Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil/Achtes Buch

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[87]
Achtes Buch.
Critik der Seelenliebe und ihres Anspruchs auf Adel und Schönheit.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Wer kennt sie nicht, die beyden Sekten, unter den Anbetern der Göttin, der dieß Buch gewidmet ist! Die eine nennt edle und schöne Liebe Verfeinerung und Erhöhung des körperlichen Genusses durch seine Verbindung mit Freuden, an denen die Seele Antheil nehmen kann. Die andere, rein geistiges Vergnügen ohne Mitwirkung körperlicher Triebe. Beyde geben den Verhältnissen, die auf diesen Ideen beruhen, die Nahmen der Seelenliebe.

„Wenn wir, – sagen die ersten, – der Befriedigung des unnennbaren Triebes oft willkührlich Schwierigkeiten entgegen setzen; – wenn wir gern Vorurtheile von Schamhaftigkeit, Ehre, Pflicht überwinden mögen, um unsern Sieg für die Eitelkeit kostbarer zu machen; – wenn wir Freuden des geselligen Umgangs körperlichen Freuden anreihen; – Ach! so ist das alles [88] etwas Fremdes, mühsam Herbeygeholtes, um das höchste aber schnell verfliegende sinnliche Vergnügen dauerhafter zu machen. In dieser Absicht allein spannen wir unsere Einbildungskraft, unsern Witz, unsere Empfindung! Seht! wo ist Liebe, als wo Hindernisse jenem letzten Triebe der Körper entgegen stehen! Mit dem Genuß wird dieser Trieb gesättigt, und sogleich verschwindet die Liebe! Was übrig bleibt, ist Dankbarkeit, Gewohnheit, Mitleiden; kurz, ein Band, das weit unter derjenigen Freundschaft steht, welche Personen von gleichem Geschlechte mit einander vereinigt! O ihr, die ihr die Liebe in ihrer höchsten Feinheit, und am schmackhaftesten zu kosten strebt, sucht den kritischen Moment so lang’ als möglich zu entfernen, und wo möglich des unnennbaren Genusses euch gänzlich zu enthalten! Dann wird eure Seele jenen reitzenden Zustand der Lüsternheit ihres Körpers und ihrer eigenen süßen Sehnsucht lange empfinden, der so geschickt ist alle übrigen Freuden der Geselligkeit und der Sinnlichkeit überhaupt zu würzen. Dieser Zustand allein heißt Seelenliebe!“

Bey diesen Worten sehe ich die Gegner vor Scham erröthen, und vor Unwillen lange keine Worte finden. „Wie, rufen sie endlich, ein Band, das auf Beschauung wechselseitiger Vollkommenheit gegründet, uns mit dem Geliebten, wie mit einem höhern Wesen vereinigt; – keiner körperlichen Annäherung zu seinem Ursprung und Gedeihen bedarf; – im Bewußtseyn gegenseitiger Würde lebt; – im Ruf wechselseitiger Thaten fortdauert; – im Reiche der Ideen seinen vollständigsten Genuß und seine schönste Nahrung findet; – ein solches Band sollte nichts als ein verfeinerter körperlicher Appetit, ein bloßes Mittel seyn, alles gesellige und sinnliche [89] Vergnügen leckerhafter zu machen? Nimmermehr! Es ist der höchste Anreitz zur Tugend, die höchste Belohnung für die Aufopferungen, welche diese fordert! Der unnennbare Trieb gehört nicht zur Liebe, eben weil seine Befriedigung diese Liebe zerstört. Er ist zufällige Schwäche, Aufwallung körperlicher Selbstheit, die uns bey sinkender Liebe erst überrascht. Der Liebende hütet sich vor ihr, weil er den Gegenstand seiner Liebe, und diese selbst nicht erniedrigen will, und so lange er wirklich liebt, wird er das Andringen so grober Begierden nicht bemerken. Seelenliebe ist daher das Streben schöner Seelen nach Vereinigung zu höherer Vollkommenheit, ohne alle Mitwirkung körperlicher Triebe. Und wenn der Körper der geliebten Seele auf uns wirkt, so empfinden wir ihn nur mittelst der Seele, welche in der Schönheit der Gestalt das Symbol der Vollkommenheit des Geistes, der ihn beseelt, bey völliger Ruhe der Begierden bewundert! –“


Jede dieser Sekten hat ihre Anhänger in allen Perioden der Geschichte kultivierter Völker gehabt, und hat sie auch noch jetzt. Jede dieser Sekten hat gleichfalls ihre Convertiten. Zwar ist die Zahl derjenigen, deren geistige Ideen über die Seelenliebe gleichsam verkörpert wurden, viel größer als derjenigen, deren materielle Ideen gleichsam verklärt sind; inzwischen giebt es auch Beyspiele der letzten Art. Hindernisse, welche sich der Befriedigung einer Anfangs sinnlichen Liebe widersetzen, zwingen oft unglückliche Liebhaber, in einem schwärmerischen Ideengenusse Trost für Versagung physischer Vereinigung zu suchen, und, einmahl gewöhnt an diese [90] Ueberspannung ihrer Phantasie, finden sie nicht selten die gesuchte Schadloshaltung.

Beyde Theile fallen aber in Extreme, welche von dem Wesen der Liebe gleich weit entfernt sind. Die egoistische Erhöhung körperlicher Freuden durch geistige Reitze kann unmöglich für Liebe gehalten werden; aber die gänzliche Entkörperung und Vergötterung der Seele beruht gleichfalls auf Selbstheit, und ist überdieß eine Chimäre, die den Zwecken der Natur, und dem Wesen der Liebe eben so zuwider ist, als sie der Unschuld und der Tugend gefährlich werden kann.

Da beyde Verirrungen einen so wichtigen Einfluß auf die Begriffe der veredelten und verschönerten Liebe in verschiedenen Zeitaltern gehabt haben; da unstreitig die Wonne, welche die Seele aus der Geschlechtssympathie zieht, die edlere, ja die einzige ist, die auf den Nahmen Liebe Anspruch machen kann; da aber körperliche Freuden ebenwohl der Seele den Genuß der Liebe zuführen mögen; und da überhaupt die Grundsätze über die Mitwirkung der körperlichen Triebe bey mehreren geistigen Empfindungen eine nähere Bestimmung zu verdienen scheinen; so habe ich geglaubt, zur völligen Erörterung der Fragen, welche mit dem Wesen der Geschlechtsliebe in Beziehung stehen, und zur Vorbereitung auf den ferneren Theil meines Werks, welcher der Veredlung und Verschönerung der Liebe gewidmet ist, den Zusammenhang des Körpers und der Seele in unsern liebenden Verhältnissen zu Personen von verschiedenem Geschlechte einer weitern Prüfung unterziehen zu müssen.

[91]
Zweytes Kapitel.
Nähere Bestimmung des Antheils, den der Körper an den einzelnen liebenden Affekten nimmt, die wir für Personen von verschiedenem Geschlechte empfinden.

Nichts ist unbestimmter, nichts unzuverlässiger, als das Urtheil über den Antheil, den unser Körper, und besonders dessen Geschlechtssympathie an den einzelnen liebenden Aufwallungen nimmt, welche ein Mensch von verschiedenem Geschlechte in uns erweckt.

Liebe, jenes wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, daß ein Anderer sich glücklich fühle, – muß allemahl ein Akt der Seele seyn; der Körper ist dieser Vorstellung und der davon abhängenden Empfindung nicht fähig. Wenn wir demungeachtet dem Körper eine Thätigkeit bey der Liebe zuschreiben, so muß diese darin bestehen: entweder, daß der Körper derjenigen Person, welche uns Liebe einflößt, der Grund, die Veranlassung zu diesem Affekt sey; oder, daß die Bewegung unsers eigenen Körpers dem Affekte eine besondere Modification von Lebhaftigkeit, und einen besondern Charakter gebe; oder endlich, daß wir unsern Körper als Agenten brauchen, dem Andern wohlzuthun.

Zugleich werden wir doch nur da eine Mitwirkung des Körpers annehmen können, wo der unsrige während der liebenden Aufwallung entweder unmittelbar von dem Körper außer uns, oder mittelst eines Bildes der Phantasie, welches uns das Körperliche als gegenwärtig darstellt, in Reitzung versetzt wird.

Es bedarf kaum eines Beweises, daß es liebende Affekte giebt, wobey der Körper, nach jenen festgesetzten [92] Begriffen gar nicht einwirkt: wo es lächerlich seyn würde, eine solche Mitwirkung vorauszusetzen. In allen Fällen, wo die Person, an deren Glück wir Antheil nehmen, von uns entfernt ist, und das Bild der glücklichen Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach unter keinen körperlichen Formen in unserer Seele aufsteigt, da können wir dreist die liebende Wonne bloß auf Rechnung der Seele setzen.

Sobald aber der Mensch von verschiedenem Geschlechte, für den wir uns interessieren, gegenwärtig ist, es sey körperlich, oder mittelst eines Bildes der Phantasie, das uns seine Gestalt leibhaft darstellt, da wird die Entscheidung schon zweifelhafter. Daß der Körper des andern auf unsre körperliche Geschlechtssympathie einwürke, läßt sich zwar nicht immer annehmen: eben so wenig, als daß die körperlichen Empfindungen unbedingt die liebenden Affekte in uns erwecken sollten. Allein daß der Ausdruck der Zufriedenheit, den wir in dem Körper des Glücklichen bemerken, je nachdem es ein weiblicher oder männlicher Körper ist, unsern liebenden Affekt nicht besonders modificieren sollte, daran läßt sich kaum zweifeln.

Es ist gewiß, wir interessieren uns ganz anders für das Glück einer Person von verschiedenem Geschlechte, als für das einer Person des unsrigen, selbst bey der vorübergehenden Bekanntschaft; und dieß ist nicht allein auf Rechnung des Geistigen zu setzen. Die zierlichen Formen des Weibes, sein süßes Mienenspiel, seine sanft fließenden Geberden und Töne flößen uns zärtere Empfindungen ein, als die bloße Vorstellung seiner beglückten sanften Seele sie zu erwecken im Stande ist. Die Festigkeit und Stärke, die wir in den Formen, Geberden, [93] Gesichtszügen des Mannes beym Ausbruch seiner Freude wahrnehmen, giebt unserm liebenden Affekte einen höheren Charakter von Spannung, als die bloße Vorstellung seiner beglückten stärkern Seele.

Unsere liebenden Affekte werden daher verschieden modificiert zur Zartheit oder zur Stärke, je nachdem ein weiblich zarter Körper, oder ein männlich starker auf unsere Organisation während der Dauer jenes Affekts einwirkt. Wir dürfen diesen Einfluß der Körper auf einander nur da abläugnen, wo wir in den Formen der Person, für deren Glück wir uns interessieren, nichts antreffen, was das Geschlecht charakterisierte. So ist es möglich, daß wir an dem Gelingen der mütterlichen Hoffnungen einer Bäuerin, deren handfester Bau und abgehärtete Constitution auf die Organisation unsers Körpers keinen zarten Eindruck macht, dennoch einen zarten Antheil nehmen, weil hier das Bild des Geistigen an sich uns zur Zartheit einladen kann. So wird sich auch das Weib durch die bloße Vorstellung der geistigen Stärke, welche einen Mann beglückt, bey seinen liebenden Affekten für ihn stark gehoben fühlen, wenn gleich der Anblick seines schwächlichen und zarten Körpers die Stärke seiner Empfindungen nicht unterstützt. Allein da, wo der Körper der Person, welche uns einen zarten Affekt einflößt, selbst zarte Beschaffenheiten an sich trägt; oder da, wo der Körper der Person, die uns zu starken Affekten hebt, starke Beschaffenheiten an sich trägt: da sind wir nicht berechtigt, den Einfluß des Körpers außer uns auf den unsrigen abzuläugnen.

Sehr oft ist der Körper des Menschen, für den wir uns interessieren, die nächste Veranlassung zu liebenden Affekten. Ich habe es schon gesagt, daß die Formen [94] der Freude in andern uns oft unmittelbar zu einem ähnlichen Mienen- und Geberdenspiele, und vermöge desselben zu ähnlichen innern Empfindungen einladen. Diese Sympathie ist nicht Liebe, aber sie bereitet zunächst dazu vor. Das Gefühl der körperlichen Schönheit ist gleichfalls nicht Liebe, aber es befördert sie, und wir sind immer mehr geneigt, den schönen Menschen glücklich wissen zu wollen, als den häßlichen.

Hieraus erhellet, wie wichtig der Körper schon bey den einzelnen liebenden Affekten zu Personen von verschiedenem Geschlechte sey. Aber darf man daraus folgern, daß gerade unsere körperliche Geschlechtssympathie dabey aufgereitzet werde? Im geringsten nicht! Dieß ist gewiß nur der seltnere Fall.

Der zarte Charakter, den ein liebender Affekt gegen eine Person von zarten Formen und Bewegungen annimmt, gehört an sich nicht zur Geschlechtssympathie; eben so wenig, wie der starke Charakter, den die stärkeren Formen und Bewegungen einer andern dem liebenden Affekte geben. Die Ueppigkeit, die Lüsternheit des Körpers entstehen erst da, wo meine Zartheit und meine Stärke in eine gleichzeitige Wirksamkeit gegen Formen kommen, die sich mir sanft entgegen heben. Nun kann aber ein Körper sehr oft zart anziehend, oder stark hebend gebauet seyn, ohne gerade das Gefühl der Ueppigkeit zu erwecken. Man denke sich als Zuschauer der Spiele kleiner Kinder. Wie zart rührt uns ihr Frohsinn, und wie sehr wird diese zarte Rührung durch die Zartheit ihrer Formen und Bewegungen unterstützt! Dagegen denke man sich als Zuschauer der Spiele plumper Lastträger, die sich an Proben ihrer körperlichen Stärke erfreuen. Der Antheil, den wir an ihrer Freude nehmen, gewinnt [95] den Charakter der Stärke durch den Anblick ihrer starken Formen. Aber ist in beyden Fällen unsere körperliche Geschlechtssympathie, unsere Ueppigkeit, unsere Lüsternheit aufgereitzt? Keinesweges!

Ich glaube nach meinen Erfahrungen nur da eine Mitwirkung der körperlichen Geschlechtssympathie annehmen zu können, wo ich eine üppige oder lüsterne Stimmung in dem ganzen Wesen desjenigen, der den liebenden Affekt empfindet, antreffe, besonders wenn diese mit der heftigen Begierde verbunden ist, unsere Liebe durch körperliche Annäherung an den Tag zu legen. Es kann diese Geschlechtssympathie sehr wohl mitwirken, ohne daß wir uns ihrer Reitzung bewußt sind. Grobe Symptome, besonders des gereitzten unnennbaren Triebes, sind gar nicht erforderlich, um ihre Wirksamkeit anzunehmen. Mehr, oft wird die körperliche Geschlechtssympathie bloß durch jene Ueppigkeit oder Lüsternheit der Seele erweckt, welche zu den Begleiterinnen einer stark gereitzten Eitelkeit, oder einer bis zur Besessenheit fortschreitenden Begeisterung gehören.

