Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern/II. Unser Streben nach Verbeßerung der Lage

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« I. Die Lage eines Pfarrers in der bayrischen Landeskirche Wilhelm Löhe
Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern
Zugabe über einige wichtige Streitpunkte innerhalb der nordamericanisch-lutherischen Kirche »
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II.
Unser Streben nach Verbeßerung der Lage.




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1.
Der Vorschlag zu einem Verein für apostolisches Leben.


 Wenn ich in dem Nachfolgenden vielfach in der ersten Person rede, so geschieht es nicht aus Hochmuth, sondern einzig aus dem Bestreben, das, was ich sage, bloß als meine Meinung oder als meine Ansicht vom Verlauf der Sache hinzustellen, dagegen meinen etwaigen Freunden keinerlei Mitverantwortung meiner Ansichten oder Aeußerungen aufzulegen. Ich bin mir nicht bewußt, irgend die Unwahrheit zu lieben? ich gedenke auch dann die Wahrheit zu ehren, wenn sie wider mich spricht; aber ich kann ja irren. Gelte deshalb meine Darstellung, was sie kann. – Ich werde es auch möglichst vermeiden, Persönliches vorzubringen. Ich möchte die allgemeinen Wahrheiten, welche ich vertrete, nicht durch Eingehen in persönliche Verhandlungen mit Freunden oder durch Beurtheilung ihres Benehmens irgendwie in den Hintergrund stellen. Am wenigsten will ich aber in Bekämpfung mir gemachter Vorwürfe genau sein. Ich habe mit Vertheidigung meiner Person niemals Zeit vertragen, wenn ich nicht von außen her gedrungen wurde. Es mögen meine befreundeten Gegner deshalb nicht grade denken, daß in allen nicht abermals beregten Punkten meine Ueberzeugung auf ihre Seite hinübergeschlagen sei. Wol aber bitte ich sie, es zu bemerken, wo ich etwa mein eigenes Benehmen tadle oder in meinen Ansichten eine Retractation zu Tage liegt. Es war mir eine Angelegenheit, offen zu bekennen, wo ich etwa geirrt habe, und es wäre mir der Einigkeit wegen lieb gewesen, wenn ich mich öfter auf die Seite meiner Gegner hätte stellen können. Ich fürchte, es möchte ihnen nicht genug gethan sein.




 In dem Abschn. I. Gesagten habe ich mich lediglich auf das beschränkt, was mich und meines Gleichen, also auf das, was Pfarrer, besonders Landpfarrer drückt; ich meine die massenhafte Verderbnis der Gemeinden und die mangelnde Lehreinheit. So manche andern, keineswegs unerhebliche Beschwerden wollte ich vorerst nicht berühren. Dahin gehört z. B. vieles, was die Form und Gestaltung der bayerischen Landeskirche als solcher betrifft, ihre Verfaßung, ihr Regiment, ihre öffentlichen Erweisungen und Lebensäußerungen. Zwischen diesen mehr formalen und den von mir vorgelegten materialen Uebeln besteht ein unverkennbarer Zusammenhang der folgenreichsten Art, den ich gewis mit am wenigsten in Abrede stelle. Er kam aber nicht zunächst in Betracht, weil nicht er zunächst es war, der sich uns in unserm amtlichen Leben aufdrängte und uns in die geängstigte und jammervolle Gemüthsverfaßung versetzte, deren öffentliche Bezeugung uns vielen unserer| Brüder so unangenehm und beschwerlich gemacht hat – Auch jetzt noch bleibe ich, wie es der Verlauf der Sache mit sich bringt, zunächst bei den von mir sogenannten materialen Uebeln. Wie wenig wir die formalen Uebel außer Acht gelaßen haben, zeigt sich weiter unten.

 Es drückten uns die materialen Uebel genug; manche unter uns litten unter ihnen gar sehr. Man hat in der neueren Zeit an Berthold Auerbachs Dorfgeschichten und ähnlichen Schilderungen des Dorflebens viel Wolgefallen gefunden. Mir sind, ich gestehe es, namentlich jene Auerbachischen Erzählungen wie von einem bösen Dämon beseelt vorgekommen. Innerlich bei weitem wahrer sind gewis Schilderungen des Dorfes, wie sie Pestalozzi in Lienhard und Gertrud gab, besonders im I. Theile des merkwürdigen Buches. Bei Auerbach erscheint das Leben des Dorfbewohners und der Dorfjugend im Schimmer einer poetischen Darstellung als selbst poetisch; so wie es ist, wird es als herrlich dargestellt, und als empfängliches Saatfeld für die Ideen der neuen Zeit gepriesen. Wer die schwarzwälder Dorfgeschichten etwa gerade in jener Zeit des Jahres 1848 gelesen hätte, wo im badenischen Seekreis die Flamme des Aufruhrs loderte und dieser Aufruhr die Zeitungen füllte, der hätte vielleicht ein Gefühl gehabt, wie wenn Auerbachs Geschichten u. dgl. eine Weißagung, wo nicht gar eine Saat der neuesten Zeit gewesen wären. – Auerbachische Dorfgeschichten könnten nun freilich wir Dorfpfarrer nicht geben. Von diesen Sodomsäpfeln ist uns gar oft der innre Staub ins Auge geflogen. Wohl aber könnten wir Pestalozzi nachfolgen. Ja, Dorfbilder, wie wir sie täglich vor uns sehen, verlangten schwärzere Tinten, als selbst Pestalozzi hatte, dem seine Ansicht von der natürlichen Beschaffenheit des Menschen manch grauenvollen Blick in die Tiefen des Dorflebens ersparte. Pestalozzi schrieb in Hoffnung auf seine Schule; die sollte alles beßern. Wir freilich sehen größere Kräfte, als die Schule namentlich gegenwärtig besitzt, an diesen Uebeln vergeblich rütteln. Vor einem Sinn, wie ihn der Landmann unserer Zeit der großen Mehrzahl nach an den Tag gibt, weicht auch der größte Menschenlehrer und Erzieher, der Geist des Herrn, welcher doch keiner Macht weicht, als der des beharrlich widerstrebenden Menschenwillens. Es hat daher schon vor der Revolution in verschiedenen Gegenden treue und einsichtsvolle Seelsorger gegeben, welche ihre größte Sorge darein setzten, daß nur nicht auch das wenige Beßre in den Gemeinden vom Bösen verschlungen würde und kein Heil sahen, außer in irgend einer Ausscheidung und Vereinigung – nicht der Vollkommenen, denn wer kannte solche? – aber doch derer, die sich von Gottes Wort und Geist noch leiten laßen wollten.

 Als nun vollends im Frühjahr 48 die Pestbeule Europas aufbrach und das ansteckende Gift derselben in einer Eile die Länder und Völker ergriff; da schien man vollends auf das Sammeln der beßern Elemente hingedrängt zu sein. Die Gottlosen durchbrachen die Dämme, – die Staaten neigten sich, um zu bestehen, zum Bündnis mit den Zeitideen, – die verderbten Massen konnten, so wie sie sich gaben, alle Tage die Kirche verabschieden und sich ihren Liebesdienst verbitten, –| die morschen, krankenden Landeskirchen konnten unter dem Stoß zusammenbrechen. Dann wären die Treuen auf sich beschränkt und genöthigt gewesen, sich auf dem alten Grunde neu und selbstständig zu constituiren. Ich und meines Gleichen hatten nun zwar allerdings keine Lust, uns etwa mit den Absichten der Feinde zu vereinigen, das alte zusammenzuwerfen und durch diesen Ruin den Neubau herbeizuführen. Wer das sagt, behauptet mehr, als er weiß. Aber wenn eine solche Katastrophe eingetreten wäre, hätten manche von uns sie vielleicht trotz der ihr sich anhängenden augenblicklichen Schrecken und Wirrnisse nicht gefürchtet. Zur Zeit, wo man die Wagenburg um Jerusalem, einstmals Gottes heilige Stadt, schlägt, flieht man nach Pella und läßt den Sturm vorüberziehen. Es ist der Weg nach Pella in solchen Fällen ein gewiesener Weg, welchen zu gehen am Ende doch ein wenig Muth nöthig ist, so sehr er von manchen der Feigheit wegen verschrieen ist.

 Unserer Meinung waren freilich, je mehr es sich zum Unglück anlaßen wollte, desto wenigere. Von dem Jammer, den etliche von uns tagtäglich aus der Zusammensetzung ihrer Gemeinden und der ganzen Kirche schöpften, weniger erfaßt, wollten die meisten unter den uns bekannten beßern Pfarrern sich nur fest an das, wie sie sagten, noch zu Recht bestehende Bekenntnis anklammern, übrigens aber mit allen gegebenen Kräften einer Auflösung des Bandes, welches die verschiedenartigen Bestandtheile der Kirche zusammenhielt, entgegenarbeiten. Manche glaubten auch die Bekenntnisfrage in einer Zeit, wie diese, nicht in den Vordergrund treten laßen zu können; auch sie schien, wie es denn auch wirklich der Fall war, dem Conglomerate der Landeskirche zu harte Stöße zu drohen. Das Bekenntnis schien am gesichertsten, wenn man es gar nicht in Frage stellte, es voraussetzte und ohne Noth nicht von ihm sprach: eine Erinnerung an es konnte einen Kampf heraufbeschwören, über dessen Ausgang man keine fröhliche Gewisheit hatte. Dazu kam bei einem möglichen Riße die Sorge für so viele Unwißende, Schwache, Kinder etc. – – und kurz, man hielt ein Auseinandergehen der nicht Zusammengehörigen für das traurigste Ereignis von der Welt.

 Ungefähr so waren die Gedanken, welche wir bei sehr vielen Pfarrern der Landeskirche merken konnten. Wir hätten lieber gewünscht, es hätten alle gedacht wie wir. Ein unumwundenes Bekenntnis zum Bekenntnis, von möglichst vielen gethan, ein gemeinschaftliches Verwerfen falscher Lehre, eine furchtlose Erklärung für die Nothwendigkeit wenigstens der Beicht- und Abendmahlszucht hätte, und zwar gerade in einer solchen Zeit, vielen hundert schwachen Seelen Muth und Zuversicht zur Kirche gegeben, das Dasein einer wahren Kirche beurkundet, vielleicht Haß, aber auch Ansehen verschafft. Bei dem Landvolk wenigstens würde ein gemeinsames Auftreten vieler Pfarrer, ein Ruf zu Buß und Glauben vielfachen Anklang gefunden haben. Es hätte sich vielleicht ein Haufe von Feinden der Kirche von ihr gewendet und getrennt, aber kein Schwacher wäre dadurch geärgert worden, im Gegentheil! desto inniger hätten sich der Kirche die Beßern und alle die ergeben, welche noch Empfänglichkeit für die Gewalt eines großen| Zeugnisses gehabt hätten, und das wären nicht wenige gewesen; der Riß wäre klein, der Gewinn groß, die Zeit, die böse Zeit, wäre treulich ausgekauft gewesen. – Vielleicht bin ich ganz im Irrthum, ich wills nicht leugnen und nicht zugeben, und die Zeit ist ohnehin vorüber, wo so etwas viele Herzen bewegt haben würde. Es ist nun alles anders geworden.

 Je weniger nun dazumal von Seiten der Kirche öffentlich geschah, desto unaufhaltsamer griff das Uebel um sich. Wie viele, sonst beßere, der Kirche zugethane Männer fanden das Schweigen der Kirche unbegreiflich und wendeten nun ihr Ohr desto lieber dem interessanteren und verführerischen Ton der Politik, oder gar der Demokratie zu! Wie viele vergaßen ihr ewiges Heil und ließen sich von all den tausend Winden, welche damals im Vaterlande wehten, hin und hertreiben, um keine Ruhe zu finden und den einzigen Halt zu verlieren, welchen der Mensch bei der Ungewisheit alles Zeitlichen haben kann. Die wenigen festeren Seelen hatten einen harten Stand. So wie die Gemeinden sind, üben die Bösen, auf die Masse der Trägen und Gleichgültigen mit Recht vertrauend, (denn wem wenden sich diese zu, wenns gilt?) immer einen teufelischen Terrorismus gegen die Beßeren. Das kam nun in der schlimmen Zeit um so kräftiger empor. Unterdrückung der Christen war doch gar oft und viel ein Loosungswort, und man sagte es allenthalben, daß es nun mit dem alten Christenthum zu Ende gehe. Aus Mangel an Zusammenschluß wurden die beßeren Gemeindeglieder statt kräftiger lauer, fahrläßiger, leichtsinniger, weltlicher gesinnt. Sollte man die Belege zu diesen allgemeinen Sätzen verlangen, so würde man sie schwerlich schuldig bleiben müßen.

 Bei solchen Aussichten und Erfahrungen kam man an verschiedenen Orten immer wieder auf den Gedanken zurück, die, welche Anfänge eines neuen Lebens hatten, zusammenzufaßen und durch ein mehr geistliches Zusammenleben gegen die Ansteckung der Zeit zu bewahren. Wir konnten ja überall nur schlimme Folgen der Bewegung von 1848 sehen! Die Gemeinden hatten den Muth gefunden, entschloßenen Schrittes die Bahn des Eigennutzes zu gehen; die gehen sie seitdem, und das war, wo sie überhaupt wußten, was sie wollten, am Ende die ganze Politik, deren ihre Mehrzahl fähig war. Dagegen und gegen die gesammte Verweltlichung des Lebens wollte man zusammentreten, dem Leben die höhere Weihe bewahren und für den Gedanken wirken, daß an dem ewigen Heile mehr läge, als an Erreichung aller, auch der edelsten zeitlichen Güter. – Von dem bekannten Aufsatz in der Evangelischen Kirchenzeitung, dessen auch Pfarrer Kraußold in seiner Schrift Erwähnung thut, wußte ich nichts. Ich bekam ihn erst viel später zu Gesicht. Ich hatte meine, hernachmals theuern Freunden vorgelegten Einigungspunkte (Zucht, Gemeinschaft, Opfer), längst beim Studium der Schrift gefunden. Indem ich mich der Ueberlegung hingab, ob ich nicht näher stehenden Freunden einen Vorschlag der Vereinigung zur Ausführung jener drei Grundgedanken apostolischen Lebens machen sollte; schien es mir je länger je mehr, als könnten auf diesem Wege am besten auch für eine kommende Katastrophe die Elemente eines| Neubaues der Kirche zusammengehalten werden. Als ich nun in jener Zeit die kleine Schrift von Herrn Dr. W. Bötticher zu Berlin: „Das alleinige Panier der nach wahrer Einheit strebenden Kirche Deutschlands“ (Berlin 1848. Bei Wohlgemuth.) erhielt, ermunterte mich die Uebereinstimmung des Verfaßers mit vielen von mir für wichtig erachteten und zur Sache gehörigen Gedanken, die kleine Schrift auszuarbeiten, welche hernach unter dem Titel: „Vorschlag zur Vereinigung lutherischer Christen für apostol. Leben. Sammt Entwurf eines Katechismus des apostol. Lebens. 1848.“, als Manuscript gedruckt wurde.
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 Der „Vorschlag“ wurde jedoch nicht alsbald gedruckt, sondern seiner ganzen Faßung nach sammt dem Katechismus des apostolischen Lebens zuvor in engeren und weiteren Kreisen berathen. Schon bei der Berathung im engeren Kreise fand man den hauptsächlichsten Mangel, um deswillen aus dem Vorschlag nichts Rechtes werden konnte; man fand sich aber nicht im Stande, ihn zu beseitigen. So starke Bindemittel nemlich die drei Grundgedanken „Zucht, Gemeinschaft, Opfer“ bieten, so gewis in ihnen alles das liegt, was eine Gesellschaft für innere Mission im höhern Chor für sich und alle die bedarf, welche sie gewinnt; so sahen wir doch, daß ein leibliches Zusammenkommen, eine Versammlung der Gleichgesinnten und zwar eine gottesdienstliche Versammlung und lebendige Uebung jener Grundgedanken bei solchen Versammlungen nöthig war, wenn das Ganze recht gedeihen sollte. Jene Gedanken leben ja in unsern Gemeinden nicht: die Uebung, und zwar die gottesdienstliche, lehrt sie am ersten verstehen, führt in sie ein, erzieht für sie. Es mußte unter Leitung solcher, welche die Sache allseitig erwogen hatten, Zucht, Gemeinschaft und Opfer geübt und zur Uebung Anweisung gegeben werden, oder die Sache kam nie zum Leben. Gerade aber diese gottesdienstliche Vereinigung schien damals nicht wohl möglich, ohne daß wir uns als ein Kirchlein in der Kirche darstellten und damit den Unwillen vieler zwar befreundeten, aber doch mistrauenden Glaubensgenoßen auf uns luden. Man wollte ja in der Kirche des Königreichs Bayern bleiben, so lange es immer möglich scheinen würde (Vgl. den autographirten Vorschlag, vorletzte Seite vor dem Katechismus, und den Druck p. 21); so wollte man auch gerne die möglichste Rücksicht auf andere beweisen, die unser Thun nicht billigten. Deshalb ließ man den Gedanken eigener gottesdienstlicher Uebungen fallen, und zertrat damit gleich vornherein die Lebensfähigkeit der ganzen Sache. (Vergl. den Druck des Vorschlags p. 33.) – So wie nun, obwol unter meiner eigenen Mitwirkung, dies geschehen war, fehlte mir selbst das rechte Vertrauen zum Gelingen. Das p. 34. des Drucks angegebene Surrogat des Familiengottesdienstes konnte nicht genügen. Indes wollte ich der Sache durchaus nicht abspenstig werden, bloß weil sie nun der Krone mangelte und ihr das leichteste Belebungsmittel fehlte; im Gegentheil, da mancher im engeren Kreise meiner Freunde doch hoffte, faßte auch ich schnell neue Hoffnung und war der Meinung, es würde sich, fände nur die Sache erst rechten Boden und Wurzel in vielen Herzen, mit der schönsten Form seiner Ausübung – nemlich während eines eigenen Gottesdienstes – von selbst machen und sich bei rechter Bewährung das Auffällige auch von selbst mindern. So wurde denn Vorschlag und Katechismus zuerst| autographirt, hinausgegeben und zur Prüfung im weiteren Kreise auf den 15. Novbr. 1848 ins Pfarrwaisenhaus nach Windsbach einzuladen. Die, welche am 15. Novbr. in Windsbach zusammen waren, – eine nicht sehr große Anzahl, – waren vornherein der Hauptsache nach so einig, daß eine Verständigung keine Schwierigkeit hatte. Es wurden, so viel ich mich erinnern kann, gegen den Vorschlag wenig Einwendungen gemacht. Nicht bei den Anwesenden, aber bei einigen abwesenden Freunden, welche zur Theilnahme eingeladen worden waren, hatten diejenigen Stellen am meisten Anstoß erregt, welche die Auslegung zuließen, als wäre ein Verein mit Statuten und Mitgliederverzeichnis beabsichtigt. Nun waren zwar in dem autographirten Vorschlag (z. B. auf der zweitletzten Seite vor dem Katechismus) Stellen, welche eine solche Auslegung hätten verhindern können, wenn sie recht beachtet worden wären; aber allerdings war über die Ausführung des Planes absichtlich und unabsichtlich nicht sehr eingehend gesprochen, und man konnte es deshalb ganz begreiflich finden, daß Fragen und Einwendungen kamen. Die Einwendungen wurden gewürdigt, gewis nicht am wenigsten von dem Schreiber dieses. Einer der abwesenden Freunde hatte geschrieben: „Ohne Verein eine freie Vereinigung entschiedener und empfänglicher Gemeindeglieder für den Zweck des projectirten Vereins mit allen von Gott gegebenen Mitteln und Kräften anzustreben, ein engeres Zusammenhalten und Anschließen solcher Gemeindeglieder an und mit ihren Pfarrern anzubahnen, das scheint mir die Hauptaufgabe.“ Es war das etwas anderes, als wir gewollt, denn der Rath des Freundes gieng ja nicht über die Grenzen der Parochie hinaus und war nicht geeignet, ein Einheits- und Gemeinschaftsgefühl aller derer zu bewirken, welche von den drei Grundgedanken des Planes ergriffen waren oder später wurden – und hierin lag, wenn es nemlich so gefaßt wurde, die Unmöglichkeit, etwas Bedeutendes zu leisten. Indes konnte man die von dem theuern Freunde gewünschte Auffaßung der Sache wie eine Vorbereitung für unsre ursprüngliche Auffaßung ansehen, und so fügte man sich denn in Hoffnung, es werde sich, wenn „mit allen von Gott gegebenen Mitteln und Kräften gestrebt würde“, die Nothwendigkeit einiger Form bei der freiesten Freiheit, die wir ja ursprünglich auch festgehalten, von selbst herausstellen. Da man beschloß, den Vorschlag und apostolischen Katechismus als Manuscript drucken zu laßen, änderte man die anstößigen Stellen, wie sich jeder selbst überzeugen kann, der sich die Mühe nehmen will, den Druck mit der Autographie zu vergleichen. Ich meinerseits glaubte übrigens schon am Conferenztag vorauszusehen und voraussagen zu können, daß trotz der Aenderungen die Sache doch nicht mehr Zustimmung finden würde. Mit der Aufgebung gemeinschaftlicher Versammlungen und nunmehr auch aller Form mußte man eigentlich die Hoffnung kräftigen Gedeihens bei Seite legen. Jeder heilige Gedanke, wenn er für mehrere ins Leben treten soll, muß Zeit und Raum, muß einige Form haben, oder er findet ins Dasein keinen Weg.
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 Die Schrift wurde nun hinausgegeben, sie trat nicht umsonst hinaus, sie hat viel Widerspruch, aber doch auch manchen Beifall gefunden, hat, was mehr ist, angeregt – und ich wüßte nicht, warum man es bereuen sollte, sie in dem| beschränkten Kreis veröffentlicht zu haben, in welchem sie veröffentlicht wurde. Aber wozu sie geschrieben war, das erreichte sie gewis nur in wenigen und kleinen Kreisen. – So wie unser erster Gedanke, im Falle sich ergebenden Bruches die Kirche auf alter Basis neu zu bauen, keinen Anklang fand; so erwies sich auch der andere, der Kirche in dem Verein für apostolisches Leben einen thatkräftigen Mittelpunkt zu geben, als unkräftig. Es fehlte zu beiden Gedanken in weiteren Kreisen der Boden. Mir schien es von Anfang, als würden unsrer Kirche keine, auch nicht die wolgemeintesten Experimente, frommen, weil wir gar lange her an den Greuel der Lehruneinigkeit und Zuchtlosigkeit gewöhnt waren, alle kirchlichen Verhältnisse dadurch untergraben waren und deshalb jedes, auch das gerechtfertigtste Vorgehen den Bau zerwerfen konnte, der noch stand. Man konnte sich auch nicht zu den göttlichsten Gedanken vereinigen, ohne in die Gefahr zu kommen, einen Riß zu verschulden, um dessen willen der Weheruf vieler Brüder über einen gekommen wäre. – Es erschien so vielen wenn auch nicht als der erste, doch jeden Falls als ein Grundsatz, das Bestehende nicht anzutasten. Uns schien in dem Bestehenden so gar viel Ursache zur Klage und zum ewigen Verderben. Dort hoffte man noch fürs Ganze, hier sah man das Unheil unzähliger Einzelner. Dort urtheilte man etwa vom Standpunkte des Regiments, hier von dem der Seelsorge. – Wir aber, die wir einem Verein für apostolisches Leben zum Theil auch jetzt noch gerne und freudig beitreten würden, wichen damals unsern Brüdern, umzusehen, ob vielleicht von ihnen ohne uns eine Hilfe käme, die niemand als „gemacht“, wir aber als der Noth entsprechend bezeichnen, ihr von Herzen Beifall schenken könnten.
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 In dem autographirten „Vorschlag“ war es (S. 4. von hinten) ausgesprochen, daß die sich zusammenschließenden einzelnen Kreise sich nicht nothwendig innerhalb der Parochieen halten müßten. Im Druck p. 29, erwähnte man der Parochialkreise oder Parochialvereine nicht, sondern hob allein den Gedanken völliger Freiheit hervor. Man hoffte damit manchem befreundeten Gegner weniger Aergernis zu geben, allerdings ein vergebliches Bemühen, so lange man durch den Grundsatz der Freiheit implicite dasselbe sagte. Es lag aber in unserm Grundsatze gar nicht die Absicht, Verwirrung in die Pfarreien zu bringen, wir wißen ganz gut, daß der heilige Apostel uns verbietet, ἀλλοτριοεπισκοποὶ zu sein; wir wollten nur denjenigen Christen, welche innerhalb der Parochie eine Möglichkeit des Anschlußes nicht hatten, nicht auch die Möglichkeit abschneiden, sich – kraft des auch ihnen zugehörigen allgemeinen Priesterthums – mit ihren Brüdern außerhalb der Parochie zu heiligen Zwecken zusammenzuthun. – Für den Erfahrnen und Billigen konnte auch die p. 29. des Drucks gegebene Motivirung keinen Anstoß haben. Den Weg, welchen seit Jahrzehnten alles neue Leben gegangen, wollten wir betreten. Wer weiß es nicht, daß fast überall, wo jetzt Christenhaufen zusammenstehen, Gottes Werke wirken, Missionen etc. unterstützen, die Sammlung dieser Haufen dadurch geschah, daß begabtere Prediger aufstanden, denen man aus allen Parochien der Gegend zulief, an deren amtliche Wirksamkeit sich alsdann alles Leben anschloß? Hätte es da wie einen Beichtzwang, so auch eine Art von Predigtzwang| gegeben, es würde der Haufe der Gläubigen gewis noch viel kleiner sein als er ist. Ueberall gabs dasselbe zu schauen. Aus der todten oder bösen Masse erhob sich eine ecclesia, eine durchs Wort zusammengerufene Auswahl, an deren Dasein sich jener Haß und Gegensatz der Welt innerhalb der Kirche anschloß, den wir wohl alle, so viel unser Christo dienen, aus Erfahrung kennen, – Hat sich nun auch einer von uns geschämt oder gescheut, das Evangelium auch fremden Parochianen zu predigen? Haben wirs bedauert oder beweint, wenn einer, der in seiner Parochie nicht zum Leben kam, das Leben bei uns fand? Wir haben alle, so viele unter uns mit dem Segen einer nachdrucksamen Wirksamkeit begnadigt wurden, Schüler und geistliche Kinder außer unsern Parochien, wie in ihnen – und finden es gewis natürlich, daß Christi Schafe Christi Stimme hören und die Fremdlinge nicht hören. Fand aber irgend ein fremder Parochian bei uns das Leben, das er bei seinem frommen Pastor nicht fand, so waren gewis wir die ersten, dem frommen Pfarrer seine Kirchkinder beßer zuzustellen, als sie in unsre Kirche kamen. Es mag denn aber sein, wie es will: es zieht den Christen jeden Falls zu dem, von welchem die Ströme lebendigen Wassers kamen, die ihn wuschen und sättigten. Ein solcher heiliger, von Gott selbst gestifteter Zusammenhang der Seelen kann und soll nicht zerrißen werden – und es ist drum etwas für den Christen Erklärliches und Selbstverständliches, daß ein geistlich Kind seines geistlichen Vaters Rath beachtet. Das geschieht, der Zusammenhang wird gepflegt, man sage, was man will. Es ist drum das Beste, wenn er recht benutzt und recht gepflegt wird. Was ists also, wenn ein geistlicher Vater seinen Kindern die Gedanken apostolischen Lebens mittheilt und seinen Zusammenhang mit ihnen auf diese Weise zu ihrer Vollendung benutzt? – Es gibt natürlich auch auf dem Wege dieses Zusammenhanges Fehlgriffe und Sünde. Die wollen wir ja nicht loben. Was gesagt werden soll, ist einzig, daß es mit der Freiheit eines geistlichen Vereins nichts Verbrecherisches ist. Zum frommen Pfarrer laßen sich fromme Christen leicht weisen, zum Irrlehrer sollen sie nicht gewiesen werden; die Stimme des Fremdlings hören JEsu Schafe nicht; er soll nicht Parochus sein und will ers, so ist er zu fliehen.

