Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung/Achtzehntes Buch

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[341]
Achtzehntes Buch.
Denkungsart der Römer und Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe von den Zeiten des Septimius Severus an, bis zum Untergange des Reichs dieser Völker im Morgen- und Abendlande.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ich halte mich berechtigt, in der Geschichte der Sitten, besonders in Rücksicht auf die Verhältnisse beyder Geschlechter zu einander, mit dem Septimius Severus eine neue Periode eintreten zu lassen.

Wahre Epochen, scharfe, grelle Abschnitte darf man in dem Charakter und den Schicksalen der Sitten nicht erwarten. Die Denkungsart der Menge bildet sich allmählig, und selbst neue Wahrheiten und Lagen bringen nicht sogleich verschiedene Grundsätze und Gewohnheiten bey ihr hervor. Inzwischen muß doch der Anfang der Veränderung irgendwo bestimmt werden, und wir können diesen nicht erst da annehmen, wo sie sich am auffallendsten zeigt. Nein! der Uebergang muß da ausgespähet werden, wo wir einen wichtigen Grund zur [342] Veränderung und einige bemerkbare Spuren derselben antreffen.

Die vorige Periode hat das Weib, der guten Sitte nach, im Ganzen dem Manne wichtig, und einzeln dem Manne gleichgeachtet dargestellt: die folgende zeigt, eben dieser guten Sitte nach, das Weib im Ganzen dem Manne gleichgeachtet, und einzeln sogar dem Manne vorgezogen. Man begreift zum Voraus, von welchem wichtigen Einflusse dieß auf die Beurtheilung der Geschlechtsverbindung und Liebe hat seyn müssen.

Hiervon finde ich die ersten Spuren unter dem Septimius Severus: einen der Hauptgründe aber in der von ihm eingeführten militärischen Regierungsform, und in dem von seiner Gemahlin beförderten schlechten Geschmack. Alle übrigen Gründe, welche nachher zur Ausbildung der veränderten Denkungsart mitgewirkt haben, stehen mit jenen beyden ersten in genauer Verbindung.

Ich schließe diese Periode nicht früher, als mit dem Untergange des Reichs der Römer und Griechen im Abend- und Morgenlande. Zwar bin ich außer Stande, und auch nicht gewillet, Data über die Denkungsart dieser Völker bis zu jenem Punkte beyzubringen; aber es ist mir sehr wahrscheinlich, daß bey den nehmlichen fortwährenden Gründen sich auch die nehmliche Stimmung erhalten haben werde, und einzelne Werke, die noch bis ins zehnte und zwölfte Jahrhundert hinaufreichen[WS 1], geben dieser Vermuthung mehr Gewicht.

[343]
Zweytes Kapitel.
Entwickelung der Hauptursachen und des Wesens der[WS 2] veränderten Denkungsart.

Die Freyheit Roms war verloren gegangen; aber ihr Andenken hatte sich noch bey dem Volke erhalten. Wahrer Gemeinsinn war verschwunden; aber der Stolz auf den Nahmen und die Vorrechte eines römischen Bürgers, welche verhältnißmäßig gegen die Menge der Unterthanen nur Wenigen zu Theil wurde: Stolz auf die Größe des Reichs und die Unüberwindlichkeit seiner Waffen, kettete noch den Römer an das öffentliche Leben. Unter der glücklichen Regentenreihe vom Trajan bis zum Marc-Aurel hatte der Stolz auf den Monarchen, die Liebe zu ihm, diese Bande noch vermehrt, und zugleich den süßesten Genuß des Privatlebens gesichert.

Alles dieß veränderte sich im dritten Jahrhunderte. Septimius Severus legte den Grund zum militärischen Despotismus: er verband die schrecklichste aller Aristokratien, diejenige, worin die Gewalt in den Händen undisciplinierter Soldaten ist, mit einer eben so furchtbaren Monarchie, welche sich gegen die übrigen Unterthanen Alles erlaubt hält, wenn sie nur der Zügellosigkeit der Bewaffneten nachsieht. Von nun an war ein lohngedungenes Kriegesheer, geworben unter den Unterthanen und Barbaren an den Grenzen des Reichs, die einzige Menschenclasse, die Unabhängigkeit behielt und mißbrauchte. Statt eines Tyrannen, der seine Willkühr und Grausamkeit nur in dem Kreise, der ihn zunächst umgab, hätte wirken lassen können, fanden sich nunmehro unzählige Unterdrücker an allen Orten des unermeßlichen Reichs.

[344] Caracalla gab allen freyen Einwohnern desselben den Nahmen und die Vorrechte römischer Bürger. Er untergrub dadurch vollends den Nationalgeist, raubte dem Römer den Stolz auf seine Abstammung und seine Bestimmung, und hob den Uebermuth des bezahlten Kriegsheers. Alexander Severus glaubte schon seine Soldaten durch die Benennung: Bürger! zu schimpfen. Als in der Folge die Barbaren das römische Reich anfielen, einschränkten, erniedrigten, und die Lasten der Unterthanen vermehrten; da zog sich der Mensch immer mehr vom öffentlichen Leben ab, und genoß nur mit Unsicherheit sein örtliches und häusliches Daseyn.

Zweyerley Hauptideen mußten nun in den Sitten herrschend werden, die aus einer Quelle entsprungen, leicht wieder zusammenflossen. Entweder, man suchte dem irdischen Leben durch eine weichliche Ruhe, und den zügellosesten Genuß des gegenwärtigen Augenblicks noch einigen Reitz abzugewinnen: oder, man verachtete diese Welt, und richtete seine Blicke auf eine künftige, welche für die Leiden hiernieden eine reiche Schadloshaltung darbieten würde. Beyde Denkungsarten gehören unterdrückten Menschen an: beyde leiten zum leidenden Gehorsam: und der Ueberdruß, den Weichlichkeit und ausgelassene Sinnlichkeit bald herbeyführen, zieht Alles zum Glauben an ein übersinnliches Reich, und zur Hoffnung auf dasselbe hin.

Niedrigkeit und Schwulst, Aberglaube und Verzweiflung, Sinnlichkeit und unthätiger Beschauungshang bezeichnen die sittliche Denkungsart in dieser unglücklichen Periode. Mehrere Beherrscher, aus Afrika und Syrien entsprossen, haben nebst ihren [345] Familien zur Ausbreitung derselben beygetragen. Der Verfall des Geschmacks in allen Künsten ist gleichfalls bey dieser Stimmung mit in Anschlag zu bringen. Der gute Geschmack verhindert die schiefe Richtung der Beurtheilungskraft, und hindert den Fortgang metaphysischer Grübeleyen, welche die sinnliche Welt bey Seite setzen. Er befördert menschliche Empfindungen, kettet an den Genuß des Lebens, und erhält die Verbindung unsers höhern Wesens mit dem niedern.

Inzwischen bot sich der Mensch, der vom öffentlichen Leben abgezogen, in seinem Privatleben zum Genuß einer verfeinerten Sinnlichkeit unfähig geworden, und überher vom orientalischen Aberglauben umnebelt war, den Eindrücken der neuplatonischen Philosophie und des Christenthums gern und willig entgegen.

Indem er einen Halt in dem Reiche des Uebersinnlichen suchte, blieb er entweder bey der Volksreligion stehen, und suchte diese den Bedürfnissen seines reiferen Verstandes anzupassen: oder er suchte in einer fremden Lehre den Trost auf, den ihm die Lehre seiner Väter versagte. Dem ersten gefiel die neuplatonische Philosophie: dem andern die Religion der Christen. Jene fand zuerst bey den Vornehmern Eingang: diese bey dem Pöbel: beyde kamen in gewissen Hauptgrundsätzen überein, und boten sich am Ende, nach einigen Streitigkeiten, die mit aller Wuth der Sektenkriege geführt wurden, einander freundlich die Hände.

Der Neuplatoniker versteckte die Ungereimtheit des Volksaberglaubens unter dem Schleyer der Allegorie, [346] und schuf die Vielgötterey in ein System von Dämonen um, die alle einem höchsten Wesen unterworfen waren. Diesem suchte er sich durch die Extase zu nähern. Während der Anschauung dieser Art verliert die Seele alle anderen Vorstellungen, außer dem Angeschaueten, der sie mit unaussprechlicher Seligkeit erfüllt, und sie in die unüberschwenklichste Ruhe versetzt, weil der Angeschauete durchaus unveränderlich, mithin in steter Ruhe ist. Man erblickt nichts als das herrlichste Licht, weil in Gott nichts als Licht ist.

Dieß Ineinanderfließen, diese Wiedervereinigung der von Gott in uns geflossenen Seele mit ihrem Urquell, verlangte viele leidende (ascetische) Uebungen, Anstrengung, Prüfung. Besonders ward eine Vernachlässigung aller menschlichen Dinge, und eine Erhebung über alle Freuden der Sinnlichkeit dabey zum Voraus gesetzt. Aber dagegen schmeichelte man sich auch bey Wegwerfung alles praktischen Wissens, und aller öffentlichen Thätigkeit, bey völliger Ruhe, und beständiger Kreuzigung des Fleisches, die Seele ganz aus ihrem körperlichen Gefängnisse zu lösen, und mit Dämonen und Geistern in einen vertraulichen Umgang zu bringen. So ward zu gleicher Zeit durch diese Philosophie der Mystik und der Magie der Weg gebahnt.

Die Christen der damahligen Zeit versprachen nicht sowohl eine Wiedervereinigung mit Gott und einen Umgang mit den Dämonen in diesem Leben, als vielmehr eben diese Vortheile vermischt mit vielen gröberen Genußarten in einem künftigen nach dem Tode.

Die gegenwärtige Welt war nur ein Kampfplatz auf dem man sich die Freuden der Zukunft erringen konnte. Aber dazu bedurfte es gewisser Waffen, welche [347] die Moral erst jetzt dem christlichen Streiter in die Hände lieferte, und die von denjenigen, womit die Schüler des Sokrates nach Vollkommenheit gerungen hatten, völlig verschieden waren.

Das Sittensystem der Christen war nicht auf einen gewissen Staat, nicht auf gewisse Stände berechnet. Es empfahl Pflichten, die in jeder Verfassung, in jeder Lage galten. Ein leidender Gehorsam, der sich selbst unter Unterdrückung willig beuget; eine Achtung für jeden Menschen, als ein Wesen, das den nehmlichen Anspruch mit uns auf das Reich Gottes hat; eine Entäußerung alles eigenen Verdienstes, eine Herabwürdigung unsers Selbstes unter den geringsten und schwächsten unsrer Nebenmenschen; eine Liebe zu Gott, die jede irdische Neigung hinrafft; – das sind die Forderungen, welche das Christenthum nach den damahligen Begriffen an den vollkommenen Menschen machte.

Bald wurde das System der Neuplatoniker zu dem Christlichen gemischt, und beyde kamen dahin überein, die Erhebung über die Sinnlichkeit, die geduldige Ertragung aller Schicksale, die Verachtung aller Mittel, wodurch sich der Mensch Ruhm und Auszeichnung erwirbt, als den sichersten Weg anzusehen, wodurch man sich mit Gott und dem Reiche unsinnlicher Wesen vereinigen könne.

Obgleich diese Denkungsart nie ganz allgemein hat werden können, so hat sie doch gewiß selbst auf die gute Sitte eingewirkt, und diese in manchen Stücken modificiert. Man hat nicht mehr den nehmlichen Werth auf eine verfeinerte Sinnlichkeit, und auf alle diejenigen Leidenschaften gelegt, die man sonst edel nannte.

[348] Eine tapfere Selbstvertheidigung gegen äußere Unterdrückung, der Muth, sich das Leben freywillig zu nehmen, das Gefühl des Stolzes, und der Ruhmbegierde sind geächtet worden. An ihre Stelle trat die Humilität: ein Wort, das beynahe alles dasjenige umfaßt, was ich unter den Hauptstücken der christlichen Moral aufgezählt habe.


Drittes Kapitel.
Einfluß der veränderten Denkungsart auf das wachsende Ansehn des Weibes: mitwirkende Ursachen.

Zur Kosmopolitischen Vollkommenheit, und zu allen denjenigen Tugenden wodurch der Neuplatoniker und die Christen der damahligen Zeit sich der Annäherung an Gott, und des ewigen Lebens würdig zu machen glaubten, hat das Weib gleiche Anlagen mit dem Manne. Ja! es übertrifft ihn in mehreren derselben. Weiber gerathen weit leichter in den Rausch der Phantasie, in Begeisterung, in Extase: Weiber haben viel mehr Selbstverläugnung, mehr Geduld, mehr leidende Stärke, und mehr Muth, sich den Angriffen des Schicksals zu überlassen. Sie erhielten in diesen Zeiten einen gerechten Anspruch auf die Achtung des Mannes, und gleiche Rechte mit ihm auf Menschenwerth.

Die christliche Religion, welche den Schwachen ein vorzügliches Anrecht aufs Himmelreich verspricht: die in ihrer Geschichte mehrerer durch Heiligkeit, Wundergaben und Märterthum ausgezeichnete Weiber, Freundinnen [349] des Erlösers und der Apostel, aufstellt: die eine von ihnen als Mutter Gottes über alle Sterbliche setzt: diese Religion, sag’ ich, mußte das Ansehn des zärteren Geschlechts noch vermehren. Die Humilität, welche sie lehret, legte ohnehin dem Manne die Pflicht auf, sich vor denjenigen zu demüthigen, welche von den Heiden nur mit gefälliger Schonung behandelt waren. Weiber trugen viel zur Ausbreitung dieser ihnen so nützlichen Religion bey, und ihre Lehrer bewiesen ihnen dafür ihre Dankbarkeit durch Ausbreitung ihres Rufs.

Mehrere hervorstechende Fürstinnen zeigten sich an der Seite der Kaiser in wenig unterbrochener Folge. Die Julia Domna, Mäsa, Soämias, Mammäa Zenobia, Helena, Eusebia, Placidia, Pulcheria, Eudocia, Theodora und andere mehr, hielten entweder das Ruder des Reichs in ihren Händen, oder thaten sich durch besondere Talente und den Ruf der Heiligkeit hervor. Weiber übten vermöge der ihrem Geschlechte eigenen Gaben zur Intrigue eine desto größere Gewalt über die Höfe aus, je mehr sich diese nach den Zeiten des Diocletian auf morgenländische Weise von dem übrigen Reiche trennten, und dadurch heimlichen Ränken, und niedrigen Leidenschaften immer mehr ausgesetzt wurden.

Der schlechte Geschmack legte dem Frauenzimmer seine Huldigungen mit der Niederwürfigkeit und dem Pompe der Asiaten zu Füßen, und der Ausdruck der Achtung nahm den Schein der Anbetung und der Entzückung an. Jetzt ward das Weib oft über den Mann erhoben!

[350]
Viertes Kapitel.
Einfluß der Denkungsart über die Weiber, auf die Beurtheilung des Werths der Geschlechtsverbindung und der Liebe.

Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern.

Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet.

[351] Freundschaft ließen jedoch die strengsten Sittenlehrer zwischen beyden Geschlechtern zu, und wirklich konnte in dieser Zeit ihr wahrer Begriff auf diese Verhältnisse passen. Denn hier trafen Mann und Weib in dem Genuß einerley Lieblingsneigung, nehmlich der nach dem Unsinnlichen, zusammen. Und so war der heilige Hieronymus der Freund der Marcelle, Eustochium und Pauline.

Aber in Leidenschaft durfte diese Freundschaft nicht ausarten! Keine Spur von jenem Vergleiche zwischen der Natur und den Forderungen einer eingebildeten Vollkommenheit, der den geistigen Genuß körperlicher Schönheit gestattet! Nichts von jener Vorbereitung zu der exstatischen Liebe zu Gott, auf der Stufe der Begeisterung für sein Ebenbild in dem reitzenden Weibe! Nein! alle Liebe zur Kreatur war ein Raub an der Liebe Gottes und des Himmels begangen. Jede andre Leidenschaft war nach der Meinung derjenigen, die einem höhern Grade von Vollkommenheit nachstrebten, eine Geburt sträflicher Sinnlichkeit, und ein Werk des Teufels!

Doch zu diesem Grade konnten nur wenige gelangen; und der größte Haufe gab sich, im völligen Gefühl der Unzulänglichkeit seiner Kräfte, nicht einmahl die Mühe, darnach zu ringen. Auch nahm man nach dem gangbaren Sittensysteme eine gemeine und eine höhere Tugend an, von denen die erste innerhalb der Regionen der Sinnlichkeit stehen blieb.

Für Menschen, welche sich mit dieser begnügten, behielt die leidenschaftliche Liebe zum Weibe noch ferner ihre Reitze. Aber sie gewann unstreitig durch die Bemühung ihr manche Züge zu leihen, welche dem Ideale [352] der höheren Vortrefflichkeit abgestohlen waren. Das Weib wird im schönsten Lichte dargestellt, geziert durch Keuschheit und jede feinere weibliche Empfindung. Der Mann beweist ihm die Achtung deren es würdig ist, die Liebe zu den Lieblingen verschwindet, und die Ehe wird entweder der Zweck des Liebesverständnisses, oder das Band, dessen treue und standhafte Bewahrung man an beyden Geschlechtern als eine Tugend verehrt, und mit Interesse begleitet.[WS 3]

Bis jetzt war die Klasse wohlerzogener und wohlhabender Bürger in ihren Begriffen über Zucht, Ordnung und Vortrefflichkeit, durch Rücksichten auf das Wohl des Staats, und die Gefühle einer verfeinerten Sinnlichkeit geleitet worden. Was jenem Vortheil brachte, das war gut; was in dieser den Genuß auf die Dauer erhöhete, das war anständig. Aber die Menschen, die in dieser Periode lebten, hatten keinen Staat mehr, sie hatten nur eine Welt, in der die Frommen Gesetze gaben, welche alle Sinnlichkeit verdammten. Die gute Sitte, welche nie ganz den Gesetzen widerspricht, suchte diese mit der Schwäche ihrer Anhänger zu vereinigen, und nahm so viel davon an, als nöthig war, keinen offenbaren Streit mit einer kosmopolitischen Tugend zu bestehen.

