Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil/Erstes Buch

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Erstes Buch.
Liebe
als einzelne, vorübergehende Aufwallung, oder als Affekt betrachtet. [1]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Wie! Ich liebe Vergnügen und Leben, und dennoch zuweilen Schmerz und Tod! – Ich liebe das Wohl des Menschen, und liebe den Genuß der Nahrungsmittel, die Ergetzung des Auges an leblosen Gegenständen! – Ich liebe mich selbst, und wieder [10] meine Feinde! – Ich liebe meinen Herrn, der hoch über mir steht, und liebe meinen Untergebenen, und liebe die mir gleich sind, Freunde, Gatten! – Ich liebe eine Undankbare, zu meiner Marter lieb’ ich sie; und ach! der Wonne, der unaussprechlichen Seligkeit! Ich liebe die mich liebt, das Du meines Ich’s, das Ich meines Du’s! – Welche Unbestimmtheit in den Begriffen, welche ganz verschiedene Verhältnisse und Empfindungen unter einem Nahmen!

O Liebe! alle Menschen ahnden deine Nähe, und huldigen deiner Macht! Aber von jeher hat es nur wenige gegeben, die dein Wesen begriffen haben! Bald wirst du mit jeder Art der Lust und des Verlangens verwechselt: bald mit jedem Bande der Anhänglichkeit: bald mit jedem leidenschaftlichen Streben nach Besitz und Genuß! Wie hat man, um dich zu erkennen, immer mehr auf die äußern Wirkungen gesehen, die du hervorbringst, als auf den Gehalt der innern Gesinnung, die allein dein Daseyn begründet! Wie hat man jeden Akt von Wohlwollen, von Wohlthätigkeit, von Aufopferung so freygebig auf deine Rechnung gesetzt, unbekümmert darum, ob Begeisterung für Vollkommenheit und Schönheit, kluge Besorgung des eigenen Vortheils, Achtung für Pflicht und Selbstwürde, Aneignung des fremden Zustandes, und so manches andere bloß eigennützige oder beschauende Gefühl, nicht den näheren Anspruch auf jene Aeußerungen hatten! Ja! Ja! Hat man nicht sogar die Wirksamkeit körperlicher Triebe, deren vollständige Befriedigung den Mitgenuß Anderer als nothwendig voraussetzt, mit dir, o Liebe! verwechseln mögen?

[11] So bist du gesucht und gefunden worden an Orten, wo du nicht warst! Aber du bist auch da verkannt worden, wo du wirklich erschienest! Man hat nicht gefühlt, daß jedes wonnevolle Bestreben, den Menschen, den wir als Person neben uns erkennen, um seinetwillen zu beglücken, dir gehört, und daß alle Anhänglichkeit, alle Leidenschaft, nur in so fern deinem Einflusse zugeschrieben werden kann, als jene Empfindung in diesen Verhältnissen die herrschende ist.


Ich fasse jetzt mit behutsamer aber fester Hand die ersten Fäden auf, aus denen die Liebe in allen ihren Modificationen gewebt wird. Ich sondere die schwache Willensregung vom Affekt; die Lust des Verlangens von der des gegenwärtigen Genusses; das Genügen des Bedürfnisses und die Zufriedenheit von der Wollust und Wonne; den Beschauungshang, die Selbstheit, von der Sympathie ab; und nehme aus dieser letztern dasjenige heraus, was die Liebe in dem schwächsten Grade ihrer Erscheinung, als einzelne Aufwallung des thätigen und uneigennützigen Wohlwollens, darstellt.


Zweytes Kapitel.

Herz und Liebe in der weitläuftigsten Bedeutung; Reitzbarkeit unsers Wesens zu Affekten; Zustand affektvoller Lust.

Nie hegen wir die Vorstellung der Liebe, – nie reden wir davon, ohne zugleich an ein Etwas zu denken, welches wir Herz nennen. Er hat kein Herz, er kann nicht lieben! Mein Herz macht mein Glück, mein [12] Unglück, meinen Stolz, meine Erniedrigung! – Gewöhnlicher Ausruf von Eltern, Freunden, Geschwistern, Liebenden aller Art, die sich und Andere anklagen, lobpreisen, entschuldigen!

Dieser Ausdruck wird zu gleicher Zeit bald Gegenstand des Spottes, bald unverständiger Schmeicheley, und durchaus viel häufiger gebraucht als verstanden. Was ist das Herz bey den Weibern? fragen scherzende Dichter; und der Leichtsinn des Wüstlings, die verbrannte Phantasie des Schwärmers, prangen oft mit diesem ehrenvollen Nahmen.

Es ist interessant, es ist nothwendig, so wie ich in meinen Untersuchungen über die Natur des Zustandes, den wir Liebe nennen, vorwärts rücke, allemahl zugleich das Vermögen zu diesem Zustande, den Theil unsers Wesens, durch den er möglich wird, das Herz, näher zu entwickeln.

Aber wie schwer ist es, die Natur dieses Herzens unter bestimmte Begriffe zu bringen, und es in seiner ersten ursprünglichen Bedeutung von allen andern Fähigkeiten und Kräften unsers Wesens zu unterscheiden! Daß ich Symbole fände, welche die Sache anschaulich machen könnten!

Denkt an jenes interessante Kraut, das bey gewissen Berührungen seiner Blätter schnell an seinem ganzen Stamm erzittert und zusammen schrumpft; und vergleicht diese Reitzbarkeit mit der bloßen Beweglichkeit anderer Gewächse! –

Denkt an jene geistigen Getränke, welche durch äußere Erschütterungen, oder durch ein inneres Treiben ihrer Bestandtheile aufwallen, gähren; und vergleicht dieß Aufwallungs- dieß Gährungsvermögen [13] mit der bloßen Flüssigkeit anderer feuchten Körper! –

Ja! auch unserm Wesen ist eine ähnliche Reitzbarkeit, ein ähnliches Aufwallungsvermögen eigen. Ein jeder Mensch hat ein gewisses Etwas, eine gewisse Seite an sich, an der er berührt, in Reitzung, in Aufwallung geräth. Das Herz, in seiner weitläuftigsten Bedeutung, ist die Reitzbarkeit, das Aufwallungsvermögen lebendiger Creaturen, und besonders des Menschen.

Es ist zweifelhaft, ob wir in irgend einem Augenblicke unsers Lebens ohne Reitzung sind; ob wir irgend etwas wahrnehmen oder uns vorstellen können, was uns nicht zur Lust oder Unlust [2] auffordere; mithin, ob es einen Zustand von Ruhe oder völliger Gleichgültigkeit für uns gebe. Inzwischen unterscheidet sich die eine Reitzung von der andern durch ihre Stärke und Lebhaftigkeit. Bald verschwindet sie ganz im Bewußtseyn, bald bestimmt sie uns nur schwach in unserm Willen, bald aber bringt sie ein auffallendes Gefühl von Lust oder Unlust hervor. Und so sind wir wohl berechtigt, eine Ruhe, eine schwache Willensregung, und eine stark afficirte Lage unserer Reitzbarkeit anzunehmen.

Die stärkere Afficirung unserer Reitzbarkeit macht bald einen kürzern, bald einen längern Abschnitt in unserm Leben aus. Ist sie vorübergehend, so nenne [14] ich den Zustand Affekt, Aufwallung im eigentlichsten Sinne. Ist er von längerer Dauer, so nenne ich den Zustand anhaltende affektvolle Stimmung, oder auch unter gewissen Bedingungen Leidenschaft. Der Affekt verhalt sich zur schwachen Willensregung wie die meßbare Linie zum unmeßbaren Punkte; zur anhaltenden affektvollen Stimmung aber, oder gar zur Leidenschaft, wie die Linie zur Figur.

Das Herz, in der weitläuftigsten Bedeutung, die ich kenne und annehmen mag, ist das Aufwallungsvermögen, oder die Anlage unsers Wesens, in stärkerer Maße mit Lust oder Unlust seinen gegenwärtigen Zustand zu fühlen, oder nach einem andern zu streben. So sagt man denn: ich sehne mich, oder ich genieße gegenwärtig mit ganzem Herzen, ich bin von Herzen meiner Lage müde! und wieder: das trifft aufs Herz! Das thut herzlich wohl oder weh! Was heißt dieß anders, als: wir sind nicht im Zustande der Gleichgültigkeit oder der schwachen Willensregung; wir sind stark afficirt!

Liebe, in der weitläuftigsten Bedeutung, die ich kenne, ist die aktuelle Wirksamkeit des Herzens, in so fern dieß für Reitzbarkeit zu Affekten der Lust genommen wird. Ihr Nahme bezeichnet den Zustand affektvoller Lust: es mag diese während des begünstigten Verlangens, oder des gegenwärtigen Genusses empfunden werden. Ich liebe Leben und Vergnügen, ruft der Wollüstling, der an einer gutbesetzten Tafel schwelgt! Ich liebe den Tod, ruft der beraubte Gatte; das Leben ist mir zur Last! Ich liebe diesen Schmerz, ruft der Gebrechliche unter den Händen des Wundarztes; seine Folge ist Genesung! – [15] In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt.


Drittes Kapitel.

Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt.

Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt.

Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey [16] Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus.

Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses.

Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen [17] Ruhestand des Lebens zurückgekehrt sind, wenn sie anders in auffallender Maße empfunden wird, affektvolle Zufriedenheit.

Jenes affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, diese affektvolle Zufriedenheit des gestillten, werden in so fern Liebe genannt, als wir sie mit dem baren Verlangen nach Beendigung eines peinlichen Zustandes durch den Uebergang in ein geringeres Uebel vergleichen.

Der Charakter der Lust an dem gegenwärtigen Genusse, den ich mit in die Liebe aufgenommen habe, führt zugleich den eines gewissen Ausdauerns, oder Verweilens bey der Lust; eines gewissen Ruhens über derselben; endlich weiterhin, einer gewissen fortschreitenden Ausbildung unsers Genusses, mit sich, von dem ich in der Folge zur Bezeichnung der Liebe noch weitern Gebrauch machen werde.

Das Herz ist nun wieder die Fähigkeit, zu dieser besondern Art von Affekten gereitzt zu werden.


Viertes Kapitel.

Liebe und Herz in noch engerer Bedeutung. Wollust, Wonne, Sinnlichkeit des Körpers und der Seele.

Also: sich gern genügen lassen, weil man schon etwas Gutes genießt und das Bessere voraussieht; gern zufrieden seyn, weil man so viel hat, als man nothdürftig zu dem Ruhestande des Lebens braucht, heißt bereits lieben, in so fern man die affektvolle Lust [18] dieser Art mit der Lust an der Begünstigung einer schwachen Willensregung, oder eines baren Verlangens nach einem geringeren Uebel vergleicht.

Aber legt einmahl den Menschen, die sich in einem solchen Zustande des affektvollen Genügens oder der affektvollen Zufriedenheit befinden, die freye Wahl unter den Verhältnissen vor, worunter sie ihr Leben genießen möchten; glaubt ihr, daß ein einziger den Zustand wählen würde, den er jetzt, gezwungen durch Bedürfniß, aufgefordert durch Ueberlegung, mit Affekt genießt? Glaubt ihr, daß der Kranke, der erst zur Hoffnung der Genesung durch merkliche Erleichterung übergeht, nicht lieber seinem Lager sogleich entspringen, und sich in den ganzen Gebrauch seiner Lebenskraft mit einem Mahle wieder eingesetzt fühlen möchte? Glaubt ihr, daß der Mann, der sich aus einer augenscheinlichen Lebensgefahr gerettet sieht, dieß heroische Mittel, um zu dem völligen Gefühle seines Ruhestandes zu kommen, jenem Zustande animalischer Ausgelassenheit vorziehen würde, den ihm eine unterhaltende Leibesübung gewähren könnte? Glaubt ihr, daß derjenige, der aus Hunger die widerlichsten Speisen gierig niederschlingt, nicht lieber der Qual des Bedürfnisses entübrigt seyn, und bey freywirkendem Appetite seinen Gaumen mit schmackhafter Speise kitzeln möchte? Glaubt ihr endlich, daß jener Ehrgeitzige, der den Genuß der glanzlosen Einsamkeit bloß darum liebt, weil die Versagung seiner Ansprüche auf Macht und Ehre so manche Bitterkeit über sein Leben ausgegossen hat, jetzt, wenn die Mittel zur Befriedigung seiner herrschenden Leidenschaft, bey völliger Sicherheit ihres leichten Erwerbes und ungestörten Besitzes, [19] ihm dargebothen würden, nicht begierig darnach greifen sollte?

