Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil/Fünftes Buch

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[241]
Fünftes Buch.
Von der Leidenschaft der Geschlechtsliebe. [1]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Wenn wir von Kindheit auf das Bedürfniß fühlen, uns an ein gefühlvolles Wesen ganz und ausschließlich zu ketten; wenn die dunkle Ahndung einer mit uns für uns geschaffenen Hälfte, unsre einsamen Tage, einsam mitten im Getümmel der Welt, zu Jahren mißt; wenn bey dem ersten Strahl ihres endlichen Anblicks das Leben einer neuen Schöpfung für uns aufgeht; wenn die Unruhe des unbestimmten Sehnens sich in das deutliche Bewußtseyn der Unentbehrlichkeit des angebeteten Gegenstandes verwandelt; wenn wir ängstlich nach der Wonne der Vereinigung streben, alles aufopfern, selbst das Leben, für die Gewißheit, geliebt zu seyn; – und wenn wir sie nun haben, diese Gewißheit, unser Leben hingeben möchten, um sie immer und immer stärker zu empfinden; hingeben möchten, dieses Leben [242] eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm – darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; – sinnen, träumen durch ihn; – weben, leben in ihm; – Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe!

Ha l’amore! sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. Ha l’amore! der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! [2]


Zweytes Kapitel.
Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen.

Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth, [243] den wir auf ein eben so unbegreifliches Etwas an ihm legen.

Man sagt: die Liebe sey blind! Und wahr ist es; sie sieht nur in gewissen Augenblicken, die bald vorüber gehen. Wir können nicht nachdenken über die Fehler des geliebten Gegenstandes, wir können seine Vorzüge nicht vergleichen, nicht erwägen, nicht anschlagen. Alles löset sich in die Empfindung auf: er ist für mich geschaffen! Laß einen Apoll, laß eine Venus vom Himmel kommen, und stelle sie bey dem Geliebten hin; der Gott ist ein Abstrakt von Talenten, so wie die Göttinn ein Abstrakt von Schönheit; sie haben unsere Bewunderung, aber unser Herz gehört dem Wesen, das mehr als Göttlichkeit, mehr als Talente und Schönheit, das jenes Etwas hat, das wir lieben.

Wer hat je leidenschaftlich geliebt, und nicht gefühlt, was es heißt, um sein selbst willen geliebt seyn wollen! Gefühl, das sich schlechterdings in keinen Begriff fassen, kaum einmahl andeuten läßt! Nicht um unsers Ruhms, nicht um unserer Tugend, nicht um unserer Schönheit willen geliebt seyn wollen; ja! nicht einmahl um unserer Zärtlichkeit und Treue, kurz, um der persönlichen Eigenschaften willen; was heißt es anders, als um etwas geliebt seyn wollen, das ohne allen Begriff, ohne alle Beziehung gefällt! Und so wie wir gefallen wollen, so gefällt uns der Geliebte!

Ach! so lange wir noch im Stande sind, ein Bild des Geliebten von seinem Selbst abzusondern, und unserm Selbst vorzustellen; so lange bleibt dem Liebenden die Besorgniß, daß ein anderer Gegenstand eben dieß Bild erwecken, vollständiger darstellen möge, und mit ihm ausgetauschet werden könne. Aber für den, der [244] leidenschaftlich liebt, giebt es keine Schadloshaltung für den Verlust des Geliebten. Und wenn Gottes allmächtige Rechte an des Verlohrnen Statt ein vollkommen ähnliches Wesen schaffte, es wäre für den Weinenden immer nur ein Bildniß!


Drittes Kapitel.
Zweytes Merkmahl der Leidenschaft der Liebe; unbegreiflicher Unwerth, den wir auf unser abgesondertes Selbst setzen.

Eben so unbegreiflich als der Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen, ist der Unwerth, den wir auf unser abgesondertes Selbst legen.

Es scheint uns, wir müßten vergehen, wenn wir das Bewußtseyn des Daseyns und des Wohls des Geliebten verlören. Wir fühlen unser Daseyn, unser Wohl nur in ihm. Er wird das Haupt, er wird die Seele unsers Wesens: wir dienen ihm als untergeordnete Glieder, als Agenten seines Geistes. So wie Freud und Leid der Seele auf den Körper, als ihr niedrigeres Organ, zurückwirkt, so wirkt Freud und Leid, das der Geliebte empfindet, auf den Liebhaber zurück. Wo die Seele sich in Wonne fühlt, vergißt nicht da der Körper seine besondern Schmerzen; wo sie, die Seele, in Trauer versinkt, kann da der Körper auf sein Wohlbefinden achten? Wozu ist er da, als um ihr Genuß zu bereiten! Was sind seine Wollustgefühle, wenn die Seele diese nicht durch theilnehmende Wonne veredelt und erhöhet! Darum mag der Liebhaber keinen Genuß, den er nicht mit dem Geliebten theilt; darum rührt ihn unter den getheilten Freuden [245] diejenige allein, welche der Geliebte davon hinnimmt! Ja, wenn das Glück des Geliebten mit dem gemeinschaftlichen Genusse nicht bestehen sollte, so entsagt ihm der Liebhaber, und lebt in der Empfindung fort, daß es dem besseren Theile seines Selbstes, seiner Seele wohl gehe!

Das heißt einen andern mehr lieben als sich selbst! Das ist es, was das Herz des Zuschauers, der sich ähnlicher leidenschaftlichen Aufopferungen fähig hält, unfehlbar zur Mitempfindung hinreißt; das ist es, worauf das Interesse aller Romane und Schauspiele von der zärteren Art beruht; das ist es endlich, was wir auch da bewundern, wo wir die Aeußerungen eines solchen Herzens, einer solchen Liebe, im kälteren Zustande kaum begreifen und kaum billigen mögen.

Darum lieben wir dich, St. Preux, wenn du dem Glück deines Lebens entsagt, um Julien die ruhige Selbstgenügsamkeit, welche Folge eines pflichtmäßigen Betragens ist, zu bereiten![WS 1] Darum bist du unserm Herzen so theuer, edles Mädchen, wenn du, überzeugt den Geliebten an deiner Hand nicht glücklich machen zu können, die seinige mit einer andern verbindest! Darum bist du uns so heilig, halbwahnsinniges Weib, wenn du in dem Bildnisse der glücklichern Nebenbuhlerinn noch diejenige mit Vergnügen betrachtest, die deinen Geliebten auf Kosten deiner beglücket.