 Analogieen liegen so nahe. Wer nimmt an der Mission Theil, wenn es nemlich ganz freiwillig, ohne directen oder indirecten Zwang hergeht? Die sogenannten Pietisten sind es, eitel geistliche Pfarrerskinder, Pfarrerskreise. Die ganze äußere, die ganze innere Mission wird nur von diesen Pfarrerskreisen getragen; die andern Theilnehmer sind Ausnahmen und große Minderzahl. Und beschränkt sich denn die Missionswirksamkeit auf die Parochie, greift sie nicht ungesucht über die Parochialgrenzen hinüber? Gibt nicht der fromme Erweckte seine Gabe am liebsten seinem, geistlichen Vater in die Hand? Muß er nicht meist erst von diesem angewiesen werden, sie seinem vielleicht trägen, vielleicht todten oder feindlichen Pfarrer zu einem Zeugnis zu überreichen? – So wäre es auch mit der Vereinigung für apostolisches Leben gegangen. Es handelt sich hier um Größeres, als Missionsgaben, aber nicht um Größeres, als das neue Leben ist, das durch eines Pfarrers Wort im Herzen des Zuhörers entzündet wird.

|  Ganz mit dem Gesagten hängt auch die Widerlegung der Besorgnis zusammen, als hätte ein solcher Verein die Kirche „sprengen“ können. Eine Gefahr für den Zusammenhalt der gegenwärtigen bayerischen Landeskirche wäre bloß dann durch den Verein für apostolisches Leben herbeigebracht worden, wenn dieser Verein innerhalb der Kirche eine eigene Abendmahlsgemeinschaft in Anspruch genommen hätte. So lange aber sein Zusammenhang nur auf der apostolischen Lehre, der Zucht, der Gemeinschaft, dem Opfer, dem Gebete beruhte, während man sich noch mit allen andern Gliedern der Landeskirche beim heiligen Abendmahle zusammenfand; war auch das Band mit der Landeskirche unverletzt. Durch die beabsichtigte Zucht konnte wol ein Bruch kommen, wenn man sie außerhalb des Vereins hätte üben wollen; allein das war nicht der Fall; es war ein jeder angewiesen, die Zucht allein in den Kreisen zu üben, in denen er zunächst lebte, – der Mann am Weibe, die Geschwister an einander etc. etc.; außerdem sollten zunächst nur die sich nahe stehenden Glieder des Vereins zu einer gegenseitigen, läuternden und erziehenden Thätigkeit verpflichtet sein. Und auch diese Verpflichtung sollte nicht kraft einer Satzung des Vereins, sondern nur kraft der aus Gottes Wort gewonnenen Ueberzeugung ausgeübt werden. – So lange sich nun der Verein in den gesetzten Schranken hielt, war von ihm so wenig als von den früheren Erbauungsstunden eine Gefahr für den Complex der Landeskirche zu fürchten. Diese haben nicht gesprengt, und auch von den Erbauungsstunden im höhern Chor, die wir beabsichtigten, war es nicht zu erwarten; es müßte denn die Welt in der Kirche sich an einer solchen heranwachsenden Macht geärgert und selbst die Kirche gesprengt haben. Die beßern Glieder der Kirche hielten zuvor an ihren Lehrern und geistlichen Vätern, wie noch jetzt. Hätten diese nun gleich mehr Einheitsgefühl oder Lebenshöhe gewonnen; so wäre das doch nur gewesen, was ihnen heute noch zu gönnen ist. Was ist für sie gewonnen – damit nemlich, daß es zur innigeren Vereinigung nicht kam? Sie entbehren ein Centrum, welches sie vereinigt haben würde, – welches sie zu einer für die Ausbreitung des Guten sehr heilsamen Macht erhoben hätte. Nun gehen sie ohne das, ohne Centrum, – denn Mission, seis innere, seis äußere, gibt kein rechtes Centrum für die Seelen, denen zunächst an ihrer eigenen Erbauung zum ewigen Leben gelegen ist. In Werken ruht keine Seele, am wenigsten, wenn sie nicht als Opfer und Ausflüße himmlischer Liebe zu JEsu erkannt werden und wenn sie also nicht in Mitte und im Zusammenhang eines ganzen geistlichen Lebens stehen. – Die Widerwärtigen und Trägen in den Gemeinden ärgern sich an jeder Bekehrung eines Sünders. Die Menschen, welche sich Christo ergeben, mögen leben, wie sie wollen, mögen noch so treu in der Heiligung sein: sie werden geschmäht, jede List und jeder Weg wird angewendet, die nothwendigen Aeußerungen ihres neuempfangenen geistlichen Lebens zu verdächtigen und zu verkümmern. Es gehören starke Geisteskräfte dazu, um dem Strom einer höhnenden, kecken Schaar, mit der man täglich zusammenlebt, zu widerstehen. Da wäre eine innigere Vereinigung aller, die in gleichem Fall sind, zugleich ein Stärkungsmittel nach außen und eine Leitung zur Heiligung, zur Läuterung der Absicht, zur Geduld in der Trübsal. Ohne Sammelpunkt, ohne Gemeinschaft lischt eine Kohle nach der andern aus,| ein Herz nach dem andern erstirbt und verkommt, bis Alles, was zuvor hoffnungsvoll glühte und brannte, wieder in Todesnacht gehüllt ist.[1] Das alles ist nun nicht weniger der Fall, nachdem man um der sogenannten Schwachen willen die Angefochtenen, die wahrhaft Schwachen, die ohne Gemeinschaft nicht erstarken, in der Zersprengung gelaßen und den wilden Thieren der Verführung, die doch jetzt heftiger brüllen, auch ferner überliefert hat.

 Es ist richtig, daß sich der beabsichtigte Verein von andern Vereinen dadurch unterschied, daß er nicht einzelne gute Werke, etwa die Ausbreitung des Reiches Gottes oder die Krankenpflege etc. zum Zwecke nahm, sondern das gesammte Christenleben. Was haben denn die Erbauungsstunden, für die man früher so manche Lanze gebrochen, was die Bibelstunden anders gewollt, als dasselbe? Da nun ein Verein für apostolisches Leben, wie wir ihn beabsichtigten, im Grunde weniger unter die Reihe der gewöhnlichen Vereine, als der Erbauungs- und Bibelstunden zu rechnen war, – da er sich von der zu Erbauungs- und Bibelstunden zusammentretenden Gemeinschaft nur graduell unterschied: warum war er gerade so sehr zu fürchten und zu bemistrauen? Und warum sollte es denn nicht besonderer Gegenstand eines Vereins sein können, christliches Leben im allgemeinen anzubahnen? Ein solcher Verein kann allerdings in gewissen Zeiten mit der Kirche selbst zusammenfallen. Schlimm genug aber, wenn es so geworden ist, und noch schlimmer, wenn in solcher Zeit diejenigen, welche der Kirche noch treulich anhangen, den Muth nicht haben, so lange kirchlich zu handeln, d. i. hier, als eine Gemeinschaft aufzutreten, bis sie des Irrthums überwiesen sind und der im Grunde erwünschte Beweis geliefert ist, daß sie die Grenzen zu eng gesteckt haben, daß es noch viel mehr ihres Gleichen im Lande gibt, als sie dachten. – Daß in unserem Falle der beabsichtigte Verein mit der Kirche zusammenfalle, haben wir übrigens nicht gesagt und wollten es auch nicht sagen. Wir konnten uns vornherein gar manchen treuen Jünger JEsu denken, der überhaupt den Vereinen keinen Geschmack abgewinnen konnte, weil er sie insgemein für eine Zersetzung der Kirche hielt. Würden wir etwa einen solchen nicht für ein Glied der Kirche gehalten haben?

 Der Verfaßer dieser Blätter hat sich früher selbst immer gegen Vereine geäußert. Bereits pag. 19. 20. des gedruckten Vorschlags hat er das anlangend eingelenkt, und seitdem ist ihm das Recht der Vereine innerhalb der Kirche noch gewisser geworden. Ich sagte früherhin, wenn die Kirche in lebendiger Ordnung gehen würde, so würden die Vereine aufhören. Das glaube ich nun nicht mehr.[2] Die Kirche hat mancherlei gute Werke zu vollbringen, mancherlei einzelne Zwecke vereinigen sich zur Erreichung ihres Gesammtzwecks. So mancherlei nun die guten Werke, so mancherlei die einzelnen Zwecke der Kirche sind, so mancherlei| sind die Gaben, welche der HErr den Seinigen geschenkt hat. Keiner hat alle Gaben, jeder seine besondere Begabung und Befähigung für dieses oder jenes Werk. Wozu einer begabt ist, dazu ist er berufen zu arbeiten und dazu will er auch gerne sich bemühen. Wenigstens glaube ich, es werde die Lust und Neigung sehr oft mit der Begabung zusammengehen. Haben nun mehrere einerlei Gabe, so werden sie einerlei Werke wirken, und es wird gut sein, wenn solch gleichbegabte Glieder der Kirche auch unter einander im Zusammenhang stehen. Die gleiche Begabung, der gleiche Sinn für dies oder jenes Werk hat daher, zumal wenn irgend ein Werk durch Zeitverhältnisse als besonders wichtig hervortrat, wenn irgend eine Noth darauf hinwies, die Christen je und je zusammengeführt. Ich denke deshalb, es werde das Recht der Vereine auch für Kirchen, die wären, was sie sollen, auf der gleichen Begabung und der jeweiligen Nothwendigkeit, ein oder das andere Werk mit größerem Ernst zu betreiben, ziemlich sicher ruhen. Vielleicht könnte man also sagen, es habe je und je, in guten und bösen Tagen der Kirche Vereine gegeben, wenn sie auch nicht allezeit in der modernen Gestaltung auftraten. Man kann hiebei an die so früh schon auftretenden ascetischen Vereine, an die Mönchsorden, an die Bruderschaften der römischen Kirche[3] erinnern. Ja man könnte auch auf die gelehrten Gesellschaften der protestantischen Kirche hinweisen. Ueberlegt man das alles und betrachtet man die Vereine von dem hier genommenen Standpunkte, so haben alle einen kenntlichen, gemeinsamen Zweck gehabt, nemlich Pflege und Erziehung besonderer Gaben zum Heile der Menschheit und zur Ehre Gottes. Wer wird nun kirchliche Vereine in diesem Sinne verwerfen können? Nur das wird in der Kirche fest stehen müßen, daß kein Verein sich der Aufsicht des heiligen Amtes entziehe. Hat Ignatius in seinen Briefen die Christen vermahnt, ohne den Bischof nichts zu thun, wie viel mehr wird man ermahnen müßen, kein großes Ding ohne den Bischof zu thun? Denn groß ist ohne Zweifel die Vereinigung vieler zu Einem göttlichen Zweck. – Alles, alle Gaben erweisen sich zum gemeinen Nutzen und gehören der Gemeinde; die Gemeinde aber soll mit all ihrem Leben vor ihren Aeltesten offenbar sein und mit ihnen als Kinder mit den Vätern in allen Stücken zusammenleben. Da versteht sichs von selbst, daß kein Verein vom Hirtenamte emancipirt sein kann. – Man sollte auch unter uns, wo alle christlichen Vereine von Pfarrern gestiftet, von Pfarrern geleitet werden, wo Sinn und Theilnahme für die Vereine fast ohne Ausnahme von Pfarrern ausgegangen ist und ausgeht, schon aus Sorge für die Vereine selbst von einer solchen Emancipation gar nicht reden. Es ist der Tod christlicher Vereine mit ihrer Emancipation vom Amte beschloßen, und einen solchen Beschluß sollten am wenigsten Pfarrer faßen. Es ist nichts weniger als Demuth, es ist eher mit jedem andern Namen als mit dem der Demuth zu schmücken, wenn Pfarrer in Dingen ihren Einfluß aufgeben wollen, die ohne sie und ihr Amt nicht gedeihen, für die ihr Auge und tausendmal auch ihre Zunge, ihre Hand, ihr Fuß unentbehrlich sind. – Wenn nun aber in der gesunden Kirche Vereine für gut und| naturwüchsig erkannt werden müßen, wie viel mehr müßen wir den Dienst der Vereine in der kranken Kirche mit Dank anerkennen, (S. Druck des Vorschlags p. 20.) Und wenn es in der Ordnung ist, sich zu einzelnen Werken zu vereinigen, wie sollte es denn der Vereinigung vieler Kräfte nicht werth sein, christliches Leben im Allgemeinen zu wecken, zu pflegen, zu erhalten? Die lieben können, sollen lieben, – die Liebe aber vereinigt und zwar bald in der, bald in jener Form, wie es sich eben gibt, – und wozu vereinigt sie, wenn nicht zu Zucht, Gemeinschaft und Opfer in dem Sinne des Vorschlags oder doch des Katechismus apostolischen Lebens?

 Ich irre mich vielleicht und vielleicht sehe ich es noch einmal anders, dann will ichs nicht verhalten; aber noch ist mirs immer, als wenn der Vorschlag sammt dem Katechismus des apostolischen Lebens weniger an dem gestorben wäre, was – namentlich in der gedruckten Recension – zu lesen steht, als an dem, was man zwischen den Zeilen las, was man sich dahinter dachte. Ich meines Theils hatte allerdings mein Mistrauen ins Gelingen der Sache, so wie sie nun geändert war; es schien mir unter den gegebenen Umständen wenig Hilfe darin; stufenweise, so schien es mir, durch mancherlei Bemühungen, die Lage zu beßern, kämen wir am Ende doch zu nichts anderem als zur Ausgangspforte und zu neuem Bau. Dennoch aber, wie gerne hätte ich eine wahre Seelenvereinigung zu apostolischem Leben als neue Lebenshoffnung der bestehenden Kirche begrüßt! Ich meinte es ehrlich mit dieser Vereinigung; wenn gleich mir ohne einige Form das ganze Unternehmen unpraktisch erschien, so glaubte ich doch, es könnte sich bei ernstlichn Versuchen leicht auch in Betreff der Form die Meinung mancher ändern. Die Wahrheit ist, daß es an ernstlichen Versuchen, d. i. an Leuten fehlte, die konnten und dann auch wollten. Die Kirche, die so etwas gekonnt, so etwas hervorgebracht hätte, hätte noch mehr gekonnt; der HErr würde, meines geringen Erachtens, viel Sieg gegeben haben. An ihrer Unmöglichkeit starb drum die Sache; sie gab Zeugnis von unserm Unvermögen und offenbarte vieler Herzen Gedanken. Genug, die Sache ruhte und ruht bisher – und wie gerne wollte ich meines Theils sie als völlig verfehlt ansehen, wenn ich nur von irgend einer Seite eine reichere und mächtigere Hilfe hätte kommen sehen.