[353]
Fünftes Kapitel.
Denkungsart der Sophisten und Grammatiker.

Seit den Zeiten des Septimius Severus bemächtigten sich die Asiaten der griechischen Litteratur, und seit dieser Zeit war der gute Geschmack verloren. Man begnügte sich nicht mehr den Alten nachzuahmen, man plünderte sie, und zierte mit den kostbaren Flicken die man ihnen entrissen hatte, ein Gewand, das eine regellose Phantasie, und ein schwülstiger Witz gewebt hatten. Von jetzt an, verdrängten die Schönredner (Rhetoren oder Sophisten) den Dichter. Mit ihnen vereinigte sich ein pedantisches Heer von Kritikern, Kompilatoren und Kommentatoren der Alten, bekannt unter dem Nahmen der Grammatiker. Beyde bildeten zusammen eine Zunft, die von Raub und Betrug lebte, und zugleich mit der religiösesten Anhänglichkeit an den Sitten und Gebräuchen des Alterthums hing. Eine wahre litterärische Judenschaft in jedem Betracht. Sie plünderten die Alten, sie logen ihnen Werke von ihrer Art an, und sahen den Glanz des Zeitalters des Perikles und Alexanders durch einen eben so dicken Nimbus ungewisser Traditionen, als wodurch der Jude den Flor des Israelitischen Staats unter den Richtern und Maccabäern betrachtet. –

Diese Zunft lebte gleichfalls in einer unsinnlichen Welt, aber es war nicht die der Gegenwart und der Zukunft, sondern die der Vergangenheit. Sie wollten die Sitten der ersten Philosophen und anderer berühmten Männer des Alterthums wieder hergestellt wissen, ob sie diese gleich aus höchst trüben Quellen kannten.

[354] Die Sokratische Schule hatte Lieblinge geliebt, – darum mußten die Sophisten und Grammatiker dieser Liebe gleichfalls ergeben seyn. Sie lasen von einer Diotima, der Sokrates die Kunst zu lieben abgelernt haben wollte, schnell setzten sie eine Liebesintrigue zwischen beyden zusammen. Epikur sollte eine gute Freundin an der Leontium, Menander an des Glycere gehabt haben; nun mußte sich jeder Philosoph, jeder Dichter eine Beyschläferin zulegen.

Die mehrsten Werke welche uns einige Aufklärung über die Sitten dieser Zeit geben könnten, rühren von solchen Rhetoren und Grammatikern her. Es wird viel Behutsamkeit erfordert, um dasjenige, was Sitte ihrer Zunft ist, von den Sitten ihrer übrigen Zeitgenossen, und Beydes wieder von demjenigen abzusondern, was sie uns für Sitte der Vorwelt verkaufen. Inzwischen bey aller Mühe, die sie angewandt haben, sich in die Periode des Flors von Griechenland hinein zu versetzen, bricht doch die veränderte Denkungsart an unzähligen Stellen durch.

[355]
Sechstes Kapitel.
Liebesbriefsteller in Prosa: Philostrat, Alciphron, Aristänet.

Zwey merkwürdige Erscheinungen verdanken wir dieser Periode: die Liebesbriefe und die Liebesgeschichte, beyde in Prosa. Die ersten sind an die Stelle der Heroiden und Elegien getreten, nachdem man keine Verse mehr zu machen verstand, oder sie nicht mehr lesen mochte.

Unter den Gelehrten, welche Julia Domna um sich hatte, war Philostrat: ein Mann dessen schlechter Geschmack auf die Produkte der Nachkommenschaft den wichtigsten Einfluß gehabt hat. Außer dem Leben des Apollonius Tyanensis, dessen ich in der Folge noch weiter gedenken werde, verdanken wir ihm eine Sammlung von Liebesbriefen, in denen beynahe alle Ideen über die Verfeinerung der Liebe angetroffen werden, welche das Mittelalter aufweiset. Besonders aber scheint sein gesuchter und schwülstiger Styl seinen Nachkommen zum Vorbilde des Ausdrucks in den Darstellungen der Liebe gedient zu haben.

Man kann die Briefe des Philostrat als Redeübungen ansehen, als Deklamationen, als Muster, wie man in verschiedenen Situationen an Lieblinge und Geliebte schreiben soll. Oft findet man über eine und die nehmliche Situation mehrere Briefe. Allemahl aber ist ebendasselbe Süjet wenigstens zweymahl behandelt: anders für den Liebling, anders für das geliebte Weib.

[356] Schon hieraus läßt sich abnehmen, daß die Sitten beym Philostrat nicht rein sind, und mehrere Stellen beweisen den materiellen Zweck, den er bey der Verbindung mit den Lieblingen vor Augen hatte. [1] Die Verfeinerung der Liebe besteht darin, daß die körperlichen Freuden durch Schwierigkeiten, die sich ihrem Genuß entgegen setzen, erhöhet werden, und daß er dem Ausdruck der Begierde einen Schmuck zu leihen sucht, welcher der Einbildungskraft der Leser Unterhaltung gewähren soll. Man findet bey ihm zuweilen den Witz der Empfindung, [2] aber nie hört man das Herz reden.

Besonders merkwürdig wird Philostrat durch den Ton der Galanterie, der hier schon so ausgebildet angetroffen wird, als er nur nimmer in den Romanen des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts[WS 4] erscheinen kann. Gelehrte Anspielungen, gesuchte Vergleichungen, steife Antithesen, abentheuerliche Gesinnungen, ungeheure oder ärmliche Bilder, machen den Charakter seines Styls aus.

„Verstohlne Freuden, sagt er, sind allemahl die süßesten, und die Gefahr, mit der sie erkauft werden, erhöht ihren Reitz.“ [3] „Augen, heißt es an einer andern Stelle, sind die Rathgeber der Liebe. Du aber liebst einen Jüngling der bloßen Beschreibung nach. Dieß können nur diejenigen thöricht finden, die nicht wissen, daß auch die Seele Augen hat.“ [4]

[357] „Du bist nicht aus der Luft zusammengesetzt, und aus Dingen, die sich mit dieser vermischen, sagt Philostrat zu seinem Lieblinge: Stein, Demant, und der Styx sind die Elemente aus denen du zusammengesetzt bist.“ [5] – „Das Getränk das du credenzest, sagt er zu dem geliebten Weibe, wird mit Küssen gemischt, und die Gläser werden durch deine Berührung in Gold und Silber verwandelt.“

„Ich sende dir einen Rosenkranz, schreibt er an einer andern Stelle, nicht weil ich glaubte daß er dich schmücken könne, sondern damit du ihn schmücken mögest. Ich sende dir diese Blume nicht um dich zu ehren, sondern[WS 5] damit du ihnen die Gnade widerfahren lassest, an deiner Seite später zu vertrocknen.“ [6]

„Sende mir einen Theil der Rosen zurück, auf denen du geschlafen hast. Dann wird der Reitz ihres angebornen Duftes noch durch denjenigen vermehrt werden, den du ihnen mitgetheilt haben wirst.“ [7]

„Meine Rosen waren frisch, als ich sie dir zusandte. Woher kommt es, daß sie vertrocknet sind, nachdem sie bey dir angelangt waren? Ich weiß es nicht. Doch! ich errathe! Sie ertrugen es nicht, von dir an Schönheit übertroffen zu werden, und sie verloren ihren Duft, sobald sie deine duftendere Haut berührt hatten. So verlieren die Sterne ihren Glanz beym Aufgange der Sonne.“ [8]

[358] „Laß mich nur ein Haar von deinem Kopfe nehmen. Dann wirst du mir Rosen geschenkt haben, die immer duften und nie ersterben.“ [9]

„Verlangst du meinen Tod, Grausamer! So nimm dein Schwert! Ich weigre mich nicht! Stoß zu. Ich bitte dich nur um eine Wunde.“ [10]

Der 50ste Brief übertrifft alle übrigen an abentheuerlichem und spielendem Witze.

„Vögel setzen sich in Nester, Fische in Felsenhöhlen, schöne Gestalten in Augen. Aber jene hausen nur auf kurze Zeit in dem eingenommenen Aufenthalte; die schöne Gestalt weicht niemahls aus dem ihrigen. So habe ich dich gleichfalls aufgenommen, und führe dich in dem Netze meiner Augen allenthalben mit mir herum. Gehe ich über Gras, so scheinst du daselbst zu weiden, und selbst die Steine, auf denen du sitzest, zu bewegen. Bin ich auf dem Meere, so steigst du wie eine Venus daraus hervor. Bin ich auf der Wiese, so ragst du über alle Blumen weg. Kein Gewächs ist dir ähnlich: denn so schön es erscheint, so dauert es doch nur einen Tag. Steh’ ich am Flusse, so verschwindet er; du fließest an seiner Statt dahin: groß, schön, ansehnlicher als selbst das Meer! Seh’ ich den Himmel an, so scheint mir die Sonne herabgefallen zu seyn, unter dir zu schweben, und du an ihrer Stelle zu leuchten. Kommt endlich die Nacht heran, so seh’ ich zwey Sterne: den Hesperus und dich.“

Ungefehr mit gleichen Ideen über die Verfeinerung der Liebe angefüllt, aber gezüchtigter in den Reitzen, die er von der Einbildungskraft und dem Witze für sie [359] entlehnt, auch in näherer Vertraulichkeit mit den Forderungen des Herzens, zeigt sich Alciphron, wahrscheinlich in der nehmlichen Periode mit Philostrat. Ihm verdanken wir eine Anzahl von Liebesbriefen, die den berühmtesten Hetären und ihren Liebhabern aus den Zeiten des Perikles und Demetrius Phalereus beygelegt sind. Es würde wenig Kritik verrathen, diese Briefe für vollgültige Zeugnisse über den Charakter der nahmhaft gemachten Hetären und ihrer Lebensart gelten zu lassen. Alciphron hat zu einer Zeit gelebt, worin er über diese Weiber aus den blühendsten Zeiten Griechenlands nur nach unzuverlässigen Traditionen urtheilen konnte. Er hat sie so geschildert, wie er sie sich von seinem Standpunkte ab dachte, und er hat jene Ueberlieferungen auf die Erfahrungen zurückgeführt, die er über die Sitten seines Zeitalters gemacht hatte. Ueberhaupt aber ist es ihm gewiß weniger darauf angekommen, wahre Darstellungen der Hetären und ihrer Verhältnisse zu liefern, als vielmehr einen Stoff zu finden, an dessen Behandlung sich sein Rhetortalent üben konnte. Denn schön zu sprechen und zu schreiben, gleich viel worüber, darauf kam es den Rhetoren an: so wie noch jetzt beym Verfall der Italiänischen Poesie, die Kunst der Improvisatoren dahin geht, über alles Reime machen zu können. Der große Haufe der Hetären erscheint bey ihm in dem Lichte, worin die Buhlerinnen aller Zeiten erschienen seyn müssen: als Weiber deren Gunst für Geld feil ist, und deren größtes Talent darin besteht, den Liebhaber durch Hoffnungen hinzuhalten, um desto mehr Gewinn von ihm zu ziehen. [11] Neidisch auf ihre Nebenbuhlerinnen, [360] rachsüchtig, unbekümmert um das Wohl ihrer Liebhaber, ist ihnen jedes Mittel gleichgültig das sie zu ihrem Zwecke führt. [12] Die Unterhaltungen die sie unter sich aufsuchen, zeugen von der niedrigsten Ausgelassenheit. [13] Verfeinerte Lüsternheit, kosendes Geschwätz, Gesang und Spiel sind diejenigen, mit denen die gebildeteren ihre Liebhaber belustigen. [14]

Dieß Bild trifft ziemlich mit dem Charakter der heutigen Buhlerinnen in den größeren Städten von Europa zusammen. Einige wenige zeichnen sich inzwischen beym Alciphron durch Uneigennützigkeit, wahre Liebe, Treue und höhere Talente aus.

Zu diesen gehört besonders die Geliebte des Menander, Glycera. Der Brief, den sie an ihren Liebhaber schreibt, [15] ist voll von den liebendsten Empfindungen, und verräth zu gleicher Zeit so viel wahre Weiblichkeit, daß er der Kenntniß des Verfassers von den verborgensten Falten des menschlichen Herzens wahre Ehre macht. Es ist unmöglich, ihn zu lesen, ohne die Süßigkeit eines solchen Verhältnisses für einen Mann von schönerem Genie zu fühlen. Es herrscht ein Geist darin, wie er mehrere Jahrhunderte später über den Briefen der Heloyse an Abelard gewehet hat. Ich setze ihn seinem Hauptinhalte nach hieher.

Die Veranlassung ist folgende: Menander war vom Könige Ptolomäus eingeladen worden, nach Aegypten zu kommen, um dort einige seiner Schauspiele vor ihm [361] aufführen zu lassen. Er fragt seine Glycera um Rath, ob er den Ruf annehmen soll. Darauf antwortet Glycera: sie habe den Brief gerade zu einer Zeit empfangen, als sie Gesellschaft zum Abendessen bey sich gehabt habe. Auch die gute Freundin sey bey ihr gewesen, die oft die Aufmerksamkeit des Menander durch ihren attischen Ausdruck auf sich gezogen habe. „Weißt du es noch, fragt sie neckisch, in welche Verlegenheit du bey dem Lobe kamst, das du ihr ertheiltest? Wie ich dich damit aufzog, und lächelnd Küsse auf deinen Mund drückte?“ – Wie fein, wie gutherzig zugleich! wie abstechend von der Verfahrungsart der mehrsten Weiber dieser Art! Dieser einzige Zug mahlt den ganzen Charakter.

„Alle Anwesende sahen mich an, fährt Glycera fort, und wunderten sich des frohen Eindrucks den dein Brief auf mich machte. Was erfreuet dich so sehr? fragten sie. Mein Menander ist vom Könige Ptolomäus gefordert, rief ich laut, und schwenkte dabey den Brief mit dem königlichen Siegel.“ – Ein Zug der weiblichen Eitelkeit abgestohlen! – „Freuest du dich denn, daß dein Geliebter dich verlassen wird, fragten die Gäste. Gewiß nicht, sagte Glycera, er wird mich nicht verlassen. Der König spielt in seinem Briefe auf unsre Verbindung an: und auch das freuet mich, daß die Nachricht davon nach Aegypten gekommen ist. Aber wie kann er sich vorstellen, daß Athen zu ihm kommen werde. Denn was ist Athen ohne den Menander, und was ist Menander ohne Glycera? Bin ich ihm nicht zur Einrichtung seiner Schauspiele nothwendig? Bin ich es nicht, die ihn auf den Beyfall, den sie erhalten, aufmerksam macht, und ihn in meinen Armen Muth und Erhohlung finden lasse? Nein, lieber Menander, was [362] mich freuete, war, daß nicht bloß deine Glycera, sondern daß auch Könige jenseits des Meeres dich lieben, und daß dein Ruf sich allenthalben hin verbreitet. Mögen nun diejenigen, die dich sehen wollen, nach Athen kommen, dich bey deiner Glycera suchen, und mein Glück bewundern: hier diesen Menander anschauen, der durch seinen Ruf überall, mit seiner Person aber nur bey mir lebt! Wünschest du inzwischen die Merkwürdigkeiten Aegyptens zu sehen, o! so schiebe mich nicht vor, um deine Weigerung zu begründen. Gieb nicht zu, daß die Athenienser mich darum hassen; sie, die schon das Getreide messen, das der König ihnen um deinetwillen senden wird. Reise mit allen guten Göttern, aber auch mit deiner Glycera. Denn daß ich zurückbleiben sollte, darauf rechne nicht! Ich könnte es nicht, wenn ich auch wollte. Nein! Ich verlasse Mutter und Schwestern, um mit dir zu Schiffe zu gehen. Ich vertrage die Seereisen sehr gut, und ich will dich pflegen wenn du von der Seekrankheit leidest. Eine zweyte Ariadne, werde ich dich, zwar nicht den Bacchus selbst, aber seinen Diener und Priester, nach Aegypten führen. Und du wirst mich in keiner Einöde verlassen. Ich fürchte nicht von dir die Untreue eines Theseus. Jeder Ort, Athen und der Piräeische Hafen und Aegypten, wird unserer Liebe einen gleich festen Boden darbieten. Und sollten wir auf Felsen verschlagen werden, so wird auch da der Sitz der Liebe für uns bereitet seyn.“