Wie ihr euch selbst zertrümmert, damit aus euerm modernden Schutte das Glück des Geliebten aufsprosse! Wie ihr liebt; was ihr für ein Herz habt!

[246]
Viertes Kapitel.
Drittes Merkmahl der Leidenschaft der Liebe; das Unbegreifliche des Zwecks, wornach wir streben.

Alle Anhänglichkeit hat einen Zweck, aber die Leidenschaft hat keinen. Was leidenschaftlich Liebende von einander wollen, das wissen sie nicht; was sie durch einander beglückt, das ist ihnen unbegreiflich! Sie wollen bey einander seyn unaufhörlich; auf einander einwirken in grenzenloser Ausdehnung und mit unermeßlicher Stärke. Das fühlen sie. Aber warum? Wozu? Darum fragen sie sich nicht, und wenn sie sich darum fragen, so beantworten sie es nicht.

Leidenschaft der Liebe strebt nach allem, worin Körper und Seele nur immer vereinigt gedacht werden mögen, ohne allen andern weitern Genuß, ohne allen weitern Vortheil; bloß um des Bewußtseyns willen, daß zwey Wesen eins sind.

O Geliebte! welche geheime Kraft entfärbt mein Antlitz, wenn ich dich nur von fern erblicke; welcher Zauber läßt mich deine Gegenwart ahnden, ohne dich zu sehen und zu hören, und treibt mein Blut mit Ungestüm aus meinen Adern dir entgegen. Fühlt denn mein Körper den Zusammenhang mit dir ganz unabhängig von der Mitwirkung der Seele? Und wenn sie, die Seele, es ist, welche die Vorstellung der Nähe allein mit Wonne erfüllt, wie unerklärbar ist auch ihr Zusammenhang mit deinem Wesen! Was hat denn meine Seele davon, daß ich so gern die Luft einathme, die unser beyder Körper im gemeinschaftlichen Raume umfließt? Warum entzückt mich das bloße Geräusch deiner Tritte, die sich nicht zu mir wenden, der Ton deiner Stimme, [247] die nicht zu mir redet; ja, das bloße Licht, das dich umscheint, und aus fernen Fenstern mir entgegen strahlt! Warum ist die Welt für mich in zwey Theile getheilt, deren einer ausgefüllt ist mit deiner Gegenwart, der andere sich in ewiger Leere vor meinen Blicken verliert? Warum fährt mitten im Bewußtseyn, daß ich bey dir bin, dennoch meine Hand konvulsivisch auf, den Saum deines Gewandes zu zupfen? Warum ermüde ich nie, voll von der Ueberzeugung, von dir geliebt zu seyn, die stete Versicherung deiner Liebe zu hören? Warum befriedigt die engste Vereinigung, die sich zwischen Körpern und Seelen denken läßt, nie die unaufhörliche, grenzenlose Sehnsucht nach immer engerer Vereinigung?

Ach! derjenige, der leidenschaftlich liebt, hat eine unbestimmte Unruhe, eine dunkle Ahndung von tausend nie zu befriedigenden Wünschen, die sich alle in das zwecklose Streben nach steter Vereinigung und nach steter Einwirkung auf den geliebten Gegenstand auflösen. Er fühlt vielleicht, er geht dabey zu Grunde; er fühlt zuweilen, seine edelsten Kräfte, seine rühmlichsten Bestrebungen schwinden dahin; der schönste Genuß der Freundschaft und ruhiger Zärtlichkeit, die lockendsten Plane auf Ruhm, Vermögen und häusliches Glück, gehen verloren. Und das alles opfert er auf für die Vorstellung: Eins zu werden; für ein Hirngespinnst, das der Liebende selbst dafür erkennt, das er sogar mit Hülfe der Phantasie nicht einmahl als ein klares Bild fassen kann. An diese Chimäre ist er angezaubert, in diesen Kreis von Begünstigungen, die allemahl wieder zu neuen Reitzen werden, ist er gebannt. So muß er zugleich was er will! Nicht äußere Verhältnisse zwingen ihn, [248] aber die Herrschaft eines Lieblingstriebes, der über alle andere unumschränkt regiert.


Fünftes Kapitel.
Absonderung der leidenschaftlichen Aufwallung von der Leidenschaft selbst.

Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger Bewegung unserer Reitzbarkeit zum Voraus. Darin ist man allgemein einverstanden. Aber wenn wir nicht alle Begriffe verwirren, und ganz verschiedene Zustände unsers Wesens mit einerley Nahmen bezeichnen wollen; so müssen wir nothwendig den einzelnen leidenschaftlichen Moment von der Leidenschaft, und in dieser wieder die Zeit ihres Strebens von der ihrer Beendigung durch völlige Ausführung oder Verzweiflung unterscheiden.

Lauter verschiedene Bewegungen unsers Wesens! – Jeder heftige Ausbruch einer Begierde ist ein leidenschaftlicher Moment, aber er ist darum keine Leidenschaft. Und selbst während dieser letzten sind die beyden Perioden, worin wir zugleich fürchten und hoffen – und nichts mehr zu fürchten und zu hoffen haben: das Streben der Sehnsucht, und wieder ihre Stillung durch Sättigung des Genusses, oder Ermüdung des vergeblichen Nachstrebens, ganz verschieden in ihren Wesen und in ihren Wirkungen.

Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger aber anhaltender Sehnsucht zum Voraus, die sich durch ihre Dauer noch verstärkt, und in ihrer Höhe alle Kräfte unsers Wesens nach Erlangung eines Gegenstandes hinspannt.

[249] Man hat längst bemerkt, daß in jeder Leidenschaft etwas von Wahnsinn liege, und daß sich die Ideen und Gefühle bey uns figieren. Leidenschaft setzt die Wirksamkeit solcher Triebe in uns zum Voraus, deren Befriedigung uns mit Wonne erfüllt; der Gegenstand muß von der Art seyn, daß wir ihn wollen, daß wir darnach streben würden, wenn wir durch keinen äußern Beweggrund getrieben würden. Wer bloß durch physische oder moralische Nothwendigkeit gespornt wird, nach einem gewissen Zustande zu streben, der ihm außerdem gleichgültig oder unangenehm seyn würde; wer sich aus Hunger, nach unschmackhaften Speisen; aus Furcht, nach einem sichern aber höchst unangenehmen Aufenthalte; aus Zwang, nach qualvoller Beendigung einer Arbeit sehnt; der handelt zwar leidenschaftlich, d. h. seine Aeußerungen ähneln den Wirkungen der Leidenschaft; aber er fühlt nicht, was Menschen im Stande der Leidenschaft fühlen: er handelt nicht aus Leidenschaft.

