Unter dem Rathhause zu Breslau

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Autor: Emil König
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Titel: Unter dem Rathhause zu Breslau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 277, 283–284
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Schweidnitzer Keller zu Breslau im vorigen Jahrhundert.0 Nach einem alten Kupferstiche auf Holz gezeichnet von Fritz Bergen.

[283]

Unter dem Rathhause zu Breslau.

Das Rathhaus in Breslau.

Auf dem „Ringe“ zu Breslau ragt das alte Rathhaus, ein ehrwürdiger, stattlicher Bau empor. Spätgothischen Stils bietet es namentlich auf seiner Ostseite große architektonische Schönheiten. Doch nicht diese sind es, welche seit Jahrhunderten Tausende und Abertausende zu dem Sitze der Väter der Stadt Breslau lockten: auf der Südseite des sehenswerthen Gebäudes befindet sich ein breiter und bequemer Eingang zu einer unterirdischen Stätte, welche Niemand durstig zu verlassen braucht und die in Ostdeutschland weit und breit berühmt ist unter dem Namen „Schweidnitzer Keller“. Dieser bildet für Einheimische und Fremde den stets wirksamen Magnet, denn er ist nicht allein, wie man zu sagen pflegt, ein renommirtes Restaurant, sondern eine altersgraue Schenkstätte, die ihre eigene nicht uninteressante Geschichte besitzt.

Schon im Anfang des 14. Jahrhunderts bestand dieser Keller, ursprünglich nur ein Holzbau, in dem, wie die Chronik meldet, ein sehr guter Wein, das Quart zu 28 Heller (15 Pfennig), verabreicht wurde. Obwohl Rathsherren als Verweser des schweren Kellerweins fungirten, so machte doch dem Rebensafte das Bier frühzeitig eine gefährliche Konkurrenz, und als im Jahre 1392 zum ersten Male das damals berühmte „Schweidnitzer Bier“ den Gästen geboten wurde, trug König Gambrinus über seinen Rivalen Bacchus den völligen Sieg davon. Man nannte den Keller von nun an Schweidnitzer Keller, welchen Namen er bis auf heute behielt, obwohl das Schweidnitzer Bier kaum hundert Jahre lang seine Herrschaft behauptete und anderen Sorten, vor Allem aber dem berühmten „Scheps“, dem vielgepriesenen „Malvasier des Schlesiers“, weichen mußte.

Die alten Biersorten verschwanden und wurden vergessen, aber der Keller, der in den Jahren 1429 bis 1481 massiv ausgebaut wurde, blieb in gleichem Ansehen und lieferte schon in frühesten Zeiten seines Bestehens recht ansehnliche Erträgnisse. So bezog die Stadt aus der Verpachtung desselben im Jahre 1477 nach verbürgten Aufzeichnungen nicht weniger als 3390 Dukaten, und in der Zeit von 1707 bis 1712 betrug der Durchschnittsgewinn 6657 Thaler.

Aus früherer Glanzzeit des Kellers stammt auch das Bild, welches wir nach einem alten Kupferstiche (S. 277) wiedergeben und in welchem uns das Leben und Treiben der lustigen Breslauer vor etwa hundert Jahren vor Augen geführt wird. Man achtete im Keller streng auf Sitte, war er doch ein Ehrenplatz des zünftigen Bürgerthums. Hier hielt man beim guten Trunke Morgensprache, hier trieben die Meistersänger ihr Wesen, und hier wurden die Hochzeitstänze gefeiert. Bemerkenswerth war auch die schwarze, der geistlichen Tracht ähnliche Bekleidung der Schenken, welche erst Ende des vorigen Jahrhunderts in Wegfall kam und an deren Stelle wir heute grüne Livréen mit weißen Knöpfen sehen.

Man trank ehedem hier aus zinnernen Kannen und irdenen Krügen, später aus Yegeln, Glasgefäßen von besonderer Form, welche zwei schlesische Quart hielten. Auch sie sind seit 1783 nicht mehr in Gebrauch. Sie wurden durch unschöne, langhalsige Gläser ersetzt, die später wieder von der „bayrischen Kufe“ verdrängt wurden, die sich bis auf den heutigen Tag behauptet hat.

Ein eigenartiges Nebengeschäft blüht seit altersher in einer engen Nische an der linken Seite der Treppe, das der Würstelfrau. Nach einem alten Herkommen verfügt das „Bäckermittel“ über diesen Raum und bezieht dafür einen beträchtlichen Miethzins. Der Absatz der warmen Würstchen an dieser Stelle ist sehr beträchtlich und erreichte schon an manchen Tagen die Höhe von 1000 Stück.

