Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils zweyte Abtheilung/Neunzehntes Buch

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< Neunzehntes Buch >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung
Seite: {{{SEITE}}}
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[5]
Neunzehntes Buch.
Denkungsart der Araber und Perser über Geschlechtsverbindung und Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Die Ideen der Orientaler über Liebe und Geschlechtsverbindung können mich nur in so fern interessieren, als sie von einer gewissen Bildung des Herzens und des Geistes zeugen, die wieder auf die Bildung des Ideenkreises, worin wir leben, Einfluß gehabt haben kann. Dieß ist der Gesichtspunkt, den ich gleich zu Anfang dieser Geschichte der Liebe und der Geschlechtssympathie angegeben habe, und den ich auch hier nicht verlasse. Wie die rohen Völker am Caucasus über ihr Verhältniß zu dem zärteren Geschlechte gedacht[WS 1] haben mögen; oder welche Begriffe der Bramine und der Mandarin in Indien und China darüber gehabt[WS 2] haben können; das sind für mich Gegenstände einer unfruchtbaren Neugierde. Ich verfolge die Schicksale der Kultur unserer Begriffe [6] über den wichtigen Theil der Sitten, dem dieses Buch gewidmet ist.

Nach diesen Grundsätzen gehe ich bloß auf dasjenige ein[WS 3], was die Araber und Perser über Geschlechtsverbindung und Liebe gedacht haben. Diesen beyden Völkern legt man einen großen Einfluß auf die Kultur des Abendlandes überhaupt, und besonders auf diejenige Sitte bey, welche wir unter dem Nahmen der Galanterie im nächsten Buche kennen lernen werden. In wie fern dieser Einfluß anzunehmen, und wohin er zu beschränken sey, das muß vorzüglich aus derjenigen Untersuchung erhellen, die wir jetzt anstellen wollen.

Es ist nicht von mir zu erwarten, daß ich die Arabische und Persische Litteratur aus der Grundsprache kennen soll. Ich habe mich an Uebersetzungen und an Auszüge halten müssen. Schade daß dieser bis jetzt nur wenige sind! Aber dieß Wenige habe ich nach bestem Fleiße genutzt. Ich wiederhohle hier den Dank, den ich schon in der Vorrede zum dritten Theile dem Herrn Professor Tychsen gezollt habe. Ihm bin ich die Einsicht der Werke schuldig, die ich zu der folgenden Arbeit genutzt habe.

[7]
Zweytes Kapitel.
Ideen der ältern Arabischen Dichter über veredelte Geschlechtsverbindungen.

Mich dünkt, Richardson [1] und Jones [2] fehlen beyde darin, daß sie bey der Darstellung der morgenländischen Litteratur und Gebräuche zwey Hauptperioden nicht unterscheiden, von denen die eine vor der nähern Bekanntschaft dieser Völker mit den Schätzen der Griechischen Litteratur und dem Aufleben der neueren Persischen Poesie, die andere nachher angenommen werden muß. Die erste Periode geht vom siebenten Jahrhunderte bis zum zehnten: die zweyte vom zehnten bis zum funfzehnten herunter. Ich werde eine nach der andern einer genaueren Prüfung zu unterwerfen suchen.

Abi[WS 4] Temmam, oder eigentlicher Habib Ebn Aus hat im dritten Jahrhunderte nach Muhammed eine Sammlung alter Arabischer Gedichte verfertigt, die in zehn Rubriken oder Bab’s vertheilt war, deren erste von kriegerischer Tapferkeit (Hamasa) handelt, und der ganzen Sammlung den Nahmen gegeben hat. Das vierte Buch soll die Liebesgedichte, das zehnte das Lob und den Tadel der Weiber enthalten. Aber beyde sind mir nicht bekannt geworden, und scheinen auch wenig unter den gelehrten Forschern der orientalischen Litteratur [8] in Europa bekannt zu seyn. Schultens [3] hat bloß aus den drey ersten Büchern dieses Werks einige Excerpte geliefert.

In diesen erscheint ein kriegerischer Geist, der durch die Blutrache, die steten kleinen Kriege einzelner Stämme und Familien, so wie durch die ganze Verfassung des meist nomadischen Volks genährt und ausgebildet wurde. Dieser Heldengeist ist mit Leidenschaft zum Geschlecht genau verbunden, und giebt dieser den Charakter eines rüstigen, wackern Enthusiasmus.

So singt einer von diesen Dichtern: „Dein dacht’ ich, wenn Spieße zwischen uns geschleudert wurden, und schwarze Pfeile unser Blut tranken.“

In eben diesem Geschmacke ist eine andere Stelle, die Jones anführt: „Gewiß! ich dachte deiner, wenn Spieße sich von meinem Blute sättigten, und indischer Stahl darin gebadet wurde. Begierig war ich, jene Schwerter zu küssen, die deinen Zähnen gleich, wenn du lächelst, blitzen.“ [4]

Unstreitig mußte diese rüstige Liebe dadurch noch einen thätigern, unternehmendern Charakter annehmen, daß der Liebhaber bey der eingezogenen Lebensart des Frauenzimmers große Schwierigkeiten zu überwinden hatte, ehe er sich mit seiner Geliebten vereinigen konnte. In einem Gedichte des Amralkeis rühmt sich dieser, [9] daß er, um die Freuden der Liebe bey dem eingeschlossenen Mädchen zu genießen, Nachts durch die Haufen der Wächter und anderer Menschen gedrungen sey, die alle begierig nach seinem Tode gewesen wären. [5]

Ein heißes Blut, ein feuriger Geist, zeichnen ohnehin den Araber aus. Jene Hindernisse, die sich seinen Begierden entgegen setzten, mußten seine Leidenschaft erhöhen, und seine Einbildungskraft doppelt entflammen. Die meisten Gedichte dieser Nation enthalten das Lob der Schönen unter Bildern, an denen die Phantasie ihre ganze Wirksamkeit im Idealisieren äußert. Die Geliebte erscheint dem Araber unter den reitzendsten Gestalten die er kennt: nicht bloß in Blumen und Bäumen, sondern auch in der lieblichen Ghazelle, in dem nützlichen Kameele, und sogar, wie wir eben gesehen haben, in dem Blitzen der Schwerter, die ihm, als Mittel seines Ruhms, so theuer waren. Daher aber auch der elegische Ton in diesen Gedichten, der mit demjenigen so sehr überein kommt, den wir bey allen Nationen antreffen, die etwas mehr als die Befriedigung einer bloß körperlichen Begierde in der Geschlechtsverbindung suchen. Der Liebhaber zeigt seine ganze Abhängigkeit von dem geliebten Gegenstande durch Klagen, die seine Qualen, Aengste, Sehnsucht und Verzweiflung ausdrücken. Oft lebt er nur in Erinnerungen an genossene Freuden, oder in kühnen Hoffnungen; oft ruft er die Naturkräfte, und besonders den Zephyr um Beystand in seinem liebenden Bestreben an.

[10] „O meine Freunde, singt Ebn Feras, wo finde ich Schutz für meine Qual! Der Glanz der jungen Ghazelle, deren Euter von Milch strotzen, hat mein Herz verwundet. Er verlängert meine Nächte und verkürzt meinen Schlaf!“

„O Nacht, ruft ein Anderer, nie vergesse ich deine Süßigkeit; du vereinigtest alle Arten der Freude. Mein Mädchen lag an meiner Seite, und Amor war in unserer Mitte, bis die Morgenröthe uns grüßte, und ich dir Lebewohl! sagte.“

„Ach! wie süß, klagt ein Dritter, würde die Liebe zu ihr seyn, wenn sie die Treue bewahrte, und meine aufrichtige Zärtlichkeit erkennte! Aber Kummer und Schmerz, Treulosigkeit und Leichtsinn werden in der blutigen Liebe zu ihr gemischt!“

Ein Vierter redet den Zephyr an: „Ich beschwöre dich bey Gott, du Duft der Morgenlüfte, bring meinen Gruß den Bewohnern jenes Thals!“

Dieser Zephyr wird an einem andern Orte redend eingeführt: „Durch mich reifen die Früchte, durch mich glänzen die Blumen und wallen die Bäche, durch meinen Hauch werden die Geheimnisse der Liebe verbreitet. Früh verkündige ich die Ankunft des Freundes. Ich bin der Gesandte der Liebhaber an ihre Geliebten, und der Tröster derer, die unter Kummer erliegen!“[6]

Der Arabische Dichter hat also unstreitig seine Geschlechtsverbindungen durch einen geistigen Genuß zu veredeln und zu verschönern gesucht. Es fragt sich: hat er einen Weg verfolgt, den andere Völker vor ihm noch [11] nicht gegangen waren? und wie hoch ist er darauf gestiegen?