 Es war allerdings manchen meiner befreundeten Gegner gar nicht entgangen, daß es in jedem Betracht gut sein würde, um den Pfarrer her einen beßeren Kern von Gemeindegliedern zu sammeln; sie lenkten meine Aufmerksamkeit auf das Catechumenat der alten Kirche, für dessen zeitgemäße Erneuerung man durch Belehrung das Urtheil und die Zustimmung der Christen gewinnen müßte. Ich gestehe, daß das Catechumenat meinen vollen Beifall hat.[4] Für neu entstehende Gemeinden, z. B. unter den Heiden, in Nordamerica etc., sollte man mindestens – gegenüber dem eilenden Zufahren der Römischen und dem nach Baptismus riechenden langsamen Verfahren| mancher protestantischer Kirchengesellschaften – die rechte Mitte rücksichtlich der Aufnahme in die Kirche lernen. Wiewol bei unsern Heidenmissionaren wenigstens, wenn man nicht einige Erfolge in den lutherischen Stationen in Ostindien, für welche Gott zu loben ist, ausnehmen will, kein solcher Zudrang ist, daß man das Bollwerk eines ausgebildeten Catechumenenwesens sehr vermißte. Wenn man nun aber das Catechumenat als Mittel benützen will, in den von Alters her bestehenden Gemeinden einen engeren Kreis und beßeren Kern um den Pfarrer zu sammeln, dann fürchte ich, man hat anstatt meines Vorschlags ein zwar vollkommeneres, aber auch weit gestrengeres und schärferes Hilfsmittel aufgefunden, welches alle die praktischen Bedenken, die man gegen meinen Vorschlag erhob, gegen sich vereint, mit diesem kaum einen erleichternden Umstand gemein hat (z. B. nicht den Vorgang und die Analogie der Erbauungsstunden), und kurzum unmöglich wäre, ohne daß eine Scheidung und eben damit gerade das erfolgte, wogegen man den ganzen Gedanken gesetzt hat. Für verderbte Gemeinden ist das schärfste Zuchtmittel das Catechumenat, das mildeste, was wir wollen: Abweisung der offenbaren, unbußfertigen Sünder vom Sacrament, Sammlung der beßeren Glieder zu einem Verein für apostolisches Leben und geduldige, seelsorgerische Einwirkung auf die Uebrigen durch den Pfarrer selbst und allenfalls durch Diakonie des genannten Vereins. Das Catechumenat vertritt die positiven Forderungen des Evangeliums an die, welche Christen sein und werden wollen; die Abweisung vom Sacrament geschieht nach dem gewöhnlichen Brauch der Kirche (gegen den wir uns nicht wehren wollen) auf Grund einer Art von negativem Leumundszeugnis, denn es geht zum Sacrament, gegen welchen keine Klage spricht, auch wenn ihm kein Lob gesprochen werden kann. Was strenger ist, tritt in die Augen.
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 Zwar ist nur einerseits das alte Catechumenat in seiner vollen Strenge desiderirt worden, während anderer Seits neben dem gewöhnlichen („gnesiolutherischen“) Catechumenat der Kirche ein auf freiem Wege entstehendes, dem alten ähnliches in Vorschlag gebracht wurde. Die Anwendung des ersteren trifft das, was ich bereits sagte. Es würde hiemit ein Sturm heraufbeschworen werden, welcher dem Gebäude der Landeskirche, das ohnehin nur durch Klammern und Schlaudern zusammengehalten wird, einen schnellen Ruin bringen könnte. Aber auch der zweite Vorschlag dünkt mich doch gar nicht probat. Es gäbe da ein zweites Catechumenat, welches am Ende dem gnesiolutherischen gegenüber bevorzugt werden müßte. Da es auf dem freien Willen der Teilnehmer bestände, würde es möglicher Weise den Pharisäismus mehr befördern, als alles Vereinswesen, je höher die Catechumenen im Urtheil der Christen ständen. Wie alles „Beßer-sein-wollen“ würde es einen und zwar vielleicht nicht mindern Haß, Neid und Sturm der Bösen erregen, als das erstgenannte alte Catechumenat. Ja, während es das Ansehen des gnesiolutherischen Catechumenats schmälerte, könnte es vielleicht selbst – wegen der Zweiheit – zu keinem unbezweifelten Ansehen gelangen, – und die dadurch nothwendig entstehende Scheidung innerhalb der Abendmahlsberechtigung (Abendmahlsgenoßen und Abendmahlsgäste etc.) wäre ein novum der gefährlichsten Art. Vielleicht habe| ich den Vorschlag der Freunde nicht richtig verstanden; ich schreibe aus einem sehr trüglichen Gedächtnis heraus; aber habe ich recht gemerkt, so fürchte ich, der Gedanke eines doppelten Catechumenats könnte grade in den Gemeinden, wo das Christenthum wenigstens noch Ehrensache ist, mit der Wuth des beleidigten Pöbels enden, den man als Abendmahlsgast behalten wollte. Jeden Falls müßen einem im Amte stehenden Pfarrer die Catechumenatsvorschläge nicht recht praktisch erscheinen. Wer weiß, wie viele vom Clerus ein freies Catechumenat, welches dann doch in allen Gemeinden müßte in Ausübung gebracht werden können, gar nicht leiten könnten! Und ach, wie viele würden gerechter Maßen von ihren Seelsorgern in der Classe der Abendmahlsgäste zurückgehalten werden müßen! etc. – All das wäre bei einfachem Abweis des offenbaren, unbußfertigen Sünders – und bei einem völlig freien Verein der Beßeren für apostolisches Leben in vielen Gemeinden nicht, in vielen nur wenig zu fürchten. Noch fände Abweis vom heiligen Abendmahle viele Zustimmung – und die Erscheinungsart des Vereins wäre so ziemlich dieselbe, wie bei den Erbauungsstunden, die alles Interesse für den christlichen (unchristlichen) Pöbel verloren haben und gar kein Aufsehen mehr erregen, wenig Hochmuth mehr hervorrufen, weil ihrer niemand mehr achtet, und nur zufällig wieder ein Gegenstand des Haßes und der Aufregung werden dürften.




 Sollte ich endlich den Unterschied zwischen meinem Vorschlag und dem des Catechumenats angeben, so scheint er mir kürzlich dieser zu sein. Ich wollte retten, was sich retten ließe, zusammenhalten, was zusammengehörte, – alles im Angesicht einer möglichen Scheidung. Meine befreundeten Gegner wollten innerhalb der, wo immer möglich, zusammenzuhaltenden gegenwärtigen Gemeinden einen beßeren wirksamen Kern bilden. – Wir wollten uns zusammendrängen, um allenfalls beisammen zu sein, wenn wir irgend genöthigt sein würden, von dem Ganzen der Landeskirche auszuscheiden. Und das werden die wenigen nicht leugnen, die sich noch der ersten Anfänge erinnern. Die befreundeten Gegner aber, wenigstens die vom zwiefachen Catechumenat, schienen auf dem Wege ihrer Unterscheidung den beßeren und den schlechteren Elementen die Möglichkeit des Zusammenbleibens ausfindig gemacht zu haben. – Wir wollten eine Scheidung nicht herbeiführen, rüsteten uns aber dazu und betraten einen Weg, auf welchem wir bei beßerer Wendung der allgemeinen Zustände auch innerhalb der Kirche verharren konnten. Unsre Freunde wollten keine Scheidung, aber die Durchführung ihres Gedankens vom Catechumenat hätte sie in den Fall gesetzt, sie veranlaßt zu haben. – Unsre Sehnsucht nach dem Beßeren brachte uns in das Gerücht eines unaufhaltsamen Dranges zur Ausscheidung, welches hernach durch meine Beleuchtung der Generalsynode neue Nahrung fand. Der Ernst unsrer Gegner, zusammenzuhalten, brachte in Vergeßenheit, daß sie zum Theil zu einem Wege riethen, den man uns bei dem Vorurtheil, in dem wir standen, härter würde verwiesen haben, als den Vorschlag.




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Anhang.
Luther über die Bruderschaften der römischen Kirche,
1519.

 Zum ersten wollen wir die bösen Uebungen der Bruderschaften ansehen. Unter welchen ist eine, daß man ein Freßen und Saufen anrichtet, läßt eine Messe oder etliche halten, darnach ist der ganze Tag und Nacht, und andere Tage dazu dem Teufel zu eigen gegeben. Da geschieht nichts mehr, denn was Gott misfällt. Solche wüthende Weise hat der böse Geist eingetragen, und läßt es eine Brüderschaft heißen, so es mehr eine Luderei ist, und ganz ein heidnisch, ja ein säuisch Wesen. Es wäre viel beßer, daß keine Bruderschaft in der Welt wäre, denn daß solcher Unfug geduldet wird. Es sollten weltliche Herren und Städte mit der Geistlichkeit dazu thun, daß solches abgethan würde. Denn es geschieht Gott, den Heiligen und auch allen Christen große Unehre daran, und macht Gottesdienst und die Feiertage dem Teufel zu einem Spott.

 Denn die heiligen Tage soll man mit guten Werken feiern und heiligen, und die Bruderschaft sollte auch eine sonderliche Versammlung sein guter Werke: so ist es worden ein Geldsammeln zu Bier.. Was soll unser lieben Frauen, St. Annen, St. Bastian oder anderer Heiligen Name bei deiner Bruderschaft thun, da nichts mehr denn Freßen, Saufen, unnütz Geldverthun, Plerren, Schreien, Schwätzen, Tanzen und Zeitverlieren ist? Wenn man eine Sau zu solcher Bruderschaft Patronin setzte, sie würde es nicht leiden. Warum versuchen wir denn die lieben Heiligen so hoch, daß wir ihren Namen zu solchen Schanden und Sünden mißbrauchen, und ihre Bruderschaften mit solchen bösen Stücken verunehren und lästern? Weh denen, die das thun, und zu thun verhängen.

 „Zum andern, so man eine Bruderschaft wollte halten, sollte man zusammenlegen und einen Tisch oder zween armer Leute speisen, und denselben dienen laßen um Gottes willen, sollte den Tag zuvor fasten und den Feiertag nüchtern bleiben, mit Beten und andern guten Werken die Zeit hinbringen: da würden Gott und seine Heiligen recht geehret, daraus würde auch Beßerung folgen und gut Exempel den andern gegeben. Oder man sollte das Geld, das versoffen wird, zusammenlegen und einen gemeinen Schatz sammeln, ein jeglich Handwerk| für sich, daß man in der Noth einem dürftigen Mithandwerksmann auslegen, helfen und leihen könnte; oder ein jung Paar Volks desselben Handwerks von demselben gemeinen Schatz mit Ehren aussetzen. Das wären rechte brüderliche Werke, die Gott und seinen Heiligen die Bruderschaft angenehm machten, dabei sie gerne Patronen sein würden. Wo sie aber das nicht thun wollen, und der alten Larven nachfolgen, so vermahne ich doch, daß sie solches nicht thun auf der Heiligen Fest, auch nicht unter ihrem oder der Bruderschaft Namen. Man nehme einen andern Werktag und laße der Heiligen und ihrer Bruderschaft Namen mit Frieden, auf daß sie nicht einmal zeugen („zeichen“?). Wiewol kein Tag ohne Unehre mit solchem Wesen wird zugebracht, soll doch der Feste und Heiligen Namen mehr verschont werden. Denn solche Bruderschaften laßen sich der Heiligen Bruderschaften nennen, und treiben des Teufels Werk darunter.“

 Zum Dritten ist eine andere böse Gewohnheit in den Bruderschaften, und ist eine geistliche Bosheit, eine falsche Meinung, die ist, daß sie meinen, ihre Bruderschaft soll Niemand zu gut kommen, denn allein ihnen selbst, die in ihrer Zahl und Register sind verzeichnet, oder dazu geben. Diese verdammte böse Meinung ist noch ärger als die erste Bosheit, und ist eine Ursache, warum Gott verhängt, daß aus den Bruderschaften ein solcher Gottesspott und Lästerung „wird mit Freßen und Saufen und desgleichen. Denn darin lernen sie sich selbst suchen, sich selbst lieben, sich allein mit Treuen meinen, der andern nicht achten, sich etwas Beßeres dünken, und mehr Vortheil bei Gott, für den Andern, vermeßen. Und also gehet unter die Gemeinschaft der Heiligen, die christliche Liebe und die gründliche Bruderschaft, die in dem heiligen Sacrament eingesetzt ist. Also wächst in ihnen eigennützige Liebe, das ist nicht anders, denn daß man mit denselben vielen äußerlichen, werklichen Bruderschaften strebt und störet wider die einige, innerliche, geistliche, wesentliche Gemeine aller Heiligen Bruderschaft.“

 Wenn denn Gott siehet das verkehrte Wesen, so verkehret er es auch wiederum; als im 18. Psalm stehet: „Mit den Verkehrten verkehrest du dich,“ und schicket es also, daß sie sich mit ihren Bruderschaften selbst zu Spott und Schanden machen und von der gemeinen Bruderschaft der Heiligen, der sie widerstreben und nicht mit ihr in gemein wirken, verstößet in ihre freßige, säuferische, unzüchtige Bruderschaft, auf daß sie das Ihre finden, die nicht mehr, denn das Ihre gesucht und gemeint haben, und dennoch sie verblendet, daß sie solche Unlust und Schande nicht erkennen, unter der Heiligen Namen solchen Unfug schmücken, als sei es wohlgethan, über dasselbe etliche so tief in Abgrund läßt fallen, daß sie öffentlich rühmen und sagen, welcher in ihrer Bruderschaft sei, möge nicht verdammt werden; gerade als wäre die Taufe und Sacrament, von Gott selbst eingesetzt, geringer und ungewisser, denn das sie aus ihren blinden Köpfen erdacht haben. Also soll Gott schänden und blenden, die seine Feste, seinen Namen, seine Heiligen mit Nachtheil der gemeinen christlichen Bruderschaft, die aus Christi Wunden gefloßen ist, schmähen und lästern mit ihrem tollen Wesen und säuischem Brauch ihrer Bruderschaften.

|  Zum Vierten: Darum einen rechten Verstand und Brauch zu lernen der Bruderschaften, soll man wißen und erkennen den rechten Unterschied der Bruderschaften. Die erste ist die göttliche, die himmlische, die alleredelste, die alle andere übertritt, wie das Gold übertritt Kupfer oder Blei, die Gemeinschaft aller Heiligen, davon droben gesagt ist, in welcher wir allesammt Brüder und Schwestern sind, so nahe, daß nimmermehr keine nähere mag erdacht werden. Denn da ist Eine Taufe, Ein Christus, Ein Sacrament, Eine Speise, Ein Evangelium, Ein Glaube, Ein Geist, Ein geistlicher Körper, und ein Jeglicher des Andern Gliedmas. Keine andere Bruderschaft ist so tief und nahe. Denn natürliche Bruderschaft ist wohl Ein Fleisch und Blut, Ein Erbe und Ein Haus, aber muß sich doch theilen und mengen in ander Geblüt und Erbe.

 Diese parteiischen Bruderschaften, die haben wohl Ein Register, Eine Meß, einerlei gute Werke, Eine Zeit, Ein Geld, und als es nun gehet, Ein Bier, Ein Freßen und Ein Saufen; und reicht keine nicht so tief, daß sie Einen Geist mache: denn den macht Christus Bruderschaft allein; darum auch so sie größer, gemeiner und weiter ist, je beßer sie ist.

 Es sollen nun alle andern Bruderschaften, so geordnet sind, daß sie die erste und edelste stets vor Augen haben, dieselbe allein groß achten und mit allen ihren Werken nichts Eigens suchen, sondern um Gottes willen dieselben thun, Gott zu erbitten, daß er dieselbe christliche Gemeinschaft und Bruderschaft erhalte und beßere von Tag zu Tage. Also, wo eine Bruderschaft sich erhebt, sollen sie sich also laßen ansehen, daß dieselben für andere Menschen herausspringen, für die Christenheit mit Beten, Fasten, Almosen, guten Werken etwas Besonderes zu thun, nicht ihren Nutz noch Lohn suchen, auch niemand ausschlagen, sondern wie freie Diener der ganzen Gemeine der Christenheit zu dienen.

 Wo solch rechte Meinung wäre, da würde Gott auch wiederum rechte Ordnung geben, daß die Bruderschaften nicht mit Schlemmerei zu Schanden würden. Da würde Gebenedeiung folgen, daß man einen gemeinen Schatz möchte sammeln, damit auch äußerlich andern Menschen geholfen würde. Dann gingen geistliche und leibliche Werke der Bruderschaften in ihrem rechten Orden. Und welcher dieser Ordnung in seiner Bruderschaft nicht will folgen, dem rathe ich, er springe heraus und laße die Bruderschaft anstehen, sie wird ihm an Leib und Seele schaden.

 So du aber sprichst: Soll ich nicht etwas Besonderes in der Bruderschaft überkommen, was hilft sie denn mich? Antwort: Ja, wenn du etwas Besonderes suchest, was hilft dich denn auch die Bruderschaft oder Schwesterschaft dazu? Diene du der Gemeinde und andern Menschen damit, wie die Art der Liebe pflegt, so wird sich dein Lohn für dieselbe Liebe wohl finden ohne dein Suchen und Begierde. So aber dir der Liebe Dienst und Lohn gering ist, so ist es ein Zeichen, daß du eine verkehrte Bruderschaft habest. Die Liebe dienet| frei umsonst, darum gibt ihr auch Gott wiedrum frei umsonst alles Gute. Dieweil denn alle Dinge in der Liebe müssen geschehen, sollen sie anders Gott gefallen, so muß die Bruderschaft auch in der Liebe sein. Was aber in der Liebe geschieht, des Art ist, daß es nicht sucht das Seine, noch seinen Nutzen, sondern der Andern und zwar der Gemeine.
Tom. Jenens. I, f. 212. s. 




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2.
Die Petition und die Generalsynode.


 Nachdem also der Vorschlag beruhte, wäre es wenigstens mir recht angenehm gewesen, wenn wir dem Verlauf der Zeit in völliger Stille hätten zusehen dürfen. Allein sowie wir den Blick wieder in die Abschn. I. geschilderten wirklichen Zustände kehrten, fühlten wir den alten Jammer und fanden es ganz der Mühe werth, nach Beßerung zu ringen. Man hätte sich freilich den Kampf ersparen können, wenn man z. B. nach Nordamerica gegangen wäre. Allein der Schreiber dieses kann aufrichtig versichern, daß er niemals Lust gehabt hat, in Nordamerica ein Amt zu suchen. Es ist und bleibt sein Wunsch, nach geschloßenem Lauf in fränkischer Erde zu ruhen. Ueberdies fühlt er sich an seine Gemeinde durch die Art und Weise, wie ihn Gott zu ihr geführt, so gebunden, daß es ihm etwas sehr Schweres sein würde, das Band nur so ohne Weiteres selbst zu lösen und nach Nordamerica zu gehen. Ich konnte und kann einen Rath der Art nicht brauchen. Ich will, wenn Gott, der HErr, durch Seine große Gnade die Verhältnisse der Landeskirche beßert, gern an dem Orte bleiben, wo ich bin; – erhört Er aber unser sehnliches Rufen nicht und segnet Er in Ihm begonnenes Wirken und Ringen nach dem Ihm selber wohlgefälligen Ziele nicht, nun ja, dann tritt freilich eine Nöthigung zu gehen ein, welche von derselben Hand kommt, welche Pfarrer zu Gemeinden führt. Ehe wir aber das Aeußerste thun, wollten und wollen wir allerdings ums Bleiben kämpfen und mit unserer geringen Kraft nach Beßerung ringen.

 Im Laufe des Jahres 1848 und zu Ende desselben hatten sich die Sachen so gestaltet, daß an eine freiwillige Ausscheidung der verderbten Massen aus der Landeskirche auch in den Städten nicht mehr zu denken war. Eine Reconstruction der Kirche nach Christi Sinn trat damit natürlich in den Hintergrund. Desto leichter konnte es gelingen, noch einmal alles zusammenzuleimen und die vorhandenen Riße zu verkeilen und zu vermörteln. Daß der Wille zu Letzterem vorhanden war, ist auch im gedruckten Vorschlag p. 10. schon erkannt. War es doch die Meinung vieler und zwar gar nicht der unbedeutendsten Stimmen, daß man am besten thun würde, in dieser Zeit die Bekenntnisfrage gar nicht zur Besprechung zu bringen. Am allerwenigsten aber sollte die Bekenntnisfrage im Sinne der Zucht vorkommen. Bei den Landgemeinden konnte man es indes mit erneuter Feststellung des Bekenntnisses noch wagen, so verderbt sie waren; ja, der einfache Gerechtigkeitssinn des Landmannes hätte auch nichts eingewendet, wenn man die Bekenntnisfrage im Sinne der Zucht aufgeworfen und den Grundsatz ausgesprochen hätte, daß niemand in der Landeskirche und in ihrem Amte bleiben könne, der wider die Bekenntnisse lehre. Die Massen auf dem Lande sind trotz des unter ihnen herrschenden übeln Sinnes nicht so gelenk und gewandt, daß sie schon jetzt gelernt hätten, ihrem sei es theoretischen oder praktischen Unglauben ein Recht zu bestehen aus den im Staate| bereits so ziemlich herrschend gewordenen Grundsätzen der Gleichberechtigung aller Religionsarten zu erschließen. Ein ernster Beschluß fürs Bekenntnis, eine gestrenge Anforderung der Bekenntnistreue an die Pfarrer würde dem Landmann, wenigstens in den Gegenden, welche ich kenne, sogar noch jetzt zum Guten imponiren. Anders vielleicht in den Städten, deren Kirchenpöbel durch eine so starke Erweisung lutherischen Sinnes leicht beschworen und gezwungen werden konnte, sich zu geben wie er war und ist. Was für das Land eine wohlthätige Wirkung gehabt hätte, konnte vom Standpunkt städtischer Pfarrer leicht als „Kirchensprengung“ (einen Ausdruck Pfarrer Kraußold’s zu gebrauchen) erscheinen. Was nun hier thun? „Sprengen“ wollten wir die Landeskirche nicht, den Vorwurf Herrn Pfarrer Kraußolds können wir ganz einfach zurückweisen, und ich denke, wir können ihn als einen solchen bezeichnen, welcher dem von ihm behaupteten sine ira et studio widerspricht. Wir wären gern in der Landeskirche geblieben; deshalb glaubte man, bei der herannahenden Generalsynode die in unserm Rechte liegenden Schritte thun zu müssen, um einen Zustand anzubahnen, bei dem wir bleiben könnten. Für das Land sahen wir in dem, was wir wollten, nur Heil, – und auch für unsre Brüder in den Städten sahen wir in der Realisirung unserer Wünsche bei genauer Erwägung (wir kennen ja auch städtische Gemeinden) wenig Gefahr, dagegen viel Zuwachs an gutem Gewißen und wahrem amtlichen Segen. Hätten wir wißen können, was sich seitdem in unsern Städten ergeben hat, wie sich die abfälligen Massen benehmen würden; es würde uns in unserer Meinung nur bestätigt haben. Wir wagten es also, die Bekenntnisfrage zu erheben, die Synode um ihr Bekenntnis zum Bekenntnis zu bitten.

 Da wir voraussehen konnten, daß die Synode über Verfaßungsgegenstände viele Berathungen anstellen würde; so schien es uns auch ganz am Orte, nicht bloß um Bekenntnis zum Bekenntnis zu bitten, sondern auch die Ausflüße bisheriger Bekenntnisuntreue in den öffentlichen Verhältnissen der Landeskirche zu bezeichnen, und um Abschaffung der Misbräuche, soweit diese von der Synode bewirkt werden konnte, anzulangen. War doch die Landeskirche fast in keiner ihrer öffentlichen Lebensäußerungen specifisch lutherisch. Alle ihre Verhältnisse waren von einem Geiste der Bekenntnislaxheit, ja von unirtem Sinne durchdrungen. Und wenn nun gleich diese Zustände nicht zunächst auf uns Landpfarrer drückten; so galt es doch jetzt, die Quelle unserer Leiden aufzusuchen und zu verstopfen. Diese aber mußten wir zum Theil eben in den allgemeinen Verhältnissen, in der Verfaßung der Landeskirche und den Formen ihres öffentlichen Lebens und Erscheinens finden. – Wir faßten unsre Beschwerden und Wünsche in einer Petition an die Generalsynode zusammen.

 Diese Petition war ursprünglich von dem Schreiber dieser Blätter entworfen, gieng aber hernach durch mehrfache Berathung und wurde mehr als einmal umgearbeitet. Da wir rücksichtlich dessen, um was zu petitioniren war, ganz klar sahen; so legten wir es gar nicht darauf an, sie in möglichst weite Kreise zu bringen. Vielleicht wäre es beßer gewesen, wenn wir es dennoch gethan hätten;| vielleicht haben wir aber auch das unter den gegebenen Umständen Beste getroffen. Manche Kreise confessionell Gesinnter kannten wir voraus in so weit, daß wir keine Beistimmung hoffen konnten. Was hätte es geholfen, wenn wir sie da vorgelegt hätten? Entweder hätte uns der Widerstand entmuthigt, oder wir wären, wenn wir des Widerstandes ungeachtet auf der Petition und ihren einzelnen Punkten beharrt hätten, genöthigt gewesen, von vorn herein nicht bloß neben, sondern auch im Gegensatz zu unsern anders gesinnten Freunden zu stehen. Keines von beiden wollten wir und giengen drum einfach, wie ja auch die andern Kreise ohne Rücksicht auf uns thaten, den Weg des besten Wißens und Gewißens.