In den südlichen Theilen von Europa, wo die Imagination feuriger und die Nerven reitzbarer sind, als in unsern nördlichen Gegenden, können Personen, deren Bau den Sinnen widerstehet, bloß durch Talente, welche die Seele in Ueppigkeit und Begeisterung versetzen, verbunden mit der Auszeichnung, deren sie selbst beym Publiko genießen, und worin sie die Person, welche von ihnen wieder ausgezeichnet wird, mit aufnehmen, die körperliche Geschlechtssympathie bis zu den gröbsten Symptomen aufreitzen. Virtuosen, von demjenigen beraubt, was den unnennbaren Trieb befriedigt, können die schönsten Weiber in Lüsternheit versetzen. Virtuosinnen, [96] ohne alle körperliche Reitze, können ähnliche körperliche Begierden bey dem Manne erwecken. Die Stimmung der Seele theilt sich dem Körper mit, und der Aufruhr, den jene empfindet, steckt diesen mit einem ähnlichen Aufruhre an. Die körperliche Geschlechtssympathie wird freylich nur mittelbar erweckt; aber sie wirkt unstreitig mit.

Wenn nun aber gar die Personen, welche durch ihre geistigen Eigenschaften dem liebenden Affekt, den wir für sie empfinden, einen körperlich üppigen Charakter mittelbar beylegen, auch körperliche Formen an sich tragen, welche schon an sich geschickt sind, die Ueppigkeit des Körpers unmittelbar zu erwecken; dann dürfen wir um so mehr behaupten, daß die Geschlechtssympathie des Körpers aufgereitzt sey. Und sollte auch derjenige, der ihr huldigt, es gar nicht wissen, keine grobe Symptome des unnennbaren Triebes an sich bemerken; so sind darum die Ueppigkeit und die Lüsternheit des Körpers nicht weniger mit im Spiele.

Wenn ihr also in einem Schauspiele, oder an jedem Orte, wo der Mann Gelegenheit findet, seine Talente des Geistes und des Körpers zu zeigen, in der Zuschauerin oder Zuhörerin, die er begeistert, den feurigen Glanz im Auge, die klopfende Brust, das abwechselnd glühende und erblassende Antlitz, und besonders die gepreßte Sehnsucht bemerkt, sich dem Virtuosen körperlich zu nähern; so rechnet sicher darauf, die körperliche Geschlechtssympathie ist bey der Bewunderung seiner Talente mit im Spiele. Und eben dieß könnt ihr dreist auch von dem Manne sagen, der ähnliche Symptome gegen die Virtuosin empfindet. Es kommt dabey gar nicht auf die Gestalt, auf die Ueppigkeit des Körperbaues des [97] bewunderten Künstlers an; sein Geist wirkt mit hebender Sanftheit oder anschmiegender Stärke auf den unsrigen; dieser wird üppig und lüstern, und unser Körper wird es mit!

Folgendes ist das Resultat dieser Untersuchung. Ueber die Mitwirkung unsers Körpers bey den einzelnen liebenden Aufwallungen zu Personen von verschiedenem Geschlechte läßt sich nichts im Allgemeinen festsetzen. Alles kommt auf besondere Lagen und Verhältnisse an.

Bey körperlicher Gegenwart der Personen, die uns die liebende Aufwallung einflößen, wird diese durch ihren zarten oder starken Körper, der den unsrigen zärtelt oder spannt, modificiert und unterstützt. Ein lebhaftes Bild ihrer Formen kann eben diesen Einfluß haben. Der mimische Ausdruck, und die physische Schönheit können unmittelbar auf den Körper wirken, und die liebende Aufwallung befördern. Inzwischen ist aus dieser Mitwirkung des Körpers keinesweges auf eine Reitzung unserer körperlichen Geschlechtssympathie unbedingt zu schließen. Diese darf nur da angenommen werden, wo sich die liebende Aufwallung unter Begleitung üppiger und lüsterner Symptome am Körper, besonders gegen Personen äußert, deren Bau entweder an sich üppig und einladend zur Lüsternheit ist, oder deren Talente die Seele desjenigen, dem sie die liebende Aufwallung einflößen, mit Ueppigkeit und Besessenheit anfüllen. Der Körper wird dann durch den Aufruhr der Seele leicht in einen ähnlichen versetzt.

[98]
Drittes Kapitel.
Nähere Bestimmung des Antheils, den die Geschlechtssympathie der Seele an den einzelnen liebenden Affekten nimmt, die wir für Personen von verschiedenem Geschlechte empfinden.

So viel über den Antheil des Körpers überhaupt, und besonders seiner Geschlechtssympathie, an unsern liebenden Affekten und andern Wonnegefühlen, welche eine Person von verschiedenem Geschlechte in uns erwecken kann. Jetzt noch über den Antheil, den die Geschlechtssympathie der Seele an unsern liebenden Affekten gegen Personen von verschiedenem Geschlechte nimmt.

Die Geschlechtssympathie der Seele ist eine von den vielen Anlagen zu dem allgemeinen geselligen Bande, welches die Menschen mit einander vereinigt. Aber sie ist noch weit von dem Herzen im eigentlichsten Verstande, und von dessen Wirksamkeit, der Liebe, verschieden. Dieß ist schon mehrmahls gesagt worden.

Es ist nichts Seltenes, daß wir an gewissen Vorzügen oder Schicksalen einer Person von verschiedenem Geschlechte einen liebenden Antheil nehmen, ohne die geringste Ueppigkeit der Seele dabey zu empfinden. Gesetzt, man erzählt mir, daß eine Wittwe meiner Bekanntschaft sich bey einem weitläuftigen Landhaushalte mit einer Klugheit und Geschicklichkeit benommen habe, worin sie von keinem Manne hätte übertroffen werden können, und ich freue mich der Ueberzeugung, daß sie sich selbst dabey äußerst schätzungswerth fühlen müsse; so ist mein Herz, aber gewiß nicht die Geschlechtssympathie meiner Seele, dabey interessiert: denn in der [99] ganzen Vorstellung liegt nichts Ueppiges, nichts, was sich der geschmeidigen Stärke meiner Seele sanft entgegen hebt. Und wenn ich nun auch höre, daß ihr eine reiche Erbschaft zugefallen sey, und mich darüber freue, so liegt darin wieder nichts Ueppiges.

Wenn man mir aber erzählt, daß diese Wittwe dem glänzenden Aufwande, den sie während der Lebenszeit ihres Mannes gemacht hat, freywillig entsagt, um ihren Kindern den Rest des wider ihr Vermuthen sehr verminderten Vermögens zu erhalten, und ihnen eine gute Erziehung zu geben, sich aufs sparsamste behelfe, die beschwerlichsten und langweiligsten Hausarbeiten gern übernehme; kurz, sich völlig für ihre Familie aufopfere, aber dabey in deren Schooße äußerst glücklich sey; so mischt sich in die liebende Aufwallung, welche diese Nachricht bey mir erweckt, wahrscheinlich schon eine Regung der Geschlechtssympathie der Seele. Denn diese Vorstellung geselliger Aufopferung und des häuslichen Glücks dieses Frauenzimmers hebt sich sanft meiner Seele entgegen, und weckt darin Bilder von traulichem Zusammenleben, engen Familienbanden, u. s. w. auf, welche die Seele zugleich spannen und zärteln.

Sagt man mir nun gar, daß diese Wittwe, nachdem sie ihren Kindern alles abgetragen hatte, was sie ihnen schuldig war, ihre Hand dem lange Verlobten gegeben habe, und nun die Früchte ihrer Standhaftigkeit und ihres Edelsinns in vollester Maße genieße; o wie üppig fühlt sich dann mein Herz bey dem liebenden Antheile, den ich an ihrem Schicksale nehme!

Eben so wird das zärtere Geschlecht oft zu liebenden Affekten durch Vorstellungen von den unsinnlichen Vorzügen, und glücklichen Verhältnissen des unsrigen aufgefordert [100] werden, ohne daß ihre Geschlechtssympathie dabey mit ins Spiel komme. Wenn aber die Vorstellungen von der Art sind, daß sie den Mann in dem Charakter geschmeidiger Stärke liebenswürdig und glücklich in seinen Verhältnissen als Liebhaber und Hausvater darstellen; dann wirken diese üppig auf ihre Seele, und die Geschlechtssympathie erwacht.

Hieraus folgt, daß nicht jede liebende Aufwallung gegen eine Person von verschiedenem Geschlechte zur Geschlechtsliebe gehöre. Denn da diese sich von der Liebe überhaupt durch die Mitwirkung der Geschlechtssympathie, sie gehöre dem Körper oder der Seele, unterscheidet; so ist es ganz klar, daß der liebende Affekt, den eine Person von verschiedenem Geschlechte einflößt, wobey aber jene nicht mitwirkt, keine Geschlechtsliebe seyn könne.


Viertes Kapitel.
Die zärtliche Anhänglichkeit und die liebende Leidenschaft gegen Personen von verschiedenem Geschlechte, lassen sich ohne Mitwirkung der Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, nicht denken.

Die einzelne liebende Aufwallung gegen eine Person von verschiedenem Geschlechte kann folglich zuweilen frey von aller Mitwirkung der Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele angenommen werden: ist folglich nicht immer Geschlechtsliebe. Aber die zärtliche Anhänglichkeit, oder die liebende Leidenschaft gegen diese Personen ist allemahl Geschlechtsliebe; denn allgemein und dreist darf man behaupten, daß da, wo unsere liebende Zuneigung zu einer bestimmten Person von verschiedenen Geschlechtsanlagen zur angewöhnten Stimmung [101] wird, sich auch die Geschlechtssympathie melde. Freylich in sehr verschiedenen Graden! Bald als bloße Ueppigkeit der Seele und des Körpers, bald als unnennbarer Trieb und figiertes Streben nach Selbstverwandlung.

Und hiervon nehme ich keine Art von zärtlicher oder leidenschaftlicher Verbindung zwischen Personen aus, deren körperliche Organisationen, oder deren Seelenanlagen in dem Wohlverhältnisse hebender Zartheit zur geschmeidigen Stärke stehen, wenn sie anders oft der körperlichen Gegenwart, oder des häufigen Austausches ihrer Gefühle genießen, so daß das Bild ihrer Geschlechtsverschiedenen Wesen, so wohl dem Körper als der Seele nach, in ihrer Phantasie lebhaft gegenwärtig wird. Ich sage: ich nehme keine zärtliche Anhänglichkeit unter den angegebenen Bedingungen von dieser Mitwirkung der Geschlechtssympathie aus. Nicht das zärtliche Verhältniß zwischen Bruder und Schwester, zwischen Vater und Tochter, zwischen Mutter und Sohn! Sind auch ihre Körper dem Anschein nach unfähig, Geschlechtsliebe zu erwecken; die Seelen wecken diese in einander auf, und theilen sie einander mit. Ja, wenn es zwey Männer sind, die sich zärtlich oder leidenschaftlich lieben; oder zwey Weiber, und ihre Körper tragen auffallend verschiedene Merkmahle hebender Zartheit auf der einen, geschmeidiger Stärke auf der andern Seite an sich; oder auch ihre Seelen tragen nur diese verschiedenen Charaktere an sich, und sie gehen viel und traulich mit einander um; – ich behaupte dreist: Körper und Seele huldigen mehr oder minder der Geschlechtssympathie!

Wie ist dieß anders möglich? Die zärtliche Anhänglichkeit und die Leidenschaft bestehen beyde aus einem Gewebe unzähliger Triebe, unter denen die liebenden [102] nur die herrschenden sind! Schon in die einzelne liebende Aufwallung mischt sich so leicht die Geschlechtssympathie; schon in die Gefühle des Schönen und Vollkommnen mischt sie sich so leicht ein; ihr Wesen besteht aus einer gezärtelten Spannung, die allemahl erfolgt, wo hebende Zartheit mit geschmeidiger Stärke zusammentrifft; und diese Personen, die in häuslicher Vertraulichkeit, (an sich schon eine üppige Vorstellung!) zusammen leben; durch Formen, mimischen Ausdruck und Beywerke den Sinnen üppige Eindrücke geben; durch Gedanken, Gefühle, Ausdrücke, Wendungen, Charaktere und Verhältnisse der Seele üppige Vorstellungen zuführen; diese sollten dem allgemeinen Gesetze der Natur nicht huldigen? – Unmöglich!

Ein jeder prüfe sich genau! Er wird an der Wahrheit meiner Behauptungen nicht mehr zweifeln. Der Vater umarme den zärtlich geliebten Sohn, und dann die zärtlich geliebte Tochter; – er wird den Unterschied fühlen! Der Bruder umarme den zärtlich geliebten Bruder, und dann die zärtlich geliebte Schwester, er wird den Unterschied fühlen! An grobe Symptome der Lüsternheit und des unnennbaren Triebes ist freylich nicht zu denken. Und dennoch bedarf es oft der ganzen Macht der Erziehung und der Pflicht, um dem Andringen der Begierden, selbst unter Eltern und Kindern und Geschwistern, Einhalt zu thun.

Wird nun aus der Zärtlichkeit zu einer Person von verschiedenem Geschlechte gar Leidenschaft, so ist es ganz unmöglich, daß die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit in Wirksamkeit komme. Denn da der Charakter dieser Leidenschaft darin besteht, daß unser ganzes aus Körper und Seele bestehendes Wesen nach Vereinigung mit [103] einem andern, eben so geschaffenen Wesen strebt; so muß unser Körper dieses Streben nothwendig theilen. Immerhin mögen wir an ihm den unnennbaren Trieb nach derjenigen engsten Körperverbindung nicht spüren, wovon die Fortpflanzung unsers Geschlechts abhängt; diese Ruhe entscheidet nichts für die Abwesenheit der Ueppigkeit und der Lüsternheit. Ich habe es schon gesagt, daß durch die Stärke dieser untern Grade der körperlichen Geschlechtssympathie die unnennbare Kraft zuweilen in ihrer Wirksamkeit gehemmt werde. Es kann daher allerdings der Fall eintreten, daß Menschen, welche noch so heftig lieben, keine gröberen Begierden an sich spüren. Aber der Aufruhr, in dem sich ihr Körper im Ganzen befindet, zeigt dennoch einen gewissen Charakter von Ueppigkeit und Lüsternheit, der über die Mitwirkung der Geschlechtssympathie keinen Zweifel übrig lassen kann. Diese wird sich sehr bald durch gröbere Symptome äußern, wenn die Personen häufig und unbehutsam ihre Körper an einander nähern.