Gewiß nicht! und bey der geringsten Aufmerksamkeit auf die Wahl unserer Ausdrücke werden wir nicht sagen, daß derjenige liebt, der bloß die affektvolle Lust eines erleichterten oder völlig gestillten Bedürfnisses genießt. Nein! der Wilde, der seinem Fetisch, es sey die giftige Schlange oder das verderbliche Meer, seine schmackhafteste Jagdbeute mit Vergnügen zum Opfer darbringt, weil er wenigstens den Rest in Ruhe zu genießen hofft: das Weib, das den kranken widerlichen Gatten mit Vergnügen wartet, weil es nach dessen Tode dem Verlust der Mittel zu seiner Unterhaltung entgegen sieht; der Religiose, der sich mit Vergnügen kasteyet, weil die Aussicht auf ewige Straflosigkeit es gebiethet; der Gewissenhafte, der mit Vergnügen ein zweydeutig erworbenes Vermögen aufopfert, um der Pflicht zu gehorchen, und zu innerer Ruhe zurückzukehren; – die lieben nicht; die dulden, harren willig, und ihre Lust ist die an einer erleichterten oder abgeholfenen Nothwendigkeit. Ja! wenn diese Nothwendigkeit uns auch bloß von der Klugheit aufgelegt wäre, durch eine gegenwärtige Entbehrung den künftigen Genuß zu erhöhen, oder durch gegenwärtigen Zwang das glücklichste Schicksal vorzubereiten; so wäre die Lust an diesem Mittelzustande noch keine Liebe. Werden wir sagen, daß der vorsichtige Wollüstling liebt, der heute des Genusses entbehrt, um morgen desto besser zu schwelgen; daß der ehrgeitzige Knabe liebt, der sich in den Freystunden zum Lernen anstrengt, um sich eine Auszeichnung in der Zukunft zu bereiten? Vergleicht den vorsichtigen Wollüstling mit sich selbst, wenn er [20] seinem Appetite mit völliger Ausgelassenheit folgen zu können glaubt; vergleicht den ehrgeitzigen Knaben mit dem Manne, der den Affekt des Wissens und Erkennens unmittelbar empfindet, um den Unterschied zwischen der Lust an kluger Beförderung eines zukünftigen Guts und Liebe zu empfinden.

Lieben heißt: den gegenwärtigen Zustand mit affektvoller[WS 1] Lust genießen, weil wir unsere herrschenden Triebe unmittelbar, ohne Erseufzen anderer unterjochter Triebe, ungewöhnlich begünstigt fühlen. Lieben heißt: dem empfangenen Reitze gewisser sinnlichen Eindrücke und Vorstellungen der Seele folgen, ohne auffordernde Ueberlegung, ohne anstrengenden Antrieb, ohne Zusammenhaltung eines gegenwärtigen Zustandes mit einem vergangenen oder zukünftigen. Es bedarf dabey keiner Motive, keines abstoßenden Grundes, keines anziehenden Zwecks, um den gegenwärtigen Augenblick des Lebens zu genießen.

Herz ist hier die Summe unserer herrschenden Triebe, und der immer rege Hang, sie ungewöhnlich begünstigt zu fühlen. Dasjenige, was wir empfinden, wenn dieser Hang unmittelbar und ungewöhnlich gereitzt und befriedigt wird; der wohlbehagende Zustand, in den wir ohne Zwang, und dennoch unwillkührlich gerathen; dieß ist mehr als Lust des Genügens, mehr als Zufriedenheit: ist Genuß der Ausgelassenheit des Lebens; ist Wollust, Wonne, ist – Liebe.

Das Herz in dieser Bedeutung nenne ich mit einem bestimmteren Nahmen: Sinnlichkeit, und da wir sowohl herrschende, oder Lieblingstriebe des Körpers [21] als der Seele haben, so nehme ich eine doppelte Sinnlichkeit für beyde an. Diese Sinnlichkeit setze ich als Anlage, den Zustand von Ausgelassenheit des Lebens zu wollen, der Anlage, nach dem bloßen Ruhestande des Lebens zu streben, entgegen. [3]

[22] Wollust bezeichnet dann genauer den unerzwungenen und dennoch unwillkührlichen Affekt von Lust, welcher die ungewöhnliche Begünstigung der herrschenden Triebe unsers Körpers mit sich führt.

Wonne nenne ich die Lust der nehmlichen Art, welche die ungewöhnliche Begünstigung der herrschenden Triebe der Seele erweckt.

Wollüstig ergetzt sich das Kind an dem Strahle des Sterns, und an den bunten Farben des Schmetterlings. Wollüstig schlürft der Jüngling den kostbaren Nektar aus Hebe’s Becher, oder den Kuß von ihren Lippen, mit halbgeöffnetem Munde und gebrochenem Auge ein. Mit Wonne wühlt der Reiche in den Mitteln seines Ueberflusses; mit Wonne genießt der Liebhaber des Schönen den Anblick eines Meisterstücks der Kunst; mit Wonne verliert sich der Schüler des Plato im Anschauen der Vollkommenheit und ewiger Harmonie; mit Wonne überläßt sich der Freund, der Gatte, dem Gefühl der Vereinigung mit der Hälfte seines Wesens; und Alles dieß – ist im Zustande des Liebens!

[23]
Fünftes Kapitel.

Herz in bestimmterer Bedeutung heißt Sympathie; Liebe heißt Wollust und Wonne der Sympathie.

Aber wie! Liebt denn der Geitzhals, den der Fund eines Schatzes erfreuet, oder der unnütze Verschlinger der Früchte dieser Erde, der seinen Gaumen mit Leckereyen kitzelt, oder der unthätige Beschauer, der seine Augen an einer Farbe oder an einem Lichtstrahle weidet?

Allerdings! Ja es liebt sogar derjenige, der mit Wonne seine Rachsucht stillt, und sich an der Marter des Feindes labt. Es giebt eine Liebe zum Hassen, zum Hadern, zum Zerstören. – Allein dieser Ausdruck ist nur in so fern richtig, als wir die verschiedenen Arten unserer Lust, in Beziehung auf die mehrere oder mindere Begünstigung unsers Grundtriebes nach Wohlbestehen unsers Wesens überhaupt, in Betracht ziehen. Jede Lust, welche das Bewußtseyn einer ungewöhnlichen Begünstigung unsers Grundtriebes, einer Ausgelassenheit des Lebens, mit sich führt, ist Wollust, ist Wonne; und in Vergleichung mit der bloßen Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, oder einer schwachen Willensregung, Liebe. Warum? Weil wir uns dem Zustande unsers Wesens willig überlassen, begierig entgegenbiethen; mit einem Worte, diesen Zustand gern mögen.

Da wir aber besonders denjenigen Zustand gern mögen, worin wir bereits genießen, und zugleich nach weiterer Ausbildung des Genusses glücklich streben; so heißt lieben vorzüglich: den Zustand des verweilenden Bestrebens mit Wollust und Wonne empfinden.

[24] Dieser Begriff, dieser Sprachgebrauch, beydes läßt sich als wahr und zweckmäßig vertheidigen, in so fern es nur dazu dienen soll, den Grund der Angemessenheit meines Zustandes zur Begünstigung meines Grundtriebes nach Wohlbestehen, den Grad der Lust meines Wesens, gleichviel woran, zu bestimmen und zu bezeichnen. Nehmen wir aber zugleich Rücksicht auf das Verhältniß, in welches unser zur Wollust und Wonne gereitztes Wesen gegen äußere Gegenstände geräth; so ist jene Bestimmung keinesweges zureichend. Wir verlangen sodann zur Begründung des Begriffs der Liebe nicht bloß eine Zuneigung zu unserm selbsteigenen Zustande, sondern auch zu den äußern Gegenständen, mit denen wir dabey ins Verhältniß kommen. Wir müssen uns diesen bey dem Gefühle der Wollust und Wonne gern annähern. Diejenige Lust, die wir bey gelingender Flucht oder Abstoßung äußerer Gegenstände empfinden, wird nicht Liebe genannt werden dürfen, wenn wir bestimmt reden wollen. Der Grund liegt am Tage; sie ähnelt zu sehr dem Genügen des fortwährenden oder gestillten Bedürfnisses.

Aber auch nicht jede Wollust und Wonne, die bey der Annäherung an äußere Gegenstände empfunden wird, kann in bestimmterer Bedeutung Liebe genannt werden. Wir nähern uns oft mit Wollust und Wonne demjenigen, was uns umgiebt, in der Absicht zu zerstören, herabzuwürdigen, in Besitz zu nehmen, oder unthätig zu beschauen. Allein nur diejenige Begünstigung unserer Sinnlichkeit ist Liebe, die mit unserer Seelensympathie verbunden ist; mit dem Inbegriffe unserer Triebe, vermöge deren wir ein gemeinschaftliches [25] Wohl mit Wesen begehren, die eines Bewußtseyns ihres Zustandes fähig sind. Nur die Wonne dieser Sympathie ist Liebe: nicht die Wonne der Selbstheit, oder des Beschauungshanges.

Es ist äußerst wichtig, die dreyfachen Modificationen unserer Sinnlichkeit, zur Selbstheit, zur Sympathie und zum Beschauungshange näher kennen zu lernen. Auf ihrer genaueren Kenntniß beruhet das ganze Gebäude dieses Werks. [4]


Sechstes Kapitel.

Fortsetzung. Dreyfache Modificationen der körperlichen Sinnlichkeit zum Hang nach Ergetzung, nach wohlbehagendem Anschmiegen und nach gierigem Verzehren.

Unser Körper kommt auf eine dreyfache Art mit andern Körpern in ein engeres Verhältniß; entweder, indem er sich ihnen aus der Ferne nähert, oder sie berührt, oder sie in sich einzieht. Jeder Sinn ist dieser dreyfachen Wirksamkeit fähig, und mit jeder ist wieder eine besondere Wollust und ein besonderer Hang, diese aufzusuchen, verbunden. Inzwischen ist das Auge dasjenige Organ, das die auffallendste Fähigkeit zur fernen Annäherung, und den größten Hang zur bloßen Ergetzung hat. Die Tastungsorgane dienen hauptsächlich zur unmittelbaren Berührung, und [26] streben nach dem Wohlbehagen des Anschmiegens. Der Gaumen endlich zieht die äußern Körper ganz in sich über, und huldigt vorzüglich dem Appetit oder dem Hange nach gierigem Verzehren.

Ich will daher vorerst die Eigenthümlichkeiten dieser drey Sinne, des Auges, der Tastungsorgane und des Gaumens, in Rücksicht auf die Art, wie unser Körper durch sie mit andern Körpern ins Verhältniß kommt und genießt, etwas näher entwickeln.

I.

Das Auge kann nichts erblicken, kann noch weniger durch den Anblick ergetzt werden, wenn seine Oberfläche unmittelbar von dem äußeren Körper berührt wird. Um einen Gegenstand als sichtbar wahrzunehmen, müssen wir unsern Körper nothwendig in einiger Entfernung von ihm halten. Das Auge, in so fern es Werkzeug des Sehens ist, liegt gleichsam außer unserm Körper. Seine Wirksamkeit und seine Reitzbarkeit reichen weit über unsere Atmosphäre hinaus. Die Reitzung der Augennerven, die Bewegung der Augenmuskeln wird so wenig bemerkt, daß der Eindruck, den der Anblick auf uns macht, beynahe ganz der Seele zu gehören scheint. Kaum daß wir eine Veränderung an unserm Physischen bemerken, wenn wir unsere Augen an einer schönen Farbe oder einem reitzenden Lichte weiden. Noch weniger mögen wir durch den bloßen Anblick die Lage des angeblickten Körpers verändern. – Nichts erweckt folglich während der Ergetzung des Auges das Gefühl einer besondern Thätigkeit, und noch weniger das eines strebenden Zustandes in unserm [27] Physischen. Und dieß ist der erste Charakter eines wollüstigen Genusses für das Auge; unser Körper wird in keinen thätigen oder strebenden Zustand dabey versetzt, er genießt mit Ruhe.

Ein zweyter Charakter dieser wollüstigen Empfindung für das Auge ist darin zu suchen, daß der Körper, dessen Farbe oder Licht oder Umriß uns gefallen soll, als etwas Abstechendes und Auffallendes wahrgenommen werden, und daß er sich daher durch gewisse Grenzen von unserm eigenen Körper, und von allen andern Körpern die ihn umringen, trennen muß. Trete ich so nahe hinan, daß mein Auge nichts neben ihm wahrnehmen kann, wovon er absticht, so ergetzt er mich nicht; entferne ich mich so weit, daß die Grenzen der Körper, die ihn umringen, mit den seinigen dergestalt zusammenfließen, daß ich ihn nicht bestimmt unterscheiden kann; so ist wieder die Wollust des Anblicks dahin! Farben, die unter sich zu wenig von einander abweichen, Lichter, die zu matt und schmutzig erscheinen, Linien, die sich zu unbestimmt vom Grunde abziehen, beleidigen das Auge oder lassen es ungerührt, sowohl in der Natur als im Gemählde.

Hierdurch wird der Begriff eines Verhältnisses zwischen meinem Körper und andern Körpern außer mir gegründet, das bey anscheinender Ruhe meines Physischen aus der Ferne auf mich wirkt, und das, wenn es wollüstig von mir empfunden werden soll, die nothwendige Bedingung voraussetzt, daß ich den Körper außer mir von meinem eigenen und andern ihn umringenden Körpern auffallend getrennt und abstechend wahrnehmen muß.

[28]
II.

Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt.

Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung.

Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und [29] dient nur, den meinigen zu verbessern und zu vermehren.

III.

Endlich, daß meine Hand wollüstig über den sammetnen Ueberzug jenes wohlgefüllten Polsters hinfahre, welch ein ganz verschiedenes Verhältniß von den beyden vorigen!