„Ich weiß, fährt sie fort, daß du weder Schätze noch Geld suchst. Du setzest dein Glück in mich und deine[WS 6] Kunst. Aber du hast Verwandte, Vaterland, Freunde, die viel bedürfen, und durch dich reich werden wollen. Ich kenne dich! Du wirst mich nie eines [363] großen oder kleinen Unfalls wegen anklagen, den ich dir zugezogen haben könnte. Seit langer Zeit bist du mir mit leidenschaftlicher Liebe ergeben gewesen, und jetzt ist Ueberlegung hinzugetreten. Dieß kettet mich noch mehr an dich, weil ich die kurze Dauer deiner Gesinnungen nicht mehr zu fürchten brauche.“ Denn eine Zuneigung, die nur auf Leidenschaft beruht, ist eben ihrer Heftigkeit wegen leicht vergänglich. Aber wenn das Band der Herzen sich auf Vernunft gründet, dann ist es unauflöslich. Es erhält dann neue Reitze durch die Uebereinstimmung der Sitten, und wird über die Furcht der Auflösung erhoben. „Sprich du selbst, du, der du mich dieß alles gelehrt hast! Also wie gesagt: ich fürchte nicht deine Vorwürfe. Aber ich fürchte die Atheniensischen Wespen, die mich anklagen werden, als ob ich ihnen durch meinen Rath einen Mann entzöge, der ihnen so viel Geld einbringt, daß sie ihn als den Gott des Reichthums betrachten. Laß uns daher die Sache noch weiter überlegen, Freunde und Götter zu Rath nehmen. – Ich will mich unterdessen gewöhnen, mein Vaterland und mein Landhäuschen nach und nach zu vergessen. Ich begreife noch nicht, wie ich mich von dem Allen trennen werde. Aber du kannst dich von mir nicht trennen. Du gehörst mir ganz an. Und wenn alle Könige an dich schrieben, ich würde dir mehr werth seyn, als ihre Gunst. Du bist treu, eingedenk deiner Schwüre. Aber komm bald zur Stadt, damit du, wenn du reisen willst, die Schauspiele aussuchest, die dem Könige am mehrsten gefallen werden. Ich rathe dir zu diesem und jenem (hier folgen die Nahmen einiger Schauspiele des Menander.) Doch bin ich nicht zu verwegen, daß ich dir im Urtheile über deine Stücke [364] vorgreife! Aber hat nicht deine Liebe dafür gesorgt, daß ich auch dieß beurtheilen kann! Du hast mich belehrt, daß ein Weib mit einigen Anlagen leicht von seinen Liebhabern lerne: daß Liebe uns leicht etwas beybringe, und daß nur die Unempfindlichen sich durch Ungelehrigkeit Eurer unwürdig machen. Ich bitte dich, lieber Menander, nimm auch diejenige Komödie mit, in der du mich aufgeführt hast, damit ich mit dir zum Ptolomäus reise, wenn du mich zurücklassen solltest. Er wird um so mehr fühlen, was er über dich vermag, wenn du nur das Bild deiner Geliebten mit dir nimmst, und das Original zurückläßt. Doch! wird auch dieß nicht zurückbleiben, verlaß dich darauf. Ich will lernen, dein Steuermann zu seyn, und dich selbst überführen u. s. w.“

Ein dritter Schriftsteller, der die Liebe zum Stoff seiner Redeübungen in der Briefform genommen hat, wird Aristänet genannt, so ungewiß es ist, ob die Sammlung die unter diesem Nahmen geht, ihm wirklich gehöre. Wer aber auch der Verfasser seyn mag; so ist es höchst wahrscheinlich, daß er nach dem Philostrat und Alciphron gelebt habe. Bey den vielen Unanständigkeiten, die in diesen Briefen vorkommen, fällt es doch auf, daß der Männerliebe keine Erwähnung darin geschieht. Ein Beweis, daß sie aus Zeiten herrühren, worin man das Schändliche dieser Ausgelassenheit immer mehr zu fühlen anfing. Auch zeigen sich hin und wieder Spuren der Verschämtheit bey den Weibern, die nicht zur Classe der Freudenmädchen gehören, welche früheren Zeiten nicht eigen sind. So wird von der Cydippe gesagt, sie habe die Liebeserklärung, die Acontius auf einen Apfel geschrieben hatte, nicht auslesen wollen:

[365] „Denn wohlerzogene Mädchen errötheten, wenn sie nur von Heirath reden hörten. [16]

Es sind im Grunde nur wenig Stücke in dieser Sammlung, die den Nahmen von Briefen verdienen, wenn gleich die Personen, von denen sie geschrieben seyn, und die sie empfangen haben sollen, darüber stehen. Man könnte sie besser abgerissene Stylübungen über die Liebe nennen. Einige enthalten Lobeserhebungen geliebter Personen: andere kleine Erzählungen u. s. w.

Aristänet verräth hin und wieder Gesinnungen wahrer Liebe. Der neunte Brief des zweyten Buchs scheint dem Tibull abgestohlen zu seyn. Der Liebende, der ihn schreibt, fürchtet die Strafe des Meineides für seine untreue Geliebte, und diese Besorgniß kümmert ihn noch mehr als die Beleidigung, die er erfahren hat. Er entschuldigt sie, und klagt nur sein Schicksal an. Er fleht die ewige Gerechtigkeit an, sie nicht zu strafen. Sollte sie auch wieder fehlen, so will er sie dennoch nicht gestraft wissen, und leichter sein Unglück, als das Bewußtseyn des ihrigen tragen. –

An einer andern Stelle [17] verräth er sehr verfeinerte Begriffe von dem Genuß der Geschlechtssympathie. Der entzückte Liebhaber erhebet die Gestalt seiner Geliebten, und fährt dann fort: „Nicht bloß ihre Gestalt, auch ihre Sitten gefallen mir. Denn, ob sie gleich zum Stande der Hetären gehört, so bewahrt sie doch ihre natürliche Einfachheit. Ihr Charakter ist tadellos, und ihr Betragen weit über ihrer Lage. Sie hat mich durch ihre Unschuld gewonnen. Das geringste Geschenk das [366] ich ihr darbringe, nimmt sie mit Dankbarkeit an, anstatt daß andre Weiber ihres Standes alles mit Verachtung erwiedern. Der Reitz unsers traulichen Beyeinanderseyns nimmt nie ab. Was soll ich von den heimlichen unnennbaren Freuden der Liebe sagen? Wie weiß sie meine Begierden zu entzünden! Wie angenehm, wie süß ist der Duft, den sie ausathmet! Oft ruhe ich ohne Schlaf ganze Nächte durch auf ihrer Brust, und küsse jeden Schlag ihres Herzens auf! O wie irren diejenigen, die nur einen Weg zur Wollust kennen! Häßliche können keine wahre Freuden geben. Freylich stillt man bey ihnen ein Bedürfniß, wie man den Hunger mit Speise stillt; aber Schönheit giebt Nahrung und Wohlgeschmack zugleich. Wie glücklich macht die Geliebte meine Tage! Man sagt, daß Abwesenheit die Liebe schwäche, und das Sprichwort: wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn, ist bekannt. Aber ich schwör’ es bey den Reitzen meiner Pythias! ich bin mit gleichem Verlangen, mit gleicher Liebe zu ihr zurückgekehrt. Ja! meine Liebe hat sich durch Abwesenheit noch vergrößert: meine Sehnsucht nach ihr hat sich verstärkt. Ich danke dem Schicksal, daß ihr Andenken sich immer lebhaft bey mir erhält! Und so kann man den Vers des Homers auf uns anwenden:

Freudig fügten sie sich in die Bande der dauernden Liebe.“

Beym Aristänet finden wir die erste Spur jener freywilligen Enthaltsamkeit vom unnennbaren Genusse, in der Absicht, die körperliche Lüsternheit zu erhöhen [367] und vor Sättigung zu bewahren. [18] An andern Stellen wird der Grundsatz aufgestellt, daß Entbehrung[WS 7] das Vergnügen erhöhe und dauernder mache: [19] daß die Vereinigung am süßesten sey, die durch Ueberwindung von Schwierigkeiten, Unruhe und Mühe erkauft wird: [20] und daß die Liebe oft durch verstellte Untreue herbeygeführt werde. [21] Kurz! die Grundsätze der Intrigue und der feineren Koquetterie finden sich hier bereits sehr ausgebildet. Natürliche Folge davon ist, daß diejenige Begeisterung bey dem Liebhaber entsteht, die den Hauptgenuß der Verbindung darin setzt, zu lieben und geliebt zu werden, die Schöne anzuschauen, und mit ihr zu reden. [22]

Ideen von Dienstleistung, Angehörung, Knechtschaft, dergleichen die Romane aus den Ritterzeiten so häufig aufweisen, erscheinen hier schon ganz bestimmt und klar. [23]

Ueberhaupt wird man die Uebereinstimmung der Galanterie des Mittelalters mit den Ideen des Aristänets über die Liebe nicht verkennen können. Eben so auffallend ist die Aehnlichkeit so vieler Züge bey unserm Verfasser, mit denen in den Romanen seiner Zeitgenossen. So wie in diesen wird das erste Entstehen der Liebe von den Zusammenkünften der beyden [368] Geschlechter in den Tempeln abgeleitet. [24] So wie in diesen ist das Wechseln des Bechers bey Trinkgelagen, als Symbol des Kusses, ein sehr gewöhnlicher Genuß der Liebenden. [25] So wie in diesen werden die Liebenden oft bloß darum in gewisse Situationen hinein versetzt, um Beschreibungen anzubringen. [26] So wie in diesen endlich werden die Aeußerungen der Lüsternheit mit ansteckendem Feuer beschrieben, [27] ihr Genuß äußerst fein gefühlt, [28] und besonders der Kuß als die unmittelbare Vereinigung der Seele geschildert. [29]

Uebrigens findet man beym Aristänet manchen Beytrag zur Kenntniß der Hetären seiner Zeit. Nach der Schilderung, die er von ihnen liefert, müssen sie den hervorstechenderen Buhlerinnen in Paris ziemlich geglichen haben. So findet man, daß einige unter ihnen von Neulingen ihres prächtigen Aufzugs wegen für vornehme Damen gehalten wurden, die sich dennoch dem erfahrneren Auge des Kenners auf den ersten Blick verriethen. [30] Der ganze Auftritt könnte ins Palais Royal, (so wie es vor der Revolution war) hinein verlegt werden. Einige unter den Hetären sahen weniger auf Reichthum als auf Schönheit, und folgten ihren Launen. [31] Einige waren auf dem Theater: machten [369] dort ihr Glück: gewannen durch die Celebrität ihrer Talente an Reitzen: hingen sich an einen Liebhaber, und wußten diesen so zu fesseln, daß sie durch ehliche Bande zum Range der Matronen erhoben wurden. Nun veränderte sich ihr ganzes Betragen, ja, sogar ihr Anstand, in Gang, Tracht und Reden. Sie nahmen einen Ton von Ehrbarkeit an, der ihnen so natürlich wurde, als ob sie ihn von Jugend auf beobachtet hätten. Sie veränderten ihren Nahmen, und konnten nicht empfindlicher beleidigt werden, als wenn man sie durch den Gebrauch des abgelegten an ihren vorigen Stand erinnerte. [32]

Ueberall zeigt sich Aristänet als einen sehr feinen Kenner der Welt und besonders des weiblichen Geschlechts. Wie wahr die Bemerkung, daß schöne Männer diesem oft durch den zu hohen Werth mißfallen, den sie auf ihre Figur legen, und daß sie durch das Gefühl beleidigt werden, daß der schöne Mann sie durch seinen Beyfall zu beehren glaubt. [33] Aber wie viel beweist dieß zugleich für das wachsende Ansehn des zärteren Geschlechts in der Gesellschaft!

[370]
Siebentes Kapitel.
Allgemeine Bemerkungen über das Wesen der griechischen Liebesgeschichten, ihren Ursprung und ihre Arten.

Es ist bekannt, daß man unter dem Nahmen der griechischen Erotiker einige Schriftsteller des späteren Alterthums zusammengefaßt, deren Arbeiten mit unsern heutigen Liebesromanen eine große Aehnlichkeit haben, und wahrscheinlich die ersten Vorbilder derselben gewesen sind.

Man hat viel über ihren ersten Ursprung gestritten. Um ihn zu bestimmen, hätte vorher der Begriff dieser Liebesgeschichten näher festgesetzt werden sollen.

Das Charakteristische dieser Kompositionen beruht theils in ihrem Inhalte, theils in ihrer äußern Form.

1) Den Stoff geben immer Begebenheiten her, denen man ihrer außerordentlichen Ursachen, Folgen und Verkettung wegen, sogleich das Erdichtete anmerkt. Es sind wunderbare Geschichten. In so fern gehören sie ins Gebiet der Imagination, und müssen nach den Regeln der Wahrheit, die in diesem gelten, beurtheilt werden. Allein sie gehen doch nicht dergestalt aus dem Kreise der wirklichen Welt (vorzüglich nach den Ideen der Zeitgenossen, für die sie geschrieben waren) heraus, um uns in eine Ideenwelt hineinzuschieben, worin übernatürliche Kräfte eben so übernatürliche Wirkungen hervorbringen. Es sind also nicht unglaubwürdige, sondern nur erstaunungswerthe Begebenheiten, die den Stoff zu diesen Liebesgeschichten [371] hergeben. Dieß unterscheidet sie denn ihrem Inhalte nach eben so sehr von der wahren Geschichte, als von der Fabel und dem Mährchen.

2) Die Einheit und das Hauptinteresse dieser Begebenheiten beruht allemahl auf Verwickelung und Auflösung des Schicksals eines liebenden Paars, durch Entstehung und Wegräumung derjenigen Hindernisse, die sich seiner Vereinigung entgegen setzten. Dieser Umstand unterscheidet die Liebesgeschichte dem Inhalte nach von der Epopoe, von dem Romane, der nicht die Liebe zum Gegenstande hat, von der Biographie, und von jeder Erzählung, deren Zweck nicht dahin geht, einen Knoten in den Schicksalen liebender Menschen zu schürzen und aufzulösen.

3) Die Absicht dieser Kompositionen ist nicht diese, eine Situation, eine Katastrophe, sondern eine Reihe von Begebenheiten zu erzählen, die durch ihren innern Zusammenhang mit dem Zwecke, der Ueberwindung großer Hindernisse zur Vereinigung zweyer Liebenden, ein Ganzes bilden. Dieß unterscheidet die Liebesgeschichte von der kurzen Erzählung, von dem Schauspiele, u. s. w. schon dem Inhalte nach.

4) Die Form ist nicht die der bildlichen Darstellung, wie der Dichter sie braucht: aber sie ist auch nicht die des Vortrags der Wahrheit, wie der Geschichtschreiber sie anwendet, um zu überzeugen, zu belehren und zu nutzen. Der Erotiker braucht den Ton des rednerischen Beschreibers, der die Neugier spannen, die Phantasie beflügeln, das Herz rühren will, um gegenwärtige Unterhaltung zu gewähren.

5) Aber er rechnet auf Unterhaltung in einem längeren Zeitraume, mehr für den Leser als für den [372] Zuhörer. Er ist umständlich, detailliert in seinen Beschreibungen, und überhaupt weitläuftiger, als man es dem bloßen Anekdotenerzähler, dem unterhaltenden Gesellschafter, selbst dem Volksredner auf der Bühne erlauben würde, welcher der Neugier einer gaffenden Menge durch wunderbare Geschichten Nahrung giebt.

Nach diesen Kennzeichen läßt sich der Begriff der griechischen Liebesgeschichte dahin angeben: Sie ist rednerische Beschreibung einer Reihe wunderbarer Begebenheiten innerhalb des Gebiets des gemeinen Lebens, deren Einheit und Hauptinteresse auf der Ueberwindung derjenigen Hindernisse beruht, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen.

Wenn man den Begriff der griechischen Liebesgeschichten so gefaßt hat; so wird man leicht einsehen, daß uns wenigstens keine Spur von einem solchen vor der Zeit der Antoninen verfertigten Werke übrig geblieben ist. Ganz etwas anders ist es, in andern Zusammensetzungen der Einbildungskraft dem Ursprunge der griechischen Liebesgeschichten nachspüren zu können; ganz etwas anders diese in ihrer vollständigen Form in früheren Zeiten vorfinden.

Die Milesischen Fabeln sind höchst wahrscheinlich Erzählungen unglaublicher Begebenheiten gewesen, zu denen die Liebe zuweilen, aber gar nicht ausschließlich, den Stoff hergegeben hat. Liebesgeschichten kann man sie eben so wenig nennen, als die Feenmährchen der neueren Litteratur.

Die Odyßee des Homer würde eher diesen Nahmen verdienen, wenn das Interesse, welches die Trennung des Ulysses von der Penelope und ihre Wiedervereinigung erweckt, die Axe wäre, um die sich das [373] Ganze drehte, und wenn der Vortrag mindern Anspruch auf poetische Darstellung machte. Aber Homer hat gewiß nicht die Absicht gehabt, uns vorzüglich mit den Schicksalen der beyden Ehegatten, als eines liebenden Paars, zu unterhalten, und sein Ton ist keinesweges derjenige, eines rednerischen Beschreibers.

Unstreitig hat die Tragödie des Euripides, die den Nahmen Helena führt, so vieles von der griechischen Liebesgeschichte an sich, daß sie mit sehr geringer Mühe dazu umgeschaffen werden könnte. Eben dieß gilt von mehreren Komödien beym Terenz und Plautus. Aber es ist auffallend, daß nur eine Hauptsituation, eine Katastrophe aus dem Leben des liebenden Paares, nicht die ganze Reihe der Schicksale ihrer Liebe dargestellt wird, und daß die dialogische Form der rednerischen Beschreibung völlig widerspricht.

Viel näher liegen den griechischen Liebesgeschichten die Geschichten wunderbarer Begebenheiten, von denen uns Photius [34] eine, unter dem Titel: von den wunderbaren Merkwürdigkeiten der Insel Thula, im Auszuge aufbewahrt hat. Der Verfasser, Antonius Diogenes, hat kurz nach Alexander dem Großen gelebt. Nach diesem Auszuge zu urtheilen, hat Diogenes im Tone des wahren Geschichtserzählers geschrieben, und seine Absicht ist dahin gegangen, die Neugier seiner Leser durch umständliche Beschreibungen zu spannen und zu befriedigen, die zugleich ihre Phantasie in eine ungewöhnliche Thätigkeit versetzen [374] sollten. Dieß hat viel vom Charakter des Romans. Es kommen sogar zwey Liebende, Dinias und Dercillis, darin vor. Demungeachtet kann man dieß Produkt für keine Liebesgeschichte halten. Dinias und Dercillis spielen bloß die Rollen leidender Wesen, denen viel Wunderbares begegnet, was aber mit ihrer Liebe in keinem unmittelbaren Verhältnisse steht. Die Ueberwindung der Hindernisse, die sich der Vereinigung des liebenden Paares entgegensetzen, war es nicht, welche den Leser hauptsächlich interessieren sollte. Der Roman schmückte nur die Reisebeschreibung.