Unstreitig würde es etwas Charakteristisches für seine Art zu lieben seyn, wenn er die Idee gehabt hätte, sich durch Heldenthaten auszuzeichnen, um seiner Geliebten würdig zu werden. Denn diese Erhebung des kriegerischen Muths um der Achtung willen, die der Liebhaber dem Weibe zollt, ist etwas der Vorwelt unbekanntes. Allein darüber finden wir durchaus keine sichern Beweise. So viel dürfen wir annehmen, daß der Araber sich durch Abenteuer auszuzeichnen gesucht habe, um seine Geliebte aufmerksam auf seinen Werth zu machen, und daß er keine Gefahren gescheuet habe, um zu ihrem Besitze zu gelangen. Diese Vereinigung des kriegerischen Muths, der Ruhmbegierde und des Unternehmungsgeistes mit der Liebe ist aber gar nichts Auszeichnendes für den Araber. Sie findet sich beynahe bey allen Völkern wieder, die zu gleicher Zeit dem Kriege und den Weibern ergeben sind. Die Bestrebung, sich durch die Vorstellung des Werths seiner Dame über sein niedriges Selbst zu erheben, und durch Bestehung außerordentlicher Gefahren ihrer würdig zu werden, ist weit verschieden von dem Wunsche, die Bewunderung der Schönen auf sich zu ziehen, damit sie unsern eiteln oder sinnlichen Wünschen dadurch geneigter werde. Jenes setzt Achtung der Person, Ueberzeugung von der unmittelbaren Wichtigkeit ihres Beyfalls zum voraus: diese Bemühung kann ein Wesen erwecken, das wir verachten, und findet ihre Belohnung in dem weiter liegenden Zwecke der Befriedigung einer höchst materiellen Begierde.

Nun scheint es allerdings, daß das Arabische Frauenzimmer zu den Zeiten Muhammeds ein gewisses Ansehn [12] genossen habe. Die Weiber zogen mit ihren Männern, Vätern, Brüdern auf die Streifereyen aus, welche diese unternahmen. Sie thaten sich zuweilen durch ihren Einfluß auf die Krieger, durch Anfeurung derselben zum Muth, ja, durch persönliche Proben von Tapferkeit hervor. Man findet Beyspiele von klugen Gattinnen und Müttern, die im Nahmen anderer, und von Fürstinnen, die als Selbstherrscherinnen regiert haben. [7] Es ist glaublich, daß der Araber dem Beyfalle der Weiber, die nicht bloß Zeuginnen sondern auch Beurtheilerinnen seiner Thaten seyn konnten, mit doppelter Begierde nachgestrebt haben werde.

Aber woher kommt es, daß der kriegerische Muth der Frauen, so wie die Vorzüge ihres Geistes und ihres Charakters in den Gedichten der Araber so wenig gepriesen werden? Woher kommt es, daß das Lob, das ihnen ertheilt wird, sich so ganz auf ihre Gestalt einschränkt? Findet man auch nur eine Stelle, worin der Dichter sich um der Liebe, um der Würde seiner Schönen willen, zur Tapferkeit ermuntert und angefeuert hätte? Ich finde von allem diesem nichts, und die sehr geringe Rolle, welche die Weiber im Koran spielen, läßt mich kaum an die große Achtung glauben, in der das zarte Geschlecht im Ganzen gestanden haben sollte. Einzelnen Personen konnte die höhere Stufe des Ansehens dennoch gesichert bleiben.

Aber zugegeben, der Araber sey tapfer gewesen, weil er seiner Dame würdig seyn, und ihren Beyfall erwerben wollte, so ist doch gewiß dieser Beyfall nie Zweck [13] seiner ganzen Verbindung mit ihr; ja, man darf es dreist behaupten, nicht einmahl Schadloshaltung für Versagung einer engeren körperlichen Vereinigung gewesen. Seine Leidenschaft hatte sinnliche Zwecke, und die Befriedigung gröberer Begierden wird oft auf eine höchst indelicate Art in seinen Gedichten geschildert. [8] Aber diese Sinnlichkeit stand mit seinem kriegerischen Enthusiasmus in genauem Verhältnisse; er sah seine Tapferkeit als ein Mittel zum Besitz der Schönen zu gelangen, und diesen Besitz als eine Belohnung seiner Tapferkeit an. Eine idealisierende Phantasie und die Füllung des Herzens traten außerdem hinzu, den körperlichen Genuß durch Beymischung von Freuden zu erhöhen, die mehr für die Seele gehören.

Diese Charakteristik der Liebe bey den ältern Arabern scheint mir um so richtiger zu seyn, als die Liebe im Koran gleichfalls sinnlich dargestellt wird. Auch die morgenländischen Erzählungen, deren Sammlung wir unter dem Titel der Tausend und eine Nacht besitzen, kennen keine andere Art von Geschlechtsverbindung.

[14]
Drittes Kapitel.
Ideen der spätern Araber und der neueren Perser über die Liebe.

Die spätern Araber sind mit den Griechischen Philosophen bekannt geworden, und haben Geschmack an den Dichtungen der Perser gefunden. Beydes scheint einige Revolution in ihren Ideen über die Liebe hervorgebracht zu haben. Wir können inzwischen die höhere Kultur nicht vor dem zehnten Jahrhunderte annehmen. Erst im neunten Jahrhunderte wurden die Araber mit der Philosophie und andern speculativen Wissenschaften bekannt. Der Kalif Al Mamum erstand Griechische Bücher mit ungeheuern Kosten, und ließ sie übersetzen. [9] Man kann sicher glauben, daß bey der großen Abneigung der Araber gegen eine Aufklärung, die sie nachtheilig für ihre Religion hielten, ein Jahrhundert habe vergehen müssen, ehe sich ihr Einfluß verbreitet habe. Im zehnten Jahrhunderte findet man die ersten Spuren der Persischen Poesie. [10] Die Verfasser der Persischen Liebesromane datieren aus einer noch spätern Zeit. Nezami lebte zu Ende des zwölften, Katebi im funfzehnten Jahrhunderte. [11]

[15] Die Araber kannten den Plato, und nannten ihn den Göttlichen. [12] Sie kannten ein Werk des Aristoteles über die Liebe, das wir verloren haben. [13] Averroes, der selbst verliebte Gedichte schrieb, [14] folgte den Peripatetikern, und commentirte über Schönheit und Liebe. [15]

Die erste Veranlassung zur Vergeisterung der Ideen über die Liebe zum Geschlecht hat wahrscheinlich die mystische Liebe zu Gott gegeben. Die Schwärmerey, sich von sinnlichen Dingen gänzlich abzuziehen, und sich in Gott zu verlieren, war die höchste Stufe religiöser Vollkommenheit. Wer dieß an Wahnsinn grenzende Bestreben der Araber, sich zu entkörpern, kennen lernen will, wird eine sehr interessante Darstellung darüber in dem Romane des Ebn Tofail finden. [16] Der Held dieses Romans saß unaufhörlich im Innersten seiner Höhle, mit niedergesenktem Haupte, mit verschloßnen Augen, abgezogen von allen sinnlichen Dingen und körperlichen Kräften, mit Seele und Gedanken auf das Wesen von nothwendiger Existenz gerichtet. Er vergaß oft alles Andenken an andere Wesen außer dem seinigen. Endlich verlor er auch dieß, und er vernahm weiter nichts, als den Einzigen, Wirklichen, das Wesen ewiger Existenz.

[16] Herbelot [17] sagt uns, daß die Araber fünf Stufen der göttlichen Liebe annehmen: die Freundschaft, (amitié) die Liebe, (amour) das Verlangen, (desir) die Begeisterung, (ardeur) und die Entzückung (extase.) Sie erklären, fährt er fort, die Liebe für die Zuneigung des einzigen und wahren Guts zu seiner höchsten Schönheit im Allgemeinen. Diese Liebe hat vier Arten:

1) des Allgemeinen zum Allgemeinen: so liebt Gott, wenn er sein eigenes Wesen in dem Spiegel seiner eigenen Essenz ohne Mittel einer andern Substanz betrachtet, und dann bringt er von Ewigkeit an die erste Liebe hervor.