Mein Körper berührt den Körper außer mir leibhaftig: aber es sind nur ihre Oberflächen, die sich berühren; sie treten sich einander nicht ans Innerste, ans Leben. Die Nerven meiner Haut kommen in merkliche Reitzung, meine Tastungsmuskeln streben auffallend nach außen hin; ich fühle, wie ich dadurch auf den Körper außer mir einwirke. Denn das feine Haar seiner Oberfläche schmiegt sich sanft sträubend der Richtung meines Streichelns nach, und die elastische Füllung des Polsters hebt sich den Eindrücken der anschmiegenden Hand entgegen. Dieß Gefühl ist mit einem Bestreben verknüpft, nicht sowohl ein Verlangen zu stillen, als vielmehr einen gegenwärtigen Genuß fortdauernd zu erhalten, und immer weiter auszubilden. Denn die Bewegung meiner Hand schreitet allmählig weiter fort, und dehnt sich den Eindrücken nach. Dieß ist der erste Charakter der wollüstigen Berührung; mein Körper strebt, aber weit mehr nach Fortdauer und Ausbildung des gegenwärtigen Genusses, als nach Stillung eines Verlangens. Der zweyte ist dieser: mein Körper kommt in unmittelbare Verbindung mit dem Körper außer ihm, aber ohne ihn in sich überzunehmen, ohne die Wahrnehmung seiner Fortdauer und [30] seines unversehrten Bestehens für sich, zu verlieren. Ich fühle, daß dieser Körper dem meinigen anliegt, nicht aber dergestalt an ihn angeschlossen ist, daß nicht die Trennung mit jedem Augenblicke möglich wäre, und daß wir dann Beyde wieder in unsere vorige Lage zurücktreten würden. Ja! ich muß sogar während der Berührung das Gefühl eines Widerstandes behalten, den ein nicht durchdrungener Körper leistet, wenn anders das Gefühl wollüstig bleiben soll. Schlaffheit, Gefühl des Versinkens in den betasteten Körper ist widerlich; zerstörendes Angreifen zerstört zugleich mein Vergnügen.

Und o sonderbar! Gerade die Eigenthümlichkeit, die ich an dem Körper außer mir während der Berührung wahrnehme, die geht in die Reitzung über, welche er in mir erweckt. Die Wirkung, welche ich auf ihn hervorzubringen suche, die wirkt er auf mich zurück. Er steckt mich an mit seinen Eigenheiten; er zieht mich in die Lage hinüber, worein ich ihn versetze! Seine Sanftheit reitzt mich sanft; seine Elasticität macht mich elastisch; seine Härte giebt mir eine harte Empfindung; schonende, allmählige Behandlung bringt eine allmählige Reitzung meiner Nerven hervor; ein anprallender Schlag prallt auf mich zurück.

Wie viel auffallender ist dieß noch bey der Berührung solcher Körper, die eines Dunstkreises fähig sind, und ihre Temperatur so leicht in uns ausströmen lassen. Ihre Wärme, ihre Kälte geht in uns über, und wir theilen ihnen unsere Wärme oder Kälte mit. Wie am allerauffallendsten ist dieß bey animalischen Körpern! Daß ich die weiche, sammetne Hand meiner Freundin ergreife! daß ich sie an mich ziehe, [31] streichle, drücke! Ohne diese unmittelbare Verbindung unserer Körper können meine Berührungsorgane nicht wollüstig gereitzt werden. Ich strebe also, auf diese Hand einzuwirken; ich strebe, von ihr einzunehmen. Aber wie? Schonend, und sogar mittheilend! Ich nehme von ihr, aber ich entziehe ihr nichts von ihren Eigenthümlichkeiten, von ihrem Wohl. Der Sammet dieser Haut wird dadurch nicht verdorben; die Pflaumenweiche dieses Fleisches wird dadurch nicht verhärtet! Und wenn ich sie stoßen oder hart angreifen wollte, so verlöre sich für mich selbst die sanfte Lust! Nein! ich fühle vielmehr, indem die Muskeln der fremden Hand sich den Bewegungen der meinigen anschmiegen, indem die Wärme ihrer Haut zugleich mit der meinigen zunimmt, daß der Körper außer mir meinen Zustand und mein Wohlbehagen theilt, und dieß Gefühl des äußern Daseyns und Wohls neben dem meinigen ist unerlaßliche Bedingung zu meiner höheren Lust. –

Hier sondert sich der Begriff eines dritten Verhältnisses zwischen meinem und fremden Körpern ab; jener wird im Zustande des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Verbindung und Ausbildung des wollüstigen Genusses wahrgenommen: diese dauern unversehrt fort, ungeachtet ihrer Verbindung mit jenem, und ihr Bestehen für sich, ihr Wohlbestehen, theilt sich dem Körper mit, der sie mit Schonung behandelt.


Nimmt man hinzu, daß der wollüstige Genuß des Auges zum Ruhestande des Lebens im Grunde der entbehrlichste ist: daß die wollüstige Berührung unsere [32] Lebenskraft zwar erhöhet, indem wir uns dadurch behaglicher und bequemer fühlen, aber daß wir dieses Genusses zu dem Ruhestande des Lebens allenfalls entbehren können; daß hingegen die wollüstige Stillung des Appetits für die Bedürfnisse unserer Animalität beynahe unentbehrlich scheint; so wird man den Unterschied zwischen den wollüstigen Gefühlen, die das Auge, die Tastungsorgane und der Gaumen einnehmen, noch auffallender finden.


Es bleibt mir hier noch übrig, zu sagen, wie die drey eben angegebenen Verhältnisse, in welche mein Körper zu andern Körpern kommen kann, nicht bloß durch das Mittel der Augen, der Tastungsorgane und des Gaumens entstehen. Nein! alle unsre Sinne nähern sich bald mehr, bald weniger, den angezeigten, und jedes Organ kann zur Annäherung aus der Ferne, zur Berührung und zum Einziehen äußerer Körper, auf gewisse Weise genutzt werden, dadurch drey verschiedene Modificationen unserer Sinnlichkeit erwecken, und sie durch die dreyfachen Wollustgefühle der Ergetzung, des wohlbehagenden Anschmiegens, und des gierigen Verzehrens befriedigen. Das Organ des Geschmacks kann kosten, schlürfen, schlingen; – die Tastungsorgane können austasten, streicheln, einfassen; – das Auge kann anblicken, blinzeln, gieren. – Und eben so können alle übrigen Organe nach der Art, wie sie sich mit den Körpern außer ihnen ins Verhältniß setzen, verschieden afficirt werden.

[33]
Siebentes Kapitel.

Dreyfache Modification der Sinnlichkeit der Seele zum Hange nach der Wonne der Beschauung, der Geselligkeit und des Eigennutzes.

Unsre Seele hat unstreitig so wie der Körper die Fähigkeit, sich gegen die Gegenstände, die sie sich vorstellt, in ein dreyfaches Verhältniß zu setzen. Sie erkennt entweder ihr Wesen aus der Ferne an, und betrachtet was sie sind, sie beschauet sie; oder sie versetzt sich in ihren Zustand hinein, und fühlt, was sie fühlen, sie assimilirt sich ihnen; oder sie betrachtet sie als Mittel, ihr in ihren Trieben zu helfen, und sich durch sie zu verbessern, sie eignet sich dieselben zu.

Mit jeder dieser Arten von Verhältnissen ist eine besondere Sinnlichkeit, eine besondere Wonne verbunden. Das Entzücken über den edeln und schönen Gegenstand, der ganz von meiner Person und meiner mir eigenthümlichen Lage getrennt ist; über die Geistesstärke eines verstorbenen Helden, über die Formen einer Statue, über das Ideal eines fehlerlosen Charakters, – ist offenbar verschieden von dem wohlbehagenden Gefühle eines traulichen Umgangs mit einem Zeitgenossen, der um und neben mir ist, und an dessen Daseyn und Wohl ich mich labe. Beyde Wonnegefühle unterscheiden sich aber wieder deutlich von demjenigen, welches mir der Anfall einer Erbschaft, der Fund eines Wechsels, der Gewinn eines Sclaven oder Gönners erweckt, die ich zu meinem Vortheil brauchen will, unbekümmert um ihr Daseyn und Wohl, sobald nur mein Zweck erreicht ist.

[34] Diese drey Wonnegefühle setzen einen ganz verschiedenen Zustand während der Reitzung, und ganz verschiedene Entstehungsgründe zum Voraus. Sie wirken auch ganz verschieden auf die Gegenstände, denen wir ihre Erweckung verdanken.

I.

Es ist ganz offenbar, daß unsere Seele eine Fähigkeit besitzt, die mit dem Organe des Auges die größte Analogie hat; Einen Anschauungssinn, vermöge dessen sie die Bilder, welche die Imagination ihr zuführt, erkennt und beschauet. Diesem Anschauungssinne ist eine Reitzbarkeit und eine Sinnlichkeit eigen, vermöge deren die Seele bald zur Lust oder Unlust, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert werden kann. Was bey dieser Wonne zum Grunde liegt, braucht hier nicht entwickelt zu werden. Genug! daß unser innerer Anschauungssinn einen herrschenden Hang nach lebhaften und leicht zu fassenden Bildern hat; daß er Bilder liebt, die dunkle Rührungen, Erinnerungen an vergangene Gefühle von Lust, Vorahndungen künftiger Freuden erwecken; und daß er sogar an Bildern der obersten und allgemeinsten Begriffe der Vernunft und ihrer Gesetze, der Wahrheit, Zweckmäßigkeit und Vollkommenheit eine unmittelbare Wonne empfindet. [5]

Es beruht auf ausgemachter Erfahrung, daß das Entzücken oder die Wonne des innern Anschauungssinnes mit einer merklichen Bestrebung und Anstrengung unserer erkennenden Kräfte nicht besteht, und ohne Hülfe [35] lebhafter Bilder nicht vorhanden seyn mag. Wenn wir Begriffe mühsam zusammensetzen sollen, und erst durch Vergleichungsschlüsse und Urtheile der Vernunft das Außerordentliche, Schöne, Vollkommene auffinden müssen; so wird die Wonne der Beschauung nicht erwachen. Das reitzende Bild muß eben so leicht als auffallend in unserer Seele entstehen, und instinktartig erkannt werden. Wo dieß nicht der Fall ist, da wird zwar wohl eine lebhafte Zufriedenheit über die gelungene Untersuchung, oder über die Vermehrung unserer Kenntnisse, nicht aber unmittelbare Wonne an der Beschauung erweckt werden.

Man denke sich diejenige Wonne, mit der uns das Bild der Gottheit in den auffallendsten Naturkräften rührt, und vergleiche diese mit der Zufriedenheit, die wir nach Beendigung einer metaphysischen Speculation empfinden. Man vergleiche den Eindruck, den die Darstellung der Geschichte des Regulus, als das auffallendste Bild der Aufopferung für Pflicht und Gesetzmäßigkeit, auf uns macht, mit der Beruhigung, die wir der Festsetzung des obersten Grundsatzes der Moral verdanken; – Gewiß! die mühsamen Untersuchungen, die einzelnen zusammengesetzten Begriffe, die uns keine lebhafte Anschauungen darbieten, sind nicht im Stande, uns zur Beschauungswonne zu reitzen. Sie erwecken freylich Lust, und bereiten uns Zufriedenheit, wohl gar Wonne; aber es ist eine Lust, die wir der Ueberlegung der wichtigen Folgen unsers Geschäfts verdanken; es ist die Zufriedenheit nach der Stillung eines Bedürfnisses der Erkenntniß; es ist die Wonne über die Stärke unserer Geisteskräfte, die so viel Schwierigkeiten überwunden, [36] und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. –

Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht.

Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen.

Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand, [37] mit den Worten: Pätus es schmerzt nicht! überreichte!

Gesetzt, der Selbstmord wäre eine gewöhnliche Sitte unter einem Volke; gesetzt, die Geistesstärke, welche die Arria zeigte, wäre Folge einer Lage, die wir allgemein, eben so wie sie fühlten; würden wir dieser Handlung noch unsere wonnevolle Bewunderung schenken? Würde sie uns nicht bloß zum Mitleiden oder zum schwachen Beyfall auffordern? Aber auch so wie wir zu ihr stehen; dürfen wir ihre That wohl nach Rücksichten des Nutzens für uns oder für die Gesellschaft, in der wir leben, oder gar nach den Gesetzen der Moral, denen wir alle unterworfen sind, prüfen, und sie dadurch mit uns in eine gemeinschaftliche Lage setzen, ohne unsere Wonne sogleich zerstört zu fühlen? Wenn ich frage: was hilft mir ihre Geistesstärke? was würde aus der bürgerlichen Gesellschaft werden, wenn alle Weiber statt ihre Leiden zu dulden, ihnen durch den Tod ein Ende machen wollten? ist es überhaupt dem Menschen gestattet, über sein Leben zu gebieten? Bey solchen und ähnlichen Fragen, wobey ich die angeschauete Person und ihre Handlung auf die Verhältnisse aller Menschen und meine eigene beziehe, zerstöre ich den Genuß, den die Anschauung unmittelbar mit sich führt, und nur in wenigen Fällen bleibt entweder bloß die Zufriedenheit übrig, welche die praktische Vernunft empfindet, wenn sie ihre Gesetze nothdürftig beobachtet sieht, oder eine Wonne, die von ganz anderer Natur als die der bloßen Beschauung ist. Eine Zufriedenheit, eine Wonne, auf welche dann die gewöhnlichste Tugend mehr Anspruch haben kann, als die Handlung der Arria. Denn gewiß wird der Moralist die Duldung einer Hausfrau, [38] die unter den beschwerlichsten Lagen ihre stillen Pflichten treu erfüllet, mit mehr Zufriedenheit betrachten, als die einzelne glänzende That der Römerin. Und der Gatte, der die Folgen dieser Gefälligkeit seines Weibes unmittelbar empfindet, wird die Wonne, die ihm sein Umgang einflößt, für die Wonne, die verstorbene Heldin zu bewundern, keinesweges aufopfern wollen.

Aber nicht genug, daß ich den Gegenstand, der mich zur Beschauungswonne reitzt, weder nach Rücksichten desjenigen prüfen darf, was für mich besonders, noch was für alle Menschen mit mir nützlich und nothwendig ist; ich darf mich nicht einmahl in seine Lage und in seine Nähe hinein versetzen, ohne jene Wonne gestört zu sehen. Wenn ich mir denke, ich muß mich wie eine Arria durch einen freywilligen Tod den Bedrückungen der Tyranney entziehen; oder diese Arria ersticht sich an meiner Seite; gewiß! die Wonne macht den Empfindungen einer traurigen Nothwendigkeit und des Mitleidens Platz.

