Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil/Zehntes Buch

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Zehntes Buch.
Veredlung und Verschönerung der Mittel, Gegenliebe zu erwecken.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Fern von mir, ihr Systeme von Verführung, durch deren Befolgung verworfene Heuchler unbefangene Herzen in Liebe zu verstricken wissen! Fern von mir, ihr conventionellen Verhaltungsregeln, die der wohlerzogene Wüstling beobachtet, um das leichtfertige Weib der großen Welt vor der Schande einer zu leichten Niederlage zu retten! Fern von mir ihr Ränke, durch welche der listige Wüstling, mit Hülfe der Eitelkeit und der Sinne, über die Gewinnsucht der Buhlerin den Sieg davon trägt, und sie um den Genuß betrügt, den sie sonst nur für Gold einräumt. Wer Künste dieser Art kennen lernen will, den werden die Werke eines de la Clos, Crebillon und Ovid unterrichten, der wird sich die Verfahrungsart zu eigen machen müssen, die sie in ihren Schriften lehren. [1]

[200] Ich lehre, wie wahre Liebe durch Verstand und Vernunft geleitet, Gegenliebe gewinnt; ich lehre, wie sie selbst in dieser Bestrebung edel und schön erscheinen kann!

Aber ist es nicht hinreichend zu lieben, um wieder geliebt zu werden? Nein! Erfahrung lehrt es, daß die reinste, treueste, ausdauerndste Liebe, daß Aufopferungen jeder Art zwar Dankbarkeit und Mitleiden erwecken, Angewöhnung hervorbringen, die Sinne mit einem vorübergehenden Aufruhr anstecken, den Geist eben so vorübergehend begeistern, aber nicht zureichend sind, das Herz zu gewinnen!

Wohl! ist es nicht genug zu lieben, so sey zugleich liebenswerth! Der Mann, der unerhört liebt, war vielleicht häßlich am Körper, langweilig in seiner Unterhaltung, verworfen in seinen Sitten? – Du irrst dich, das war er nicht. Ziemlich häufige Beyspiele müssen dich gelehrt haben, daß Menschen, die allgemein ihrer Schönheit wegen bewundert werden; Menschen, welche die Aufmerksamkeit ganzer Gesellschaften durch ihre Unterhaltungsgaben auf sich ziehen; Menschen, die als Muster der Sittlichkeit aufgestellt werden können, vergebens nach dem Besitze eines Herzens streben, das vielleicht dem Manne zu Theil wird, der gleich unvollkommen an Leib und Seele erscheint!

So ist denn der Gewinn des Herzens ein Werk des bloßen Zufalls; eine Gabe, ein Geschenk des Himmels, zu der unsere Kräfte und deren Leitung nichts beytragen? Hier gehst du wieder zu weit! Freylich, Anlagen, die nicht ganz unser Werk sind, werden vorausgesetzt. Aber wir müssen sie kennen, um sie zu entwickeln; sie lassen sich ausbilden, und durch Fleiß und Kunst [201] zum Theil ersetzen. Ihre Anwendung muß gewissen Vorschriften unterworfen werden können, die ihnen ihre freyere Wirksamkeit sichern. Und wenn wir diese befolgen, wenn wir Gelegenheit haben, unsere Vorzüge geltend zu machen, wenn wir stetig in unserm Bestreben sind; o! so laßt uns hoffen, wenn anders das Herz, das wir zu gewinnen suchen, noch frey ist, daß wir es besitzen, und Gegenliebe darin erwecken werden!


Zweytes Kapitel.
Allgemeine Maxime bey der Bemühung, Gegenliebe zu erwecken.

Zwey Fehler werden gemeiniglich von denjenigen begangen, die in ihren Bestrebungen nach dem Besitz eines Herzens unglücklich sind. Sie halten sich zu sehr an die eine Seite der Reitzbarkeit des Weibes, und suchen nur diese zu rühren: dann wissen sie nicht genug die Vorzüge, welche sie besitzen, der Geliebten gerade in den Verhältnissen ihres Geschlechts und ihrer individuellen Person wichtig für die Selbstheit, interessant für die Sympathie und beschauungswerth erscheinen zu lassen.

Jede zärtliche Anhänglichkeit besteht, wie ich oft gesagt habe, und nicht genug wiederholen kann, aus einer Menge der ungleichartigsten Triebe, die ihre Richtung auf eine bestimmte Person genommen haben: aus Trieben der Selbstheit, der Sympathie, des Beschauungshanges. Wer zärtliche Anhänglichkeit erwecken will, darf daher nicht allein auf eine dieser drey Seiten unserer Reitzbarkeit los arbeiten. Er muß sie alle drey zu erwecken wissen!

[202] Werde wichtig für die Selbstheit, werde interessant für die Sympathie, werde reitzend, entzückend für den Beschauungshang, werde alles das zugleich, und werde es gerade vor den Augen des Geliebten, in den Verhältnissen ihres Geschlechts und ihrer Person; – das ist das große Geheimniß, welches den Gewinn der Herzen sichert.


Was hilft dir aller Ruhm, den du bey entfernten Nationen eingeerntet hast, wenn er nicht dazu dient, dir und dem Weibe, das du durch deine Wahl auszeichnest, in der örtlichen Gesellschaft, worin du mit ihm lebst, Ansehn zu verschaffen? Du wunderst dich, daß große Feldherrn, Staatsmänner, Künstler und Gelehrte die Herzen eitler Weiber durch den Abglanz des Ruhms, den sie auf die Geliebte warfen, nicht gefesselt haben! Weißt du denn auch, ob nicht diese großen Genies sich durch gewisse Schwächen und Fehler im geselligen Umgange um ihr Ansehen bey denen gebracht haben, die sie täglich umringten? Die Forderungen des Frauenzimmers sind örtlich, sie erstrecken sich selten über die Grenzen ihres Wirkungskreises hinaus. Ein mittelmäßiger Kopf mit einem ephemerischen Nimbus, auf den sich sein geselliges Ansehen stützt! Große der Erde, deren Mittelmäßigkeit ein beygelegter Schimmer, und eine gewisse Weltklugheit bedeckt; Dichter, deren Produkte keinen Werth haben als den, das Parterre zu füllen; Kriegsmänner, die sich öfter mit ihren Cameraden in Spielgefechten, als mit dem Feinde in Schlachten gemessen haben; alle diese Menschen mit einem bloß localen Werthe interessieren die Eitelkeit der Weiber mehr, als die Solonen, die Türennen und die Rousseaus.

[203] Allein der Mann mag der Selbstheit der Geliebten noch so sehr schmeicheln, sich ihr durch die Beförderung des geselligen Ansehens, durch Geschenke, durch Biegsamkeit in ihre Launen noch so wichtig machen; – wenn er nicht das Talent besitzt, gerade ihrer Person durch seine persönlichsten Eigenschaften wichtig zu werden; wenn er nicht gerade dadurch ihre Geschlechtssympathie zu reitzen weiß; so wird er ihrem Herzen nie sehr nahe treten!

Die Geliebte muß das Gefühl erhalten, daß der Körper des Mannes mächtig auf den ihrigen wirkt, daß sie sich gern mit ihm zur Häuslichkeit absondern, seinen Beyfall für ihre weiblichen Vorzüge ausschließend auf sich ziehen, ihm mit ihrer Person gern angehören, und seinen Geist zu dem ihrigen machen möchte.

Dieß Gefühl zu erwecken ist die wichtigste Angelegenheit des Liebhabers. Es hängt von dem Wohlverhältnisse ab, worin seine Stärke zu der Zartheit der Geliebten zu stehen kommt, von dem Triebe, den er bey ihr zu erwecken weiß, sich ihm sanft entgegen zu heben, und ihre Geschlechtsverschiedenheiten mit den seinigen zu paaren.

Die Anziehungskraft der Körper hängt freylich am wenigsten von unserer Willkühr ab; allein wenn gleich körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit nicht unmittelbar erweckt werden können, so entstehen sie doch leicht unmittelbar durch Zurückwirkung des ähnlichen Zustandes, in den die Seele versetzt wird. Und die Seele in diesen Zustand von Ueppigkeit und Lüsternheit zu versetzen, das hängt denn viel eher von der klugen Behandlung des Mannes ab. Seine Sorge muß also dahin gehen, der Geliebten das Gefühl einzuflößen, daß sie mit ihm traulicher [204] und ausgefüllter zusammen leben werde, als mit jedem andern; daß keiner so würdig sey, den Werth ihrer Reitze und der Vorzüge ihrer Person zu schätzen; daß sie in keinem den Führer, das Haupt der Verbindung so gern anerkennen möchte, als in ihm; und daß endlich die Stärke seines Geistes sich dergestalt an die Zartheit des ihrigen schmiegen könne, daß sie in dem Gefühl erhöheter Sanftheit mit ihm zusammentreffen werde.

Wo der Mann auf solche Art den Häuslichkeitstrieb, die üppige Eitelkeit der Geliebten interessieren, und hier gar begeistern kann; da wird die Ueppigkeit und Lüsternheit des Körpers leicht erwachen; da wird er der Selbstheit ihres Geschlechts und ihrer Person wichtig werden. Inzwischen gelangt er dadurch noch nicht zum völligen Besitz ihres Herzens. Er wird nur dieß erreichen, daß sie einen eigennützigen Werth auf ihn legt, den er so lange behält, bis ein anderer ihn ersetzt.

Kann er aber nun zugleich ihre Sympathie interessieren, kann er das Gefühl bey ihr erwecken, daß ihre Gunst zu seinem Glücke unentbehrlich ist, kann er sie zum anhaltenden Mitleiden über seinen Kummer, zur Wonne über sein Glück bewegen; kann er ihrem Beschauungshange die Wonne zuführen, daß der Mann, der ihr so viel werth ist, und den sie so unaussprechlich glücklich oder unglücklich machen kann, den Beyfall oder die Bewunderung eines jeden Weibes verdienen, den ihrigen verdienen würde, wenn sie ihn auch nur aus der Beschreibung kennte; – und kann er sie an alle diese Gefühle gewöhnen; ja, dann darf er sicher seyn, ihr Herz gewonnen zu haben, und wieder geliebt zu werden.

[205] So darf man denn die drey Maximen, deren Befolgung Gegenliebe erwecken, dahin ausdrucken:

Mache deine Person der Person der Geliebten wichtig! – Erwecke das Gefühl, daß sie dir unentbehrlich sey! – Erwecke jenes andere, daß du, unabhängig von allem was du ihr besonders bist, der Gegenstand eines allgemeinen Beyfalls ihres Geschlechts seyn müssest.


Drittes Kapitel.
Gemeine Art, diese Maximen zu befolgen.

Alle Verführungskünste, die in der Welt unter dem Nahmen der Künste zu lieben bekannt sind, alle Müssiggänger, die ihre Sinne, ihre Eitelkeit, ihre Belustigungssucht, durch Eroberung weiblicher Herzen zu befriedigen suchen, gehen von diesen Grundsätzen aus, befolgen diese Maximen, welche sie sich bald deutlicher bald undeutlicher denken.

Nie wird der Eigennutz allein den Besitz des Herzens verschaffen können; nicht der gröbere, nicht der feinere. Die verworfenste Buhlerin giebt ihr Herz nicht für Gold hin; sie giebt es an denjenigen, der durch seine körperlichen Vorzüge auf ihre Lüsternheit am stärksten wirkt, von dem sie zugleich überzeugt ist, daß sie seine Begierden am stärksten rege machen werde, und daß er es werth sey, sie vorzüglich bey allen Weibern ihrer Art zu befriedigen. Sie hat schon das Gefühl, daß sie mehr von ihm will, als daß er ihr bloß wichtig sey; sie will auch ihm wichtig seyn; sie will einen Vorzug an ihm kennen, der allgemeine Schätzung in ihrer Classe verdiene.

