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Unter der Maske

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Autor: unbekannt
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Titel: Unter der Maske
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 213–215
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Lieblingsrolle: Othello
Eine Theatererinnerung
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[213]
Unter der Maske.
Eine Theatererinnerung.


Die Vorstellung des Shakespeare’schen Othello war beendet; das erschütterte Publicum rief den berühmten Gast, der hier die Hauptrolle zum ersten Male spielte, immer von Neuem mit fanatischer Begeisterung. Da ich mich zu den ältesten Freunden des genialen Künstlers zählen durfte, so eilte ich nach dem Fallen des Vorhangs in seine Garderobe, um ihn zu begrüßen und zugleich ihm meine Bewunderung auszudrücken. Gegen seine mir bekannte Gewohnheit fand ich ihn überaus schweigsam und sichtlich angegriffen. In finsterem Brüten stand er da, aus dem er nach einigen Augenblicken auffuhr, indem er langsam mit seiner Hand

Othello und Desdemona.
Nach einer Sepiazeichnung von Hoffmann in Dresden.

über die hohe bleiche Stirn strich, als wollte er gewisse trübe Erinnerungen verscheuchen. Obgleich meine Theilnahme durch sein seltsames Benehmen auf das Höchste gespannt wurde, wollte ich mich nicht in sein Vertrauen drängen. Auch war er sichtlich mit seinen Gedanken zu sehr beschäftigt, um mich zu beachten. Erst nach einer Pause gewann er wieder die Herrschaft über den stürmisch aufgeregten Geist, so daß er mich bemerkte und mit hinreißender Freundlichkeit seine Zerstreutheit entschuldigte.

„Verzeihen Sie!“ sagte er lächelnd, „mein Benehmen muß Ihnen befremdlich erscheinen, aber wir Künstler sind einmal ein eignes Völkchen. Selbst unsere besten Freunde wissen wenig oder gar nichts von unserem inneren Leben. Niemand ahnt unsere Leiden, unsere tiefen Schmerzen, die wir vor der Welt verbergen. Wir müssen oft lächeln, wenn das Herz uns brechen will, und wie die römischen Gladiatoren empfangen wir den Todesstreich unter dem Jauchzen der Menge. Das Publicum glaubt, daß wir nur mit den Leidenschaften spielen, nur das fremde Unglück darstellen, nur eine auswendig gelernte Rolle mit mehr oder weniger Empfindung wiedergeben, daß wir Liebe und Eifersucht, Haß und Verzweiflung nur heucheln, nur die Zuschauer täuschen wollen. Wer aber, wie ich, einen Blick hinter die Coulissen des Theaters gethan, der weiß, daß nur zu oft sich unter dem gaukelnden Schein der tiefste Ernst, die furchtbarste Wahrheit birgt, daß der lachende Komiker an sein krankes Kind oder an seine sterbende Frau denkt, der angestaunte Held vor dem Schuldgefängnisse zittert, die ausgelassene Soubrette ein armes verrathenes Weib ist, das sich vielleicht nach der Vorstellung vergiften oder mit Kohlendampf ersticken wird. Nicht seitens stellen wir auf der Bühne das eigene Leben dar, wiederholen wir fast Wort für Wort unsere eigenen Gedanken, fühlen wir dieselben Qualen, dieselbe Pein, welche wir in einer uns angedichteten Gestalt darstellen. Und ich selbst will Ihnen die Wahrheit des soeben Gesagten aus meinem eigenen Leben bestätigen. Bin ich doch ebenso selbst Zeuge gewesen, wie ein Schauspieler in der Rolle eines zärtlichen Vaters, der den Tod seines geliebten Kindes erzählt, davon so erschüttert wurde, da er selbst kurz vorher seine blühende Tochter verloren hatte, daß er vom Schlage getroffen sterbend auf den Boden hinsank, während das Publicum, ohne davon eine Ahnung zu haben, der Leiche wegen des ausgezeichneten Spiels Beifall klatschte.“

„Entsetzlich!“ rief ich erschüttert. „Ich fange jetzt an, Ihre eigene Aufregung bei der Darstellung des Othello zu begreifen. Sie müssen, wie ich ahne, alle Qualen der Eifersucht an sich empfunden haben, um sie so meisterhaft darzustellen.“

Er nickte nur einige Male wie zustimmend, sagte aber kein Wort. Währenddem hatten wir das Theater verlassen und waren [214] fast unmerklich in die Wohnung des Künstlers gekommen, wo uns ein gedeckter Tisch erwartete. Er selbst genoß so gut wie nichts und auch ich war zu gespannt, um mich mit dem elegant servirten Souper aufzuhalten. Nachdem der Diener abgeräumt und sich entfernt hatte, nahm mein Freund die unterbrochene Unterhaltung wieder auf.