 Die fertige Petition wurde auch nicht möglichst vielen zur Unterschrift vorgelegt. Es war keine Monstreeingabe beabsichtigt, und wir wußten wohl, daß, je mehr Unterschriften wir lieferten, desto mehr Zweifel an der erwogenen Zustimmung der Subscribenten entstehen würden. Daß dennoch so viele Unterschriften kamen, war ganz zufällig. Es würden noch Hunderte mehr drunter stehen, wenn alle, welche sich dafür interessirten, von dem Grundsatz ausgegangen wären, alle ihre Gleichgesinnten zur Unterschrift einzuladen. Das Verfahren war ungleich. – Beschleicht einen nun gleich bei mancher Unterschrift ein Lächeln, so habe ich doch mit meinen Augen viele unterschreiben sehen, denen es heiliger Ernst war. In mancher Gemeinde erhob sich hernach einige Unzufriedenheit und Unwille, daß nicht öffentlich zur Unterschrift aufgefordert worden war. Gar mancher einfache Landmann sah es als eine Art Beleidigung an, daß er seinen Namen zu unterschreiben keine Gelegenheit gehabt hatte.

 Bei dem Inhalt der Petition gieng man ganz einfach von der Sachlage aus. In dem Wahlausschreiben zur Generalsynode war Bekenntnistreue unter den Erfordernissen nicht genannt. Wir wünschten, daß die Generalsynode durch ein offenes Bekenntnis zum Bekenntnis das Versehen oder den Fehler gut machen möchte. Ferner konnte es nicht genug sein, daß man sich mit Worten zum Bekenntnis bekannte. Es mußte doch dem Worte Kraft gegeben werden. Darum wünschten wir, daß sich die Synode in bekenntnistreuem Muthe gegen die bekenntniswidrigen kirchlichen Uebelstände kehrte. Unter die bekenntniswidrigen Gebrechen rechneten wir insonderheit folgende:

1. Summepiscopus ist ein römisch-katholischer König.
2. Die kirchliche Oberbehörde ist verfaßungsmäßig combinirt, und wird deshalb leicht zu unirtem Wesen versucht.
3. Die Landeskirche ist eine „protestantische Gesammtgemeinde“, welche Lutheraner und Reformirte umfaßt.
4. Die Generalsynoden sind combinirt.
5. Die Diöcesansynoden sind combinirt; lutherische und reformirte Pfarreien gehören zu derselben Synode, werden von einem und demselben Dekan regiert.
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6. Es gibt auch combinirte Pfarreien; Lutheraner und Reformirte stehen unter Einem Pfarrer, der einen jeden Theil nach seinem Ritus bedient.
7. Eine Verpflichtung auf die Symbole hatte so ziemlich aufgehört, wenn gleich neuere Ordinationsscheine einige allgemeine Worte von Verpflichtung aufs Bekenntnis führen.[5]
8. Es gibt factisch zwischen Lutheranern und Reformirten Abendmahlsgemeinschaft. Jedermann weiß es, ohne daß es abgethan wird.
9. Viele Gemeinden, von Haus aus lutherisch, haben nicht bloß reformirte Form des Gottesdienstes überhaupt, sondern, was die Hauptsache ist, des Abendmahles, Reformirte, unirte Distribution.
10. Es gibt weder confessionelle Lehrzucht, noch öffentlich angeordnete Sittenzucht, obwol beide von Gott und den Symbolen und den Kirchenordnungen gefordert werden. (Die löblichen Beispiele von Strenge gegen Geistliche gehen von allgemein christlichem, nicht von confessionellem Standpunkt aus.)
11. Die neuerlich eingeführten oder erlaubten liturgischen Schriften, Gesangbuch und Agendenentwurf, sind durchaus nicht Zeugnisse von der zu Recht bestehenden doctrina publica.
12. Der bayerische Missionsverein, als Missionsverein einer protestantischen Gesammtgemeinde, thut verschiedenen Kirchen Handreichung und beweist mit nichten das Recht einer besondern lutherischen Landeskirche[6]
etc. etc. etc.
 Nun ist es zwar richtig, daß alle diese Dinge sich in den Zeiten confessionellen Entwerdens festgesetzt haben, und daß man sie deswegen mehr als Krankheitssymptome, denn als Sünden deuten könnte. Allein sie sind denn doch einmal da, und zwar bestehen sie größten Theils zu Recht, auf Grund verfaßungsmäßiger Bestimmungen, so daß sie ein übles Licht auf die Behauptung rechtlichen Bestehens der lutherischen Kirche werfen können. Oder ist es nicht so? Ist die verfaßungsmäßige protestantische Gesammtgemeinde mit allen ihren Combinationen in den Organen von oben bis unten etwa ein Beweis, daß es eine lutherische Kirche in Bayern gibt? daß sie zu Recht besteht? Allermindestens schaffen diese gewaltigen Widersprüche Zweifel und Anfechtung und Verwirrung der Gemüther, welche darauf achten. – Da schien es nun das Beste, die richtige Meinung| durch den Ausspruch der Kirche selbst, die durch ihre Generalsynode vertreten ist, kennen zu lernen. Wenn die Generalsynode ein gutes Bekenntnis bekannte und sich gegen die verfaßungsmäßigen und kirchenregimentlichen Widersprüche erklärte; dann hatte man ein Zeugnis, das die Seele einigermaßen stillen konnte; es mußten dann auch gewis die Widersprüche fallen. That sie aber das nicht; gab sie undeutlichen Ton des Bekenntnisses, und machte sie ihr wörtliches Bekenntnis nicht durch treuen Fleiß gegen die Widersprüche verständlicher; dann stand es schlimm mit dem Lutherthum der Landeskirche. Aus den Uebeln und Krankheiten der Verfaßung und Verwaltung wurden dann Sünden. Diese Ansicht hatte ich, als ich den Entwurf der Petition schrieb, und ich habe sie noch. Selbst wenn das Bekenntnis in bester unmisverständlichster Form gegeben, aber keine Abänderung jener Mißstände angebahnt worden wäre, würde man von Bekenntnistreue nicht haben reden können. – In diesem Sinne wurde die Petition gestellt. Bei der Synode stand es, alle unsre Zweifel zu lösen oder dieselben zu bestätigen.
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 Es ist dies auch für spätere Verhandlungen wichtig geblieben. Unsre befreundeten Gegner haben bei verschiedenen Versammlungen darauf gedrungen, daß von den Anwesenden anerkannt würde, die bayerische Landeskirche sei lutherisch – trotz und ungeachtet aller unleugbaren, den Grund angreifenden Uebelstände, weil doch das Bekenntnis zu Recht bestand, wie sie sagten. Ganz natürlich! War die Kirche lutherisch, was für eine Thorheit, ja was für ein Frevel schien es dann zu sein, von ihr zu gehen und selbst Lutheraner sein zu wollen! So, wenn man sagte: „Ja, sie ist lutherisch“, gab man sich freilich gefangen. Ich meinerseits würde, wenn man mir eine solche Frage gestellt hätte, einfach meinen Zweifel kund gegeben und ihn durch Hinweisung auf die noch bestehenden, verfaßungsmäßigen, grundangreifenden Uebelstände und auf die mangelnde Lehr- und Bekenntnistreue in allen Regionen der Landeskirche begründet haben. Ich hätte es gerne gehört, ich hätte es gerne recht völlig und glaubwürdig aus dem eigenen Mund der Kirche erfahren, ob es denn wirklich noch beim alten Bunde bleiben sollte, der 1580 geschloßen wurde. Deshalb wendeten wir uns an die Synode, deshalb hernachmals hiehin und dahin. – Allerdings, wenn hier 20, dort 60 oder 70 Geistliche sagen, die Kirche sei lutherisch; so ist das gegen früherhin ein Fortschritt. Es erscheint ja dadurch eine wachsende lutherische Partei im Lande, die sich fühlt und ihr fast erstorbenes Recht wieder auffrischt. Man kann sich auch in gewisser Hinsicht darüber freuen. Allein was liegt denn für das große Ganze an der einseitigen Aussage einer bis jetzt doch immerhin noch kleinen Minorität! Wenn eine Anzahl von Geistlichen lutherisch ist, oder anfängt, es zu sein, zu werden, dagegen viele andere an den allgemein christlichen Ideen festhalten wollen, wieder andere Rationalisten etc. sind, – wenn man sich gegenseitig trägt und duldet – und dulden muß, wenn man alle unlutherischen Uebelstände ertragen kann und für erträglich findet: ist denn dann die Kirche lutherisch? Hat sie das Recht, warum theilt sies mit ihren Feinden? Wenn diese im Hause wohnen und geschützt sind, dann ists eine traurige Sache, wenn wir, von ihnen gedrängt und beengt, nichts zum Troste haben, als ein papierenes und obendrein der| Anfechtung ausgesetztes Recht. Haben wir das Recht, so laßt es uns brauchen und sehen, wie weit es langt; können wirs aber nicht ausüben, nicht auf Bekenntnistreue nach oben und unten dringen, ach nun, dann wollen wir uns über unsre Lage auch keinen Sand in die Augen streuen und wäre er auch von den Unterschriften der Concordie genommen. Eine Kirche, welche de facto – oder wie ich einmal sagte, ihrem Material nach, unlutherisch ist und nicht alles thut, dem Recht gemäß sich wieder einzurichten, hat an ihrem Recht und Freibrief einen Vorwurf, keinen Trost, eine Anfechtung, nicht eine Garantie ihres Lebens, zumal wenn dies im Sterben liegt. – Oder ist de facto die bayerische Kirche nicht unlutherisch mit ihrer mangelnden Bekenntnistreue, mit ihrer Massenverderbnis, mit den oben angeführten zwölf Punkten und andern dazu? Ich denke auch, was ist, das ist, – und das ist stilus planus. Was hilfts, wenn man das Bekenntnis nicht in Frage stellen will, so es doch durch Verfaßung, Verwaltung und offenkundige Zustände der Lehrer und Gemeinden so lange schon in Frage gestellt ist? Ob wirs zugeben oder nicht, es ist dennoch, wie es ist.

 Gott schien es für die Antwort auf unsre Anfrage günstig zu fügen. Die Gemüther der Gemeinden waren zur Zeit der Wahl für die Generalsynode so sehr mit politischen Dingen beschäftigt, daß man auf die Synodalwahl wenig achtete. Mancher Pfarrer brachte nur mit Mühe die zur Wahl nöthigen Leute zusammen. In den großen Städten betheiligten sich erstaunlich wenige, und die sich betheiligten, gehörten schwerlich zu den abgefallenen Massen. Diese Massen wählten nicht. So kam es, daß die Wahl der Laiendeputirten im Ganzen viel beßer ausfiel, als man fürchtete. Man konnte voraussehen, daß sich wenigstens eine christliche Majorität würde herstellen laßen. Da hoffte man denn wohl auch einen Schritt weiter. – Freilich, als nun die Deputirten zusammentraten, sah man bald, wie ungleichartig die Synode bei aller Befriedigung, die man unmittelbar nach den Wahlen hie und da zeigte, zusammengesetzt war. Die nach den gegebenen Verhältnissen beste Wahl machte dennoch Herrn Pfarrer Kraußold selbst ein wenig bange und Herr Dr. Fikenscher zürnt ja in seinem Schriftchen ganz ernstlich, daß wir einer solchen Versammlung solche Bitten hatten stellen können.

 Während übrigens Herr Dr. Fikenscher zürnt, verargt es uns Herr Pfarrer Kraußold, daß wir der Synode gleich vornherein durch unsre Petition ein Mistrauensvotum gestellt hätten, da man vielmehr ihre confessionelle Richtung gar nicht hätte in Frage stellen sollen. (p. 9.) Soll ich ganz einfach sagen, was ich denke, so ist es dies. Es gibt einen politisch-kirchlichen Standpunkt, von dem aus man gleich einem Feldherrn diejenigen Maßregeln wählt, welche zum Ziele, das man sich gesetzt, nach einer gewissen Berechnung führen können. Von diesem Standpunkt aus mag nun allerdings manchmal ganz wohlgethan sein, etwas nicht in Frage zu stellen, was doch offenbar in Frage steht, nach einem gewissen Rechtsbegriff eine Voraussetzung auszusprechen, welche nach Lage der Sache unbegründet ist. Auf diesem kirchlich-politischen Standpunkt zu stehen, habe ich kein Geschick. Es wäre mir ganz und gar wider den Mann gegangen,| bei der Synode dasjenige nicht in Frage zu stellen, was ich bei jedem Blick über die bayerische Kirche hin in Frage zu stellen mich gedrungen fühlte, – nemlich die Bekenntnistreue. Ich sage es gerade heraus, daß ich bei meiner Anschauung der bayerischen Zustände geglaubt haben würde, Unrecht zu thun, wenn ich die Synode vornherein für bekenntnistreu gehalten hätte. Zu dieser Meinung von der Synode als Synode mich emporzuschwingen, vermochte ich bei aller Hochschätzung vieler ihrer einzelnen Glieder nicht. Ich dachte eben auch hier den Stilus planus zu sprechen und hatte mir für dergleichen Fälle immer den Wahlspruch genommen: „Den Aufrichtigen läßt es Gott gelingen.“ Ich traue meinem Freunde Kraußold wirklich aufrichtige Liebe für die Kirche zu; aber auf seinem mehr kirchlich-politischen Zustand gab ihm diese Liebe andere Gedanken ein als mir auf meinem. Ich auf meinem Standpunkt begreife das nicht, wie man in den höchsten Interessen, die es gibt, einer Synode, die noch mit nichts ihre Bekenntnistreue bewiesen hatte und noch nicht hatte beweisen können, deren Glieder nach dem Ausschreiben ohne Rücksicht auf Bekenntnistreue gewählt sein konnten, zu welcher so mancher entschiedene Feind der kirchlichen Richtung gehörte, – wie man dieser bloß deshalb Bekenntnistreue zutrauen sollte, weil sie noch nicht gesprochen hatte und weil es in der protestantischen Gesammtgemeinde auch ein lutherisches Bekenntnis gab, zu dem man sich bekennen sollte. Man konnte die Möglichkeit annehmen, daß die kirchliche Partei die andere überwältigen, daß der Corpusgeist, der so viel thut, und die Umstände wirken würden; aber eine Voraussicht gab es nicht. Man wußte nicht, was kommen würde, darum wählten wir allerdings eine vorsichtige Stellung. – Uebrigens so aufrichtig ich meine Vorsicht, wenn man will, mein Mistrauen gestehe, – ein Mistrauen, darin mir im Herzen wenigstens viele beistimmten, das schließe ich sicher: es überraschte mich doch, als ich hörte, Pfarrer Kraußold nehme unsre Petition als Mistrauensvotum und unterschreibe sie deshalb nicht. Die Tendenz, ein Mistrauensvotum zu geben, war nicht da. Und ist denn diese Ansicht von der Petition ein nothwendiges Ergebnis ihres Inhalts oder ihrer Gestalt? Konnte man sie nicht eben so wohl als Vertrauensvotum nehmen? Wars nicht etwa doch auch ein geheimes Mistrauen, ich sage nicht, gegen uns, aber gegen die Generalsynode selbst, vermöge dessen Freund Kraußold bei uns das Mistrauen in besorglicher Weise hervortreten sah? Was hinderte denn eine von allem Parlamentsgebrauch absehende einfache Auffaßung der Petition? Wir baten, meinetwegen sage man, wir verlangten, denn was wir wollten, waren ja Rechte, die wir verlangen konnten, wenn die lutherische Kirche im Lande zu Recht bestand. Bitten, verlangen – und mistrauen, diese Dinge liegen vor den Augen eines Zweiten wenigstens nicht immer so nahe beisammen in Einem Herzen, daß man von einem aufs andre sicher schließen könnte.
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 Indes, es sei dem, wie ihm will. Man konnte, wenn man wollte, die Petition als Mistrauensvotum nehmen. Ich dachte nicht dran, sonst hätte ich den Punkt überlegt, und so weit es auf mich ankam, vorgesehen. Nehme man doch aber auch meine Aussage als treu und ehrlich an. Ich glaubte, die bayerische Kirche sei mit der Synode von 1849 auf einem Scheidepunkt angekommen.| So blind war weder ich, noch einer von meinen mir bekannten Freunden, daß wir nicht gesehen hätten, was Gott seit Jahrzehnten an der bayerischen Kirche gethan, wie er auch die kirchliche Richtung emporgebracht hatte. Wurden doch diejenigen, welche vor 10 Jahren noch ein verachtetes Häuflein genannt wurden, jetzt zuweilen die herrschende Partei genannt, – ein Urtheil, das, unwahr wie es ist, doch Zeugnis gab von der innern Stärke und der Achtung nach außen hin, welche die Partei genoß. Nun aber schien es, als sei man auf dem Punkte, wo man nur vorwärts oder rückwärts gehen konnte. Der Generalsynode schien Großes in die Hand gelegt. Wie sie es damals machte, so konnte sie es haben und mit ihr die Landeskirche. Eine ernste Zeit für innerlich beschwerte und bedrängte Geistliche, welche ihre Lage innerhalb der Landeskirche dahin gebracht, einen Bruch, wenn auch nicht zu machen, doch gar nicht für Unglück zu erachten! Die Wichtigkeit des Augenblickes und unsre Lage machte uns dringend. Haben wir den Augenblick überschätzt und darum falsch gehandelt? – Wohl, wenn die Synode ihre Zeit und Stunde nicht verkannt, sondern gethan hat, wozu die Macht und Gelegenheit in ihrer Hand lag!

 Weil übrigens von Mistrauen die Rede gewesen, so erlaube man mir eine kleine Abschweifung. Auch den Subscribenten der Petition, von der wir sprechen, begegnete Mistrauen und mehr. Ich sage das nicht, als hätten wir armes Häuflein Pfarrer und Laien große Verwunderung, daß man uns mistraute. Was liegt daran? Ich knüpfe bloß an. Es wurde nemlich geäußert, die mehrerwähnte Petition wäre deshalb nicht so schnell vor die Synode gebracht worden, als es sonst wohl möglich gewesen, weil man geglaubt hätte, die Namen der Subscribenten würden keinen guten Eindruck gemacht haben. Wir kennen das und nehmens im Frieden hin. Aber das meine ich. Wenn diejenigen Herren und Brüder, welche die ausgesprochene Besorgnis hegten, sich frank und frei zu dem bekannt hätten, was wir – gewis im Sinne der lutherischen Kirche voriger Zeiten – gebeten hatten, wobei sie die Form unsrer Petition unserthalben getrost hätten verwerfen dürfen; so würden sie bei dem Ansehen und siegreichen Gang, den sie hatten, auch das erreicht haben, was wir verlangten. So scheint es mir wenigstens. Und hätten sies vertreten, hätten sie, was leicht gewesen, bewiesen, daß die lutherische Kirche allezeit das gefordert habe, so lang sie nicht in ihre Schmach dahin fiel: ihre Namen wären geachtet worden – und wir mit Unrecht von vielen Bemistrauten und Gescholtenen wären mit ihnen zu Ehren und zugleich zum ferneren Schweigen gebracht worden. Während es jetzt Apologien für die Synode und die bayerische Kirche bedarf, welche am Ende doch die beabsichtigte Wirkung nicht vollständig erreichen, und auch nicht erreichen können, weil ja die schreienden Misstände nicht geleugnet werden können; wäre die bayerische Kirche ohne Zweifel als Vorkämpferin der Wahrheit erkannt worden und man würde allerseits ihre Treue, ihren Glauben und ihre Werke gerühmt und je nach Maßgabe der Verhältnisse auch nachgeahmt haben. – Hätte sie dabei auch Leiden gehabt, so würden ihr diese zur Krone geworden sein!

|  Aber wir forderten ja zu viel, da wir eine Zustimmung zur Concordia forderten, und die Synode hat gerade das Rechte gethan, da sie sich zum Bekenntnis verstand, Pfarrer Kraußold scheidet zwischen Bekenntnissen und Bekenntnis, hält eine Beistimmung zu diesem, aber nicht zu jenen (bloß für die Generalsynode?) für möglich, – und doch identificirt er zuweilen beide wieder, wenn ich recht verstand. – Es wird mir immer, ich gestehe, wunderlich zu Muth, wenn ich höre, man habe den Bekenntnissen im rechten Maße gehuldigt, wenn man dem Bekenntnis Beifall gegeben. Es ist ja doch am Tage, daß „Bekenntnis“, in der Unbestimmtheit, in welcher es gesagt ist, einer Deutung fähig ist, daß man sich darunter Verschiedenes denken kann. Man dachte sichs ja auch auf der Generalsynode verschieden, man thut es ja noch. Ists denn nicht offenbar, daß in allen deutschen Ländern eine große Anzahl lutherisches Bekenntnis will, aber nicht die Bekenntnisse, daß man jenes will, während man diese entweder nicht kennt oder gar verwirft? Ist es denn nicht durch Herrn Bucher, der den Bekenntnisact auf der Synode hervorgerufen, hernachmals ganz unabweisbar dargelegt, daß er seinen Antheil am Bekenntnis ganz anders verstand, als z. B. Pfarrer Kraußold den seinigen? Das ist ganz wahr, daß rechtverstanden und in andern Zeiten der Ausdruck: „Das Bekenntnis ist in den Bekenntnissen enthalten“ gar kein Bedenken hat. Aber jetzt, in dieser Zeit der innern Auflösung und der innern Gegensätze, wo hochgefeierte Männer gar nicht anstehen die Landeskirchen Confusionskirchen zu nennen! Wo jeder auch ganz klare Sachen nach seinem Sinne deutet, wo es drauf ankommt, so zu reden, daß man es nicht misverstehen kann! Ich muß gestehen, daß mir in diesem Punkte das Zeugnis von Herrn Dr. Fickenscher unparteiischer als das von Herrn Pfarrer Kraußold erschien, so viel verwandter ich mich auch diesem fühle und bekenne. Mich macht traurig, wenn ich Herrn Pfarrer Kraußold von jenem Bekenntnis der Synode zum lutherischen „Bekenntnis“, das am 5. Februar 1849 geschah, so groß reden höre. Ohne sein eigenes Zeugnis würde ich nicht leicht geglaubt haben, daß er, namentlich bei so vielen nachfolgenden Widersprüchen, eine so hohe Meinung von einer Sache habe, über welche so manche seiner mir gleich ihm gegenüberstehenden Freunde einfacher und klarer sehen. Gewis hat Herrn Pfarrer Kraußold zu dieser Meinung nur oder doch großentheils die Bedeutung bestimmt, welche man jenem Bekenntnisacte vom juridischen oder kirchenpolitischen Standpunkte beilegen konnte. Irre ich, laß ich mich weisen, aber in dem Stück nicht gerne, weil ich nun einmal für die Beßerung unsrer jammervollen Zustände aus jenem Bekenntnis nicht viel von Bedeutung schließen kann und drum beklage, wenn andere überschätzen. Wollte Gott, ich sähe falsch! – Ach! ich will mich gar nicht vom Irrthum ausnehmen; ich hätte in dieser Sache manches anders und beßer sagen können, sagen und thun. Gott sei mir nur gnädig! Aber mir ist immer, als beruhigte sich mancher theure Freund über eine sehr betrübte Sache oft nur durch eine gute Deutung, eine fröhlichere Ansicht. Es ist mir auch mit der ganzen Auseinandersetzung so gegangen, die Pfarrer Kraußold über quia und quatenus gibt: eine Distinction hilft ihm – und siehe, gebeßert und geholfen in der Sache ist nichts. Denn sittlich im höhern Sinn ist eine Verpflichtung auf| die Symbole immer nur mit quia – und gesagt muß das quia irgend wo sein, sei’s da, seis dort. Nur bei dem offenen quia ist Garantie für die Kirche.