[206] Zunächst über der Buhlerin, und vielleicht in manchen Fällen unter ihr, steht die Coquette. Der Wunsch, in der Gesellschaft, worin sie lebt, Ansehn zu genießen, ist die gefährlichste Klippe ihres Herzens. Der Mann, der in den geselligen Zirkeln glänzt, worin sie auf Gewährung ihrer Eitelkeit, auf Zerstreuung, auf Betäubung ausgeht, hat den ersten Anspruch auf ihren Beyfall. Glaubt aber nicht, daß dieser Mann ihr darum Zärtlichkeit einflöße! Es darf nur ein vornehmerer, brillanterer Mann in der Gesellschaft auftreten, so wird der vorige vergessen. Aber er weiß sie zu begeistern, ihr das Gefühl einzuflößen, daß seinen Beyfall zu verdienen der sicherste Anspruch auf allgemeine Bewunderung sey; er weiß Leidenschaft zu heucheln, sympathetische Gefühle in ihr rege zu machen; sein leichtfertiger Egoismus, der ihm eine völlige Gewalt über sich selbst sichert, setzt ihn in den Stand, allen übrigen Weibern in der Gesellschaft liebenswürdig zu erscheinen. – Nun erst erwacht Zärtlichkeit und vielleicht Leidenschaft in ihrem Herzen. Der Mann, der ihrer Eitelkeit so wichtig ist, dem ist sie unentbehrlich, und dieser Mann; – jedes Weib würde sich freuen ihn zu besitzen!

Es giebt freylich Weiber, bey denen das Herz alles zu seyn scheint. Was fragen sie darnach, ob andere Menschen den Geliebten schätzen, ob er schätzungswerth sey; genug er hängt ganz allein an ihnen, er opfert sich ganz für sie auf! Nur dadurch ist er ihnen so werth, daß er so innig lieben kann! Haltet ein! eigennützigste unter allen Geschöpfen! Was euch fesselt, ist freylich das Bewußtseyn, daß ihr geliebt werdet, aber eben so sehr das Gefühl, daß ihr herrschet, daß ihr keinen Widerstand in euren Launen findet, daß ihr gängelt, bildet und leitet! Und gesteht es nur aufrichtig, derjenige Mann, der abgerissen [207] mit euch von der übrigen Welt, bloß dieß Gefühl einflößen könnte, würde euer Herz nicht lange besitzen. Aber was diesem so wohl thut, ist der Gedanke: daß der Mann, der so lieben kann, euch von allen andern Weibern beneidet wird!

Es giebt noch eine Art von Weibern, bey denen scheint der Beschauungshang allein den Schlüssel zu ihrem Herzen zu haben. Sie lieben das Ungewöhnliche, Seltene, Außerordentliche in dem Manne, hängen sich diesem allein an, oft ohne Gegenliebe, mit Aufopferung aller Selbstheit! Doch nein! Sie rechnen darauf, mit der Zeit den Geist, der den ihrigen besitzt, durch sein Herz zu gewinnen, und wenn sie ihn durch Zärtlichkeit zu sich herunter gezogen haben werden, ihrem Herzen und ihrem Stolze einen erhöheten Genuß zu bereiten.

So bleiben also die drey Gefühle: der Mann ist mir wichtig, ich bin ihm unentbehrlich, er ist werth, andern mit mir wichtig zu seyn – Gefühle, die dem Eigennutze der Sympathie und dem Beschauungshange immer zugleich angehören – Ingredienzien zu jeder Zärtlichkeit oder Leidenschaft. Derjenige, der diese erwecken will, muß jene Gefühle in dem Herzen der Geliebten zu gründen wissen.

[208]
Viertes Kapitel.
Wie diese Mittel veredelt und verschönert werden können.

Der edel liebende Mann, der Mann, der Sinn für Vollkommenheit, Adel und Schönheit hat, kann dieser Mittel nicht entbehren, wenn er Gegenliebe erwecken will. Er muß die nehmlichen Maximen befolgen. Aber er sucht sie bey der Anwendung zu veredeln und zu verschönern.

Es giebt eine Selbstheit in dem Weibe, die mit Edelsinn und Sinn für Schönheit zusammen geht: dieser sucht er wichtig zu werden. Es giebt eine Sympathie, die unter eben dieser Leitung steht; diese sucht er zu interessieren. Endlich sucht er dem Beschauungshange durch solche Bilder seiner Vorzüge zu gefallen, welche der Prüfung des Verstandes und der Vernunft unterworfen werden mögen.


Fünftes Kapitel.
In wie fern edle und schöne Liebe in dem Manne auf den Eindruck des Körpers rechnet.

Warum soll der edelste Mann, der einen schönen Körper hat, diesen für einen gleichgültigen Vorzug ansehen, um der Geliebten zu gefallen? Sie ist Mensch und Weib! und der Körper spielt eine große Rolle in der Liebe! Darin liegt nichts Niedriges und nichts Schwaches.

Ich kenne Weiber, die eine Art von Ehre darin suchen, die größte Gleichgültigkeit gegen die Figur der Männer [209] vorzugeben, welche sie auch dadurch an den Tag legen, daß sie sich an Männer von häßlichen Formen hängen. Weit entfernt, diese Gleichgültigkeit lobenswerth zu achten, – wenn sie anders nicht durch ein überwiegendes Verdienst in dem Manne gerechtfertigt wird, – schließe ich vielmehr daraus auf einen Mangel an Geschmack bey dem oft sehr unsittliche Gefühle zum Grunde liegen. Nicht selten werden diese Weiber für die Abwesenheit der Wohlgestalt durch körperliche Eigenschaften schadlos gehalten, die viel gröbere Triebe befriedigen, als diejenigen, welche das Auge für schöne Formen empfindlich macht. Noch häufiger ist es übertriebene Vorliebe zu ihrer eigenen Gestalt, die sie blind gegen die Schönheit des Mannes macht.

Andere Weiber sind zwar nicht gleichgültig gegen die Figur des Mannes, aber das, was sie an diesem rührt, ist nicht die Wohlgestalt, die unserm Geschlecht eigen seyn muß; es sind entweder Formen, welche durch den Ausdruck der Stärke die Lüsternheit erwecken, oder solche, die durch ihre Zierlichkeit auf die Ueppigkeit der Weiber wirken. Für ernste Schönheiten haben die wenigsten, besonders in unsern nördlichen Gegenden, Sinn. Ich habe noch keine gefunden, die den Apollo von Belvedere wirklich als Schönheit empfunden hätte. Ein Ganymed, ein Genius, hat selbst bey dem feiner gebildeten Frauenzimmer den Vorzug. Gröber organisierte Frauen erklären sich für den Herkules, und der ungebildete Haufe verwechselt mit einer Gestalt dieser Art die Figur eines Lastträgers und Grenadiers. So etwas nennen sie superb! Andere werden durch die ausdruckslose Form schwammiger Knaben angezogen, welche das [210] Creditiv ihrer Geistesarmuth auf Stirn und Wangen tragen: das nennen sie graciös! Einige sind so tief herabgesunken, daß sie den schamlosen Ausdruck frecher Faunenaugen für interessant, die unbehülfliche Feistigkeit der Silenen für appetissant, und beydes für schön halten. Kein Wunder, wenn Weiber, die einen solchen Geschmack hegen, und dabey Eitelkeit genug besitzen, sich mit ihrem Urtheile über Männerschönheit nicht lächerlich machen zu wollen, lieber eine gänzliche Indifferenz dagegen vorgeben.

Aber Schönheit ist ein wahrer Vorzug, so wohl für den Mann, als für das Weib. Ein Vorzug an sich selbst, weil er vielen bey dem bloßen Anblick Freude macht; ein Vorzug durch seinen Einfluß auf unsere Handlungsweise. Denn eben jener wohlgefällige Eindruck, den die Schönheit selbst auf Unbekannte macht, gewährt demjenigen, der sie an sich trägt, eine Zuverlässigkeit zu sich selbst, von der Freyheit, Leichtigkeit, Gegenwart des Geistes in allen persönlichen Unternehmungen abhängt. Ja, der schöne Mensch trägt an sich selbst ein sinnliches Vorbild des Edeln und Schönen überhaupt, das er sehr leicht auf alles anwendet, was ihm von außen zur Beurtheilung dargestellt wird. Bildende Künstler pflegen, um die Figuren die sie schaffen, zu verschönern, ihnen diejenigen Formen, denjenigen Ausdruck beyzulegen, die sie an sich selbst für schön und reitzend halten. Ungestaltete Menschen, die an einem oder dem andern Theile ihres Körpers wohlgebauet sind, pflegen an andern Menschen gemeiniglich nur diesen Theil schön zu finden. So nehmen wir gemeiniglich von uns selbst die Regel zur Beurtheilung des Wohlgefälligen ab, und bey übrigens [211] gleichen Anlagen wird gewiß die Empfindniß des Schönen bey dem schönen Menschen richtiger und sicherer seyn, als bey dem häßlichen.

Warum soll der edle Mann seine Geliebte gleichgültig gegen diesen Vorzug halten? Das wird er nicht! Aber freylich, er wird ihn bloß als eine Empfehlung betrachten, die ihm eine doppelte Verbindlichkeit auflegt, die gute Meinung die er für sich erweckt, zu rechtfertigen. Er wird seine Geliebte dadurch ehren, daß er diesem zufälligen Vorzuge im Verhältnisse zu den übrigen Vorzügen seines Geistes nur einen untergeordneten Rang einräumt. Die größte Schönheit verliert ihren Werth, wenn sie sich mit einer Anmaßung darstellt, welche auf die bloße körperliche Form alle Ansprüche zu gefallen bauet. Er wird seine Geliebte dadurch ehren, daß er ihr zu viel Geschmack zutrauet, als daß sie Formen, die nur der Buhlerin oder dem ungebildeten Weibe gefallen können, für schön halten sollte, und wenn er nur solche an sich trägt, so wird er gar keinen Werth darauf setzen. Aber er wird seinem Aeußern, welcher Art es seyn mag, einen Ausdruck beylegen, der seine liebende, sittliche, für alles Edle und Schöne empfindliche Seele darstellt; überzeugt, daß dieser auf das Herz des edeln Weibes einen stärkeren Eindruck macht, als die schönste, aber todte, ausdruckslose Form.

Es giebt einen Anstand, es giebt Blicke, Mienen, Geberden, die so gleich verkündigen, daß in dem Körper eine Seele wohnt, die sich ganz für Liebe aufopfern, alle ihre Zartheiten fühlen kann! Dieser Ausdruck ist vor allen andern reitzend. Aber er muß mit einem andern zusammengehen, [212] der Adel der Seele, männlichen Ernst, Freyheit, Festigkeit, Bewußtseyn der Selbstwürde ankündigt. Diese Hoheit und diese Liebe im Bande mit einander, die sind es, welche den stärksten Eindruck auf das zärtere Geschlecht machen. Erwecke die Ahndung, daß du zu den Füßen der Geliebten sterben, aber um keinen Preis erniedrigende Fesseln tragen würdest!

Aber hüte dich vor aller Ziererey! Glaube nicht, daß es hinreichend sey, in dem Augenblicke, worin du Eindruck auf das Herz der Geliebten zu machen wünschest, deinem Körper einen Ausdruck beyzulegen, den du nicht lange vorher dir zu eigen gemacht hattest! Liebst du wirklich, so wirst du ohnehin nicht Freyheit des Geistes genug behalten, um eine solche Rolle gut zu spielen, und der Schein des Adels, mit dem du zu glänzen suchst, wird dich steif, der Schein der Zärtlichkeit, mit dem du rühren willst, wird dich süßlich ekelhaft machen. Von früher Jugend an sey es dein Bestreben, deinen Charakter zu vervollkommnen, dein Herz zu liebenden Gefühlen zu gewöhnen, deinen Sinn für das Edle und Schöne auszubilden, und deine Handlungen nach den Gesetzen, welche dieß Studium darbietet, einzurichten. Dann wird sich die Hauptbeschäftigung deiner Seele auf deine äußern Formen eindrücken, dann werden deine Mienen und Geberden eine ungezwungene Fertigkeit erlangen, sich liebend, edel und schön darzustellen, die zwar ihrem Ursprunge und ihrer Bildung nach Folge der Ueberlegung und der Aufmerksamkeit auf dich selbst ist, aber in ihrer einzelnen Aeußerung nichts mehr von jenem Zwange und von jener Kunst verräth, die so wenig mit der Schönheit als mit der Grazie vereinbar ist.