Selbst Personen, welche den äußern Geschlechtszeichen nach nicht verschieden gebildet zu seyn scheinen, haben die größte Behutsamkeit nöthig, wenn sie bey ihrer Leidenschaft für einander, verbunden mit einem häufigen und häuslichen Umgange, der Gewalt der körperlichen Geschlechtssympathie entgehen wollen.

Ich habe es schon oft gesagt, die Geschlechtssympathie beruht auf dem Wohlverhältnisse hebender Zartheit zur geschmeidigen Stärke, und die Verschiedenheit der Geschlechter hängt nicht von den Merkmahlen ab, wornach wir diese im gemeinen Leben bestimmen. Fühlen wir jenes Wohlverhältniß, so erwacht zuerst die Ueppigkeit, dann die Lüsternheit, endlich folgt wohl gar der [104] unnennbare Trieb nach. Zuweilen kommt unser Körper unmittelbar in diesen Aufruhr, zuweilen mittelst des Aufruhrs, worin sich die Seele auf ähnliche Art befindet. Und diese Wirkung kann der Mann auf den Mann, das Weib auf das Weib machen, wenn anders ihre Körper, oder auch nur ihre Seelen, in jenem Wohlverhältnisse von ihnen gefühlt werden, besonders wenn leidenschaftliches Streben nach Vereinigung, und häufiger Umgang hinzutreten.

Hierüber habe ich unzählige Bemerkungen, in früheren und späteren Jahren, unter heißeren und kälteren Himmelsstrichen, in Ländern von reineren und verderbteren Sitten, gemacht. Allerwärts die nehmliche Erscheinung! Besonders aber stützt sich meine Ueberzeugung auf einen Vorfall, für dessen Wahrheit ich mit der Ueberzeugung eigener Erfahrung bürgen kann.

Zwey Männer, in den Jahren erwachender Kräfte, trafen auf einer der berühmtesten Academien Deutschlands, auf einer Laufbahn der Vollkommenheit zusammen. Beyde waren frey von gröberen Ausschweifungen, und der eine ganz gewiß, der andere höchstwahrscheinlich, frey von Ansteckung nahmenloser Sünden.

Der Körper des einen war von viel zärterer Beschaffenheit als der des Andern. Noch größer aber war die Verschiedenheit ihrer Charaktere. Der eine abgewinnend, ausdauernd, voller Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse die ihn zunächst umringten; begabt mit großer Gewalt, über den Ausbruch seiner Neigungen zu wachen; fähig, den Vortheil des Augenblicks zu nutzen, und nach und nach, aber sicher, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Und dieses Ziel lag nicht fern, es lag im Kreise der Localität seiner Person. Sein Geist war geschmückt mit [105] allen Kenntnissen, welche in der örtlichen Gesellschaft angenehm und unterhaltend machen. Fein im Beobachten des Einzelnen, judiciös in der Wahl des augenblicklich Zweckmäßigen. Der Anhänglichkeit fähig bis zur Verblendung des Partheygeistes, und bis zur anhaltenden Aufopferung der gröbern Selbstheit für die feinere.

Der andere war heischend in seinen Forderungen, rasch in seinen Entschlüssen, unaufhaltsam in seinem Streben, so lange der Enthusiasmus dauerte. Er kannte kein Mittel zwischen Nichts und Allem. Sein Ziel lag immer außer den Grenzen seiner Verhältnisse. Das Ungewöhnliche, das Außerordentliche, diente ihm dabey allein zum Wegweiser, und seine Anlagen erschienen ihm selbst als ausgebildete Kräfte. Unfähig aller klugen Mäßigung, so wie einer wahren Würdigung seiner selbst, stand er zum Gelingen seiner Plane sich immer selbst im Wege. Er hing sich nur an Wenige an; vergaß nie seiner Selbstheit anhaltend, aber auf eine Zeitlang bis zur Aufopferung seiner Existenz.

So standen beyde Männer in ihren frühern Jahren zu einander. Das reifere Alter hat vieles in ihren Charakteren anders modificiert. Genug, so wie sie damahls waren, standen sie unstreitig im Verhältnisse der ausgebildeteren Zartheit zur rohen Stärke zu einander: der eine konnte für ein ungewöhnliches Weib von reiferen Jahren, der andere für einen Jüngling, in moralischer Rücksicht gelten.

Der Jüngling liebte zuerst; das war in der Natur: er betete an, er ward gelitten, geführt, geleitet, und endlich wieder geliebt: auch das war in der Natur. Bald erhielt ihre wechselseitige Zuneigung den Charakter [106] einer häuslichen Zärtlichkeit, bald darauf der Leidenschaft. Sie wohnten bey einander, und selten waren sie getrennt. Aber wenn sie es waren, so erwarteten sie den Augenblick des Wiedersehens mit der heftigsten Unruhe, und mit der lebhaftesten Ungeduld. Ein feines Feuer durchglühte ihre Adern bey jeder zufälligen Berührung; ihr unvermutheter Anblick flößte ihnen unerklärbare Wonne ein. Nächte durchwachten sie zusammen, und wenn der grauende Morgen sie endlich zwang eine Ruhe zu suchen, die der rege Geist dem ermatteten Körper versagte; so dehnte sich ihr Abschied an der Schwelle der Thür noch zu Stundenlangen Unterredungen aus. Wer hätte es vermuthen können, daß andere, als bloß geistige Affekte das Band unter ihnen knüpften! Dachten sie sich doch einander unter dem Bilde edler Geister, die zusammen der Vollkommenheit nachstreben, voll von Begierde nach Weisheit und Tugend! Glückliche Zeit, an welche derjenige, der sie mit empfand, nie ohne Rührung wird denken können! Sie verschwand aber bald, wie ein schöner Traum! Es folgten Eifersucht bey der geringsten Zuvorkommung gegen fremde Jünglinge, Furcht vor Erkaltung, Vorwürfe, Wiederaussöhnung, – und – wer wird es glauben? – bey einer von diesen, welche eine heftigere Umarmung, ein heisserer Druck ans Herz besiegelte, zeigten sich bey beyden so grobe Symptome der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, daß diese unschuldigen, schuldlosen, aber nicht ununterrichteten Jünglinge auf eine schreckliche Art über die Einwirkung unerwarteter Triebe aufgekläret wurden. Sie stürzten auseinander, und der Augenblick, der zwey reine Seelen in aller ihrer Klarheit darstellte, schien ihnen der schwarzeste Fleck ihres Lebens. Er endigte zugleich ihre Leidenschaft [107] für einander, an deren Stelle in der Folge der Zeit Zärtlichkeit, auf Achtung gegründet, getreten ist.


Fünftes Kapitel.
Berichtigung der gewöhnlichen Begriffe über die Seelenliebe.

Nach den bisherigen Bestimmungen muß es mir nicht schwer werden, die gewöhnlichen Begriffe über die Seelenliebe zu berichtigen.

Es ist ausgemacht, daß einzelne liebende Aufwallungen gegen eine Person von verschiedenem Geschlechte ohne alle Mitwirkung des Körpers, ja sogar der Geschlechtssympathie der Seele, Statt finden können. Aber davon spricht der große Haufe nicht, wenn er einem Verhältnisse zwischen beyden Geschlechtern den Nahmen der Seelenliebe beylegt: er spricht von zärtlicher Anhänglichkeit und von Leidenschaft.

Versteht man unter diesem Nahmen jene engeren gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen zwey Personen von verschiedenem Geschlechte, die unter dem Nahmen des Hofmachens, oder auch der liaisons d’ esprit bekannt sind: Verbindungen, die sich auf wechselseitige Eitelkeitsgewährungen, und eine bald tändelnde, kosende, bald geistige Unterhaltung gründen und beschränken; – so mögen immerhin hierbey gröbere Begierden des Körpers schweigen: die feineren werden demungeachtet mitwirken, und nie wird man einem solchen Verhältnisse barer Selbstheit den Nahmen der Liebe beylegen dürfen.

[108] Versteht man darunter jene verfeinerte Sinnlichkeit, die den unnennbaren Moment weit hinaussetzt, um sich länger in der Spannung gereitzter Lüsternheit zu fühlen, und dadurch zugleich alle Freuden zu erhöhen, welche der Umgang mit einer Person von verschiedenem Geschlechte gewähren kann; so ist offenbar diese eigennützige Anschließung an eine Person vom andern Geschlechte, welche nur als ein Mittel zur Verbesserung eines einseitigen Genusses betrachtet wird, so wenig zur Liebe zu rechnen, als rein von körperlichen Begierden.

Versteht man aber darunter jene Besessenheit der Seele, worin der Begeisterte den Stoff zu einem Ideale von Vollkommenheit, Adel und Schönheit von einer Person vom andern Geschlecht abnimmt, und, unbekümmert um ihre Selbständigkeit, und die wahren Verhältnisse, worin er sich zu ihr befindet, – mithin auch unbekümmert um ihren Körper – sich nur mit dem Bilde seiner Phantasie zu vereinigen strebt; so gehört ein solches beschauendes Verhältniß, worin wieder die Person nur als ein Mittel betrachtet wird, einen einseitigen Genuß zu erhöhen, gleichfalls nicht zur Liebe.

Versteht man aber darunter überhaupt ein Verhältniß, wobey die Geschlechtssympathie sich nicht durch grobe Symptome äußert, worin der unnennbare Trieb abgeleitet oder unterdrückt wird; so kann unter gewissen Bedingungen, die ich gleich angeben werde, ein solches Verhältniß Liebe seyn. Aber Seelenliebe, in dem Sinne, daß der Körper gar nicht dabey interessiert wäre, kann ich es nicht nennen. Der Körper spielt allerdings eine wichtige Rolle dabey mit, nur äußert er diese nicht durch bestimmte Begierden nach dem unnennbaren Genuß, nicht durch grobe Symptome des unnennbaren Triebes.

[109] Es giebt zwey Arten dieser Verbindungen unter beyden Geschlechtern ohne Symptome des unnennbaren Triebes. Die erste beruht auf einem unwillkührlichen Schweigen der körperlichen Begierden nach der engsten Körpervereinigung; theils weil der Liebhaber zu unerfahren, theils weil die Seele zu sehr auf einen Genuß anderer Art aufmerksam und gespannt ist. So empfinden Neulinge sehr oft den heimlichen Einfluß des Körpers, ohne den endlichen Zweck dieser Bewegung zu ahnden. Der junge Rousseau fand sich eine Zeitlang in diesem Falle gegen die Frau von Warens, aus Unerfahrenheit. Hingegen empfand wahrscheinlich Winkelmann für seinen zartgebaueten Freund darum keine deutliche Regung des unnennbaren Triebes, weil seine Seele zu sehr mit dem Bilde seiner Schönheit beschäftigt war. In gleichen Lagen befanden sich, wie ich glaube, zuweilen die griechischen Weisen zu ihren schönen Zöglingen: und aus ähnlichen Gründen muß man es erklären, daß die heftigste Liebe fürs andere Geschlecht in der Zeit, worin sie nach dem Besitze des Herzens strebt, oft frey von Anfällen gröberer Begierden bleibt.

Die andere Art dieser Verbindungen ohne Symptome des unnennbaren Triebes zeigt sich da, wo wir die Begierde nach der engsten Körpervereinigung willkührlich zu unterdrücken suchen, weil ihre Befriedigung mit den Verhältnissen worin wir uns zu dem geliebten Gegenstande befinden, und mit seinem Glücke streiten. Wir wissen es: wir möchten den unnennbaren Trieb befriedigen, aber wir dürfen nicht; physische und moralische Hindernisse treten in den Weg: wir bekämpfen ihn also, und es gelingt uns zuweilen, ihn zu unterjochen. So können Liebende sich durch Entfernung von einander [110] seinem Einflusse auf eine Zeitlang entziehen. So kann der Unterschied des Standes, und die davon abhängende Ehrfurcht, ihn zurückscheuchen. So kann die Achtung für uns selbst, für die Unschuld, den guten Ruf der Geliebten, und die Rechte des Eigenthums des Ehegatten, uns gegen den Anfall unerlaubter Begierden schützen. Ernstlicher Wille, Haltsamkeit bey unsern Grundsätzen und Lagen, welche die Behutsamkeit erleichtern, vermögen zuweilen unsere Triebe völlig zum Schweigen zu bringen. Aber freylich wir dürfen nicht behaupten, daß sie nicht laut werden würden, wenn die Verhältnisse es gestatteten.

Unterdessen kündigt sich in beyden Fällen Ueppigkeit und Lüsternheit durch das schmerzhaft wollüstige Sehnen nach dem Anblick des Geliebten, durch die gezärtelte Spannung in seiner Gegenwart, und besonders auch durch die unbestimmte Begierde nach Vereinigung mit allem an, was in der fernsten Beziehung mit dem Körper des Geliebten steht.

In beyden Fällen glaubt nun der große Haufe Seelenliebe zu finden, und verbindet damit den Begriff des Edeln und Schönen. Ich kann aber einer Verbindung, die eine solche Enthaltsamkeit mit sich führt, diesen Nahmen und diesen Begriff keinesweges vor jeder andern einräumen, die wahre und edle Liebe zeigt, wenn gleich die Körper darin nach der engsten Verbindung streben, und diese genießen. Nur in dem einzigen Falle kann ich sie überhaupt für Liebe, und zwar für edle Liebe halten, wenn die Verbündeten sich aus dem Grunde der Befriedigung körperlicher Begierden freywillig enthalten, weil diese mit ihrem Glück und ihrer Zufriedenheit streitet. Aber eine unwillkührliche Enthaltsamkeit, oder [111] auch eine gezwungene, die nicht aus jener Ursach fließt, haben an und für sich weder Anspruch auf den Nahmen wahrer Liebe, noch auf Vollkommenheit, Adel und Schönheit.


Sechstes Kapitel.
Seelenliebe nach des Autors Begriffen.

Für mich ist alle wahre Liebe Seelenliebe! denn nur die Seele faßt die Vorstellung: der Geliebte ist glücklich; und nur die Seele strebt nach der Wonne, welche von dieser Ueberzeugung abhängt. Die Mitwirkung des Körpers, selbst des unnennbaren Triebes, nimmt dieser Seelenliebe nichts; sie giebt ihr vielmehr zu, wenn wir uns des Körpers als eines Agenten, als eines Mittels bedienen, den geliebten Gegenstand glücklicher zu machen. Mag dann immer der unnennbare Trieb Genuß, die engste körperliche Vereinigung, eine der Formen unserer liebenden Gesinnungen seyn, und einen Akt unserer Wohlthätigkeit ausmachen. Faßt die Seele das Glück des Geliebten darin auf; so ist es die Seele, welche durch den Körper genießt.

Aber freylich, es giebt noch einen höheren Grad der Seelenliebe! Dieser gehört nicht mehr zu ihrem Wesen, sondern zu ihrer Veredlung!