Demohngeachtet deutet schon der Nahme auf Leiden, auf Bedürfniß hin. Und so ist es in der That! Wir fühlen in der Leidenschaft die Unentbehrlichkeit einer gewissen Wonne. Der innere Reitz des Zustandes, in den wir zu gelangen streben, hat uns überwältigt. Wir wollen nicht mehr dasjenige, was wir auch frey wählen würden, wir müssen wollen, was wir vermöge der Herrschaft unserer Triebe nicht anders können.

Also ist Leidenschaft die figierte Sehnsucht nach einer gewissen Wonne, die wir zu unserm Daseyn und Wohl unentbehrlich fühlen.

Alle diejenigen Begierden, deren Befriedigung Wonne gewährt, sie mögen höchst selbstisch oder liebend [250] seyn, können zur Leidenschaft werden. Darum giebt es eine Leidenschaft des Hasses, – die eigennützigste unter allen, indem wir nach der Wonne streben, uns an dem Verderben, an der Erniedrigung, an der Ausschließung anderer zu weiden; – des Hasses mit allen seinen Modificationen, des Neides, der Eifersucht, u. s. w. Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. – Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe.

Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. Man setze an die Stelle der unbekannten Unglücklichen, die er retten [251] wollte, die Herzensgeliebte des Herzogs, um den Unterschied zu fühlen!

Aber selbst in der Leidenschaft unterscheide ich den Zustand der dauernden Ausfüllung und Entzückung, worin wir, ohne weiter etwas zu wünschen oder zu fürchten, nur genießen, und den Zustand der dauernden Verzweiflung, worin wir, ohne weitere Hoffnung leiden, – von dem Zustande des hoffenden Strebens und des Gelingens, der mit weitern Wünschen und mit Besorgnissen des Verlustes verknüpft ist. Dieser letzte Zustand ist eigentlich Leidenschaft: hier erhöht die Mischung des Gefühls der Unentbehrlichkeit mit den Gefühlen der Wollust oder Wonne unsere Begierden: hier ist Bedürfniß mit Genuß, Qual mit Vergnügen verbunden.

So wie ich also hier Leidenschaft betrachte, ist sie ein anhaltender Zustand des Strebens und des Ueberwindens; des Hoffens auf eine künftige Befriedigung, der Besorgniß, daß das Erlangte verloren gehen möge, und des Sehnens nach einer fortschreitenden Ausbildung des Genusses.


Sechstes Kapitel.
Anwendung dieses Begriffs der Leidenschaft auf die Liebe, besonders auf die Geschlechtsliebe.

Die Leidenschaft ist liebend, wenn der Begriff einer wonnevollen Bestrebung nach der Ueberzeugung von dem Glück eines andern Menschen außer uns auf sie zutrifft. Dieß geschieht unstreitig dann, wenn wir ganz aus unserm Selbst heraus in den andern überzugehen wünschen, und unser Schicksal durch das seinige bestimmen [252] lassen. Niemand wird für sich selbst Unzufriedenheit und Unglück begehren, folglich auch nicht für denjenigen, in den er sich ganz zu verwandeln, dessen Eigenschaften und Beschaffenheiten er sich ganz anzueignen strebt.

Die liebende Leidenschaft unterscheidet sich also von dem einzelnen liebenden Affekte und der liebenden Anhänglichkeit nur durch den Charakter der Leidenschaft, durch das Gefühl der Unentbehrlichkeit der Wonne, den Geliebten glücklich zu wissen, zu unserm Daseyn und Wohl. Das Gefühl des Bedürfnisses, der Nothwendigkeit, gesellt sich zu dem Wonnegefühle der Ueberzeugung, daß es dem andern wohl geht.

So macht denn das unwillkührliche, von allem äußern Zwange und aller Ueberlegung unabhängige Streben nach der Ueberzeugung, daß ein anderer Mensch sich glücklich fühle, das Wesen der Liebe in allen ihren verschiedenen Verhältnissen aus. Aber freylich, bey der Leidenschaft ist es nicht Zweck, es ist Folge des Strebens nach gänzlicher Verwebung unsers Wesens mit dem Wesen eines andern Menschen. Wo hingegen die Vereinigung mit der Person als ein Mittel aufgesucht wird, Triebe des Hasses, der Furcht, der Mißgunst, kurz, des Eigennutzes überhaupt zu befriedigen; da ist keine Liebe vorhanden. Man darf nur an die Wirkung derjenigen Eifersucht denken, welche auf bloßer Eitelkeit beruht, und eben so wohl zur steten Annäherung, ja, zur äußersten Aufopferung gegen Gattinnen zwingt, die nach vorübergegangener Gefahr, daß sie einem fremden Liebhaber zu Theil werden könnten, Gegenstände der Gleichgültigkeit oder des Hasses für den selbstischen Gatten werden. Seine Leidenschaft beruht auf dem bloßen Bedürfnisse der Mißgunst. [253] Aehnliche Beyspiele höchstselbstischer Leidenschaften, welche den Anschein der liebenden haben, wird das künftige Buch aufstellen und entwickeln. Das deutlichste Merkmahl, daß wir einer liebenden Leidenschaft huldigen, ist dieß: wenn wir die geliebte Person nicht so wohl in unsere Persönlichkeit ganz aufzunehmen, als die unsrige in ihre Person zu übertragen streben, und noch Wonne an ihrem Wohl empfinden, wo das erste uns mißlingt.