[213] So zeigt sich denn schon bey der Art, wie wir durch unsern Körper gefallen wollen, die Wirksamkeit des Sinnes für Vollkommenheit. Wir verschmähen nicht den Vortheil, den uns ein schöner Körper, und seine todte Form gewährt, aber wir wollen, daß nur dasjenige an diesen gefallen soll, was wirklich schön ist. Kein üppiger, lüsterner, aber unverhältnißmäßiger Bau, keine weibische Zierlichkeit soll der Geliebten Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie soll entweder dasjenige schön an unsern Formen finden, was wirklich männlich wohlgestaltet ist, oder wir legen gar keinen Werth auf unsere Formen. Und selbst wenn wir diesen Werth vor ihren Augen zu haben wähnen dürfen, so betrachten wir ihn mehr als ein Creditiv auf höhere Vorzüge, die sie an uns schätzen lernen wird, als wie ein unbedingtes Mittel, ihr Herz zu rühren. Vor allen Dingen suchen wir unsern Körper denjenigen Ausdruck zu geben, aus dem der edelste Theil unsers Wesens hervor leuchtet. Die Ahndung einer edeln, schönen und liebenden Seele in unsern Formen und Bewegungen darzubieten, das ist es, wornach wir vorzüglich streben, das ist es, wodurch wir vorzüglich zu gefallen hoffen.

[214]
Sechstes Kapitel.
Vorläufige Bemerkungen über die Veredlung und Verschönerung der Urbanität überhaupt.

Nächst dem Körper ist nichts, was dem Unbekannten mehr zur Empfehlung gereicht, als dasjenige, was man Artigkeit, Manieren, Urbanität, Courteoisie, Höflichkeit, guten und feinen Ton, Welt u. s. w. nennt. Da das Frauenzimmer besonders Werth hierauf legt, und wie ich unten zeigen werde, vorzüglichen Werth darauf zu legen berechtigt ist, so verdient dieser Gegenstand hier etwas näher aus einander gesetzt zu werden.

Es giebt gewisse Pflichten, welche weder die Moral noch die Gesetze bestimmt vorschreiben; Pflichten, zu deren Beobachtung wir nicht als Mitglieder der menschlichen Gattung überhaupt, nicht als Mitglieder eines Staats, einer Familie, oder einer noch engern Verbindung schuldig sind: sondern Pflichten, welche die örtliche Gesellschaft in weiterm Umgange beym vorübergehenden Zusammentreffen mit Fremden und entfernten Bekannten, bey Zusammenkünften zur geselligen Mittheilung auflegt, Pflichten, die zum Theil auf Anerkennung der wesentlichen Maximen beruhen, wodurch sicheres und bequemes Nebeneinanderseyn befördert, und dem Ausbruche grober und niedriger Neigungen vorgebeuget wird; zum Theil aber auch auf stillschweigender oder ausdrücklicher Uebereinkunft, solche Formen zu bewahren, welche Bilder des Wohlwollens, des Zutrauens, der Schätzung, selbst für Unbekannte, erwecken, und dem Herzen, so wie dem Sinn des Edeln und Schönen wirklich schmeicheln oder schmeicheln sollen.

[215] Man kann ein vortrefflicher Mensch und Bürger und dennoch wenig bekannt mit diesen Pflichten des weitern geselligen Umgangs, wenig fertig in ihrer Ausübung seyn. Wenn wir uns in solchen weiteren Verhältnissen mit andern denken, so erscheint dieser Vorzug wie ein überflüssiger Schmuck. Man kann als Hausvater, als Camerad, als Freund und Geliebter desselben entbehren. Bey einer so nahen Verbindung wird seine Unentbehrlichkeit nicht so auffallend gefühlt. Völker im patriarchalischen Zustande, Völker, deren Staaten aus weit aus einander wohnenden Familien bestehen, scheinen zum bequemen Nebeneinanderseyn ihrer Bürger mit Beobachtung der Pflichten, welche Moral, Klugheit und bürgerliche Gesetze auflegen, auszureichen. Aber da, wo Menschen dicht neben einander wohnen, die in keine so genaue Verbindung mit einander treten können, um sich ihre Schwächen leicht zu verzeihen, und dennoch zu nahe an einander gerückt sind, als daß sie der Furcht ihrer nachtheiligen Ausbrüche überhoben seyn könnten; da fängt dieser Vorzug an, wichtig zu werden. Und hierin liegt der Grund, warum man die fertige Beobachtung der Pflichten des weiteren geselligen Umgangs Urbanität, städtisches Wesen, Höflichkeit, höfisches Wesen, genannt hat. Denn in Städten und bey Hofe fühlt man am auffallendsten den Nutzen dieser Fertigkeit; hier rücken die Menschen näher zusammen, ohne jedoch mit einander vertraut zu werden.

Urbanität – es sey mir erlaubt, diesen Nahmen statt aller andern zu gebrauchen, – Urbanität ist die fertige Beobachtung der Vorschriften, nach denen unsere Person in den Verhältnissen des weitern geselligen Umgangs [216] mit Menschen, ohne vorgängige Bekanntschaft oder Verbindung und ohne Rücksicht auf einen besondern Zweck des Nutzens oder der Unterhaltung, andern auf eine Art erscheinen kann, wodurch die gesellige Mittheilung befördert, und Vergnügen durch das bloße Zusammenseyn erweckt werden mag.

Diese Urbanität gehört zum Theil zu den Künsten oder Fertigkeiten des Nutzens: und in so fern giebt sich die Klugheit damit ab, sie nach den Regeln der Wahrheit und der Zweckmäßigkeit zu bilden. Es muß alles vermieden werden, was den Ausbruch niedriger und schädlicher Neigungen befürchten läßt; es muß in unsere Aeußerungen der Ausdruck des allgemeinen Wohlwollens, der Schätzung und des Zutrauens gelegt werden, die wir jedem Menschen, besonders dem gesitteten, schuldig sind. Dadurch wird für sicheres und bequemes Nebeneinanderseyn, selbst bey der vorübergehendsten Bekanntschaft gesorgt.

Die Aeußerungen, von denen ich rede, umfassen theils alles dasjenige Eigenthum, das von uns gewählt wird, um bey geselligen Zusammenkünften zum Gebrauch oder zur Schau zu dienen; z. B. Kleidung, Wohnung, Hausgeräth, deren Sonderbarkeit und Unzweckmäßigkeit unsern Mitmenschen leicht anstößig seyn kann; theils den Ausdruck unserer Gesinnungen durch Geberden, Mienen, Worte, allgemeine Dienstleistungen, Aufmerksamkeiten, und so weiter.

Nicht alle Menschen haben einen hinreichenden Takt von demjenigen, was wahr und zweckmäßig in der Urbanität ist: und dennoch ist es da, wo Menschen viel und [217] häufig zusammen kommen, ohne sich näher zu verbinden, höchst nöthig, daß darüber einstimmige Begriffe, und eine gleichförmige Verfahrungsart herrschen. Daher jene Conventionen unter allen Völkern, die Städte bilden und örtlichen Umgang pflegen, über die Weise, wie sich die Bewohner einander äußerlich begegnen wollen. Diese Regeln der Urbanität, die durch Convention sanktionirt sind, heißen der gesellige Ton, oder Manieren.

An jedem Orte, wo Menschen häufig zusammen kommen, sind durch ausdrückliche oder stillschweigende Uebereinkunft Regeln festgesetzt, deren Beobachtung die gesellige Mittheilung befördert, deren Vernachlässigung die Ruhe, die Bequemlichkeit, das Vergnügen des Zusammenkommens stört. Es herrscht folglich daselbst ein Ton; und dieser ist der locale Ton.

Dieser locale Ton entfernt sich oft von den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft; dann ist er schlecht: oft aber ist er mit dem Wahren und Zweckmäßigen übereinstimmend: dann ist er gut.

Der schlechteste Ton läßt sich jedoch auf eine Art modulieren, daß die Menschen, die ihn haben, durch die Abweichungen, welche sich der Mann von gutem Tone, wenn er zwischen ihnen auftritt, erlaubt, nicht beleidigt werden. Dieser, indem er ihre Manieren anzunehmen scheint, weiß sie dennoch mit den Regeln des Wahren und Zweckmäßigen in nähere Harmonie zu bringen. Ein Mann der dieß Talent besitzt, und vermöge desselben allerwärts als ein solcher Gesellschafter erscheint, der die Mittheilung befördert, und Vergnügen bey der vorübergehendsten Bekanntschaft erweckt; ein solcher Mann hat Welt, oder er besitzt die Gabe, sich nicht bloß in [218] Stadt und Hof, sondern, so weit es die Bedürfnisse der größeren Gesellschaft an allen Orten erfordern, in die ganze Welt zu schicken.

In so fern gehört die Urbanität den Künsten des Nutzens an. Aber sie kann auch zu den edlen und schönen Fertigkeiten oder Künsten gehören, in so fern sie nicht so wohl der Selbstheit und der Sympathie, als vielmehr dem Beschauungshange durch Bilder des Edeln, und durch schöne Formen Wonne zuführen soll. Auch hierüber haben die guten Sitten gemeiniglich etwas festgesetzt, und die Regeln der schönen Urbanität, die durch Convention sanktioniert sind, heißen der feine Ton, feine Manieren, oder Ton der großen Welt.

Aber wenn der urbane Mensch sich wirklich als eine Vollkommenheit darstellen soll, so ist es nicht genug, daß er sich nach jenen Vorschriften des feinen Tons richte, der oft nichts weniger als übereinstimmend mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft ist. Er muß sein urbanes Wesen zu einem harmonischen Ganzen fertigen, das seinem innern Gehalt nach ästhetisch edel, seiner äußern Form nach ästhetisch schön in jeder Rücksicht erscheint. Laßt uns also in der Urbanität die Kunst des Nutzens von der edeln und schönen Kunst wohl unterscheiden, und in jener nützlichen Fertigkeit die drey Stufen festsetzen: localen Ton, guten Ton, und Welt zu besitzen; in dieser schönen aber die beyden: feinen Ton zu haben, oder gar als ein urbanes Wesen zu erscheinen, welches das Bild absoluter Vollkommenheit erwecken kann.

Es ist wohl der Mühe werth, daß ich diese Sätze durch Beyspiele klar mache.

[219] Gesetzt, es wäre an einem gewissen Orte hergebracht, sich gar nicht um die Bezeugungen des allgemeinen Wohlwollens und der Achtung zu bekümmern, die man bey Bewillkommung oder Entlassung eines Menschen unter allen policierten Nationen angenommen findet. Niemand grüßte den andern, niemand bezeugte ihm Aufmerksamkeit bey traurigen oder fröhlichen Gelegenheiten: keiner wollte dem andern bey den Bedürfnissen der Bequemlichkeit, die er bey zufälligen Zusammenkünften mit andern haben könnte, Gefälligkeit erweisen. Auf Geberden, und die Art sich mündlich auszudrucken, würde gar nicht gesehen. Ungezwungenheit wäre der einzige Grundsatz, den man befolgen zu müssen glaubte. Ausgelassenheit, als die höchste Stufe des Vergnügens, wäre der Zweck, auf den man los arbeitete. – Darum wäre es Ton, daß kein Weib freye Scherze unbeantwortet ließe; darum wäre es Ton, daß alle Gesellen sich unter einander lächerlich machen möchten, keiner aber seinen Unmuth merken lassen dürfte. – Ein solcher Ton würde offenbar schlecht seyn, weil er der Sicherheit, Ruhe, Bequemlichkeit auf die Länge nothwendig nachtheilig werden muß. Aber ein Mensch, der diesen Ton sich ganz zu eigen gemacht hätte, so schlecht er an sich ist, würde doch mehr Anspruch auf Urbanität in dieser örtlichen Gesellschaft haben, als derjenige, der bey einem bessern Tone durch seine Steifigkeit oder Empfindlichkeit das Vergnügen der Gesellschaft stören würde.