Der originelle Wandschmuck, der sich im Laufe der Zeit in dem Keller häufte, hat sich zum Theil trotz vielfacher Renovationen bis auf unsere Zeit erhalten. Der „große Löffel“, der von der Decke herabhängt, soll von irgend einem Herzoge für einen im Keller empfangenen Löffel Salz geschenkt worden sein; die an der Wand gegenüber dem Eingange hängende zinnerne Filtrirmütze ist eine Gabe, welche die Zinngießer im Jahre 1636 zu Ehren des Schützenkönigs gestiftet haben, und die Holzfigur in der Ecke rechts (vergl. auch Illustration S. 284) stellt einen Auflader aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts dar. Bekanntlich thaten sich, wie wir auch in Gustav Freytag’s Roman „Soll und Haben“ erfahren, die Mitglieder der Aufladerzunft durch außerordentliche Körperkraft hervor. Das Original unserer Holzfigur soll eine 4 Centner schwere Kiste dreimal um den Ring getragen und jedesmal vor dem Keller gerufen haben: „Ha, ha! Ich bin schon wieder da!“ Eine andere in einem Glaskästchen aufbewahrte Figur, die „Fetzenpopel“, ist in so fern interessant, als sie uns die Schaubentracht der Leichenbitterinnen aus dem vorigen Jahrhundert wiedergiebt. „Fetzenpopel“ heißt so viel wie eine Person, die sich in Lumpen einhüllt. Ein Pendant zu ihr bildet ihr Zeitgenosse, der Bettler [284] „Bruder Alex“. Ueber diese beiden Breslauer Volksfiguren erzählt man verschiedene Anekdoten. Die Fetzenpopel, Fräulein Johannel oder Fröla Johanndel genannt, soll eine alte Jungfer adliger Abkunft gewesen sein, die wohl in Folge einer Geistesschwäche stets in der sonderbaren Tracht erschien. Ihre Beerdigung fand unter einer außerordentlichen Betheiligung statt. Schon zu ihren Lebzeiten wurde ihr Bildniß durch Holzfiguren verewigt, ja sogar auf Pfefferkuchen aufgedrückt.

Die meisten der Wahrzeichen dienen dem Humor, der in diesen Räumen naturgemäß vorherrscht. So z. B. die hölzerne Hand mit Messer und Gabel, die als Klingelzug benutzt wurde und eine Anspielung aufs „Aufschneiden“ bildet. Ferner eine Wanduhr mit dem Fuchsschwanz, ein Vexirstück, wie solche bei unseren Vorfahren sehr beliebt waren. Versucht man diese Uhr aufzuziehen, so springt hinter dem Zifferblatt ein Fuchsschwanz hervor und schlägt den Aufziehenden ins Gesicht. Gleichzeitig wird eine Klingel in Bewegung gesetzt, welche einen dienstbaren Geist herbeilockt, der ein Tellerchen mit folgenden Versen präsentirt:

„Nun schellt das Glöcklein wie bewußt,
Wie vor, in unserm Keller.
Ein jeder leget uns zur Lust
Hier etwas auf den Teller.

Königliches Breslauisches
     Stadt-Keller-Amt,
Renovirt Anno 1722“

Eulenspiegel’s Denkspruch:

„Wer Weiss
Ob's War Ist“

befindet sich ebenfalls auf einer der Tafeln. Darüber hängt ein Bild, eine Vollkugel darauf, welche ein Reiter gar hoffärtig mit dem Degen durchrennen will, während auf der andern Seite ein auf seinen Stab sich stützender, gebückter Wanderer gar demüthig einherschreitet. Das Bild wird durch die Unterschrift wie folgt erklärt:

Unter dem Wanderer lesen wir:

„So wollt es mir nicht glücken,
Wollt ich durch, mußt ich mich bücken,“

und unter dem Reiter:

„So muß man durch die Welt.“

Diese Beispiele dürften genügen, um dem Leser darzuthun, daß im Schweidnitzer Keller ein Stücklein der Sittengeschichte unserer Vorfahren aufbewahrt wird, welche diesen Räumen einen besonderen Reiz verleiht. Kein Wunder also, daß der Keller über Mangel an Gästen niemals zu klagen braucht, daß nicht nur sein Hauptraum, der „Fürstenkeller“, sondern auch alle übrigen Gemächer, denen der Volkswitz besondere Namen beigelegt hat, oft mit Zechern vollgepfropft sind.

„Aber achl“ heißt es im Liede vom „Schweidnitzer Keller“ – „Welch Ueberwinden, – Im Gewühle – Hier ein Plätzchen noch zu finden! – ‚Bauernbucht‘ vollgepfropft, – ‚Schwindlersaal‘ vollgestopft, – Auch die ‚Musikerstube‘ voll, – Das ist toll!“

Typen und Wahrzeichen aus dem Schweidnitzer Keller zu Breslau.
Originalzeichnung von Fritz Bergen.