Aus eben diesem Grunde kann man die Geschichten des goldenen Esels vom Lucius von Patras, vom Lucian und Apulejus nicht zu diesen Romanen rechnen: um so mehr da die Verfasser gleich durch den Inhalt ankündigen, daß sie Lachen erregen wollen, und auf Ueberzeugung und Rührung, selbst im Gebiete der Beschauung, keinen Anspruch machen.

Die Geschichte der Psyche beym Apulejus hat zwar Vieles, was sie den erotischen Produkten nähert; allein die Begebenheiten der beyden Geliebten gehen nicht allein aus dem Gebiete des gemeinen Lebens heraus, sondern ihre Darstellung ist auch zu kurz, zu gedrängt, als daß sie für etwas anders, als ein kurzes Mährchen gelten könnte.

Das Leben des Apollonius Tyanensis vom Philostrat hat den Geschmack an den Unterhaltungen der Neugier durch eine rednerische Beschreibung wunderbarer Begebenheiten sehr vermehren müssen. Es ist sogar zu glauben, daß die Zauberer, die im Heliodor, und weiterhin in den Romanen des Mittelalters [375] vorkommen, diesem Apollonius Vieles von ihrer Entstehung verdanken. Inzwischen sieht ein Jeder ein, daß diese Biographie nichts von einer Liebesgeschichte an sich trägt.

So nahe nun der Gedanke zu liegen scheint, aus einer Epopoe, aus einem Schauspiele, dessen Interesse auf Liebe beruht, aus der kurzen Erzählung einer Liebschaft, aus einer wunderbaren Geschichte oder Lebensbeschreibung, ein Produkt zusammen zu setzen, das der griechischen Liebesgeschichte gleicht; so gewiß es ist, daß der erste Verfasser einer Liebesgeschichte durch alle jene vorgängigen Produkte der Einbildungskraft, des Witzes und der Empfindung, zu seiner Komposition gleichsam von selbst hingeführt ist; so läßt es sich doch zugleich sehr wohl begreifen, warum Werke dieser Art erst späterhin, entstanden sind. Zweyerley ward dazu erfordert, um ein Publikum zu finden, das daran Geschmack finden konnte. Größeres Interesse an der Intrigue der Liebe, und Verfall des Geschmacks an Poesie und wahrer Geschichte.

So lange der Mensch kein ernsthaftes Geschäft aus dem Bestreben nach Vereinigung mit dem andern Geschlechte macht; so lange wird ihm das Detail der Schwierigkeiten, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen, und die Darstellung ihrer Ueberwindung nie in der Maße interessieren können, um eine weitläuftige Geschichte darüber mit Vergnügen zu lesen. Er wird an einer kurzen Erzählung, wozu die Liebe den Stoff hergiebt, an einer dramatischen Darstellung einer hervorstechenden Situation in den Verhältnissen zweyer Liebenden Vergnügen finden; aber eine Biographie des liebenden Paars, eine Epopoe [376] ihrer Schicksale zu lesen; dazu fehlt es ihm an Geduld.

Ferner: so lange der Dichter im Schauspiele, oder durch Deklamation der poetischen Erzählung dem Zuhörer den feineren und edleren Ausdruck der Liebe, und das Interesse zuführt, welches die Verwickelung der Schicksale zweyer Liebenden gewährt, so lange wird das Publikum dieß nicht in der Form einer rednerischen Beschreibung lesen wollen.

Also erst in der Zeit als der Mensch, von allem politischen Interesse abgezogen, sich um die Verknüpfung der Weltbegebenheiten wenig bekümmerte, den Genuß des Lebens immer mehr in den Freuden der Geselligkeit und engerer Verbindungen suchte, und aus dem Bestreben nach dem Besitz eines Herzens ein ernsthaftes allgemein wichtiges Geschäft zu machen anfing; in der Zeit als zugleich der Geschmack an Wettrennen und Pantomimen das Schauspiel und die Deklamation der Dichter verdrängt hatte; erst da fing man an, die rednerischen Beschreibungen einer Liebesintrigue mit Vergnügen zu lesen.

Nunmehr fanden sich Rhetoren und Sophisten, die Epopoen in wunderbare Liebesgeschichten umschufen, Schauspiele dazu ausspannen, und Idyllen, Lieder, Elegien, ja, jede Art von Redeübungen in dieselben einreiheten.

So entstanden die Erotiker.

Es sind gewiß eine Menge dieser Arten von Liebesgeschichten verloren gegangen. Die erste, von der wir eine gewisse Spur haben, ist im zweyten, die letzte von der wir die Zeit der Verfertigung angeben können, gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschrieben [377] worden. Wie vielfache Veränderungen mag der Geschmack unterdessen erlitten haben! Inzwischen sehen sich diejenigen, die uns übrig geblieben sind, noch so ziemlich ähnlich: und dieß hat manche zu der Behauptung verführt, daß der eine allemahl dem andern nachgeahmt habe. Heliodors Liebesgeschichte, Aethiopika, soll die allgemeine Quelle seyn, aus dem alle übrigen geflossen sind.

So wenig sich mit Gewißheit etwas darüber festsetzen läßt, wie die uns noch übrigen Erotiker, (außer dem Jamblich, Heliodor und Prodromus) in der Zeitfolge hinter einander her gelebt haben; so sicher scheint es mir zu seyn, daß sie keinesweges einem und dem nehmlichen Vorbilde gefolgt sind. Sie lassen sich ziemlich bestimmt, dem Inhalte und der Form nach, auf drey Classen bringen, von denen die eine Spuren eines höheren Alters, die zweyte Spuren eines mittleren, die dritte Spuren der Jugend an sich trägt.

Unbekümmert darum ob Jamblich, Chariton und Xenophon früher gelebt haben als Achilles Tatius und Longus, und diese wieder früher als Heliodor und Prodromus; behaupte ich so viel, daß das Original, welches die ersten beyden vor Augen hatten, älter war, als dasjenige, dem die nachher genannten nacharbeiteten, und daß die zuletzt angeführten unstreitig den jüngsten Geschmack unter allen, in ihren Werken verrathen.

Ich werde dieß bey der Anzeige ihrer Werke näher auseinander setzen, und ich will hier nur vorläufig die dreyfachen Charaktere der uns noch übriggebliebenen Erotiker angeben.

[378] Jamblich, Xenophon und Chariton haben in der ältesten Manier geschrieben.

Das Interesse beruht auf der Trennung zweyer bereits vermählter Gatten, und ihrer Wiedervereinigung, nachdem sie von den Verfolgungen mächtiger Nebenbuhler viel gelitten haben. Die Charaktere der Liebenden sind heftig, vordringend, thätig geschildert, und wirken wenigstens eben so viel als die äußern Umstände auf ihr Schicksal ein. Die Begebenheiten haben viel von den wunderbaren Begebenheiten der Mährchen des Lucians und Apulejus an sich, und der Styl nähert sich dem der Geschichte.

Man kann die Liebesgeschichte in dieser Manier wunderbare Geschichten der Standhaftigkelt und Treue zweyer Gatten nennen, etwa wie Menelaus und Helena beym Euripides erscheinen. Trauerspiele, und wie ich noch mehr vermuthe, Pantomimen, haben bey der Bearbeitung zum Grunde gelegen. Schon das Mährchen der Psyche zeigt etwas von dem angegebenen Charakter, und hat wahrscheinlich einer ähnlichen Veranlassung sein Entstehen zu verdanken.

Die zweyte, mittlere Manier finde ich im Achilles Tatius, und Longus.

Hier beruht das Interesse darauf, zwey nicht verheirathete Personen zur engsten Vereinigung in der Ehe zu bringen. Das Ziel der Intrigue ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in der Schamhaftigkeit der Geliebten, sondern in äußern Umständen, in Unerfahrenheit, in der Furcht vor den Folgen. Der Charakter des Liebhabers und der Geliebten, beyde zeigen sich so träumend,[WS 8] leidend [379] und unthätig, als es nöthig ist, um sie zum baaren Balle des Schicksals zu machen. Die Phantasie der Verfasser ist eben so üppig in den Beschreibungen der äußern Verhältnisse, als lüstern in der Darstellung der Empfindungen des liebenden Paares. Der Styl hat alle Fehler der Sophisten und Rhetoren an sich. Die Erotiker aus dieser Classe, scheinen durch die Komödie vorzüglich zu ihren Kompositionen geleitet zu seyn.

Die dritte und jüngste Manier ist die des Heliodor, und seines offenbaren Nachahmers, des Prodromus.

Diese scheint durch die alte Epopoe, besonders durch die Odyssea, auf die Bahn ihrer Kompositionen geleitet zu seyn. Auch hier macht die Vereinigung der beyden Liebenden durch die Heirath das Ziel der Intrigue aus. Aber diese Liebenden sind Helden. Wahre Keuschheit, bey dem Jünglinge sowohl als bey der Jungfrau, Seelenadel, unverbrüchliche Treue und Standhaftigkeit zeichnen sie aus, und sie überwinden durch diese Tugenden alle Hindernisse, die sich ihrer gänzlichen Vereinigung entgegen setzen. Der Charakter des Mädchens wird noch über den des Jünglings emporgehoben, und zieht das Interesse besonders auf sich. Der Styl ist etwas gezüchtigter, als der des Tatius und des Longus, aber rednerischer als derjenige, der die früheste Manier bezeichnet.

[380]
Achtes Kapitel.
Jamblichius, Chariton Aphrodinensis und Xenophon.

Der erste Roman, von dem wir Nachricht haben, ist vom Jamblichius. Er führt den Titel: Von den Schicksalen des Rhodanes und der Sinonis, und soll zu den Zeiten des Markus Antoninus geschrieben seyn; also gegen das Ende der vorigen Periode. Ich habe aber bis hieher die Anzeige seines Daseyns verspart, um den Zusammenhang nicht zu unterbrechen.

Wir kennen ihn bloß aus einem Auszuge den Photius [35] uns davon geliefert hat. Es ist schwer, den ganzen Lauf der Begebenheiten aus dem magern und unordentlichen Vortrage dieses Epitomators klar zu übersehen. Aber so viel fällt auf:

1) Die Helden des Romans, Rhodanes und Sinonis, sind verheirathet. Garmus, König von Babylonien, verliebt sich in die Sinonis, und sucht sie in seine Gewalt zu bekommen. Das Interesse beruht auf den Gefahren, welche den beyden Gatten aus dieser Verfolgung für ihre Vereinigung drohen, die jedoch am Ende erfolgt[WS 9].

2) Die Begebenheiten erscheinen theils an sich selbst, theils in ihrer Verkettung äußerst wunderbar. Gespenster, Zauberer, Ungeheuer, kurz, eine Menge übernatürlicher Maschinen spielen dabey ihre Rollen. Inzwischen liegen diese nach den Begriffen der damahligen [381] Zeit nicht außer dem Kreise des Glaubwürdigen, und

3) Die Charaktere der beyden Gatten zeigen eine Selbstthätigkeit, die ihre Schicksale mit regiert. Die Eifersucht der Sinonis geht so weit, daß sie sich sogar mit einem andern Manne vermählt, und Rhodanes nimmt sie seinem Nebenbuhler mit den Waffen in der Hand wieder ab. Endlich

4) versichert uns Photius, daß der Styl des Jamblichius seiner Methode und seiner Würde wegen, sich dem der wahren Geschichte genähert habe.

Chariton Aphrodinensis hat uns die Liebesgeschichte des Chereas und der Callirrhoe geliefert.

Diese beyden Personen in Syrakus, und daselbst von den angesehensten Eltern geboren, sehen sich im Tempel der Venus, lieben sich, und werden mit einander verheirathet. Die Nebenbuhler des Chereas, neidisch über sein Glück, bestechen eine der Sklavinnen der Callirrhoe, ihren Liebhaber unter solchen Umständen ins Haus zu lassen, welche den Verdacht erregen, als wenn er zu ihrer Gebieterin ginge. Chereas wird zu gleicher Zeit von der vorgeblichen Untreue seiner Gattin unterrichtet: sieht, daß der Liebhaber in der Kleidung eines Mannes, der auf gut Glück ausgeht, in sein Haus schleicht; stürzt ihm nach, und mißhandelt, da der Buhle seiner Verfolgung entwischt, das treue Weib auf eine so grausame Art, daß es für todt hinfällt.

Callirrhoe wird begraben. Aber sie erwacht im Grabe, und Räuber, die es plündern wollen, führen sie gefangen mit sich fort. Sie wird nach Milet gebracht, und einem reichen Ionier, Dyonisius, verkauft. [382] Dieser verliebt sich in sie. Sie nennt den Nahmen ihres Vaters, und ihren Stand: aber des Chereas und ihrer Verheirathung mit ihm erwähnt sie nicht. Sie verwirft Anfangs die Anträge des Dyonisius: bis sie sich schwanger vom Chereas fühlt. Aus Besorgniß, daß ihr Kind in der Knechtschaft geboren werden möge, giebt sie dem Zureden der Sklavin Plangon Gehör, und dem Dyonisius ihre Hand. Nach sieben Monaten gebiert sie ein Kind, das ihr zweyter Gemahl gutmüthig für das seinige erkennt.

Chereas erfährt unterdessen, daß Callirrhoe aus dem Grabmahle entführt, und nach Milet verkauft sey. Er eilt dahin, und wird von ihrer Verheirathung unterrichtet.

Die Leute des Dyonisius, die aus seinem Betragen Verdacht schöpfen, daß er etwas wider Callirrhoe unternehmen möge, rufen Perser zu Hülfe, die ihn mit seinem Freunde Polycharmus fangen, und Beyde nach Carien an den Statthalter Mithridates verkaufen. Hier müssen sie die niedrigste Sklavenarbeit verrichten.

Calirrhoe nennt im Schlafe des Chereas Nahmen. Dyonisius geräth darüber in Eifersucht, und sie gesteht ihm, daß es der Nahme ihres ersten Gemahls sey. Sie erfährt bald darauf, daß Chereas in Milet gewesen sey. Dyonisius wird dadurch in äußerste Unruhe versetzt. Allein die Nachrichten, welche ihm seine Leute gaben, daß Chereas todt, und sein Schiff zu Grunde gerichtet sey, beruhigen ihn wieder. Er giebt der Callirrhoe Nachricht von dem Tode ihres ersten Gatten. Diese bricht in die heftigsten Klagen aus, und will Anfangs sterben. Sie läßt es aber [383] nachher dabey bewenden, ihrem Chereas zu Ehren ein Leichenbegängniß anzustellen, und ihm ein Denkmahl zu errichten. Bey dem Leichenbegängnisse ist auch der Herr des Chereas, Mithridates, zugegen, der sich aufs heftigste in Callirrhoe verliebt.

Durch einen Zufall erfährt dieser Mithridates, daß Chereas, der erste Gemahl seiner angebeteten Callirrhoe, sein eigner Sklave sey. In der Hoffnung, ihr näher zu kommen, wenn er sie nur dem reichen und mächtigen Dyonisius entrissen haben würde, befördert er die Absichten des Chereas. Er schickt heimlich jemanden ab, welcher der Callirrhoe einen Brief ihres ersten Gemahles einhändigen soll, worin dieser sie um Rückkehr ihrer Liebe zu ihm bittet.

Allein dieser Brief fällt dem Dyonisius in die Hände, der bey dem Artaxerxes, dem Könige der Perser, eine Klage gegen den Mithridates darüber anbringen läßt, daß dieser ihm seine Gattin habe verführen wollen.

Der König fordert beyde nebst der Callirrhoe vor sich. Am Tage des Gerichts läßt Mithridates den Chereas vortreten, der sogleich von Callirrhoe für ihren ersten Gemahl anerkannt wird. Die Sache wird dadurch äußerst verwickelt. Chereas hat die ersten Rechte auf Callirrhoe, aber er hat sie umgebracht, sie ist von den Todten auferstanden, Dyonisius hat sie aus der Sklaverey gerettet, und sie hat ihm einen Sohn geboren. Um die Schwierigkeiten zu häufen, muß Artaxerxes sich noch dazu in die schöne Syrakusanerin verlieben. Er schiebt das Urtheil auf, und seine Gemahlin Statira nimmt sie in ihr Gefolge auf. Callirrhoe verwirft standhaft die Anträge, die ihr der König durch seinen Liebling [384] Artaxates machen läßt. Versprechungen und Drohungen vermögen nichts über sie. Sie hängt mit Treue an ihrem Chereas. Unterdessen empört sich Aegypten; der König zieht mit Weib und Schätzen gegen die Rebellen zu Felde, und Callirrhoe muß ihn unter dem übrigen Gefolge begleiten. Dyonisius geht gleichfalls mit zu Felde: er ist Unterthan des Königs, und hofft für die Dienste, die er dem Könige leisten würde, Callirrhoe zum Preise davon zu tragen.