Oder man nehme ein anderes Extrem! Es wäre an einem Orte hergebracht, sich nicht anders als unter abgemessenen Beugungen des Körpers, und unter auswendig gelernten Complimenten einander zu nähern; eine ängstliche Aufmerksamkeit auf Rang, Anstand, persönliche [220] Neigungen und Verhältnisse verhinderte allen Austausch der Gedanken, alles Spiel des Witzes. Man dürfte keinen Spaß vorbringen, aus Furcht, für satyrisch gehalten zu werden, nichts, was Kenntnisse verriethe, aus Besorgniß, durch Anmaßungen zu beleidigen; man dürfte sich bey den prächtigsten Gastmählern nicht satt essen, ohne den Vorwurf der Unmäßigkeit auf sich zu laden; – so würde dieser Ton, der ehemahls in unsern Reichsstädten gewöhnlich war, und schlechterdings alle gesellige Mittheilung hindert, unwahr, unzweckmäßig, mithin schlecht seyn. Dennoch würde derjenige Mensch, der diesen Ton ganz gefaßt hätte, viel mehr Anspruch auf Urbanität an seinem Orte haben, als derjenige, der durch freye Scherze, oder durch eine Unterhaltung, die Vorerkenntnisse voraussetzt, der Gesellschaft Anstoß gäbe oder Langeweile machte.

Laßt uns eine Gesellschaft aufsuchen, worin der Ton das Mittel zwischen jenen beyden hält. Man ist vergnügt, heiter, offen, unbefangen, aber ohne sich lärmenden Freuden, beleidigenden oder unanständigen Scherzen zu überlassen. Ein jeder beobachtet sich selbst, und achtet andere, ohne Aengstlichkeit, ohne Steifheit. Ein jeder sucht dem andern Antheil, Wohlwollen, Dienstfertigkeit, ohne Andringlichkeit und ohne Anmaßung von Seiten des Gebers und des Empfängers zu bezeugen. Gewiß, in einer solchen Gesellschaft wird man ohne Gefahr vor dem Ausbruche unbändiger Leidenschaften, mit derjenigen Behaglichkeit und Ruhe zusammen seyn, welche schon der bloße Schein der Sittlichkeit einflößt, und mit derjenigen Ungezwungenheit, die zur Einnehmung eines anständigen Vergnügens erfordert wird. Dieser Ton ist also gut: denn er ist wahr und [221] zweckmäßig, tüchtig, um die gesellige Mittheilung und das Vergnügen des Zusammenseyns zu befördern. Der Mensch, der diesen Ton hat, ist urban, nicht bloß nach Conventionen, sondern in Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft, wenn er gleich nur der frühen Angewöhnung, nicht seinem eigenen Nachdenken und eigener Selbstbestimmung, diese nützliche Fertigkeit verdanken sollte.

Gesetzt nun, ein Mann, der diesen guten Ton hat, wird in eine der vorhin von mir beschriebenen Gesellschaften verschlagen; – welches wird sein Loos seyn? Wahrscheinlich wird er außer seiner Stelle erscheinen: seine Vernachlässigung des Hergebrachten, sein Rückhalt, seine Verlegenheit, werden die übrigen beleidigen, hindern, stören. Der Ton, der also in sich wahr und zweckmäßig ist, wird, weil äußere Hindernisse seiner Wirksamkeit entgegen stehen, nicht schlecht, aber unbrauchbar seyn.

Wenn aber dieser Mann von gutem Tone nun über den endlichen Zweck der Urbanität nachzudenken anfängt, und es fühlt, daß die Maximen, die er sich gemacht hat, um behaglich neben andern einherzugehen, nach Zeit und Ort besonders modificiert werden müssen; wenn er, vermöge der Biegsamkeit des Charakters, und einer gewissen Uebung, in den localen schlechten Ton einzustimmen weiß, ohne den guten aufzuopfern; dann hat er Welt, oder denjenigen guten Ton, der nicht bloß unter gleichen Umständen immer der wahrste und tüchtigste bleibt, sondern auch unter verschiedenen Lagen die ausgebreitetste Brauchbarkeit verspricht.

So wird der Mann von Welt, wenn er in eine Gesellschaft ausgelassener Bursche tritt, ihre Munterkeit ohne den lärmenden Ausbruch der Lustigkeit, zu theilen [222] wissen; mitscherzen, ohne die Unschuld erröthen zu lassen, und wenn man ihn zur Scheibe eines beleidigenden Witzes machen will, durch eine glückliche Wendung die persönliche Beleidigung ablenken, und der Lachsucht einen allgemein belachenswerthen Gegenstand vorschieben. – So wird der Mann von Welt, der in einen steifen Zirkel tritt, in die Beobachtung der vorgeschriebenen Ceremonien eine gewisse Freyheit und Unbefangenheit bringen, die das Lästige derselben vermindert, ohne gegen die hergebrachten Begriffe anzustoßen.

Wir haben bis jetzt die drey Stufen der Urbanität, als einer nützlichen Fertigkeit, betrachtet; jetzt von eben dieser Urbanität, als einer edeln und schönen Fertigkeit.

Ich habe bereits gesagt, daß die gute Sitte auch über diese edle und schöne Fertigkeit, so wie über alle andre gern etwas bestimmt, und einen Styl, eine Mode einführt, die gemeiniglich mit dem Nahmen des feinen Tons und des Tons der großen Welt bezeichnet wird.

Offenbar liegt bey diesem Tone die Absicht unter, dem Beschauungshange durch Bilder der Vollkommenheit Wonne zuzuführen. Der gesellige Ton soll nicht bloß brauchbar, er soll auch ausgezeichnet durch gewisse Vorzüge seyn, die, ohne Beziehung auf Nutzen, wohlgefällig erscheinen.

So wie es gewöhnlich geht, so geschieht es auch hier: das Seltene wird oft mit dem Edeln, das Gezierte mit dem Schönen verwechselt. Es würde mich zu weit führen, wenn ich die Irrthümer aufzählen wollte, in die man seit Franz des Ersten Zeit bis zu uns herunter durch die Bemühung verfallen ist, der Urbanität einen edeln und schönen Charakter beyzulegen. Bald ist man [223] unerträglich steif und ceremoniös geworden, um erhaben zu scheinen; bald minaudierend, süßlich, sprudelnd, ausgelassen, kindisch einfältig, um sich zart, lebhaft und naiv darzustellen; endlich hat man gar ein tölpelhaftes, freches, sich selbst und andere vernachlässigendes Betragen angenommen, um sich durch diesen falschen Anstrich des Natürlichen und Ungezwungenen von dem großen Haufen zu unterscheiden.

Laßt uns sehen, wie der einzelne Mensch das wahre Edle, das wahre Schöne an seiner urbanen Person darstellt!

Wie! sagt sich dieser, ist es denn um der Brauchbarkeit willen allein, daß ich mich gegen andere Menschen in den weiteren Verhältnissen des geselligen Umganges so betragen muß, daß wir sicher und behaglich neben einander herwandeln können? Nein, die Vollkommenheit, der ich nachstrebe, legt mir auf, in jedem Verhältnisse meines Lebens zu seyn was ich bin, was ich seyn sollte, Mensch: mithin muß ich mich auch so im geselligen Umgange zeigen. Als Mensch bin ich mir selbst Achtung, aber auch andern Achtung und Liebe schuldig. Zeige daher beydes in jeder deiner geselligen Aeußerungen; zeige es auch dadurch, daß du dich in die Conventionen des localen und feinen Tons schickst, und da, wo sie mit deinen Begriffen von Menschenwürde und Menschenliebe nicht übereinstimmen, sie so zu modificieren suchst, daß nicht so wohl Verachtung und Haß gegen diejenigen, die sich anders betragen, als Achtung und Liebe für eure gemeinschaftliche Bestimmung, Verstand und Vernunft zu gebrauchen, aus deinem Betragen hervorblicke!

[224] Nach solchen Grundsätzen sucht sich der Mann, der Sinn für Wahrheit und Tüchtigkeit hat, in seiner Urbanität, der Bestimmung als Mensch eingedenk, darzustellen.

Aber er ist nicht bloß Mensch, er ist auch Person, und steht als solche im Verhältnisse zu Personen. Er denkt also darüber nach, die Achtung und die Liebe, die er für sich selbst und für andere in seine geselligen Aeußerungen legen will, nach seinem besondern Charakter im Verhältnisse zu dem besondern Charakter anderer Personen zu modificieren, und überall Angemessenheit erscheinen zu lassen.

Es ist seine Schuldigkeit als Mensch, in seiner Kleidung, in der Stellung seines Körpers, in seinem Ausdrucke durch Mienen, Worte und Geberden, Achtung und Liebe für sich selbst und für andere zu äußern. Wohl! Aber sollen diese Aeußerungen die nehmlichen seyn, er mag von heiterm oder melancholischem Charakter, er mag Greis oder Jüngling, er mag Hofmann oder Geschäftsmann seyn? Soll er sich eben so kleiden, stellen, geberden, reden, wenn er mit dem Bauer als wenn er mit dem Könige, wenn er mit der Dame aus der großen Welt, als wenn er mit dem Gelehrten zusammen kommt? Nein, er achtet, er liebt seine eigene Persönlichkeit! und die Persönlichkeit anderer neben seiner Menschheit; und dadurch wird er erst ganz wahr und zweckmäßig in seiner Urbanität, daß er in jedem Verhältnisse, worein ihn der weitere gesellige Umgang versetzt, denjenigen Begriff, diejenige Bestimmung ausfüllt, die als Mensch und als Person im Verhältnisse zu andern Menschen und Personen auf ihn zutreffen.

[225] Man denke sich nun einen Mann, der so, wie er ins Zimmer tritt, durch das Tragen seines Körpers, durch seinen Gang, durch seine Stellung, durch seinen Ausdruck in Geberden und Worten, durch seine Aufmerksamkeiten und Dienstleistungen, jedem sogleich ankündigt, ich achte und liebe euch als Menschen und als Personen, so weit ich diese kenne: ich achte mich aber auch selbst, als Mensch und als Person, so weit ihr diese kennen könnt; man denke sich, daß der Mann dieß nicht bloß als eine Rolle treibt, daß er zusammenhängend, bestimmt in jede seiner geselligen Aeußerungen den Ausdruck dieses Charakters legt; und nun frage ich, ob wohl der roheste Zirkel unbärtiger Knaben, oder die steifeste Zusammenkunft abgelebter Greise und Matronen, das Wahre und Tüchtige eines solchen urbanen Mannes verkennen werden? Gewiß nicht! und sollten sie ihn verkennen, so wird die weisere und bessere Classe der Menschen in allen Jahrhunderten ihn dennoch für wahr und zweckmäßig im weitern geselligen Umgange halten.

Diese auffallende Uebereinstimmung der Urbanität mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft kann nun an sich bereits den Beschauungshang zur Wonne am Vollkommnen in seiner Art reitzen. Mit diesem Gefühle ist das Edele und Schöne in der Urbanität oft verbunden, oft aber noch von ihm verschieden.

Beywerke, Stellung, Geberden, Ausrede, Wahl der Worte, u. s. w. können auf einen seltenen Geist, hohe Geburt und Stand, großes Vermögen, ausgezeichnete Schicksale, Tugenden und andere geistige Vorzüge des urbanen Mannes schließen lassen, und dadurch Bilder [226] erwecken, die den Geist des Beschauers mit der Wonne des Edeln füllen.

Eben jene Aeußerungen des urbanen Mannes können aber auch die Wonne am Schönen erwecken. Nehmt an, daß sein Gewand, sein Geräth, dem Auge geschmackvolle Gestalten darbieten, daß das Anlächeln seines Mundes dem erheiternden Sonnenblick, das Anbieten seines Arms der geschlängelten Blumenranke gleiche, daß der Wohllaut seiner Worte eurem Ohre mit harmonischen Tönen schmeichle; wird das Wohlgefallen, das ihr an diesen Formen der Urbanität nehmt, nicht noch verschieden von der Wonne an ihrer ausgezeichneten Wahrheit und Tüchtigkeit, und sogar noch verschieden von der Wonne an ihrem edeln Gehalte seyn? Unstreitig!

Gesetzt nun, die Gefühle des Edeln und Schönen, welche der urbane Mann in uns erweckte, zeigten sich unter Begleitung jener ausgezeichneten Vollständigkeit und Vortrefflichkeit, die ich oben angedeutet habe; würde dann nicht sogar das Bild einer absoluten Vollkommenheit in uns erweckt werden können?

Und so darf ich denn bereits hier als ausgemacht annehmen, was ich vielleicht in einem besondern Werke noch weitläufiger ausführen werde, daß die Urbanität, so wie jede andere edlere und schönere Fertigkeit, für den Beschauungshang arbeiten, und einem allgemeingültigen Geschmacksurtheile unterworfen werden kann. Es giebt eine Venus hospita, wie es eine Venus Charis und Urania giebt.