So muß ich also das Bild, das ich mit Wonne beschauen soll, nothwendig in demjenigen Grade von Entfernung betrachten, der hinreichend ist, das Außerordentliche, welches dieß Bild von andern Vorstellungen unterscheidet, zu erkennen, und nicht stark genug, um dieß Bild auf meinen eigenen wahren Zustand zu beziehen, oder auch mich in den Zustand des Gegenstandes dieses Bildes ganz hinein zu versetzen. Mit einem Worte: ich muß den Gegenstand seinem Wesen und seiner Lage nach von mir selbst und von andern Gegenständen, die ihm zunächst erscheinen, in meinem Kopfe isolieren.

[39] Folglich läßt sich der Charakter der Beschauungswonne dem der Ergetzungswollust für das leibliche Auge gleich setzen. In beyden fühle ich mich nicht strebend, obgleich zur unmittelbaren sinnlichen Lust gereitzt; in beyden wird als nothwendige Bedingung vorausgesetzt, daß der Gegenstand von mir und andern Gegenständen, die ich mit ihm wahrnehmen kann, durch etwas ihm Eigenthümliches auffallend unterschieden und abgesondert werde.

II.

Die Seele hat eine andere Fähigkeit, die mit dem Organ des Geschmacks an unserm Physischen Aehnlichkeit hat: eine Fähigkeit, die Gegenstände, mit denen sie sich ins Verhältniß setzt, sich zuzueignen, um durch deren Besitz ihren Zustand zu verbessern. Sie beachtet dann nicht die Eigenthümlichkeiten und den Zustand der Dinge außer sich, als in so fern sie ihr persönliches Wohl erhöhen, und ihr in ihren Trieben, Absichten, Wünschen zu Hülfe kommen können.

Diese Fähigkeit der Seele ist mit einer eigenen Reitzbarkeit und Sinnlichkeit versehen, die bald beleidigt, bald begünstigt, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert werden kann, und nicht unpassend der Eigennutz genannt wird. Das auffallendste Beyspiel einer Wonne des Eigennutzes giebt die Befriedigung des Geitzes. Wir wollen ihre unterscheidenden Merkmahle aufsuchen.

Wir finden einen Wechsel, eine Obligation, und dieser Fund erfüllt uns mit der lebhaftesten Freude. Aber warum, und wie? Erfreuet uns die Vorstellung, daß [40] dieser Wechsel überhaupt vorhanden ist, ohne daß wir an den Gebrauch denken, den wir davon machen können? Oder jene andere, daß wir wenigstens mit und neben ihm existieren, und einen Zustand mit ihm theilen? Gewiß! keines von beyden! Das Daseyn des Wechsels hat an sich keinen Werth für uns: sein Zustand hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem unsrigen. Bloß die Vorstellung, daß er gebraucht werden könne, um sich das repräsentative Zeichen aller Erwerbmittel, das bare Geld, und durch dieß eine Menge von unbestimmten Genüssen zu verschaffen, giebt ihm einigen Werth in unsern Augen. Denn sollte es sich ausweisen, daß kein Geld dafür ausgezahlt zu erhalten wäre; so würden wir seiner Vernichtung mit Gleichgültigkeit zusehen. Wir beziehen ihn also deutlich auf einen bestimmten Trieb in uns, und zwar als ein bloßes Mittel, diesen Trieb zu befördern.

Aber wie? Wird der Geitzige wohl zur Wonne gereitzt werden können, wenn er diesen gefundenen Wechsel sogleich an seinen wahren Eigenthümer abgeben muß? Unstreitig nicht. Er wird nur durch die Vorstellung, daß dieser Gegenstand ein Mittel sey, ihm in seinen persönlichen Zwecken zu helfen, zur lebhaften Freude aufgefordert werden. Nur die Idee des Besitzes, des Gebrauchs für sich selbst, der Zueignung, kann ihn beglücken.

Also liegt der erste Charakter der Wonne des Eigennutzes darin, daß das Verhältniß, worin wir uns mit einem Gegenstande außer uns setzen, nur in so fern angenehm seyn kann, als wir uns in seinem Besitze als in dem eines Mittels fühlen, unsere anderweiten persönlichen Bestrebungen und Zwecke zu befördern. Das [41] Daseyn und der Zustand dieses äußern Gegenstandes läßt uns unbekümmert, wenn wir nur unsern Zustand durch die Vereinigung mit ihm vermehrt und gebessert fühlen. Wir geben den Wechsel weg, sobald wir ihn vortheilhaft umsetzen können, wir vernichten ihn, sobald er getilgt ist.

Ein zweyter Charakter der Wonne des Eigennutzes liegt darin: das Bestreben nach Vereinigung mit dem äußeren Gegenstande hört mit dem Gebrauche desselben auf; und doch ist es nur dieser Gebrauch selbst, oder dessen lebhaftes Bild, die uns reitzen und befriedigen. Der Geitzige kann an seinem Wechsel keine Freude nehmen, auf dessen Besitz keinen Werth legen, wenn er nicht daran denkt wie er ihn versilbern, oder auf andre Art durch ihn gewinnen wird. Nun gebraucht er ihn: und vorüber ist seine Freude an der Verbindung mit ihm; hin der Werth den er auf seinen Besitz legt! Also ist die Wonne des Eigennutzes allemahl die einer endenden Begierde, Folge eines gestillten Verlangens nach Vereinigung mit dem äußern Gegenstande, der nun nichts darbietet was uns weiter reitzen kann!

Seht doch, wie ähnlich dem Genusse der Wollust des Appetits! Dieser Bissen reitzt uns: warum? um ihn überzunehmen, und dadurch unsern Gaumen, unbekümmert um sein ferneres unversehrtes Bestehen, zu kitzeln. Wir haben ihn, und die Wollust endigt mit der gestillten Begierde nach der Vereinigung mit ihm; wir gieren nun nach andern, oder wir sind vor der Hand gesättigt.

Wonne des Eigennutzes beachtet also nicht die Eigenthümlichkeit und den Zustand des Gegenstandes, den sie nur als ein Mittel ansieht, ihren persönlichen Zustand zu vermehren und zu verbessern. Mit der Wonne des [42] Eigennutzes hört sogleich das Bestreben nach weiterer Vereinigung mit dem begehrten Gegenstande auf!

Es giebt unendlich viele Grade des Eigennutzes: es giebt einen gröberen und einen feineren. Sogar die Tugend kann eigennützig begehrt werden. Aber der angegebene Charakter bleibt unveränderlich. Jedesmahl, wenn ich mehr auf die Verbesserung meines persönlichen Zustandes als auf die Eigenthümlichkeit und den Zustand des Gegenstandes außer mir achte: jedesmahl, wenn die Vorstellung des gemachten Gebrauchs mein Bestreben nach weiterer Vereinigung mit ihm und nach Ausbildung des Genusses endigt; dann empfinde ich die Wonne des Eigennutzes und nicht die des Beschauungshanges, oder jener dritten Art von Sinnlichkeit, die ich nun noch zu entwickeln habe.

III.

Ich komme auf eine dritte Fähigkeit der Seele, die mit dem Tastungsorgane des Körpers die größte Aehnlichkeit hat. Vermöge dieser nähern wir uns den Gegenständen, mit denen wir ins Verhältniß kommen, achten mehr auf ihren Zustand als auf den unsrigen, aber setzen uns in diesen hinein, und legen ihn uns bey. Mit dieser Fähigkeit ist offenbar eine Reitzbarkeit und eine Sinnlichkeit verbunden: folglich auch ein Vermögen, bald zur Unlust, bald zur Lust, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert zu werden.

Diese Sinnlichkeit darf ich die Geselligkeit nennen. Ihre auffallendsten Beyspiele liefert der Hang des Menschen mit andern Menschen zusammen zu seyn, und sich an der Vorstellung ihres Wohls zu erfreuen. [43] Allein auch unvernünftige Wesen, unbelebte sogar, können ähnliche Triebe erwecken und befriedigen.

Die Wonne, welche die Begünstigung dieser Sinnlichkeit mit sich führt, setzt zum Voraus, daß ich dem Gegenstande, mit dem ich ins Verhältniß komme, das Gefühl seines Zustandes beylege, es sey durch eine Operation der Einbildungskraft, oder durch Ueberzeugung meiner Vernunft. Sie setzt ferner zum Voraus, daß ich in dem Gefühle, das ich dem Gegenstande von seinem Wohl beylege, den Grund meiner Lust suche, indem ich mich in seinen Zustand hineinzuversetzen und seine Gefühle zu theilen strebe. Denkt an die Erheiterung, die ihr in der Gesellschaft froher Unbekannten aufsucht; denkt an die Vorbereitung, die ihr zu einem Feste macht, das eure Hausgenossen erfreuen soll; denkt an die Ueberzeugung, die ihr dem Freunde von eurer ihn beglückenden Liebe zu geben sucht; – in diesen und ähnlichen Fällen begnügt ihr euch nicht, ihre Eigenthümlichkeiten ruhig anzuschauen; sondern ihr strebt, und wornach? sie glücklich zu wissen, und ihr Wohl zu theilen. Aber euer Streben geht nicht auf den Besitz ihres Zustandes aus, um nur euch froh zu fühlen; und wenn ihr auch ihren Zustand theilt, so hört damit das Bestreben nach weiterer Verbindung mit jenen Menschen nicht auf. Ihr genießt in ihrer Gegenwart, aber ihr strebt zugleich, diesen Genuß durch fortschreitende Annäherung an ihre Person, und Beförderung ihres Wohls immer weiter auszubilden.

Schon hier sondert sich die Wonne der Geselligkeit sehr bestimmt von der Wonne der ruhig und unthätig genießenden Beschauung und des Eigennutzes ab, der nur durch Rücksicht auf einen Gebrauch genießt, der sein [44] Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt.

Ich theile meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Zustande und dem meiner Genossen. Ich will mit ihnen gemeinschaftlich da, gemeinschaftlich wohl seyn. Ich begnüge mich daher nicht, wie bey der Beschauungswonne, ihr Wesen, gleichsam wie eine Gestalt, ohne auf ihr Wohl zu achten, aus der Ferne zu erkennen, und mich selbst dabey zu vergessen. Nein! ich nähere mich ihnen, ich achte auf ihren Zustand, ich urtheile über ihr Wohl, und eigne mir dieses zu. Aber, was ich mir nun von ihnen zueigne, das nimmt ihnen nichts: was ich von ihnen brauche, das verbraucht sie nicht; der Vortheil, den ich von ihnen ziehe, macht sie nicht ärmer. Nein! gerade was sie mir geben, das ist dasjenige, was ich ihnen zu geben wünsche: ihr Wohl! Ich suche mich ihnen gleich zu stellen, aber nicht sie zu besitzen, noch weniger sie zu verderben oder sie zu zerstören.

Und so hat denn die Wonne der Geselligkeit die größte Aehnlichkeit mit der Wollust, die wir durch die Berührung der Oberfläche eines Körpers einnehmen. So wie bey dieser die Tastungsorgane sich an den äußern Körper anschmiegen, sich allmählig dehnen, nach engerer Verbindung und nach Ausbildung des gegenwärtigen Genusses streben; so neigt sich auch die Seele an die Gegenstände an, die sie als ihre Genossen betrachtet, und ruht gleichsam streichelnd an ihrer Seite. So wie durch [45] die unmittelbare Berührung der Körper die Weichheit, die Härte, die Wärme, die Kälte, kurz, die Beschaffenheit und der innere physische Zustand mitgetheilt wird, ohne wechselseitigen Verderb, ohne wechselseitige Zerstörung; so kann unser Geist sich seinem Genossen nähern, und mit ihm Gesinnungen, Bestrebungen, Lust und Unlust theilen, ohne die Vorstellung der Selbstständigkeit des andern zu verlieren.


Vergleicht man nun weiter diese verschiedenen Arten der Wonne unter einander in Rücksicht auf ihre Entbehrlichkeit zum gewöhnlichen Ruhestande des Lebens; so scheint die Wonne des Eigennutzes diesem am nächsten zu liegen, und am allgemeinsten empfunden zu werden; die Wonne der Geselligkeit nach jener am ungernsten aufgeopfert, und am allgemeinsten empfunden zu werden; hingegen die Wonne der Beschauung den meisten Menschen die entbehrlichste und von ihnen am seltensten gefühlte zu seyn.


Achtes Kapitel.

Fortsetzung. Begriff der Sympathie, der Selbstheit und des Beschauungshanges. Gründe, warum die Wollust und Wonne der Sympathie vorzugsweise Liebe genannt wird.

Aus diesen einzelnen Bemerkungen über die Art, wie unser Körper und unsere Seele zur Wollust und Wonne gereitzt werden, lassen sich drey allgemeinere Bestimmungen [46] unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit entwickeln, deren auffallende Verschiedenheit niemand verkennen wird. Wir können bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, und ohne Beachtung unsers eigenen Zustandes, bloß durch das Auffallende der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, den wir aus der Ferne wahrnehmen oder erkennen, zur Wollust und Wonne gereitzt werden. Der Hang, der dadurch begünstigt wird, gehört dem äußern und innern Anschauungssinn, und die Anlage zu dieser Ausgelassenheit des Lebens wird daher von mir, die Sinnlichkeit des Beschauungshanges genannt.