2) Die zweyte Art ist die Liebe des Allgemeinen zum Einzelnen: nehmlich, wenn Gott eine Unendlichkeit von Blicken auf den Glanz seiner Schönheit wirft, die sich theils in der Vortrefflichkeit seiner Attribute, theils in der Vollkommenheit seiner Werke abspiegelt.

3) Die dritte Art der Liebe findet zwischen dem Einzelnen zum Einzelnen Statt. Die Menschen sind es, die auf diese Art lieben. Sie betrachten den Abglanz der höchsten Urschönheit an den vergänglichen Dingen, finden darin die Quelle ihrer liebsten Beschäftigungen und ihres Glücks, freuen sich, wenn sie diese besitzen, und trauern, wenn sie ihnen entrissen werden.

4) Endlich findet die vierte Liebe zwischen dem Einzelnen zum Allgemeinen Statt. Vermöge dieser entäußern sich die von Gott auserwählten Seelen aller Gedanken und Neigungen zu den irdischen Dingen, und bedienen sich nur der Betrachtung ihrer Eigenschaften, [17] um sich zu demjenigen zu erheben, der ihr erster Urquell ist, und[WS 6] sich mit ihm zu vereinigen.

Diese Sätze kommen ziemlich mit denjenigen überein, welche Proklus, Jamblichius, und überhaupt die neueren Platoniker lehren. Sie waren in den Mysticismus der Christen und Juden übergegangen, und mußten um so mehr gefallen, da sie dem Geiste der Religion und des Volkes, das sie ausübte, so sehr angemessen waren.

Nun fand man aber im Koran die Geschichte Josephs, oder Jousoufs, und der Zoleikha, oder Zuleikah, Weibes des Potiphar, die mit jenen Ideen einer geistigen Liebe sehr wenig Aehnlichkeit hatte. Man suchte diese Begebenheit auszubilden, und nach den Begriffen der zugenommenen Kultur zu veredeln. Amak, der im eilften Jahrhunderte lebte, setzte aus dieser Geschichte einen Roman in persischen Versen zusammen. Giami folgte ihm im funfzehnten Jahrhunderte nach. [18]

Es geht mir sehr nah, daß ich von diesem Romane weiter nichts sagen kann, als was Herbelot uns darüber mittheilt. [19] Er behauptet, daß sich die Muselmänner der Nahmen und des Beyspiels der Helden dieses Romans bedienen, um die Herzen der Menschen über die gewöhnliche Liebe zu erhöhen, und daß sie unter dem Bilde ihrer Verbindung die Erhebung der Seele zu Gott verstehen. Er führt eine Stelle aus dem Hafiz an, worin dieser sagt: ich begreife sehr wohl, wie die außerordentliche Schönheit Josephs das Herz der Zoleikha über [18] die Grenzen einer gewöhnlichen Liebe emporrücken konnte.

Herbelot behauptet ferner, daß dieser Roman nebst einem andern unter dem Nahmen Megnun und Leile, oder Leileh, eine eigene Classe ascetischer Dichtungen über die göttliche Liebe ausmachen, deren Autorität außerordentlich groß ist, weil sie sich auf Begebenheiten beziehen, die im Koran vorkommen.

In wie fern dieß in Ansehung des letzten Romans wahr sey, kann ich nicht beurtheilen. Mir ist die Geschichte des Megnun aus dem Koran nicht bekannt. [20] Dieser Nahme soll einer wirklichen Person eigen gewesen seyn, die unter dem Khalifen Moaviah, (der 667–679 regierte) und Kais el Ameri hieß. Leileh könnte man für die Schwester des Ibn Abu Leileh halten. [21]

Megnun bedeutet im Arabischen so viel als einen Besessenen, einen Begeisterten. [22] Die wirkliche Person, welche diesen Nahmen führte, gehört so wie seine [19] Geliebte Leileh, in den Cyklus der ersten Begleiter und nächsten Nachfolger des Mahommed. [23] Diese beyden Umstände haben, wie ich vermuthe, ihren Nahmen und Begebenheiten das große Ansehn unter den Mahommedanern zugezogen.

Ich halte aber die Vorstellung, welche uns Herbelot von der Natur der Liebe und ihrer Behandlung in diesen Romanen giebt, für irrig. Nach ihm sollen die Muselmänner darin eine Allegorie der Liebe der Kreatur zum Schöpfer finden; so wie wir etwas Aehnliches in unserm hohen Liede Salomonis suchen. Allein wenn wir mehrere Stellen, die er darüber anführt, zu Rathe ziehen, so scheint darin nicht bloß eine allegorische Darstellung der unmittelbaren Liebe des Menschen zu Gott, (oder, wie die arabischen Philosophen sich ausdrücken, des Einzelnen zum Allgemeinen:) sondern vielmehr die Darstellung einer Liebe des Menschen zum Menschen (des Einzelnen zum Einzelnen) zu liegen, wovon aber der Grund in mystischen Ideen vom Abglanze der Urschönheit an den vergänglichen Geschöpfen, von den Mystikern gesetzt seyn kann. Zoleikah wird durch die außerordentliche Schönheit des Jousouf, über die Gränzen einer gewöhnlichen Liebe empor gehoben, sagt Hafiz an der von Herbelot angeführten Stelle. Diese erhält ihre nähere Bestimmung aus einer andern, worin eben dieser Dichter sagt: aus jener Schönheit, welche Joseph besaß, und die mit jedem Tage zunahm, habe ich erfahren, daß selbst [20] die Liebe einer Zoleikah den Schleyer der Keuschheit abwirft. [24]

Herbelot [25] führt persische Verse an, worin ein Dichter sagt:

„Deine Schönheit, o Gott, deren Glanz sich vergebens unter Schleyern verbirgt, hat eine Menge von Liebhabern und Geliebten hervorgebracht. Dein Reitz war es, den Leileh ausathmete, und der das Herz des Megnun hinriß. Die Begierde dich zu besitzen gab dem Vamek die Seufzer nach derjenigen ein, die er anbetete.“

Deutlicher wird dieß noch aus der Stelle eines türkischen Dichters: [26]

„Wer seine Augen auf dich wendet, o Herr, der hält sich nicht länger dabey auf, Leileh zu betrachten. – Leb wohl! Leileh! Ich habe heute meinen Herrn gefunden: deine Liebe hat mich zur Liebe des wahren und einzigen Gutes geführt!“

Offenbar die Lehre der Platoniker! Die Liebe zur Kreatur erhebt zur Liebe Gottes! Dabey liegt weiter keine Allegorie zum Grunde: Jousouf und Leileh sind so wenig Symbole des höchsten Wesens, als Zoleikha und Megnun Symbole der Kreatur sind. Es sind wirkliche Personen, deren Leidenschaft durch den Zug der Kreatur zum Abglanze der Gottheit entschuldigt und veredelt wird.

Gentius liefert uns in seinem Kommentare über den Gulistan des Sadi eine Stelle aus den Auslegern der [21] Geschichte des Joseph und der Zoleikha im Koran. Alle Weiber, sagen diese Interpreten, verabscheueten das Weib des Potiphar, daß es besonders in dem Range, den es in der Welt behauptete, durch unanständige Liebkosungen die Unschuld eines Cananäischen Knechtes zu verführen suchte. Um seine Schwäche zu entschuldigen, bat es diese Weiber zu sich, und gab jedem von ihnen ein Messer und einen goldnen Apfel zu schälen in die Hand. In dem nehmlichen Augenblicke ließ es aber auch den Joseph vortreten, und alle Weiber schnitten sich, in der Bestürzung über seine große Schönheit, in die Hand. Bey Gott! riefen sie alle, dieser ist kein Mensch; er ist der Schönste unter den Engeln! Zoleikha ward entschuldigt. [27]

Es läßt sich nach Allem, was ich angeführt habe, nicht glauben, daß die Liebe, so wie sie in diesem Romane vorkommt, rein von Sinnlichkeit gewesen sey. Schon Plato leitete den körperlichen Vereinigungstrieb aus dem Zuge zur Gottheit her. Bey dem Orientaler liegt aber zwischen dem Mysticismus und der Sinnlichkeit noch weniger Widerspruch. Ueberall findet man bey ihnen, wenn ich so sagen darf, Spuren einer verkörpernden Phantasie, einer Vergeistigung der materiellesten Dinge. Die deutsche Bibliothek der Romane [28] liefert einen Auszug aus dem Romane des Megnun und der Leileh, nach der Uebersetzung des Cardonne. Ich kann nicht beurtheilen, in wie fern er mit dem Originale übereinkommt. Aber er bestätigt völlig meine angegebene Vermuthung. Es ist ein wahrer Liebesroman, [22] der sogar Vieles von der Oekonomie des griechischen hat. Zwey Liebende, die sich bald vereinigen, werden von ihren Eltern, die sich ihrer Heirath widersetzen, getrennt. Der Liebhaber verliert darüber den Verstand, und erhält dieses Umstands wegen den Nahmen Megnun. Nach mehreren abwechselnden Schicksalen, welche die Liebenden bald näher zusammen führen, bald weiter von einander trennen, wird Leileh an Megnun’s Nebenbuhler verheirathet. Aber sie verweigert diesem, treu ihrem ersten Gelübde, die Rechte der Ehe, und endigt ihr Leben vor Schmerz: Megnun folgt ihr bald nach, und die Gebeine des unglücklichen Paars werden neben einander begraben.

