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Unverhoffte Jagd

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Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Unverhoffte Jagd
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 797–798
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 32
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[797]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 32. Unverhoffte Jagd.


Eine bitterkalte, schneelose, aber vom klarsten Mondschein zauberisch erhellte Novembernacht hatte ich auf dem baumstarken Geäst einer uralten knorrigen Eiche in einer zu Jagdzwecken da hinauf erbauten Reisigbaracke zugebracht, um von hier aus einem

Fliehende Hirsche.
Nach der Natur aufgenommen von Guido Hammer.

fast regelmäßig zur Nachtzeit aus dem nahen Wildgarten ausbrechenden, aber immer wieder dorthin zurückkehrenden starken Keiler aufzulauern und diesen vagabundirenden Verwüster der außenliegenden Wiesen und Aecker armer Haidebauern womöglich todtzuschießen. Mit Tagesgrauen, das vor dem noch immer hellstrahlenden Mondlichte jedoch kaum bemerkbar ward, kam leise, nach vorhergegebenem verabredetem Signal mein Freund Pürschjäger des Thiergartens, durch dessen Vergünstigung ich den nächtlichen Anstand ausübte, zu meinem Hüttchen heraufgestiegen, um mich, wenn ich wollte, abzulösen. Denn noch immer galt es ein paar Stunden auszuharren, ehe man mit gutem Jägergewissen abtreten konnte, da vorhergegangenen Beobachtungen zufolge das betreffende Schwein oftmals erst am hellen lichten Tage aus den wenigen übergehaltenen Eichenbeständen der Vorhölzer, unter denen noch viel Mast lag, heimkehrte. Dabei aber zoddelte es gern, je aus welcher Richtung es gerade herkam, erst weite Strecken am Thiergartenzaun hin, ehe es in das von ihm beim Ausbrechen jedesmal zerrissene Loch wieder einwechselte. In Anbetracht dieser Erfahrung [798] beschloß der Pürschjäger, da ich meinen den Hauptwechsel bestreichenden Posten vor völliger Tageshelle nicht aufzugeben gedachte, ein Stück abwärts von mir an den Wildzaun hinzutreten, um den erwarteten Keiler hier schon in’s Feuer zu nehmen, wenn er etwa aus den nach dieser Richtung hin liegenden halb abgelassenen Teichen heraufkäme, wo er mit Vorliebe auf den Fischfang ging. Eben wollte nun zu diesem Zwecke der biedere Grünrock geräuschlos mein Asyl verlassen, als er im offenen Thürchen wie fest gebannt stehen blieb, dabei gespannt nach dem Thiergarten hinüber horchte und leisen Tones rückwärts fragte: ob ich nicht auch den fernen Laut jagender Hunde vernommen? Und allerdings war seinem geübten Ohre keine Täuschung widerfahren, denn auch mir, der ich mich auf mein Gehör ganz besonders verlassen kann, war der charakteristische Schall nicht entgangen.

„Dann sind es die vermaledeiten Köter des wildernden Hallunken, des Fleischers aus dem Niederdorfe, die schon die längste Zeit die ganze Wildbahn unsicher machen und schon manches Stück Wild niedergezogen und zerrissen haben,“ murmelte auf meine Zustimmung der noch immer lauschende Waidmann ergrimmt in den Bart. – Und nun für heute Adieu Saue! Jetzt galt es den Hunden.

„Ich werde vortreten an die Lache beim ‚Todten Jäger‘. Sie aber springen schleunigst hinüber bis jenseits des Schnepfenbruches an die alte Buche, welche vor’m Jahre der Blitz zersplitterte, und stellen sich da, wo der Zaun die scharfe Ecke bildet, an, von wo aus Sie nach allen Seiten den dort gezwungenen Wechsel beschießen können. Sicherlich bringen die Bestien ihr angejagtes Wild dort herum, sollten die Rackers nicht vorher schon mir vor’s Rohr kommen. Also nun rasch zu und brav hingehalten!“

Schnellen Laufes, wobei ich das „Kiff, Kiff“, wie den unterschiedlichen groben Laut „Hau, Hau“ zweier Hunde vernahm, erreichte ich gerade noch rechtzeitig Ort und Stelle. Denn nur kurze Zeit währte es, so hörte ich es auch schon in der vor mir liegenden Dickung brechen und unzweifelhaft flüchtiges Wild auf mich zukommen. Und richtig! Kaum vernommen, da flogen auch alsbald in wildester Flucht drei stattliche Hirsche hervor, dicht hinter ihnen her aber ein großer getigerter Hatzhund, dem ein etwas geringerer, schäferhundartiger Köter auf dem Fuße folgte. Noch konnte ich wegen zu weiter Entfernung, wie vor den Hirschen selbst nicht schießen; doch als diese sich in plötzlicher Wendung nach dem Zaun herumwarfen, weil lockerer, gefährlicher Sumpf und tiefe Wasserlöcher ihnen den geraden Weg verlegten, kam in wenigen Augenblicken die ganze tolle Jagd bis auf Schußweite an mich heran. Schon hatte ich den schwächeren der beiden raublechzenden Cumpane, der, um Vorsprung zu gewinnen, den Weg direct über das wogende Ried genommen und mir so frei und schußgerecht anlief, mit dem Schrotlauf meines Doppelzeuges „angepackt“, als mir mein Ziel für einen Augenblick hinter einer Schilfkaupe verschwand. Beim Dahinter-Wiederauftauchen aber bekam der Bursche sofort die volle Ladung, daß er getroffen im Feuer zusammenbrach und, nachdem er sich noch einmal emporgerafft, lautlos verendete. Durch diesen Schuß aber, der den andern Hund nicht im mindesten zu bekümmern schien, da er auch nicht einen Augenblick von der Verfolgung seiner von ihm schon fast erreichten Beute abstand, geriethen die ohnedies schon höchst erregten Hirsche in wirreste Angst. Dieselbe wurde durch den zweiten Schuß mit der Kugel, den ich nun auch der andern Bestie, leider erfolglos, nachsandte, so gesteigert, daß der vorderste von den jetzt dicht am Zaune Hinfliehenden plötzlich kerzengerade daran emporsteigend durch die geräumige Lücke der etwas weit auseinander liegenden obersten und zweiten Stange der Vermachung mehr durchkletterte als sprang. Dabei aber versah er es derart, daß er mit den Hinterläuften einen Moment lang hängen blieb und prasselnd kopfüber nach außen hin in dort liegendes sturmgebrochenes Geäst stürzte, während über ihn hin die beiden Cameraden folgten. Nun gewannen diese mit gewaltigerem Sprunge die volle Höhe der Verhegung, der Eine aber auch nur so, daß er mit der vollen Wucht des Leibes auf die oberste Stange auffiel, diese krachend zertrümmerte und hierbei, rückwärts sich überschlagend, wieder zurück in den Thiergarten stürzte. Nachdem er sich dort augenblicklich wieder emporgerafft, setzte der Angstbeflügelte rücksichtslos durch Bruch und Wasser, daß letzteres schlammvermischt hoch über ihm zusammenschlug, während der nach außen hin Gefallene, den ich schon verloren gegeben, da er eine Weile wie todt am Boden liegen geblieben war, sich ebenfalls wieder erhob, um dann pfeilschnell in einer Dickung des vor ihm liegenden Waldes zu verschwinden.