Wir können ferner in ein heftiges Verlangen nach dem Zustande der Vereinigung mit einem andern Gegenstande gerathen, den wir als ein Mittel zur Beförderung unserer Neigungen betrachten, und über die vollkommenste Stillung dieses Verlangens, durch den Gebrauch den wir entweder wirklich von ihm machen oder machen können, Wollust und Wonne empfinden. Die Anlage zu dieser Art der Ausgelassenheit des Lebens, die sich sowohl an unserm Körper als an unserer Seele äußert, nenne ich die Sinnlichkeit der Selbstheit. [6]

Wir können endlich in ein verweilendes Bestreben gerathen, den Genuß eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch verschiedenen Gegenstande, fortschreitend auszubilden, und die Begünstigung dieses Bestrebens kann uns mit Wollust und Wonne erfüllen. Die Anlage zu dieser Art der Ausgelassenheit des Lebens, die sowohl dem Körper [47] als der Seele eigen seyn kann, nenne ich die Sinnlichkeit der Sympathie. [7]

Der Grund dieser drey Benennungen ist nicht schwer anzugeben. Der Beschauungshang ist nach der Art benannt, wie das Auge unmittelbar seine Ergetzung einnimmt. Die Selbstheit hat ihren Nahmen daher, weil wir während des Verlangens und seiner Stillung einzig oder hauptsächlich mit unserm selbsteigenen Zustande beschäftigt sind. Sympathie heißt eigentlich das Zusammenleiden, das Zusammen afficiert werden, es mag auf eine angenehme oder unangenehme Art für uns geschehen, wir mögen die Reitzung fliehen, oder uns ihr entgegenbieten. Es scheint mir aber nicht unpassend, denjenigen Hang damit zu bezeichnen, vermöge dessen wir darnach streben, uns in einen Zustand zu versetzen, den wir an andern Wesen wahrnehmen, und auf solche Art mit ihnen zu theilen. [8]

Liebe heißt nun, wie schon gesagt: Wollust und Wonne der Sympathie. Wirklich wird man selbst bey dem unbestimmtesten Gebrauche dieses Worts einige Charaktere des angegebenen Begriffes aufspüren, die zu dieser Benennung Anlaß gegeben haben. Diejenigen, welche jede Begierde Liebe nennen, haben in so fern Recht, als die sympathetische Wollust oder Wonne allemahl einen strebenden Zustand voraussetzt. Diejenigen, welche Liebe Begierde nach irgend einem Gute [48] genannt haben, haben Recht, in so fern die begünstigte Sinnlichkeit der Sympathie die Beachtung unsers verbesserten Zustandes mit in sich faßt. Diejenigen, welche unter Liebe Genuß des Guten verstehen, haben gleichfalls Recht; denn die sympathetische Wonne setzt wirklich eingetretene Begünstigung unserer Lieblingstriebe nach Vereinigung zum Voraus. Diejenigen, welche die Liebe mit dem Genuß der Vollkommenheit verwechselt haben, sind wieder zu entschuldigen, weil die Sympathie die Selbstständigkeit des Gegenstandes, der sie reitzt, anerkennt, und dessen Eigenthümlichkeiten beachtet und schont. Noch erklärbarer aber wird es nun, wie Sokrates beym Plato die Liebe ein Verlangen, das Gute immer zu besitzen, nennen kann; denn es ist das Eigene dieser Wollust und Wonne, daß sie nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses strebt. Man begreift nun auch, wie man um der Annäherung, Verträglichkeit und der Theilnehmung willen alle geselligen Triebe habe Liebe nennen können; wie man diesen Nahmen sogar auf den Zug nach Vereinigung zwischen leblosen Körpern, und besonders auf den Geschlechtstrieb zwischen belebten habe anwenden mögen; denn es ist auffallend, daß dieser Genuß das Angenäherte nicht verdirbt, nicht auflößt, nicht zerstört, nicht ausschließt, und nicht herabwürdigt, sondern vielmehr eine Theilung des Daseyns und Wohls zuläßt. Endlich läßt sich nun auch der Grund angeben, warum der Ausdruck: mit Liebe arbeiten, den schon die Griechen kannten, beynahe in alle Sprachen übergegangen ist; er bezeichnet den wonnevollen Genuß, den das verweilende Bestreben mit sich führt, das Werk [49] oder das Geschäft zu möglichster Vollkommenheit zu bringen, und es gleichsam als ein selbstständiges Wesen zu betrachten, dessen Wohl mit dem unsrigen genau verbunden ist.


Neuntes Kapitel.

Stufenartige Verfolgung des Begriffs der Sympathie bis zu ihrer auffallendsten Erscheinung, worin sie Liebe im engsten Sinne heißt.

Bey einiger Aufmerksamkeit auf unsere Ausdrücke werden wir inzwischen den Zug unbelebter Körper zu einander nie Liebe nennen; denn diese sind keiner Empfindung fähig. Eben so wenig wird überhaupt die Wollust der körperlichen Sympathie für Liebe genommen werden. Sie ähnelt zu sehr der Wollust der Selbstheit. Wir betrachten den Zustand des Körpers, der bey der Annäherung an die Oberfläche des unsrigen in diesen übergeht, zu sehr als Mittel zur Verbesserung unsers physischen Zustandes, und sein Wohlbestehen verschwindet zu sehr in unserm Bewußtseyn, als daß die Wollust der körperlichen Sympathie anders als in der Vergleichung mit den wollüstigen Gefühlen des Auges und des Gaumens zur Sympathie gerechnet werden könnte.

Auch die Wonne der Geselligkeit, die Thiere gegen andere Individuen ihrer Gattung und gegen Menschen äußern, wird man bey näherer Ueberlegung, nicht anders Liebe nennen, als wenn man diese Art von Sinnlichkeit mit der gröberen der Gefräßigkeit, des Triebes nach Bequemlichkeit und nach Begattung vergleicht. Hält man sie mit der Wonne der Sympathie, deren der Mensch fähig ist, zusammen; so erscheint sie selbstisch, das heißt: [50] das Thier ist außer Stande, den Zustand des selbstständigen Wesens anzuerkennen: es nimmt nur die Verbesserung seines eigenen durch das Mittel der Gesellschaft wahr.

Der Mensch, der allein den Zustand eines selbstständigen Wesens anerkennt, ihn auf den seinigen zurückführen, und sich in die Lage des andern hinein versetzen kann, der Mensch ist allein der Wonne der Sympathie, auf eine von der Selbstheit und dem Beschauungshange sich deutlich unterscheidende Art, fähig. Er fühlt allein Liebe, oder wonnevolles Streben nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem selbstständigen Wesen.

Aber damit diese Wonne als zur Sympathie gehörig von andern Gefühlen unterschieden werden könne, ist es nothwendig, daß der Mensch den Gegenständen, an deren Zustande er durch Verwechselung mit dem seinigen Theil nimmt, die Empfindung dieses ihres Zustandes beylege. Wo dieß nicht der Fall ist, da nähert sich die Wonne der Sympathie wieder zu sehr derjenigen, die der Selbstheit und dem Beschauungshange eigen ist. Vergleichen wir den Antheil, den wir an dem unversehrten Bestehen eines alten Gebäudes, eines langerhaltenen Kunstwerks, oder an einem mit der Erschaffung der Welt zugleich entstandenen Felsen nehmen, mit demjenigen, den uns die bloße Gestalt eines schnell erscheinenden Feuerwerks, oder der Besitz eines Wechsels, eines Handwerkszeuges, eines Nahrungsmittels einflößt; dann erscheint freylich jener sympathetisch. Aber vergleichen wir ihn nur mit dem Antheile, den uns das Gedeihen [51] einer Pflanze, die Munterkeit des geringsten Insekts einflößt; so wird der erste sich entweder in unthätige Beschauungswonne oder in Wonne der Selbstheit auflösen. Wir werden das Wohlbestehen des unbelebten Wesens entweder gar nicht auf unsern Zustand zurückführen, es als eine auffallende Eigenthümlichkeit, als etwas Außerordentliches in seinem Wesen aus der Ferne anschauen, oder zu sehr daran denken, was wir dabey gewinnen, es noch ferner als ein Mittel der Belustigung oder des Nutzens uns zueignen zu können.

Es ist wahr, ich habe Hausfrauen, ich habe Gallerieinspektoren gekannt, die mit dem wahren Gefühle, als ob ihr Hausgeräthe, ihre Gemählde Empfindung hätten, diesen durch Reinigung, durch sorgfältige Aufstellung Gutes zu thun, ihr Wohl zu befördern strebten, und wahrhaft mit ihnen sympathisierten. Allein dieß beruhte auf Täuschung der Phantasie, welche diesen Gegenständen ein Gefühl ihres Zustandes beylegte.

Nach dieser Bestimmung ist Liebe eigentlich nur Wonne der Sympathie mit Wesen, denen wir Empfindung beylegen. Aber dieß ist noch nicht genug: wir müssen ihnen auch ein Bewußtseyn ihres Zustandes zutrauen. Das Gewächs, das Thier, der Säugling haben dieses nicht; wenn wir uns daher in ihren Zustand hineinversetzen, so können wir ihn doch nicht wirklich theilen; wir fühlen die Entfernung zu sehr, wir müssen uns zu stark herablassen, um Wonne an der Fortdauer eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls zu empfinden. Vergleicht man die Empfindung, die uns das Gedeihen und die Munterkeit einer Pflanze, eines Thiers, eines Säuglings, einflößt, mit derjenigen, die ihre schöne Gestalt erweckt, oder mit [52] derjenigen, die von der Betrachtung ihres Nutzens abhängt; so erscheint freylich die erste als sympathetisch. Aber vergleichen wir sie mit der Wonne, die uns der Anblick glücklicher Menschen gewährt, denen wir uns völlig gleich stellen können, so nähert sie sich der Wonne der Beschauung oder der Selbstheit. Wir denken entweder gar nicht an unsern Zustand, rechnen ihr Gedeihen und ihre Munterkeit bloß zu den auffallenden Eigenthümlichkeiten ihres Wesens, das wir aus der Ferne betrachten; oder wir denken auch ganz besonders daran, wie ihr Gedeihen, ihre Munterkeit uns erheitert und erfreut; wir beziehen sie als ein Mittel auf die Verbesserung unsers Zustandes.

Aber können wir mit höheren Wesen wonnevoll sympathisieren, mit Gott, mit Engeln, denen wir ein Bewußtseyn ihrer Seligkeit beylegen? Genau genommen: Nein! Sie sind uns zu fern, als daß wir uns in ihren Zustand hineinversetzen, und durch Beförderung ihres Wohls das unsrige zu erhöhen suchen könnten. Wir können uns nicht so hoch zu ihnen hinauf heben, um sie anders als ferne Wesen zu betrachten, deren Seligkeit einen Theil ihrer auffallenden Eigenthümlichkeiten ausmacht, oder als bloße Mittel, unsern Zustand durch ihre Wohlgewogenheit zu verbessern. Die Schwärmer, die sich von einer nähern Verbindung mit höhern Wesen überzeugt halten, sympathisieren nicht mit ihnen, sondern mit einem Bilde, dem sie menschliche Eigenschaften und einen menschlichen Zustand beylegen; und diese Art der Sympathie trägt demohngeachtet alle Symptomen der Beschauungswonne und der Selbstheit an sich. Sie verlieren sich entweder in exstatischer Entzückung, wobey alles Bestreben nach fortschreitender Vereinigung und [53] Ausbildung des Genusses aufhört, oder sie überlassen sich einem thörichten Uebermuthe, und einem geistigen Stolze, vermöge dessen sie die geträumte Verbindung als ein Mittel ansehen, ihre Kräfte zu verstärken, und sich über ihre eigene niedrigere Bestimmung, und über andere Menschen zu erheben.

Wenn höhere Wesen zu fern von uns liegen, als daß wir mit ihrem Zustande sympathisieren könnten, so liegt dagegen unser eigenes Selbst uns zu nahe, als daß wir auf dieses jenen Begriff eines fremden, durch bloße Versetzung uns angeeigneten Zustandes, anwenden möchten. Man kann sich unstreitig von einigen Vorstellungen und Bildern, die wir von unserm Selbst aufnehmen, mit Hülfe der Einbildungskraft trennen, man kann dieß abgesonderte Selbst beschauen, und an der Ausbildung seiner Kräfte, so wie an seinem glücklichen Zustande, gleichsam als an dem einer selbstständigen Person Antheil nehmen. Allein es fällt sogleich in die Augen, daß die Sympathie sich hier dem Beschauungshange und der Selbstheit zu sehr nähert, um sie bestimmt von beyden zu unterscheiden.

Liebe ist wonnevolles Streben nach Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit andern Menschen, und zwar mit solchen, die wir als wirklich lebende Personen bey und neben uns erkennen.

Liebe in diesem Sinne hat zwey sehr auffallende Merkmahle, wodurch sie sich als Sympathie ankündigt, und zugleich von allen andern sympathetischen Wonnegefühlen, mit denen uns leblose Geschöpfe, Thiere, höhere Wesen, unser eigenes Selbst und todte Menschen afficieren, [54] deutlich unterscheidet. Einmahl kann ich mir nicht verläugnen, daß der Mensch, in dessen Gesellschaft mir wohl ist, nicht bloß um meinetwillen vorhanden sey: folglich fällt mir seine Selbstständigkeit nothwendig auf; zweytens hat der Mensch unter allen Gegenständen meiner Erkenntniß die größte Aehnlichkeit mit mir, ich stehe ihm am nächsten, ich kann mich am leichtesten in seinen Zustand hineinversetzen; mithin laufe ich nicht so viel Gefahr, ihn als ein fremdes Wesen aus der Ferne zu betrachten. Die Wonne, welche mir das gemeinschaftliche Daseyn und Wohl mit dem Menschen einflößt, entfernt sich daher mehr von der Selbstheit und dem Beschauungshange, als die Wonne, womit mich die Verbindung mit jedem andern Gegenstande erfüllt.