Man sieht wenigstens aus dieser Darstellung, so unbefriedigend sie übrigens ist, daß die Liebe hier auf keiner geistigen Vereinigung beruht. Der Zweck der beyden Liebenden ist Ehe, und Leileh setzt den Begriff des Besitzes ihrer Person in der Vereinigung der Körper. Megnun glaubt, daß die Treue, die sie ihm geschworen hat, dadurch gebrochen werde, daß sie in den Armen eines andern ruht, und sie glaubt diese dadurch zu bewahren, daß sie ihrem Gatten die letzte Gunst verweigert.

Wodurch aber kann sich die Liebe, wie sie in diesem Romanen dargestellt wird, von der Liebe in den übrigen Romanen unterscheiden, welche die Orientaler besitzen? Ich glaube durch die Autorität, welche ihre Helden aus dem Zusammenhange ihrer Begebenheiten mit dem Cyklus der heiligen Geschichte der Mahommedaner ziehen. Es sind verliebte Legenden!

Neben jenen Geschichten geheiligter Liebesabentheuer besitzen die Orientaler andere Romane, deren Süjets [23] aus der profanen Welt hergenommen sind. Herbelot führt ihrer fünfe an:

1) Beschir ve Hend von Nagibeddin, Giarbadh Kani.

2) Gemil ve Schemba oder Schambah.

3) Bahram ve Gul-Endam von Katebi,

4) Khosrou ve Schirin von Nezami, und

5) Vamek ve Adra.

Von allen diesen Romanen wissen wir so gut wie nichts.

Gemil und Schambah sollen unter Abdalmalek 684 biß 704 gelebt haben. Dieser Khalife, der viel von diesem Paare gehört hatte, forderte Schambah vor sich. Er fand sie schwarz und mager. Welche Reitze, rief er voll Verwunderung aus, kann Gemil in dir finden, um dir vor so vielen andern Weibern den Vorzug zu geben! Schambah antwortete ihm: „welches Verdienst erkannten die Völker in dir, daß sie dich unter allen zum Regenten wählten? Wisse, derjenige allein verdient die Achtung der Männer, dessen Seele dem fehlerfreyen Diamanten gleicht.“

Dieser Zug läßt auf eine Geschlechtsvereinigung schließen, welche die Vorzüge der Seele für ein stärkeres Band als das der Schönheit hält.

Baharam war ein kühner Abentheurer, der seine Geliebte, Gulendam, eine Königstochter, durch seine Thaten erwarb. Seine Geschichte hat viel Aehnlichkeit mit unsern Ritterromanen. Die Scene wird in die Zeiten Theodosius des jüngern versetzt.

Bey dem Romane Khosrou und Schirin soll die Geschichte der Irene, der Tochter des Kaisers Mauritius zum Grunde liegen, die an Khosroes Parviz, König [24] von Persien, verheirathet wurde. Herbelot führt noch einen andern Roman an: Schirin und Ferhad, und den Vers eines persischen Dichters, worin dieser sagt: „Die Liebe öffnete die Lippen Schirins, und raubte Herz und Verstand dem Khosrou und Ferhad.“

Die Orientaler besitzen viele Schriften über die Schönheit und Liebe, welche guten Theils religiösen und metaphysischen Inhalts seyn mögen. Andere scheinen mehr von praktischer Art zu seyn, und sich mit der eigentlichen Geschlechtssympathie zu beschäftigen. [29]


Viertes Kapitel.
Fortsetzung.

Das Wichtigste, was wir über die Liebe der Orientaler haben, finden wir in dem Rosengarten des Saadi oder Sadi. [30] Das fünfte Kapitel desselben handelt ganz von der Liebe und der Jugend. Der Ausdruck der sinnlichen Begierde steht hier neben Ideen von einer vergeistigten Geschlechtsverbindung. [25] Vieles wird deutlicher, wenn wir wissen, daß Sadi ein Religiose, ein Sofi, war.

Hier fragt man: wie es zugehe, daß ein König, der die schönsten Jünglinge in seiner Begleitung hat, einen minder schönen liebe? Die Antwort ist, weil dasjenige, was der Seele gefällt, auch den Augen schön erscheint. – Ein vornehmer Mann liebt seine Magd mit anständiger Liebe. Einer seiner Freunde macht ihm Vorwürfe darüber: er antwortet: die Liebe hebt den Unterschied der Stände auf. – Ein Religiose ist das Opfer einer Leidenschaft zu einem Mädchen, die ruchtbar wird, und ihm die größten Qualen und Unruhen zuzieht. Vergebens macht ihm Sadi Vorwürfe darüber. Er schützt die unwiderstehliche Macht der Liebe vor: selbst die augenscheinlichste Gefahr des Todes würde in seinen Gesinnungen keine Aenderung hervorbringen. – Ein junger Religiose verliebt sich in eine Königstochter. Auch hier sind alle Ermahnungen seiner Gesellen umsonst. Man hinterbringt der Prinzessin den unglücklichen Zustand des jungen Mannes, der sich sonst durch seine Beredtsamkeit so sehr ausgezeichnet hatte. Sie erräth den Grund, und als sie ihn auf einem Spatzierritte antrifft, wendet sie ihr Pferd zu ihm, und redet ihn an. Anfangs findet er keine Worte, um ihr zu antworten; als sie ihm aber sagt, daß sie selbst eine Anhängerin und Dienerin der Religiosen sey, hebt er sein Haupt aus den Fluthen der Liebe, spricht: welch Wunder, daß ich in deiner Gegenwart mir selbst gegenwärtig bin! und giebt freudig den Geist auf. – Ein Lehrer liebt seinen schönen Schüler. Er fühlt die Gefahr, aber er kann seine Augen nicht von der [26] Gestalt des Jünglings abwenden. Dieser bittet ihn, ihm seine Fehler zu entdecken. Der Lehrer antwortet: dem Feinde scheint die Tugend selbst ein Fehler: der Freund sieht, wenn sein Geliebter bey siebzig Fehlern nur eine Tugend hat, nur diese Tugend. – Sadi erhält einen nächtlichen Besuch von seiner Geliebten. Er stürzt ihr entgegen, und von dieser schnellen Bewegung erlischt seine Handfackel. Sie fragt ihn, warum er sie bey ihrem Anblick ausgethan habe? „Weil ich glaubte, daß die Sonne aufgegangen sey! antwortet Sadi sehr galant.