Wenn wir dem Geliebten nicht bloß ein Scheingut zuführen, ihn vorübergehend glücklich zu machen streben; nein, wenn wir darnach streben, ihm das höchste Gut, das dauerndste Glück, zu sichern, welches nur das Gefühl des Vollkommnen, Edeln und Schönen, und vor allem Tugend in der vereinigten Person gewähren kann. –

[112] Ja! dann giebt und genießt die Seele im engsten Sinne! Dann sucht das Geistigste in der Seele des Liebhabers (dasjenige was der Seele am engsten angehört) eben diesem Geistigsten in der Seele des Geliebten den höchsten Genuß dadurch zuzuführen, daß ihre Verbindung als ein edles, schönes, und vollkommnes Ganze, würdig ihrer eigenen und fremder Wonne, bey der bloßen Beschauung erscheinet.

Wie dieß geschieht, wie eine solche Seelenliebe mit dem Wesen der Liebe selbst, mit der Natur, mit der Moral, mit unsern bürgerlichen Einrichtungen vereinbarer sey, als die gewöhnlichen Verhältnisse, welche man mit diesem ehrbringenden Nahmen belegt; – das werden die nächsten Bücher dieses Werks zu zeigen suchen.

[113]
Anhang zum achten Buche.

Erster Excurs.
Ueber den Antheil des Körpers und seiner Geschlechtssympathie an den Gefühlen des physisch Schönen, und der Schönheit der Körper von verschiedenem Geschlechte.

Eben so leicht als man die liebende Aufwallung für Personen vom andern Geschlechte mit der Reitzung der Geschlechtssympathie und sogar mit der des Körpers verwechselt; eben so gewöhnlich ist es, daß jene Affekte und diese Geschlechtssympathie mit den Gefühlen des Schönen und der Schönheit verwechselt werden. Ueber den Grund, warum das Schöne und die Schönheit uns anziehen, giebt es dann wieder zwey verschiedene Meinungen. Die eine sucht diesen Grund in der erregten Begierde nach Körpervereinigung, die entweder unmittelbar, oder durch eine Association der Ideen beym Anblick der Schönheit in uns rege werde: die andere glaubt, daß die Schönheit als eine Form innerer Vollkommenheit des Charakters auf uns wirke, und daß wir unter schönen Formen eine schöne Seele ahndeten, welche ganz geistig von uns genossen würde.

Die Verworrenheit, das Unbestimmte dieser Vorstellungen leuchtet von selbst in die Augen. Es scheint mir nothwendig, die Begriffe über den Antheil, den der Körper, und besonders dessen Geschlechtssympathie an [114] den Gefühlen des physisch Schönen und der körperlichen Schönheit hat, näher zu bestimmen, weil diese zur Gründung des Begriffs der Seelenliebe von dem größten und unverkennbarsten Einfluß sind.

Erinnert euch daran, daß der Beschauungshang die Anlage zu derjenigen Reitzung unsers Wesens ist, die ohne merkliche Bestrebung, mithin auch ohne Beziehung auf unsere selbstischen und sympathetischen Verhältnisse, unmittelbar mit dem Anblick isolierter Körper, und mit der Erkenntniß ausgezeichneter Gegenstände verbunden ist.

Erinnert euch daran, daß ich Wollust und Wonne für jene unerzwungene und dennoch unwillkührliche Affekte von Lust erklärt habe, welche uns gewisse sinnliche Eindrücke und Bilder der Seele unmittelbar zuführen, und die man schicklich Gefühle der Ausgelassenheit des Lebens nennen kann.

Erinnert euch daran, daß ich das Schöne überhaupt für Wollust und Wonne des Beschauungshanges: im Gegensatz gegen das Edle aber, für diejenige Wollust und Wonne des Beschauungshanges erklärt habe, welche die Formen der Gegenstände bey ihrer Wirkung unserm niedern instinktartigen Wesen einflößen.

Erinnert euch zuletzt daran, daß ich das Schöne in das unbestimmt, und das ästhetisch Schöne eingetheilt habe. Das unbestimmt Schöne bringt physisch wollüstige Reitzungen für die Nerven hervor, erweckt die Phantasie zu einer leichten und lebhaften Thätigkeit, und versetzt sogar unser Herz, den Inbegriff unserer herrschenden Triebe, in eine dunkle aber wohlbehagende Rührung. Das ästhetisch Schöne ist eben jenes unbestimmte Schöne unter Gesetze des Verstandes und der Vernunft gebracht: es sey, daß wir nur [115] Bilder jener Gesetze auf das Schöne anwenden, oder es wirklich unter gewisse empirische Begriffe von demjenigen bringen, was ein Gegenstand seiner Gattung und Art nach seyn soll, um für ein wahres und zweckmäßiges Ganze zu gelten. Das Schöne das zugleich einem solchen Begriffe unterworfen werden kann, heißt eine Schönheit.

Dieß alles ist gesagt worden. Es gilt jetzt diese Begriffe auf die sichtbare Schönheit des menschlichen Körpers in der Absicht anzuwenden, theils um den Einfluß auszufinden, den dieser Körper auf unsern Körper, und besonders auf unsere Geschlechtssympathie hat; theils aber auch, um den Antheil festzusetzen, den unsere Seele daran nimmt, und die Behauptung zu prüfen, daß sie beym Genuß der Schönheit bloß eine schöne Seele unter schönen Formen ahnde.

Man darf das sichtbare, unbestimmt Schöne am menschlichen Körper das Ergetzende, hingegen das ästhetisch Schöne an ihm die Wohlgestalt nennen. Sind aber meine vorhin aufgestellten Grundsätze richtig, so ist es unmöglich, daß ein sichtbarer Körper schön seyn könne, wenn er nicht zugleich unmittelbar durch seine Formen wollüstig auf die Augennerven wirkt. Es ist aber eben so unmöglich, daß ein sichtbarer Körper ästhetisch schön, oder gar eine Schönheit seyn könne, wenn nicht eben jene auf unsere Augennerven wollüstig wirkenden Formen unter gewisse Bilder oder Begriffe der Wahrheit und Zweckmäßigkeit gebracht werden können, die natürlich nur von der Seele gefaßt werden mögen.

Die Formen müssen die Augennerven zunächst unmittelbar wollüstig reitzen. Wirkt die sichtbare Form zunächst auf einen der andern Sinne, so hört er auf, schön [116] zu seyn, und nähert sich einer andern Klasse von Wollustgefühlen.

Eine sichtbare Form, die uns nur darum gefallen würde, weil sie das Gefühl in uns erweckte, daß sie sich zwar nicht mit Wollust anblicken, aber doch wollüstig betasten oder schmecken ließe; eine solche Form würde nicht dem körperlichen Beschauungshange gefallen, sondern der körperlichen Selbstheit und Sympathie: nicht das Auge würde genießen, sondern die übrigen Sinne genössen durch das Mittel des Auges. Daher ist es gewiß kein Gefühl des Schönen, das wir mit den Worten bezeichnen: diese Speise sieht lecker aus, oder: diese Oberfläche ladet zum Streicheln, zum Einlagern ein. Am wenigsten werden solche Formen hierher gerechnet werden dürfen, welche die Lüsternheit unmittelbar aufregen, indem sich das Auge in die Stelle der Organe der gröbsten Triebe setzt. In dem bekannten Lateinischen Gedichte des Johannes von Nerizan über die dreyßig Schönheiten des weiblichen Körpers kommt vieles vor, was schlechterdings für das Auge keinen Reitz haben kann, sondern als bloß reitzend für die körperliche Lüsternheit betrachtet werden muß.

Formen, welche auf eine so mittelbare Weise dem Auge gefallen, können am allerwenigsten zum ästhetisch Schönen gerechnet werden. Gebildete Menschen werden immer Körper, welche die Lüsternheit oder gar den unnennbaren Trieb erwecken, von denjenigen unterscheiden, welche Schönheit in ihren Formen darstellen; und Herder hat beydes sehr treffend unterschieden, indem er sagt: daß die Natur denjenigen Theil des weiblichen Körpers, wo sie des Bedürfnisses wegen von den Regeln der Wohlgestalt habe abgehen müssen, mit dem Gürtel des Verlangens [117] umschlungen habe. Aus diesem Grunde wird ein fleischiger, ausgeschweifter Bau, wie ihn etwa die Nymphen der Flamländer zeigen, nie für eine Schönheit gehalten werden können, wenn er gleich mit Ueppigkeit und Lüsternheit betrachtet werden sollte. Es ist daher ein großer Irrthum, wenn man die Verirrungen der körperlichen Geschlechtssympathie, zu denen männliche Körper verführen, der größern Wohlgestalt zuschreibt, welche die männlichen Verhältnisse nach den Gesetzen des ästhetisch Schönen und der Schönheit unstreitig darstellen. Denn abgerechnet, daß sich daraus diejenige Verirrung der Begierden nicht erklären lassen würde, welcher Weiber unter einander gleichfalls unterworfen sind; so ist es auch ganz klar, daß gerade die schönsten, regelmäßigsten Körper, wenn sie gleich von verschiedenem Geschlechte sind, weniger auf die Geschlechtssympathie wirken, als die üppig, oft ungestaltet gebaueten. Dieß haben die Rubens, die Bernini und andere sehr wohl empfunden, indem sie von den Regeln, welche die Alten bey der Schöpfung ihrer Venus, ihrer Juno, ihrer Diana, u. s. w. befolgten, abgegangen sind, und wohlbeleibte, feiste Metzen und Ammen in keiner andern Absicht dargestellt habe, als der, auf die Geschlechtssympathie des ungebildeten Haufens zu wirken.

Demungeachtet läßt sich die Mitwirkung aller unserer Sinne, und besonders auch der körperlichen Geschlechtssympathie, bey den wollüstigen Gefühlen für das Auge gar nicht abläugnen. Sie kommen unstreitig mit in Reitzung; aber es muß eine mittelbare und dunkle Reitzung seyn, deren wir uns in dem Augenblicke des Genusses der Schönheit nicht bewußt sind. Sobald beym Anblick einer weiblichen Gestalt die Begierde nach körperlicher [118] Annäherung und Verbindung herrschend wird; sobald diese Begierde und die Beziehung der Form auf die Begünstigung der Lüsternheit der Grund meines Wohlgefallens an dem erblickten Körper wird; sobald ist auch das Gefühl des Schönen dahin; – es wird zum selbstischen oder sympathetischen Gefühle. Allein so lange der Aufruhr der lüsternen Begierde dunkel bleibt, und die Beziehung der Form auf die Begünstigung der Lüsternheit nicht besonders beachtet wird; so lange besteht die Mitwirkung der körperlichen Geschlechtssympathie mit dem Gefühle des Schönen.

Man darf nur an den Unterschied des Eindrucks denken, den die Statue einer Venus von Medices, und wieder das Original, in der Natur gesehen, auf uns machen würde! Und wer wird es läugnen wollen, daß wir zuweilen gegen die lebendige schöne Form in eben das entfernte, beschauende Verhältniß kommen können, worin wir uns gegen eine Statue von Marmor der Regel nach befinden? Das heißt: daß wir, ohne uns deutlicher Begierden nach Körperverbindung bewußt zu seyn, die Wohlgestalt einer schönen Frau in der Natur mit Wonne beschauen mögen! Gewiß, wer dieses läugnen könnte, der wäre Ein für alle Mahl für den Genuß des Schönen verdorben!

Demungeachtet aber unterstützt die körperliche Geschlechtssympathie durch dunkle Mitwirkung den Eindruck der Wohlgestalt in manchen Fällen. Ja, unter dieser Voraussetzung allein kann der Unterschied zwischen der sogenannten anmuthigen, reitzenden, zärtern Schönheit und der ernsteren und unterhaltenden hinreichend festgesetzt werden.

[119] Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen.

Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die zärtere, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die unterhaltende genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis.

Die ernsteren Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn, [120] welcher mit Hülfe der Phantasie und des Associationsvermögens Bilder von körperlicher Stärke, Abhärtung, Seelenhoheit, ruhiger Festigkeit und gebietendem Ansehn daraus abnimmt. Diese Bilder führen auf andere von Würde, Männlichkeit, hohem Stande und Reife des Alters, welche die Seele spannen oder stark reitzen. Alles dieß constituirt die ernste Schönheit, wie sie uns die Junonen, der Apollo, der Herkules, u. s. w. an den Statuen der Alten in der größten Vollkommenheit darstellen, und wie sie unter uns, wiewohl in mangelhafterer Maße, zuweilen angetroffen werden.

Schönheiten dieser Art werden, so lange sie als Schönheiten empfunden werden, beynahe gar nicht auf unsere übrigen Sinne, außer dem Auge, und am wenigsten auf unsere körperliche Geschlechtssympathie wirken. Daher die allgemeine Erfahrung, daß diese ernsteren Schönheiten auf ungebildete Menschen nur einen schwachen Eindruck machen, und daß die Achtung, welche der große Haufe ihnen zollt, weniger auf Wollust und Wonne, als auf Unterwerfung gegen das Urtheil der Kenner, und gegen den Ausspruch des gesellschaftlichen Tones beruht.

Schönheiten dieser Art lassen sich ihrer bloßen Zeichnung nach den Bildern der Wahrheit, Zweckmäßigkeit – der Regularität – genauer anpassen, als andere, und darum befriedigen sie ganz besonders das Bedürfniß der Seele, selbst an den bloßen Formen der Dinge die Gesetze ihrer Erkenntniß und ihres Wollens beobachtet zu sehen. Ernste Schönheiten erfüllen die Seele mit Bildern innerer Eigenschaften und äußerer Beschaffenheiten, die mit den Begriffen des Ausgezeichneten in bürgerlichen und sittlichen Verhältnissen zusammenhängen, und flößen ihr also eine Wonne ein, die sie der Befriedigung ihrer [121] edleren Neigungen verdankt. In so fern hat die Seele von Schönheiten dieser Art mehr Genuß als von andern, und mehr als der Körper. Aber hieraus folgt nicht, daß der letzte ganz von ihrem Genuß ausgeschlossen wäre; daß nur die Form der Vollkommenheit uns an diesen ernsten Schönheiten rührte; oder daß wir sie gar als bloße Symbole der vollkommenen Seele, welche sie behauset, bewunderten. Nein, es müssen nothwendig Formen an ihnen wahrgenommen werden, welche unmittelbar wollüstig auf das Auge wirken, und dergleichen bemerken wir an den fließenden Umrissen, an der gewölbten Ründung und wohl contrastierenden Abwechselung der Glieder der edelsten und ernstesten Schönheiten des Alterthums. Ja, sogar die Weiße und das Korn des Marmors tragen zu dem Gefühle von Lust bey, das sie uns einflößen.