[227]
Siebentes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der Urbanität des Mannes in seinem Betragen gegen das Frauenzimmer.

Das zärtere Geschlecht hat besonders Ursache, Werth auf die Urbanität des unsrigen zu setzen. Seine Schamhaftigkeit, seine Schüchternheit, seine Zartheiten jeder Art, verlangen, daß der Mann den Ausbruch seiner Leidenschaften bey zufälligen Zusammenkünften doppelt bewache, und für den Werth des Menschen und der Person im Weibe eine Achtung in seinem Aeußeren bezeuge, die der rohe Haufe so sehr geneigt ist, ihm um seiner Schwäche willen zu entziehen. Darum ist von jeher Urbanität im Betragen gegen das Frauenzimmer als ein Hauptstück in den Lehren dieser Kunst betrachtet worden; darum hat es Zeiten gegeben, worin man Courteoisie, Höflichkeit überhaupt, mit Galanterie, Höflichkeit gegen das Frauenzimmer, für eins gehalten, und letzterer sogar den Anstrich von Zärtlichkeit und Leidenschaft gegeben hat.

Nur Thoren, nur steife oder ungezogene Pedanten können dem weiblichen Geschlechte Vorwürfe darüber machen, daß artige Manieren an dem unsrigen ein vorzügliches Anrecht darauf haben, ihm zu gefallen; daß oft der innere Werth des Mannes darnach angeschlagen wird. Wo sehen unsere wohlerzogenen Mädchen den Mann anders als in größeren geselligen Zusammenkünften, und wie läßt sich da eine so enge Bekanntschaft knüpfen, um über jenen innern Werth des Mannes nach zuverlässigern Gründen zu entscheiden, als diejenigen sind, welche seine Art, sich darzustellen, an die Hand giebt?

[228] Ich behaupte aber, daß diese Gründe keinesweges so unbedeutend sind, als man sie gemeiniglich angiebt. Wie viel liegt bereits in der Wahl der Kleidung, des Hausgeräthes, der Wohnung, kurz, in dem eigentlichen Beywerke, von dem die Person des urbanen Mannes umgeben wird, woraus man auf seinen Geschmack, auf die Achtung und Liebe, die er für sich selbst und andere hat, schließen kann!

Derjenige, der gar keine Sorgfalt darauf wendet, beweiset eine Vernachlässigung seiner selbst und anderer. Derjenige, der diese Sorgfalt übertreibt, beweiset entweder den übermäßigen und falschen Werth, den er auf sich selbst, oder den geringen, den er auf andere setzt, die er durch dieß Nebenwerk zu blenden und zu gewinnen sucht. Einfach, geschmackvoll, angemessen seinem Stande und seinem Charakter, übereinstimmend mit seiner ganzen Person, zusammenhängend mit allen seinen übrigen Aeußerungen, ist derjenige gekleidet, behauset, ausgerüstet, der Sinn für Vollkommenheit mit Geschmack verbindet. Und gewiß, bey dem edeln Weibe thut dieß eine größere Wirkung, als eine unverhältnißmäßige Pracht, oder eine kleinliche Sorge für Dinge, die zu den äußersten Conturen der Person des Menschen gehören.

Nicht leicht wird in irgend einem zur Urbanität gehörigen Stücke so sehr gefehlt, als in dem Anstande, womit sich der Mann in größeren geselligen Zirkeln von Damen darstellt, der Versammlung seine Aufmerksamkeit, seine Dienstfertigkeit, sein Wohlwollen, und zugleich seine Person durch äußere Handlungsweise zu erkennen giebt. Es ist sehr schwer, hier die wahre Linie zwischen Verlegenheit und Bescheidenheit, zwischen Süßlichkeit und Zuvorkommung, zwischen andringlicher Gefallsucht, [229] und dem Wunsche, eine gute Meinung für uns zu erwecken, zu treffen. Und eben so schwer ist es, nicht auf die andere Seite auszuschweifen, Hochmuth mit Selbstwürde, drückendes Zurückziehen, ängstliche, steife Verschlossenheit mit klugem Rückhalt, Verachtung anderer mit Unbefangenheit und Gleichmuth zu verwechseln. Das weibliche Geschlecht, und vorzüglich die edleren Personen unter ihm, haben darin den feinsten Takt. Besonders aber fehlen diejenigen Männer, welche in ihrem Betragen gegen das Frauenzimmer in den entfernteren Verhältnissen des geselligen Umgangs entweder die Rollen unwiderstehlicher Weiberbezwinger oder fader Höflinge, und niederträchtiger Sklaven aller Schönen übernehmen. So wenig derjenige ihnen gefallen kann, der im schnöden Selbstvertrauen bey einer vorübergehenden Bekanntschaft die Rechte einer vertraulichen Verbindung usurpirt, oder sich gar Scherze und Manieren erlaubt, welche die niedrigsten Begriffe von der Sittlichkeit des Geschlechts im Ganzen verrathen; eben so sehr wird derjenige ihnen lächerlich scheinen, der die Bestimmung der weiteren geselligen Mittheilung, und seine Würde als Mensch und Mann so sehr vergißt, um durch steife Galanterie der Ritterzeiten, oder durch andringliche Coquetterie einer neueren Petitmaitrise um den Ruhm der Artigkeit bey ihnen buhlt.

Der wahre Charakter des urbanen Mannes in seinem Verhältnisse gegen das Frauenzimmer ist geschmeidige Stärke. Der Mann darf zuvorkommender, gefälliger gegen eine Person des zärteren Geschlechts seyn, als gegen eine Person des seinigen. Er würde hart erscheinen, wenn er so, wie in dem letzten Falle sich bewachen wollte, um sich nichts zu vergeben. Aber diese Geschmeidigkeit [230] hat ihre Grenzen. Sie darf nicht bis zu einer Niederwürfigkeit gehen, die den Werth seiner Geschmeidigkeit aufhebt, und ihm bloß den Ausdruck der Weichheit giebt.

Diese Urbanität wird dann der edel und schön liebende Mann nicht verschmähen, um dem zärteren Geschlechte zu gefallen. Sie ist bey ihm Folge der edelsten Triebe unter Leitung des Verstandes und der Vernunft. Seine Biegsamkeit in den allgemein angenommenen Ton wird nicht auf Kosten seiner Selbständigkeit erkauft. Was bey dem großen Haufen mechanische Ausübung eines auswendig gelernten und schlecht verstandenen Rituals ist, das wird bey ihm Ausdruck eines individuellen Edelsinns, und eines überlegten und gebildeten Geschmacks.

Der erste Nutzen, den die Liebe aus der Urbanität zieht, ist dieser, daß die Geliebte auf den Werth des Mannes, der ihr zu gefallen sucht, aufmerksam wird, und ihn unter dem großen Haufen, den sie in ihren geselligen Zirkeln antrifft, auszeichnet.

Aber wichtiger noch für die Liebe ist die verschönerte Form, welche sie aus der Hand des urbanen Mannes eben durch diese seine Fertigkeit erhält. Er verbirgt unter dem Scheine des allgemeinen Wohlwollens auf eine Zeitlang seine Zärtlichkeit für eine bestimmte Person, und das gerührte Herz weiß dennoch in diese bloßen Formen der Höflichkeit etwas Besonderes zu legen, das doppelt schmeichelt, wenn es von der Geliebten bemerkt wird, da es neben den Reitzen der Artigkeit zugleich den Werth der Schonung für ihren Ruf, und [231] den Beweis der Feinheit des Liebhabers mit sich führt. [2]

Zwar wird derjenige, dessen Herz stark gerührt ist, seine Kunst mit minderer Freyheit und Unbefangenheit des Geistes ausüben können, als derjenige, der sich ganz in seiner Gewalt hat. Aber von Jugend auf an Wohlgezogenheit gewöhnt, durch eigenes Nachdenken und überlegte Uebung ausgebildet, wird er in der Anwendung seines Talents nie ganz gehindert werden. Er wird so urban bleiben, als die Liebe es zu seyn gestattet, und die Geliebte wird ihm den Abfall, den er durch die Schüchternheit und Verlegenheit der Leidenschaft leidet, selbst noch als einen Vorzug anzurechnen wissen.


Achtes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der geselligen Unterhaltungsgaben.

Eben so wichtig als die Urbanität ist die Gabe der geselligen Unterhaltung, um sich bey dem Frauenzimmer beliebt zu machen; jene Gabe, in geselligen Zirkeln, worin Menschen von verschiedenen [232] Fähigkeiten und Neigungen auf gemeinschaftlichen Beytrag zur Belustigung durch den Austausch der Gedanken und Gefühle rechnen, diesen Beytrag gehörig zu liefern.

Ob diese Gabe der geselligen Unterhaltung gleich oft mit der Urbanität vereinigt zu seyn pflegt, so ist sie doch nicht unmittelbar mit ihr verbunden. Man kann urban seyn, und diese Gabe in keinem hohen Grade besitzen; man kann sehr unterhaltend, und nicht sonderlich urban seyn. Beydes setzt verschiedene Anlagen und eine verschiedene Ausbildung zum Voraus. Mancher Hofmann ist langweilig, mancher Schönsprecher ist ungezogen.

Der unterhaltende Mann will belustigen: das heißt, andern durch das angenehme Bewußtseyn der Wirksamkeit ihrer Seelenkräfte, ohne mühsame Anstrengung, die Zeit vertreiben. Er muß die Langeweile verscheuchen, welche Folge der Aufmerksamkeit auf den unthätigen Zustand unsers Geistes ist; er muß das Bewußtseyn einer ernsthaften Arbeit entfernt halten, welche nur das Vorgefühl eines Bedürfnisses, eines Berufs, eines weiterliegenden Zwecks erträglich oder wohlgefällig machen kann, und welche mit der Bestimmung dieser Art von Zusammenkünften streitet.

Aber der Zirkel den er belustigen will, ist gemischt: er besteht aus Menschen von verschiedenen Neigungen und Fähigkeiten; daher können die Verhältnisse einer genaueren Bekanntschaft oder einer engeren Verbindung eben so wenig den Stoff zu dieser Belustigung hergeben, als Gegenstände, deren Kenntniß und Interesse von einer besondern Richtung des Geschmacks, und einer seltenen [233] Vorübung der Geisteskräfte abhängt, zu dieser Absicht geschickt sind.

Die Menschen die sich hier versammeln, rechnen auf Austausch der Ideen und Gefühle, auf wechselseitigen Beytrag zur Unterhaltung. Sie wollen mithandeln, um sich in einer belustigenden Thätigkeit zu fühlen, nicht bloß aufmerken oder beschauen. Talente, deren Ausübung die Aufmerksamkeit der Menge nur auf einen oder wenige Akteurs zieht, gehören an und für sich nicht zu den Gaben dieser Art geselliger Belustigung.

Dieß sind die Gesetze der Wahrheit und Zweckmäßigkeit für die gesellige Fertigkeit, wovon hier die Rede ist.

Wer folglich in einer gemischten Gesellschaft einen Satz aus der abstrakten Philosophie, aus der Algeber, aus der Rechtsgelehrsamkeit, kurz, aus irgend einer Wissenschaft oder Kunst auf die Bahn bringet, deren Interesse und Kenntniß nicht allgemein seyn kann; der handelt unwahr und unzweckmäßig, denn er verwandelt den gemischten Zirkel in eine Akademie, Sitzung oder Conferenz von Gelehrten, Geschäftsmännern oder Künstlern.

Wer aber auch einen Gegenstand von dem allgemeinsten Interesse, dessen Kenntniß bey allen vorausgesetzt werden kann, auf eine Art behandelt, wodurch die Aufmerksamkeit ganz allein auf ihn gezogen wird; der handelt gleichfalls unwahr und unzweckmäßig, denn er verwandelt das Mitgespräch, die Conversation, in eine Rede.