Mehrere witzige Repartien scheinen anzuzeigen, daß die Perser bey ihren Geschlechtsverbindungen einen großen Werth auf die schönere Form des Ausdrucks ihrer Empfindungen legten. Sadi macht seiner Freundin Vorwürfe darüber, daß sie so lange sich seiner Sehnsucht entzogen habe. Besser Sehnsucht als Ueberdruß, ist die Antwort. Ein andermahl wirft sie ihm vor, daß er während seiner Abwesenheit ihr keinen Boten gesandt habe. „Ich ertrug es nicht, antwortete er, daß ein Anderer deines Anblicks genöße, während ich desselben entbehrte. Ich bin neidisch, wenn dich Jemand bis zur Sättigung betrachtet: und dann sag’ ich mir wieder: Niemand kann von deinem Anblicke gesättigt werden.“ –

Ich habe, sagt Sadi, einen Religiosen gesehen, der eine anständige Liebe hegte, und dem es genügte, mit seiner Geliebten zu sprechen. Er stand unglaubliche Qualen aus, und zeigte eine außerordentliche Geduld. Ich ermahnte ihn. Ich weiß, sagte ich, daß die Befriedigung der Lüsternheit nicht der Zweck deiner Leidenschaft ist, und daß keine schändliche [27] Absicht bey deiner Liebe zum Grunde liegt. Aber es ziemt sich demungeachtet nicht für den hohen Rang, den du unter den Lehrern einnimmst, dich verdächtig zu machen, und der Leidenschaft roher Menschen zu huldigen. O Freund! antwortete dieser, oft habe ich mir diese Ermahnungen selbst gegeben, aber ich habe gefunden, daß es leichter sey, jede Qual um der Geliebten willen zu erdulden, als das Auge ganz von ihrer Betrachtung abzuwenden.

Sadi liebt seine Geliebte um ihrer schönen davidischen Stimme und ihrer josephischen Schönheit willen. Aber es mißfällt ihm etwas an ihren Sitten, und er verstößt sie. Sie geht von ihm mit den stolzen Worten: Wenn gleich der Abendstern beym Glanze der Sonne nicht sichtbar ist, so wird dadurch der Werth dieses Glanzes nicht vermindert. Bald empfindet Sadi die Wahrheit dieser Worte durch die Entbehrung ihres Umgangs. „Kehre wieder, ruft er, und tödte mich! Es ist besser, in deiner Gegenwart zu sterben, als fern von dir ein elendes Leben hinzuziehen.“ Sie kehret wieder: aber Stimme und Schönheit sind verloren, und Sadi flieht sie: er liebt nur die Blüthe der Jugend.

Man legte einem Religiosen folgende Frage vor: Wenn Jemand mit dem schönsten Mädchen allein in einem Zimmer sitzt, die Thüren sind verschlossen, die Wächter schlafen, die Sinne sind gereitzt, und die Lüsternheit erwacht; kurz! wenn nach dem Ausdruck des Arabers die Dattel reift, und der Gärtner das Abbrechen nicht wehrt; Wie dann? Wird das fromme Gefühl der Pflicht den Sofi vor dem Falle bewahren können? Die Antwort ist: wenn ihn das Mädchen [28] unversehrt läßt, so werden ihn die Zungen der Lästerer zerreißen.

Sadi hat in seiner Jugend ein Mädchen mit wahrer Liebe geliebt. Seine Schönheit war für ihn wie die Morgengegend, zu der man sich beym Gebete wendet, und die Unterredung mit der Geliebten machte den ganzen Gewinn seines Lebens aus. Engel können vielleicht schöner seyn, aber Menschen sind es nicht. Keiner wird ihr gleich geboren. Die Liebe, die er für sie empfunden hat, macht ihn unfähig, eine ähnliche für andere zu empfinden. Sie starb! Mehrere Tage brachte er klagend auf ihrem Grabe zu. Von dieser Zeit an floh er den Umgang mit der Jugend, und krümmte sich in seinem Schmerze wie eine verwundete Schlange.

Einem arabischen Könige wird hinterbracht, daß Megnun alle Geschäfte vernachlässigt, seine Talente ruhen läßt, und nur für Liebe lebt. Er macht ihm darüber Vorwürfe. Ach! sagt Megnun, du solltest meine Leileh sehen! Der König läßt sie kommen, findet aber in ihr nur eine ganz gewöhnliche Gestalt. Er schweigt. Megnun erräth ihn. Ach! spricht er, du müßtest mit Megnun’s Augen sehen!

Ein Jüngling von guten Sitten liebte ein ehrliches und schönes Mädchen mit keuscher Liebe. Sie fuhren übers Meer, und litten Schiffbruch. Ein Schiffer wollte den Jüngling retten. Aber dieser bat ihn, seine Geliebte aus dem Wasser zu ziehen, und sank unter. Der Kommentator führt in den Noten an, daß ein Jüngling in Balsora sich von einem Thurme herabgestürzt, und vorher gerufen habe: „Liebe wird erst durch den Tod versiegelt!“

[29] Sadi sagt am Schlusse: er habe die Wege und die Weise zu lieben so gut gekannt, daß wenn Leileh und Megnun wieder auflebten, sie von ihm die Geschichte und die Kunst zu lieben lernen könnten.

So weit Sadi!

Felecki, ein anderer persischer Poet redet den Zephyr an, der seine Richtung nach dem Hause seiner Geliebten nahm: „Ich bezahle dich mit meinem Leben, wenn du in dem Augenblicke, worin du vor dem Hause meiner Geliebten vorbeyfliegst, ihr sagst; ich habe an der Ecke dieser Straße einen verzweifelnden Liebenden gesehen, der vor äußerster Begierde nach deinem Anblicke in Begriff ist, sein Leben aufzugeben.“ – Ein andermahl sagt er: „das Vergnügen, das ich empfunden habe, den Ton deiner Tritte zu hören, o du! die du auf öffentlichen Wegen den Verstand deiner Anbeter raubst; dieß Vergnügen hat mein Herz auf die Spitze meiner Augäpfel, und meine Seele an das Thor meiner Ohren gebracht.“ – Wieder singt eben dieser Dichter: „Glaube nicht, o Geliebte, daß ich je einen Augenblick deine Abwesenheit mit Geduld ertragen könne! Aber, was sag’ ich! Ist es nicht das Schicksal wahrer Liebenden, immer zu leiden?“ Und in diesen Grundsätzen erhält ihn auch seine Dame. „Bis du ganz verloren seyn wirst, sagt sie zu ihm, mußt du nie den Arzt um Hülfe anrufen, so tiefe Wunden die Liebe dir auch immer schlagen mag. Fürchte also kein Uebel, keinen Verlust in der Liebe; erst dann, wann du aufhören wirst zu seyn, wirst du ein vollkommener Liebhaber werden. [31]

[30] Ein anderer persischer Dichter spricht ganz im Tone des Petrarka: [32] „Traurig und niedergeworfen fliehe ich zu unbewohnten Plätzen. Ohne dich wird mir die Stadt beschwerlich. Ich suche die Einsamkeit der Wildniß. Seit ich deinen treuen Busen verlassen habe, sind mir alle angenehmen Empfindungen fremd geworden. Umgeben von hundert Freunden fühle ich mich allein, und in der trockensten Einöde nicht einsam. Wo ich gehe, steht mir dein geliebtes Bild zur Seite: ich suche dich an allen Orten. Gefesselt von Liebe ist es mir Elenden gleichgültig, auf Rosen und seidenen Teppichen zu wandeln; sie würden zum dornigen, felsichten Pfade für mich werden, wenn mich der Weg nicht zu dir führte. Ich sagte zu meinem Geiste: verlaß mich! ich will kein längeres Daseyn ohne diejenige, die ich liebe! Er antwortete: Sey ruhig, o Jami! Dein Leben ist am Vorabend seiner Abreise!“

Zuletzt habe ich noch vom Haphyz oder Hafiz zu reden, dem Anakreon der Perser, der um das Jahr 1394 gestorben ist. [33]

Dieser Dichter hat die Liebe weniger ernsthaft als die bisher angeführten betrieben. Seine Ghazelen oder Oden sind von munterer Natur. Er schließt aus der [31] Kürze des Lebens auf die Verbindlichkeit, keine Blume desselben auf die Erde fallen zu lassen. Inzwischen verläugnet er nicht den Geschmack seiner Landesleute an einem übertriebenen Ausdruck begeisterter Liebe. Seine Grundsätze in diesem Punkte sind nur in so fern leicht zu nennen, als man sie mit denen vergleicht, die in den Bruchstücken anderer persischen Dichter vorkommen.

Haphyz zeigt sich überall als ein zügelloser Derwisch, dessen Hauptvorzug darin besteht, daß er kein Heuchler ist. Er ist der ausschweifenden Liebe zu Lieblingen ergeben, und an diese sind alle seine Gedichte gerichtet.