Dieß ist die Ursach, warum die Geselligkeit gegen Menschen ziemlich allgemein mit Liebe verwechselt wird. Wer sich gut mit andern Menschen verträgt, wer gern mit ihnen zusammen ist, wer Jedermann gern munter und fröhlich sieht, wer den Vorzügen eines jeden Gerechtigkeit widerfahren läßt, wer andern Gutes thut, wem kein Vergnügen schmecken will, das er nicht mit andern theilen kann; – der heißt ziemlich allgemein ein liebender Mensch. Und das ist er auch allerdings in Vergleichung mit demjenigen, der sich im Anschauen der Gottheit verliert, oder unbekümmert um andere des Gefühls seiner eigenen Würde genießt, oder Thieren, Pflanzen, Kunstwerken, seine ganze Neigung und seine ganze Sorgfalt schenkt. Denn jener sympathisiert mit den Gegenständen, mit denen er sich ins Verhältniß setzt, da hingegen diese sie nur beschauen, oder auf ihr Selbst beziehen.

[55] Aber vergleicht man diese sympathetischen Wonnegefühle mit dem lebenden Menschen nun wieder unter sich, so nähern sich einige mehr dem Beschauungshange, andere mehr der Selbstheit, und nur eine Art derselben bleibt als reine Sympathie stehen, die wir denn auch Liebe im engsten Sinne nennen.

Gesetzt ich höre die Nachricht von den glänzendsten Fortschritten, die ein Held, der mein Zeitgenosse ist, seinen Talenten und einer außerordentlichen Verkettung der Umstände verdankt. Ich sympathisiere dergestalt mit ihm, daß jeder neue Triumph, der ihm zu Theil wird, mich mit Wonne erfüllt, und die Niederlage, die er nachher erfährt, mich in eine Art von Verzweiflung stürzt; Liebe ich? Wir wollen sehen. Der Held ist der Gefahr des Todes entkommen; er hat sich an einen sichern Zufluchtsort begeben, wo er unbekannt bloß für’s gesellige Vergnügen lebt, und seine Muße so lieb gewonnen hat, daß der Geschmack und die Kraft, etwas Großes zu unternehmen, auf gleiche Weise bey ihm verschwunden sind. Er ist in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückgetreten, fühlt sich aber dabey glücklicher als vorher. Dieß sagt man mir, und verfinstert dadurch das Bild des Außerordentlichen, das ich mir von meinem Helden gemacht hatte. Unwillig rufe ich aus! ich wollte, er wäre gestorben. Er hat sich überlebt!

Wie! War nun die Empfindung, die er mir eingeflößt hatte, Liebe? Wahrlich nicht mehr, als die Empfindung, die mir die poetische Darstellung von einem verstorbenen Helden einflößt, in dessen Bild ich sein außerordentliches Glück als eine auffallende Eigenthümlichkeit mit aufnehme, um sie aus der Ferne zu beschauen, [56] unbekümmert darum, ob er sich selbst glücklich gefühlt habe oder nicht.

Aber ich will wirklich, daß die Menschen um mich herum gesund, zufrieden, fröhlich seyn sollen. Traurige, mißmuthige Menschen sind mir zuwider. Ha! da sehe ich eine ganze Gesellschaft vor mir, froh bis zur Ausgelassenheit. Sie lachen, ich lache mit! Nun sympathisiere ich doch wohl mit ihnen, nun freue ich mich doch wohl des gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls? – Diese Gesellschaft, sagt mir ein dienstfertiger Nachbar, besteht aus Schauspielern, die eine angenommene Rolle spielen: ihr Frohsinn ist Schein, nicht Ausdruck wahrer Gesinnungen! – Was kümmert mich das! Stört mir nicht mein Vergnügen! Genug! ich eigne mir ihre Freude an! – O des selbstischen Menschen, der das Wohl anderer nur auf seinen Zustand als ein Mittel bezieht, um sich zu erheitern!

Weiter: ich reise durch ein fremdes Land, das von rohen Menschen bewohnt wird. Die Jagd ist gerade glücklich für sie ausgefallen, und ich treffe sie bey einem Feste an, das bestimmt ist, den zusammengebrachten Vorrath zu verzehren. Der Ausdruck ihrer Fröhlichkeit ist ungeheuchelt; ich theile ihn, ich eigne ihn mir an: und mit welcher Wonne! So glücklich sieht man doch keine Menschen in civilisierten Staaten! – Arme Menschen, ruft mir mein Genius zu: Morgen habt ihr nichts; Morgen werdet ihr Noth leiden! – Fort mit der Idee, ich reise in einem Augenblicke weiter: genug daß ich für diesen hier mit ihnen sympathisiere! – Nein! du sympathisierst nicht mit ihnen, du strebst nicht nach fortschreitender Vereinigung, nach Ausbildung [57] des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls; du genießest unthätig, ruhend, beschauend!

Ich fühle die Wahrheit dieser Erinnerungen, und beschließe, diese Menschen über ihren wahren Vortheil zu belehren, ihnen Kenntnisse beyzubringen, durch deren Besitz sie ihrer Bestimmung, dauernd glücklich zu seyn, näher rücken können. Das Schicksal unterstützt meine Wünsche; ich werde Fürst dieser rohen Nation. Sogleich setze ich allgemeine Begriffe von dem höchsten Zwecke der Menschheit fest, und entwerfe den Plan, wie meine Unterthanen am nächsten dahin zu führen sind. Ueberzeugung scheint mir auf diese rohen Menschen keine Wirkung haben zu können; ich brauche daher Gewalt, um sie aufzuklären. Sogleich verlieren sich für dieses Volk die wenigen glücklichen Tage, in deren Erwartung es die freye Armuth willig ertrug. Es verkennt meine guten Absichten; es entflieht in die Schlupfwinkel wilder Thiere, und verabscheuet mich als einen ärgern Feind der Menschen. Wen? mich, der ich mit ihm sympathisiere, der ich so eifrig strebe, es zu beglücken? – Nein! du sympathisierst nicht mit diesen Menschen, ruft mir mein weiserer Rathgeber zu, du strebst nicht nach gemeinschaftlichem Daseyn und Wohl mit selbstständigen Wesen! Du betrachtest sie als ein Mittel, das Interesse, das du an der Menschheit nimmst, zu befördern, deine Begriffe realisiert, deine Plane durchgeführt zu sehen. Und wenn du eine Wonne an ihrem Gelingen empfändest, so wäre es die Wonne der Selbstheit.

Unmuthig über diesen Selbstbetrug verlaß’ ich den Thron, übergebe ihn dem weiseren Rathgeber, und behalte mir nur vor, im Verborgenen zu der Aufklärung seines Volkes mitzuwirken. Dieß wird jetzt nach einem [58] ganz andern Plane behandelt. Wir suchen es nach und nach zu dem Genusse der Wohlthaten, die wir ihm zugedacht haben, vorzubereiten; wir suchen ihm den Geschmack an einer höheren Bestimmung einzuflößen. Es gelingt. Diese Menschen fühlen sich jetzt glücklich. Ich empfinde die höchste Wonne darüber, ob ich gleich nichts davon habe, als das Gelingen des Bestrebens nach der Ueberzeugung, daß sie sich glücklich fühlen. – Ich sympathisiere; ich liebe!

Und während daß ich so an dem Glücke des Volks, unter dem ich lebe, Antheil nehme, findet jeder Unbekannte in meiner einsamen Wohnung eine gastfreundschaftliche Aufnahme. Ich empfinde ein wonnevolles Bestreben, dem Wanderer einen schattigen Ruheplatz vor meiner Wohnung zu bereiten, und ihn gelabt mit Speise und Trank den Stab weiter setzen zu sehen. Unter ihnen kommt auch der große Mann zu mir, den ich ehmahls bewundert, und dem ich nach seinen Unfällen den Tod gewünscht hatte, damit ich durch sein längeres ruhmloses Leben nicht in der Beschauungswonne seines Glücks gestört würde. Er kommt zu mir auf der Flucht vor seinen Verfolgern; er sucht bey mir einen Schutzort. Sein Unglück hat ihn um allen den Glanz gebracht, mit dem er mir ehmahls erschienen war. Ich sehe nur in ihm den Menschen, den ich durch eine Freystatt beglücken kann. So gefährlich es ist, ihm diese zu geben, so thu ich es dennoch mit Wonne, um der bloßen Ueberzeugung willen, daß er sich glücklich fühlt. – Ich sympathisiere, ich liebe!

[59]
Zehntes Kapitel.
Endlicher Begriff der Liebe des Herzens und der Sympathie.

Ja! Liebe ist wonnevolles Bestreben nach Beförderung des Glücks eines Menschen um der Ueberzeugung willen, daß er sich selbst glücklich fühle.

Liebe ist solchemnach immer Wirksamkeit der Seele: es giebt keine Liebe des Körpers.

Liebe ist Begünstigung der Sinnlichkeit der Seele: es giebt keine Liebe aus Vernunft.

Liebe ist Wonne; Zufriedenheit der Sympathie, gestilltes Bedürfniß des Mitleidens, der Erbarmung, ist keine Liebe.

Liebe ist Bestreben; unthätiger Genuß des Frohsinns anderer ist nicht Liebe.

Liebe ist Genuß des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung der Lust: Genuß des endenden Verlangens durch den Besitz ist nicht Liebe.

Liebe ist wonnevolles Bestreben der Sympathie; Beschauungswonne am Vollkommenen, Schönen, Außerordentlichen, ist eben so wenig Liebe, als Wonne am Gelingen unserer selbsteigenen Absichten, und sollten diese auch das allgemeine Beste und die Würde aller vernünftigen Creaturen zum Zweck haben.

Liebe ist die reinste sympathetische Wonne am Glück des Menschen, den ich als Person erkenne; Liebe zur Menschheit ist feinere Selbstheit.

Liebe endlich kennt keinen andern Zweck, keine andere Belohnung, als die Ueberzeugung, daß die Person, [60] die sie zu beglücken strebt, sich selbst glücklich fühle; Trieb nach Gesellschaft, nach gemeinschaftlicher Erheiterung, nach Wohlthun, ohne Rücksicht darauf, was die Person außer mir empfindet, ist nicht Liebe.

Die Fähigkeit, diese Liebe zu empfinden, wird nun besonders das Herz genannt. Im Grunde ist dieß weiter nichts, als die Sinnlichkeit der Sympathie in ihrer höchsten Reinheit. Weil inzwischen die Sympathie sich auch auf ihren untern Stufen, da wo sie sich als körperlicher Trieb und als Hang zur Geselligkeit äußert, noch immer von der Selbstheit und dem Beschauungshange unterscheidet; so werde ich diejenige Sinnlichkeit, vermöge deren wir nach einem gemeinschaftlichen Daseyn und Wohl mit andern Gegenständen streben, fernerhin Sympathie, die Fähigkeit zur eigentlichen Liebe aber Herz nennen.

Diese Liebe ist nach meiner vorigen Ausführung weder ein bestimmter geselliger Trieb, noch ein bestimmter Akt von Wohlthätigkeit. Sie ist eine allgemeine Modification unserer wohlwollenden Gesinnungen und wohlthätigen Handlungen zu jener Thätigkeit der Seele, welche der Wonne an der Ueberzeugung, daß eine andere Person sich glücklich fühle, unmittelbar nachstrebt. Die äußern Merkmahle, die Wohlwollen verrathen, und selbst die wohlthätigen Wirkungen einer Handlung für andere Menschen, beweisen daher nichts für das Daseyn der Liebe. Freylich läßt sich diese gar nicht anders denken, als unter der Form eines thätigen Bestrebens, wohlzuthun: eines Bestrebens, daß allemahl wirksam seyn, und wohlthätige Handlungen als Folge nach sich ziehen wird, wenn die äußeren Verhältnisse es nicht hindern. Aber diese Form ist nicht so charakteristisch für [61] die Liebe, daß ein dritter Beobachter ein vollgültiges Urtheil darüber sollte fällen können, ob nicht feinere Selbstheit oder Beschauungshang dabey zum Grunde liegen. Ueber das Daseyn der Liebe entscheidet folglich hauptsächlich der Mensch, der sie hegt. Inzwischen kann auch der fremde Beobachter in sehr vielen Fällen sehr gut unterscheiden, was für eine Gesinnung beym Wohlwollen und bey der Wohlthätigkeit zum Grunde liegt. Er schließt dieß theils aus dem Charakter des Menschen im Ganzen, theils aus dem jedesmahligen Verhältnisse worunter er strebt und handelt, theils endlich aus seinem Betragen bey der Collision des Wohls anderer mit seinem eigenen. Doch! darüber mehr in der Folge.

[62]
Anhang zum ersten Buche.

Erster Excurs.
Ueber die Selbstheit und Uneigennützigkeit in der Liebe.

Ich habe in dem Texte die Untersuchung der Frage: ob alle Liebe nicht auf Selbstheit beruhe, füglich übergehen können, da nach der Art, wie ich den Begriff der Selbstheit aufstelle, die Beantwortung beynahe unnütz zu seyn scheint. Damit man mir inzwischen nicht den Vorwurf der Unvollständigkeit mache, will ich hier das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Liebe etwas näher entwickeln, und zugleich den Begriff des Selbstes näher festzusetzen suchen. –

So viel ist klar, die gröbste Selbstheit und die reinste Liebe, – beyde setzen das Bewußtseyn der Angemessenheit meines Zustandes zu meinem Wesen, mithin auch das Gefühl zum Voraus: ich bin es, der wohl besteht.