Immer ging es hier freilich nicht so lebhaft zu. Der Keller hatte auch die Zeit eines bedenklichen Verfalls, bis ihn am 18. Juli 1821 der neue Pächter August Friebe restauriren ließ und dank seiner redlichen Umsicht, wie es im Volksmunde hieß, „zu einer Goldgrube“ gestaltete. Im Jahre 1835 hatte er den Keller auf fünfzig Jahr für einen jährlichen Zins von 400 Thalern gepachtet.

Nach dem am 11. Mai 1861 erfolgten Tode Friebe’s ging der Keller auf seinen Sohn, den späteren Stadtrath Adolf Friebe, über, der aber ebenfalls noch vor Ablauf der Pacht (1881) starb. Adolf Friebe’s Schwester, welche mit dem Kaufmann August Agath verheirathet ist, trat mit dem Erbe der großartigen Friebe’schen Etablissements, Bierbrauerei etc. nunmehr auch in die Fortsetzung der Pacht des Schweidnitzer Kellers ein. Im Jahre 1884 richteten die Friebe’schen Erben, weil mit Ende December 1885 die Pacht ablief, an den Magistrat ein Gesuch um Uebernahme der Pacht auf eine fernere Periode von 18 Jahren und boten freiwillig eine Summe von 45000 Mark für das Jahr, falls kein öffentlicher Bietungstermin ausgeschrieben würde. Mit einer unbedeutenden Stimmenmehrheit lehnte die Stadtverordneten-Versammlung diesen Antrag ab. In Folge dessen wurde der Verpachtstermin auf den 15. September 1884 ausgeschrieben, auf welchem die Firma A. Friebe das Meistgebot von 43300 Mark für das Jahr abgab und den Zuschlag auf weitere 18 Jahre erhielt.

Selbst in der neuen modernen Aera unter Friebe’s Leitung hatte der Schweidnitzer Keller mehrere originelle Typen unter seinen Gästen aufzuweisen. Die harmlosen Menschen, deren einige unser Zeichner in sein Gruppenbild aufgenommen hat, erwecken für weitere Kreise nur geringes Interesse. Den alten Besuchern des Kellers dürfte jedoch eine kurze Erwähnung derselben nicht unwillkommen sein.

Ein ständiger Gast war hier vor Jahren Dr. Nagel, geraume Zeit hindurch eines der populärsten Breslauer Originale. Er war Mediciner, hatte den Russischen Feldzug mitgemacht und besaß seit 1815 eine ausgedehnte ärztliche Praxis. Eine Aquarellskizze von Arigoni aus dem Jahre 1819 zeigt uns Nagel in Frack, Stulpenstiefeln und Cylinderhut mit Kokarde. In der einen Hand trägt er einen Hering, in der anderen einen Krug. Er machte nämlich seine Einkäufe selbst. Häufig begegnete man ihm, mit allerhand Waaren in den Händen und einem Talglicht in dem Knopfloch. In seiner Behausung konnte man ihn auf einer Fußbank sitzend, umgeben von Ziegen, Katzen und Meerschweinchen, „studiren“ sehen. Der Bedauernswerthe beschloß seine Tage im Irrenhause.

Das „Ellenmalchen“ war der Spitzname einer Verkäuferin, welche als Kind von 11 Jahren mit Schwefelfäden hausiren gehen mußte und im Jahre 1874, nachdem sie mit der Zeit ihren Handelskram bedeutend erweitert hatte, das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Geschäftsthätigkeit im Schweidnitzer Keller feierte. Einundsechzig Jahre setzte sie in diesen Räumen ihren Handel fort, bis sie in hohem Alter starb. Seit Einführung der neuen Maß- und Gewichtsordnung wurde ihr auch der Name „Metermalchen“ beigelegt. Sie war, wie viele Stammgäste behaupteten, der lebende Beweis für die „gesunde Luft“ des Schweidnitzer Kellers.

Daß Breslaus Musensöhne in dem Keller niemals fehlen, braucht kaum erwähnt zu werden. In ihrem Kreise pflegte auch hin und wieder, mit Jubel begrüßt, der liebenswürdige schlesische Dichter Karl von Holtei zu erscheinen. Er sang und zechte dann, ein Fröhlicher unter Fröhlichen, und es kam ihm nicht darauf an, durch den alten Kellner Wolff mehrere Lagen Bier auffahren zu lassen.

So wechselte und wechseln mit den Geschlechtern auch die Gäste in den Räumen unter dem alten Rathhause zu Breslau. Aber trotz aller Umwandlungen der Neuzeit, trotz der veränderten Sitten blieb der Schweidnitzer Keller bis auf unsere Zeit ein Brennpunkt schlesischer Geselligkeit und unverwüstlicher Gemüthlichkeit, und wird es sicher noch lange Zeit bleiben. Emil König.