht war’s denn doch, von der Mancher für’s ganze Leben was davongetragen hat.

Am Siebenzehnten früh halbfünf wurde das Lager verlassen und Position genommen. Eine Stunde später überraschte uns schon eine Abtheilung badischer Infanterie mit einer Morgenbescheerung. Sie waren auf ihrem Streifmarsch an eine Kirche gekommen, vor welcher sie vierhundert Chassepots in Pyramiden aufgestellt sahen, und zwar ohne Schildwache. Die ganze Mannschaft dazu lag in der Kirche im schönsten Schlaf. Natürlich nahmen die braven Badenser das Nest aus und brachten uns die gefangenen Vögel als Frühstücksvergnügen.

Leider endete der Tag gerade für diese Tapferen nicht so freudig, wenn auch siegreich. Zur Eiskälte gesellte sich bei Tagesanbruch ein furchtbarer Nebel, und trotz desselben begann das heftigste Infanteriefeuer, dem die Badenser ohne Deckung bloßgestellt waren, ohne doch vom Platze weichen zu dürfen. Als um neun Uhr die Sonne durch den Nebel brach, beschien sie ein Leichenfeld – schon um acht Uhr hatten die Badenser keinen einzigen Subalternofficier mehr, alle lagen verwundet oder todt da; dennoch hielt die Mannschaft heldenmüthig Stand; unsere Batterien redeten ihr scharfes Wort mit drein, und um Mittag löste die Ordnung in den Reihen des Feindes sich auf, er begann zu weichen, und wir verließen unsere mit Ehren behauptete Stellung nur, um ihn Schritt für Schritt auf seinem eiligen Rückzug zu verfolgen.

Die Verfolgung wurde am Achtzehnten fortgesetzt, und zwar nicht nur blind dem Feinde nach, wohin er wollte, sondern nach dem Plane des Generals von Werder so, daß die Franzosen dem hinter Besançon ihrer harrenden General von Manteuffel, fortan Oberfeldherr der vereinigten deutschen „Südarmee“, hübsch in die offenen Arme getrieben wurden. Unterwegs machten wir noch viele der Ausreißer, die sich in Schluchten und Wäldern versteckt hatten und nur selten Widerstand versuchten, zu Gefangenen.

Schon am Zwanzigsten sprach der Kaiser in einem Tagesbefehl seinen Dank aus gegen den General von Werder und seine tapferen Soldaten, und am Einundzwanzigsten erhielten wir zum ersten Male wieder Brod, während auch bis dahin Fleisch und Wein uns niemals ausgegangen war. Welche Freude dies war, begreift freilich nur, wer es so lange wie wir hat entbehren müssen.

Während nun die Südarmee ihre siegreichen Kämpfe fortsetzte, bis Bourbaki’s Armee in die Schweiz getrieben und Belfort übergeben war, gingen wir auf der alten Landstraße in der Richtung nach Vesoul wieder zurück und bestraften dabei die Bürger und Bauern, welche in der Zeit ihres Uebermuths wegen Bourbaki’s und Garibaldi’s Verheißungen und unserer Bedrängniß auf die Unseren geschossen hatten, so namentlich Lure, das uns fünfundachtzigtausend Franken und alle Waffen auf die Mairie abliefern mußte, Port-sur-Saone etc. Und schließlich hielt unser General von Werder auch uns Wort, indem er „seiner alten Landwehr“ nach so schweren Schlachten und Strapazen Ruhe vergönnte. Wir hatten nur noch den üblichen Dienst, Patrouilliren und dergleichen zu leisten, bis uns am 2. April gestattet wurde, Frankreich zu verlassen und in die liebe Heimath zurückzukehren.

Von den fünfzehnhundert Todten und Verwundeten, welche dieser so kurze und doch so glorreiche Feldzug des Werder’schen Corps gekostet hat, traf auf unsere Batteriemannschaft ein Verlust von sieben Verwundeten und einem Todten. Letzterer, der Oberkanonier Seidel, starb an der Amputation eines Armes, der ursprünglich nur leicht verwundet und erst durch den Transport so schlimm geworden war. Dagegen erhielt Unterofficier Schaufuß noch beim Zurückgehen am Sechszehnten, einen Schuß durch die Lunge und befindet sich trotzdem ganz wohl. Alle übrigen Verwundeten sind ebenfalls wieder geheilt. Gewiß nach solchen Kämpfen und Gefahren unserer Batterie eine große Gnade Gottes!

Ich für meine Person habe mir von Frahier die Patrontasche eines Mitrailleusenkanoniers mitgenommen; sie und das Bewußtsein, dem Vaterlande redlich gedient zu haben, ist mein Andenken an diesen Krieg.