Inzwischen kann die gesellige Unterhaltung gar wohl für den Ort, wo sie versucht wird, unbrauchbar seyn, ohne deshalb den Vorwurf der Unwahrheit und Unzweckmäßigkeit zu verdienen. Es giebt Gesellschaften, die [234] keinen andern Stoff für die Conversation kennen, als das Kartenspiel, den Tanz, das Gastmahl, das Gespräch über die Vorfälle des Tages. Wollen wir sagen, daß diese Unterhaltung an sich eben so wahr, eben so zweckmäßig, das heißt, eben so übereinstimmend mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft, und mit dem Begriffe von dem Wesen und der Bestimmung einer Conversation sey, als diejenige, welche sich mit der Kenntniß des Menschen, seiner geselligen und bürgerlichen Lage, mit den schönen Künsten und andern Gegenständen dieser Art beschäftigt? Im geringsten nicht. Die Belustigung muß allen Menschen angemessen seyn. Aber doch nur denen, die auf diesen Nahmen Anspruch machen können? Kein menschliches Geschöpf verdient ihn, das nicht Gefühl für sittliche Würde hat; das nicht gern auf dasjenige aufmerkt, was allen Menschen zu kennen wichtig ist, weil es allen Menschen nahe liegt.

Kann es Menschen geben, die nicht an der Ausbildung der Anlagen eines Menschen, an der Verwickelung und Auflösung seiner Situationen, an der Verkettung seiner Begebenheiten, an der Abhängigkeit seines Schicksals von seinen Fähigkeiten, Neigungen, Leidenschaften, kurz, an allem demjenigen Antheil nehmen, was seinen Charakter gründet und seine Person ausmacht? Wer liebt nicht Bestimmtheit, Zusammenhang, Ordnung, Angemessenheit in allem diesem zu finden? Wer kann unempfindlich bleiben, wenn er große Beyspiele von Selbstbeherrschung oder Schwäche erzählen hört? Und wenn wir Interesse an Menschenkenntniß bey allen Menschen voraussetzen dürfen, so dürfen wir auch fordern, daß alle Mitglieder geselliger Zirkel, wenn sie an Fähigkeiten und Neigungen auch noch so gemischt sind, aber [235] doch auf Menschheit Anspruch machen, an allem was dahin gehört Antheil nehmen sollen. Wir dürfen fordern, daß die Geschichte, die schönen Künste, die Philosophie des Lebens, welche den Menschen in seinen allgemeineren Verhältnissen darstellen und beobachten, von solchen, die eine vernünftigen Wesen angemessene Unterhaltung wünschen, gekannt und geliebt werden. Aber auch dasjenige, was den einzelnen Menschen nicht so nahe angeht, aber doch alle täglich umringt, Landesverfassung, allgemein nützliche Anstalten, Sitten der Völker, Merkwürdigkeiten angrenzender Länder, Naturgeschichte und Physik, in so fern alles das allgemein verständlich, allgemein interessant seyn kann, gehört zum Stoff einer Unterhaltung, wie sie vernünftigen Wesen ziemt.

Eine solche Wahl der Gegenstände zur Conversation muß zugleich von einer Behandlung begleitet werden, die dem Zweck geselliger Belustigung angemessen, und mit der Würde des Menschen übereinstimmend ist. Diese verträgt keine Alltagsgedanken, keine auffallenden Unrichtigkeiten, die bloß den Wunsch, durch Neuheit Aufsehn zu machen, an den Tag legen; jene läßt keine tiefsinnige Untersuchungen, keine trockenen Discussionen zu. Unser Vortrag sey leicht, faßlich, durch Lebhaftigkeit und Annehmlichkeit gehoben! So werden wir spielend den Verstand und die Vernunft befriedigen, und zugleich das Herz und die Einbildungskraft begünstigen.

Eine solche Unterhaltung ist dann wahr und zweckmäßig an sich und brauchbar in allen Fällen, wo die Personen, zu deren Genuß sie zubereitet wird, sich nicht durch eigene Herabwürdigung untauglich dazu machen. Das Ungenießbare liegt dann nicht in der Sache, es liegt in ihnen.

[236] Es läßt sich aber auch der Begriff des Vollkommnen in seiner Art und des Edeln auf dieß gesellige unterhaltende Wesen anwenden. Wer in allen Fächern, die zum Gebiet der geselligen Unterhaltung gehören, die ausgebreitetsten Kenntnisse, die größte Fülle, Abwechselung, Richtigkeit, Nutzbarkeit der Ideen besitzt, diese mit dem faßlichsten, lebhaftesten, einnehmendsten Vortrage verbindet; wer dem gebildetsten und dem ungebildetsten Denker zugleich Interesse zu gewähren weiß; wer nie andere durch seine Superiorität zurückscheucht, ihnen vielmehr Vertrauen zu sich selbst einflößt, ihren Geist weckt, und ihnen Gelegenheit giebt, sich zu ihrem eigenen und der Gesellschaft Vortheil zu zeigen; – der ist gewiß ein vollkommen geselliger Unterhalter, der zugleich oft das Gefühl des Edeln erwecken mag. Er kann auch schön werden dieser gesellige Unterhalter! Seine Geberden, sein Ton, die Affluenz und der Wohlklang seiner Worte, die Bilder unter denen er seine Gedanken und Gefühle darstellt, können auf den niedern Anschauungssinn wirken, und, ganz unabhängig von dem innern Gehalt, seine Unterhaltung schmücken. Durch dieß Mittel wird oft ein Stoff, der an und für sich für die Conversation nicht passend war, auf den der Begriff des Vollkommenen in keinem Falle zutrifft, Reitze erhalten, die ihn zu dieser Bestimmung fähig machen. Ich habe Schönsprecher gekannt, (und wer hat sie nicht gekannt, der jemahls Paris gesehen hat!) welche die abstraktesten Wahrheiten, die sie selbst nicht verstanden, einem Haufen vortrugen, der sie eben so wenig verstand, aber seine Aufmerksamkeit, vermöge der sonoren und biegsamen Stimme des Sprechers, eines unerschöpflichen Stroms wohlgebaueter Perioden, und der Hervorzauberung [237] „“dunkler, die Phantasie erschütternder Bilder, dennoch gefesselt fand. Ich habe dramatische Erzähler gekannt, die den erbärmlichsten Anekdoten, die in jedes andern Munde wahre Albernheiten geworden wären, eine Einkleidung zu geben wußten, wodurch sie der Aufmerksamkeit des aufgeklärtesten Kopfes würdig wurden. Werden aber nun gar diese schönen Formen zur Behandlung eines Gegenstandes gebraucht, der schon an sich vollkommen für die Conversation paßt, erhöhen, unterstützen sie unmittelbar seinen edeln inneren Gehalt; dann erhebt der gesellige Sprecher das unterhaltende Wesen an seiner Person zu einem Bilde absoluter Vollkommenheit. So erscheint Plato in seinen Dialogen, und in einem verschiedenen Charakter Fontenelle, Voltaire, u. s. w.

Diese Vollkommenheit der geselligen Unterhaltung wird dem edeln Weibe in seinem Liebhaber nicht gleichgültig seyn, und dieser wird allerdings darauf als auf ein Mittel rechnen dürfen, sich dem Herzen der Geliebten näher zu bringen. O! es liegt eine feine und hohe Schmeicheley für das Weib in der Wahl des Stoffs zur Conversation mit ihm, und in der Art, wie wir diesen behandeln. Aber es ist auch schwerer, als man gemeiniglich glaubt, den Punkt zu treffen, wo sich Pedanterie, Geschwätz, Anmaßung, Langweiligkeit, Ziererey, von edler und schöner Unterhaltung scheiden!

Vor allen Dingen hüte dich bey der edeln Frau nicht den Verdacht zu erwecken, als ob du ihren kindischen Geist nur zum Lachen bestimmt glaubtest, oder als ob gar die Fehler und Schwächen ihrer Mitmenschen allein berechtigt wären, sie zu unterhalten. Es ist gefährlich, sage ich, sich boshafte oder auch ehe wir genau gekannt sind, zu feine Bemerkungen über die Mängel anderer zu [238] erlauben. Du belustigst auf einen Augenblick, aber bald empört sich das sittliche Gefühl der Geliebten, oder es erwacht ihre Besorgniß, daß der Mann, der andere so scharf beurtheilt, sie mit gleicher Genauigkeit prüfen, und vielleicht unbillig gegen sie seyn dürfte.

Das zärtere Geschlecht hat eben so viel Anlagen zur Begeisterung für das Edle und Schöne, als Neigung für das Auffallende, Neue, Witzige, Feine; und derjenige geht gewiß den sichersten Weg zu seinem Herzen, der seinen Scharfsinn, seinen Witz, den Reichthum seiner Menschenkenntniß dazu nutzt, das Edle und Schöne von Gegenständen abzuheben, an denen der gewöhnliche Beobachter es übersieht.


Neuntes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung unsers Rufs in der bürgerlichen Gesellschaft.

Die örtliche Gesellschaft ist der Wirkungskreis des Weibes: hier gewähren Urbanität und gesellige Unterhaltungsgaben zunächst Ansehn; sie sind daher auch besonders geschickt, den Mann vor den Augen der Geliebten auszuzeichnen. Aber sie ist darum nicht gleichgültig gegen die Schätzung, die der Mann in seinen bürgerlichen Verhältnissen genießt; diese dient oft dazu jenes gesellige Ansehn zu unterstützen.

Noch jetzt hat Tapferkeit ein besonderes Anrecht auf den Beyfall des Weibes. Bey der gegenwärtigen Einrichtung unserer Staaten, wo das zärtere Geschlecht unter dem unmittelbaren Schutze der Gesetze und der öffentlichen Macht steht, kann der Antheil, den es an dem [239] Muthe des einzelnen Mannes nimmt, nicht mehr dem Beystande zugeschrieben werden, den es für seine Schwachheit von dem Helden erwartet. Er liegt in dem Ansehn, das er in der bürgerlichen Gesellschaft, und vermöge desselben in der örtlichen, wozu auch das Weib gehört, genießt. Alles was sich auszeichnet, alles was Ansehn macht, ist dem Frauenzimmer werth! Wie selten sieht es dabey auf Verdienst und innere Würdigkeit! Außerordentliche Talente und außerordentliche Schicksale, wohlerworbener und bloß erschlichener Ruhm scheinen gleiche Ansprüche auf seine Aufmerksamkeit zu haben. Eine hohe Geburt, eine äußere Decoration, ein angeborner Reichthum, machen oft auf die Weiber einen größeren Eindruck, als der Ruf des rechtschaffensten und des brauchbarsten Bürgers!

Der Mann, wie ich ihn mir denke, traut der Geliebten zu, daß sie das Edle von dem Seltenen zu unterscheiden wissen, und auf einen bloß zufälligen Vorzug wenig Werth legen werde. Er verschmäht nicht die Empfehlung, welche ihm die öffentliche Achtung und Dankbarkeit bey der Geliebten geben kann. Aber er will seinen Ruhm wirklich ruhmwürdigen Thaten verdanken; aber er weiß, daß es Bestimmungen giebt, deren Ausfüllung der Belohnung des öffentlichen Ansehns entbehrt, die im Stillen und ungesehen ein Verdienst erwirbt, das nur von wenig Edeln seines Geschlechts erkannt wird, und zu weit von dem Kreise der Wirksamkeit des Weibes entfernt liegt, als daß dieß es selbst anschlagen und beurtheilen könnte. Dann traut er der Geliebten zu, daß sie die Stimme dieser Edeln hören, und ihn darum ihrer Achtung würdig halten werde, daß er seine [240] öffentlichen Tugenden mit geselligen zu paaren weiß, und den Menschen nicht über dem Bürger vergißt.


Zehntes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der Art, sich geschickt zum Glück engerer Verbindungen darzustellen.

Willst du das sicherste Mittel kennen lernen, deine Person auf eine wohlgefällige Art der Geliebten bemerklich zu machen? Erwecke die Ahndung, daß du geschickt seyst in engerer Verbindung zu beglücken!

Nichts ist natürlicher, als daß das unverheyrathete Frauenzimmer, eingedenk seiner Bestimmung, sich dereinst mit einem Gatten von der übrigen Gesellschaft zu einem Paare abzusondern, die Anlage des Mannes vorzüglich in dieser Hinsicht beachte. Gewöhnliche Weiber berechnen die Fähigkeit zum Glück engerer Verbindungen nach der Biegsamkeit des männlichen Charakters in alle ihre Launen, nach seiner unbedingten Gefälligkeit für alle ihre Wünsche, nach dem Gehorsam gegen jeden ihrer Winke. Geistesarmuth, Mangel an Festigkeit und Energie ziehen sie oft an, statt sie abzuschrecken. Sie gründen das Glück der Verbindung auf die Hoffnung, den Gatten zu beherrschen.