Der zuletzt Uebergefallene hingegen, der stärkste von Allen, ein Zwölfer, war der einzige, der ohne jedweden Unfall das Hinderniß hoch genug überschoß und zwar noch in demselben Momente, in welchem seine zwei Genossen in verzweifeltster Lage zwischen und auf dem Zaune hingen. Gewaltigen Sprunges, gleich einem von der Sehne geschnellten Bolzen, flog der Stattliche über die hohe Planke dahin, drüben aber, den gewonnenen Boden mit den gestählten Läuften kaum berührend, stürmte er in rasender Flucht, noch auf freier ebener Haidebahn in gewaltigen Bogensätzen die Lust durchmessend, unaufhaltsam weiter, und bald entschwand auch dieser jenseits des weiten, öden Gehaues, das er beflügelten Laufes übereilte, im duftigen Wald den nachgesandten Blicken.

Leider war mir während dieser Scene, die mich ganz und gar in Anspruch genommen, der von mir gefehlte Hund völlig und spurlos aus dem Auge gekommen, und blieb mir daher zuvörderst, nachdem ich wieder geladen hatte, nichts weiter übrig, als meinen Freund Pürschjäger aufzusuchen, um so mehr als ich jetzt, von ihm herübertönend, einen Schuß und gleich hinterher seinen Hupphuppruf vernahm. Mit beschleunigter Eile erreichte ich alsbald mein Ziel, und hier traf mein erster Blick auf die zu Füßen meines Freundes hingestreckte mächtige Gestalt des vor wenigen Minuten noch vor meinen Augen so beutegierig dahinjagenden Hatzhundes. Jener hatte den nun vor ihm liegenden Teufelsbraten, ein kleines Weilchen nach meinem zweiten Schuß, in kurzem Trabe hart am Zaun herkommen sehen, dabei Herrn Urian, wie er etwa sechszig Schritt vor ihm durch die Vergatterung hinausgewollt, auf’s Korn genommen und, wie Figura zeigte, glücklich niedergestreckt.

Natürlich theilte ich meinem Gönner mein Erlebniß und Ergebniß mit, was dessen jägerliches Herz in nicht geringe Erregung versetzte. Noch ehe wir aber mitsammen nach dem Wahlplatz schritten, dort Todten- und Umschau zu halten, wandte der an und für sich sehr hundefreundliche Waidmann die von ihm erlegte, wirklich prächtige Rüde mit dem plumpbestiefelten Fuße um und murmelte dabei: „Bei Gott, ein vortrefflicher Hund! Schade um ihn, hätte ein besseres Loos verdient.“ – Und auch nachher, da wir an Ort und Stelle angekommen und ich meine Beute aus dem schwanken Moor herübergeholt hatte, knüpfte er an diese seine Betrachtungen an und verrieth sie in dem lauten Selbstgespräch: „Schade, schade um’s brave Thier! ’s wäre besser, dessen Herr, diese nichtsnutzige Fleischercanaille, läge hier vor mir auf der Strecke.“

Nun war es aber heller lichter Tag geworden, und zwar ohne das belauerte Wildschwein nur gesehen, geschweige denn erbeutet zu haben. Dennoch waren wir mit unserem Erfolge gar wohl zufrieden, hatten wir doch die beiden Störenfriede, denen man schon lange, aber immer vergeblich nachgetrachtet hatte, endlich unschädlich gemacht. Wohlgemuth zogen wir deshalb fürbaß, doch nicht ohne erst noch den fraglichen Sauwechsel gemustert zu haben und zu der Ueberzeugung gekommen zu sein, daß der Schwarzrock vergangene Nacht zu Hause geblieben sein mußte, denn weder frische Fährte noch sonst eine Spur war von ihm zu entdecken.

So wandelten wir denn ein Jeder, hier von einander scheidend, unseres Weges; der Jägersmann nach seinem einsam inmitten des Forstes gelegenen Häuschen, ich – leider! – zurück in die gewühlreiche, kohlendunstige Stadt.