Das Merkwürdigste in diesen sind die sonderbaren, weit hergehohlten Bilder. „Die Liebe, sagt er unter andern, die mir anfangs leicht und unschuldig erschien, ist mir zuletzt beschwerlich gefallen. Für wenig Moschusduft, den das Haupthaar des Geliebten ausgeduftet hat, und den die Zephyre aus seinem duftenden Haupthaare herausbliesen, wie viel Blut ist nicht aus jedem Knoten seiner wohlriechenden Locken in das Herz der Liebhaber geflossen!“ –

„Wenn der liebliche Mundschenk mir hold wäre, so würde ich mit den Haaren meiner Augenbraunen den Boden seiner Behausung kehren.“ –

„Der Wind berührte deine Haarlocken, und vor Eifersucht verfinsterte sich die Welt über mir.“ –

„Der Vogel meines Herzens hatte sich der Beute meiner Fassung bemächtigt; aber du entfaltetest dein Haar, und sie entfiel seinen Klauen.“

„O Weinschenk! entzünde meinen Becher mit blitzendem Weine! Wißt ihr, warum ich so gern trinke? Ich [32] habe in meinem Becher den Wiederschein der Wangen meines Lieblings gesehen!“ –

„O Haphyz! Laß einen Tropfen von Thränen aus deinen Augen fallen, damit der geliebte Vogel, dadurch gekörnt, in meine Netze falle!“ –

Dieß sind Stellen, die in verschiedenen Oden vorkommen. In den wenigsten herrscht ein leichter Zusammenhang. Es sind mehrentheils abgebrochene Empfindungen, Sprüche u. s. w.

Eine von denjenigen, worin noch die mehrste Ordnung herrscht, setze ich ganz hierher: [34] „O Liebling! Des Mondes Glanz leuchtet aus deinem Gesichte hervor, und in der Grube deines Kinns liegt ein Quell von Reitzen! Wann, o Herr, wird die Zeit kommen, in der meine Seele beym Fall deiner Locken ihre Fassung behalte! Meine Seele verlangt nach deinem Anblicke, und schwebt auf meiner Zunge! Von deinem Befehle hängt es ab, ob sie mich verlassen, oder zurückkehren soll. Mein Herz ist seinem Untergange nahe: sagt es ihm, meine Freunde, dem Geliebten, denn ihr theilt meine Empfindungen. Nimm, Geliebter den Saum deines Gewandes auf, wenn du bey mir vorübergehst, denn der Pfad, den ich wandle, trieft vom Blute deiner Opfer! Wer mag sich seiner Keuschheit rühmen vor deinem Anblick! Vielleicht erwacht mein schlafendes Glück, wenn deine Schönheit seine Augen mit Wasser bespritzt. Sende mir mit dem Zephyr einen Strauß von den Blumen deiner Wangen, damit ich den Duft deines Gartens einathme. Seyd lange glücklich, ihr Zecher an des Königs Tische, wenn gleich eure Becher leer vom Weine [33] bleiben. Zephyre! sagt den Einwohnern der Stadt Jezdi, daß Undankbarkeit auf den Kopf der Undankbaren zurückfalle. Selbst entfernt von euch denke ich oft an euch zurück! Ich diene einem Könige mit euch, und wünsche euch Heil! O König, geboren unter einem glücklichen Gestirne, gewähre mir durch Gott die Gnade, daß ich die Erde deines Palastes küsse, und mich in den Himmel versetzt wähne. Haphyz bittet darum! Höre es Liebling! und sprich Amen! Möge es mein Schicksal seyn, immerfort deinen zuckersüßen Mund zu küssen!“


Fünftes Kapitel.
Fortsetzung.
Endliche Bestimmung des Charakters edlerer Liebe unter den spätern Arabern und Persern.

Man kann nach diesen Proben an der Veredlung und Verschönerung nicht zweifeln, welche die neueren Araber und Perser den Geschlechtsverbindungen zu geben gesucht haben.

Reine Seelenliebe, Beschränkung der Wünsche auf einen bloß geistigen Genuß, besonders in der Voraussetzung, daß körperliche Begierden entehren, darf hier nicht gesucht werden. Alles, was dahin beym Sadi zu deuten scheint, findet seinen Grund in den Regeln des Anstandes und der Schicklichkeit, welche den Religiosen die Befriedigung ihrer Begierden unter gewissen Lagen um so mehr verbot, als diese oft von der Schönheit der Lieblinge angezogen wurden.

[34] Also eine gezwungene Enthaltsamkeit war den Orientalern allerdings bekannt, und ihre strengeren Religionslehrer und Philosophen behaupteten unstreitig, daß alle Liebe zum einzelnen Abglanze der Gottheit, (zur Kreatur) der Liebe zum Allgemeinen, (zur Gottheit selbst,) nachstehen müßte. Aber der Regel nach scheint ihre edlere und schönere Liebe zum Menschen den Zusatz der Sinnlichkeit nicht ausgeschlossen, vielmehr als Grund und Zweck vorausgesetzt zu haben.

Das Charakteristische dieser Liebe scheint mir zuerst in der Begeisterung bis zum Wahnsinne zu liegen, welche die Lehrer derselben von dem Liebhaber forderten, dann in dem abentheuerlichen, bilderreichen, oft auch nur spitzfindigen Ausdruck der Empfindungen.

Jene Begeisterung stand mit dem religiösen Mysticismus der Orientaler in der genauesten Verbindung. Ihre größten Heiligen waren Schwärmer, die in ihrem Eifer, sich mit Gott zu vereinigen, bis zum Wahnsinn fortschritten. Die Dichter, deren Stellen ich angeführt habe, waren entweder Religiosen, oder sie beschäftigten sich doch mit der Theologie, welche bey den Muhammedanern mit allen ihren übrigen Kenntnissen, und besonders mit dem Talente der Dichtkunst in genauester Verbindung stand.

Im Koran fanden sie sinnliche Liebe. Der christliche Mysticismus, der alle Sinnlichkeit verdammt, würde diese geradezu zur göttlichen Liebe hinauf allegorisiert haben; so hat er es mit dem hohen Liede Salomonis gemacht. Der muhammedanische fand einen Mittelweg. Er entschuldigte diese Sinnlichkeit als die erste Stufe, um zur reinen göttlichen Liebe zu gelangen. Aber in wie fern konnte sie mit dieser [35] Aehnlichkeit haben? In so fern beyde zur Erhebung über die Selbstheit, zur Abhängigkeit von andern Wesen, und zur Aufopferung für diese einladen, und den Zustand der Entzückung befördern. Der leidenschaftliche Liebhaber menschlicher Schönheit ist eben so wohl bereit, sein ganzes Leben hindurch in Qualen und Kummer hinzuschmachten, als der Derwisch, Fakir, oder Sofi: beyde werden durch die Wonne einer hinschmelzenden Begeisterung, durch den Stolz auf ihre Niedergeworfenheit schadlos gehalten: beyde entäußern sich Alles dessen, was das Leben angenehm macht, und sind fähig, dieß Leben auf den Wink eines äußern Wesens hinzugeben: beyde empfinden den höchsten Reitz in der Spannung ihrer Phantasie mit Bildern des Abwesenden, noch nicht Erreichten, aber Gehofften: beyde fühlen dadurch eine Erhebung über sich selbst, und über das Gegenwärtige: beyde werden an ihren Zusammenhang mit Wesen erinnert, die durch äußere und innere Schönheit selbständigen Werth haben: beyde leiden endlich einen innern Brand in ihrer Seele, der ein unauslöschbares Mahl darin zurückläßt!

Der Zustand von Besessenheit, der dem leidenschaftlichen Liebhaber menschlicher Schönheit so gut eigen ist, als dem entzückten Liebhaber Gottes, dieser war es, den die Orientaler so äußerst schätzten. Schon der Nahme Megnun, der einen Besessenen, einen Wahnsinnigen bedeutet, und dem Modell der Liebhaber beygelegt wird, muß darauf zurückführen. „Der erste Schritt auf dem gefährlichen und mühsamen Wege, der zum Hause der Leileh führt, sagt Giami, besteht darin, Megnun zu werden;“ das [36] heißt: man muß sich selbst vergessen und begeistert seyn, um durch vollkommene Liebe Gegenliebe zu verdienen. [35] Die Tulpe Laleh ist bey den Orientalern das Symbol eines leidenschaftlich Liebenden, weil ihre rothen Blätter seinen Wangen, ihr schwarzer Samenstöpsel dem verbrannten Herzen ähnelt. [36] Beynahe alle Wörter, womit Liebe im Arabischen und Persischen angezeigt wird, bedeuten zugleich Schwermuth Raserey und Tod. [37]

Der übertriebene, oft abentheuerliche Ausdruck dieser Leidenschaft ist ihrem innern Wesen völlig angemessen: es ist die Sprache und die Handlungsart begeisterter Menschen.