Eine solche Ahndung künftiger Abhängigkeit zu erwecken, verschmäht der edle Mann! Sie ist der Würde zuwider, welche ihm Natur und bürgerliche Einrichtungen in seiner Lage gegen das zärtere Geschlecht angewiesen haben; sie streitet mit dem Wesen und der Bestimmung, die seine stärkere Person in ihren Verhältnissen [241] gegen die zärtere des Weibes bey der künftigen Vereinigung einnehmen soll, um diese vor inneren Mißverhältnissen und äußerer Unangemessenheit zu sichern. Er würde sich unwahr und unzweckmäßig darstellen, wenn er die Vorstellung der Schwäche erweckte. Dieß kann der Mann, der Gefühl für sittliche Würde hat, nicht wollen. Er wird sich als die Stütze des Weibes ankündigen, aber als eine Stütze, die sie gern umschlingen wird.

Dein Betragen zeige dich bestimmt, fest, entschlossen in deinen Grundsätzen und deiner Handlungsweise. Aber freylich, willst du durch diese Männlichkeit des Charakters das weibliche Herz zu dir hinziehen, so erwecke wahre Achtung für deinen Charakter. Zeige dich werth, der Führer des Weibes zu seyn, indem du dich selbst zu beherrschen verstehst! Hüte dich, durch Schwäche gegen deine Launen, gegen die Anfälle der Sinnlichkeit und der Eitelkeit den Verdacht zu gründen, daß du nur aus Hochmuth auf dein Geschlecht die Rolle des Stärkeren zu spielen strebst! Sey dir stets selbst gleich! Es sey dein Charakter im Ganzen, nicht die einzelne Handlung, wodurch du den Begriff des männlichen Wesens zu gründen suchst, und nie falle dabey ins Störrische und Rauhe!

Delikatesse, feines Gefühl von dem, was verbinden und wohlgefallen kann, Billigkeit, Schonung gegen anderer Fehler, gehen sehr wohl mit jenem männlichen Ernst und jener Festigkeit und Entschlossenheit zusammen. Vergiß es nicht: nur der geschmeidigen Stärke hebt sich die Zartheit gern entgegen!

Durch Befolgung dieser Grundsätze wirst du wahr und zweckmäßig als ein Wesen erscheinen, das in zärtlicher Vereinigung beglücken soll. Dein Schönheitssinn kann seine äußern Formen schmücken. Der edeln Geliebten [242] wird es nicht entgehen, wenn Eltern, Geschwister, Freunde in dir den zuverlässigsten Beystand, den sichersten Führer verehren, den zärtlichsten Genossen lieben, den feinsten Schmücker jeder ihrer Freuden mit Wonne beschauen! Der edle Sohn, Bruder, Gefährte, ist allemahl der bessere Gatte.


Eilftes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der Mittel, das Herz der Geliebten zu gewinnen, und zwar erstlich durch Erregung ihrer Sympathie für unsern liebenden Zustand.

Es ist dem Mann gelungen, die Aufmerksamkeit der Geliebten auf sich zu ziehen. Ihre Selbstheit findet ihn wichtig; ihre Sympathie interessiert sich für ihn; ihr Beschauungshang betrachtet ihn mit Wonne. Aber ihre Person hängt noch nicht an der seinigen, sie empfindet noch keine Zärtlichkeit für ihn. Ihr Herz ist noch nicht gewonnen. Eine jede andere Person seines Geschlechts, mit eben den Vorzügen ausgerüstet, hat einen gleichen Anspruch auf ihr Interesse und auf ihren Beyfall!

Hier bedarf es also eines bestimmten Angriffs auf ihre Person von Seiten des Mannes. Neue Grundsätze treten hier ein, ein anderes Betragen muß beobachtet werden.

Die erste Bemühung des Mannes muß nun dahin gehen dem geliebten Weibe zu erkennen zu geben, daß es geliebt wird.

[243] Unstreitig ist es dem Weibe schmeichelhaft, den schnellen und starken Eindruck zu bemerken, den sein erster Anblick auf uns macht. Aber du, der du ihm huldigst, hüte dich, daß die innere Bewegung, die sich an deinem Aeußeren zeigt, nicht auf Rechnung einer zu großen Reitzbarkeit gegen das Geschlecht überhaupt gesetzt werde. Hüte dich, sie mit Unbescheidenheit zu äußern. Das edle Weib will die Wirkung seiner Schönheit spüren, es will sich die Beweise nicht aufdringen lassen.

Es war nicht bloß steife Sitte gothischer Galanterie, wenn das Frauenzimmer in früheren Zeiten Werth auf die Gewalt legte, welche sich der Liebhaber anthat, ihm seine Liebe zu verbergen, und wenn dieser fürchten mußte, durch die unbehutsame Aeußerung seiner Leidenschaft zu beleidigen. Es ist tief in der Schamhaftigkeit der Frauen, tief in der Sorge für ihren Ruf, tief in der Achtung für ihren sittlichen Werth gegründet, daß sie nicht durch die Huldigungen jedes Unbekannten gerührt werden. Wie leicht setzen sie sich dadurch dem Verdacht aus, daß sie einen zu hohen Werth auf jene zufälligen Vorzüge legen, die bey vorübergehender Bekanntschaft auf unser Geschlecht Eindruck machen! Lüsternheit, Eitelkeit, die ein edles Weib nicht zu reitzen sucht, sind eben so oft der Grund dieses schnellen Eindrucks, als die Macht der Schönheit oder die Ahndung höherer Vorzüge! Der Mann, der zu dreist seine Gesinnungen zu äußern wagt, verräth, daß er entweder die Schöne für lüstern oder eitel halte, oder daß er zu sicher sey, ihr zu gefallen. Wahre Liebe ist eben so unzertrennlich von Besorgniß als von Hoffnung, und Mangel an jener setzt allemahl Mangel an Achtung für den geliebten Gegenstand zum voraus. O Weiber! ihr die ihr den großen Haufen der [244] Männer in steter Aufmerksamkeit auf eure Reitze zu erhalten sucht; ihr, die ihr sie zu verwegenen Handlungen durch eure Gefallsucht auffordert; wißt, wir fliehen euch nicht, aber es ist weder Liebe noch Achtung, die wir in unserm Busen für euch nähren.

Laß dich errathen, wenn du kannst! Verbirg so lange du es vermagst, unter dem Schleyer der Urbanität die zärtlicheren Gesinnungen, die du für das geliebte Weib hegst. Fürchte nicht, daß es ihren wahren Gehalt zu lange verkennen werde! Das Frauenzimmer hat einen sehr leisen Anschlag für die Natur der Empfindungen, die es unserm Geschlechte einflößt, und es wird dir allemahl Dank wissen, wenn du seines Rufes schonst, und wenn die Besorgniß, durch ein übereiltes Geständniß deiner Wünsche zu mißfallen, die Schätzung seines seltenen Werths an den Tag legt. Das lehrt die Schönen bereits ihr Stolz, und es bedarf dazu keines edleren Sinnes.

Aber wenn du dich deutlicher erklären darfst, wenn du durch längeren Umgang berechtigt wirst, dich um das Herz der Geliebten zu bewerben; so hüte dich dennoch, durch anmaßende Aeußerungen deiner Leidenschaft dem Rufe der Geliebten zu schaden, und den Verdacht zu erwecken, daß Eitelkeit mehr Antheil daran habe, als wahre Liebe. Verworfen ist das Weib, das mit seinem Siege zu prangen und der Welt seinen Triumph zu verkündigen liebt. Es liegt in seiner Bestimmung, die öffentliche Aufmerksamkeit so wenig als möglich beschäftigen zu wollen. Es liegt in der Zartheit seiner Denkungsart, den Mann, den es noch nicht entschlossen ist, zu erhören, dem öffentlichen Urtheile nicht Preis zu geben. Entehre also nicht die Geliebte, indem du ihr andere [245] Gesinnungen zutrauest: erniedrige nicht dich selbst, indem du deine Huldigungen zu öffentlich zur Schau trägst. Oft ist es nicht die Gottheit, die der Anbeter bey den Opfern liebt, die er ihr darbringt; es ist nur das Feyerliche, Auffallende, Außerordentliche seiner Stimmung und der äußeren Umstände, die er liebt und die er gern verkündigt.

Du mußt das Gefühl erwecken, daß die Geliebte dir unentbehrlich sey, daß dein Schicksal von ihrer Gegenliebe abhänge! Aber wie behutsam mußt du dabey verfahren, wenn du nicht bloßes Mitleiden, wohl gar Verachtung statt Gegenliebe erwecken willst! Du mußt ihre Sympathie interessieren, aber nie auf Kosten ihrer Selbstheit und ihres Beschauungshanges; du wirst jene viel zweckmäßiger interessieren, wenn du sie häufiger zur Mitfreude als zum Mitleiden einladest.

Macht dich deine Leidenschaft völlig unbrauchbar für alles was die Geliebte, was andere von dir als Bürger und Gesellschafter fordern; so erweckst du das Gefühl des Unbrauchbaren und des Unvollkommnen, und schwerlich wird das Mitleiden mit deinem kranken elenden Zustande die Mängel, die er mit sich führt, ersetzen. Darum strebe, so viel du kannst, die Vorzüge, die dich zuerst der Aufmerksamkeit der Geliebten würdig machten, beyzubehalten. Mehr; zeige, daß gerade durch deinen liebenden Zustand deine Kräfte erhöhet werden, daß du gerade, weil du liebst, viel fähiger, aufgelegter, stärker zu allem bist, was dich schätzbar und beschauungswerth machen konnte. Dann wird sich bey der Geliebten eine feine Selbstheit zu ihrer Sympathie mischen. Sie wird sich an deine Stelle setzen, sie wird den Zustand, den Liebe gehoben hat, theilen, und unvermerkt davon angesteckt [246] werden. Sie wird sich sagen, daß deine Zufriedenheit mit dir selbst das Werk der Liebe zu ihr ist, und sie wird deine Ungewißheit zu endigen suchen, um der Wonne willen, dich ganz beglückt zu sehen!

O es ist eine gefährliche Lage für das weibliche Herz, zu fühlen, der Mann, den sein liebender Zustand über sich selbst erhöht, könnte durch das Bekenntniß der Gegenliebe zum Glücklichsten der Sterblichen gehoben werden. Eine ganz andere Lage als diejenige, wenn es fühlt, daß der Mann, der tief durch Liebe unter sich selbst herabgesunken ist, durch eine Zuneigung, die Mitleiden erpreßt, wieder emporgehoben werden kann! Jenes giebt Wonne, dieß giebt nur das Genügen des befriedigten Bedürfnisses, der Pflicht oder des Mitleidens!

Die Abhängigkeit, worin uns die Geliebte von dem Besitz ihres Herzens sieht, muß nie stärker seyn, als die Abhängigkeit von unserer Selbstachtung. Wir müssen das Gefühl erwecken, daß wir alles aufopfern könnten, um mit ihr vereinigt zu werden, nur nicht unsere sittliche Würde. Bewahren wir diese, so gründen wir die Ueberzeugung, daß uns nach verlorner Hoffnung auf Gegenliebe noch immer ein Trost übrig bleibt, eine Schadloshaltung, die uns unsere Einsamkeit erträglich machen wird.

Die Befolgung dieser Vorschriften wird jene Regeln überflüssig machen, welche die List erdacht hat, die aber mit Liebe und Edelsinn im Widerspruche stehen; jene Regeln, die Ovid und seine Nachfolger uns geben, den Ausdruck der Verzweiflung zu heucheln, durch Andringlichkeit zu erobern, durch die Furcht der Erkaltung, des Abfalls, der Untreue zu schrecken, u. s. w. Edle Liebe [247] spielt nicht mit Empfindungen, die der Scharfsinn des Weibes, das nicht durch Eitelkeit geblendet wird, zu leicht durchschauet; sie verschmäht den Besitz desjenigen, was nicht das gewonnene Herz darbietet, und sie weiß, daß Ermüdung dieses nicht gewinnt, sondern nur unsere Person erträglich macht, und einzelne Gunstbezeugungen abpreßt; sie sucht zu sehr die Geliebte durch die Ueberzeugung treuer Zärtlichkeit zu beglücken, als daß sie diese durch erlogene Kälte und Untreue schrecken könnte!