Es muß daher das Auge selbst bey der ernstesten Schönheit mit befriedigt werden, und nie dürfen wir annehmen, daß unser Geist in dem Körper der ernsten Schönheit bloß die vollkommene Seele ahnde. Denn die stolze Juno, der strenge Pluto, und der trotzige Ajax, kündigen sich gewiß nicht als schöne Seelen an. Es ist genug, wenn der physiognomische Ausdruck der Unvollkommenheiten der Seele nicht dergestalt hervor sticht, daß wir darüber die Schönheiten der Formen vergessen.

Die zärtere Schönheit besteht hingegen aus vielen einzelnen Eigenschaften und Beschaffenheiten, welche mehreren Sinnen vermittelst des Auges schmeicheln, und zwar auf eine Art, welche äußerst geschickt ist, sogar die Ueppigkeit mit in Reitzung zu bringen. Die zärtere Schönheit zeigt immer mehr Mannigfaltigkeit und ein lebhafteres Spiel von Gestalten. Anstatt daß bey der [122] ernsten Schönheit die Direction der Linien des Umrisses durch mehrere Halbflächen an der Ründung gehindert wird, zeigt sie sich bey der zärteren Schönheit viel wallender und geschlängelter. Anstatt daß bey jener möglichst auf ein geometrisches Wohlverhältniß Rücksicht genommen wird, sucht hingegen die zärtere Schönheit das Ebenmaß und die Ordnung – welche allerdings in der Lage ihrer Theile gegen und unter einander herrschen muß, um ihr den Anspruch auf das ästhetisch Schöne zu sichern – möglichst zu verstecken. Sie ist da, aber man wird nicht so unmittelbar darauf geführt. Endlich, während daß die ernste Schönheit in den Biegungen ihrer Ründung möglichst die Ecken des Quadrats beyzubehalten sucht, sucht dagegen die zärtere in ihren Biegungen sich möglichst der Wölbung des Zirkels zu nähern.

Dieß Spiel der Gestalten wird nun gemeiniglich am menschlichen Körper zugleich durch das Spiel der Farben und des Helldunkeln unterstützt. Der leichte Uebergang der Farben in einander, welche die jugendliche und weibliche Carnation ausmachen, die Mischung des Roths, Paille und Blau; die harmonische Abwechselung der Lichter und Schatten, bringen alle Nerven unsers Auges in eine wollüstige Bewegung, welche sehr geschickt ist, unsere übrigen Sinne zugleich in eine dunkle Reitzung zu versetzen.

Dieß Spiel der Gestalten, der Farben und des Helldunkeln führt das Auge zu einer spielenden, anschmiegenden, eben darum auch strebenden Bewegung des Nachblickens und Blinzelns, die mit derjenigen Wirksamkeit in welche der Gaumen und die Tastungsorgane beym Einnehmen des ihnen angehörenden Genusses gerathen, in einem auffallenden Verhältnisse steht. Es ist ein [123] allmähliges hingebendes Aneignen, es ist ein auflösendes Einnehmen in dem Zustande des Auges, während daß es sich den wallenden Umrissen anschmiegt, die versteckte Ordnung austastet, an der unmerklich abgestuften Ründung hingleitet, den Duft und den Schmelz des harmonischen Farben- und Lichterspiels einathmet und auskostet! Wie ähnlich ist dieser Zustand demjenigen, in welchen Tastungsorgane, Nase und Gaumen, bey den wollüstigen Gefühlen kommen, die ihnen unmittelbar zugeführt werden! Wie treffend die Ausdrücke der technischen Mahlersprache, der Sprache der Dichter und selbst des gemeinen Lebens, wenn wir die Wirkung bezeichnen, welche gewisse spielende Bewegungen und zärtelnde Eigenschaften todter Körper auf uns machen, um ihren Einfluß auf unsere übrigen Sinne selbst bey der Anschauung zu fühlen! So sagen wir, daß das Gewand den Körper üppig umflattert, daß das Haar üppig um den Nacken spielet, daß der Kohl in zwanglosen abwechselnden Schüssen schwelgt, und daß die Flamme die Gegenstände, die sie berührt, leckt! Wir sprechen von dem süßen Schmelz der farbigen Rose, von dem Sanften der Himmelsbläue und von dem Markigen und dem Duft eines Gemähldes. Das Auge setzt sich hier an die Stelle der übrigen Sinne, und eignet sich dunkel den Genuß an, den unser Wesen nur mittelst ihrer besondern Organe vollständig einnimmt. Eben dadurch wird nun auch heimlich die Geschlechtssympathie des Körpers mit aufgeregt: wir werden üppig. Das Zarte und zugleich Hebende, welches den Charakter dieses allmähligen Spieles der Eindrücke auf unsere Sinne ausmacht, kommt sehr leicht mit unserer geschmeidig starken Organisation in das Wohlverhältniß gezärtelter Spannung.

[124] Eben diese zärteren Schönheiten zeigen nun zu gleicher Zeit Formen, welche den innern Anschauungssinn nicht so wohl spannen, als zärteln. Schon an sich führt der Mangel an Bestimmtheit der Umrisse, an Ordnung in den Aufrissen, an Schärfe in der Ründung, auf Bilder einer mindern Strenge der Gesetze des Verstandes und der Vernunft zurück. Ferner gehört dahin die kleinere Gestalt, die Feinheit des Knochenbaues, das schnellere Fortschreiten, und die größere Beweglichkeit in dem Mienenspiele und der Lage der Gliedmaßen, welche Knaben und junge Mädchen auszeichnen: endlich die ihnen vorzüglich eigene Oberfläche der Haut, in der die fettigen, fleischigen Theile bey weitem über die sehnigen prädominieren. Hieraus setzt sich die Phantasie mit Hülfe des Associationsvermögens Bilder des körperlich Zierlichen, Leichten, Schnellen, zusammen, wird durch diese, unterstützt von der Mimik in Mienen und Geberden, und vom Beywerk, auf Sanftheit der Empfindung, Geduld, Geschmeidigkeit des Charakters, Heiterkeit, Unbefangenheit, Emsigkeit, und noch weiter auf Bilder von häuslicher Tugend, Weiblichkeit, glücklichem Mittelstande und Jugend geleitet. Körper dieser Art liefern uns die Venus, der Hermaphrodit, der Ganymed, der Genius der Alten, der Engel, die Madonna, und die Nympfe der Neuern. Körper dieser Art sind es, welche wir im gemeinen Leben jetzt beynahe ausschließend als schön empfinden, weil wir für die ernstere Schönheit keinen wahren Sinn haben. Wir nennen sie gemeiniglich reitzend, und finden ihr Ideal in den Gemählden des Correggio und des Guido.

Es ist nun gar nicht zu läugnen, daß bey der Empfindniß des Schönen, welche uns Körper dieser Art [125] einflößen, alle Sinne mit dem Auge zugleich in Reitzung kommen, daß sogar die Ueppigkeit heimlich erwache und mitwirke. Aber sobald diese Triebe in hervorstechender Maße wirken, sobald sie nicht bloß dazu dienen, den Beschauungshang zu unterstützen, sobald ist auch der Genuß des Schönen dahin, und es entsteht ein sinnlicher Appetit des Körpers. Inzwischen würde es bey Schönheiten dieser Art noch lächerlicher zu behaupten seyn, daß wir bloß die schöne Seele in den reitzenden Formen ahndeten. Der feige Paris, die liebäugelnde Venus, tragen eben nicht den Ausdruck einer schönen Seele an sich, und dennoch finden wir sie sehr reitzend. Auch verlangen wir gerade bey Schönheiten dieser Art nicht die Regularität der Züge, welche doch sonst als die vollständigste und vortrefflichste Form so sehr geschickt ist, auf den Begriff innerer Vollkommenheit und des inneren Seelenadels zu führen. Wir vertragen es schon, daß der Kopf ein wenig groß gegen den übrigen Rumpf sey, daß die Nase sich ein wenig in die Höhe werfe, daß die Augen etwas weit gespalten sind, und daß die Hüften ein wenig ausschweifen; denn alles dieß sind Eigenthümlichkeiten der jugendlich männlichen Person, und des weiblichen Geschlechts. Wenden wir gleich Begriffe von Wahrheit und Tüchtigkeit auf Figuren dieser Art an, weil sie sonst keine Schönheiten seyn könnten, so geschieht es doch mit mehrerer Nachsicht, nach laxern Grundsätzen, und hauptsächlich nach den Erfahrungen, welche uns das zärtere Alter und Geschlecht an die Hand bieten. Wir verlangen die Uebereinstimmung mit den Forderungen des Verstandes und der Vernunft nicht weiter, als wir diese von Jugend und Weiblichkeit erwarten können.

[126] Ich komme zuletzt auf die unterhaltende Schönheit, dergleichen uns Kinder, Greise, und überhaupt solche Personen darbieten, welche wir hauptsächlich in unsern Verhältnissen zur größeren örtlichen Gesellschaft, in der Absicht, uns zu belustigen, aufsuchen. Schönheiten dieser Art spannen uns nicht und zärteln uns nicht. Sie setzen unsere Nerven in eine hüpfende Erschütterung, und unsern Geist in eine leichte Stimmung.

An Schönheiten dieser Art lieben wir das pikante Abstechen der Formen, Farben, hellen und dunkeln Partien von einander. Die Umrisse müssen sich in ihren Directionen ein wenig dem Zickzack, die Anordnung des Aufrisses muß sich ein wenig dem glücklichen Zufall, die Ründung ein wenig den irregulären Vielecken nähern. Die Farben des Haares müssen stark von der Gesichtsfarbe, diese stark von dem Roth der Wangen und Lefzen abstechen. Die Knochen, die Muskeln, oder das feiste Fleisch müssen starke Ein- und Aushöhlungen bilden, in denen das Licht aufgefangen wird, um helle und dunkle Partien in ziemlich grellen Uebergängen darzustellen. Abwechselung ist hier die Hauptsache. Sie reitzt das Auge, wie das Gewürz den Gaumen, und darum nennt man diesen sinnlichen Eindruck pikant. Durch ihn, besonders wenn er, von der Mimik in Mienen und Geberden, vom Beywerk, u. s. w. unterstützt wird, entstehen Bilder des Neuen, Seltenen, Lebendigen, und diese führen weiter auf alle diejenigen Gaben, und Verhältnisse, welche in unsern größern geselligen Zusammenkünften, wo es auf Unterhaltung des Witzes und der Phantasie angesehen ist, wichtig werden.

[127] Dieß alles erweckt Bilder des Talents, besonders eines guten Gesellschafters, des muntern Kindes, des interessanten Alten, des unbefangenen Ausbruchs der Lüsternheit in den niedrigen Ständen, u. s. w.

Figuren dieser Art liefern der Faun, die Bacchante, der Philosoph, der Dichter der alten Kunst; das junge Kind, und der Apostel der neuern. Im gemeinen Leben sind diese pikanten Schönheiten gemeiniglich unter dem Nahmen von irregulären Schönheiten, von Physiognomien, charakteristischen, ausdrucksvollen Figuren, u. s. w. bekannt.

An dem Gefühle des Schönen, welches Formen dieser Art einflößen, haben die Sinne, außer dem Auge, unstreitig Antheil. Aber eigentliche Ueppigkeit oder Lüsternheit wird sich schwerlich mit einmischen. An Abdruck einer vollkommenen Seele, als alleinigen Grund des Schönheitsgefühls, ist gleichfalls nicht zu denken, und der scurrilische Faun, das Kind, das den Becher ausschlürft, u. s. w. zeigen davon keine Spur. Inzwischen verlangen doch auch hier der Verstand und die Vernunft, daß ihre Gesetze auf das Bild ihrer Phantasie angewandt werden.

Die unterhaltenden Schönheiten sind von den belachenswerthen Gestalten, von den Caricaturen, sehr verschieden. Unser Verstand und unsere Vernunft schränken bloß ihre Forderungen ein, und denken weniger an die Gattung und das Geschlecht, als an den Stand und das Alter. Es muß ein vollkommenes Kind, ein vollkommener Greis, ein vollkommener Bauer in seiner Art seyn. Die Schwäche, die Gebrechlichkeit, der Mangel an Ausbildung, in Rücksicht auf die Gattung des Menschen überhaupt, werden zu Gute gerechnet.

[128] Nach dieser Ausführung wird sich nun mit einigem Grade von Zuverlässigkeit bestimmen lassen, welchen Antheil die Sinne, außer dem Auge; und noch mehr die körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit an dem Gefühle der physischen Schönheit nehmen.

An der ernsten, darf ich glauben, wenig oder gar keinen. Das Auge ist hier allein Genießer. An der unterhaltenden mehr. An der zarten aber nehmen wahrscheinlich alle Sinne, und auch die unterste Stufe der Geschlechtssympathie, die Ueppigkeit, Antheil. Entsteht Lüsternheit, oder gar der unnennbare Trieb nach Körperverbindung, so ist das Gefühl der Schönheit bis dahin, daß der Körper wieder beruhigt wird, verloren, und es wird ein Gefühl daraus, welches der Selbstheit oder der Sympathie anzugehören anfängt.

Die Seele wendet auf jede Schönheit gewisse Gesetze des Verstandes und der Vernunft an, und beurtheilt die Form nach Begriffen von Wahrheit und Tüchtigkeit, welche über gewisse Gattungen, Geschlechter, Alter und Stände festgesetzt sind, und sich ihr bey der Anschauung instinktartig darstellen. Aber nie sucht die Seele bey dem Gefühle der Schönheit absichtlich den Abdruck einer schönen Seele. Denn abgerechnet, daß sie in unzähligen Fällen sich um den Genuß der Schönheit bringen, den ernsten Pluto, den trotzigen Ajax, die liebäugelnde Venus, den scurrilischen Faun, geradezu aus der Classe der Schönheiten heraus werfen müßte; abgerechnet, daß diese Wahrnehmung einer schönen Seele an den äußern Formen die unbestimmteste und unzuverlässigste Sache von der Welt ist; so besteht auch diese deutlich gedachte Beziehung der sinnlichen Form auf etwas Unsinnliches gar nicht mit der Wonne der Beschauung. Der [129] Körper würde uns dann als ein bloßes Symbol der Seele erscheinen; wir würden ihn als ein bloßes Mittel betrachten, uns einen Geist zu versinnlichen; die körperliche Schönheit würde ein bloß interessierender Gegenstand werden; wir würden uns nicht mehr von dem Körper, als solchem, isolieren, ihn nicht mehr als ein für sich bestehendes, von uns völlig abgesondertes Wesen ansehen; er würde folglich mit Sympathie oder mit Selbstheit genossen werden.


Zweyter Excurs.
Ueber den Antheil des Körpers an der Begeisterung für physische Schönheit der Körper von verschiedenem Geschlechte.