„Ich weiß nicht, ob Sie die Geschichte meiner Jugend kennen. Wenn ich nicht irre, so habe ich Ihnen einmal mitgetheilt, daß ich von jüdischen Eltern abstamme und unter den ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen bin. Wie der Mohr, gehörte auch ich einer fremden, verachteten Nation an, traf auch mich der Fluch des Vorurtheils, unter dem ich schwer gelitten habe. Doch ich überwand mit der Zeit alle Hindernisse und wenn ich auch nicht, wie Othello, General geworden bin, so wurde ich doch wenigstens ein passabler Schauspieler.“

„Sagen Sie, ein Künstler im schönsten Sinne des Wortes.“

„Wenn ich ein solcher bin, so hat mich Othello dazu gemacht, oder vielmehr die Liebe und die Eifersucht, die miteinander wie Licht und Schatten verbunden sind. Es ist das eine seltsame Geschichte, die Sie von mir heute erfahren sollen, obgleich die Erinnerung daran mir noch immer schmerzlich ist.“

Bevor er seine Erzählung begann, schenkte er das vor ihm stehende Glas mit duftendem Rheinwein voll und leerte es auf einen Zug, als wenn er sich zu einem schweren Werke stärken wollte.

„Nach langen Irrfahrten,“ begann er nach einer Pause, „hatte ich endlich ein festes Engagement in B. gefunden, wo der Zufall damals einen seltenen Verein von ausgezeichneten Kräften zusammenführte. Es war eine Freude und ein Glück, einer solchen Bühne anzugehören, in den Vorstellungen mitzuwirken, wie es kein glänzend dotirtes Hoftheater besser aufweisen konnte. Sämmtliche Schauspieler waren von gleichem Eifer beseelt und das Publicum belohnte dieses Streben durch seinen zahlreichen Besuch und seinen stets wachsenden Beifall. Für mich wurde diese Bühne im eigentlichen Sinne eine Bildungsschule und ich machte in kurzer Zeit so bedeutende Fortschritte, daß mir größere Rollen anvertraut wurden, obgleich ich nur ein junger Anfänger war und mir die echte Künstlerweihe noch fehlte, die mir erst das Unglück geben sollte.

Unser Director, selbst ein trefflicher Charakterdarsteller, interessirte sich für mich und gab mir stets die Gelegenheit, mein Repertoir zu bereichern, mein Talent zu entwickeln. Auch die übrigen Mitglieder erwiesen sich mir überaus freundlich und collegialisch. Besonders fühlte ich mich zu unserem Regisseur hingezogen, der zwar weniger als Schauspieler glänzte, aber dafür sich um so mehr durch seine hohe Bildung und seine Herzensgüte auszeichnete. Er nannte mich nur seinen Sohn, und seine Tochter, welche dem Vater auch darin ähnlich sah, daß sie mehr durch Geist und Liebenswürdigkeit, als durch Schönheit und Talent mich anzog, liebte mich mit der reinen Neigung einer zärtlichen Schwester. Mit jedem Tage wurde mir die Familie theurer und ich dachte manchmal wohl ernstlich daran, die gute Bertha als meine Gattin heimzuführen, obgleich ich sie damals weniger liebte, als sie es um mich verdiente.

So lebte ich still und zufrieden im Kreise ehrenwerther Freunde, nur mit meiner Kunst beschäftigt, und empfand zum ersten Male nach langer Zeit das Glück, in geordneten Verhältnissen, unter gebildeten Collegen und mit guten, liebenswürdigen Menschen zu verkehren, nachdem ich die Misère des herumziehenden Schauspielers, das Elend der Schmieren und vagabundirenden Gesellschaften bis zum Ekel kennen gelernt hatte. Ich war so glücklich, wie ich es mir nie geträumt, und hätte mit keinem Krösus tauschen wollen. Noch heute denke ich mit Wehmuth an die schöne, schöne Zeit zurück.“