Chereas, kein Unterthan des Königs, ist zurückgeblieben. Dyonisius hat die Nachricht aussprengen lassen, der König habe ihm Callirrhoen gegeben, um dadurch dem Chereas alle Hoffnung zu rauben, sie jemahls zu besitzen, und ihn von seinen Ansprüchen zurückzubringen. Chereas will sterben: allein Polycharmus bewegt ihn, vorher Rache an dem Könige zu nehmen. Beyde gehen zu dem Feinde über. Chereas zeichnet sich durch die Einnahme von Tyrus aus, erhält das Kommando der Flotte, erobert die Insel Aradus, wohin der König seine Weiber und Schätze hatte bringen lassen, und findet auch hier seine Callirrhoe und die Königin Statira. Unterdessen ist der König zu Lande glücklicher gewesen, und hat die Rebellen mit Hülfe des Dyonisius geschlagen. Dieser erhält dafür das Versprechen, daß ihm Callirrhoe zurückgegeben werden soll. Allein Chereas kehrt mit seiner Gattin nach Syrakus zurück, nachdem er vorher dem Könige von Persien seine Gemahlin wieder zugesandt hatte.

Callirrhoe glaubt, daß Billigkeit und Erkenntlichkeit es fordern, dem Dyonisius einige Nachricht von ihrer eigenen Hand zu geben. Sie thut es, ohne dem Chereas, dessen Eifersucht sie kennt, davon zu benachrichtigen. [385] Der Inhalt des Briefes bezeugt Dankbarkeit und Anhänglichkeit wegen des gemeinschaftlichen Sohnes. Sie empfiehlt diesen seiner Sorge und Erziehung, und bittet, daß er ihm keine Stiefmutter geben möge. Sie wünscht, daß wenn er erwachsen seyn würde, Dyonisius ihn mit der Tochter, die er aus der ersten Ehe hat, verheirathen, und ihn nach Syrakus senden möge, damit er seinen Großvater kennen lerne. – Lebe wohl, setzt sie hinzu, und vergiß deine Callirrhoe nicht.

Dyonisius glaubt in diesem Briefe Spuren zu finden, daß Callirrhoe ihn ungern verlassen habe, und tröstet sich mit dem Sohne, mit der Erinnerung an das genossene Glück, und mit der Oberherrschaft über Ionien, die ihm der König eingeräumt hat.

Der Stoff zu diesem Romane ist vortrefflich, und gewiß so dramatisch, als möglich. Aber freylich, er ist in ungeschickte Hände gerathen, und die Behandlung entspricht dem Gedanken nicht.

Der Hauptfehler beruht darin, daß Callirrhoe ihre Verheirathung mit dem Chereas ohne alle Noth verschweigt, und daß auf diesem höchst unwahrscheinlichen Umstande die ganze Verwickelung beruht.

Außerdem wird das Interesse zu sehr zwischen dem Chereas und dem Dyonisius getheilt. Dieser erscheint als ein so würdiger Mann, als ein so zärtlicher Gatte, daß man ihm die Callirrhoe fast eben so sehr als dem Chereas gönnt.

Vielleicht würden aber alle diese Fehler übersehen werden, wenn die Erzählung nicht so äußerst langweilig und ermüdend wäre. Aber die ewigen Reden, die der Verfasser seinen Helden in den Mund legt, und die häufigen Wiederholungen der Begebenheiten, die wir [386] schon wissen, ermüden den Leser auf eine unausstehliche Art.

Mich dünkt, die Aehnlichkeit der Ideen in dem Romane des Jamblichius, und dem des Chariton sey unverkennbar. Es scheint mir, daß Chariton das Ende der Liebesgeschichte des Rhodanes und der Sinonis bey seiner Komposition vor Augen gehabt habe.

Gleich die Intrigue ist bey Beyden die nehmliche. Es sind Gatten, die getrennt sind, und deren Treue und Standhaftigkeit über die Hindernisse siegt, die sich ihrer Vereinigung entgegen setzen. Die Eifersucht spielt in beyden eine wichtige Rolle. In beyden ist sie ungerecht, aber nicht ohne Veranlassung und Enschuldigung.

In beyden werden die Gattinnen an einen dritten Mann verheirathet, aber durch die Tapferkeit des ersten Gatten wieder gewonnen. In beyden haben endlich die Schönen von den Verfolgungen mächtiger Könige zu leiden.

Wichtiger noch ist die Aehnlichkeit in der Anlage der Charaktere, und in dem Einflusse der Handlungsart der Liebenden auf ihre Schicksale. Sie sind thätig, rasch, und stürzen sich dadurch in Schwierigkeiten, die unabhängig von den Zufalle, auf ihre Lage gegen einander wirken, die sie aber auch durch eigene Kraft überwinden.

Chariton hat in seinem Style nichts von dem Gekünstelten, und Blumenreichen der Rhetoren und Sophisten. Er nähert sich den älteren Geschichtschreibern, mit denen er vertraut gewesen seyn muß.

Es läßt sich nicht behaupten, daß Chariton unmittelbar auf den Jamblich gefolgt sey, aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß der erste diesen zum Vorbilde genommen [387] habe, oder daß sie Beyde nach einem noch früheren Muster gearbeitet haben.

Der Zweck beyder Geschichten scheint dieser zu seyn, zu zeigen, wie treue und standhafte Liebe endlich über alle Hindernisse, selbst über diejenigen siegt, welche die Liebenden durch die Heftigkeit ihrer Leidenschaft, und durch Unvorsichtigkeit sich selbst entgegen setzen.

In beyden erscheint der Gatte treuer, und zu größeren Aufopferungen fähig, als die Gattin. Diese kann einen dritten heirathen, Sinonis aus Eifersucht, Callirrhoe aus mütterlicher Zärtlichkeit. Rhodanes will gerne sterben, als er die Untreue seiner Gattin erfährt: es geht ihm nahe, daß er vom Kreuze abgenommen wird. Chereas ruft mitten unter seinen Besorgnissen, ob Callirrhoe nicht dem Dyonisius zu Theil werden wird, aus: Wohlan theure Gattin – noch nenn’ ich dich mit diesem süßen Nahmen, wenn du gleich einen andern liebst – lebe glücklich! Ich will dich nicht im Genusse eines Schicksals stören, das du für günstig hälst! Nimm denjenigen zum Gemahl, der dir am besten gefällt! Laß mich sterben, und schenke nur meinem Tode eine Thräne!

Ueberhaupt hat Chariton den Charakter eines leidenschaftlich liebenden Jünglings sehr gut geschildert. Fähig, in der ersten Aufwallung der Eifersucht selbst gegen den geliebten Gegenstand zu wüthen, ist er zugleich im Stande, seinen Fehler durch langjährige Büßungen wieder gut zu machen, und sich sogar für das Glück der Gattin selbst aufzuopfern. Dyonisius hat dagegen bey reiferen Jahren zwar mehr sorgsame Aufmerksamkeit für die Callirrhoe, aber es scheint ein feiner Egoismus durch sein Betragen durch, der dem Glück der Geliebten alles, [388] nur nicht den Besitz ihrer Person, sollte er sich diesen auch wider ihren Willen aneignen, aufopfern kann.

Unanständigkeiten läßt sich Chariton nicht zu Schulden kommen. Aber der Betrug, den Callirrhoe ihren beyden Gatten spielt, besteht gewiß nicht mit Sittlichkeit.

Ich bin zweifelhaft, ob ich den Xenophon Ephesius vor oder nach dem Chariton setzen soll. Beyde haben viel Aehnlichkeit mit einander, selbst in den einzelnen Schicksalen, die sie ihren Helden widerfahren lassen. Aber dem Xenophon hatte die Natur ein zärteres Herz, hatten die Musen eine schönere Diktion gegeben. Er steht dem Chariton an Genie nach, aber an Geschmack geht er ihm vor. –

Ich muß es mir zum Gesetz machen, von jeder Art der griechischen Liebesgeschichten nur eine im Auszuge zu liefern. Ohnehin ist der gegenwärtige dem Publiko durch eine gute Uebersetzung von Bürger hinlänglich bekannt. Also nur einige Bemerkungen über das Ganze.

Die Bewerbungszeit der beyden Liebenden wird nur kurz, aber mit Wahrheit und interessant dargestellt. Die Idee, den Streit zwischen Liebe auf der einen[WS 10], Stolz und Schamhaftigkeit auf der andern Seite darzustellen, ist hier neu, und verräth das Zeitalter.

Die beyden Liebenden werden verheirathet. Die Beschreibung der Hochzeitnacht hat die zarteste Empfindung eingegeben. Ich widerstehe nicht der Versuchung, sie hieher zu setzen. Sie zeigt, wie sehr man damahls die Freuden der Sinnlichkeit durch das Herz, das sie darbot, zu heben, und dadurch ihren Genuß zu erhöhen wußte.

[389] „Beyde waren von gleichem Gefühl durchdrungen, und lange wollt’ es keiner wagen, den andern anzureden, oder nur die Augen gegen ihn aufzuheben. Schmachtend vor Scham und Wonne lagen sie da. Eine wollüstige Ahnung hob ihre Busen, und süße, nie gefühlte Schauer durchdrangen ihr ganzes Wesen. Endlich erhohlte sich Abrokomas zuerst, und schlang seine Arme um Anthien, deren Gefühl in Thränen ausbrach. „O selige Nacht, rief der entzückte Jüngling, endlich, endlich bist du mir doch einmahl erschienen! O der traurigen, die ich durchquälen mußte, waren so viel! Süßes, theures Mädchen, theurer mir als das Licht meiner Augen! Sag’ mir, bist du nun auch von Herzen froh? Sey es, bestes Mädchen, du sollst an mir einen Gemahl haben, wie ein gutes Weib ihn nur immer wünschen kann!“ – So sprach er, und küßte ihre süßen Thränen weg. – „Ach Abrokomas, hub das schüchterne Mädchen an, findest du mich wirklich schön, du Schönster? Aber warum mußtest du selbst gegen deine Liebe ankämpfen! Doch ich verzeihe dir gern. Meine eigne Marter zeigt mir, was du gelitten haben mußt. Nimm nun dafür meine Thränen hin, und trockne sie mit deinen schönen Locken. Komm! wir wollen nun ganz eins, uns aneinander schmiegen und umschlingen, unsre Kränze mit diesen Thränen tränken, und ihnen unsere Liebe mittheilen.“ So sprach sie, umschlang schmeichelnd seinen Nacken, und trocknete ihre Augen mit seinen Locken. Nachdem sie ihre Kränze wieder in Ordnung gebracht hatten, fügten sie küssend Lippen an Lippen, und jeder Gedanke, jedes Gefühl ward aus der Seele des einen in die Seele des andern durch Küsse gesendet. Anthia rief, als sie seine Augen küßte. „O wie oft [390] habt ihr mich betrübt! den ersten Pfeil der Liebe habt ihr in mein Herz geschossen! Aber ihr vormahls stolzen, nun so zärtlichen Augen, habt mir auch hernach die schönste Wohlthat erwiesen; ihr habt Liebe in des Abrokomas Busen eingelassen. O dafür küß’ ich euch nun tausendmahl, und gebiete meinen Augen, auf jeden eurer Winke zu achten. Ach möchtet ihr immer nur mich anschauen, und eurem Besitzer nie eine andere Schönheit verrathen! Den meinigen soll gewiß nimmermehr ein Anderer schöner erscheinen als Abrokomas. Empfangt die Huldigung der Herzen, die ihr überwunden habt, und erhaltet sie im ewigen Gehorsam.“ So schmeichelten die beyden Liebenden einander, bis sie in eins geschlungen allmählich zur Ruhe sanken. Sie genossen der ersten Früchte der Liebe, und eiferten die ganze Nacht durch, um in die Wette zu zeigen, welcher von Beyden der zärtlichste wäre.

Eben so interessant ist das feyerliche Gelübde ewiger Treue, welches die beyden Gatten nachher im Angesicht der Inseln Cos und Gnidus ablegen. Es ist der Ausdruck der reinsten Zärtlichkeit.

Aber das feindliche Schicksal fängt bald an, die Liebenden zu verfolgen. Ihre Standhaftigkeit wird auf mannigfaltige Proben gesetzt. Merkwürdig, höchst merkwürdig ist es, daß Anthia selbst ihren Geliebten bittet, sich in den Willen einer mächtigen Nebenbuhlerin zu ergeben, um sein Leben zu retten, und nur ihrer noch ferner zu gedenken. Eine wahrhaft liebende Empfindung!

Anthia sucht ihre Unschuld auf verschiedene Weise zu bewahren. Einmahl nimmt sie Gift: aber der fromme Betrug eines Arztes hatte ihr einen Schlaftrunk untergeschoben. [391] Sie wird begraben, erwacht, und Räuber, die das Grab plündern, führen sie mit sich weg. –

Die Aehnlichkeit dieser Situation mit derjenigen, welche Chariton darstellt, beweiset einen gewissen Kreis von Vorstellungen, in dem sich die Erotiker vorzüglich gern herumtrieben.

Ein anderes Mahl rettet sich Anthia durch das Vorgeben, daß sie der Göttin Isis geheiligt sey, und aus Ehrfurcht für die Göttin wird ihrer Keuschheit geschont. Dieß Mittel hilft noch einmahl in einem ähnlichen Falle. Mehrere Spuren deuten hin auf die Vermischung des Aegyptischen Aberglaubens mit Ideen von dem Werthe der Jungfrauschaft.

Anthia wird selbst durch die eingebildete Ueberzeugung von ihres Gatten Untreue nicht bewogen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. „Die Noth wird ihn gezwungen haben, ruft sie aus; mögen die Götter seinen Meineid nicht rächen! Mir ziemt es demnach, keusch zu sterben.“ – Als sie sich einst vor den Angriffen eines Unholds gar nicht weiter retten kann, so stößt sie diesem das Schwert durch die Brust.

Nicht minder treu, nicht minder zärtlich wird Abrokomas dargestellt. Sein Charakter ist aber für sein Geschlecht zu duldend, zu weichlich. Anthia zieht mehr als er das Interesse auf sich.

Was unsern Xenophon besonders auszeichnet, ist sein Hang, die Männer durch eine schmelzende Empfindsamkeit und eine hinschmachtende Beständigkeit interessant zu machen. Wir finden hier einen Hippothous, der aus Gram über den Verlust eines Lieblings zum Räuber geworden ist, nichts weiter von ihm übrig behalten hat, als seine Haarlocken, und diese noch lange [392] nachher mit seinen Thränen benetzt. Wir finden einen Fischer, der den zärtlichsten Umgang mit dem einbalsamierten Körper seiner Geliebten fortsetzt, und dem Abrokomas den Ausruf abpreßt: daß echte Liebe nie ältere. –

Auffallend, und nur aus der Vorliebe der Sophisten für den Geschmack des ältern Griechenlands zu erklären, ist die Unbefangenheit, mit der von der ausgelassenen Liebe zu den Lieblingen, bey so vielen Spuren einer verfeinerten Sittlichkeit geredet wird.


Das Gedicht des Musäus, Hero und Leander, gehört eigentlich nicht in die Classe der Liebesgeschichten. Aber der Geist, der darin herrscht, der Charakter und die Situation der Liebenden, gewisse hervorstechende Ideen über das Entstehen, den Zweck und den Genuß der Liebe, geben ihm eine auffallende Aehnlichkeit mit den Romanen in der Manier, die ich eben bezeichnet habe.

[393]
Neuntes Kapitel.
Achilles Tatius, Longus und Eusthatius.

In der zweyten mittleren Manier der Geschichtschreiber der Liebesschicksale eines verbündeten Paares haben Achilles Tatius und Longus geschrieben.

Der erste hat uns die Liebesgeschichte des Clitophon und der Leucippe geliefert.

Clitophon sollte mit seiner Stiefschwester Calligone verheirathet werden, als sein Onkle, Sostratus, aus Byzanz, seine Gattin Panthea, mit ihrer Tochter, Leucippe nach Tyrus in das väterliche Haus des Clitophon sandte. Dieser verliebt sich in seine Cousine. Die Darstellung des ersten Erwachens der Leidenschaft, und ihres allmähligen Fortschreitens, ist mit Wahrheit und Reitz geliefert.

Besonders gehört hieher die artige, und so oft wiederhohlte Erfindung, durch welche Clitophon den ersten Kuß von seiner Geliebten erhielt.

Leucippe hatte eine Sklavin durch Besprechen von einem Bienenstiche geheilt. Clitophon erinnert sich dieses Vorfalls, als eine Biene um ihn her sumset. Er stellt sich als ob er von ihr auf den Mund gestochen wäre. Die gutherzige Leucippe will auch seine Wunde besprechen; nähert sich seinem Munde mit dem ihrigen, und er raubt ihr einen Kuß.

Möchten alle Bilder des Achilles Tatius so reitzend und zugleich so anständig seyn! Aber seine lüsterne und ausgelassene Einbildungskraft verführt ihn oft, die Grenzen der Ehrbarkeit zu überschreiten.

[394] Der Männerliebe wird bey ihm, als einer sehr gewöhnlichen Schwäche, gedacht: es wird ihr sogar eine Lobrede gehalten, die mit derjenigen, die wir beym Lucian finden, die größte Aehnlichkeit hat.

Bey alle dem läßt er die beyden Liebenden nicht zum unnennbaren Genusse mit einander kommen.

Freywillige Enthaltsamkeit liegt aber bey dieser Entbehrung nicht zum Grunde. Sie versuchen es oft, werden aber immer gestört, und endlich, als sie schon bey einander im Bette liegen, von der Mutter auseinandergejagt. Dieser Vorfall zwingt sie aber auch zur Flucht.

Bey einem Sturme, den sie auf ihrer Seereise erdulden, kommt nichts von wechselseitiger Aufopferung der beyden Geliebten für einander vor. Leucippe wird nicht einmahl genannt. Nur Clitophon bittet den Neptun, daß er mit der ganzen Gesellschaft entweder gerettet werden, oder mit ihr umkommen möchte.