Das ruhige Gefühl der physischen Schönheit, (welches allein Gefühl der Schönheit genannt werden kann,) verträgt also keine hervorstechende Wirksamkeit der übrigen Sinne außer dem Auge, noch weniger der Lüsternheit. Sie verträgt auch kein hervorstechend genommenes Interesse an einer vollkommenen Seele, deren bloßes Symbol der Körper seyn soll. Aber es giebt einen Zustand von Begeisterung für physische Schönheit; und dieser setzt die Mitwirkung der Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele zum Voraus.

Der Fall ist ziemlich häufig, daß wir von einer schönen Figur, so wohl in der Natur, als im Kunstprodukt, dergestalt hingerissen werden, daß wir das Bild immerwährend mit uns herumtragen, nicht wieder davon los kommen können, ja, nicht wollen, sondern unaufhörlich nach wahrer oder symbolischer Vereinigung mit dem [130] Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag.

Wenn es eine ernste Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken [131] wir uns die Vereinigung unter irgend einem andern Bilde. Wir streben nach dem stolzen Bewußtseyn, seine Vorzüge besonders fein und stark zu fühlen, oder nach dem, uns durch seine Lobpreisung besonders um dasselbe verdient zu machen, oder wir suchen uns gar von seinem Geiste dergestalt zu durchdringen, um Werke, die von diesem Geiste belebt sind, hervorzubringen. Dadurch erwacht der schwärmerische Aneignungstrieb, sogar zuweilen der Selbstverwandlungstrieb; dadurch wird das Streben nach einer solchen Vereinigung in uns figiert. Kurz, wir kommen leicht in den Zustand der Besessenheit.

Dieser Aufruhr der ganzen Sinnlichkeit unserer Seelen geht nun zuweilen auch auf die körperliche Sinnlichkeit über, und erweckt die Lüsternheit und sogar den unnennbaren Trieb in unserm Körper. Inzwischen tritt dieser Fall nicht häufig ein.

Dagegen nimmt nun die Begeisterung für die zärtere physische Schönheit der menschlichen Figur gemeiniglich einen ganz andern Gang. Die Lüsternheit des Körpers erwacht hier der Regel nach zuerst, und zieht die Besessenheit des Geistes nach sich. Vermöge des üppigen Baues dieser Arten von Schönheiten wirkt unsere Ueppigkeit bereits im geheimen bey dem ruhigen Gefühle der Schönheit mit. Nichts leichter, als daß sie eine hervorstechende Rolle zu spielen anfange, und sogar zur Lüsternheit einlade, die nur eine höhere Stufe der Ueppigkeit ist, und mit ihr zur körperlichen Geschlechtssympathie gehört. Symptomen des erregten unnennbaren Triebes brauchen sich nicht zu äußern; aber die gepreßte Sehnsucht nach dem Anblick des zartgebaueten Körpers, die Mischung von Unruhe und Behagen in seiner Gegenwart, [132] der Drang nach üppiger Berührung, kurz, eine Menge von Symptomen, die einzeln aufgezählt wenig, zusammengenommen aber alles beweisen, lassen keinen Zweifel über den wahren Grund unsers lebhafteren Interesse an seinen Formen übrig.

Durch den Aufruhr unserer körperlichen Geschlechtssympathie wird nun die Geschlechtssympathie der Seele sehr leicht in einen ähnlichen verwickelt. Die Hemmung körperlicher Begierden fordert die Seele auf, sich eine geistige Vereinigung zu träumen, und sich das Bild eines vollkommenen Geistes zusammenzusetzen, mit dem der unsrige in häuslicher Vertraulichkeit leben, und den er sich ganz aneignen könne. So entsteht die Besessenheit des Geistes oft aus der körperlichen Lüsternheit nach zartgebaueten Formen.

Beyde Geschlechter sind dieser Begeisterung für die zärtere Schönheit an Personen von beyden Geschlechtern, sogar im todten Bilde unterworfen. Ja, man darf es dreist behaupten, die zarte Schönheit werde an Jünglings- oder an Mädchenkörpern, in der Natur oder im Bilde, angetroffen, so wirkt, wenn eine Begeisterung für diese Schönheit in dem Beschauer entsteht, die körperliche Geschlechtssympathie bald heimlicher, bald offenbarer mit, ohne Unterschied, ob der Begeisterte Mann sey oder Weib.

Die Erfahrung, daß Jünglinge und Mädchen, deren Körper zartgebauete Schönheiten darstellen, bey Personen, welche äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht mit ihnen gehören, (wenn anders nur das gehörige Wohlverhältniß hebender Zartheit zur geschmeidigen Stärke getroffen wird,) die Lüsternheit und den unnennbaren Trieb erwecken, ist viel zu allgemein, als daß man [133] sie bloß einer zufälligen Verirrung der Imagination, oder der Verderbtheit und Rohheit der Sitten zuschreiben sollte. In Ländern, wo religiöse und bürgerliche Erziehung den unnennbaren Trieb zum Zweck der Bevölkerung von früher Kindheit an zu leiten suchen, werden sich nur selten gröbere Symptome desselben gegen solche Körper melden, welche die Zwecke der immer fortbildenden Natur nicht erfüllen können. Aber Ueppigkeit, Lüsternheit, als die untern Stufen der Geschlechtssympathie, werden auch hier bey Menschen von reitzbaren Nerven den lebhafteren Eindruck begleiten, den die zartgebauete Schönheit, selbst im todten Bilde auf sie macht.

Diese Mitwirkung der körperlichen Geschlechtssympathie bey der Begeisterung für jugendlich männliche Schönheit kann den Kunstliebhabern, bey denen sie am häufigsten angetroffen wird, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie ist keinesweges schändlich, denn sie sind sich dieser Mitwirkung oft selbst nicht bewußt. Sie wirkt wie eine geheime Ahndung, und die Art, wie sie nach den Vorschriften der Religion und der Sittlichkeit geleitet wird, veredelt sie in den Augen jedes billigen Beurtheilers.

Ich halte mich überzeugt, daß einer der Hauptgründe, warum der Enthusiasmus für jugendliche Männerschönheit, und noch mehr die Kunst, sie im Bilde darzustellen, in unsern Gegenden nie so allgemein und so hoch getrieben werden kann, als bey den Griechen, mit daran liegt, daß der lüsterne Eindruck, welchen die Zartheit männlicher Formen auf uns macht, nach der heutigen Denkungsart den Anstand beleidigt. Ohne jenen hohen Grad der Begeisterung, der bis zur Besessenheit geht, werden nicht leicht Meisterwerke in irgend einer Kunst hervorgebracht, [134] und zu der Schwärmerey für Ideale zarter Schönheiten trägt die verhaltene Lüsternheit sehr viel bey. Unsere neueren Künstler liefern daher bey uns verhältnißmäßig viel schönere Weiber- als Männerformen. In Griechenland war es der umgekehrte Fall, und selbst ihre jugendlich zarten Weiber haben viel von der Form schöner Jünglinge an sich.

Es ist schon oft gesagt, daß der verewigte Winkelmann bey seiner enthusiastischen Anhänglichkeit von zarten männlichen Schönheiten den Einfluß der körperlichen Geschlechtssympathie dunkel empfunden habe. Man vergleiche die Art, wie er an seinen schönen, jugendlichen Freund schreibt, oder die Schönheit einer jugendlich männlichen Statue des Alterthums darstellt, mit derjenigen, womit er sich über eine männliche Figur von reiferen Alter ausdruckt. Er erscheint wie Pigmalion in den verschiedenen Situationen, worin dieser Künstler sein Werk als Marmorblock und als empfindendes Wesen betrachtet. Aehnliche Bemerkungen sind denjenigen nicht entgangen, die als ruhige Beobachter Augenzeugen des Umgangs dieses edeln Mannes mit seinem schönen Freunde gewesen sind. Ein mehr als himmlisches Feuer ergriff den Lobredner des Apollo bey dem Anblick eines schön gewölbten Knies, welches ein Zufall auf einer gemeinschaftlichen Reise nach Frascati entblößte.

Schande über den, der hier schändlich muthmaßet! Es geschah unbefangen, es geschah öffentlich, zum Beweise der unwillkührlichen, und höchst wahrscheinlich dem Begeisterten selbst unbekannten Regung der Geschlechtssympathie.

[135] Die unterhaltenden Schönheiten werden selten Begeisterung erregen. Wo sie aber entsteht, beruht sie wahrscheinlich auf einer Mischung von körperlicher Lüsternheit und von Besessenheit der Seele. Ich habe keine Erfahrungen darüber gemacht.

Kann man nun diese Begeisterungen überhaupt Wonne des Beschauungshanges nennen? Im geringsten nicht! Wir streben, unsern Körper in das engste Verhältniß mit dem schönen Körper außer uns zu setzen; wir streben, den Geist der ihn belebt, ganz in den unsrigen hinüber zu ziehen; wir isolieren unser Wesen nicht mehr von dem Wesen außer uns, schauen es nicht mehr aus der Ferne an. Es ist nicht mehr ruhige Wonne des Beschauungshanges, es ist leidenschaftliches, wonnevolles Streben der Selbstheit oder der Sympathie. Weit entfernt aber, daß bey diesen leidenschaftlichen Aufwallungen, oder dauernden Stimmungen ein rein geistiger Trieb zum Grunde liegen sollte, spielt vielmehr der Körper entweder unmittelbar oder consentierend eine wichtige Rolle.

Das Resultat der Untersuchung über den Einfluß der körperlichen Geschlechtssympathie auf das Gefühl des Schönen und der Schönheit, fällt folglich dahin aus: daß das Schöne und die Schönheit gar nicht unbedingt auf die Geschlechtssympathie des Körpers wirke: daß es ganz verschiedene Formen und Verhältnisse sind, welche die Ueppigkeit, die Lüsternheit, den unnennbaren Trieb aufregen, als die Schönheit wesentlich voraussetzt. Daß aber auf der andern Seite die heimliche Mitwirkung der Ueppigkeit bey den zärteren Schönheiten sich nicht abläugnen lasse, und daß bey der Begeisterung für die zärtere Schönheit sogar die Lüsternheit eine wichtige Rolle [136] mitspiele, wenn sie sich gleich nicht durch Symptome des unnennbaren Triebes ankündigen sollte.

Die körperliche Geschlechtssympathie dient also, das Gefühl der physischen Schönheit in manchen Fällen zu verstärken, und in keinem wird behauptet werden können, daß die Seele die äußere schöne Form des Körpers als den Abdruck einer schönen Seele betrachte, mithin die Schönheit rein geistig genieße. Allemahl muß wenigstens das Auge durch gewisse sinnliche Eindrücke unmittelbar wollüstig gereitzt werden, wenn wir dem wohlgefälligen Gefühle, welches uns ein Körper einflößt, den Nahmen eines Gefühls des Schönen beylegen wollen.


Dritter Excurs.
Ueber den Einfluß der Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele auf die Begeisterung für immaterielle Gegenstände.

Es scheint mir eine ungegründete Behauptung zu seyn, wenn man alle Begeisterung, alle Schwärmerey, für immaterielle Gegenstände, z. B. für Gott, Religion, Tugend u. s. w. auf Rechnung der körperlichen Lüsternheit, oder wohl gar jenes unnennbaren Triebes setzen will, welchem die Natur die Fortsetzung unserer Gattung anvertrauet zu haben scheint. In diesen Irrthum ist Hemsterhuys, sind mehrere mit ihm gefallen. Wie wenig beweisend sind ihre Gründe! Weil in der Exstase, worin sich jene Schwärmer befanden, zuweilen die heftige Reitzung, worein ihr ganzes Wesen versetzt wird, sich sogar denjenigen Theilen des Körpers mittheilt, welche als die eigentlichen Agenten jenes unnennbaren Triebes [137] anzusehen sind? Weil die Ohnmacht, in welche die heilige Therese bey der Berührung des himmlischen Amors fiel, vielleicht unter dem gröbsten Symptomen der Sinnlichkeit empfunden wurde? Was beweiset dieß? Gewiß nicht dieß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Grund der Begeisterung sey, sondern nur so viel, daß jene sehr leicht von dieser mit aufgereitzt werden könne!

Ich habe es bereits ausgeführt, daß der schwärmerische Aneignungstrieb der Geister zur Geschlechtssympathie der Seele gehöre, und daß der Zustand der Besessenheit und des Strebens nach Selbstverwandlung viele Symptome mit der Lüsternheit und dem erregten unnennbaren Triebe des Körpers, so wohl seiner Entstehungs- als Wirkungsart nach, gemein habe. Nichts ist begreiflicher, als daß sich dieser Aufruhr der Seele dem Körper leicht mittheile. Wird nun gar das Bild, welches unsre Seele beherrscht, unter materiellen Formen gedacht, besonders unter solchen, die zu den zärteren Schönheiten gehören; so ist es sehr möglich, daß Menschen von reitzbaren Nerven die gröbsten Symptome des unnennbaren Triebes an sich wahrnehmen, diese nach dem unkörperlichen Wesen, das sie begeistert, hingerichtet fühlen, oder sich wohl gar mit einer wirklich gelungenen körperlichen Vereinigung täuschen können. Dieß mag der Fall bey manchem schwärmerischen Religiosen, bey mancher exstatischen Nonne gewesen seyn, die sich die Bilder der heiligen Jungfrau, der göttlichen Liebe, des himmlischen Bräutigams, der Schutzengel, u. s. w. unter den reitzenden Formen gedacht haben, welche ihnen die Kunst von diesen Personen und personificierten Wesen in ihrer Kirche aufstellte. Beweisen doch sogar die Hexenprozesse, wie die erhitzte Phantasie alter Buhlerinnen die letzten Funken [138] schlecht erloschener Begierden für Wesen, unter den häßlichsten Formen gedacht, zu hellen Flammen hat anzünden, und sie mit Bildern körperlich gelungener Vereinigung hintergehen können.

Aber diese zufällige, und mittelbare Aufreitzung der körperlichen Geschlechtssympathie mag mit nichten als unbedingter Grund, oder als unbedingte Folge jeder Begeisterung, sollte diese auch bis zur Besessenheit fortschreiten, angesehen werden.

Die Böhme, die Swedenborg, die Spangenberg, so mancher andere grübelnde Schwärmer, die sich mit Gott und Christo vereinigt, alles in ihnen zu seyn wähnten, – diese Personen haben ihre Niederwürfigkeit gegen das vollkommenste Wesen als die größten aller Sünder, aber zugleich ihre Annäherung zu ihnen als auserwählte Gnadenkinder gefühlt; – sie haben der Geschlechtssympathie der Seelen gehuldigt. Allein, daß körperliche Geschlechtssympathie mitgewirkt habe, ist nicht allein völlig unerwiesen, sondern auch, nach ihrem ganzen Charakter zu urtheilen, höchst unwahrscheinlich.