Ein Howard[WS 2], der sich unbemerkt in die widerlichsten Behälter des Elends einschleicht, um mit Gefahr des Lebens, mit Aufopferung aller Verhältnisse, welche es den mehrsten Menschen allein schätzbar zu machen scheinen, seine hülfsbedürftigen Mitbürger zu unterstützen, ist dem gröbsten Verschlinger der Früchte dieser Erde in einem Stück völlig gleich: beyde, indem sie bey ihren Handlungen und Gesinnungen Wonne und Wollust empfinden, müssen nothwendig ihr Ich in einem ihnen wohlgefälligen Zustande fühlen.

[63] In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist.

Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. –

Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; – und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. –

Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung [64] von einem Weibe heftig in dasselbe verliebt, Jahre lang um die entfernte Geliebte trauert, und nun nach endlich gelungener Vereinigung sich wieder von ihr zu trennen sucht, um sich an dem Bilde seines Gehirns zu freuen; – und vergleicht mit ihm das liebende Mädchen, das in dem Bilde seiner glücklichen Nebenbuhlerin nur die Wohlthäterin des Geliebten erblickt. – Wird ein unbefangener Beobachter in diesen Beyspielen den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen?

Unstreitig haben jener Epaminondas und dieser gemeine Soldat, jener Diogenes und dieser Aristides, jener Begeisterte und dieses wirklich liebende Mädchen das Bewußtseyn eines Ich’s gehabt, das einen Zustand von Lust oder Unlust an sich wahrgenommen hat. Unstreitig haben alle diese Personen Triebe gehegt, deren Beleidigung oder Begünstigung sie in ihrem Willen bestimmte: die gleichsam die Trompen oder Fühlhörner ausmachten, woran sie den Reitz zur Lust oder Unlust empfingen, und die zwischen ihrem Ich und den Gegenständen, die sie reitzten, in der Mitte lagen. Diese Triebe machten ihr Selbst aus.

Aber fühlt ihr nicht, daß es ganz etwas anders sey, ein solches Selbst annehmen zu müssen, es nach geendigter Reitzung und Bestimmung unsers Willens ausfinden zu können; oder es während des Affekts deutlich zu beachten, erst durch Beziehung des begünstigten Triebes auf den Zustand und das Wohl unserer Person, zum Wollen oder Nichtwollen bestimmt zu werden? Epaminondas findet seine Ruhmbegierde befriedigt, und dadurch seinen persönlichen Zustand verbessert; – nun verläßt er gern sein Vaterland und seine Freunde, die ihm nur zu Mitteln dienten, seine Hauptleidenschaft zu begünstigen. [65] Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen?

Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe.

Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich [66] ganz in seinem Wohl, empfindet noch Wonne, da wo es sich selbst zertrümmert.

Diese Zergliederung, dünkt mich, offenbart sogleich den Begriff des Selbstes und der Selbstheit.

Das Selbst heißt so viel, als dasjenige Ich, das durch Trennung von andern Gegenständen außer mir, besonders von vernünftigen Wesen, und durch Entgegenstellung gegen diese, wahrgenommen wird, und als etwas für sich bestehendes meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Selbst heißt also nicht so viel als, das Ich, dessen ich mir bewußt bin, sondern so viel als, das Ich, das ich beachte.

Das bloße Bewußtseyn: ich bestehe, ich lebe: das bloße Bewußtseyn, daß mein Grundtrieb nach Wohlbestehen meines Wesens überhaupt begünstigt oder gehemmt wird, folglich daß ich mich im Zustande der Lust oder Unlust befinde; beydes gehört zu den völlig unerklärbaren, keiner Operation meiner wahrnehmenden und erkennenden Kräfte bedürfenden Ichgefühle, das auf keine Weise von irgend einem Momente meines Lebens, oder von irgend einer Bestimmung meines Willens getrennt werden mag. Es begleitet die schwächste Willensregung, so wie die stärkste Begierde; es findet sich in der uneigennützigsten Beschauungswonne, so wie in der Wollust des gröbsten Eigennutzes: es verläßt uns nicht im Schlafe, vielleicht nicht im Tode, vielleicht nicht beym Verlust unserer Individualität, und endigt erst mit dem Begriffe unserer Existenz.

Ganz anders verhält es sich mit dem Selbstgefühle. Dieß setzt allemahl eine deutliche Wirksamkeit der, die Erscheinungen an meinem Wesen unterscheidenden, wahrnehmenden und erkennenden Kräfte zum [67] Voraus: eine Beachtung, eine Aufmerksamkeit auf ein Etwas an meinem Ich, wodurch ich mich von andern Gegenständen, die nicht zu meinem Ich gehören, als etwas besonderes, für sich bestehendes konstituire. Diese Beachtung, diese Gründung meines besondern Ich’s, kann nicht Statt finden, wenn ich dieß Ich nicht in irgend einer meiner Eigenschaften und Zubehörungen, oder in ihrem ganzen Inbegriffe aufnehme, und mich damit einem Dinge entgegenstelle, das zu jenen Adhärenzen, einzeln oder im Ganzen betrachtet, nicht gehört. Das Ich wird erst dann etwas bemerkbares, wenn es in eine Empfindung meines Körpers, oder in ein Bild einer Eigenschaft meiner Seele, oder eine Beschaffenheit meiner Verhältnisse, oder gar in das Bild eines Inbegriffs aller dieser Dinge zusammen eingekleidet, und so den wahrnehmenden und erkennenden Kräften zur Bemerkung vorgestellt wird. Sonst bleibt das Ich ein mir zwar nicht unbewußtes, aber doch unbeachtetes Etwas.

Beyspiele werden die Sache deutlicher machen.

Ich weiß ununterbrochen, daß ich einen Körper habe der nicht einer der Körper ist, die mich umgeben. Aber erst bey einer auffallenderen Berührung bringe ich den Unterschied zwischen meinem Leibe und den Körpern außer mir in Anschlag, und beachte mein Selbst, indem ich fühle: mein Ich berührt.

Ich weiß ferner ununterbrochen, daß ich neben dem Körper eine Seele besitze, und daß diese ein höheres und ein niederes Wesen, einen Geist und einen Instinkt in sich birgt. Aber wann bringe ich die in Anschlag? Nur dann, wenn ich aufgefordert werde, diese Dinge an mir unter sich einander entgegen zu stellen, und mein Ich [68] unter dem Bilde des einen oder des andern zu denken. So sag’ ich mir, mein Körper ist nicht mein Selbst, mein Instinkt ist nicht mein Selbst, mein Geist ist mein wahres Selbst, das bin Ich.

Ich weiß ferner ununterbrochen, daß ich unter gewissen Verhältnissen lebe, die keinesweges die nehmlichen mit denen anderer Menschen sind, die neben mir existieren. Aber ich achte nicht beständig darauf, sondern nur dann, wenn diese äußern Verhältnisse mit meinen mir enger anklebenden Eigenthümlichkeiten, oder mit den Verhältnissen anderer Wesen verglichen werden. Dann denke ich erst: mein Ruhm, mein Vermögen ist noch nicht mein Selbst: oder auch, beydes gehört mir selbst, nicht andern.

Endlich weiß ich ununterbrochen, daß der Inbegriff aller meiner Eigenschaften und Beschaffenheiten, wodurch ich mich als ein einzelnes Individuum von allen andern Wesen meiner Art, folglich noch mehr von allen andern Wesen, die nicht einmahl der Art nach zu mir gehören, unterscheide, ich weiß, sage ich, daß dieser Inbegriff meine Person ausmacht. Aber wann denke ich daran? Nicht eher, als bis ich diese meine Person andern Personen entgegenstelle, und mir sage: ich bin es selbst, nicht er.

Also: Alles, was ich als meinem Ich (mir) zugehörend, und mein Ich (mich) von andern Gegenständen trennend, beachte, das macht mein Selbst aus.

Dieß Selbst ist bald gröber, bald feiner. Je entfernter das Attribut, worin ich mein Ich betrachte, meinem Geiste, als der letzten Adhärenz und dem weitumfassendsten Theile meines Wesens liegt; um desto materieller, gröber, wird mein Selbst, um desto enger [69] und unzusammenhängender mit der übrigen Welt wird das Ich, das durch Beziehung der äußern Gegenstände auf sein Wohl oder Weh gereitzt werden kann: um desto größer wird die Zahl der Wesen, die ich als mir entgegenstehend betrachten muß. Je näher es hingegen meinem Geiste liegt, um desto feiner wird das Selbst, um desto mehr gewinnt es an Umfang desto kleiner wird die Zahl der entgegenstehenden Wesen.

Aber dieß Selbst mag nun so grob oder so fein seyn, als es will, so ist es eines Zustandes von Wohl und von Weh, von Verbesserung und Verschlimmerung, von Vermehrung und Verminderung fähig. So bald ich nun zur Bestimmung meines Willens den Gewinn und den Verlust meines Selbstes vorgängig in Anschlag bringe, so empfinde ich Selbstheit. Besonders aber wird diese da erkannt, wo ich den Zustand meines Selbstes dem Zustande anderer vernünftigen Wesen entgegenstelle, den meinigen von dem ihrigen trenne, und, mit Vernachlässigung ihres Wohls, sie nur als Mittel betrachte, das meinige zu befördern.

Selbstheit ist daher die Neigung, unser Ich getrennt von andern Wesen zu beachten, und sich durch vorgängige Ueberschlagung unsers individuellen Wohls oder Weh’s in unserm Willen bestimmen zu lassen. In so fern wir unser Ich besonders vernünftigen Wesen entgegensetzen, ist Selbstheit die Neigung, diese, mit Vernachlässigung ihres Zustandes, auf das Wohl des unsrigen, wie Mittel zum Zweck zu beziehen.

Die Aufmerksamkeit, welche wir auf unsere Individualität und ihren Zustand, mit Vernachlässigung der Individualität und des Zustandes anderer Wesen, wenden, [70] ehe wir uns in unserm Willen bestimmen, diese macht das Wesen der Selbstheit aus.

Die gröbste Selbstheit zeigt der Geldgeitzige, derjenige, der sein Ich in seinem Schatze beachtet, und diesen sein Selbst nennt. Denn dieß Selbst liegt von dem Geiste des Menschen entfernter als alle seine andern Attribute, und hängt am unsichersten und zufälligsten mit seinem Wesen zusammen. Dieß Selbst ist ferner äußerst eng, weil nur wenige Gegenstände in der Welt es reitzen können, und ihm beynahe Alles für sein individuelles Wohl gleichgültig erscheinen muß, was nicht den Geldhaufen vermehrt. Es ist aber zugleich einer Menge von Wesen entgegenstehend; weil der Reichthum ohne Ausschließung anderer Individuen vom Mitbesitz nicht gedacht werden mag,

Beynahe eben so grob ist die Selbstheit dessen, der nur für seinen Gaumen Sinn hat. Dieß Selbst liegt dem Geiste gleich fern, ist eben so eingeschränkt und eben so ausschließend. Etwas feiner ist die Selbstheit desjenigen, der in den Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, der augenblicklichen Unterhaltung seines Gemüths, kurz, in demjenigen, was man gewöhnlich Sinnlichkeit nennt, sein Ich erkennt. Noch feiner ist die Selbstheit dessen, der geistigen Trieben nach Wissen, Erkennen, Nachruhm, Erhebung über andere Geister u. s. w. huldigt. Am allerfeinsten aber zeigt sich die Selbstheit da, wo wir in den Trieben des Beschauungshanges und der Sympathie unser Ich beachten, und uns durch Ueberschlagung des Gewinns für diese Triebe in unserm Willen bestimmen lassen. Der Mensch, der sich nicht anders als im Zustande der Contemplation und der Begeisterung wohl fühlt, und darum Bilder [71] des Außerordentlichen, Edeln und Schönen aufsucht; der Mensch, der darum gern das Glück anderer Menschen befördert, weil er gern frohe Gesichter um sich her sehen mag, und traurige flieht; beyde huldigen der feinsten Selbstheit. Sie sind noch sehr von denjenigen verschieden, die, ohne ihr Ich in ihrer gespannten Einbildungskraft, oder in ihrem sympathetisch interessierten Herzen zu beachten, ohne die Gegenstände nach ihrer Fähigkeit, zu begeistern und zu rühren, in Anschlag zu bringen, unmittelbar den Gefühlen des Schönen und Edeln, und denen der Liebe huldigen.

Nach dieser Erklärung von der Selbstheit läßt sich nun der Begriff der Uneigennützigkeit, als einer ihr entgegengesetzten Anlage unserer Reitzbarkeit, sehr leicht festsetzen. Es kann darunter durchaus nicht die Fähigkeit verstanden werden, ohne Empfindung von Lust oder Unlust, ohne Bewußtseyn des Wohlbestehens unsers Wesens, unsern Willen bestimmt zu fühlen. Denn sonst würden wir uns den Empfindungen, die wir erhalten, nicht überlassen, sondern ihnen aus allen Kräften entgegen arbeiten. Die stärkste Aufopferung setzt dennoch das Gefühl des Wohlbestehens unsers Wesens in diesem Zustande zum Voraus. Wie wär’ es sonst möglich sich der Aufopferung entgegen zu bieten, oder sie zu wollen? Nur dadurch unterscheidet sich die Selbstheit von der Uneigennützigkeit, daß wir bey dieser unser Wesen nicht erst von andern Wesen trennen, es als etwas Besonderes beachten, und den Zustand, dem wir uns entgegenbieten, nach Gewinn und Verlust für die beachtete Individualität berechnen. Da wo unsere Aufmerksamkeit von unserm Selbst und seinem individuellen Wohl ab, hingegen auf die Selbstständigkeit des äußern [72] Wesens und auf dessen Wohl bey der Bestimmung unsers Willens hingeleitet wird, da ist Uneigennützigkeit vorhanden.