Die beyden Geliebten entgehen inzwischen den Fluthen, aber um ein viel schrecklicheres Schicksal zu erdulden. Sie werden von Räubern gefangen. Im Gefängnisse bejammert Clitophon besonders dieß, daß er seine Leucippe unglücklich gemacht habe. Sie schweigt. Er fragt sie um die Ursach: „weil mich meine Stimme eher als mein Muth verlassen hat,“ ist die heroische Antwort, die ihr der Rhetor in den Mund legt.

Leucippe wird am folgenden Morgen vom Könige der Räuber zum Sühnopfer gefordert, und zu ihm abgeführt. Was thut Clitophon? Er will sie aufhalten, aber er bekommt Schläge, und so läßt er sie gehen. Er selbst wird von einem Haufen fremder Bewaffneter aus den Händen der Räuber befreyet.

[395] Die Opferung der Leucippe geht vor sich. Im Angesichte des Clitophon wird ihr der Bauch aufgeschnitten. Ihre Eingeweide werden herausgerissen, und sie selbst in ein Grab gesenkt. Bey diesem gräßlichen Anblicke steht ihr Liebhaber wie versteinert. Aber die Kriegsvölker, die ihn gerettet hatten, greifen das Lager der Räuber an, jagen sie heraus, und nehmen selbst davon Besitz. Clitophon will sich auf dem Grabe seiner Geliebten erstechen. Aber das Grab öffnet sich, und Leucippe kommt lebendig heraus. – Der Priester der sie hatte opfern sollen, war ein Freund des liebenden Paares, und hatte ihr einen falschen Bauch gemacht.

Jetzt müssen Diana und Venus den beyden Liebenden erscheinen, um ihnen Enthaltsamkeit von den letzten Vertraulichkeiten zu gebieten. Clitophon giebt sich leicht darin, da nach seinem Systeme der Kuß der höchste Genuß in der Liebe ist.

Leucippe wird mehreren Anfechtungen von Fremden ausgesetzt, die sich in sie verlieben, denen sie aber allen durch Standhaftigkeit und Klugheit entgeht. Endlich wird sie wieder von Seeräubern entführt. Clitophon verfolgt sie: schon ist er im Gesicht des Schiffes, das sie fortführt, als er ihr den Kopf abhauen, und den Rumpf ins Meer werfen sieht. Er begräbt diesen, und heirathet eine reiche Wittwe, Melite.

Allein er macht zugleich mit ihr aus, daß er sich erst nach Ablauf einer gewissen Zeit in den völligen Besitz seiner ehelichen Rechte setzen wolle. Umsonst sucht seine Gattin den Zeitpunkt früher herbeyzuführen. Er bleibt standhaft. Schon aber rückt die kritische Nacht heran, als er Abends vorher einen Brief von Leucippe erhält, die sich unter den Sklaven seiner Frau, auf [396] einem ihrer Landgüter befindet. Die Seeräuber hatten eine Sklavin statt ihrer enthauptet, um den Clitophon von ihrer weiteren Verfolgung abzubringen. Leucippe schreibt an Clitophon: „Ich habe alles für dich geduldet und gelitten: du bist in einer neuen Verbindung glücklich. Bewege deine Gattin, daß sie mich loslasse, und nach Byzanz zurücksende. Dadurch werde ich mich für alles, was ich für dich gethan habe, belohnt halten. Lebe wohl! Sey glücklich! Ich bin noch unberührt!“

Clitophon antwortet, daß er noch eben so rein sey als sie, und Leucippe wird bald darauf davon überzeugt, als ihre Gebieterin sich bey ihr, die im Rufe der Magie war, Raths erhohlet, wie sie die Kälte ihres Mannes besiegen solle. Die Verlegenheit in welche die beyden Liebenden dadurch kommen, wird durch die Wiederkunft des ersten Mannes der Gattin des Clitophon gehoben. Man hat geglaubt er sey im Schiffbruche umgekommen, aber er ist gerettet.

Der eifersüchtige Mann, Thersander ist sein Nahme, läßt den Clitophon als einen Ehebrecher in Fesseln legen. Bey dieser Mißhandlung geht der Brief verloren, den Leucippe an ihren Geliebten geschrieben hatte. Melite findet ihn, und wird nun über den Grund seiner Kälte aufgeklärt. Sie schleicht sich in das Behältniß des Clitophon: sie überhäuft ihn mit Vorwürfen; aber bald kehrt ihre Liebe zu ihm zurück. Sie bittet ihn nur um eine Gunst! Sie erinnert ihn an seine Versprechungen. Sie verspricht, ihn mit Leucippe zu vereinigen. Sie stellt ihm vor, daß die Erhaltung seiner Geliebten von ihr abhänge. Die Situation ist vortrefflich angelegt; die Beredtsamkeit der Melite hinreißend. Sie nimmt ihm die Bande ab: sie küßt seine Hände, und legt sie [397] an ihr klopfendes Herz. Wie wird sich Clitophon aus dieser schlüpfrigen Lage herausziehen? Auf die natürlichste Art von der Welt! – Er gewährt, was Melite verlangt: und zwar aus Gründen. Nach seiner Vorstellung beleidigt er nicht die Liebe zu Leucippe. Er würde vielmehr den Amor beleidigen, wenn er Meliten ferner widerstände. Er hatte Leucippen wieder: und Melite konnte seine Gattin nicht mehr werden. Was er also that, konnte nicht als Vollziehung der Heirath angesehen werden: es war eine Handlung des Mitleids: es geschah, um sich Leucippen mehr zu nähern, und zugleich das Schicksal des armen verliebten Weibes ein wenig zu erleichtern. – Welche Begriffe!

Clitophon entwischt in den Kleidern der Melite, wird aber vom Thersander wieder aufgefangen, und damit die Sache noch verwickelter werde, muß dieser letzte sich überher in Leucippe verlieben. Um den Clitophon ganz von ihr abzubringen, wird er mit der falschen Nachricht getäuscht, Melite habe die Leucippe umbringen lassen; Clitophon, der es abscheulich findet, daß er sich mit der Mörderin seiner Geliebten abgegeben habe, klagt sich selbst vor Gericht an, daß er auf Geheiß der Melite die Leucippe umgebracht habe. Die Richter haben bereits ihn zum Tode verdammt, als Leucippe, und sogar ihr Vater Sostratus erscheinen. Nun sollte man glauben, die Geschichte hätte ein Ende. Aber die gerichtliche Verhandlung wird fortgesetzt, damit der Verfasser mehrere sorgfältig ausgearbeitete Reden halten lassen könne. Endlich wird eine Art von Vergleich eingegangen: Thersander verlangt, daß Leucippe zum Beweise ihrer Reinheit als Jungfrau, in die Höle des Pan eingesperrt werden soll. In dieser hängt eine [398] Flöte, die einen angenehmen Ton von sich giebt, wenn die Unschuld des verdächtigen Mädchens bewährt befunden wird. Auch öffnen sich dann die Thüren von selbst, und lassen die Jungfrau unverletzt heraus. Im umgekehrten Falle giebt die Flöte einen traurigen Ton von sich: die Thüren bleiben verschlossen, und wenn man sie einige Zeit darauf wieder öffnet, so ist die Flöte abgefallen, und das schuldige Mädchen verschwunden. Man denkt sich leicht, das Leucippe die Probe besteht.

Melite muß auf Verlangen des Mannes sich einer andern Prüfung unterwerfen. Sie soll schwören, daß sie während der Abwesenheit ihres Mannes mit keinem andern zu thun gehabt habe, und dann zur Bestätigung dieses Schwurs in die Quelle des Styxes steigen. Bleibt das Wasser ruhig, so ist sie unschuldig: steigt es bis an den Hals, an dem sie eine Tafel mit der Inschrift des abgelegten Schwures trägt; – so ist sie meineidig. Melite, die sich bewußt ist, nicht während der Abwesenheit ihres Gatten, sondern erst nach seiner Wiederkunft, gegen die eheliche Treue angestoßen zu haben, unterwirft sich der Prüfung, und die Quelle ist gefällig genug, den Gedankenvorbehalt für gültig anzunehmen, und sie nicht zu verrathen. –

Die Heirath des Clitophon und der Leucippe wird darauf geschlossen.

Hier haben wir eine ganz andre Intrigue, als in den beyden vorher von mir angezeigten Liebesgeschichten: eine Intrigue, die sich mehr dem Gange der Komödie nähert. Das Ziel der Handlung, (gleichsam das Ilium, dessen Eroberung das Süjet der Epopoe ausmacht,) ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels, nach geschlossener Ehe zwischen den beyden Liebenden. Sobald sie [399] durch dieß Band zusammengebracht sind, und der Liebhaber dadurch ein Recht erhalten hat, den Zweck seines Strebens zu erreichen; so hat die Intrigue ihr Ende erreicht.

Hieraus erhellet sogleich, daß Achilles Tatius von der Liebe einen viel weniger geläuterten Begriff hatte, als Jamblichius, Chariton und Xenophon. Bey ihm heißt lieben: nach dem unnennbaren Genusse, und nach dem Besitze der Person durch diesen streben. Standhaft lieben heißt bey ihm diesen Genuß unausgesetzt verfolgen.

Die Schwierigkeiten, welche ihm entgegengesetzt werden, liegen nicht in dem Stolze des Weibes, nicht in seinen Gefühlen von Schamhaftigkeit, Pflicht, kurz! in inneren Bedenklichkeiten der Geliebten. Nein! nichts ist leichter bey ihm, als die Eroberung des Herzens der Geliebten; nichts kürzer, als die Bewerbung um Gegenliebe. Es liegt auch nicht an der Leucippe, sondern an äußern Verhältnissen und Befehlen der Götter, wenn sie ihm vor der Hochzeit nicht alles einräumt, was sie einzuräumen hat.

Dieß hängt gewiß mit der Entstehungsart dieser Liebesgeschichte zusammen. Ich habe gesagt, daß wahrscheinlich die alte Komödie das ferne Muster dazu hergegeben hat. Vielleicht ist sogar der Stoff aus mehreren Komödien und Pantomimen zusammen genommen. Im Schauspiele kann mit der Bewerbung nicht viel Zeit verloren werden. Die jungen Leute lieben sich schon, ehe der Autor sie auf der Bühne erscheinen läßt. Nun kommt es nur darauf an, die Schwierigkeiten zu überwinden, welche Anverwandte, Nebenbuhler und andre äußere Verhältnisse der Heirath entgegen setzen.

[400] Aber wozu die Heirath? Aber woher die Idee, daß nun der jungfräuliche Gürtel vor der Ehe nicht gelöset werden darf? Aber woher jene andere von dem hohen Werthe der jungfräulichen Unschuld, die durch feyerliche Prüfungen bewährt wird?

An der Gewissenhaftigkeit und Zartheit des Autors kann es nicht liegen. – Es ist nicht möglich, laxere Grundsätze über den Anstand zu haben, als Achilles Tatius sie hat. Natürlich! das Ziel der Vereinigung ist der unnennbare Genuß, und wenn die Liebenden zu früh dazu gelangten, so wäre es mit ihrem Streben zu Ende, und die Leser verlören das Interesse, das sie an ihrem strebenden Zustande nehmen. Es muß also ein Hinderniß eintreten, das ihn aufschiebt, und dieß ist – Heirath. Diese Feyerlichkeit ist ohnehin dasjenige, was in der Komödie die Handlung schließt, und in derjenigen Komposition, die nach ihrem Muster geschaffen ist, sie gleichsam schließen muß.

Inzwischen gehört doch Einiges davon, und besonders die Prüfung der jungfräulichen Reinheit, gewiß dem Geschmack, und den herrschenden Ideen des Zeitalters, in die sich der Sophist, ungeachtet seiner Vorliebe für das ältere Griechenland, gefügt hat.

Achilles Tatius schildert also den Zustand der Bestrebung zweyer Liebenden nach der Heirath, um des unnennbaren Genusses willen.

Dieß giebt ihm Gelegenheit, die Entstehung der Leidenschaft, ihre Entwickelung, ihre Versagungen und ihren Genuß, jedoch mit Ausschluß des letzten unnennbaren, darzustellen. Die Geschlechtssympathie der Seele beschäftigt ihn dagegen sehr wenig. Alle jene Unterhaltungen der kosenden Vertraulichkeit, des heimlichen [401] Beyeinanderseyns, der Eitelkeit auf den ausschließenden Beyfall des Verbündeten, des Stolzes auf den Besitz des Herzens, scheinen seinen Liebenden fremd. Dagegen gefällt sich sein Pinsel bey den Schilderungen der Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, besonders des Kusses und der Umarmung. Hierbey zeigt sich die ganze Lüsternheit seiner Phantasie. Die Fülle von Bildern, die er mit diesen Liebkosungen verbindet, die Feinheit, die Leckerhaftigkeit, mit der er jeden Genuß aus ihnen herausschlürft, hängen genau mit den Erfahrungen der Alten über die Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie zusammen, welche ihre Lieblinge erregten. Besonders zeigt diese ihren Einfluß bey dem hohen Werthe, den Tatius auf den Kuß legt. Er sagt an mehreren Stellen, daß er nie sättige, daß er aus der Seele seinen höchsten Genuß ziehe, und daß diese sich auf diesem Wege mit der Seele der Geliebten vereinige. Der unnennbare Genuß scheint ihm die Liebe zu endigen. Die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge, scheint ihm darum so reitzend, weil ihre unvollständige Befriedigung die Lüsternheit erhöht, und dauernder macht.

Ideen dieser Art führen auf ein höheres Zeitalter hinauf als dasjenige ist, worin der züchtige Heliodor gelebt hat. Sie gehören den Rhetoren und Sophisten aus den Zeiten des Philostrat und Aristänet an, ja! es sind Ideen, die wir in ihrer völligen Ausbildung noch früher beym Lucian finden. So wenig ich behaupten mag, daß Tatius in dieser Zeit gelebt habe, so gewiß scheint es mir, daß die Muster, [402] nach denen er sich gebildet hat, lange vor allen andern uns übrig gebliebenen Erotikern existiert haben.

Die Charaktere beyder Liebenden sind unthätig und träumend, und ganz dazu geschaffen, leidende Subjekte äußerer Einwirkungen des Schicksals zu seyn. Außerdem, daß dieß dem Zustande der ersten Leidenschaft bey allen Menschen ziemlich angemessen ist; so kommt es auch ganz mit den Charakteren der Liebenden in den Komödien der Alten überein, worin Jünglinge und Mädchen selten oder nie für sich handeln, sondern von listigen Knechten, und verschmitzten Müttern in ihrer Intrigue geführt werden.

Der Plan des Werks ist äußerst fehlerhaft, voller Abentheuerlichkeiten, voller Unwahrscheinlichkeiten, voller überflüssigen Nebenvorfälle, welche die Handlung ohne Noth aufhalten. Tatius läßt keine Gelegenheit vorbey, pomphafte Beschreibungen, blumenreiche Erzählungen, schwülstige und sophistische Reden, und Sentenzen, die Gemeinplätzen ähneln, anzubringen. Es ist mir wahrscheinlich, daß er zu einer Zeit lebte, worin es sehr gewöhnlich war, Kenntnisse des Alterterthums und der Sitten entfernter Länder, so wie Philosophie und Rhetorische Kunst dem Publikum unter dem Gewande der Liebesgeschichten annehmlich zu machen.

Bey dem Allen herrscht viel Genie in der Erfindung mancher Situation, und ein Detail, das oft äußerst anziehend ist. –

Dem Achilles Tatius reihe ich zunächst den Longus bey, dessen Werk unter dem Titel der Pastoralien des Daphnis und der Chloe bekannt ist.

[403] Ich muß mich auch hier, um nicht zu weitläuftig zu werden, eines förmlichen Auszuges enthalten. Es ist der erste Hirtenroman, den wir kennen, und der zu allen folgenden nicht sowohl das Vorbild, als die Idee hergegeben hat. Zwey Fündlinge von reichen und vornehmen Eltern geboren, aber von diesen ausgesetzt, wachsen unter Hirten auf, lieben sich mit aller derjenigen Naivetät, welche diesem Stande in der Dichterwelt beygelegt wird, bestehen einige Gefahren, die ihrer Liebe drohen, werden aber endlich von ihren Eltern wieder erkannt, und mit einander verheirathet.

In den Hauptmomenten kommen Longus und Tatius mit einander überein. Bey beyden ist das Ziel der Handlung die Verheirathung eines liebenden Paares: bey beyden liegt der Knoten in den Schwierigkeiten, die sich der Ehe entgegensetzen: bey beyden erscheinen die Verliebten ohne Selbstthätigkeit als Bälle äußerer Umstände: bey Beyden ist das Mädchen treuer als der Jüngling: bey beyden biethet endlich der Zustand der Bewerbung, oder vielmehr der Verlobung der Herzen die bequemste Veranlassung zu Schilderungen der Freuden der Geschlechtssympathie an die Hand.

Daß der Gang des Schauspiels beyde in ihrer Intrigue geleitet habe, scheint mir außer Zweifel zu seyn. Wahrscheinlich hat Longus den Stoff eines alten satyrischen Dramas, eines Hirtenspiels, zu diesem seinen Hirtenromane ausgesponnen.