Die Bilder, unter denen sich diese Personen die immaterielle Schönheit und Vollkommenheit dachten, haben viel Spielendes und Kindisches an sich; aber sie sind gar nicht von der Art, um durch ihre Formen Ueppigkeit oder Lüsternheit zu erregen. Z. B. Die Form des Dreyecks, oder der Strom des Lebens, das Lamm Gottes, u. s. w. Gesetzt aber, daß die körperliche Geschlechtssympathie bey so ungünstigen Veranlassungen mitgewirkt haben sollte; so scheint sie doch keinesweges gröbere Symptome bey ihnen hervorgebracht zu haben.

Es giebt andere Arten von Begeisterungen, fürs Vaterland, für Gegenstände der Ruhm - und Habsucht, [139] wobey der Körper gar keine Rolle zu spielen scheint. Wenigstens wüßte ich nicht, wie man dergleichen bey so manchen Schwärmern annehmen dürfte, denen Hochmuth, metaphysische Grübeley, Mysticismus, Rosenkreuzerey, und so weiter, den Kopf verdreht haben.

Alles kommt daher auf den geistigen Gegenstand an, der uns begeistert, auf dessen Fähigkeit, uns leicht unter Formen zu erscheinen, welche die körperliche Geschlechtssympathie aufreitzen mögen; auf die ursprüngliche Anlage unserer Organisation, und die günstigen Umstände zur höheren Regsamkeit unserer körperlichen Geschlechtsbegierden. Unbedingt sind diese nicht mit der Begeisterung und Besessenheit für immaterielle Gegenstände verknüpft, weder als nächster Grund, noch als nothwendige Folge.

Inzwischen erhellet bereits aus diesen Bemerkungen die Pflicht zur äußersten Behutsamkeit bey der Beurtheilung, ob ein begeistertes Verhältniß für einen Gegenstand, welcher dem kalten Zuschauer als immateriell erscheint, oder den der Begeisterte wohl selbst dafür hält, dennoch die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit ins Interesse ziehe. Die Möglichkeit, daß der Aufruhr der Seele den Körper in einen ähnlichen verwickele, bleibt bey jeder Begeisterung, bey jeder üppigen oder lüsternen Spannung der Seele. Sie wird zur Wahrscheinlichkeit, wenn die Formen des Gegenstandes, den wir als immateriell betrachten, der aber die Hülle eines Körpers in der Natur, oder im Bilde unserer Phantasie an sich trägt, auf irgend eine Art die Geschlechtssympathie unsers Körpers unmittelbar reitzen können. Wenn sich daher gar zwey liebende Personen für ihre wechselseitigen Geistesvorzüge begeistern, und in ihrem Körperlichen verschiedene Geschlechtsanlagen zeigen, so ist es mehr als wahrscheinlich, [140] daß der Körper mit ins Interesse gezogen sey. Es wird nur der günstigen Gelegenheit bedürfen, wo die Körper in engere Verbindung gerathen, oder die Imagination das Bild des körperlichen Genusses auffaßt, um sie über das Daseyn der gereitzten körperlichen Geschlechtssympathie durch unzweydeutige Symptome aufzuklären.

Umsonst beruft sich daher der Begeisterte zum Beweise des rein geistigen Genusses, den er von der Seele des Geliebten zu nehmen wähnt, auf die Abwesenheit deutlicher Regungen des unnennbaren Triebes; umsonst auf den Mangel aller üppigen Reitze an dem Körper des Geliebten! Die Geschlechtssympathie des Körpers hat ihre Grade: der reitzende Gegenstand, der sie erweckt, liegt nicht in dem Gegenstande außer ihm, er liegt in dem Aufruhre seiner Seele, die so genau mit seinem Körper verbunden ist. Unterdessen verbreitet sich das elektrische Feuer im Geheimen in unsern Adern, zieht Körper an Körper an, und es bedarf nur der Berührung, um Blitz und Schlag erfolgen zu sehen.

Woher kommt es, daß die häßlichsten Schwätzer für Weiber von ziemlich roher Empfindung oft die gefährlichsten Verführer werden? Woher kommt es, daß Weiber von Talenten, deren Formen aber den Sinnen eher zu widerstehen, als diese zu erregen scheinen, dennoch bey Männern die lebhaftesten körperlichen Begierden erwecken können? Daher kommt es, daß die gereitzte Geschlechtssympathie der Seele die Geschlechtssympathie des Körpers so leicht mit in Aufruhr versetzt.

Merkwürdig bleibt es dabey, daß die vollständige Befriedigung des unnennbaren Triebes so leicht die Begeisterung und die Besessenheit zerstört und aufhebt. [141] Man könnte daraus schließen, daß bey beyden nur eine Kraft thätig sey, und daß allein die Hemmung derselben auf dem Körperwege die Seele in Aufruhr setze. Begeisterung, Besessenheit, könnte man glauben, wären also bloß unnatürliche Wirkungsarten der körperlichen Bildungskraft, welche sich im natürlichen Zustande durch den unnennbaren Trieb äußern.

Es läßt sich für diese Meinung noch Mehreres nicht ohne Anschein anführen. Denn es ist gewiß, daß Menschen, welche dem unnennbaren Triebe freyen Lauf lassen, eben nicht in Gefahr gerathen, in den Zustand, der Begeisterung oder der Besessenheit zu kommen. Es ist wahr, daß alle Gaukler, welche den unaufgeklärten Menschen durch Erscheinungen von Geistern zu täuschen suchen, dazu ausschweifende Personen auswählen, und diesen die strengste Enthaltsamkeit von dem unnennbaren Genuß auflegen. Es ist wahr, daß nichts die Schwärmerey so sehr befördert, als die Hemmung starker Begierden nach Körpervereinigung, und die Geschichte vieler Verliebten, Mönche und Religiosen, deren Kopf durch Liebe zu wirklichen Personen oder personificierten Wesen verrückt wurde, beweiset, daß heißes Blut, verbunden mit der Unmöglichkeit, es auf die natürliche Weise abzukühlen, der Grund ihrer Verrückung geworden ist. Es ist endlich nicht zu läugnen, daß veraltete Buhlerinnen, reuige Wüstlinge, aus Verzweiflung oder aus Ueberdruß, die Freuden der Körperwelt mit denen des Reichs der Geister vertauscht haben.

Allein, genau erwogen, scheinen mir alle diese Gründe zwar den genauen Zusammenhang des schwärmerischen Aneignungstriebes der Seele und des unnennbaren Körpertriebes, ingleichen der Kräfte, die bey beyden [142] zum Grunde liegen, nicht aber ihre Identität zu beweisen. Beyde Kräfte sind unstreitig Arten einer und derselben Hauptkraft, oder eines Hauptvermögens unsers Wesens, nehmlich der Geschlechtssympathie. Sie können beyde neben einander gedacht, und es kann demnach angenommen werden, daß wenn eine von beyden in unverhältnißmäßige Wirksamkeit gegen die andere gebracht wird, die zurückgesetzte dadurch in ihren Aeußerungen gehemmt; daß hingegen, wenn die eine der andern nur übergeordnet wird, diese durch Mitwirkung der andern ungewöhnlich verstärkt werde.

Wäre in beyden Fällen nur eine Kraft geschäftig, die zuweilen durch eine unnatürliche Wirkungsart verschiedene Aeußerungen hervorbrächte; so müßten wir eine glühende Phantasie nie bey starken körperlichen Begierden und ihrer ausgelassenen Befriedigung antreffen können. Die Erfahrung müßte uns lehren, daß jeder Mensch, der den unnennbaren Trieb in einem großen Grade von Stärke empfände, sobald dieser gehemmt würde, in Begeisterung geriethe; umgekehrt, daß seine Begeisterung jedesmahl endigen werde, wenn er dem unnennbaren Triebe freyen Lauf ließe. Hierüber läßt sich aber keine einförmige Erfahrung annehmen. Ich habe Menschen gekannt, die zu gleicher Zeit dem Anfall der stärksten Begierden, und dem Zustande der Besessenheit ausgesetzt waren. Dieß beweißt auch die Geschichte so vieler Heiligen, die während ihrer Schwärmerey zugleich gegen die Anfälle des Fleisches und Blutes zu kämpfen hatten. Es ist mir mehr als ein Fall vorgekommen, worin Menschen, in Ansehung des unnennbaren Triebes ihre völlige Befriedigung erhalten hatten, und dennoch, weil der schlaue Gegenstand ihrer Leidenschaft [143] ihren Geist in starker Spannung zu erhalten wußte, in völliger Besessenheit erhalten wurden. Wie viele verblendete Ehemänner befinden sich nicht in dieser Lage gegen ihre koquetten Weiber! Ich habe Menschen gekannt, die bey der feurigsten Imagination, selbst in Zeiten, worin diese abgespannt war, wenig von körperlichen Trieben zu leiden hatten; und endlich berufe ich mich dreist darauf, daß man den größten Haufen unter den Wüstlingen und ausschweifenden Weibern zur Enthaltsamkeit zwingen könne, ohne daß sie darum in Begeisterung gerathen werden.

Ich glaube hierdurch das Gewagte in den Behauptungen derjenigen gezeigt zu haben, welche vorgaben, daß die Inbrunst der Schwärmer von ihnen mehr oder minder in denjenigen Theilen gefühlt werde, in die schon Plato den Sitz des Begehrens setzt, daß an allen Schwärmereyen der Körper mehr Theil als die Seele habe; und daß bey aller Begeisterung und Besessenheit Begierden nach körperlicher Vereinigung zum Grunde lägen. Beydes wird zwar oft zusammen angetroffen, aber es steht in keiner unbedingten Vereinigung und Abhängigkeit von einander, und wenn es zusammengeht, so scheint der Fall viel häufiger zu seyn, daß die Lüsternheit der Seele den Körper mit einer ähnlichen ansteckt, als daß die Lüsternheit des Körpers einen ähnlichen Aufruhr in der Seele erwecken.

[144]
Vierter Excurs.
Werth des heißen Bluts für das Gefühl der Liebe, des Vollkommenen, des Edeln und des Schönen.

Man kann sittlich gebildete Frauenzimmer nicht stärker beleidigen, als wenn man ihnen ein heißes Blut, (das heißt in der Sprache des gemeinen Lebens, eine ungewöhnliche Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie,) Schuld giebt; man kann ihnen nicht stärker schmeicheln, als wenn man ihnen viel liebende Anlagen und viel Schönheitssinn zuschreibt. Demungeachtet behauptet man sehr oft, daß Wollüstlinge und Buhlerinnen die meiste Gutherzigkeit und den stärksten Sinn für das Edle und Schöne besitzen. Man will bemerkt haben, daß sie nach dem Verlust aller Schamhaftigkeit den geselligen Tugenden der Offenheit, der Zuverlässigkeit und des thätigen Mitleidens treu bleiben. Man sieht es als eine sichere Erfahrung an, daß die größten Künstler, die größten Helden, die ausschweifendsten Menschen gewesen sind, und schließt daraus, das heißes Blut die Anlage zum liebenden Herzen, und zum Sinn des Schönen, des Edeln und des Vollkommnen sey. Die Sache verdient allerdings eine nähere Beleuchtung.

Es ist gewiß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Regel nach keine zerstörende und ausschließende Triebe hervorbringt. Ihr Genuß dient nicht schlechterdings und unmittelbar zur nothdürftigen Erhaltung unsers Lebens, trägt also den Charakter der Wollust, die schon etwas Aehnliches mit der Wonne der Liebe hat, an sich. Sie wird am vollständigsten in der Verbindung mit andern Geschöpfen unserer Gattung befriedigt, deren Mitgenuß den unsrigen nicht hemmt, vielmehr unmittelbar [145] vermehrt, und uns sogar das angenehme, für die Eitelkeit so wichtige Gefühl einflößt, daß wir andern körperlich eben so viel werth sind, als sie uns. Natürlich entstehen dadurch Ideen von Theilnehmung an anderer Freude, selbst bey den rohesten Menschen. Der Trieb nach Häuslichkeit, nach wechselseitiger Unterhaltung, nach Befriedigung üppiger Eitelkeit, und nach dem Stolz auf den Besitz der Person, kurz, die Geschlechtssympathie der Seele, tritt leicht hinzu, und alles dieß, ohne die Liebe selbst zu seyn, bereitet doch unser Herz dazu vor, für das Glück anderer Menschen empfindlich zu werden, und mit Wonne darnach zu streben.

Es läßt sich nicht läugnen, daß eine höhere Reitzbarkeit unserer ganzen Organisation mit der stärkeren Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie verbunden sey. Denn nicht die Stärke der Constitution, sondern die höhere Reitzbarkeit der Nerven und der übrigen Empfindungswerkzeuge giebt den mittäglichen Völkern, und oft den Menschen von schwächerem Körperbaue unter den nördlichen, die heftigeren Begierden. Nun steht mit der Empfindlichkeit der äußern Organe die der innern in dem genauesten Verhältnisse, und so läßt es sich erklären, wie der Mensch, der den Anfällen der Geschlechtssympathie am meisten ausgesetzt ist, den Eindruck des Vollkommenen, Edeln und Schönen feiner und stärker empfinden könne, als ein anderer. Dazu kommt, daß die Einbildungskraft und die Phantasie mit den Kräften, welche bey der Geschlechtssympathie des Körpers wirksam sind, in einem ziemlich genauen Consense stehen; und so wird es um so mehr erklärbar, wie der höchste Reitz des Körpers auch zugleich die Bilder der Seele erhöhen und uns annähern könne.

[146] Ich nehme es daher gern als gewiß an, daß ein stärkeres Maß von körperlicher Geschlechtssympathie, das heiße Blut, den liebenden Affekten, so wie dem Sinn des Schönen, Edeln und Vollkommenen zuträglich seyn könne. Schon Claudian hat die Bemerkung gemacht, daß Verschnittene gemeiniglich den eigennützigsten Charakter zeigen; [1] und meine eigene Erfahrung überzeugt mich, daß sie voller Neid und Eitelkeit sind. Ich läugne ferner nicht, daß galante Weiber viele Anlagen haben, schwärmerische Anhängerinnen an Vollkommenheit zu werden, und daß Liebhaber des physisch und immateriellen Schönen ohne große Disposition zur Ueppigkeit und Lüsternheit selten gefunden werden dürften.

Demungeachtet ist beydes keinesweges in dem Verhältnisse unmittelbarer Ursach zur Wirkung[WS 1] mit einander verbunden, und die Art der Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie kann sehr oft die Anlage zu liebenden Affekten, und zum Sinn des Vollkommenen, Edeln und Schönen ganz zerstören.