„Und doch,“ unterbrach ich ihn, „war es vielleicht ein Glück, daß Sie diesem Stillleben entrissen wurden. Ich selbst habe manchen tüchtigen Künstler kennen gelernt, der in solchen günstigen Verhältnissen eingerostet ist und sich von der behaglichen Muße einschläfern ließ. Nur im Kampf mit dem Schicksal lernen wir unsere Kräfte, die Tragweite unseres Talentes kennen.“

„Ich muß Ihnen Recht geben,“ fuhr der Künstler fort. „Ohne das folgende Unglück wäre ich nie mehr geworden als ein sogenannter braver Schauspieler, ein guter Lückenbüßer. Doch hören Sie, wie das Alles kam. Unser Director, stets auf die Verbesserung seiner Bühne bedacht, hatte eine neue Liebhaberin engagirt, der ein außerordentlicher Ruf voranging. Ich sah sie zum ersten Male auf der Probe und gestehe Ihnen, daß der Eindruck entscheidend für mein ganzes Leben war. Mit der größten Schönheit verband Auguste D., deren Namen Ihnen gewiß bekannt sein wird, eine hinreißende Anmuth und eine seltene Begabung. Sie zählte zu den Künstlerinnen von Gottes Gnaden, denen die Natur Alles verliehen hat, um zu entzücken, zu bezaubern. Der erste Abend ihres Auftretens war ein Ereigniß für das Theater, das Publicum schwärmte und ich liebte die geniale Künstlerin, in der ich mein Ideal verwirklicht fand. Da ich viel beschäftigt war und öfters mit ihr in denselben Stücken spielte, so fehlte es mir nicht an Gelegenheit, mich der Gefeierten zu nähern. Meine Huldigungen wurden von ihr freundlich aufgenommen, ich durfte mich der Hoffnung hingeben, ihr zu gefallen, und bald erlaubte sie mir, sie nach dem Theater zu begleiten, sie in ihrer Wohnung zu besuchen. Täglich wurde unser Verhältniß vertrauter, so daß ich nach einigen Wochen mich für den glücklichsten Menschen hielt, als ich von ihren bezaubernden Lippen den ersten Kuß empfing und das Geständniß ihrer Liebe hörte. Meinem Glücke fehlte nichts als der Segen der Kirche, allein Auguste verzögerte unter den verschiedensten Vorwänden den ersehnten Tag, der mich mit ihr für immer vereinigen sollte.

Unsere Verbindung blieb jedoch kein Geheimniß, ich empfing die Gratulationen meiner Collegen, die mich um die glänzende Eroberung zu beneiden schienen, die Glückwünsche des Directors, der meinen Contract nicht nur erneuerte, sondern in Anbetracht der Verhältnisse wesentlich verbesserte. Nur mein alter Freund, der wackere Regisseur, war, wie ich bald erfahren konnte, mit meiner Wahl nicht einverstanden, obgleich er nach wie vor das frühere Wohlwollen zeigte. Trotzdem war eine gewisse Entfremdung zwischen uns eingetreten, da ich natürlich jetzt seltener seine Familie besuchte, weil ich jeden freien Augenblick bei meiner angebeteten Auguste zubrachte. Zu meinem Leidwesen scheiterten meine Bemühungen, die Geliebte in das Haus des befreundeten Regisseurs einzuführen, an einer gegenseitigen Antipathie, die ich vergebens zu bekämpfen suchte.

Um so mehr fühlte ich mich zu meiner Verlobten hingezogen, an der ich mit allen Fasern meines Herzens, mit allen Banden meiner Seele hing. Ich liebte sie mit einer Gluth, die ich nie zuvor gekannt, mit einer grenzenlosen Hingebung, mit dem unbedingtesten Vertrauen. Ein Zweifel an ihrer Reinheit wäre mir als ein Verbrechen erschienen, und der Glaube an ihre Unschuld war bei mir so unerschütterlich, wie der Glaube an meinen Gott und an meine Seligkeit. In der That genoß auch Auguste den ausgezeichnetsten Ruf, und selbst die in der Schauspielerwelt nur zu geschwätzige Fama wagte nicht, ihren Lebenswandel anzugreifen. Sie war nach dem einstimmigen Urtheil der Welt ein Muster vollendeter Sittsamkeit und Zurückhaltung, und ihre frommen Taubenaugen, ihr kindliches Lächeln bestätigten nur den allgemeinen Glauben.“

Ueber das ausdrucksvolle Gesicht des Künstlers flog ein düsterer Schatten und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Ich konnte in seinen sprechenden Zügen erkennen, wie sehr ihn selbst nach Jahren diese traurigen Erinnerungen aufregten. Trotzdem war ich auf das Höchste gespannt, erwartete ich begierig die Fortsetzung seiner Erzählung.