Inzwischen zeigt sich in der Behandlung eine große Verschiedenheit zwischen dem Tatius und dem Longus. Der Knoten, dessen Auflösung den Leser [404] beschäftigen soll, ist auf gewisse Weise doppelt geschürzt. Er soll zwar wünschen, daß die beyden Liebenden sich heirathen, und die Schwierigkeiten, die sich ihnen in dieser Rücksicht entgegen setzen, überwinden mögen; aber er soll zugleich fürchten, daß sie diesen Zeitpunkt nicht abwarten, und durch eine zu frühe Erreichung des endlichen Ziels der Ehe sich um die schönsten Freuden der unschuldigen Liebe, und den Leser um den Genuß ihrer Schilderung bringen.

Platonische Ideen liegen hierbey gewiß nicht zum Grunde. Der Leser soll nicht in das Interesse für eine edlere Liebe hineingeführt werden, die sich körperlicher Freuden willkührlich enthält, um die Freuden der Seele und ihre Vortrefflichkeit zu erhöhen: Der Leser soll nicht fürchten, daß das liebende Paar einen Verrath an sich selbst begehe, und sich durch Sinnlichkeit erniedrige: er soll sich auch nicht für Daphnis und Chloe wie für Hüon und Amanda interessieren, und den Streit zwischen Natur und Pflicht mit ihnen kämpfen; nein! Dieß Alles hat Longus bey der Enthaltsamkeit seiner Liebenden nicht vor Augen gehabt. Die den Rhetoren, und besonders dem Aristänet, so gewöhnliche Idee, daß der unnennbare Genuß die Freuden der Liebe endige, daß der Zeitpunkt nach der Vereinigung der Herzen, und vor der völligen Vereinigung der Körper der reitzendste in der Liebe sey; und daß dieser Zustand der lüsternen, nicht völlig befriedigten Begierde die Dauer und die Höhe der Leidenschaft eben so sehr befördere, als er Veranlassung zu lieblichen Schilderungen gebe; diese Idee ist es, welche den Longus in seinem Plane geleitet hat. Darum stellt er zwey unerfahrne Herzen [405] an den Rand eines Abgrunds, den sie selbst nicht sehen, in den sie bemüht sind hineinzustürzen, und vor dem sie allein durch ihre Unerfahrenheit gesichert werden. Ein Plan, der nach unsern heutigen Begriffen den Anstand auf mannigfaltige Art beleidigt, aber zugleich den doppelten Vortheil gewährt, einmahl, Gelegenheit zu einer Menge naiver Darstellungen zu geben, dann aber auch den Leser für die Entfernung des kritischen Moments zu interessieren, der dem glücklichen Zustande der Liebenden, und der Schilderung ihrer Freuden ein Ende machen wird.

Merkwürdig wird beym Longus die feyerliche Verlobung der beyden Liebenden, die völlig gleiche Rechte und Verbindlichkeiten für den Jüngling wie für das Mädchen festsetzt: noch merkwürdiger aber jener wahre Zug von Liebe, wenn Daphnis bereit ist, die Strafe, welche Chloe durch ihre Untreue verwirken konnte, für sie zu tragen. Uebrigens ist der Ursprung der Liebe beym Longus ganz sinnlich: ihr endlicher Zweck, und der Begriff, den er von ihr hat, unstreitig der eines leidenschaftlichen Strebens nach dem Besitze der Person. Die Verfeinerung, die er ihr giebt, liegt in der Erhöhung der Lüsternheit, durch die Entbehrung, und durch die Anreihung der Freuden der Geschlechtssympathie der Seele an die kleineren Gewährungen der Geschlechtssympathie des Körpers.

Aber in der Darstellung der Freuden der Geschlechtssympathie der Seele ist nun Longus ausgezeichnet glücklich. Niemand vor ihm hat den Genuß des heimlichen Zusammenlebens, des kosenden Zeitvertreibs, und aller der kleinen geselligen Unterhaltungen, [406] welche nur die Vertraulichkeit junger Gemüther von verschiedenem Geschlechte herbeyführt, so umständlich und zugleich so lieblich beschrieben. In dem ganzen Werke herrscht eine Seelenüppigkeit, die den Leser unwillkührlich mit ergreift. Hierin geht Longus einen Schritt weiter, als Tatius, dessen Schilderungen des Genusses der Geschlechtssympathie sich hauptsächlich auf körperliche Lüsternheit beschränken.

Es kann übrigens meine Absicht nicht seyn, das Werk in ästhetischer Rücksicht zu prüfen. Ich würde ihm sonst sowohl in Rücksicht des Plans, als der Haltung der Charaktere viele und grobe Fehler vorzuwerfen haben.

Die Liebesgeschichte des Ismenias und der Ismene wird gemeiniglich dem Eustathius zugeschrieben, der zu Ausgang des zwölften Jahrhunderts gelebt hat. Allein es ist höchst ungewiß, daß sie diesem Kommentator des Homer gehöre. Andere nennen einen Eumathius als Verfasser.

Der Werth des Werks rechtfertigt nicht die Untersuchung über die Person des Verfassers. Man kann sich nichts Elenderes denken, als Erfindung und Ausführung in diesem Romane. Eben so wie beym Achilles Tatius und beym Longus liegt die Verwickelung in den Hindernissen, welche sich dem völligen Besitze der Jungfrau vor der Ehe entgegen setzen.

Auch hier wird die Keuschheit des Mädchens vorher in der Quelle der Diana geprüft. Merkwürdig ist es dabey, daß Ismene bereits den unnennbaren Genuß aus freyer Selbstbestimmung weigert, weil sie diesen vor der Ehe für unerlaubt hält. Aber man darf sagen, daß der Teufel wenig dabey verliert, und daß der [407] Angriff, den Ismene gleich bey der ersten Zusammenkunft auf die Eitelkeit und Sinnlichkeit des rohen und unerfahrnen Jünglings macht, den Anstand auf mannigfaltige Art beleidiget. Die Liebkosungen des liebenden Paars liefern dem Rhetor in der Folge häufige Gelegenheit, seiner lüsternen Phantasie das freyeste Spiel zu lassen. Vielleicht hat dieser aber auch die ganze Geschichte nur als einen Einschlag gewählt, in welchen er recht viele Beschreibungen einweben könnte, und dazu mußten ihm jene schlüpfrigen Bilder äußerst willkommen seyn. Der Styl ist gekünstelt, blumenreich, wie der seiner Vorgänger, aber in jedem Betracht unter dem ihrigen.

Uebrigens ist der Charakter des Liebhabers hier wieder ganz so träumend, leidend und hinschmelzend dargestellt, als es erfordert wird, um ihn zum Balle des Schicksals zu machen. Aber er erscheint treuer als Clitophon und Daphnis.


Zehntes Kapitel.
Heliodorus und Prodromus.

Ich komme jetzt zu der dritten und jüngsten Manier, worin die griechischen Erotiker geschrieben haben. Sie ist eine Zusammensetzung der beyden vorigen, und eine Veredlung derselben. Ich wiederhohle aber nochmahls, daß ich dadurch nichts über das Alter der Schriftsteller entschieden haben will, die von dieser Manier Gebrauch gemacht haben, sondern bloß über das Alter der Manier selbst. Diese ist allen Kennzeichen nach jünger als diejenige, [408] welche die bisher angezeigten Erotiker gebraucht haben.

Heliodorus lebte zur Zeit Theodosius des Großen, ungefähr ums Jahr 370 nach Christi Geburt. Er war Bischof in einer Stadt von Thessalien. Ob er als Bischof, oder vorher, die Liebesgeschichte geschrieben habe, deren Inhalt ich jetzt anzeigen werde, ist ungewiß. Sie führt den Titel: Aethiopika, äthiopische Merkwürdigkeiten, und enthält die Schicksale des Theagenes und der Chariklea.

Der Verfasser setzt den Leser gleich mitten in den Lauf der Begebenheiten hinein, und läßt erst in der Folge den Anfang der Geschichte erzählen. Ich will aber der natürlichsten Ordnung folgen, um die Verständlichkeit zu erleichtern, und überhaupt nur dasjenige anführen, was unmittelbar zu meinem Zwecke gehört.

Chariklea ist die Tochter der Persina und des Hydaspes, der Beherrscher von Aethiopien. Nach einer langen unfruchtbaren Ehe wird die Königin von einer Umarmung ihres Gatten im Anblick eines Gemähldes der nackenden Andromeda schwanger, und gebiert, vermöge des Eindrucks dieses Bildes auf ihre Imagination, ein weises Kind. Die Furcht, daß die Verschiedenheit der Farbe den Verdacht des Ehebruchs erwecken könne, bewegt die Mutter den Tod des Kindes vorzugeben, und es mit Windeln, worauf seine Geschichte, und besonders die Lehre, daß die Keuschheit eine wahrhaft königliche Tugend sey, gestickt waren, auszusetzen. Das Kind kommt durch Schicksale, die uns hier weiter nicht interessieren, nach Delphi in den Tempel des Apollo, wo sich das erwachsene Mädchen dem Dienste der Diana weihet.

[409] Bey einem Feste des Apollo verliebt sich Theagenes, ein Thessalischer Fürst, in die Chariklea, beym ersten Anblick, und auch sie empfindet sogleich den Eindruck der stärksten Leidenschaft. „Ihre Seelen, sagt der Verfasser, schienen sich wieder zu kennen, und im Gefühl ihrer gegenseitigen Würde und Vortrefflichkeit einander entgegen zu streben. Sie staunten sich an, sie lächelten sich zu, sie errötheten und erblaßten.“

Stark wird die Wirkung der Leidenschaft bey beyden Liebenden geschildert; aber doch weit heftiger noch bey Chariklea, nicht bloß weil sie ihre Neigung in sich verschließt, sondern weil sie überhaupt viel lebhafter dargestellt wird als Theagenes. Aber nicht bloß lebhafter, sondern auch thätiger, gefaßter, klüger, als der Liebhaber, ist die Geliebte. Ein wichtiger Zug zur Charakterisierung des Zeitalters: nicht minder wichtig jener andre, daß es dem Theagenes zum Verdienst gerechnet wird, bisher alle Weiber geflohen zu haben.

Bey einem öffentlichen Wettrennen empfängt Theagenes den Preis aus der geliebten Hand, die er küßt. Welch ein mächtiger Beweis der veränderten Sitten!

Calasiris, ein Priester der Isis, (und zwar ein echter Priester, der sich Lug, Betrug, Mord und Entführung erlaubt, sobald es darauf ankommt, den Willen der Götter in Erfüllung zu bringen,) wird der Vertraute der beyden Liebenden, und befördert auf die Autorität eines Orakels, das ihre Verbindung verkündigt, die Entführung der Chariklea durch den Theagenes. Doch muß dieser seiner Geliebten vorher schwören, daß er die Rechte des Gatten nicht eher ausüben wolle, als bis diese in ihrer Heimath auf eine gesetzliche Art bestätigt werden würden. Und nun verläßt Chariklea [410] ihren bisherigen Pflegvater und Wohlthäter, den Priester des Apollo, ohne das geringste Merkmahl der Traurigkeit und der Dankbarkeit zu zeigen. Nach unzähligen Gefahren, welche die Unschuld der Chariklea von Land- und Seeräubern drohen, und denen sie theils durch List, theils durch den Gebrauch der Waffen entgeht: nach dem keuschesten Umgange mit ihrem Entführer, dem sie zwar Küsse und Umarmungen, aber weiter nichts erlaubt, und dessen Begierden sie immer durch die Erinnerung an seinen Schwur zu zügeln weiß, kommen beyde nach Memphis, wo ihnen denn erst die Hauptprüfungen ihrer Standhaftigkeit vorbehalten sind. Arsace, die Gattin des Orondates, Beherrschers von Aegypten, ein stolzes und wollüstiges Weib, verliebt sich in Theagenes. Sie läßt nichts unversucht, um ihn zu gewinnen. Aber nicht Wohlthaten, nicht Ehrenbezeugungen, nicht Gefängniß, und Marter, ja! nicht einmahl die Furcht seine Chariklea zu verlieren, und diese bald einer verhaßten Heirath, bald dem Scheiterhaufen überliefert zu sehen, können ihn in seiner Treue wankend machen. Endlich entkommen beyde Liebenden der Gewalt der grausamen Arsace, aber das Schicksal ist noch nicht müde, sie zu verfolgen. Sie fallen in die Hände des Hydaspes, des Königs der Aethiopier, und Vaters der Chariklea, und werden, da sie sich Beyde für Geschwister ausgeben, zu Menschenopfern für die Sonne und den Mond bestimmt.

Aber um dazu würdig gefunden zu werden, müssen sie Beyde die Probe ihrer jungfräulichen Lauterkeit bestehen, und zu dem Ende durchs Feuer wandern. Es versteht sich von selbst, daß dieser Vorzug [411] an ihnen bewährt gefunden wird. Nun soll Chariklea von der Hand ihrer Mutter sterben: aber sie giebt sich zu erkennen, und wird von ihren Eltern angenommen. Nur mit dem Theagenes setzt es größere Schwierigkeiten. Seine sonst so muthige Geliebte wagt es nicht, den Eltern zu gestehen, daß dieser Mensch ohne Nahmen ihr Verlobter sey. Ihr Bruder ist er nun einmahl nicht, und was er ihr seyn könne, nachdem sie so lange mit ihm umhergewandert ist, und dennoch die Keuschheitsprobe bestanden hat, das kann der grobe Verstand des Aethiopischen Hofes durchaus nicht begreifen. Endlich sagt sie, sie sey mit ihm verheirathet, aber der Vater glaubt, sie habe den Verstand verloren.

Theagenes bittet es sich zur Gnade aus, von Charikleas Hand zu sterben. Aber auch dieses wird ihm abgeschlagen.

Zuletzt entdeckt sich Chariklea ihrer Mutter, diese löset dem Vater das Geheimniß, und durch die Dazwischenkunft einiger Priester, die den Willen der Götter verkündigen, wird Theagenes nicht allein gerettet, sondern auch mit Chariklea verbunden.

Heliodor hat die Liebesgeschichte offenbar zur Epopoe erheben wollen. Seine Liebenden sind Helden in der Liebe. Ihre Schicksale zeichnen sich durch Ernst und Wichtigkeit aus, und die Form der Komposition hat die Feyer und die Oekonomie des Heldengedichts.

Die Sitten, welche uns Heliodor darstellt, unterscheiden sich auffallend von denen, die in allen bis jetzt von mir angezeigten Romanen vorkommen. Der Einfluß christlicher Ideen und des Standes des Verfassers [412] auf seine Begriffe von der Würde des Charakters seiner Helden, und von dem Adel ihrer Liebe ist unverkennbar. Wir kommen hier in eine ganz neue Welt, worin die Verhältnisse der beyden Geschlechter zu einander sich von denjenigen völlig unterscheiden, die wir bis jetzt in den Schriften der Römer und Griechen angetroffen haben.

Chariklea ist ein hochherziges keusches Mädchen, eine Art von Diana, aber mit einem zärtlichen leidenschaftlichen Herzen. Heliodor versäumt keine Gelegenheit, sie ins Schöne zu mahlen. Gleich Anfangs erscheint sie muthig im Unglück, und bereit, ihr Leben zu endigen, wenn sie an dem ihres Geliebten verzweifeln müßte. Bey allen Gefahren bleibt sie voller Muth, Standhaftigkeit und Gegenwart des Geistes. Sie richtet gemeiniglich den Theagenes auf, ermuntert ihn zum Ausdauern, und windet sich durch ihre Klugheit aus den verwickeltsten Lagen heraus. Ihre Keuschheit geht ihr über alles, und sie widersteht den Begierden des Theagenes nicht aus Unerfahrenheit, nicht aus Sorge für ihren Ruf; sondern aus Gefühl ihrer Pflicht und ihrer Selbstwürde. Sie will nicht eher mit dem Theagenes allein bleiben, als bis er ihr schwört, ihre Unschuld nicht zu kränken, und den unnennbaren[WS 11] Genuß nicht eher zu verlangen, als bis sie in den Schooß ihrer Familie zurückgekehrt seyn würde. Sollte dieß nicht geschehen, so soll er warten, bis sie ihn freywillig geheirathet haben würde, und wenn auch das nicht geschehen sollte, so soll er allen Ansprüchen dieser Art entsagen. Ja, sie geht in ihrer Zartheit so weit, daß sie sogar fürchtet, daß ein lüsterner Traum der Reinheit ihrer Seele nachtheilig werden könnte.

[413] Dieser jungfräuliche Sinn ist auch dem Theagenes eigen. Er hat nie der Geschlechtssympathie gehuldigt: er findet es überflüssig, daß er die Ehrfurcht, die er der Unschuld der Chariklea unausgesetzt beweisen will, noch mit einem Schwure bekräftigen soll. Die geringste Ermahnung seiner Geliebten zähmt seine Begierden mit leichter Mühe, und keine Versuchung ist im Stande, die Treue, die er ihr gelobt hat, im geringsten wankend zu machen.

Das Ziel der Intrigue ist zwar gleichfalls die Heirath. Aber keine Spur davon, daß diese feyerliche Verbindung darum von den Liebenden gesucht würde, um den unnennbaren Genuß von einander zu erhalten, und daß der Verfasser diesen Zweck der Leidenschaft nur darum an die Form der Ehe gebunden hätte, um die Zeit der Bewerbung, als den glücklichsten in der Verbindung der beyden Geschlechter länger auszudehnen. Nein! die Seelen der beyden Liebenden vereinigen sich gleich bey ihrer ersten Bekanntschaft, weil sie sich wechselseitig von dem Gefühle ihrer Würde durchdrungen fühlen. Sie suchen sich vor einander auszuzeichnen, und alle ihre Unterhaltungen mit einander athmen den Geist der Frömmigkeit und wahrer Liebe. Auch wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ihre Tugenden durch ihre Verbindung mit einander belohnt werden sollen.