Ich habe es schon gesagt, und ich muß es hier wiederholen: jede Art von Trieben kann sich zuweilen leidenschaftlich äußern: die Zärtlichkeit der Freunde und der Gatten und der Eltern für ihre Kinder kann zuweilen leidenschaftliche Aufwallungen darbieten, obgleich die Verbindung, nach der größern Summe der Momente während ihrer Dauer berechnet, gar nicht zur Leidenschaft gezählt werden darf. Wir finden sogar leidenschaftliche Aufwallungen zwischen Personen, die gewöhnlich gleichgültig gegen einander sind. Z. B. bey einer Mutter, die vielleicht Jahre lang des Anblicks ihres Kindes ungerührt entbehrt, und in dem Augenblicke der Gefahr sich dem Tode muthig entgegen wirft, um es zu retten. Dergleichen Aufwallungen beweisen nichts für das Daseyn einer liebenden Leidenschaft: sie beweisen nicht einmahl etwas für das Daseyn der Liebe. Es muß eine anhaltende Stimmung zur Aufopferung des abgesonderten Daseyns seyn, welche keiner besondern Veranlassung bedarf, um sich wirksam anzukündigen, wodurch das Wesen der liebenden Leidenschaft begründet wird.

Freylich ist es unmöglich, daß der Mensch lauter leidenschaftliche und liebende Affekte während der ganzen Dauer des Verhältnisses hege. Aber die Summe der [254] prädominierenden Momente giebt der Periode seines Lebens im Ganzen den Charakter.

Jede zärtliche Anhänglichkeit kann zur liebenden Leidenschaft werden, so wie überhaupt jede dauernde Neigung zu einem bestimmten Gegenstande. Inzwischen scheint die Zärtlichkeit fürs andere Geschlecht, wenn sie zur Leidenschaft wird, doch etwas Eigenes und Ausgezeichnetes zu haben. Keine kann sich mit ihr an Umfang der Wirksamkeit, womit sie unsere ganze aus Körper und Seele und äußern Verhältnissen bestehende Person umfaßt, vergleichen. Bey keiner ist die Stärke der Wirksamkeit, womit sie uns zu Aufopferungen auffordert, so gewöhnlich. Das leidenschaftliche Streben in der Geschlechtsliebe ragt daher unter allen leidenschaftlichen Stimmungen als das Höchste und Gewöhnlichste hervor, und nach ihm wird alles ähnliche Streben berechnet. Da auch die Rührung des Herzens und die liebenden Affekte auf dieser Stufe am deutlichsten nach außen wirken, und die häufigsten und stärksten Aufopferungen unserer niedrigen Selbstheit zeigen; so wird die Fähigkeit zum leidenschaftlichen Streben nach zärtlicher Verbindung mit dem andern Geschlechte vorzugsweise das Herz, so wie der Zustand, den dieß Streben hervorbringt, vorzugsweise Liebe genannt.


Siebentes Kapitel.
Endlicher Begriff der Leidenschaft der Liebe.

Leidenschaft der Liebe, oder Liebe in der höchsten Bedeutung des Worts ist: figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, das Bewußtseyn [255] meines Selbstes, unter dem Bilde des Selbstes eines andern Menschen zu erhalten.

Hier ist also mehr als Zusammensetzung der Personen durch Vermengung oder Vermählung der Naturen; hier ist Uebertragung unsers ganzen Wesens in das Wesen eines andern endlicher Zweck der Bestrebung. Wir sehnen uns, aus Bedürfniß und mit Wonne das Bewußtseyn unserer abgesonderten Persönlichkeit zu verlieren, und uns als unzertrennliche Adhärenz der Person eines andern zu fühlen. Wir wollen und wir müssen der Körper seyn, den der geliebte Mensch als Seele belebt: oder wir wollen, wir müssen gar sein Gemüth, sein Geist seyn, in dem er als das letzte Ich hauset; kurz, wir wollen, wir müssen seine Person seyn: seine Seele, sein Körper, seine Verhältnisse, sein ganzes Selbst.


Achtes Kapitel.
Davon ist liebende Anhänglichkeit, mit leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft, verschieden.

Von dieser Leidenschaft der Liebe ist diejenige liebende Anhänglichkeit verschieden, in der sich mehr oder weniger leidenschaftliche Aufwallungen einfinden. Je häufiger diese eintreten, und je anhaltender sie wirken, um desto mehr nähert sich freylich dieser Zustand der Leidenschaft; je seltener und je vorübergehender sie sind, um desto mehr nähert sich die Stimmung unsers Wesens der ruhigen Zärtlichkeit. Aber immer unterscheidet sich doch die eigentliche Leidenschaft der Liebe von der Zärtlichkeit, die oft leidenschaftlich wirkt, wie der Zustand einer förmlichen Krankheit von dem Zustande einer bloß schwankenden Gesundheit. Denn wahr ist es und bleibt wahr: Leidenschaft [256] ist allemahl Krankheit unsers Wesens, so wie leidenschaftliche Aufwallung Unpäßlichkeit. Jene wird nicht leicht entstehen oder fortdauern, wo die Liebenden durch ihre wechselseitige Neigung und durch äußere Verhältnisse in ihrem Streben nach Vereinigung begünstigt werden. Die leidenschaftlichen Aufwallungen können auch in der glücklichsten Verbindung ihre Macht äußern.


[257]
Anhang zum fünften Buche.

Erster Excurs.
Ueber die Entstehungsart der Leidenschaft der Liebe.

Billig fragt man: wie entsteht die Leidenschaft der Liebe? Die Beantwortung dieser Frage ist um so wichtiger, da von ihr die Beantwortung jener andern abzuhängen scheint: ob es in unserer Gewalt stehe, uns zu verlieben, ob diese Leidenschaft plötzlich erwachen könne, und wie sie endige?

Aus der Darstellung, die ich von der Liebe als Leidenschaft gegeben habe, erhellet, daß eine doppelte Anlage dabey vorausgesetzt werden müsse. Wir müssen das Bewußtseyn unserer Person unter dem Bilde einer andern Person aufnehmen können; und das Streben nach dieser Art des Bewußtseyns von unserer Person muß bey uns stets herrschend werden können.

Von diesen beyden Anlagen nenne ich die eine die Selbstverwandlungskraft, die andere[WS 2] die Figierungskraft.

Es ist oben von der Aneignungskraft der Geister, und dem Zustande ihrer gelingenden Wirksamkeit, den ich Besessenheit genannt habe, weitläuftig gesprochen. Selbstverwandlungskraft ist ein höherer Grad derselben. Sie zeigt sich bey gewissen Krankheiten und beym Wahnsinn am auffallendsten, und beruht auf einer Verirrung desjenigen Vermögens in uns, welches wir [258] anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten.

Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte.

Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen.

Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.

[259] Demungeachtet ist sie mit der bloßen Begeisterung, mit dem Enthusiasmus, mit der Verblendung der Phantasie, mit der pathetischen Illusion, und endlich sogar mit der schwärmerischen Aneignung der Geister oder Besessenheit noch keinesweges einerley. Sie scheint nur mit ihnen verwandt, und der höchste Grad von Stärke desjenigen Vermögens zu seyn, welches bey allen diesen Zuständen zum Grunde liegt.

Begeisterung, ich habe es bereits gesagt, ist die Erhöhung der Phantasie, welche die vorgestellten Gegenstände außer uns durch ungewöhnlich lebhafte Bilder unserm Gemüth äußerst nahe bringt. Enthusiasmus, Schwärmerey entsteht aber, wenn eben diese Bilder zugleich unserm Herzen, der Summe herrschender Triebe in uns, auf eine ungewöhnliche Art nahe gebracht werden. In beyden Fällen nehmen wir gern etwas Geistiges von den Bildern an: ihre Lebhaftigkeit, ihr Feuer, oder eine oder die andere Eigenheit, welche sie auszeichnet, und wodurch wir uns wieder auszuzeichnen hoffen. Aber nicht leicht wird die Trennung des begeisternden und enthusiasmierenden Gegenstandes von unserm Selbst vergessen. So begeistert uns zwar die Vollkommenheit einer Statue, eines Gedichts; so enthusiasmieren wir uns, so schwärmen wir zwar für diese Vollkommenheit, wenn sie zugleich einen gewissen ästhetischen Grundsatz, der von unserer Erfindung ist, bestätigt, oder uns das Bild einer Geliebten, einer Situation, welche den Gegenstand unserer Wünsche in der Wirklichkeit ausmacht, ungewöhnlich auffallend darstellt; aber der begeisterte oder enthusiasmierte Beschauer sagt sich nicht: der Körper dieser Statue ist der meinige; ich bin der dargestellte Held in dieser Situation.

[260] Die Verblendung der Phantasie, vermöge deren wir Bilder, die in unserm Kopfe existieren, für wirklich äußere Gegenstände halten, ist gleichfalls mit der Selbstverwandlung keinesweges einerley. Wer eine Erscheinung, ein Gespenst zu sehen glaubt, betrachtet das Bild seines Gehirns als etwas körperliches, das sich von andern Körpern und von seinem Kopfe absondert, und ein für sich bestehendes Wesen annimmt. Er verwechselt die Verhältnisse, worin Körper und bloße Bilder seines Kopfes zu einander, und zu seinem Selbst stehen. Aber wer sich in Glas und Stroh, in einen Gott, in einen Helden verwandelt glaubt, der erkennt keine Trennung, keine Absonderung an, der sieht sich selbst in einer veränderten Gestalt.

So ist auch die pathetische Illusion von der Selbstverwandlung verschieden. Wir können bey der Vorstellung eines Trauerspiels, und noch mehr im gemeinen Leben, dergestalt durch das Leiden oder durch die Freude anderer gerührt werden, daß wir unsere Lage mit der ihrigen verwechseln, und wirklich glauben, wir hätten Ursach, unmittelbar zu trauern, oder uns unmittelbar zu freuen. Allein so geschickt diese pathetische Illusion auch seyn kann, die Selbstverwandlung zu befördern; so ist sie doch keinesweges ein und derselbe Zustand. Wir eignen uns nur ähnliche äußere Verhältnisse mit der Person, an der wir Antheil nehmen, an: nicht ihre Person, nicht ihren Geist, nicht ihren Körper, nicht ihr engeres Selbst.

Dagegen hat die Selbstverwandlung mit der Besessenheit, oder schwärmerischen Aneignung der Geister, eine größere Aehnlichkeit. Sie unterscheiden sich nur dadurch von einander, daß der Besessene den Geist des [261] Gegenstandes, der ihn begeistert, in sich aufnimmt, und sich von diesem beseelt glaubt; der Selbstverwandler nimmt aber auch den Körper und alle Verhältnisse des begeisternden Gegenstandes in sich auf; er sieht sich an, als ob er sein ganzes persönliches Wesen verlassen hätte, um sich in der Persönlichkeit des andern zu verlieren.

Die Besessenheit empfindet oft der Künstler, der einen Helden auf dem Theater darzustellen hat. Die Idee des Außerordentlichen, des Ungewöhnlichen, verbunden mit der Eitelkeit, so zu scheinen, kann wirklich seine Natur auf eine Zeitlang verändern, und ihn überzeugen, daß er von Cäsars oder Richards Geist beseelt werde. Allein so weit schreitet dieser Zustand doch selten vorwärts, daß die Akteurs wirklich römische Dictatoren, oder Englands Könige mit ihrem Körper und mit allen ihren Verhältnissen zu seyn wähnen.

Beyde, die Besessenheit und die Selbstverwandlung, können auch aus ganz verschiedenen Ursachen entstehen. Die erste wird nur da erweckt, wo wir ein Wohlverhältniß zwischen der Inferiorität unsers Geistes und der Superiorität eines andern fühlen, zu dem wir uns hinaufzuheben hoffen. Aber der Selbstverwandlungstrieb entsteht sehr häufig aus ganz zufälligen Ursachen. Sehr oft halten wir uns in dasjenige verwandelt, was gerade der Gegenstand unsers Widerwillens und unsers Abscheues gewesen ist. Ein heftiger Schrecken, der einen Candidaten überfiel, als ihn sein Examinator, ein furchtbarer Orthodox, der Heteroxie beschuldigte, hatte die Wirkung, daß der Erschrockene sich gerade in seinen Feind verwandelt glaubte, und fortan wie dieser dachte, sprach und handelte. Die gleichgültigsten Dinge, welche gerade das letzte Bild in der Seele erweckt, den letzten sinnlichen [262] Eindruck auf uns gemacht haben, als eine heftige Erschütterung in unserm Wesen erfolgte, modificieren forthin das Bewußtseyn, das wir von unserm Selbst aufnehmen. Wir werden zum Strohhalme, zum Glase, halten uns zerbrechlich wie diese, weil wir gerade, als der Donnerschlag zu unserer Seite niederfiel, einen Strohhalm zermalmt, ein Glas zerschmettert erblickten, und dieß das letzte Bild, der letzte sinnliche Eindruck war, der mit in unsere zerrüttete Maschine überging.