 Aber „ich streiche ja doch in die Luft“ mit meiner Forderung der Bekenntnistreue. Ich scheine ja selbst zwischen Bekenntnis und Bekenntnissen zu scheiden, indem ich meine Forderung in die Worte kleide: „man nehme für Bekenntnis, was bekennend gesagt ist!“ Also scheid ich ja selbst das Bekenntnis aus den Bekenntnissen aus; mir gestatt ichs, andern verarg ichs? Oder ist mir im Eifer der Opposition eine Schwachheit begegnet, und hab ich etwa nur geredet, um zu reden, da der Kampf aus war, noch in die Luft gestrichen? (S. Kraußold p. 36) Ich denke doch nicht. Ich werde unter vielen Worten auch eitle sagen, aber diesmal wußte ich, was ich sagte, ganz wohl.

 Ja, ich unterscheide im Concordienbuche, was bekennend gesagt ist, und was nicht also gesagt ist, – und ich unterscheide noch mehr. Es fällt mir nicht ein, am Buchstaben zu kleben und mir Symbololatrie zu Schulden kommen zu laßen. Ich habe zu solchen Beschuldigungen, so viel ich mir bewußt bin, keinen Anlaß gegeben. Ich habe oftmals an den schmalkaldischen Artikeln meine einfache Meinung gezeigt. – Die schmalkaldischen Artikel sind von Luther und zwar ganz in derjenigen Originalität geschrieben, welche ihn beherrschte, über die ihn selten irgend etwas hinweggehoben hat. Bei diesem Sichgehenlaßen des Helden fehlt es ganz an dem für ein Bekenntnis so erwünschten objectiven Stil, und es könnte hier ein quatenus sich manchmal sehr empfehlen; denn wer kann verbunden sein, jeder originellen Aeußerung, sei es auch eines Luther, das Siegel unterzudrücken? Was für einen Sinn hätte es auch, Originalität und Individualität symbolisch machen zu wollen? – Weniger auf bloßer Originalität beruhend sind jene zahlreichen Stellen von dem Antichristenthum des Papstes, von dem teuflischen Wesen des Pabstthums. Man lese einmal in der Müllerischen Ausgabe p. 307. a., 308. a., 309. a., 325. f. a. Diesen Stellen beizustimmen werden heut zu Tage viele Bedenken tragen, obwol die älteren lutherischen Dogmatiker steif auf dem Antichristenthum des Pabstes bestehen. Indes wird man doch nach Prüfung der Gründe Luthers, von denen am Ende kein Iota aufzugeben sein dürfte, zugestehen müßen, daß das Pabstthum antichristisch sey, und alles Gute, was sich in der römischen Kirche findet, wird nichts dagegen beweisen, weil der Antichrist in Gottes Tempel sitzt. Dennoch wird man gerechtes Bedenken tragen, zu sprechen: „Der Pabst ist der Antichrist“. Es gibt viele Antichristen, aber der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, kann der Pabst nicht sein, weil man da fragen müßte: „Welcher Pabst ist es?“ Luther selbst kann das kaum meinen, weil auch er die Antwort auf diese Frage schuldig bliebe und die Auffaßung des Antichrists als eines Collectivbegriffs ganz deutliche Bibelstellen wider sich hat. Man wird also die concrete Sprache Luthers so zu nehmen haben: Das Pabstthum und jeder Pabst hat, so wie es in der römischen Kirche geworden ist, etwas Antichristisches; jeder Pabst kann ein Antichrist heißen; aber der Antichrist fehlt noch. Kaum wird mans leugnen können, daß manche Worte Luthers in den schmalkaldischen Artikeln| dieser Faßung zu widerstreben scheinen (p. 308.: „Der rechte Endechrist oder Widerchrist, ipsum verum antichristum“). Und doch kann man nicht anders; man muß hier „ein“ setzen statt „der“. Hebt nun das das quia auf? Schwerlich. Alles, was Luther über den Pabst sagt, ist schriftmäßig, man kann alles mit quia unterschreiben. Das „der“ aber, wo es hervorzutreten scheint in voller Kraft des bestimmten Artikels, kann doch nichts anderes sein, als eine Hyperbel, welche der Zeit und Luthers Verhältnis zum Pabste zuzuschreiben ist. Man wird sie im Einklang mit der Apologie (p. 209.) faßen müßen, welche das Pabstthum „ein Stück vom Reich Antichrist! (pars regni antichristi)“ nennt. – Aus dem Verhältnis beider Stellen wird wohl einiger Maßen erhellen, was ich oben einmal von gewissen einseitigen, sich einander beschränkenden und ergänzenden Stellen der Symbole und von Artikeln sagte, die im Streite der Kirche nicht völlig erledigt sind. In diesem Sinne habe ich öfters vom rechtverstandenen quia gesprochen.




 Aehnlich ist es mit einigen andern Stellen der schmalkaldischen Artikel, in welchen – z. B. p. 333, 341. f. – behauptet wird, daß Christus die Schlüßel nicht einer Person, sondern der Kirche gegeben habe, daß sich eine Kirche im Nothfall Bischöfe oder Pfarrer setzen könne. Nimmt man diese Stellen einseitig, so kommt man in Verlegenheit, denn Christus hat die Schlüßel wirklich auch einzelnen Personen gegeben und Paulus setzt nicht bloß selbst Aelteste, sondern er befiehlt es auch seinen Schülern. Allein für jene Stellen ist denn doch nur der äußerste Nothfall anzunehmen, wo die Kirche ohne Pfarrer zu denken wäre. So lange Pfarrer zu ihr gehören und zu haben sind, gelten die andern Stellen, in welchen den Pfarrern die bischöfliche Gewalt und in ihr auch die potestas clavium und die Ordination zugeschrieben wird (p. 340, 60. ff.) Vereinigt man die betreffenden Stellen, so kommt erst eine völlige Wahrheit heraus. Denn weder wird jemand auf Grund der h. Schrift im äußersten – kaum eintretenden Falle – der Kirche ohne Pfarrer die erwähnte Befugnis absprechen; noch wird jemand ihr dieselbe ohne das zur Kirche gehörige Presbyterium zugestehen, wenn und so lange eins da ist. Ich habe theils im Catechismus apostolischen Lebens, theils in den Aphorismen das richtige Verhältnis der beiderlei Stellen zu erfaßen gesucht. – Gerade so ist es mit einigen andern Stellen der schmalkaldischen Artikel. Die Stelle p. 308. bekennt sich zu Cyprians Grundsätzen vom Bisthum (nur daß sie es nicht als juris divini anerkennen kann); p. 340, 61. f., 342, 74. ist die Identität der Bischöfe und Presbyter nachgewiesen; p. 331 findet sich eine Beziehung auf rechte, apostolische Bischofswahl. Keine Stelle allein, aber alle zusammen geben die Wahrheit und Eine liebliche und heilige Lehre. Keine allein, aber alle zusammen unterschreibt man leichten Herzens.[7]




 Ein drittes, hiehergehöriges Beispiel aus den schmalkaldischen Artikeln ist folgendes, p. 343, 77. wird nach Luthers bekannten Ansichten die Ehegesetzgebung und| das Ehegericht der weltlichen, natürlichen, christlichen Obrigkeit zugesprochen. Es lag aber hierin keine Nöthigung, indem auch nicht verwehrt war, den Bischöfen, wo sie recht richteten, Gehorsam zu leisten. Man hat hernach in der protestantischen Kirche die Ehegerichte – freilich unter dem Summepiscopat der Fürsten oder gar als Ausfluß ihrer weltlichen Herrlichkeit – den geistlichen Gerichten zugesprochen, und dennoch die schmalkaldischen Artikel mit quia unterschrieben. Natürlich, man nahm aus den schmalkaldischen Artikeln heraus, was nicht dortsteht, was aber der einfache Sinn des zwiefältigen Inhalts ist, daß innerhalb der Christenheit beides erlaubt sei, vor geistlichem, vor weltlichem, (ja gar vor gemischtem[8] Gerichte über Ehesachen zu verhandeln.




 Es finden sich in den schmalkaldischen Artikeln noch manche andere Stellen (p. 332. ff. über Matth. 16, 18., 322. etc. über Cornelius, 323. über 2. Petr. 1, 21.) die einen Augenblick befremden können. Je einfacher, treuer, eingehender aber man die schmalkaldischen Artikel liest, desto mehr stimmt man bei. Ein nicht bloß oberflächlicher Leser kann am Ende auch p. 334. die schöne Deutung von der Dornenkrone Christi unterschreiben. Man unterschreibt eben im Sinne der symbolischen Bücher selber, und die Unterschrift gilt einem jeden Satz in der Geltung, die er gewisser Maßen sich selbst nach dem Sinne der Schriftsteller beilegt. So unterzeichnet man denn auch als Bekenntnis das, was bekennend gesagt ist.




 Dies alles habe ich allein in der Absicht geschrieben, um meine obige Behauptung zu bestätigen, daß ich nicht abergläubig am Buchstaben der Symbole hänge, daß ich unterscheide, und zwar nicht blos das, was im Concordienbuche bekennend gesagt ist, von dem, was nicht also gesagt ist. Hier kehre ich nun zu dem von Pfarrer Kraußold als Luftstreich angegriffenen Satze zurück. Es ist nemlich allerdings ein Unterschied zwischen dem Satze:

„Ich nehme in den Bekenntnissen das Bekenntnis an“,
 und zwischen dem:
„Ich nehme an, was in den Bekenntnisschriften bekennend
 (bekenntnisweise) gesagt ist“.

 Jener Satz ist bei weitem vieldeutiger, als dieser. Er sagt ja nicht, was in den Bekenntnissen Bekenntnis ist; er überläßt es am Ende immer dem gerade lebenden Geschlecht, oder gar den bekennenden Individuen, nach eigenem Ermeßen herauszusuchen, was Bekenntnis sein soll. Der zweite Satz will nichts vom eigenen Ermeßen der jeweiligen Bekenner wißen; er nimmt als Bekenntnis an, was die ersten Bekenner als Bekenntnis gaben. – Sollte der, irre ich nicht, von Pfarrer Kraußold selbst öfter gemachte Vorschlag, für die Gemeinden| zusammenzustellen, was im Concordienbuche Bekenntnis sei, einmal ausgeführt werden; so würde viel Streit entstehen, wenn die Zusammenstellung Geltung bekommen sollte, und man würde in der That erfahren, wie vieldeutig das Wort Bekenntnis sei. Sollte hingegen zusammengestellt werden, was im Bekenntnis bekennend gesagt ist; so würde zwar auch das nicht so ganz leicht sein, weil nicht allemal (Man denke an die Apologie!) das Bekennende durch eine Bekenntnisformel (credimus, docemus, confitemur) eingeleitet ist; aber man würde damit zu Stande kommen. Dort würde die Subjectivität mit ihrer Willkür, hier die Objectivität mit ihrem klaren Licht die Fackel tragen. – Ich denke, Pfarrer Kraußold hätte diesen Unterschied selbst finden sollen, statt von Luftstreichen zu reden.

 Wer sich also auf das Bekenntnis in den Bekenntnissen zu gründen behauptet, der kann recht thun und alles Vertrauen verdienen oder er kann unrecht thun und Mistrauen verdienen, je nachdem er ist. Sein Ausdruck ist vag. Wer sich hingegen zu den Bekenntnissen und zu dem namentlich bekennt, was in ihnen bekennend gesagt ist (= was Frucht der lutherischen Reformation und ihres Kampfes ist), der bekennt sich zum Resultat der Geschichte, der historischen Entwickelung. Denn die lutherischen Bekenntnisschriften sind in dem, was sie bekennen und behaupten, historisches Ergebnis des letzten bedeutenden dogmatischen Kampfes der Kirche. Sie haben sich in ihren Resultaten von allem Jammer und Streit ihrer Zeit losgeschält und stehen nun kenntlich und in schönem Glanze vor unsern Augen. Die Gründe, warum sich die Nürnberger einstmals ein eignes volumen von libris normalibus machten, sind vorbei. Drum hat sich auch die Concordia als Bekenntnisschrift im Lauf der Zeit weitere Bahn gemacht, als anfangs. Wer jetzt geschichtlich bekennen, im Zusammenhang mit dem Alterthum stehen und die Zukunft für sich haben will, muß auf der Basis der Concordie stehen, welche den Fortschritt der alten zu der neuen Zeit vermittelt. Bei dieser geschichtlichen Betrachtung hat man eine Anleitung mehr, das Bekennende in den Bekenntnissen zu finden; bei ihr findet man auch leicht die Punkte, wo eine ἐπιείκεια Statt haben muß; bei ihr bleibt man vor der oberflächlich protestantischen und starr orthodoxen Auffaßung gleichweit entfernt; bei ihr wird sich nach einigem treuen Fleiß der Diener Christi das quia und alles, worauf es sich nicht bezieht, leicht finden laßen.

 Von diesem Standpunkt aus wird man auch leicht Fragen wie diese: „Ist im kleinen Catechismus Luthers das Bekenntnis?“ überwinden können. Die Antwort ist: „Ja und Nein, wie Dus nimmst.“ Das lutherische Bekenntnis schließt mit der Concordienformel ab; vereinzelt ist der Catechismus nicht Bekenntnis, wenn er nicht im Sinne des Ganzen verstanden wird. Daß er anders verstanden werden kann, beweist die Neigung der Reformirten, auch mancher Anglicaner, ihn zu gebrauchen. Einige Worte in ihm könnte man etwa verschieden deuten; da muß das Zeugnis der ganzen Concordia, die geschichtliche Auffassung entscheiden. Die geschichtliche Auffassung ist es, von der wir behaupten, daß sie, mit der Schrift übereinstimme.

|  Vielleicht würde Herr Pfarrer Kraußold, der sich öfter im Falle findet, den Schreiber dieses in Widerspruch mit sich selbst zu sehen, gerade auf Grund dieser Erklärungen behaupten, die Laien könnten die Concordie nicht verstehen. Hat er sich doch auch auf den Vorschlag berufen, wo die Apologie und Solida declaratio als über das Verständnis der Laien erhaben genannt seien, während bald nach dem Vorschlag in der Petition ein Bekenntnis der Synode, also auch der 60 Laien zur ganzen Concordie gefordert werde. Allein gerade aus meiner Forderung der geschichtlichen Auffaßung der Bekenntnisse und ihrer Artikel ergibt sich, wie viel in Betreff der Symbole den Laien heut zu Tage zugemuthet werden könne oder müße. Die symbolischen Bücher stehen im geschichtlichen Zusammenhang mit einander; sie geben einander Licht. Ist nun in einer Kirche der geschichtliche Zusammenhang, die geschichtliche Auffaßung, fast möchte ich sagen: die lutherische Tradition – bewahrt; dann kann man auch für den Einfältigsten, der nur den Katechismus, oder nur den Glauben faßt, der lutherischen Entschiedenheit wegen ruhig sein; die Strömung lutherischer Tradition bringt auch ihm seinen Antheil am harmonischen Verständnis und Bekenntnis der ganzen Kirche zu. Die ganze Kirche garantirt ihren geistig Armen die confessionelle Wahrheit. Man kann in diesem Falle dasjenige, was p. 9. des Vorschlags von der einer jeden Faßungskraft genügenden Concordia gesagt ist, desto mehr bestätigt finden.

 Nun ist aber freilich nicht zu leugnen, daß das, was ich die Strömung lutherischer Tradition nannte, gegenwärtig zwar nicht versiegt, aber doch in ein engeres Bette gekommen ist, und eben deshalb wird desto mehr Aufmerksamkeit nöthig sein, die Strömung zu finden. Hiezu gehört, daß man auch von Seiten der Laien fürs erste sich mehr in die Symbole hineinlebe und auf die unzweifelhaft lutherischen Zeugen der vergangenen Zeiten der Auffaßung wegen merke. Es scheint dies eine große Forderung. „Denk Dir nur Deine Bauern!“ entgegnet man mir. Allein besteht denn die Kirche aus lauter Bauern? Wenn auch der Bauer wirklich so unfähig wäre, so gibt es doch außer den Bauern noch viele andere Laien, denen niemand die Fähigkeit absprechen wird, die Concordie zu verstehen, wenn sie nur wollen. Denk doch nur an die Juristen, Philologen, Mediziner, Kaufleute, Handwerker etc. denen allen nicht bloß für den Catechismus die Fähigkeit zuzutrauen ist, so wie sie einmal guten Willen haben. Und auch der Bauer ist nicht so, wie man ihn oftmals denkt. Es gibt viele Unwißende und viele verkümmerte Köpfe im Bauernstande, das ist wahr; aber unter denjenigen Landleuten, welche einmal für das Christenthum gewonnen sind, findet man gerade auch viele offene Köpfe, welche vor der Concordie nicht erschrecken und ihren bestimmten Segen für Herz und Kopf aus ihr nehmen können. – Wie bald ist oft an einem Orte die Tradition wieder aufgefunden und wie treu kirchlich wird dann auch das kleinste der Bekenntnisse aufgefaßt!