So wie die Selbstheit besonders in der Habsucht erkannt wird, so wird die Uneigennützigkeit besonders in dem Beschauungshange erkannt. Denn während seiner Wirksamkeit werden wir bey dem Mangel seiner Bestrebung, die sich den Besitz eines Gegenstandes zueignen, oder sich in seinen Zustand hineinversetzen möchte, gar nicht auf unsere Triebe, mithin auch nicht auf unser Ich aufmerksam gemacht. Wir achten bloß auf die Eigenthümlichkeiten des beschaueten Gegenstandes. Inzwischen wird die Liebe in dem Sinne, worin ich sie genommen habe, doch für den uneigennützigsten aller Affekte gehalten. Denn wenn wir gleich dabey gewinnen, die Ueberzeugung von dem Glück einer andern Person zu erhalten, mithin offenbar das Bild eines begünstigten Strebens, folglich auch eines verbesserten Selbstes in uns entsteht; so verliert sich doch dieser Gewinn in Vergleichung[WS 3] mit der Aufopferung, die wir durch das thätige Bestreben, die fremde Person zu beglücken, von manchem eigennützigen Triebe bringen. Vergleichen wir den Menschen, der sich an dem Anblick eines todten Kunstwerks, oder an der Anschauung eines Bildes seiner Phantasie ergetzt, mit demjenigen, der nach Vermögen, nach Ehre, oder auch nur nach Erheiterung durch den Anblick des Frohsinnes strebt: so erscheint jener als der Uneigennützigste, weil er seine Aufmerksamkeit am meisten auf die Gegenstände außer sich, und am wenigsten auf den Gewinn für sein eigenes Selbst richtet. Vergleichen wir ihn aber mit dem Menschen, der das Wohl anderer Personen zu befördern strebt, um der bloßen Ueberzeugung willen, daß sie sich glücklich [73] fühlen; so wird er diesem nachstehen müssen. Denn ob der Liebende gleich ein Bild von seinem Ich beachtet, so fühlt er doch zugleich, daß sich dieß Selbst in dem des glücklichen Menschen verliert; und dennoch empfindet er Wonne bey seinem Verluste. Der Beschauer vergißt bloß sein Ich, der Liebende beachtet es, aber opfert es wissentlich auf.


Zweyter Excurs.

Warum das Herz oft für Selbstheit und Sympathie im Gegensatze des Beschauungshanges; oft für diesen und Sympathie im Gegensatze der Selbstheit; dann wieder nur für Sympathie mit dem Menschen, und im engsten Sinne für Fähigkeit zur Liebe genommen wird.

Wir haben gesehen, daß einige Arten von Wonne mit einem Bestreben verknüpft sind, andere nicht. Dieß setzt eine doppelte Anlage in uns zum Voraus, von denen die eine das Bestrebungsvermögen, die andere das Gefühlvermögen genannt wird.

Die Wirksamkeit des Bestrebungsvermögens wird viel stärker empfunden, als die des Gefühlvermögens, und daher ist die Wonne, welche mit Bestrebung oder Begierde verknüpft ist, viel auffallender und merklicher, als diejenige, welche dieß Bewußtseyn nicht mit sich führt.

Diejenige Anlage also, welche wir für Bestrebung und Begierde haben, verdient besonders unsere Reitzbarkeit, unsere Sinnlichkeit, mithin auch unser Herz genannt zu werden. Daher geschieht es denn, [74] daß das Herz mit unserm Bestrebungsvermögen sehr oft in einem Sinne genommen wird.

So oft wir nun die verschiedenen Grade der Reitzbarkeit unter einander vergleichen, und dabey bloß auf die Lebhaftigkeit, mit der wir gereitzt werden, Rücksicht nehmen, nennen wir nur unsere Anlage zur Wollust und Wonne der Selbstheit und der Sympathie, das Herz.

Die Wonne des Beschauungshanges wirkt nicht auf dieß Herz, weil sie nur unser Gefühlvermögen, und nicht unser Bestrebungsvermögen reitzt, mithin uns minder lebhaft afficiert. Das Außerordentliche, das Vollkommene, das Edle und Schöne, bringt an sich nur einen unthätigen Affekt bey uns hervor. Wir überlassen uns ihm, aber wir streben nicht ihn auszubilden, indem wir uns dem Gegenstande mehr nähern, auf ihn einwirken, und ihn auf unsere Verhältnisse beziehen. Er interessiert also nicht unser Selbst. Dagegen interessiert die Wonne der Selbstheit und der Sympathie unser Selbst. Das Nützliche, das Schätzungswerthe, Achtungswürdige, das gesellige Erheiternde und Liebenswürdige, alles dieß versetzt uns in den Zustand des Strebens und des Begehrens. Darum wird die Fähigkeit, uns lebhaft für etwas zu interessieren, und vermöge dieses Interesses Wonne zu empfinden, im Gegensatz gegen die Fähigkeit, ohne Interesse Wonne an der bloßen Beschauung zu haben, das Herz genannt.

So sagen wir von schönen Kunstwerken, daß sie nicht allein etwas für den Sinn des Schönen, (eine Modification des Beschauungshanges,) sondern auch etwas für das Herz liefern müssen; und wieder: daß es nicht genug sey, wenn der Künstler unser Herz zu interessieren [75] im Stande sey, sondern daß er auch unsern Sinn des Schönen befriedigen müsse. Und die Reitzung dieses Herzens wird um so auffallender wahrgenommen, je näher der Künstler seine Darstellungen unserer individuellen Lage bringt, je mehr er sich in unsere Plane, Absichten, Zwecke u. s. w. hineinzudenken weiß. Ja! der Redner, der uns zum thätigen Bestreben, zum Handeln bringen will, geht auf unser Herz los, wenn er unsern herrschenden Begierden schmeichelt, und eine Angelegenheit, die er hat, zu der unsrigen zu machen weiß.

Um hier das Herz von unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit zu Affekten des Beschauungshanges zu unterscheiden, pflegt man die letztern den Kopf zu nennen; eben weil die Thätigkeit des Wahrnehmens und Erkennens die einzige ist, deren wir uns während solcher Affekte bewußt sind, und die Sehkraft und das Erkenntnißvermögen ihren Sitz an und im Kopfe haben.

So modificiert sich der Begriff des Herzens bey einer bloßen Vergleichung der verschiedenen Zustände unserer gereitzten Sinnlichkeit. Sobald wir aber unsere verschiedenen Verbindungsarten mit den Gegenständen außer uns in Rücksicht nehmen, so erhält der Ausdruck Herz eine ganz verschiedene Bedeutung. Dort war es der höhere Grad intensiver Stärke unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit, ihre größere Lebhaftigkeit, welche den Nahmen vorzugsweise auf sich zog: hier ist es der höhere Grad der Ausdehnung, der Feinheit unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit, welche ihn vorzüglich zu verdienen scheint. Nun ist gewiß die Reitzbarkeit desjenigen Menschen, der sich durch den bloßen Beschauungshang und durch Sympathie zur Wonne einladen läßt, viel ausgebreiteter und feiner, als diejenige des Menschen, [76] der nur für Wollust und Wonne der groben Selbstheit Sinn hat. So werden wir denn nie sagen, daß der Wohlgeschmack, der Genuß des befriedigten Geldgeitzes oder der Ehrbegierde u. s. w. Affekte des Herzens sind. Wir schreiben demjenigen kein Herz zu, der gegen die Vollkommenheit und Schönheit der Natur und der Kunst, gegen das Wohl und Weh seiner Mitmenschen unempfindlich ist. Hingegen leihen wir demjenigen ein Herz, der Beschauungshang und Sympathie äußert.

Nun aber kommen wir stufenweise zu der engsten Bedeutung des Herzens, indem wir die verschiedenen Grade unserer Reitzbarkeit in unsern Verhältnissen zum Menschen betrachten. Derjenige, der sich nur lebhaft für die Menschen interessiert, wenn er sie als Mittel zur Begünstigung seiner gröberen Selbstheit betrachten kann; derjenige, der nur dadurch Anspruch auf eine feinere Reitzbarkeit machen kann, daß er sie unthätig beschauet; die haben beyde kein Herz.

Eher schon derjenige, welcher die Menschen als Mittel, seine geselligen Triebe zu befriedigen, mit feinerer Selbstheit genießt. Aber gewiß am allerunzweydeutigsten derjenige, der bloß um der Ueberzeugung willen, daß der Mensch außer ihm zufrieden mit seinem Schicksale sey, Wonne an der thätigen Bestrebung fühlt, zu dessen Glücke etwas beyzutragen. Ein solcher Mensch hat den höchsten Grad von lebhafter und feiner Reitzbarkeit zu gleicher Zeit: der hat wirklich ein Herz, wenn je einer eines haben kann.


  1. Es existirt in keiner mir bekannten Sprache ein Wort, das die Liebe in derjenigen Bedeutung, die ich ihr in diesem Buche gegeben habe, bestimmt ausdrückte. Das Griechische Εὔνοια, das Lateinische beneuolentia, das Deutsche Wohlwollen, bezeichnen zwar die einzelne Aufwallung des Wunsches, daß ein anderer Mensch glücklich sey. Allein sie fassen weder das Bestreben nach Beförderung dieses Glücks, noch den Charakter der Uneigennützigkeit in sich, die ich in den Begriff der Liebe mit aufgenommen habe.
  2. Lust und Unlust sind Worte, die durch jede Erklärung nur undeutlicher werden. Wenn man inzwischen eine verlangt, so würde ich Lust das Bewußtseyn der Angemessenheit meines Zustandes zu der Einrichtung meines Wesens; Unlust das Gefühl der Unangemessenheit meines Zustandes zu der Einrichtung meines Wesens nennen. Vergl. 6tes Buch.
  3. In dieser Bedeutung nähert sich die Sinnlichkeit zwar dem Instinkt, sondert sich aber dennoch von ihm, als Folge von der Ursach, und als Art von der Gattung ab. Instinkt heißt: 1) Vermögen, etwas wahrzunehmen und zu unterscheiden, ohne sich einer auffallenden Anstrengung des Nachdenkens bewußt zu seyn. Hier heißt Instinkt so viel als das niedrige Erkenntnißvermögen, und wird dem höheren, besonders dem Verstande, entgegen gesetzt. Man verwechselt oft diesen Instinkt mit dem Ausdrucke: Sinnlichkeit, z. B. sinnliche Erkenntniß, etwas versinnlichen u. s. w. Diese Bedeutung ist derjenigen, die ich annehme, und wobey ich bloß auf die Fähigkeit, zu einer gewissen Art von Willensbewegung gereitzt zu werden, Rücksicht nehme, nicht entgegengesetzt. Beyde vertragen sich vielmehr als Ursach und Wirkung neben einander. Denn die Sinnlichkeit, für Anlagen zur instinktartigen Wahrnehmung und Erkenntniß genommen, liegt beynahe immer bey der Sinnlichkeit, für Anlage zur Neigung nach Ausgelassenheit unserer herrschenden Triebe genommen, zum Grunde, und bringt die letzte hervor. 2) Versteht man unter Instinkt die Fähigkeit, zur Lust oder Unlust gereitzt zu werden, und seinen Willen zu bestimmen, ohne vorgängige auffallende Operation des Vergleichens und Beziehens auf einen gewissen Zweck. Hier wird Instinkt für das niedrige Willensvermögen genommen, und dem Vermögen der Vernunft, unsern Willen zu bestimmen, entgegengesetzt. Von dem Instinkte in dieser Bedeutung ist Sinnlichkeit eine Art. Denn jedesmahl, wo wir erst von der Vernunft aufgefordert werden müssen, etwas zu wollen oder nicht zu wollen, da läßt sich keine Wirksamkeit unserer herrschenden Triebe im ausgelassenen Genusse ihrer Begünstigung, [22] mithin auch kein unwillkührlicher und unerzwungener Affekt von Lust denken. Es giebt inzwischen auch eine instinktartige Empfindung eines nothwendigen Ruhestandes des Lebens, von dessen Begünstigung ein instinktartiges Genügen, eine instinktartige Zufriedenheit abhängt, wie wir dieß an Thieren deutlich bemerken. Die Anlage zu diesen Gefühlen nehme ich nicht mit in den Begriff der Sinnlichkeit auf: ich verstehe darunter nur: den instinktartigen Hang nach Ausgelassenheit des Lebens, oder nach ungewöhnlicher Begünstigung unserer herrschenden Triebe.
  4. Zur völligen Verständniß dieses und des folgenden Kapitels muß ich bitten, das sechste Buch mit zu Rathe zu ziehen.
  5. Vergleiche das siebente Buch dieses Werks.
  6. Ueber die nähere Bedeutung dieses Worts siehe den ersten Excurs am Ende dieses Buchs.
  7. Reche von der humanen Sympathie nennt diese: die Neigung des Menschen, seine Gefühle den Gefühlen anderer Wesen, deren Zustand ihm äußerlich oder auch innerlich erscheint, vermittelst der Vorstellungen von diesem Zustande zu assimilieren und dadurch den Willen bestimmbar zu machen.
  8. Vergleiche sechstes Buch, drittes Kapitel.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: affektvller
  2. John Howard (1726–1790), englischer Philanthrop.
  3. Vorlage: inVergleichung