„Auf mein wiederholtes Dringen,“ fuhr er nach einer schmerzlichen Pause fort, „hatte Auguste endlich unsern Hochzeitstag bestimmt und ich lernte das seligste Gefühl kennen, als ich unsern häuslichen Heerd für sie und mich einrichten durfte. Jeder Stuhl, jeder Tisch, den ich anschaffte, verursachte mir eine kindische Freude, und mit Entzücken dachte ich an den Augenblick, wo ich das geliebte Weib in unsere gemeinschaftliche Wohnung führen würde. Trotz der vielfachen Beschäftigungen vernachlässigte ich so wenig meine Kunst, daß ich im Gegentheil durch meine Fortschritte das Publicum und den Director täglich überraschte. Ich verdankte der Liebe oder vielmehr der Geliebten eine höhere Begeisterung, eine nie gekannte Leidenschaftlichkeit, die sich in meinen neuesten Rollen bekundete. So kam es, daß mir stets bedeutendere Partien anvertraut wurden, und eines Tages, als unser Heldenspieler plötzlich erkrankte, überbrachte mir der Theaterdiener mit einem verbindlichen Schreiben des Regisseurs die Hauptrolle in Shakespeare’s ‚Othello‘, worin meine Verlobte die ‚Desdemona‘ spielte.

Obgleich ich mich durch eine solche Auszeichnung sehr geehrt fühlte, so übernahm ich die mir gestellte Aufgabe mit einem gewissen [215] Widerstreben und nur aus Rücksicht auf die Verlegenheit meines stets so gütigen Directors. Der Charakter des Mohren lag mir damals noch fern und entsprach weder meiner Stimmung noch meiner Individualität, da ich den Dämon der Eifersucht nicht kannte, die Qualen der verrathenen Liebe nie empfunden hatte. In der That war ich auf der Probe mit meiner Leistung eben so wenig wie der verständige Regisseur zufrieden und ich fürchtete für den Abend eine entschiedene Niederlage. Um so entzückender spielte Auguste ihre Rolle als ‚Desdemona‘, neben der ich mir ungemein hölzern und kalt vorkam. Im Verlauf der Probe munterte sie mich mehrmals auf und empfahl mir mehr Feuer und Leidenschaft, besonders in der berühmten Sterbescene, indem sie mir lächelnd rieth, wirklich an ihre Untreue zu glauben. Die Art und Weise, wie sie selbst im Scherze mir das zumuthen konnte, verstimmte mich und steigerte nur noch meine Unzufriedenheit.

Von finsteren Ahnungen erfüllt, spielte ich am Abend der Aufführung die ersten Scenen mit sichtlicher Befangenheit und ohne den geringsten Beifall, wodurch meine Verstimmung nur noch wachsen mußte. Nur mit Widerwillen betrat ich die Bühne, meist hielt ich mich hinter den Coulissen auf und starrte theilnahmlos auf das Schauspiel, dessen Ende ich herbeisehnte. So kam der vierte Act zu langsam für meine Ungeduld, an dessen Schluß Auguste an mich herantrat, um mir einige ermunternde Worte zuzuflüstern. Während sie mit mir freundlich sprach, legte sie ihre geschriebene Rolle, die sie in ihren Händen hielt, neben der meinigen auf den vor uns stehenden Tisch. Als das Zeichen gegeben wurde, verließ sie mich schnell, um sich für die Sterbescene umzukleiden, wobei sie in der Eile unsere beiden Rollen verwechselte. Ich bemerkte den Irrthum und wollte ihr nachstürzen, doch ein aus ihrer Rolle herausfallendes Papier hielt mich auf. Ich nahm es vom Boden auf und warf einen flüchtigen Blick auf die mir fremden Schriftzüge. Ein furchtbarer Verdacht durchzuckte meine Seele, ich las den offenen Brief und konnte nicht mehr an der Untreue meiner Verlobten zweifeln. Sie hatte mich auf das Schändlichste verrathen und erwartete nach dem Theater einen vornehmen Cavalier und berüchtigten Wüstling in ihrer Wohnung zu einem verabredeten Rendezvous.“

„Und was thaten Sie?“ fragte ich erschüttert, als der Künstler schwieg und mit starrem Blick vor sich hin sah.