Man findet hier keine Darstellungen lüsterner Liebkosungen, oder eines kindischen Kosens. Die Liebenden sättigen sich mit keuscher und schamhafter Liebe, vergießen dabey warme Thränen, und wechseln reine Küsse. Wenn Theagenes sich ja einmahl vergißt, und über die Grenzen der Ehrbarkeit hinausschreiten will, so hält ihn [414] Chariklea durch Erinnerung an seinen Schwur in Ordnung. Er läßt sich aber leicht zurecht weisen, da er der Liebe zwar unterthan, aber über seine Sinne Herr ist.

Die Beobachtung des Anstandes wird unter den beyden Liebenden so weit getrieben, daß Heliodor uns immer anzeigt, Theagenes und Chariklea hätten des Nachts verschiedene Zimmer eingenommen.

Der Ausdruck ihrer wechselseitigen Gefühle hat immer etwas Ernstes und Feyerliches. Völlig herrschend ist die Idee, daß gegenseitige Aufopferung der beyden Liebenden für einander das Wesen der Liebe ausmache. Kurz, die Liebe erscheint hier in ihrer wahren Gestalt, und zugleich auf einer hohen Stufe sittlicher Veredlung.

Bey allem dem hat sie keinen begeisterten, unternehmenden, rüstigen Charakter. Es ist ein schmelzender Enthusiasmus, der die Liebenden zu einander hinzieht. Sie widerstehen dem Schicksal, aber sie wissen es nicht zu lenken.

Dieß geht der Komposition unsers Heliodor noch ab, um ihr den Charakter einer vollständigen Liebesepopoe zu sichern. Uebrigens ist in der Form dem Heldengedichte nachgeahmt. Der Leser wird gleich in die Mitte der Handlung hineingesetzt. Der Styl ist zwar nicht frey von dem Schwulste der Rhetoren, aber doch minder üppig, als der des Achilles Tatius.

Der Ausdruck der Liebe ist nur selten ganz wahr, und fällt sogar hin und wieder ins Läppische. So ruft Chariklea einmahl aus: „Dieß Opfer Theagenes bring’ ich dir!“ – und hierbey raufte sie sich die Haare aus, und warf sie aufs Bett. „Diese Libation gieße ich aus den Augen, die dir so theuer sind!“ – und hierbey [415] benetzte sie ihr Auge mit Thränen. – Heliodor hat mehr den wahren Begriff, als das wahre Gefühl der Liebe gehabt.

Ueberhaupt läßt sich in ästhetischer Rücksicht sehr viel gegen dieß Produkt sagen. Es fehlt sehr viel daran, daß es ein schönes Ganze sey. Kein einziger Charakter ist bestimmt, und mit Individualität gezeichnet. Dieser Vorwurf trifft selbst die beyden Helden der Geschichte. Chariklea geht aus ihrem Charakter heraus, wenn sie nach ihrer Wiedererkennung Anstand nimmt, ihren Eltern ihre Leidenschaft zum Theagenes zu erkennen zu geben, und diesen durch ihr Zaudern in Gefahr des Lebens bringt. Theagenes erscheint oft als ein Träumer, der die Hände ruhig in den Schooß legt, wenn er handeln soll. Calasiris soll eine Art von Ulysses seyn: Hydaspes ein großmüthiger König. Ueberall merkt man, daß die Natur nicht zu Rathe gezogen ist.

Die Begebenheiten sind sehr verwickelt, aber nicht gehörig verkettet, am wenigsten aber aus dem Betragen der handelnden Personen hergeleitet. Das letzte Buch ist das fehlerhafteste von allen, und es ist mir unbegreiflich, wie Huet [36] habe sagen können: die Auflösung sey bewundernswürdig. Die Handlung stockt: der Verfasser häuft einen Vorfall auf den andern, bloß um die Handlung aufzuhalten. Anstatt die Tochter von der Mutter in dem Augenblicke wieder erkennen zu lassen, worin sie von ihr zum Altare geführt worden wäre; muß eine gerichtliche und ermüdende Beweisführung eintreten. Theagenes erscheint dabey wie ein Possenreißer, und Hydaspes wie ein Blödsinniger.

[416] Der Verfasser versteht sich nicht aufs Darstellen: er weiß nur zu beschreiben. Die geringsten Umstände werden mit ermüdender Weitschweifigkeit erzählt. Besonders sucht er seine Kenntnisse von Gebräuchen, Religionen, Ländern u. s. w. an den Tag zu legen.

Ueber dem Ganzen weht bereits ein mönchischer Geist, eine kindische mit Aberglauben angefüllte Phantasie. Sie äußert sich sogar in dem Kleide von Goldstoff, worin der Verfasser seine Chariklea wie ein Marienbild einkleidet, und das so oft vorkommt.

Doch, es darf hier nicht meine Absicht seyn, ein Urtheil über dieß Werk in ästhetischer Rücksicht zu liefern. Ich habe nur die Ideen des Verfassers über die Liebe zu entwickeln.

Eines muß ich aber doch noch anführen: nehmlich, daß mancher Zug in dieser Liebesgeschichte sich in den Romanen des vierzehnten, funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts wieder findet. Z. B. daß Theagenes als Sieger im Wettrennen den Preis aus der Hand der Chariklea empfängt: daß er ihre Hand küßt: daß die Liebenden die Feuerprobe bestehen müssen, um dadurch ihre Unschuld darzuthun: daß die Rechtmäßigkeit der Nachfolge in der Hohenpriesterschaft zu Memphis durch einen Zweykampf entschieden wird, u. s. w. Das Ansehn, welches das Werk eines Bischofs bey den Christen gewinnen mußte, hat unstreitig auf die Schriftsteller und Leser von dieser Religion großen Einfluß haben müssen.

Die Liebesgeschichte der Rhodanthe und des Dosikles ist eine auffallende Nachahmung der Aethiopika des Heliodorus. Sie gehört dem Theodorus Prodromus an, von dem wir bestimmt wissen, daß [417] er in der Mitte des zwölften Jahrhunderts gelebt hat.

Erfindung und Ausführung sind in diesem Romane gleich elend. Er hat nichts Eigenthümliches als dieß, daß er in Versen geschrieben ist. Aber diese sind so wässericht, und der Prosa so ähnlich, daß sie dem Werke den Nahmen des Gedichts auf keine Weise sichern können.


Eilftes Kapitel.
Athenäus.

Athenäus, ein Sophist aus dem dritten Jahrhunderte, hat uns im dreyzehnten Buche seiner philosophischen Tischgespräche eine Sammlung ohne alle Kritik aufgeraffter, und halb verstandener Anekdoten über die Liebe zu die Hetären und den Lieblingen hinterlassen. Sie klärt nicht die Sitten seiner Zeit auf: sie kann noch weniger zum Belege unsers Urtheils über die Vorzeit dienen; aber sie ist ein wichtiges Denkmahl des Geistes, der die Sophisten und die Grammatiker bey den Vorstellungen leitete, die sie sich von den Sitten Griechenlands während seiner blühendsten Periode machten.

Athenäus legt den Hetären zur Zeit der Republik und unter den ersten Nachfolgern Alexanders einen großen Stolz auf ihre gelehrten Kenntnisse und auf ihre Einsicht in den schönen Künsten bey, wodurch ihre Unterhaltung an Witz und leichtem Ausdruck gewonnen habe.

Es ist möglich, ich habe es schon gesagt, daß sich einige von diesen Weibern durch Geist und Talent ausgezeichnet [418] haben. Aber was Athenäus zum Beweise beybringt, ist wahrlich nicht im Stande, einen hohen Begriff von ihrem Witze zu erwecken. Abgerechnet, daß ihre bon môts voller Unanständigkeiten sind, lassen sie sich auch mit demjenigen, was man in dieser Art von den filles de Paris, und besonders von der d’Arnoud erzählt, gar nicht in Vergleichung setzen. Und dann! Was rechnet Athenäus nicht alles zur Hetäre? Jedes Weib, das einmahl einer Leidenschaft gehuldigt[WS 12] hat: auch Sappho glaubt er mit diesem Nahmen zu ehren.

Es ist möglich, daß einige Philosophen und andre berühmte Männer Schwächen für Weiber dieser Art gehabt haben. Aber wird man es dem schmutzigen Grammatiker des dritten Jahrhunderts geradezu glauben, daß jeder berühmte Mann seine Beyschläferin aus dieser Classe gewählt habe, die Xenophon und die Komiker so verächtlich darstellen? Plato eine Archeanassa, Aristoteles eine Herpyllis, Epikur eine Leontium, Diogenes in Gemeinschaft mit dem Aristip eine Lais, Isokrates eine Metaneira, (die jedoch Demosthenes dem Lysias beylegen soll) Praxiteles eine Phryne, Menander eine Glycera?

Sieht dieß Alles nicht der Anekdotenjägerey eines Troßbuben der Litteratur ähnlich, dem die Lebensumstände eines bedeutenden Mannes wichtiger sind, als seine Werke, der um recht viel von jenen zu wissen, jede Schmährede seiner Zeitgenossen, jede apokryphische Schrift, die ihm untergeschoben wird, begierig aufrafft, und wohl gar aus der bloßen Nennung einer Person vom andern Geschlecht, die darin beyläufig vorkommt, Veranlassung nimmt, ihm ein Liebesverständniß anzudichten?

[419] Welches Vertrauen kann ein Kompilator verdienen, der sich oft wiederhohlt, oft widerspricht, den nehmlichen Vers bald dem Homer, bald dem Sophokles zuschreibt, und die Ideen des Plato anführt, als ob er sie vom bloßen Hörensagen kennte!

Es ist endlich möglich, daß einigen dieser Hetären ausgezeichnete Ehrenbezeugungen widerfahren sind.

Reiche Wollüstlinge können, besonders nachdem sich ein Asiatischer Luxus durch die Eroberungen Alexanders in Griechenland eingeschlichen hatte, jene Mittel ihres Vergnügens im Rausche der Leidenschaft auf eine schamlose Art öffentlich geehrt haben. So mag ein Harpalus mit schändlich erpreßten Geldern den Hetären Pythionices und Glycera Denkmähler und Statuen haben errichten lassen. So kann der Enthusiasmus einer höchst sinnlichen Volksmenge der Lais auf einem Grabmahle den Beynahmen der Mutter des Amors gegeben, und der eben so schönen als verschwenderischen Phryne eine Statue im Tempel zu Delphi aufgestellt haben. Aber ist es nicht auch möglich, daß der leichtgläubige Schönsprecher die Ehre, deren ein Epigramm jene Weiber würdig hielt, als ihnen wirklich wiederfahren, angesehen habe!

Wie niedrig erscheinen sie bey ihm an andern Stellen. Eine unter ihnen hatte einen Beynahmen davon bekommen, daß sie sich vor der Thüre gewisse Thierchen absuchte, die selbst in Griechenland schwerlich zur guten Gesellschaft gehört haben. Und welche Ideen hat endlich unser Sophist von dem Zwecke der Verbindung mit den Hetären? Alles ging nach seinen Ideen auf den gröbsten Genuß hinaus, und er findet es um nichts unedler, von einer solchen Dame nach Andern für sein [420] gutes Geld Besitz zu nehmen, als wenn man ein Haus oder ein Schiff kauft, das schon von Andern bewohnt und gebraucht ist.

Merkwürdig ist es, daß Athenäus bereits die Liebe zu den Lieblingen als eine grobe Ausgelassenheit betrachtet, sie mißbilligt, die Philosophen davor als vor ihrem Verderben warnt, und sie dennoch den berühmten Männern, die den Gegenstand seiner Bewunderung ausmachen, mit der größten Unbefangenheit zuschreibt.


Zwölftes Kapitel.
Griechische Anthologie.

Die Sammlungen griechischer Epigramme, die Konstantin Kephalas im zehnten, und Planudes im zwölften Jahrhunderte veranstaltet haben, enthalten gleichsam eine Musterkarte der verschiedenen Empfindungen, welche Geschlechtsverbindung und Liebe, seit den ersten Spuren der Kultur in Griechenland haben einflößen können. Inzwischen ist gewiß die größte Anzahl dieser kleinen Gedichte erst in späteren Zeiten, und in der Periode verfertigt, die ich hier umfasse.

Das griechische Epigramm ist weiter nichts, als der kurze aber glückliche Ausdruck einer einzelnen Bewegung unsers Herzens. Dieß unterscheidet es von der Idylle und der Elegie, die eine ganze Reihe von Bewegungen, eine Situation, eine ausgedehntere Stimmung unsers Herzens darstellen. Das Glückliche des Ausdrucks liegt theils in der Form, vermöge der Naivetät der Darstellung, und der Angemessenheit des Bildes; theils in dem [421] Auffallenden der Empfindung selbst, in der Wahrheit und dem Zutreffenden der Bemerkung über uns selbst und Andere. Die Liebe muß natürlich vielen Stoff zu diesen Epigrammen hergeben.

Die eheliche Liebe äußert in dieser Sammlung die zartesten Gefühle, und kleidet sich in die reitzendsten Bilder. Mehrere Epigramme deuten auf wahre aufopfernde Zärtlichkeit unter den Gatten von beyderley Geschlecht hin: auf den Wunsch nach ungetrennter Vereinigung, selbst nach dem Tode: auf Achtung für Frauenwerth: auf Schönheit der Seele bey dem Weibe, die der körperlichen noch vorgesetzt wird. Mädchen und verheirathete Frauen, die zu der Classe der Matronen gehören, bekommen hier Kränze für ihre Tugenden, für ihre Talente; und selbst ihre gelehrten Kenntnisse, in Fächern die sonst nicht zur Kompetenz des zärteren Geschlechts gehören, z. B. in der Rechtsgelehrsamkeit, werden ein Gegenstand des Lobes. Daneben finden wir aber auch Spott über Weiber und ehliche Verbindungen, wiewohl nur sparsam ausgetheilt.

Hin und wieder zeigt sich der Ausdruck der verzehrendsten Leidenschaft, – und gleich darauf der einer frostigen Galanterie. Oft enthalten diese Gedichte ein reitzendes Geschwätz traulich in einander gelagerter Herzen; – oft steht das Bild einer zügellosen Ausgelassenheit zur Seite. Kurz! Alle Modifikationen der gröberen und feineren Geschlechtssympathie finden hier ihre Stelle: Lüsternheit, Begierde nach dem gröbsten körperlichen Genusse: Trieb nach kosender Unterhaltung, nach eitler Auszeichnung, nach dem Stolze auf den Besitz der Person, nach gänzlicher Vereinigung der Seelen zu einem Wesen; und alles dieß ist bald mit unverkennbaren [422] Spuren wahrer Achtung und Liebe vermischt; bald völlig davon entblößt.

Eben diese Verschiedenheit zeigt sich in der Darstellung der Liebe zu den Lieblingen. Sie findet ihre Gegner, aber sie flößt auch Empfindungen ein, die auf den ausschweifendsten Begierden beruhen.

Auch den Hetären werden Blumen gestreuet, aber aus Achtung für ihren Charakter sind sie nicht entsprossen. Schönheit der Gestalt, gesellige Unterhaltungsgaben, Geschwätz, Musik, und die Kunst, bey Gelagen den Becher neckisch darzubieten; das sind die Vorzüge, die an ihnen gelobt werden!




Ende des dritten Theils.


  1. Der 54ste Brief und der 59ste.
  2. 44ste und 45ste Brief.
  3. 58ste Brief.
  4. 3ter Brief.
  5. 19ter Brief.
  6. 30ster Brief.
  7. 31ster Brief.
  8. 33ster Brief.
  9. 38ster Brief.
  10. 41ster Brief.
  11. 34, 36, 40ster Brief des ersten Buchs. 1ster Brief des zweyten Buchs.
  12. 37ster Brief des ersten Buchs.
  13. 39ster Brief des ersten Buchs.
  14. 38ster Brief des ersten Buchs.
  15. Der 4te im zweyten Buche.
  16. Erstes Buch. 10ter Brief und ebendaselbst 7ter.
  17. 12ter Brief im ersten Buch.
  18. Der 21ste Brief im ersten Buche.
  19. 1ster Brief des zweyten Buchs. 16ter Brief in eben dem Buche. 20ster ebendaselbst.
  20. 6ster Brief im zweyten Buche.
  21. 22ster Brief im ersten Buche.
  22. 21ster Brief im zweyten Buche.
  23. 2ter Brief im zweyten Buche.
  24. 2ter Brief im zweyten Buche.
  25. 25ster Brief im ersten Buche.
  26. 1ster, 7ter, 8ter Brief.
  27. 16ter Brief des ersten Theils.
  28. 6ter Brief im zweyten Theile.
  29. 18ter Brief des zweyten Theils.
  30. 4ter Brief des ersten Buchs.
  31. 18ter Brief des ersten Buchs.
  32. 19ter Brief des ersten Buchs.
  33. 25ster Brief des ersten Buchs.
  34. Photii Myriobiblon sive bibliotheca p. 355. edit. Andreae Schottii de 1653.
  35. Photii Bibliotheca p. 235.
  36. De l’origine des Romans p. 60.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: hinreichen (siehe Verbesserungen)
  2. Vorlage: des
  3. Vorlage: verehrte […] begleitete (siehe Verbesserungen)
  4. Vorlage: Jahrhunders
  5. Vorlage: sonern
  6. Vorlage: mir und deiner (siehe Verbesserungen)
  7. Vorlage: Entbehrund
  8. Vorlage: beyde zeigen, sich so träumend (siehe Verbesserungen)
  9. Vorlage: erfolgte (siehe Verbesserungen)
  10. Vorlage: einem
  11. Vorlage: unnennbareen
  12. Vorlage: geduldigt