Viel häufiger ist inzwischen der Fall, daß wir uns in dasjenige verwandelt glauben, was wir mit körperlicher Lüsternheit oder Lüsternheit der Seele begehren. Daher die so häufige Erfahrung, daß ehrgeitzige Menschen, wenn sie verrückt werden, in Könige, Minister, Personen der Gottheit; daß Menschen von heißem Blute in den Gegenstand ihrer Begierden verwandelt zu seyn glauben. – Beyde, die gewaltsame Erschütterung und die Lüsternheit, können aber auch zusammen wirken. Der Gegenstand unserer Begierde kann zugleich die Veranlassung einer Ueberspannung unserer Organisation und starker Leiden des Gemüths seyn, und sein Bild kann dann aus diesem doppelten Grunde so lebhaft in unserer Seele werden, daß wir die gehörige Beurtheilung des wahren Verhältnisses, worin es zu unserer Seele steht, verlieren, und uns mit ihm verwechseln.

Selbstverwandlung ist also von Begeisterung, Schwärmerey, Verblendung der Phantasie, pathetischer Illusion und Besessenheit, dem Grade der Wirksamkeit unserer Phantasie und Versetzungskraft nach, verschieden. Wo sie vollständig ist, und dauernd wird, da ist völlige Verwirrung des Gemüths, vollständiger Wahnsinn vorhanden. Alsdann hört auch alle Leidenschaft auf; unsere [263] Sehnsucht nach Vereinigung wird durch Ausfüllung gestillt.

Es giebt aber einen Mittelzustand zwischen dem Gebrauch unserer Vernunft und dem Zustande des Wahnsinns. Wir können nur nach jenem Zustande der Selbstverwandlung streben, und es kann uns nur auf Augenblicke und in einem gewissen Grade gelingen, darein zu gerathen. Dieß ist denn der Fall in der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht, aus Gründen, die sogleich angeführt werden sollen, wenn ich vorher die Eigenheiten der Figierungskraft entwickelt haben werde.

Daß unsere Kräfte überhaupt, so wohl die des Körpers, als die der Seele, einer gewissen Ueberspannung fähig sind, so daß sie die Richtung, welche sie eine Zeitlang, oder durch eine starke Anstrengung auf einmahl erhalten haben, lange und so dauernd behalten, daß sie sobald nicht wieder in ihre vorige Lage zurückkommen können, bedarf kaum eines Beweises.

Wer lange in die Sonne gesehen hat, behält, nachdem die Ursach gehoben ist, die Empfindung des Strahls bey, und glaubt noch in die Sonne zu sehen, ob er es sich gleich wohl bewußt ist, die Augen weggewandt zu haben. Ist der Eindruck des Scheins sehr heftig gewesen, so mag er sein ganzes Leben hindurch das Flimmern vor den Augen fühlen. Mit dem Gehöre verhält es sich eben so. Man höre lange eine Tanzmusik an; man gehe nach Hause, die Musik summset noch lange nachher in den Ohren. Durch eine heftige Erschütterung des Trommelfells kann man das ganze Leben hindurch ein Brausen in den Ohren behalten. Wer sich lange eingepreßt gefühlt, oder lange etwas in der Hand [264] gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie.

Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft [265] erhält er sogleich mit der Erleichterung seines Physischen Vorstellungen von ganz verschiedener Art, so daß er selbst über den Antheil lachen muß, den er an den vorigen genommen hat. Eben so können vermöge einer gewissen Stimmung der Seele zur Traurigkeit oder zur Heiterkeit, lauter analoge Bilder in uns aufsteigen. Darum sieht der Arme, der Bedrängte, alles, was auch in keiner genauen Beziehung mit seinem Zustande steht, im schwarzen; der Heitere hingegen alles im Rosenlichte.

Folglich können unsere physischen und Seelenkräfte eine solche Richtung erhalten, daß sie zu gewissen physischen Gefühlen und Bestrebungen, zu gewissen Bildern und Vorstellungen und davon abhängenden Reitzungen unsers Herzens, ja, zu gewissen anhaltenden Stimmungen des Gemüths ohne vorgängige besondere Vorstellung, oder ohne vorgängigen besondern sinnlichen Eindruck, eine solche Fertigkeit bekommen, daß wir selten das Bewußtseyn unsers Selbstes erhalten, ohne uns jener physischen Gefühle und Bestrebungen, jener Ideen und Aufwallungen des Herzens mit bewußt zu werden.

Dieß ist die Wirksamkeit der Figierungskraft. Sie so wohl, als die Verwandlungskraft, werden beyde auf eine doppelte Art in Bewegung gesetzt. Entweder, indem unsere physischen und Seelenkräfte auf Ein Mahl überspannt werden; oder, indem wir nach und nach ihnen eine nicht leicht wieder abzulegende Richtung geben. Nicht anders, wie wirkliche Schnellfedern entweder auf Ein Mahl überspannt, oder nach und nach zu einer gewissen dauernden Richtung hingebeuget werden können. Eine heftige Betrübniß, ein gewaltsamer Unmuth, können den Menschen eben so gut für beständig traurig und menschenfeindlich machen, als häufige kleine Versagungen [266] und geringer, aber anhaltender Verdruß. Eben so können Menschen durch Schrecken nicht minder in die Lage kommen, sich in Gegenstände außer sich verwandelt zu glauben, als durch häufiges Sinnen und Nachdenken über den nehmlichen Gegenstand. Liegt der Fehler gar in der innern Konstitution, so kann der Krankheitsstoff sich eben so wohl plötzlich als nach und nach entwickeln, und unser Wesen auf einige Zeit, oder auf immer verrücken.