„Ich hatte nur einen Gedanken, Rache an dem schändlichen Weibe zu nehmen. Mit diesem Gefühl betrat ich die Bühne im letzten Act, sprach in dem furchtbaren Monolog Othello’s vor der That mit einer Wahrheit, einer wilden Gluth, welche das Publicum hinriß und zu einem nie gehörten Beifall begeisterte. Ich hörte nichts, vor meinen Augen schwebte ein blutiger Nebel, mein Gehirn siedete wie ein Vulcan und ich wußte weder, was ich sagen, noch was ich thun wollte. So trat ich an das Bett.“

„Kennen Sie die schöne Sepiazeichnung von Hoffmann in Dresden?“ unterbrach er sich selbst. „Wie dort, das Bild der Unschuld und Reinheit, das verkörperte Ideal aller Schönheit und Lieblichkeit – so lag sie hingegossen auf dem seidenen Kissen, ein Wesen, so wunderbar herrlich und hinreißend, wie es Gott nur einmal so schön geschaffen. So oft ich das Hoffmann’sche Bild auch ansah, und die mahnende Erinnerung trieb mich immer und immer wieder dazu, so oft fieberte der alte Schmerz auch wieder auf in meiner Seele und ich danke und fluche zugleich dem Künstler, der mir den ganzen Zauber meines schönsten Lebenstraumes und mit ihm die unglücklichste Stunde meiner Jugend vor die Seele führt.

Der Anblick der Ungetreuen entflammte meine Wuth auf’s Neue und unwillkürlich zückte ich meinen Dolch, der kein gewöhnlicher Theaterdolch war. Nach der von unserm ästhetischen Director eingeführten Sitte zog ich mechanisch die Vorhänge des Schlafzimmers zu, um dem Publicum den entsetzlichen Anblick der furchtbaren Mordscene zu entziehen. Ich war allein mit der Treulosen und nichts hinderte mich, wie ich mir vorgekommen, sie zu tödten. Schon ergriff ich die scharfe Waffe und näherte mich dem Lager, schon holte ich zum mörderischen Stoße aus, als mein Arm plötzlich festgehalten wurde. Vor mir stand mein treuer Freund, der alte Regisseur, und entriß blitzschnell den Dolch meiner zum Stoß erhobenen Hand, ehe Desdemona oder vielmehr Auguste eine Ahnung von dem ihr drohenden Geschick haben konnte. Er hatte mich genau beobachtet; meine verstörte Miene, meine plötzliche Leidenschaftlichkeit, meine ungewohnte Wildheit, der Wechsel in meinem Spiel waren dem erfahrenen Praktiker aufgefallen. Mit Theilnahme verfolgte er meine Bewegungen, und da ich den Dolch früher zog, um Desdemona zu erstechen, als der Dichter vorgeschrieben hatte, so glaubte er an einen Irrthum von meiner Seite, weshalb er aus der Coulisse vorsprang, um mich an einem vermeintlichen Fehler zu verhindern. Er ahnte nicht, daß seine unerwartete Dazwischenkunft mich vor einem Verbrechen, vielleicht vor dem Schaffot behütete.“

„Und Auguste?“ fragte ich tief bewegt. „Was ist aus ihr geworden?“

„Sie ging, wie manche bedeutende Künstlerin,[WS 1] zu Grunde und sank, da ihr jede moralische Kraft fehlte, immer tiefer, bis sie zuletzt in Folge ihrer ungeordneten Lebensweise an der Schwindsucht starb. Ich habe sie niemals wiedergesehen und sie hat auch nie erfahren, in welcher Gefahr sie einst geschwebt. Meine einzige Rache bestand darin, daß ich ihr am nächsten Morgen den verlorenen Brief mit meiner Karte schickte. Ich war von meiner Liebe geheilt, wenn auch um den Preis meiner theuersten Hoffnungen und meiner schönsten Illusionen.“

„Und doch ist der Othello Ihre Lieblingsrolle!“ rief ich verwundert.

„Ich liebe ihn, wie eine Mutter das Kind, das ihr die meisten Schmerzen verursacht. Durch mein Unglück entwickelte sich mein Talent und durch den Othello wurde ich ein – Künstler. Aber so oft ich die Rolle spiele, ergreift mich ein Schauer. Das Bild jenes furchtbaren Abends steht vor meiner Seele, und ich kann die ganze Nacht nicht schlafen, indem ich unwillkürlich daran denken muß, daß ein Moment mich eben so gut zum Mörder wie zum Künstler machen konnte.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Künülerin