 Wenn nun das Verständnis der Concordie für die Laien überhaupt nicht so gar schwierig ist, warum sollte es denn gerade den zur Synode deputirten Laien besonders erschwert sein? Man kann doch jeden Falls erwarten, daß die| verständigsten und tüchtigsten Gemeindeglieder zu Synodalen gewählt werden, und von denen sollte man nicht einmal fordern dürfen, daß sie sich mit den Symbolen bekannt gemacht haben? – Man wendet mir vielleicht ein: „Es ist möglich, daß nach Jahren die Forderung gestellt werden kann; vielleicht kommt das Studium der Concordie bei Geistlichen und Laien mehr empor; aber die Laiendeputirten von 1849? Vielleicht haben manche kaum gehört, daß es eine Concordie gibt!“ (Kr. p. 19.) – Die Einwendung mag gelten. Aber daraus wird man dann doch nicht auf die Giltigkeit des Bekenntnisacts vom 5. Februar schließen können, da sich, wer die Bekenntnisse nicht kennt, auch nicht für das Bekenntnis entscheiden kann. Was machte diesen Bekenntnisact wichtig? Das Bekenntnis der Geistlichen. So hätte man ja fordern können, daß auf der Synode einfach nach der Sachlage das Bekenntnis gegeben worden wäre. Die Geistlichen hätten sich in der alten Weise, mit quia, die Laien völlig wahrhaftig, je in ihrem Maße zu den Bekenntnissen bekennen können. Das wäre auch nicht unisono gewesen, außer von Seiten der Geistlichen, an welche die gerechte Forderung gestellt werden mußte; aber stilus planus wäre es gewesen, klar hätte man gesehen. Völlig freies Heraustreten gleich bei diesem Acte, wie hernach, hätte vielleicht sogar etwas Tröstliches, etwas Verheißendes gehabt. Man hätte fröhlich vorwärts gehofft! Aber freilich, man hätte da nicht bloß Unwißenheit, sondern auch Haß und Widerstand zu erfahren bekommen, vielleicht noch mehr, als beim Anfang und Schluß der Synode. Sagte doch ein Deputirter, er habe deswegen gegen das Wörtchen „lutherisch“ geredet, weil es in seiner Gegend eine verhaßte Partei bezeichne. Daran ist klar, wie es in vielen Gegenden steht. Es muß ja doch schlimm stehen, wo die verhaßte oder misachtete Partei die lutherische ist und heißt! Ich weiß, daß diese „Partei“ fehlt, wie andere Menschen; ich weiß auch, daß die ihr eigenthümlichen Fehler schwer Verzeihung finden, weil sie selten die Gestalt der Schwachheit, sondern meist die von übermüthigen Stärken und Ecken tragen. Ich gebe zu, daß sie gerechter Tadel gar manchmal trifft – aber daß die Fehler unter dem Namen der Kirche verworfen werden, daß sie der Kirche zur Last gelegt werden?!
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 Herr Pfarrer Kraußold stellt in seiner Schrift nicht in Abrede, daß es der Synode, namentlich unter den gegenwärtigen Umständen zugekommen sei, zu bekennen; aber er meint, es hätte das Bekenntnis nicht auf unsre Petition, sondern aus freiem Antrieb erfolgen müßen. (S. Kr. p. 10.) Fast scheint es einmal, als wollte er Anmaßung in unserer Bitte finden. Allein damit stellt er eine gewählte Synode doch gar zu hoch über die wählenden Glieder der Kirche hinauf. Einer Synode gehört doch das Credo zu, warum soll es denn gerade Anmaßung sein, wenn Glieder, die mit wählten, um das Credo bitten, das schon bei der Wahl hätte abgegeben werden sollen? Und was solls denn gegen die Würde einer Synode sein, auf Bitten von einigen Hunderten von treueren Dienern und Kindern der Kirche, zu deren Beruhigung, Erbauung und Tröstung das Bekenntnis im alten, herkömmlichen Sinn der ganzen lutherischen Kirche zu thun? Ich denke, die Versammlung zu Schmalkalden, ich denke, die preußische Synode des Jahres 1848 zu Breslau würden den Trost nicht verweigert haben, wenn er erbeten| worden wäre. Da, wo das Glaubensmaß der Symbole das Maß einer Synode ist, wo der objective Glaube der Kirche subjectiv geworden ist, ist Bekennen Lust, doppelte Lust, wenn man Kinder und Diener Gottes damit stärkt, ihnen Freudigkeit und Hoffnung einflößt. „Aus der Fülle des Herzens redet der Mund,“ – Ists denn nun recht, uns die Anmaßung beizulegen, als hätten wir gewollt, die Synode solle sich vor uns legitimiren? Ists recht, auf Spontaneität des Bekenntnisses eifersüchtig dringen, damit es nur nicht scheine, als hätte man auf seine Brüder eine Rücksicht genommen? Man hat uns nun, wer weiß, wie oft gesagt, wenn wir, von unheilbaren oder uns unheilbar scheinenden Gebrechen der Landeskirche gedrungen, aus ihrem Verbande schieden, so giengen die besten Kräfte, es schwände das Salz. Ich glaube das nicht und habe hundertmal auf die vielen Knechte und Kinder Gottes gewiesen, die in der Landeskirche bleiben würden und von jedermann für gute Kräfte und für Salz erachtet werden. Aber wenn wir nun wirklich Salz waren, warum schaute man so mitleidlos, aus so gar hoher Ferne auf uns, die wir nach dem Bekenntnis hungerten und dürsteten? Darf man dem Salz nicht helfen, daß es ferner salze? – Und wenn „Bekenntnis zum Bekenntnis“ Eins ist mit dem, was wir begehrten: warum gab man uns nicht auf Bitten, was wir so nöthig hatten zu hören? Warum behandelte man uns wie eigensinnige Kinder, denen man gerade nicht thut, was sie wünschen? Baten wir doch der Kirche und jeder Synode Würdiges. Waren wir wirklich in den Augen unsrer Brüder so völlig nichts, oder liegt die Ursache doch wo anders? Liegt sie im erkannten Unvermögen der Mehrzahl oder im Nichtwollen? oder in Beidem? – Pfarrer Kraußold sagt p. 9., unsre Petition scheine gestellt worden zu sein, um nicht erfüllt zu werden. Gewis ists nicht an dem! Aber warum wurde sie denn nicht erfüllt? Wie froh wären wir und noch manche andere Seele gewesen, wenn das Bekenntnis auch nur von den geistlichen Gliedern der Synode in der alten Weise gegeben worden wäre, – oder wenn man uns mit unserm Begehren nur auf eine solche Weise abgewiesen hätte, daß man unser „ungebührliches Dringen“ getadelt, dabei aber doch irgend ausgesprochen hätte, man sei deshalb den Symbolen dennoch in gleicher Weise, wie die Väter zugethan. – Es geschah aber alles das nicht. – Ich fand die Ursache eben doch nirgends anders, als wo ich sie jetzt noch finde, nemlich im Mangel der Bekenntniseinigkeit – und diese Ueberzeugung, sonst gar nichts, ist mir in der ganzen Sache schwer. Man gab eben doch nicht, weil man nicht konnte.
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 In einer Stelle, welche zu den effektvollsten der Kraußoldschen Schrift gehört (p. 23.), fragt freilich der Verfaßer mit großer Indignation: „Seit wann hat die lutherische Kirche in Bayern aufgehört als lutherische Kirche zu bestehen? Wo ist der Act, durch welchen sie aufgehoben worden? Wo die Urkunde, kraft welcher irgend eine Union beider Kirchen d./Rh. stattgefunden hätte?“ Nun hat aber niemand das Dasein einer solchen Urkunde behauptet. Gibts denn sonst keine Art und Weise zu sterben und aufzuhören, als durch Urkunden und Acte des Staates? Was helfen dem Leichnam im Sarge die Urkunden? Was todt ist, ist todt, und wenn das Recht zu leben tausendmal verbrieft ist. Zum Leben einer Kirche gehört doch vor allem und einzig das Leben; ist es nicht da, so rede man nicht vom Recht, das niemand aus dem Tode wiederbringt, sondern man bekenne| und rufe den an, der die Todten auferweckt! Wo man nicht bekennen kann, wie die Väter, lebt man nicht, wie die Väter: hie hilft kein Recht zu leben, wohl aber Buße und Glaube. Ich weiß, daß einzelne und nicht wenige einzelne bereits wieder leben, ich hoffe auch, zu ihnen zu gehören; aber das, was man bayerische Landeskirche nennt, lebt als Kirche noch nicht wieder, dazu fehlen die positiven und negativen Lebenszeugnisse, nemlich Einheit in der Wahrheit und in Verwerfung des Gegentheils. Nicht vom Recht, zu leben, vom Leben selbst haben wir geredet. Das todte Recht gehörte zunächst nur uns, die wir bereits wieder leben und uns zunächst sollte es zur lebendigen bayerisch-lutherischen Kirche vereinigen. – Uebrigens wenn denn die ganze Sache mit dem bloßen Rechte abgethan sein soll; so laßt uns einmal eine Gegenfrage thun. Durch welchen Act, durch welche Urkunde ist die bayerische Landeskirche als lutherisch erklärt? Heißt denn nicht wirklich diese Landeskirche im Religionsedikt, wie Dr. Fikenscher sagt, blos eine „protestantische Gesammtgemeinde“? Und wenn gleich innerhalb dieser bayerischen Gesammtgemeinde zwei Bekenntnisse verfaßungsmäßig stehen,[9] ist sie nicht doch genau genommen als Eine Kirche verschiedener Bekenntnisse hingestellt? Hat denn nicht auch der Abgeordnete Bucher ganz recht gehabt, wenn er es so nahm, wie es verfaßungsmäßig ist? Angenommen, man wollte von oben her uniren und könnte es noch, ließen sich diese verfaßungsmäßigen Bestimmungen nicht ganz wohl zu einer Union misbrauchen? Stimmten nicht alle Combinationen vom Oberconsistorium bis herab zur Pfarrei dazu? Wo sind da Garantieen für eine lutherische Kirche – namentlich in dieser Zeit, wo man ganz wohl gelernt hat, die Leute verschiedener Confessionen zu Einem Kirchenganzen zu versammeln? Wenn nun dazu die Kirche, wie gegenwärtig die bayerische, faktisch nicht auf dem Bekenntnisse ruht – als Ganzes nemlich, wenn die Garantie des Lebens fehlt, wie die des Rechtes? Wie dann? Man könnte Kraußolds pathetische Fragen im entgegengesetzten Sinne parodiren, und unter solchen Umständen glaub ich nicht, daß eine so besorgte Sprache, wie ich hier geführt, dem christlichen Juristen, dem Theologen, dem Pfarrer nicht gezieme.
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  Möglich, daß bei Abfaßung des Religionsedikts dergleichen Dinge ganz zufällig und ohne feindselige Absicht kamen, aber es steht nun eben doch so – und eine Garantie gibt das nicht. Was nicht ist, kann werden; was ohne Absicht geschrieben ist, kann mit Absicht festgehalten und erweitert werden. Es steht im Edikt auch vom Summepiscopat des römisch-katholischen Fürsten nichts Ausdrückliches (wiewohl man es im Edikt über die innern kirchlichen Angelegenheiten §. 1. doch finden kann) und doch ist es da, unsre Dienstesinstruktion verpflichtet uns, es aufrecht erhalten zu helfen und alle Verhältnisse überzeugen uns, daß wir bisher unsern König zum obersten Bischof gehabt haben. Wie nun die bayerische Kirche ein Summepiscopat hat, das in der Verfaßung nicht mit Namen genannt ist; so könnte sie zwar auch, wenn sies wäre, lutherisch sein, ohne daß es in der Verfaßung| steht, – aber sie ists darum, daß es nicht in der Verfaßung steht, natürlich nur desto weniger, wenn sies nicht faktisch ist, – und der Mangel verfaßungsmäßiger Bestimmungen hätte ihr unter gewissen Umständen sehr gefährlich werden können. – Ich sage das alles nicht deshalb, daß ich dem größern Theil der bayerischen Landeskirche sein aus älteren Zeiten stammendes unleugbares Recht, eine lutherische Partikularkirche zu sein, wenn sie es sein will, abstreiten möchte. Gewis, ich bin auf dem Wege des Gegentheils! Aber wer Documente fordert, muß es leiden, wenn man sie von ihm fordert, – und wenn man in Ermangelung von Documenten und andern Garantieen Garantieen sucht. Anderes aber haben meine Freunde und ich mit unsrer Petition nicht gethan. In den öffentlichen Zuständen, in den Combinationen und Vermischungen der Confessionen, unter denen wir leben, liegen keine Garantieen. Damit, daß die Generalsynode es dem Oberconsistorium überlaßen hat, das reformirte Kirchenwesen vom lutherischen auszusondern, ist auch keine Garantie gegeben. Eine Petition aber der Synode um Aufhebung der Combinationen, von der im Auslande die Rede gewesen, habe ich wenigstens nicht erkunden können. Eben so wenig liegt in der Nichtannahme des Antrags auf confessionelle Verpflichtung der obersten weltlichen Consistorialräthe eine Garantie, zumal die von Pfarrer Kraußold p. 31. gemachte Bemerkung zu dieser unbegreiflichen Verweigerung dieselbe nur schwach bedeckt und aus derselben vielmehr die Notwendigkeit der Verpflichtung als deren Ueberflüßigkeit zu folgern ist.

 Die Erzielung stärkerer Garantieen für die Kirche lutherischen Bekenntnisses in Bayern ist gewis alles Eifers werth. Unsre größten Misstände beruhen auf gesetzlichen Anordnungen; wir sind im Falle, von dem eine Satzung der letzten Leipziger Conferenz sagt, daß für ihn der Austritt aus der Landeskirche begründet ist, wenn alle Mittel der Abhilfe umsonst versucht sind. – Ich halte die Leipziger Satzung für zu eng. Ich meine, nicht auf die Quelle, aus welcher große Uebelstände in der Kirche kommen, sondern auf die Unabwendbarkeit derselben komme es an. Mag die Aufhebung der Geltung confessionellen Wesens, die Einführung confessionswidriger, den Bestand der Confessionskirche angreifender Misstände kommen, woher sie will: wenn der Schade sich nach Anwendung der nöthigen Mittel als unheilbar ausweist, dann ist es Zeit zu gehen. Ja, es kann Uebelstände geben, wie z. B. die Duldung von offenbaren Irrlehrern und Lästerern, auch wenn sie ein und anderes Mal vermahnt sind, die Belaßung derselben in der Abendmahlsgemeinschaft, – die ihrer Natur nach so sind, daß sie auf die Länge weder getragen werden können noch dürfen. Indes, es sei jene Satzung richtig oder falsch, das ist gewis, daß sie auf uns in Bayern Anwendung leidet, und darum ist es für uns, die Subscribenten der mehrerwähnten Petition so schwer gewesen, daß die Synode unsern Bitten nicht mehr Gehör schenkte, als sie that. – Wir blieben hiedurch nach wie vor in unsern Nöthen.




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3.
Die Beleuchtung und die Folgen.


 Am Abend nach der Synode saßen mehrere Freunde, unter ihnen einige heimkehrende Synodalen, zusammen und überlegten die Resultate der Verhandlungen mit Berücksichtigung der in der Petition namhaft gemachten Uebelstände. Unser Augenmerk war dabei zunächst auf den Cardinalpunkt, auf Garantie fürs Bekenntnis gerichtet. Hätte sich die Synode auch nur dem Grundsatz nach als bekenntnistreu im Sinne der alten lutherischen Kirche erwiesen, hätte sie einfach die Symbole anerkannt, nicht durch Bekenntnis zum Bekenntnis in den Symbolen das Maß ihrer Bekenntnistreue als Räthsel hingestellt; so hätten wir uns allerdings beruhigt, auch wenn die Einsetzung des Bekenntnisses in seine einzelnen Rechte noch nicht gelungen wäre. Der die Hauptsache, die alte Basis gab, hätte weiter geholfen. Nun fanden wir freilich in dem eigentlichen Bekenntnisact der Synode vom 5. Februar das Maß von Bekenntnistreue nicht, welches einer lutherischen Synode gebührte. Es war uns nicht gegeben, in einer Sache von so hoher Wichtigkeit bloß formal zu schließen: „Die Synode als solche hat sich zum Bekenntnis bekannt, sie hat das Bekenntnis als Synode nicht zurückgenommen, also steht es fest trotz so vieler, aber doch immer nur vereinzelter Beweise, daß das Bekenntnis nicht gemeint war, wie es anfangs genommen wurde.“ Wir konnten nicht zugeben, daß ein „Bekenntnis zum Bekenntnis“ in dem vagen Sinne, in dem es die Synode gab, genügen könne. Wir begriffen auch nicht, wie die Synode ihre Gegner, die nicht mit bekannten, dennoch mit rathen und thaten laßen konnte. Kurz der Bekenntnisact war für uns keine Garantie. Ich habe mich darüber bereits ausgesprochen und Kraußolds Erklärungen zu den Thatsachen haben diese für mein Auge durchaus in kein anderes Licht gestellt. – Wir sahen nun am Abend nach der Synode von dem Bekenntnisacte ganz ab und suchten andre Punkte der Beruhigung. Es war doch noch mühsam gelungen, in der letzten Sitzung, vor Schluß der Synode unsre Petition vorzubringen. Der Referent des betreffenden Ausschußes, Herr Decan Bachmann, hatte, da die meisten andern Punkte der Petition entweder wirklich irgendwie erledigt waren oder doch erledigt schienen, besonders auf die zur Wiederherstellung der alten Basis nöthige Verpflichtung und auf die zur Beruhigung seelsorgerischer Gewißen nöthige Abendmahlszucht gedrungen. Es entstand eine tumultuarische Verhandlung; so viel aber die referirenden Freunde aus derselben abgenommen hatten, war am Ende doch das Hinreichende durchgegangen und beschloßen worden. Der Tumult der Verhandlung wurde von uns nicht angeschlagen; auch über die allerletzten confessionellen Stürme der Synode, die deutlich bezeugten, wie es innerhalb der Kirche aussieht, giengen wir hinweg; hatten doch die kirchlicheren Autoritäten der Synode den Sturm beschwichtigt| und, wie es schien, gesiegt. Auf dem Doppelbeschluß über Verpflichtung und Abendmahlszucht suchten wir Ruhe und glaubten sie auch zu finden. In diesen beiden Punkten, so schien es uns, hatten wir der Synode einen Anfang wahrer Beßerung gewisser Maßen abgefleht und abgerungen. Daraus mußte Weiteres folgen und zu erreichen sein. Wir glaubten die vorhandenen großen Uebelstände tragen zu müßen, bis Gott weiteren Segen gewährte, und glaubten auch unserer Seits durch fortgesetzten treuen Fleiß noch manchen Erfolg erringen und schauen zu können, wenn uns Gott nicht das beßere Glück der Ewigkeit zuvor verliehe.

 Diese unsre Beschlüße am Abend nach der Synode glaube ich deshalb hervorheben zu müßen, weil uns von mancher Seite her ein so unbändiges Separationsgelüsten zugetraut wurde, daß wir eben um jeden Preis austreten und ein Neues gründen wollten.

 Unserm Beschluß, fortan zu bleiben und innerhalb der Landeskirche nach deren Vollendung und der unsrer eignen Seelen zu ringen, mischte sich freilich Betrübnis genug bei. Wie viele drückende Uebel waren durch die Synode mit keinem Finger berührt, geschweige gerührt, gewendet und abgethan. Die ganze Beßerung lag in der Hoffnung. Indes, wir glaubten das Nöthige erreicht zu haben und – zum Tragen und Dulden waren wir ja vorhanden.

 Nun kamen aber so nach und nach die Synodalblätter, und diese änderten wenigstens mehreren unter uns den Sinn. Es ist ganz richtig, daß diese Synodalblätter von vielen Seiten her schon damals als nicht völlig glaubwürdig bezeichnet wurden; allein daß sie falsche Beschlüße gegeben hätten, hat doch wohl noch niemand gesagt. Auf die Beschlüße aber kam es an, wie Pfarrer Kraußold ganz richtig sagt. Aus den Synodalblättern ersah denn nicht bloß ich, sondern auch mancher andere, daß es mit der Synode und namentlich auch mit ihren letzten Beschlüßen anders stand, als wir gehofft hatten. Es sei ferne von mir, das zu verkennen, was die Synode in manchem Betracht geleistet hat; ich habe auch bereits an anderem Orte anerkannt, daß sie im Vergleich mit früheren Synoden preiswürdige Resultate gewann; ich kann mir auch Gesichtspunkte denken, von denen aus ich zum Lobredner der Synode werden könnte, ohne ein Heuchler zu sein. Hier aber, wie früher, da ich mir herausnahm, öffentlich etwas über die Synode zu sagen, ist nur von dem confessionellen Standpunkt und von dem die Rede, was für Abschaffung der schweren Uebelstände, für Lehreinheit und Abendmahlszucht geschehen ist, kurz, es ist von der Antwort auf unsre Petition die Rede – und diese eben fand ich nach den Synodalblättern gar nicht günstig und genügend. Wir wußten damals noch nicht, daß von den unsre Petition betreffenden, speciellen Verhandlungen gar nichts ins Schlußprotokoll aufgenommen war, daß also die kirchliche Oberbehörde kaum in den Fall kommen konnte, die desfalls ausgesprochenen Beschlüße der Synode zu prüfen und in Ausübung zu bringen. Wir sahen nur das, was wir lasen, von unserm Standpunkte an, und siehe, da entfiel uns auch die Freude, welche wir im Anbetracht der zwei obengenannten Hauptpunkte gefaßt hatten. Ich verweise desfalls auf meine Beleuchtung, welche mein damaliges Urtheil darlegt. – Es zeigte sich hier, daß am Ende der Recht hatte, welcher| öffentlich behauptet hat, man habe der Petition nur deswegen den Eingang zur Synode gegönnt, damit die Petenten mindestens den Trost hätten, gehört worden zu sein. Man hätte also die gerechten Bitten, die wir stellten, nur abgefertigt, um sie zu beseitigen.

 Mehrere unter uns klagten sich den Jammer, den wir hatten, – und wir fanden die Lage der Sachen um so trauriger, weil wir andere so befriedigt sahen. Es trat nach der Synode eine Windstille, eine Thatlosigkeit in vielen zuvor rührigen Kreisen ein, wie wenn die einen nun auf ihren Lorbeeren ausruhen wollten, die andern aber in jenes Ermatten sinken wollten, das nach einer großen Anspannung vergeblichen Wartens einzutreten pflegt. Wir fanden Gründe, zu fürchten, es möchte nicht bloß alles beim Alten bleiben, sondern etwa gar schlimmer wie zuvor werden. So wie die Sachen standen, sah es sehr zweifelhaft aus, ob nur das, was beschloßen, im Sinne der Kirche oder in einem andern Sinne genommen und ausgeführt werden würde.

 Nicht die uns widerfahrene Behandlung, die wir – von meiner Seite weiß ichs gewiß, von meinen näheren Freunden glaube ich es – in Frieden hinnahmen; aber die im Ganzen ungeänderte Lage, und die Meinung, daß auch vom Synodalbescheid, so wie die Sachen lagen, kaum das, was die Synode wollte, geschweige mehr zu erwarten sein dürfte, – legte es mir und einigen andern nahe, die Landeskirche zu verlaßen. Bei einer Versammlung, welche wir einige Wochen vor Ostern in Nürnberg hielten, las ich eine Beleuchtung der Synodalbeschlüße, wie ich sie nach meiner Ueberzeugung geben konnte, vor und gab zum Schluß mein Votum dahin ab, daß wir wohl am besten thun dürften, aus der Landeskirche auszutreten. – Bei der hierauf folgenden Discussion beantragte einer der Brüder nochmalige Ueberlegung. Ich fand den Antrag ganz recht und unterstützte ihn. Auch andere thaten es, und man setzte sich eine vierwöchige Frist zur Ueberlegung.

 Am Abend nach dem Gespräche saßen die versammelt gewesenen Brüder, welche zum Theil aus entlegeneren Gemeinden waren und nicht zu Tisch heimgehen konnten, miteinander bei Tisch. Da beantragte nun einer, ich weiß nicht mehr, wer? den Druck meines Votum. Es wurde nun an dem Abend und auch noch im engeren Kreise am andern Tage für und wider den Druck geredet. Nach einiger Zeit entschloß ich mich selbst zur Veröffentlichung. Ich war der Meinung, daß es gar nicht schaden könnte, weder mir, noch andern, wenn mein Votum in weiteren Kreisen überlegt und besprochen würde. Meine Meinung war einmal so, ich wünschte sie geprüft zu sehen. Ich sah nicht ein, warum ich sie in einer Zeit nicht sagen sollte, wo man durch die Presse fast mehr zu reden pflegt, als durch Zungen. Es sind seitdem viele Monden vergangen, wenn ich aber, obschon nach mancher bittern Erfahrung, die man mich machen ließ, sagen wollte, daß mich die Veröffentlichung bei ruhiger Ueberlegung reue, so thäte ich nicht recht. Es hat, denk ich, kein Mensch davon Schaden gehabt, als ich, der ich freilich für| viele damit ein unmöglicher Mensch geworden bin. Auch die bayerische Landeskirche hat des keinen Schaden gehabt, obwol ich allenfalls den Titel eines „hochmüthigen Verräthers“ hinzunehmen hatte. Im Gegentheil, es hat sich in der Folge gezeigt, wie viele, bei aller Verwerfung meiner Absicht auszutreten, die gerügten Uebelstände erkannten, und es ist doch, seis auch im Gegensatz zu meinem verkehrt genannten Vornehmen, manch einflußreiches Wort zur Hebung des Nothstandes gesprochen worden. Ich wollte ja nichts, als anregen und zur Ueberlegung reizen, und das ist geschehen. Daß ichs nicht durch Darlegung einer andern Ueberzeugung konnte, ist mir leid; es lag aber in meinem Herzen nichts anders vor, als was ich gab.