Wenn die Verwandlungs- und Figierungskraft, beyde in ihrer völligen, stärksten, ausgebreitetsten Wirksamkeit zusammentreffen; wenn der Mensch sich ganz in den Gegenstand außer sich, und zwar jedesmahl, wenn er das Bild von seinem Selbst aufnimmt, verwandelt wähnt, so ist vollkommener Wahnsinn vorhanden. Allein dieser Fall ist äußerst selten, und so giebt es der Grade des Wahnsinns unendlich viele. Man kennt Menschen, welche im Durchschnitt ihres Lebens vernünftig sind, und nur unter gewissen seltenen Verhältnissen an solche mit ihnen vorgegangene Verwandlungen glauben. Wieder giebt es Menschen, die nur gewisse Eigenheiten von andern Gegenständen außer sich in das Bild von ihrem Selbst aufnehmen. Wieder andere, die gar nichts von Verwandlung wissen, und bey denen nur gewisse Ideen und Bestrebungen figiert sind, so daß sie entweder beständig an einem Bilde hängen, oder nur zu gewissen Zeiten durch alle Gründe der Vernunft nicht davon abzubringen sind. Kurz, es giebt der Modificationen der Wirksamkeit dieser beyden Kräfte so viele, daß sie sich unmöglich aufzählen lassen.

In der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht wird nun nicht so wohl das Gefühl der Selbstverwandlung, [267] als vielmehr das Streben darnach zum fixen Gefühle. Wir nehmen unser Selbstbewußtseyn beynahe immer mit der Vorstellung auf, daß wir mit der ganzen Person des Geliebten eins geworden zu seyn wünschen; und man kann wohl sagen, daß die Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht weiter nichts sey, als das figierte Streben, uns in den Gegenstand unserer Wünsche verwandelt zu sehen. Die Art, wie dieß zugeht, läßt sich leicht begreifen. Schon die bloße Geschlechtssympathie, wenn sie auch nicht liebend wirkt, führt uns auf die Wahrnehmung, daß wir manches von dem angenäherten Wesen uns aneignen, so wohl von dem was zum Körper, als von dem, was zur Seele gehört. Der Mann fühlt sich physisch und moralisch zärter; das Weib fühlt sich physisch und moralisch stärker, indem sie sich einander zur Körperverbindung und zur Häuslichkeit nähern. Treten liebende Triebe hinzu, so eignen sich beyde viel von ihren gegenseitigen Verhältnissen an. Wird die liebende Geschlechtssympathie zur zärtlichen Anhänglichkeit, so verstärken sich die Bande durch eine Menge von Trieben, welche theils dem Sinn des Schönen, theils der Selbstheit gehören. Alles dieß muß die Selbstverwandlungskraft sehr leicht aufregen, und die Figierungskraft nicht minder. Die körperlichen Fibern bleiben, wenn sie überspannt werden, in der üppigen oder lüsternen Lage, worein sie der starke Eindruck der Annäherung an den Körper von verschiedenen Geschlechtsanlagen gesetzt hat. Der Liebende fühlt seinen Körper beynahe beständig in diesem Zustande. Die Kräfte der Seele, wenn sie überspannt werden, bleiben gleichfalls in einer ähnlichen Stimmung. Dieser zart gespannte Zustand des [268] Körpers und der Seele, was ist er aber anders, als die Folge der Mischung weiblicher und männlicher Anlagen? Indem wir ihn fühlen, was ist natürlicher, als uns zu tauschen, daß wir die Person von verschiedenem Geschlechte in uns aufgenommen haben? Die schwärmerische Aneignung des Geistes tritt nun hinzu: die Eitelkeit, der Trieb nach ausschließendem Besitze, erwachen. – Die Täuschung, wir sind eins, wird durch so manches sinnliche und moralische Symbol bey der Körperverbindung, bey dem Zusammentreffen in einem Gefühle, unterstützt; Hindernisse, welche der Geliebte selbst, oder welche die äußern Umstände in den Weg legen, erschüttern unser Herz so gewaltig. – In der That! Es nimmt mich minder Wunder, daß wir zuweilen die Illusion einer gänzlichen Umschaffung unserer Person in eine andere erhalten, als daß wir nicht an eine völlige Verwandlung glauben und gänzlich wahnsinnig werden.

Zum Glück für unsern Verstand, zum Unglück vielleicht für unser Herz, ist der geliebte Gegenstand eine Person, wie wir, aus Körper und Seele, und unter Verhältnissen bestehend, welche die Illusion der völligen Vereinigung beständig stören. Wir mögen noch so gern uns in diese Täuschung versetzen wollen; die Symbole mögen noch so sinnlich seyn; – kein Liebender, wenn er nicht völlig wahnsinnig geworden ist, wird jemahls glauben, daß sein Körper der Körper seiner Geliebten, seine Seele, seine Verhältnisse völlig die ihrigen sind. –

Die Vorstellung der Selbstverwandlung kann folglich nie zur figierten Idee bey uns werden; aber sie bleibt der geheime Zweck unsers Strebens! Ja, deiner kurzen Dauer und deiner Unvollständigkeit ungeachtet bleibst du [269] uns doch ewig theuer, süßestes, höchstes unter allen Wonnegefühlen, Gefühl der Vereinigung der Wesen! Vorgeschmack jenes seligen Moments, wo die Seele sich wieder in ihren Urquell ergießen wird. Wir streben dir unaufhörlich nach, und dieß Streben wird zum fixen Zustande in uns! Unsere begehrenden Kräfte behalten fortdauernd die Richtung nach diesem Ziele. Indem wir das Bild von unserm Selbst aufnehmen, so erhalten wir es immer mit der Modification eines nach Verwandlung strebenden Selbstes.

Daher nun auch unsere Sehnsucht nach steter Gegenwart und unbestimmter Einwirkung auf den geliebten Gegenstand, daher die ängstlichen Bekümmernisse, und die aufopfernde Sorgfalt für sein Daseyn und sein Wohl. Das Bestreben, unsre Person in die seinige zu übertragen, wäre auf immer vereitelt, wenn er verginge: unser Wohl würde unmittelbar gekränkt, wenn das Wesen litte, an das wir unser Selbst abzugeben wünschen.

Leidenschaft, bey der der Trieb nach Selbstverwandlung figiert wird, ist immer liebend. Aber Leidenschaft die auf Begeisterung, auf Schwärmerey, auf Verblendung der Phantasie beruhet, oder bey der die Lüsternheit der Seele wirksam ist, ist es nicht immer. In diesem Zustande trennen wir oft das Bild von unserm Selbst, und beziehen jenes ganz eigennützig auf einen unserer herrschenden Triebe. Doch, darüber mehr in der Folge!