Das heiße Blut führt, wie gesagt, auf eine hohe Anlage zur Reitzbarkeit überhaupt zurück. Eben so gut als diese zur feineren und stärkeren Empfindung der Wonne, der Liebe und der Beschauung hingeleitet werden kann, eben so gut kann sich die Selbstheit derselben bemeistern. Und dieß ist gewiß alsdann der Fall, wenn wir die körperliche Geschlechtssympathie, und besonders den unnennbaren Trieb, als eine bloß körperliche Wollust, oder gar als ein körperliches Bedürfniß betrachten, und als solche zu befriedigen streben. Liebe läßt sich ohne Vorstellung von etwas Immateriellen nicht denken. [147] Liebe ist eine Reitzung für die Seele; denn sie ist das Streben nach der Ueberzeugung von dem Glück eines andern. Wer sich also die Befriedigung der Geschlechtssympathie bloß als eine körperliche Wollust, als ein begünstigtes körperliches Bedürfniß denkt, muß sehr leicht die Person des andern, in deren Gesellschaft ihm beydes gelingt, bloß als ein Mittel ansehen, ein eigennütziges Wohl für sich herbeyzuführen, auf welches er zwar einen Werth, aber nur in so fern legt, als er das Mittel nutzen kann.

Sind wir nun erst dahin gekommen, bey der auffallendsten und so leicht zur Liebe einladenden Verbindung mit andern Menschen unser einseitiges körperliches Vergnügen zu bezielen; so wird diese Selbstheit bey allen entfernteren Verhältnissen mit andern Menschen noch weit mehr die Leiterin unserer Gesinnungen und Handlungen seyn. Wir ziehen uns dann ganz von andern Menschen ab, wir concentrieren uns ganz in uns selbst: und wenn noch etwas in uns übrig bleiben sollte, das einem Herzen von fern ähnelte, so wäre es der Leichtsinn, mit dem wir, gleich unempfindlich gegen den Haß und die Liebe anderer, ihre Achtung und Beleidigungen mit Gleichgültigkeit ansehen. Dieß ist gewiß der Fall in allen großen Städten, wo die Sitten sehr verdorben sind, und eine völlige Schamlosigkeit in dem Genusse der körperlichen Geschlechtssympathie zum allgemeinen Tone geworden ist. Dieß ist gewiß der Fall bey der größten Classe von Buhlerinnen und Wüstlingen, und jenen so genannten Philosophen unter beyden Geschlechtern, welche die Befriedigung des unnennbaren Triebes wie die eines bloß körperlichen Appetits ansehen. Einzelne Ausnahmen, die man uns von der Gutherzigkeit und den Aufopferungen [148] öffentlicher Freudenmädchen und ausschweifender Männer entgegenstellt, beweisen nichts. Man kann weder über den Grad ihrer Sittenlosigkeit zuverlässig urtheilen, noch genau bestimmen, ob nicht Eitelkeit, oder eine vorübergehende Aufwallung von Mitleid der Grund von Handlungen gewesen sey, welche zwar in ihren Folgen liebenden Gesinnungen ähnelten, aber für ihr wirkliches Daseyn nichts beweisen.

Wehe aber, wenn nun gar das heiße Blut dem Hochmuth und der Habsucht untergeordnet wird, und beyde zusammen befriedigt werden sollen! Denkt an jene Tartüffen und Prüden! denkt an manche Fürstin, welche die Befriedigung zügelloser Begierden mit dem Zwange der Etiquette zu vereinigen sucht! Da ihre Lage sich dauernden und zärtlichen Verbindungen mit dem andern Geschlechte gemeiniglich ganz widersetzt; so suchen sie nur diejenigen Freuden bey dem Manne auf, die der Augenblick ohne Aufsehn und weitere Folgen darbietet. Die Heftigkeit ihrer Begierden wird durch die Hindernisse, die sie finden, noch vermehrt; sie verwandelt sich in eine Wuth, die sie ganz auf Kosten des begehrten Gegenstandes befriedigen. Mehr als Einmahl hat das unglückliche Werkzeug ihrer einseitigen thierischen Freuden mit seinem Leben und mit seinem Glück die Spuren ihrer Schande bedecken müssen.

Eben so wenig beweiset das Daseyn des heißen Bluts unbedingt für die Anlage zum Gefühl des Vollkommenen, Edeln und Schönen. Bey einer schamlosen und sogar nur häufigen Befriedigung des unnennbaren Triebes geht die höhere Reitzbarkeit der Seelenkräfte überhaupt, so wie besonders der Phantasie, leicht verloren. Man darf sich hier nicht auf Wollüstlinge berufen, welche [149] gern außerordentliche Dinge sehen und glauben. Dieß sind eigentlich keine Begeisterte und Schwärmer. Sie sehen nur schlecht was man ihnen zeigt, und lassen sich gern berücken. Dennoch sind alle Betrüger, welche übernatürliche Erscheinungen hervorzubringen suchen, so sehr bemüht, den Leichtgläubigen, welche sie täuschen wollen, Enthaltsamkeit auf einige Zeit vor der versprochenen Erscheinung zur Pflicht zu machen. Offenbar in keiner andern Absicht, als um den Geist dieser Schwachköpfe fähiger zu machen, nach dem Außerordentlichen und Seltenen zu streben, und sich die Bilder, die ihnen gezeigt werden, lebhafter darzustellen. Wahre Schwärmer, besonders für Vollkommenheit, wird man selten unter ausschweifenden Menschen finden; gemeiniglich sind es solche, die bey einer großen Reitzbarkeit der Organisation, – deren Folge gemeiniglich das heiße Blut ist, – den unnennbaren Trieb bezwungen oder willkührlich in seiner Wirksamkeit hemmen, und dadurch die Reitzbarkeit der Seele erhöhen.

Der Sinn für Schönheit, es sey der intellektuellen oder physischen Form, geht bey schamloser Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie gleichfalls leicht verloren. Aehnlich den Trunkenbolden, deren Gaumen am Ende von guten und schlechten Getränken auf gleiche Art gereitzt wird, kommt auch der Schamlose sehr leicht dahin, das Gefällige und Ungefällige gleich anziehend zu finden, wenn es nur die gröbsten[WS 2] Triebe zu erwecken im Stande ist. Es ist eben so traurig als widerlich anzusehen, wie eine lascive Imagination oft durch die entferntesten, schmutzigsten und ekelhaftesten Veranlassungen in förmliche Wuth der Begierden ausbricht.

[150] Wenn man sich dagegen auf Künstler beruft, die bey wahrer Liederlichkeit einen feinen und starken Sinn für das Schöne gehabt haben, so wird zuerst das Talent der Ausführung und Nachahmung sehr oft mit dem Sinne des Schönen, mit der Schöpfungsgabe und mit Geschmack verwechselt, wie dieß bey so manchem Niederländischen Künstler der Fall ist. Wo aber auch beydes zusammen gegangen ist, da muß erwogen werden, daß sich der Beschauungshang und die Schöpfungsgabe des Schönen lange vorher entwickelt, lange vorher in der Seele des Künstlers gegründet hatten, ehe der Hang zur Ausschweifung herrschend wurde. Dieß war der Fall bey Raphael, Guido und andern. Hier konnte der Sinn des Schönen durch den Mißbrauch der körperlichen Geschlechtssympathie nicht mehr zerstört werden.

Aus allem diesen folgt so viel, daß das heiße Blut, als die größere Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie betrachtet, bloß eine begleitende Folge der höheren Reitzbarkeit unserer Organisation sey; daß diese Reitzbarkeit die liebende Disposition unsers Wesens, das Herz, und die Disposition zum Gefühl des Vollkommnen Edeln und Schönen, den Beschauungshang befördere, daß sie aber, wenn der körperlichen Geschlechtssympathie auf eine eigennützige Art, und ohne Mitwirkung der Seele gehuldigt wird, beyden sehr gefährlich werden könne. Man darf daher dreist sagen, daß manche Personen kalte Herzen und kalte Phantasie bey heißem Blute haben; und dieß um so mehr, da sehr oft die heftigen Begierden, besonders nach Befriedigung des unnennbaren Triebes, Folgen der Angewöhnung zu einer gewissen Art von körperlicher Reitzung zu seyn, und nicht einmahl von angeborner stärkerer Maße körperlicher Geschlechtssympathie [151] herzurühren pflegen. Es ist eine gewisse Erfahrung, so sonderbar sie auch klingt, daß der unnennbare Trieb oft ohne wahre Lüsternheit, bloß als Bedürfniß sich gewaltsam meldet. Es giebt daher viele Menschen, die bey einem unwiderstehlichen Hange zu Ausschweifungen von aller liebenden Empfindung, und von aller Imagination entblößt sind, so sehr auch in andern Fällen das heiße Blut, vorzüglich wenn es angeboren ist, und von Herz und Beschauungshang geleitet wird, beyde unterstützen mag.


Fünfter Excurs.
Werth der Geschlechtssympathie der Seele und besonders des schwärmerischen Aneignungstriebes der Geister für Liebe und Beschauungswonne am Vollkommnen, Edeln und Schönen.

Es ist beynahe unbegreiflich, es giebt Menschen, es giebt ganze Nationen, die sich sehr leicht für alles Neue, Seltene, Außerordentliche begeistern, sich mit Schwärmerey gewisse Bilder von erträumter Vollkommenheit aneignen, und dabey von allen liebenden Empfindungen, ja von allem Begriff des wahrhaft Vollkommenen, und von allem wahren Geschmack entblößt zu seyn scheinen. Schreckliche Egoisten, jämmerliche Schöpfer in den Künsten bey der glühendsten Phantasie! Woher das? Warum das?

Daher, darum, weil die Geschlechtssympathie der Seele nichts für Liebe, Vollkommenheits- und Edelsinn und den Sinn des Schönen beweiset.

[152] Liebe ist allemahl wonnevolles Streben nach der Ueberzeugung, daß ein anderer sich glücklich fühle. Es kann also zuerst die Ueppigkeit der Seele, als der unterste Grad ihrer Geschlechtssympathie, jener Trieb nach Häuslichkeit, nach Befriedigung der Eitelkeit, nach Stolz auf den Besitz der Person, u. s. w. erregt seyn, ohne Liebe zu erwecken. Der Mensch, dessen Seele wir aus solchen Gründen uns anzueignen streben, wird bloß als ein Mittel betrachtet, uns diese Art von Genuß zu bereiten; mithin genießen wir ganz eigennützig und unbekümmert um sein Wohl, die Gewährung unsers Häuslichkeitstriebes, unserer Eitelkeit, unsers Stolzes. Darum ist die Galanterie vielleicht nirgends höher getrieben, als in den südlichen Theilen von Europa, und nirgends weniger Liebe anzutreffen gewesen.

Aus eben diesem Grunde kann auch die höhere Stufe der Geschlechtssympathie, die Wirksamkeit des schwärmerischen Aneignungs- und Verwandlungstriebes der Geister nicht für Liebe gelten. Dieß ist oben bereits gezeigt worden. Das Bild in unserer Seele ist keines Bewußtseins seines Glücks fähig: nur das empfindende Wesen, das den Stoff zu dem Bilde hergiebt, kann von uns als selbständig glücklich erkannt werden. Vergessen wir nun über jenem Bilde dieß empfindende Original; so sind wir aller Liebe zu diesem unfähig, so sind wir im Stande, die größten Grausamkeiten gegen das letzte auszuüben, bloß um das erste in seiner phantastischen Consistenz zu erhalten. So verfuhren die Athenienser mit dem Vaterlande und mit der Freyheit. Sic empfanden Wonne an dem Bilde, und mordeten, unterjochten die Mitbürger und ihre wahre Freyheit. Die neuern Franzosen unter Robespierre machten es nicht besser.

[153] Dieser begeisterte Aneignungs- und Selbstverwandlungstrieb ist auch noch weit von Vollkommenheitssinn, Edel- und Schönheitssinn, von Genie und von Geschmack verschieden. Denn jene Triebe setzen weiter nichts zum Voraus, als die Gabe, sich ein gewisses Bild, dem wir einen für uns schätzungswerthen Vorzug, oder eine dunkel empfundene Vollkommenheit beylegen, lebhaft aneignen zu können.

Dieß Bild kann aber, wenn es auf Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit reduciert wird, nichts an sich tragen, was unsern Enthusiasmus rechtfertigt. Ein dunkler Schatten, den wir nur sehr lebhaft auf unsere Lieblingstriebe beziehen, und der uns in einer zur Prüfung unfähigen Minute überrascht, reicht oft hin, unsere Phantasie völlig einzunehmen. Auch brauchen wir dabey unsere schaffende Einbildungskraft in keine große Unkosten zu setzen. Die Bilder können uns ganz fertig geliefert werden. Je weniger klar sie geliefert werden, je weniger sie die Prüfung des Verstandes und der Vernunft aushalten, um desto stärker pflegen sie auf uns zu wirken. Daher die Erfahrung, daß Begeisterte, Schwärmer und Wahnsinnige oft elende Erfinder, geniearme Dichter und Künstler, und geschmacklose Liebhaber des Schönen seyn können.

Demungeachtet enthält die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, jene feinere Ueppigkeit, jene höhere Lüsternheit, unstreitig eine sehr glückliche Disposition zu liebenden Affekten, und zu Wonnegefühlen des Vollkommenen, Edeln und Schönen, wenn Herz und richtiger Anschauungssinn damit verbunden sind. Schwerlich wird man sich eine liebende Seele denken können, die nicht hohen Werth auf Häuslichkeit, auf üppige [154] Eitelkeit und Stolz des Besitzes der Person setzt, und nicht zuweilen die geheime Ahndung und den Wunsch fühlt, sich den Geist eines andern ganz aneignen zu können. Schwerlich ist je etwas Edles und Schönes gethan und geschaffen, ohne jene Ueppigkeit der Seele, die sich genau mit der Vorstellung ihres Gegenstandes verbindet, diesen gleichsam häuslich mit sich vereinigt, und sich durch dessen Besitz ausgezeichnet fühlt. Schwerlich sind je hohe Aufopferungen für Vollkommenheit, Adel und Schönheit dargebracht worden ohne Begeisterung, welche diese Anschauungen zum lebhaftesten Bilde der Phantasie hebt; ohne Enthusiasmus, welcher die Eigenschaften dieses Bildes mit dem Lieblingsbilde von unserm Selbst zu vereinigen sucht; endlich ohne jenen schwärmerischen Aneignungs- und Verwandlungstrieb, der sogar den ganzen Geist, das ganze Wesen dieses Bildes in sein Selbstbewußtseyn aufzunehmen strebt.

Das stärkere Maß der Geschlechtssympathie der Seele ist folglich eine glückliche Anlage, der sich die Liebe, der sich der Beschauungshang, zur Beförderung ihrer Triebe mit Vortheil bemeistern können; es kann aber auch eben so gut dem Eigennutz fröhnen müssen. Es befördert oft die Erfindungskraft, das Genie, den Scharfsinn, den Geschmack; aber es ist auch eben so oft der Antheil der Schwachköpfe und der Stümper in allen Fächern.


  1. Saevius in aurum aestuat succisa libido.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wirkurg
  2. Vorlage: grödsten