 Ich bin mir wohl nicht bewußt, daß mich bei Abfaßung meines Votums Bosheit oder Leidenschaft geleitet hätte. Ich habe es unter der Demüthigung leiblicher Schmerzen und mit innerem Weh geschrieben. Habe ich unwißend dennoch mir etwas zu Schulden kommen laßen, was meine Brüder eher als ich sahen; so bitte ich den HErrn und die, welchen ich Aergernis gab, um Verzeihung. Ich hätte manches anders sagen sollen, das ist wahr. Et mihi quoque sermo meus semper displicet. Ich konnte vielleicht auch manches Wort oder Wörtchen weglaßen, was weh that und Schmerzen, vielleicht auch Aufregung und Sünde veranlaßen konnte, die zu erzeugen ich den Willen nicht hatte. Aber so ists. Wir armen Menschenkinder können bei jedem Wort und Werk voraus gewis sein, daß wir in irgend einer Hinsicht dafür Buße thun müßen. Es wird auch diese Schrift, die ich gewis nur äußerst ungern und mit dem ernstlichen Vorsatz, nichts Uebels zu thun, schrieb, kein anderes Schicksal haben, und doch wäre es längst an der Zeit gewesen, daß ich sie schrieb. – Nichts Gutes, nichts überhaupt muß thun, wer den Schatten scheut, welcher ihm überall hin folgt.

 Einen bedeutenden Fehler habe ich bei der Veröffentlichung der Schrift mir zu Schulden kommen laßen. Ich dürfte vor andern Menschen mir zuerst denselben abbitten, weil er mir am meisten schadete. Ich ließ nemlich die ganze Schrift zu unmotivirt hinausgehen. Es war ja nur ein Votum, nur meines, von niemand als mir unterschrieben. Hätte ich nun das auf dem Titel oder in einem Vorwort hervorgehoben, hätte ich allenfalls auf die Natur eines Votum aufmerksam gemacht, bemerkt, daß es für Annahme und Widerlegung gesagt war u. dgl.; so wäre ich ganz bei der Wahrheit geblieben, und die Schrift würde an Schärfe viel verloren haben. Es wurde der Schrift in Folge meines Fehlers viel mehr Schroffheit beigemeßen, als sie wohl in sich trägt. Gewis, der Nothstand, in welchem ein Pfarrer in der Landeskirche lebt, die wachsende Angst um das eigne Heil, wenn man unthätig und zu lange in solcher Seelennoth verharrt, drang mich zu reden; – nicht aber wollte ich die Unwahrheit sagen und des eigenen Herzens schwarze Galle und Farbe über die Landeskirche gießen.

 Was nun die Beleuchtung selbst anlangt, so wurde so vieles daran getadelt, daß ich unmöglich auf alles eingehen kann. Ich will gern zugestehen, daß ich nicht| allenthalben alles richtig erkannt, nicht allenthalben alles richtig referirt habe. Wenn z. B. mein Freund Kraußold p. 54, seiner Schrift mein Referat über den Synodalbeschluß in Anbetracht der Abendmahlszucht verbeßert, so muß ich mir das wohl gefallen laßen. Ich bezweifle aber stark die Richtigkeit der Anwendung, die er vom Unterschied seines und meines Referats macht. Lautet auch der Synodalbeschluß darauf hin, „daß die bestehenden älteren Bestimmungen in Erinnerung zu bringen seien“; so folgt hieraus keineswegs, daß die Synode die Sache „auf den Standpunkt der alten lutherischen Kirchenordnung zurückführt.“ Die allerdings winzige Stelle eines neueren Rescripts ist doch jeden Falls mit unter den „älteren“ Bestimmungen gemeint; die Synode datirt eben rückwärts von ihrer Zeit an. Wir sind ja auch an sie gebunden! Nun ist sie aber den älteren Bestimmungen z. B. der markgräflichen Zeit keineswegs gemäß, wie der weiß, der sich einigermaßen damit beschäftigt hat. Dortmals wars verboten, offenbaren unbußfertigen Sündern das Sacrament zu reichen; es galt damals, was wir beantragt hatten. Hätte also die Synode mit den älteren Bestimmungen z. B. die der brandenburger Kirchenordnung gemeint, dann hätte sie uns, indem sie uns abwies, sich selbst widersprechend Recht gegeben, und das kann doch nicht sein.[10] Woher denn sonst der Horror vor unserm Begehren. Auf den Standpunkt der älteren lutherischen Kirche hat die Synode die Sache gewis nicht zurückgeführt. Wenn deshalb nicht außer der winzigen Verordnung, die ich kenne, solche ältere bayerische Bestimmungen da sind, die wir (Pfarrer Kraußold und ich) nicht kennen, dann scheint mir „Bestimmungen“ im laxen Stil für „Bestimmung“ zu stehen und auf die winzige Verordnung zu gehen. Woher es dann kommt, daß Pfarrer Kr. aus dem Plural so viel schließt, weiß ich nicht. – Ich bemerke übrigens hier en passant, daß ich, die Zucht anlangend, absichtlich in dieser ganzen Schrift wenig gesagt habe. Die Stelle in Pfarrer Kraußold’s Schrift p. 55. f. ist, mich und meine Tendenzen anlangend, grundfalsch; ich weise die Kraußold’schen Beschuldigungen und Vermuthungen hiemit feierlich zurück. Ich werde übrigens kein Wort mehr über diese Stelle verlieren, wohl aber mir erlauben, was ich durch Studium und Erfahrung (ich übe seit 7 Jahren in meiner Gemeinde unter Teilnahme der bei weitem überwiegenden Mehrzahl der Pfarrkinder die Privatbeichte,| und das hilft viel zur Einsicht in diese Dinge) – über Beichte, Abendmahlsgenuß und Zucht gelernt, meinen Brüdern öffentlich vorzulegen, so wie mir Gott Zeit und Muße schenkt. Dann wird es klar werden, daß mein Freund Kraußold meine Absicht nicht erkannte, wie er sie denn auch nicht kennen oder erkennen konnte. Ich hoffe dann auch zu beweisen, daß die Zucht, ein hohes Gebot des HErrn, von vielen trefflichen Männern unserer Zeit viel zu gering angeschlagen und viel zu leichthin über sie weggegangen wird. – Möchten doch fromme Pfarrer die trefflichen Schriften des Sarcerius über diese und verwandte Punkte lesen!




 Hier darf ich wohl, weil einmal von der Beurtheilung meiner Beleuchtung die Sprache ist, und der Verwandtschaft wegen mit dem Vorigen, noch auf zwei einzelne Punkte zu reden kommen, ehe ich auf den Hauptpunkt, den Tadel meines Votums, eingehe und dann die Erzählung der Sache bis zum Ende führe. –

 Es ist in der Schrift von Herrn Dr. Fikenscher gegen meine Beleuchtung einer der Glanzpunkte der, wo er aus p. 22. meiner Schrift die Stelle von der Heuchelei anwendet, um mein Urtheil über die Synode nicht bloß recht herb, sondern auch recht abgeschmackt zu machen. Ich wußte mir übrigens nach der Kenntnis, die ich von der Polemik meines theuern Lehrers habe, dies Verfahren leicht zurecht zu legen. Streiche von Vaterhänden nimmt man schweigend hin, auch wenn sie ungerecht sind. Ich habe aber nicht geglaubt, daß auch Herr Pfarrer Kraußold auf diese Weise verfahren würde. Als ich Pfarrer Kraußolds Schrift las, war mir die meinige, was die Ausführung und das Einzelne betrifft, nach einem Fehler meiner Anlage in Vergeßenheit gekommen. Ich lernte sie durch Kraußold wieder kennen, und es schien mir am Ende, als müßte sie wirklich voll Thorheit und Bosheit sein. Ich las sie selbst wieder und fand meine Worte doch anders. Vielleicht gienge es andern, die in derselben Aufeinanderfolge läsen, ebenso. – Insonderheit fand ich aber die benannte Stelle von der Heuchelei gänzlich misbraucht. In meiner Schrift heißt es p. 22.[11]: „In der Sitzung vom 5. Februar geschah etwas, was im ersten Augenblicke auch solche freudig ergriff, welche die Ueberzeugung hatten, daß diese Synode, so wie sie zusammengesetzt war, ohne ein Wunder oder große Heuchelei kein Bekenntnis zum Bekenntnis in dem von uns geforderten Maße ablegen könne.“ – Nun ist es doch offenbar, weder Dr. Fikenscher noch Pfarrer Kraußold leugnen es, daß die Synode in dem von uns geforderten Maße wirklich kein Bekenntnis zum Bekenntnis abgelegt hat; also hat sie doch| nicht geheuchelt; also gebe ich ihr doch auch keine Heuchelei Schuld; im Gegentheil bezeugt ja die Stelle, daß man schnell vom falschen Erstaunen über das Maß des Bekenntnisses zurückkam! Vergleiche man nun, wenn mans der Mühe für werth hält, die Stelle bei Kraußold pag. 13. (von jener bei Dr. Fikenscher nicht zu reden). Kraußold ließ die Worte „in dem von uns geforderten Maße“ mit hindrucken, wie wenn niemandem einfallen könnte, daß man eben so gut sie, wie „Heuchelei“ und „Wunder“ unterstreichen kann. – Irre ich nicht, so ist es meinem Freunde Kraußold mit meinem Schriftchen öfter so gegangen, als ichs für der Mühe werth halte, dem Leser vorzulegen.

 Nicht so, wie in diesem und allenfalls dem vorhergehenden Fall, ist es wohl mit einer andern Stelle der Beleuchtung, nemlich mit der p. 29., die Wahlordnung betreffend. Diese mag in meinem Schriftchen die bloßeste und verwundbarste sein, wie denn auch Kraußold p. 29. seiner Schrift vollen Triumph feiert. Ich glaube zwar, daß es mit dem Alter etwas anders ist, als mit der Bekenntnistreue und stimme Kraußolds Deduction nicht ganz bei. Aber ich glaube, daß man den §. 3. so auslegen kann, wie Kraußold thut; der Fehler ist, daß man ihn nicht so auslegen muß. Ist mein Gedächtnis treu, so sucht Kraußold in seiner Schrift oftmals den Resultaten der Berathungen dadurch zu helfen, daß er in deren Entstehungsgeschichte eingeht. Er ändert damit fast kein Resultat, aber er verschafft denen, welche es wollen, damit Grund zu „billigerem“ Urtheil. Nun ging mirs in dem Fall gerade durch die Entstehungsgeschichte von §. 3., die ich von mehreren Synodalen hatte erzählen hören, umgekehrt; aus ihr stammt mein schärferes Urtheil. Ich will übrigens nur wünschen, daß alle, welche die Wahlordnung anzuwenden haben, §. 3. wie Kraußold auslegen, dann ist es gut.

 Was nun den hauptsächlichsten Tadel meines Austrittsvotums anlangt, so hat man es sehr donatistisch gefunden. Ich glaube aber, daß wir im Vergleich mit den Zeiten jener ersten Schismen gegenwärtig in einem für die Sache sehr wesentlichen Punkte ganz anders dran sind. Zur Zeit eines Cyprian und hernach herrschte die schon früher entstandene Lehre von der Göttlichkeit des Episcopats. Wer von seinem Bischofe abfiel, so lange dessen Lehre rein war, zerriß ein himmlisches Band und war eben damit ein Sünder. Wir hingegen haben kein Episcopat im Sinne jener Zeit. Niemand wird wohl in seiner Liebe zum Summepiscopat leicht so weit gehen, daß er ihm eine göttliche Berechtigung zuschriebe. Unsere Territorialkirchen bestehen zwar durch die Vorsehung Gottes, aber in Anbetracht göttlichen Gebotes ist ihre Zusammensetzung eine rein zufällige. Ihr Summepiscopat, ihre fürstlichen Consistorien (Judicia ecclesiastica magistratus territoritalis. Hartmann.) bestehen lediglich jure humano. Wer sich von ihnen, falls sie und er der reinen Lehre des kirchlichen Bekenntnisses huldigten, trennen würde, wäre im Sinne der alten Kirche kein Schismatiker und gehörte nach wie vor zur Einen lutherischen Kirche, weil er bei der reinen Lehre und Sakramentsverwaltung bliebe, welche nach A. C. Art. VII. genug sind zu rechter Einigkeit. – Setzen wir nun den Fall, daß namentlich jetzt, wo die Staatskirchen aufhören und deshalb auch die kirchlichen| Privatgesellschaften wohl nicht mehr lange der Gleichberechtigung entbehren, eine Abtheilung der lutherischen lehreinigen Kirche eines Landes bloß deshalb sich zu einer eigenen lutherischen Synode constituiren würde, weil sie es nicht für gut und recht fände, unter einem fürstlichen, etwa gar andersgläubigen Summepiscopus zu stehen; so wäre diese Abtheilung im Vergleich mit der andern unter einem Summepiscopus ruhig fortlebenden bekenntnistreuen Kirche nicht schismatisch, denn es ist kein göttlich Gebot, bei reiner Lehre unter einem und demselben menschlichen Summepiscopus zu sein. Warum sollte man denn gezwungen sein, bloß um des Regiments willen, eines unvollkommenen Regiments, eines genau genommen etwa gar dem Begriff der Kirche widersprechenden Regiments willen (denn die Kirchengemeinschaft bliebe kraft des gleichen Bekenntnisses!), eine vielleicht dem Wachsthum des innern Menschen förderlichere Verfaßung zu entbehren? – Hier von Schisma reden, bringt in die Beurtheilung vieler praktischer Verhältnisse eine üble Verwirrung. – Man kann die Scheidung vielleicht aus andern Gründen unrecht finden, aber vom Schisma her nehme man die Verwerfungsgründe nicht. Man kann einer aus größerem Complex ausgeschiedenen Gemeinde die Weißagung baldigen Endes stellen, wenn man will; man kann allerlei gegen sie aufbringen, was sie berührt, oder auch nicht; aber Schisma im alten Sinne ist eine Scheidung von einer zufällig entstandenen Territorialkirche nicht, zumal wenn man mit ihr in Kirchengemeinschaft bleibt. So etwas darf man schon sagen gegenüber einer Zeit, in welcher auch bei den Römischen und Lutheranern manche zuerst von den Donatisten verfochtenen Sätze über Kirchenfreiheit und Verhältnis des Staats zur Kirche etc. etc. zu allgemeiner Geltung kommen und den Beweis liefern, daß auch die Katholiker nicht in allem Recht hatten, worin sie gegen die Donatisten Recht behielten, daß donatistisch und irrthümlich, selbst wo diese Begriffe richtig stehen, geschweige wo unrichtig, nicht immer identisch ist.
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  Nun aber handelt es sich ja bei uns gar nicht von einer Trennung um der Verfaßung willen. Wenn Herr Professor Hofmann in einem Aufsatz der Erlanger Zeitschrift meine Aeußerungen über das Amt bespricht und verwirft (ein Gegenstand, der sicher so schnell und so bald nicht erledigt ist!) und am Ende ungefähr (ich citire aus dem Gedächtnis) sagt: „Und um solcher Ansichten vom Amte willen soll man die Landeskirche verlaßen?“ so hat er doch zu solchem Ausruf keine Ursache. Ich habe es mehr als einmal öffentlich gesagt, daß ich nicht gesonnen war, der Verfaßung wegen die Landeskirche zu verlaßen. Ich habe absichtlich in der neueren Zeit das mir allerdings in kirchlich-pädagogischem Sinn (wenn ichs so nennen darf) höchstwichtige Capitel von der Verfaßung[12] weniger betont, um falscher Deutung meiner Schritte und Worte die Gelegenheit abzuschneiden. Unsre Klage ergeht hauptsächlich über mangelnde Lehreinheit, welche letztere doch einer Kirche nothwendig ist und grundsätzlich zum mindesten aufrecht erhalten werden muß, und über mangelnde Lehr- und Abendmahlszucht, welch letztere nicht die Donatisten[13]| allein, sondern auch die Katholiker aller Zeiten für nöthig erachtet haben. Cyprian im Buch de unitate ecclesiae weiß von keinem andern Episcopat, als von dem der reinen Lehre; wer vom Bischof oder der Kirche in der Lehre abweicht, der ist nicht Schismatiker, sondern bekanntlich Häretiker – und eine Kirche, die Lehruneinigkeit und falsche Predigt beharrlich duldet, macht sich nach 2. Joh. der gleichen Sünde theilhaftig und wird nach Urtheil der Schrift und alten Kirche selbst ketzerisch. Es hört der freie Wille, zu bleiben und zu gehen, auf; es kommt eine Nöthigung, sich zu scheiden. – Es mag das hart klingen, aber es findet, wie gesagt, in Gottes Wort und dem Urtheil vergangener Zeiten und anerkannter Kirchen seine Rechtfertigung.

 Die Landeskirchen weigern sich gegenwärtig solcher Reden, sie kämpfen ja um ihr Leben. Sie vergeßen aber vielleicht doch das Wort: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; wer es haßt, der wird es finden.“ Gleichwie der Pabst mancherlei Lehren nachsichtsvoll duldet und hauptsächlich auf den äußern Zusammenhang mit seinem Stuhle dringt; gleichwie die andern alten Kirchen sammt der anglicanischen diesen Zusammenhang mit ihrem Priesterthum über alles heben, fast die Kirche darauf bauen; so kommt nun den lutherischen Landeskirchen Aehnliches. Sie dulden falsche Lehrer und Lästerer, um nicht durch Unduldsamkeit des Bösen die Feindschaft der Bösen und deren Abfall zu erwecken. So weit dies wahr ist (denn natürlich gilt es nicht überall gleich, vielleicht auch hie und da gar nicht), wird das äußere Zusammenhalten der überkommenen Masse faktisch, wenn auch vielleicht nicht theoretisch, für höher geachtet, als Gottes Wort, Bekenntnis und Lehre. Wenn die Landeskirchen ihr Leben haßeten, wenn sie gerne geringer würden an Zahl und äußerem Gebiet, auf daß Gottes Wahrheit Bekenntnis von ihnen hätte; so würden sie ihr Leben finden: ihre thatsächliche Treue bei Ja und Nein würde die Achtung der Feinde, die Liebe und Begeisterung der Kinder, die Stärkung der Schwachen wirken und viele Herzen würden ihnen zufallen, von denen sie nun nichts geachtet werden. Nun aber lieben sie dies Leben und werden eben damit der tödlichen Uebel nicht los.

 Man kann auch allerdings sagen, die Lehre sei bei denen nicht rein, die allerlei Lehre dulden. Man ist irre in der Lehre von der Kirche, wenn man glaubt, daß falsche Lehrer in der Kirche bleiben können; der Artikel von der Kirche aber ist eben sowohl ein Glaubensartikel, als ein anderer, und zwar ein solcher, auf den fürs Leben der Gemeinde außerordentlich viel ankommt, wie es am Tage ist. Man verwechsele doch ja nicht novatianisches Dringen auf völlige Reinheit der Sitten und des Wandels aller Getauften, auf sittliche Vollkommenheit der Kirche als solcher und aller ihrer Glieder mit der durchaus nothwendigen Lehr- und Bekenntniseinheit aller zu einer Confessionskirche gehörigen Lehrer. Diese hat| man allenthalben und je und je dem Grundsatze nach als nothwendig anerkannt und faktisch ausgeübt, so viel es immer möglich war. Darum hat sichs bei keinem alten Schisma gehandelt.

 Daß ehedem auch in unserer Landeskirche auf Lehr- und Bekenntniseinheit gedrungen wurde, das beweist schon die Geschichte des Superintendenten Karg, welche ich mir hier aus meinen fränkischen Reformationserinnerungen p. 170 ff. einzuschalten erlaube.