So wie also die edlere Geschlechtsliebe der ältern Araber mit ihrem Heldenenthusiasmus in näherer Verbindung stand; so stand die der neueren mit ihrer religiösen Schwärmerey in näherem Verhältnisse.

Diese Schwärmerey nahm zuweilen durch verhaltene Begierden einen höheren Schwung: zuweilen war sie nur der Ausdruck körperlicher Begierden: sie ward zuweilen wirklich empfunden, zuweilen nur erlogen. Aber der Geschmack der guten Gesellschaft an ihrer Darstellung war allgemein, und selbst diejenigen, welche wie Haphyz sich nur ein leichtes Geschäft aus der Liebe machten, konnten nicht umhin in diesen Ton mit einzustimmen.

[37]
Sechstes Kapitel.
Ueber den Einfluß der griechischen Ideen über die Liebe auf die Denkungsart der Araber und Perser.

Ich kann nicht behaupten, daß die Araber und Perser die schönere Litteratur der Griechen gekannt haben, weil es mir darunter an hinreichenden Nachrichten fehlt; aber daß sie die Philosophen dieses Volks, und besonders den Plato und Aristoteles, gekannt haben, das ist unläugbar. Es bleibt wieder zweifelhaft, ob die arabischen und persischen Liebesdichter mit diesen Philosophen Griechenlands unmittelbar bekannt gewesen sind. Aber gewiß ist es, daß der muhammedanische Mysticismus auf ihre Ideen von der edleren Liebe zur Kreatur gewirkt hat, und daß dieser aus den Schulen der griechischen Philosophen herzuleiten ist, wenn er auch vorher durch noch so unreine Kanäle der Kabbalisten, u. s. w. zu den Orientalern hingeflossen seyn mag.

[38]
Siebentes Kapitel.
Spuren der Rittergalanterie unter den Persern und Arabern.

Wenn man den Geist der Rittergalanterie darin setzt, daß die Achtung des zärteren Geschlechts, oder wenigstens die Begierde, sich vor dessen Augen auszuzeichnen, unmittelbarer Anreitz zu Heldenthaten für den Abentheurer gewesen sey: daß dieser zu Ehren der Schönen Zweykämpfe aufgesucht, Unholde bekämpft, den Preis in Tournieren davon getragen habe: und daß er endlich die Hingebung für seine Gebieterin mit einer Art von ceremoniöser Anbetung öffentlich zu erkennen gegeben habe; so wird man von dieser Galanterie sehr wenig oder gar keine Spuren bey den Orientalern finden.

Jene Vereinigung von kriegerischem Muthe mit sinnlicher Liebe, wovon die älteren arabischen Gedichte zeugen, können für keine Rittergalanterie gehalten werden. Man findet sie bey allen nomadischen Völkern wieder, welche die erste Stufe der Kultur verlassen haben.

Dasjenige, was Herbelot unter dem Artikel Motassem anführt, verdiente eher hierher gezogen zu werden. Eine Frau von der Familie der Abassiden ward von einem griechischen Ritter entführt. Sie rief aus: Motassem, hilf mir! Der Entführer antwortete aus Spott: Da kommt er auf seinem Schecken! und führte sie mit sich weg. Man hinterbrachte dem Motassem diese Geschichte. Er schwur, das Weib zu erretten, und hielt Wort. – Allein dieser durch den [39] Spott des Griechen gereitzte Ehrgeitz setzt nicht einmahl Mitleid mit der Unglücklichen, viel weniger Achtung für ihr Geschlecht, oder ihre Person zum voraus.

Unter dem Artikel Baharam meldet Herbelot, daß dieser persische König auf Abentheuer ausgegangen sey, ohne seinen Stand zu erkennen zu geben, und daß er durch seine Heldenthaten sich dergestalt im Dienste eines Königs ausgezeichnet habe, daß dieser ihn durch seine Tochter belohnen zu müssen glaubte. Es ist Schade, daß wir den Liebesroman nicht besitzen, zu dem diese Geschichte den Stoff hergegeben hat, und der oben unter dem Titel Baharam ve Gulendam von mir angeführt ist. Allein gesetzt auch, daß hier die Liebe den Abentheurer beseelt hätte, so würde doch eine so einzelne Erscheinung – die auch dem Heldenalter der Griechen nicht fremd war, – nichts für eine allgemeine Sitte beweisen.

Die Heldenromane der Orientaler scheinen übrigens nach demjenigen, was uns Herbelot darüber mittheilt, nur sehr wenig von Liebe zu enthalten. Unter dem Artikel Manougeher finde ich ein Liebesverständniß zwischen Zal, dem Vater des Rostam, und Roubadah. Diese beyden Personen verlieben sich in einander auf den bloßen Ruf von ihrer wechselseitigen Schönheit und ihren übrigen Vorzügen. Sie kommen heimlich zusammen, geben sich einander ein förmliches Heirathsversprechen, und vollziehen dieß mit Einwilligung ihrer Eltern nach Ueberwindung einiger Schwierigkeiten.

Einige andere Züge, woran Liebe Antheil hat, trifft man unter dem Artikel Caikaus an. Dieser [40] persische König verliebt sich in Saudabah, Tochter des Königs Zulzogar, auf den Ruf von ihrer Schönheit. Er überzieht ihren Vater mit Krieg, und die Geliebte ist der Preis des Friedens. Sie wird die zweyte Gemahlin des Caikau, verliebt sich in dessen Sohn Siavesch, der ihre Anträge mit Abscheu zurückweist, und beschuldigt diesen bey seinem Vater, daß er ihr habe Gewalt anthun wollen. Aber eine Feuerprobe befreyet ihn von dem Verdachte,[WS 7] und stellt Saudabah als die Schuldige dar. – Dieß macht eine kurze Episode in einem langen Heldenromane aus.

Ueberhaupt dürfte das Institut der Ritterschaft und ihr Geist schwerlich aus dem Oriente herzuleiten seyn. Daß es dort kühne Abentheurer gegeben habe, deren Ruf auf die Abendländer gewirkt habe, daß solche Abentheurer sich zu einzelnen Korporationen gebildet haben können, das wird Niemand läugnen. [38] Aber eines Theils wird dadurch die zunftmäßige, an ein gewisses Ritual gebundene Verfassung nicht erwiesen; zweytens fragt es sich noch sehr, ob die Abendländer ihre Ideen über die Pflichten und Gebräuche der Ritterschaft nicht den Orientalern mitgetheilt haben? Es ist wahr, die Zweykämpfe waren unter den Arabern sehr gewöhnlich: [39] aber sie sind auch den Alten nicht unbekannt gewesen. Es ist ferner wahr, daß das Ringelrennen bereits im Jahre der Hegire 295 unter den Orientalern bekannt gewesen [41] ist; [40] allein ein Tournier sieht einem bloßen Karoußel nicht ähnlicher, als den gymnastischen Spielen der Alten. [41] Wir wissen bestimmt, daß die Lateiner die Tourniere zuerst nach Konstantinopel gebracht haben, [42] und daß sie lange vor den Kreuzzügen bekannt gewesen sind.

Uebrigens finden wir keine Spur davon, daß der Araber die Huldigungen, welche er der Schönen darbrachte, öffentlich, und unter dem Schutze der guten Sitte ihr habe darbringen dürfen, wenn er nicht durch die bevorstehenden Bande der Ehe dazu berechtigt war. Oeffentliche Verbindungen mit verheiratheten Frauen von Stande waren gewiß nicht geduldet, wenn diese auch bloß auf Ruhmbegierde gegründet und beschränkt worden wären. Wir treffen nichts von jenem Hofmachen, von jenen Verständnissen an, die, wenn auch noch so materielle Absichten dabey zum Grunde liegen, äußerlich den Schein einer bloßen geselligen Unterhaltung, eines bloßen Austausches von Eitelkeitsgewährungen, oder auch einer begeisterten Verehrung der Schönheit und der Tugenden einer vornehmen Dame annahmen, und unter dem Schutze dieses Scheins von der guten Gesellschaft gebilligt werden. Kurz! von Allem demjenigen, was wir in der Folge Charakteristisch in der Galanterie der Abendländer finden werden, liefern [42] die Gedichte und Romane der eigentlichen Orientaler keine Spur.