Die Leidenschaft zum andern Geschlecht ist, aus den bereits angeführten Gründen, am mehrsten geschickt, die Figierung des Selbstverwandlungstriebes zu befördern: sie strebt am leichtesten nach Vereinigung der Wesen; [270] sie ist daher auch am gewöhnlichsten liebend. Oft aber beruht sie auch auf einer andern Art der vereinten Wirksamkeit der Phantasie und des Versetzungsvermögens, und dann hat sie nicht eben den Anspruch auf den Nahmen der Liebe.


Zweyter Excurs.
Beantwortung der Frage: ob es in unserer Gewalt stehe, uns zu verlieben? – ob die Leidenschaft plötzlich entstehe? – wie und wann sie endige?

Vielleicht läßt sich nun die Frage beantworten: ob es in unserer Gewalt stehe, die Leidenschaft der Liebe bey uns selbst zu erwecken? oder uns zu verlieben?

Dreist kann man hierauf antworten: nein! Aber wenn man die Frage so aufstellt: können wir die Disposition, die wir in uns zur Leidenschaft verspüren, befördern? so hat die Frage keinen Zweifel, und sie mag dreist mit ja beantwortet werden. Wer ein leidenschaftliches Herz hat, und auf einen Gegenstand trifft, von dem er ahndet, daß er ihm unter günstigen Umständen eine Leidenschaft einflößen könne, mag allerdings dazu beytragen, diese Umstände herbey zu führen. Aber gegen einen völlig indifferenten oder gar widerlichen Gegenstand Leidenschaft zu hegen, und noch dazu liebende Leidenschaft, – das ist eben so unmöglich, als unserm Nervensysteme, unserer Phantasie und unserm Herzen unbedingte Gesetze vorzuschreiben, oder unserer Sinnlichkeit Wollust und Wonne zu gebieten.

[271] Möglich ist es, daß wir angezogen durch Eitelkeit, durch Habsucht und durch eine Menge von eigennützigen Trieben, die Person vom andern Geschlechte als ein Mittel ansehen, jene Triebe zu befriedigen, und daß wir bey dem Streben nach ihrer selbstischen Befriedigung unvermerkt in liebende Leidenschaft gerathen. Aber dann haben wir nicht die Person, sondern uns selbst leidenschaftlich lieb; und verwechseln wir am Ende beydes mit einander, so ist die Leidenschaft der Liebe nicht Folge unserer Absicht.

Kann die Leidenschaft der Liebe plötzlich entstehen? Dieß leidet bey mir keinen Zweifel. Unsere Kräfte können durch einen Eindruck so stark afficiert werden, daß sie sogleich überspannt werden, der Verwandlungstrieb sogleich erwacht, und das Streben nach dem täuschenden Zustande der völligen Vereinigung der Wesen sogleich figiert wird. Nur darf man keine unerklärbare Ursache dazu aufsuchen. Bey Männern von gesetzten Jahren und gesunder Beschaffenheit des Körpers und der Seele wird dieß nicht leicht der Fall seyn. Aber bey jungen Leuten, welche viel Anlage zur Lüsternheit des Körpers und der Seele haben, sehr eingezogen leben, voll von romanhaften Ideen sind, läßt sich der Fall sehr wohl denken, daß sie unter Umständen, welche stark auf beyde Anlagen ihres Wesens wirken, so gewaltsam angegriffen werden, daß ihre körperlichen und Seelenkräfte sogleich überspannt werden. Aber auch ältere Menschen können durch zufällige physische und moralische Ursachen in eine Disposition kommen, worin sie der plötzlichen Ueberspannung sehr ausgesetzt sind.

Gewöhnlich entsteht aber die Leidenschaft nach und nach, und zwar durch abwechselndes Hoffen und Fürchten, [272] daß die Vereinigung gelinge oder nicht gelinge. Hoffnung und Furcht sind unumgängliche Ingredienzen jeder Leidenschaft, und am mehresten der liebenden. Wo der Mensch nichts mehr hofft oder fürchtet, da hat entweder die Leidenschaft nachgelassen, oder der Mensch ist wahnsinnig geworden.

Die Leidenschaft der Liebe endigt, so bald das Gefühl der gelungenen Vereinigung der Wesen entsteht. Dieß Gefühl kann nun zwar nie völlig vorhanden seyn, so lange der Mensch seinen Verstand behält. Denn wenn er auch noch so genau mit einer andern Person zusammenhängt; so kann er sich doch weiter nichts sagen als dieß; es sind mir viele Symbole der Selbstverwandlung zu Theil geworden; ich hänge in vielen Stücken sinnlich und moralisch mit einem andern Wesen zusammen. Aber zu dem ununterbrochenen Bewußtseyn der gelungenen Wesenvereinigung kann er ohne Verrückung nie kommen. Inzwischen wenn er nur sich dem eben beschriebenen Gefühle nähert, wenn er nur ganz sicher ist, wieder geliebt zu werden, und täglich und stündlich jedes Symbol der Wesenvereinigung genießen kann, so hört die Leidenschaft auf. Hindernisse, Trennung, Entbehrung gewisser Vereinigungsarten werden nothwendig erfordert, wenn die Leidenschaft der Liebe nicht in Zärtlichkeit ausarten soll, die nur mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft ist.

So endigt die Leidenschaft durch eine Begünstigung unsers Bedürfnisses, die sich der Ausfüllung nähert. Sie endigt aber auch durch Verzweiflung, wenn Unmuth über lange Versagung, oder Betrug das Bedürfniß in unausstehliche Qual auflöst, und wir dadurch zu dem [273] Gefühle unserer Selbstheit zurückkehren. Endlich verliert sich die Leidenschaft allmählig unter Zerstreuungen und in der Entfernung, wenn das Bild der geliebten Person durch Mangel an sinnlicher Unterstützung, oder durch den Wechsel mit andern sinnlichen Bildern geschwächt wird. Es ist nicht zu läugnen, daß wir viel über uns vermögen, diese Mittel zum Triumph über die Leidenschaft mit Vortheil anzuwenden.


  1. Ἔρως, amor bey den Alten.
  2. Sehr treffend drückt der Lateiner den Zustand eines Verliebten durch amore deperditus aus.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse (1761) verläßt der Hauslehrer Saint-Preux seine Geliebte Julie d’Étanges, um ihr den Schmerz einer unstandesgemäßen Beziehung zu ersparen.
  2. Vorlage: anderen