 „Zu Ansbach war kurz nach der Reformation Superintendent und oberster markgräflicher Geistlicher Georg Karg oder, wie man ihn lateinisch nannte, Parsimonius, ein Mann von bedeutendem Rufe. Dieser hatte schon um 1557 einen Streit über die Abendmahlslehre mit dem Stiftsdechant, Wilhelm Tettelbach; der Streit war nichts anderes, als ein Echo des damals allgemeinen Kampfes zwischen Lutheranern und Cryptocalvinisten; Tettelbach stand auf jener, Karg auf dieser Seite. Karg hatte eine starke Parthei gegen sich, welche von Tettelbach durch dessen vieleicht extreme Schärfe nicht abgeschreckt wurde. Man hätte denken sollen, daß Dr. Paul Ebers philippistische Gesinnung bei seinen Stammesgenossen – denn er war ja ein Franke und von Kitzingen – ein überwiegendes Ansehen haben würde: es war aber und wurde doch nicht so, selbst als Eber nach Melanchthone Tode so ziemlich das Haupt seiner Parthei wurde. Es gab Leute genug, die eben so wenig von Ebers gelehrtem Rufe, als von Kargs amtlichem Ansehen bestochen wurden, sondern fest bei der Wahrheit blieben. –
 „Derselbe Karg, von dem wir eben sprachen, kam 1567 (1563?) mit dem Stiftsprediger Kezmann in einen Streit über die Rechtfertigung. Er wollte nemlich dem leidenden Gehorsam Christi im Werke unsrer Erlösung alles, dem thätigen Gehorsam oder der Erfüllung des Gesetzes mehr nicht zuschreiben, als daß er dadurch „„ein unbeflecktes und Gott wohlgefälliges Opfer geworden sey.““ Brenz, Bidembach, Osiander, Dr. Marbach und andere straßburger Theologen, die Universität Wittenberg, die Theologen und das Cabinet in Dresden, selbst der Churfürst von Brandenburg nahmen Anstoß an Kargs Sätzen. Er wurde deshalb 1570 suspendirt und reiste nach Wittenberg. Die dortige theologische Facultät überwies ihn seines Irrtums und vermittelte eine Concordie. Die Decane und Senioren der unterländischen Diöcesen versammelten sich 42 an der Zahl, zu Ansbach, Karg widerrief und die Einigungsformel wurde unterzeichnet. Am 1. Nvbr. wurde Karg durch Dr. Jacob Andreä, der viel zu seiner Ueberweisung und Ueberzeugung beigetragen hatte, in das von ihm zuvor geführte Amt eines markgraflichen Generalsuperintendenten im Unterland wieder eingeführt. Die Concordienformel, welche aufgesezt und unterzeichnet worden war, wurde den Decanen und Superintendenten hinausgegeben und strenges Halten darauf empfohlen und befohlen. Georg von Wambach und M. Schnabel, Superintendent in Kitzingen, mußten den oberländischen Geistlichen persönlich Nachricht von dem erfolgten Frieden hinterbringen und sie zur Mitwirkung gegen alle calvinistischen und sonst irrtümlichen Lehren auffordern. Die oberländischen Geistlichen, der Generalsuperintendent Joh. Streitberger zu Culmbach, die Superintendenten (so hießen im Oberlande die Decane) Georg Thiel von Culmbach, Just. Bloch von Bayreuth, M. Andr. Pancratius von Hof und M. Friederich Stratius von Wunsiedel, deren jeder noch zwei Pfarrer bei sich hatte, nahmen am 19. April die ansbacher Concordie an. – Daß der irrende Generalsuperintendent suspendirt wurde,| daß er sich überzeugen ließ, widerrief, wieder eingesetzt wurde, sein Aufsichtsamt wieder führte, und zwar mit Treue und Ansehen, daß ihm die unterländische Geistlichkeit wieder gehorchte, ist alles ganz in der Ordnung, wenn man es einfach nach dem, was recht ist und sein soll, betrachtet. Der ganze Vorgang hat aber etwas Außerordentliches, wenn man bedenkt, daß dies alles von und durch Menschen geschah, so wie sie sind und nur sein können. In Anbetracht der angeborenen, allen Menschen eigenen Unart ist es etwas Ungemeines und Großes, daß ein Generalsuperintendent Kirchenzucht erleidet; noch ungemeiner und größer ist es, daß er Buße thut und vor seinen Untergebenen widerruft; herrlich und schön aber ist es, daß der Bußfertige und Bekennende das Ruder wieder ergreift und seine Untergebenen sich ihm fröhlich wieder fügen, daß jenem der bekannte Irrtum weder innerlich noch äußerlich das Regiment erschwert, diese aber durch denselben im Gehorsam nicht irre werden. Daß Karg fehlte, kann uns an sich selber nicht freuen; aber fast wäre man versucht, den Fehl aus der Geschichte nicht wegzuwünschen, weil er Ursache zu einem so herrlichen Beispiel der Buße gab.
 „Kargs Widerruf ist folgender: Nachdem ich bis anhero in dem hochwichtigen Artikel unsers heiligen christlichen Glaubens von der Rechtfertigung des Sünders vor Gott mit etlichen streitig gewesen über die Rede von der Zurechnung Christi, unsers einigen Mittlers, Gerechtigkeit und Gehorsam, nun aber von den ehrwürdigen und hochgelehrten Herrn Theologen und Doctoren zu Wittenberg gütig berichtet und gewiesen worden bin, daß in dem Amt des Mittlers seine Unschuld und Gerechtigkeit in göttlicher und menschlicher Natur nicht können noch sollen gesondert werden von dem Gehorsam im Leiden und ganzen Erniedrigung des Sohnes Gottes, unsers Herrn und Erlösers Jesu Christi, weil doch sein Tod und Opfer theuer und werth ist gehalten bei Gott dem Vater um Würdigkeit, Heiligkeit und Gerechtigkeit willen der Person, so Gott und Mensch und unschuldig ist: so danke ich Gott, dem ewigen Vater unsers Herrn Jesu Christi, samt seinem eingebornen Sohn und dem heiligen Geiste, auch denen ehrwürdigen Herren Doctoren für solchen väterlichen Bericht und verspreche von Herzen vor Gott, daß ich solche Disputation hinfüro fallen laßen und gemeine, gebräuchliche und dem Worte Gottes gemäße Rede mit andern christlichen Lehrern durch Gottes Gnade und Hilfe brauchen und führen will, laut der Abrede, so zwischen ermeldten Herren Doctoren und mir zu Wittenberg geschehen ist, den 5. und 20. August An. 1570.“
 Wie es nun heut zu Tage in Franken nicht bloß vor der Generalsynode, sondern auch nach derselben – ganz neuerlich in Anbetracht der Lehr- und Bekenntniseinheit gehalten werden will, davon gäbe es schlagende Beispiele zu erwähnen. Ich erinnere allein an die vielempfohlene Behandlung der beharrlich rongeanisch gesinnten, aber nicht austreten wollenden Glieder lutherischer Gemeinden. Ketzerische Menschen sollen gemieden werden, wenn sie ein und das andere Mal ermahnt sind; sie sollen nicht ins Haus aufgenommen, nicht gegrüßt werden; man soll – denn auch das gehört hieher – mit ihnen nicht eßen, nicht beim gewöhnlichen Mahle, also noch viel weniger beim heiligen Abendmahl; – ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig und soll deshalb ausgefegt werden. So spricht unzweifelhaft Gottes Wort, so verlangt es der| Gehorsam gegen Gott, die Ehre Gottes und das Heil der Gemeinden. So hat die alte Kirche, so hat es die lutherische Kirche auch allezeit in treuem Gehorsam gegen ihren HErrn verlangt. Ihre Kirchenordnungen stimmen überein. Dazu muß sich auch, so schwer es auch dem Herzen werden will, das an völlige Beugung unter Gottes Wort nicht gewöhnt ist, jedermann jetzt noch bekennen und darnach handeln, der JEsu treu und seinen theuer erkauften Seelen hold sein will – Es ist auch etwas ganz anders, wenn eine Kirchengemeinschaft, noch von dem indifferentistischen Geiste des vorigen Jahrhunderts gefangen, blind und ganz unbefangen sich der Duldung offenbarer Irrlehrer und Lästerer freut; und was ganz anderes, wenn sich gegen dies träge Dulden Zeugnis und Opposition erhob. Wenn gezeugt, gewarnt, gebeten, ja gefleht ist – und doch die dem Worte Gottes und dem Sinne der lutherischen Kirche offen widerstrebende Praxis bleibt, ganz ohne Scheu die Gemeinschaft mit Irrlehrern und Lästerern, sogar mit Lästerern der Gottheit Christi aufrecht erhalten wird; dann rede man doch nicht von Schisma, wenn eine Minorität sich im Gehorsam JEsu der Theilnahme an solcher Schuld entzieht, bis etwa die größere Gemeinschaft sich des rechten Weges besonnen, – wenn sie damit der Wahrheit und dem unumstößlich wahren Satze, daß Lehruneinigkeit der Seelen Seligkeit gefährlich ist, das geringe Zeugnis gibt, das in ihrer Macht liegt. Bei denen kann unmöglich weder Schisma noch Häresis sein, die nach Gottes Wort lehren und nach Gottes Wort handeln, beides wäre in diesem Falle bei der Territorialkirche, so groß und zahlreich sie bliebe. So sehr Recht die schmalkaldischen Artikel (ed. Müller p. 336. f. 339. f.) gegenüber dem Pabstthum hatten; so wahrhaft seelsorgerisch erbarmend sie p. 297. f. sich des armen, verführten Volkes annahmen; so gewis kann dann die scheidende Minorität die herrlichen Stellen auf sich beziehen, wenn gleich Pfarrer Kraußold p. 2. mit den Stellen und den in ihnen angedeuteten Bibelstellen schnell fertig ist.

 Von diesem Grundsatz aus habe ich mein Votum zum Austritt gegeben; von ihm aus regelte ich mein Benehmen, regele ich es noch. – Ich kehre zurück zur Erzählung.

 Während der vier Wochen der Ueberlegung wurden mir die Stellen der Schrift, der Symbole, der Kirchenordnungen nur klarer und stärker. In einem andern Kreise theurer Freunde kam aber die Frage auf, ob man sich nicht erst noch an die kirchliche Oberbehörde um Abhilfe der Uebel wenden sollte. Es schien den Freunden so, weil sie glaubten, daß nach geschehener Sache es auch beßer Gesinnten, die wir doch nicht ärgern wollten, als ein Mangel erscheinen würde, wenn es nicht geschah. Es war schon früher in meinem nächsten Lebenskreise dieselbe Frage aufgeworfen worden. Ich meinerseits hielt dafür, daß die Antwort der Oberbehörde nicht Antwort der Landeskirche sei, wohl aber die der Generalsynode. Die Oberbehörde ist ja nur ein Theil der Landeskirche, wenn auch ausgezeichnet durch ihre Stellung im Regimente; die Synode aber ist das Organ, das immer neu aus der Wahl der Kirche selbst hervorgeht und relativ am besten ihren Sinn bezeugt. Die Oberbehörde konnte durch die confessionswidrigen| Formen der Kirche mehr gehindert werden, uns zu hören, während die Synode nichts hinderte, wenn sie wollte, uns Gerechtigkeit widerfahren zu laßen etc. etc. Ich gestehe, daß ich wenig zu hoffen wagte. Ich sah dabei auch immer unser Häuflein an. Zwar waren und sind der Gleichgesinnten nicht so gar wenige, als sich manche dachten. Aber im Vergleich mit unsern Gegnern waren wir eine kleine Minorität und konnten in der Wage der Oberbehörde leicht gar zu wenig wiegen, zumal wir fast alle keine äußerlich ausgezeichnete Stellung hatten, die – wie es zu gehen pflegt – unsere Schale allenfalls ein wenig mehr herabziehen konnte. Das war auf Seiten der befreundeten Gegner alles anders. Wir armen, verschrieenen, wenigen Ultras! Wer wird – so dachte ich mir – auf unser Schreien hören, wenn wir es erheben, indem wir gegen die Strömung schwimmen?

 Indes, ich meines geringen Theils war, wenn auch von Natur geneigt, gerade durch zu gehen, doch auch von Herzen geneigt, meinen Freunden gerecht zu werden und sah schon ein, daß man alles und jedes versuchen müße, um nicht aus dem bisherigen Lebensgang und Zusammenhang gerißen zu werden. War doch von meinem Standpunkt alles, was nicht Erlösung von der drückenden Lage eines Pfarrers hieß, ein Nachgeben. Der Vorschlag, die Petition, der Rath am Abend nach der Synode – alles war Nachgeben und Versuch, eine beßere Lage zu finden. Ich stimmte zu allem, weil ich dachte, man müße jedes Mittel versuchen, um vermeiden zu können, was man so gerne vermeiden wollte. Vielleicht lacht mancher Leser über diese Sätze, aber es ist denn doch in meinen Augen so. Ich gieng kurzum ganz gern auf die Stimme meiner Freunde ein und glaubte, als das Mindeste, als den Anfang der Beßerung, als ein wenig Wiederherstellung der alten bekenntnistreuen Stellung unserer Landeskirche, Verpflichtung der Geistlichen und Religionslehrer auf die Concordia und Ausschlußerklärung gegen eben hervorgetretene Feinde der Majestät JEsu und der Wahrheit seiner Lehre – erbitten und erflehen zu sollen. Damit wollte ich nur, was meine Freunde auch. Es sahen zwar allerdings auch außer mir manche unter uns dies erneute Petitioniren als einen ziemlich hoffnungslosen Aufenthalt an; aber es wurde denn doch bei der Versammlung, die entscheidend werden sollte, endlich der Beschluß gefaßt, zwar den Wanderstab in der Hand zu behalten, aber doch noch einmal zu hoffen und alles zu versuchen, was möglich und recht wäre, um den für die Landeskirche möglicher Weise nicht minder als für uns folgereichen Schritt zu vermeiden. Es war damals gerade ein für den ersten Augenblick sehr erfreulicher Umstand eingetreten, aus dem wir, voreilig, wie es bald drauf sich zeigte, schloßen, es könne die Vertretung unserer guten Sache in die Hände einflußreicherer Männer kommen. – Es sei mir erlaubt, alles Speciellere in Betreff des seitdem Geschehenen zu übergehen.

 Jetzt[14] steht die Sache so, daß der von mir im Votum ausgesprochene Austrittsgedanke von den allermeisten, die ihn früher verwarfen, auch jetzt noch verworfen und meine Darstellung der unsre Petition betreffenden Synodalbeschlüße| (denn von anderen Beschlüßen der Synode redete ich nicht) von vielen – aber nicht von allen, die den Austrittsgedanken verwerfen – gemisbilligt wird. Auch meine näheren Freunde tadeln manches – und wenn man’s um und um bedenkt, so ist an dem ganzen Schriftchen vielleicht kein Satz, der nicht von irgend jemand beanstandet wurde. Aber das ist gewis, die Todtenstille nach der Synode, die nur vom Lobe der siegenden Partei unterbrochen wurde, ist vorüber, – es sind nicht blos von unserm nächsten Kreise, sondern auch von manch anderem Petitionen um kirchliche Verpflichtung und Lehrzucht eingegeben worden, – und ein Geist der Wachsamkeit und confessionelleren Ernstes gibt sich von mancher Seite kund. – Stehen nun gleich wir armen Ultras ein wenig schwarz bei Seite und leiden von den Höhen unserer befreundeten Gegner, die wir herzlich lieben, manch schneidend kaltes Windeswehen: wir freuen uns doch in Hoffnung, – und wir könnten es nicht begreifen, wenn die kirchliche Oberbehörde durch ungeeigneten Bescheid so viele der besten Kräfte, welche sich nun regen und vertrauensvoll an Sie anschließen, an Ihr bleiben wollen, von sich abkehren und das Vertrauen in Mistrauen verkehren wollte.

 So sind wir denn in einer Wartezeit. Vielleicht wird uns bald eine gute Antwort, vielleicht erfolgt eine Bescheidung der Synodalbeschlüße, vielleicht kommen Beschlüße des eben versammelten Landtags, welche die kirchliche Sache fördern. Darauf warten wir. Wir gedulden uns, aber entschlafen wollen wir, ruhen wollen wir nicht, bis entweder die Lage der Kirche oder die unsrige entsprechend geändert ist. Wir suchen sehnlich, sehnlich Ruhe, stilles Walten in den uns befohlenen Kreisen! Unsre Arbeit, unser Wirkungskreis, unsre Ehre ist uns groß genug. Man gebe nicht uns allein, man gebe der Kirche, was sie je und je haben mußte, was sie je und je haben muß, – und wir werden gerne den herben Undank schlürfen, welcher immer denen gegeben wurde, die vorwärts drängten. Man gebe uns, man gebe der Kirche nicht, was sie bedarf, so wißen wir armen Leute unsern Seelen keinen Rath zu finden, als uns Zuständen zu entziehen, die für alle Sünden werden, welche sie tragen, wenn sie statt Abhilfe neue Bestätigung fanden. – Ich habe keinen Auftrag, dies im Namen meiner Freunde zu schreiben; es ist ein jeder Manns genug, zu sagen und seinerseits zu thun, was ihn gut dünkt, doch denken wohl etliche ziemlich wie ich.

 Bei alle dem ist der Schreiber dieses der gewissen Ueberzeugung, im Einklang mit dem zu reden und zu handeln, was Pfarrer Kraußold p. 25. aus den „drei Büchern von der Kirche“ als widersprechend anführt. Im Gegentheil, ein zwar recht winziger, aber doch wahrhaftiger Beweis für jene Worte wird dies unser allerdings mit Sünd und Schwachheit verunstaltete Thun sein. Wenigstens ist es so gemeint. Beweist mein Bruder Kraußold das Gegentheil daraus, so rufe ich den Vater der Barmherzigkeit im Himmel an, durch seinen göttlichen Segen meine Faßung meiner Worte zu beweisen. Denn ich hoffe noch immer das Gleiche für die lutherische Kirche.

|  Wenn auch vielleicht – vielleicht, gibts der HErr, auch nicht – die Landeskirchen fallen, wie sies verdienen mögen; wenn auch das Kirchengut genommen würde und bereits zum Theil genommen wurde, wie es ja auch zur Zeit der Reformation nicht völlig, nicht überall mit Recht auf unsere Seite kam: daran liegt fürs Ganze nichts. Aus solcher Asche steigt der Phönix nur schöner. Die Kirche, welche, wie man gerne sagt, die Zukunft hat, geht nicht unter mit territorialen Schranken, mit Geld und Gut. Sie wird behalten, was sie hat, – und was sie nicht hat, was sie zum Theil im falschen Wahne selbst verwarf, das wird ihr Gottes Gnade geben, wieder geben. Sie wird unter Stürmen fester, unter Windeswehen und Sonnenhitze, dem Aerntefelde gleich, reicher, schöner werden, – ihr Leib und Geist wird sich erneuen, aber unter geht sie nicht. Kleiner an Zahl, kann sie dennoch größer werden – und reicher an Segen für die Welt. Zählte denn die kleine Heerde je noch Nullen?

 Ich weiß nicht, ob mein Freund Kraußold dem, der ihm hier mannigfach widerstrebte, aber doch auch manches schweigend hinnahm[15], der auch selbst manchen Fehl bekannte und gerne auch ferner nach dem Maße seiner Einsicht noch bekennen wird, seine Hand reichen mag. Ich thäte es ihm gerne und sagte so gerne zu ihm und mit ihm:

„Wir haben Muth genug, die volle Wahrheit zu sagen, – wir haben den Muth der Buße und in diesem Muthe ein frisches Leben, das unsre Gegner nicht ertödten werden, vor dessen Schwingen sie sich lieber fürchten mögen. Es ist wahr, daß unsre Väter gestritten haben etc. Es ist wahr, viel Untreue war in unsern Grenzen. Fast waren wir unsichtbar geworden. Aber ausgestorben waren wir nicht; wo kämen wir denn her, die wider die Feinde streiten? An uns hat sichs bewiesen, was wir lehren, daß die Kirche klein werden kann, aber auch, daß sie unsterblich ist; daß sie abnehmen kann, wie der Mond, aber auch, daß sie zunehmen kann, wie der Mond!“

Dem Leser Friede!
Amen.


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Anhang.
Zu p. 80. gehörig.




 Haec quum ita sint, cavere omnes Christiani debent, ne fiant participes impiae doctrinae, blasphemiarum et injustae crudelitatis papae. Ideo papam cum suis membris tanquam regnum antichristi deserere et execrari debent, sicut Christus jussit (Matth. 7, 15.): Cavete a pseudoprophetis. Et Paulus jubet, impios doctores vitandos et execrandos esse tanquam anathemata (Gal. 1, 8. Tit. 3, 10.). Et 2. Cor. 6, 14. ait: Ne sitis consortes infidelium; quae est enim societas lucis et tenebrarum?

 Dissidere a consensu tot gentium et dici schismaticos grave est. Sed auctoritas divina mandat omnibus, ne sint socii et propugnatores impietatis et injustae saevitiae.

Artt. Smalc. pag. 336. s. 




 Constat mandatum Dei esse, ut fugiamus idololatriam, impiam doctrinam et injustam saevitiam. Ideo magnas, necessarias et manifestas causas habent omnes pii, ne obtemperent papae. Et hae necessariae causae

 consolantur adversus omnia
 convicia, quae de scandalis,
 de schismate, de discordia
 objici solent.

ibid. pag. 339. s. 





  1. Die Vereinigung der lebendigen Glieder Einer Gemeinde mit ihrem Pastor ist zu klein, als daß sie es zur rechten Lebenshöhe brächte. Der Pastor samt dem kleinen Häuflein wechseln, wandern, sterben. Um zu heben und über Leid und Neid hinwegzuführen, bedarf es eines größeren Gedankens, einer größeren Gemeinschaft.
  2. Ich bin aber allerdings fest überzeugt, daß alsdann die Formen ganz andere sein würden.
  3. S. am Schluß v. II, 1. Luthers Urtheil über Bruderschaften.
  4. Die biblische Begründung der Confirmation, wie sie in einem Aufsatz der Erlanger Zeitschr. gegeben ist, dürfte übrigens, so alt und so ähnlich sie z. B. der Beweisführung anderer Kirchen ist, bei manchen Lutheranern stark angefochten werden.
  5. Ein Candidat las in neuester Zeit in seinem Ordinationsschein von einer Verpflichtung, die er bei allem Aufmerken nicht erlauschen konnte, als er ordinirt wurde.
  6. Aus der Conföderation der Kirchen, wie sie im Oberconsistorium etc. erscheint, folgen alle andern angegebenen Beweise einer bayerischen Kirchenconföderation. Zugleich gibt der gerügte Zustand unserer Landeskirche Zeugnis, wie leicht Conföderation Union und confessionellen Indifferentismus erzeugt. – Der bayerische Missionsverein vollends, dessen Ausschuß durch Wahl bald so, bald so gesinnt sein kann, ist nur ein Vorläufer der neuen wittenberger Richtung, welcher er in Bayern auch Bahn machen mußte, so wenig es auch von seinen hervorragenden Gliedern beabsichtigt wurde.
  7. Vergleiche in Anbetracht dieses wichtigen Punktes die am Ende dieser Schrift gedruckte „Zugabe“.
  8. Die Consistorien heißen z. B. bei Hartmann: judicia ecclesiastica magistratus territorialis. Hier ist doch der Begriff gemischt?
  9. Es ist sogar von den Confessionen als „öffentlichen Kirchengesellschaften mit gleichen bürgerlichen und politischen Rechten“ die Rede und dann doch von Einer Gesammtgemeinde unter Einer Leitung und Verfaßung. Der nähere Nachweis des besorglichen Widerspruchs und seiner Quellen ist den Juristen zu überlaßen.
  10. Die Brandenb. K.-O. v. 1533. sagt: „Die Pfarrer sollen Acht haben, wenn sich unter andern solche Leut anzeigten, die in einem wißentlichen Irrthum und Ketzerei verwandt wären, oder sonst das gewisse unwiderstehliche Wort Gottes verlästerten, wie leider etliche zu thun sich nicht schämen, oder in wißentlichen unleugbaren Lastern lägen, welche Paulus 1. Cor. 5. und anderswo mehr erzählt, oder Unsinnige oder Narren, oder ganz unverständige Kinder, oder sonst grobe Leute, die noch die 10 Gebot, den Glauben und das Vater unser nicht könnten und nicht lernen wollten: dieselbigen sollen sie keineswegs zum heiligen Sakrament zulaßen, sondern sollen den irrigen und öffentlichen Sündern Gottes Gericht, Ungewisheit dieses vergänglichen Lebens stattlich einbilden, auf daß sie zur Buße getrieben werden. Wenn sie sich aber beßern und desselben ansehnliche Zeichen bei ihnen erscheinen laßen, so soll man sie annehmen, trösten, absolviren und zu der Gemeinschaft des Leibs und Bluts Christi, wie andere Christen, wiederum zulaßen.“
  11. Die von Herrn Dr. Fikenscher gebrauchte Stelle der Beleuchtung p. 14. braucht gewiß keine Vertheidigung.
  12. Der Angelpunkt der Verfaßung ist das Amt.
  13. Daß Zucht sein müße, darüber waren Schismatiker und Katholiker einig; es handelte sich, so weit die Zucht beim Schisma betheiligt war, vom mehr und minder. Bei [77] uns ist die Frage, ob Zucht überhaupt sein müße oder nicht; denn was von Zucht vorhanden ist, ist entweder nur auf Wagnis einzelner Pfarrer durchgedrungen oder vereinzelter Ueberrest alter Zeiten.
  14. S. das Datum des Vorworts.
  15. Ich erinnere freundlich z. B. an zwei Wörtchen: „radikal“ und „revolutionär“, von denen beiden bei mir gar keine Rede sein kann. An Gottes Wort und der Kirche gutem Rechte halten ist, wie es auch scheine, welche Analogien im staatlichen Leben zu entsprechen scheinen, – weder radical noch revolutionär, sondern Gehorsam, Beugung vor Einem, der über alle.
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Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern
Zugabe über einige wichtige Streitpunkte innerhalb der nordamericanisch-lutherischen Kirche »
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