Was die Mauren in Spanien von einer ähnlichen Sitte zeigen, und was gemeiniglich als die glänzendste Art der Galanterie bezeichnet wird, ist auf das eigentliche Morgenland, auf die ursprünglichen Besitzungen der Saracenen gar nicht anwendbar. Wenn die Spanier, und durch diese das übrige Europa, viel von den Mauren angenommen haben, so haben diese hingegen den Einfluß ihrer Nachbarn gleichfalls empfunden, und ein großer Beweis dafür, daß die Galanterie von ihnen nicht zu den Abendländern hinüber gekommen ist, ist der gänzliche Mangel einer Beziehung auf maurische Sitten bey den ältesten Schriftstellern des Mittelalters über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Ich will daher dasjenige, was Richardson [43] von der ungemeinen Hochachtung sagt, welche die Mauren in Granada dem schönen Geschlechte bey ihren Ringelrennen bewiesen haben sollen, nicht abläugnen, so unsicher auch die Quelle scheint, aus der er geschöpft hat; [44] Aber die Sitten dieses Stamms der Saracenen beweisen nichts für die übrigen, und ohnehin beschränkt sich sein Beweis auf den Umstand, daß bey den Caroußels oder Fertas de las Canas die Bildnisse der Geliebten des Mantenadors, oder des Herausforderers, aufgehangen sind. Daß die Frauenzimmer selbst, unverschleyert, als [43] Richterinnen und Austheilerinnen der Preise dabey zugegen gewesen wären, wird dadurch um so weniger bewiesen, als es mit den übrigen Sitten der Orientaler, besonders zu der damahligen Zeit, im Mißverhältnisse steht.


  1. Abhandlung über Sprachen, Litteratur und Gebräuche morgenländischer Völker, aus dem Englischen übersetzt von Federau, Leipzig, 1779.
  2. Poeseos Asiaticae Commentariorum Libri sex. auctore Jones. Londini 1774.
  3. Excerpta Anthologiae veterum Arabiae Poetarum, quae inscribitur Hamasa Abi Temmam ab Alberto Schultens. – Hinter Erpenii Grammatica Arabica. Leyden, 1767.
  4. Poeseos Asiaticae Commentarii. Londini 1774. p. 359.
  5. Caab ben Zoheir Carmen Panegyricum in laudem Muhammedis, item Amralkeisi Moallakah. edid. Lette. Lugd. Batav. 1748. Amralkeis lebte zu Muhammeds Zeiten.
  6. Jones hat diese Stellen gesammelt in Commentariis Poeseos Asiaticae[WS 5] p. 361 seqq.
  7. Richardson über morgenländische Sprachen, u. s. w. S. 250. Deutsche Uebersetzung. Er übertreibt aber die Sache.
  8. Jam cum aliis, ut tecum, praegnantibus fui congressus,
    Lactantesque averti a cura puerorum;
    Ut cum pone eam vagiret (infans) seque ad eam converteret,
    Tamen latus ejus sub me non verteretur.

    S. Amralkeisi Moallakah. Nach der Ausgabe des Lette. Leyden 1748. p. 55. Der Commentator liefert eine andere Stelle p. 177. die eben keine Schonung weiblicher Schamhaftigkeit und Zartheit verräth. Der Liebhaber überrascht seine Schöne im Bade und raubt ihr die Kleider, die sie selbst auslösen muß.

  9. Herbelot Bibliotheque orientale. Article. Mamon. Allgemeine Welthistorie zwanzigster Theil S. 194.
  10. Richardsons Abhandlung über Sprachen, Litteratur und Gebräuche morgenländischer Völker. Deutsche Uebersetzung. Leipzig 1779. S. 45.
  11. Diese Bemerkungen verdanke ich dem Herrn Professor Tychsen.
  12. Herbelot. l. c. article Afflathoun.
  13. Idem article Ketab Eschk.
  14. Bayle Dictionaire histor. et critique Article Averroes.
  15. Augustinus Niphus de Pulcro Liber cap. 28.
  16. Der Naturmensch, oder Geschichte des Hai Ebn Joctan, ein morgenländischer Roman des Abu Dschafar, Ebn Tofail, übersetzt von Eichhorn. Berlin 1782. Der Verfasser war ein Zeitgenosse des Averroes und lebte im zwölften Jahrhunderte.
  17. Bibliotheque orientale par Herbelot. Paris 1697. Article Eschk Allah.
  18. Siehe die Artikel Amak und Giami beym Herbelot. Unter dem Artikel Zolaikha legt er diesen Roman dem Nezami bey.
  19. Article Jousouf Ben Jacob.
  20. Sadi verwechselt diesen Roman mit dem des Jousouf und Zoleikha’s, und legt der Leileh bey, was der Zoleikha gehört.
  21. Diese Nachrichten verdanke ich dem Herrn Professor Tychsen.
  22. Herr Professor Tychsen versichert mich, daß Megnun im Koran in der Bedeutung eines Besessenen vorkommt, der von bösen Geistern (Ginn) begeistert wird. Es läßt sich aber sehr wohl begreifen, wie der Nahme eines Menschen in diesem Zustande auf den leidenschaftlichen Liebhaber von den spätern Mystikern übertragen sey; besonders da nach der Lehre der neueren Platoniker die Leidenschaft der Liebe als Wirkung der Dämonen betrachtet wurde. Unläugbar ist der Nahme Megnun späterhin ehrwürdig geworden.
  23. Moaviah war einer der ersten und angesehensten Nachfolger des Propheten, und Ibn Abu Leileh einer seiner vorzüglichsten Cadis. S. Herbelot unter diesen Artikeln.
  24. Specimen Poeseos Persicae, sive Haphyzi Gazelae Vindob. 1771. Gazela 2.
  25. Art. Esck Allah.
  26. Idem. Art. Leileh.
  27. Gentii Speculum politicum. Lipsiae 1673. S. 352.
  28. Im zweyten Theile. S. 223.
  29. S. die Artikel: Catebi, Nezami, Sahabat, Targeman, Vaslat, Vaschach, (Buch über die Ehe) u. s. w. beym Herbelot.
  30. Meine Bemerkungen über den Gulestan des Sadi sind aus der Uebersetzung genommen, die Georgius Gentius unter dem Titel: Speculum politicum geliefert hat. Ich habe eine Leipziger Ausgabe von 1673 vor mir. Sadi lebte zu Ende des zwölften und im Anfange des dreyzehnten Jahrhunderts.
  31. Herbelot art. Felecki.
  32. Persian Miscellanies by William Ousely. Das angezogene Gedicht habe ich im Critical Review. March 1796. gefunden.
  33. Ich habe folgende beyden Uebersetzungen dieses Dichters zu Rathe gezogen: Reviczky specimen Poeseos Persicae, sive Muhammedis Schems – eddini, notioris agnomine Haphyzi Ghazelae, sive Odae sexdecim ex initio Divani depromptae. Vindobonae 1771. und Select Odes from the Persian Poet Hafez, by John Nott. London 1787.
  34. Es ist die vierzehnte beym Reviczky.
  35. Herbelot Article Jousouf Ben Jacob.
  36. Herbelot, Article Laleh.
  37. Richardson’s Abhandlung über Sprache, Litteratur und Gebräuche morgenländischer Völker. S. 251.
  38. Herbelot, Article Bathal, und Douaz deh Rokh. Vergleiche Richardson a. a. O.
  39. Richardson a. a. O. S. 240–248 der Deutschen Uebersetzung.
  40. Herbelot Article Mostader.
  41. Du Cange Dissertations sur l’histoire de St. Louis. Diss. VIII.
  42. Ibidem Diss. VII.
  43. Am a. O. S. 248 der Deutschen Uebersetzung.
  44. Historia de las Guerras Civiles de Grenada.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gehabt (siehe Verbesserungen)
  2. Vorlage: gedacht (siehe Verbesserungen)
  3. Nicht korrigiert trotz Verbesserungen.
  4. Vorlage: Abu (siehe Verbesserungen).
  5. Vorlage: Arabicae (siehe Verbesserungen)
  6. Vorlage: um (siehe Verbesserungen)
  7. Vorlage: hinter Verdachte fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)