Nein! edle Liebe ist weise, aber sie ist nicht hinterlistig und nicht falsch. Sie sucht nicht zu berücken. Ohne eine Rolle zu übernehmen, zeigt sie sich, wie sie ist, abhängig von Gegenliebe, standhaft in ihrer Bewerbung. Aber nur so wie es dem edeln Manne ziemt, für den es Grenzen in seiner Hoffnung, in seiner Verzweiflung, in seiner Bestrebung giebt; der immer Herr über sich bleibt, wenn das Glück seines sinnlichen Lebens mit der Würde seiner übersinnlichen Existenz in Streit geräth, und dieser allemahl jenes zum Opfer bringt. Ein solcher Mann wird in der gepaarten Person immer die Selbständigkeit bewachen, ohne welche sich keine liebende Vereinigung zwischen zwey Menschen denken läßt, und deren Mangel gerade der Gegenliebe am stärksten entgegen steht.

[248]
Zwölftes Kapitel.
Veredelte und verschönerte Aufreitzung der persönlichen Selbstheit der Geliebten.

Schmeicheleyen, unbedingte Nachgiebigkeit, Geschenke, Auszeichnungen, das sind die Mittel, wodurch gewöhnliche Liebhaber die Selbstheit des Weibes körnen. Der edle Liebhaber lobt, ist gefällig, bereichert, verkündigt den Ruhm der Geliebten; aber wie das alles auf so verschiedene Art!

Es ist schwer, dem edeln Weibe etwas über seine Schönheit zu sagen, das weder in Abgeschmacktheit noch in gesuchten Witz verfiele. Die faden Complimente eines kindischen Höflings aller Schönen erregen Ekel statt Vergnügen. Der Geist eines Fontenelle belustigt, ohne zu überzeugen. Der Witzling denkt mehr an die Schönheit der Wendung und des Ausdrucks seiner Schmeicheley, als an die Schönheit ihres Gegenstandes. Nur das Herz kann wirklich rühren!

Mahle nicht die Schönheit, ruft Lessing dem Dichter zu: stelle die Wirkung dar die sie hervorbringt! Du, der du dem edeln Weibe gefallen willst, thue mehr! Stelle den unauslöschlichen Eindruck dar, den das echte Gefühl seiner Schönheit auf dein Herz wie auf kein anderes gemacht hat! Tausende können von ihm gereitzt werden, du allein kannst fühlen was er wirklich Schönes an sich trägt; du allein paarst Achtung, Liebe, mit Bewunderung! Zu diesem Ausdruck bedarf es keiner Worte; die Darstellung deiner Empfindungen liegt in deinem Betragen. Du sprichst vielleicht am vernehmlichsten, wenn du da schweigst, wo andere noch Worte finden! Aber, [249] wenn du sprichst, o! so laß dein Herz reden, und den Sinn des Edeln und Schönen über deinen Ausdruck wachen!

Nur dem Kärner kann es hingehen, wenn er seine ausgelöschte Pfeife an den blitzenden Augen der Herzogin wieder anzustecken wünscht. Nur die eitle Elisabeth kann es wohl nehmen, wenn der Holländer eine Nacht in ihren Armen mit seinem Leben zu erkaufen bereit ist! Du wirst der Geliebten sagen, daß sie andern ihre todte Form leihen könne, und daß dich noch der bloße Ausdruck ihrer Seele bezaubern würde! Du wirst ihr sagen, daß ihr Herz und ihr Schönheitssinn sich in jeder ihrer Bewegungen mahle, daß man sich ihr mit Staunen nahe, aber sie mit Rührung verlasse! Du wirst es ihr in Augenblicken sagen, worin sich ihre Gestalt am vortheilhaftesten zeigt, worin sie sich selbst ihrer Reitze bewußt seyn kann; das Zusammentreffen eures beyderseitigen Urtheils wird ihr Gewähr für deinen Geschmack und deine Wahrheitsliebe leisten, und du wirst sicher seyn zu überzeugen.

Höheren Werth lege auf ihre Talente! Aber lobe so, daß sie Werth auf deinen Beyfall legen kann! Zeige, daß du Gefühl für die Eigenthümlichkeit ihres Geistes, für die Zartheit der Empfindung hast, die sie in alles bringt, was sie angreift. Nur dasjenige Lob kann rühren, was Kenntniß des Lobenswerthen zeigt! Verschwende es nicht; Sparsamkeit erhöht hier die Gabe! Lobe mehr durch Aufmerksamkeit als durch Worte, und wisse selbst mit Bescheidenheit zu tadeln!

Daß aber vor allen dein Beyfall diejenigen Handlungen treffe, die den sittlichen Werth deiner Geliebten gründen! Sag’ ihr, daß du sie nicht so wohl darum bewunderst, daß sie der Jugend deines Geschlechts gefalle; [250] aber daß alle vernünftige Mütter sie als Muster für ihre Töchter aufstellen, das sey dir an ihr so werth! Solch ein Lob gründet zugleich den Ruhm ihres Charakters und des deinigen! Laß dir hier nichts entschlüpfen, nichts gleichgültig seyn, was durch den Werth der Tugend Anspruch auf das Mitgefühl deines Herzens hat! Wie glücklich wirst du seyn, wenn sie einen doppelten Lohn für jede gute That in sich selbst und in deinen Augen findet!

Einst aß ich an der Tafel eines Großen in Gesellschaft eines liebenswürdigen Mädchens, das edel geliebt wurde. Es saß an der Seite des Fürsten, seinem Liebhaber gegenüber. Am Ende des Mahls wurden seltene Früchte aufgetragen. Der Fürst ließ sie herumgeben, als aber die Reihe an einen der Gäste kam, einen Greis, dem er nicht wohl wollte, so befahl er laut dem Bedienten, diesen zu übergehen. Alles staunte, alles schwieg! Das edle Mädchen faßte allein den Muth, die unerhörte Beleidigung zu versüßen. Es blickte den Geliebten an, und sandte dem übergangenen Greise seinen eigenen Antheil an den Früchten zu. Der Fürst sah es, erröthete und schwieg. Keiner wagte es, dem Mädchen seinen innern Beyfall zu bezeugen. Aber im Auge des Liebenden zitterte die Thräne der Achtung, der Dankbarkeit, der Bewunderung! Er sagte nichts, aber er sagte alles, und wie hielt sich die Edle dadurch belohnt!

Es ist ein Irrthum, wenn man glaubt, daß Weiber denjenigen am stärksten lieben, der ihren Schwächen am stärksten huldigt. Es ist nicht wahr! Eine solche unbedingte Gefälligkeit ist ein Mittel, geduldet, gelitten zu werden, aber nicht das Herz an sich zu ketten. Willst du dieß fesseln, so erwecke Achtung für deinen festen, hohen männlichen Charakter, der den Besitz des geliebten Wesens [251] über alles, aber nicht über seine sittliche Würde setzt, und lieber einsam in dem Bewußtseyn seiner Selbstgenügsamkeit trauern, als in einer Verbindung, die mit Aufopferung der Achtung für die gepaarte Person erkauft wird, ein bloß scheinbares Glück genießen will. Lasse dreist das Mißfallen merken, welches dir eine Schwäche, eine Uebereilung, eine Unvorsichtigkeit der Geliebten einflößt! Freylich muß dein Unmuth keine mürrische Strenge, keine Herrschsucht zeigen; freylich muß die Geliebte fühlen, daß es dich um ihretwillen schmerzt, daß sie deiner Achtung minder würdig erschien; freylich mußt du bey aller deiner Strenge zart zu behandeln wissen. Aber wenn Edelsinn und Liebe dich leiten, so sey sicher, die Edle wird in deinem Ernst den Wunsch, sie ununterbrochen zu achten, nicht verkennen. Sie wird ihren Fehler in Geheim verbessern, sie wird die Freude, die sie darüber in deinen Augen blinken sieht, mit Wonne wahrnehmen, und das Gefühl deiner Gerechtigkeit, die Ueberzeugung, daß dein Beyfall nur durch wahren Werth errungen werden muß, wird sie mit stärkerer Gewalt an deine Person anziehen.

Künste zu verführen, nicht Künste zu lieben sind es, die den Liebhaber lehren, Schleichwege zu gehen, um das Herz der Geliebten zu fangen; ihre Zofen zu bestechen, die Gespielinnen lächerlich zu machen, Zwistigkeiten in den Freundschafts- und Familienverbindungen zu stiften, um als Vertrauter wichtig zu werden, u. s. w. Alle diese Mittel einer elenden Intrigue verschmäht die Liebe, und besonders die edle. Sie traut dem Dienstbothen nicht die Gewalt zu, das Urtheil oder das Herz des edeln Weibes zu lenken. Sie nimmt dreist die Vertheidigung der verkannten Unschuld über sich, wenn [252] gleich der Ausspruch der Geliebten sie verdammt; überzeugt, daß sie zu stolz sey, um ihren Vorzug auf Herabwürdigung ihrer Gespielinnen zu gründen. Sie sorgt endlich zu sehr für das Glück der Geliebten, als daß sie das ihrige auf Kosten des Genusses erkaufen sollte, den Freundschaft und häusliche Einigkeit dem angebeteten Gegenstande gewähren.

Aber gütig, herablassend, höflich wird der edel Liebende gegen die Dienstbothen der Geliebten allerdings erscheinen. Dieß sind Folgen seiner Denkungsart überhaupt, und es ist natürlich, daß diejenigen, welche die Geliebte zunächst umringen, sie besonders erfahren. Behutsam in seinem Urtheile über Menschenwerth wird er seyn, wo es von dem der Geliebten abweicht, und schonend und bescheiden in seinem Widerspruche. Er wird sein Ohr gern gerechten Klagen über unglückliche Verhältnisse engerer Verbindungen leihen, und Vertrauen verdienen, ohne Anvertrauung zu erpressen.

Durch Geschenke, welche die Habsucht und die Eitelkeit befriedigen, wird die Gunst gewöhnlicher Weiber gewonnen. Aber die edle Geliebte verschmäht jedes Geschenk, das nicht seinen Werth durch das Herz erhält das es darbiethet, und je unzweydeutiger dieser Werth und ihre Uneigennützigkeit bey der Annahme erscheint, um desto kostbarer wird die Gabe.

Wem ist die Geschichte des edeln Friedrichs nicht bekannt, die uns Bocaz aufbewahret hat! Er hatte sein ganzes Vermögen aufgewandt, um das Herz einer schönen Wittwe durch prächtige Feste und schimmernde Huldigungen zu gewinnen. Umsonst! Sie wollte fernerhin nur zärtern Empfindungen als Mutter Raum geben, sie wollte für ihren einzigen Sohn leben. Nichts blieb dem verarmten [253] Friedrich übrig, als ein kleines Gütchen, dessen höchster Werth in der Jagdgerechtigkeit bestand, die er durch einen treuen Falken ausübt. Die Geschicklichkeit, womit dieser das Wildpret fing, diente, ihn kümmerlich zu ernähren. Der Ruf des seltenen Vogels kommt vor die Ohren des Sohnes der schönen Wittwe; dieser wünscht so eifrig ihn zu besitzen, daß er vor Begierde darnach erkrankt. Die Mutter, einzig bekümmert um die Erhaltung ihres Sohns, besucht unsern Friederich, in der Absicht, ihn um dieß sein Letztes zu bitten. Aber verlegen, ihr unbescheidenes Gesuch anzubringen, verschiebt sie es bis ans Ende des kärglichen Mahls, das sie bey ihm einnimmt. Nun tritt sie damit hervor! O Erstaunen! Der Arme hat den Falken schon hingegeben, um ihr, die alles für ihn ist, ein Gericht, einen vorübergehenden Genuß davon zu bereiten. So viel Aufopferung kann nicht unbelohnt bleiben. Mag der Knabe sterben: die Mutter verspricht dem edeln Friederich die Hand und das Herz, die sein ganzer voriger Aufwand nicht hatte gewinnen können.

Wie vollkommen gab hier die Liebe! Und dennoch giebt es noch edlere Gaben! Noch edlere? Ja! Die Veredlung unsers Wesens um der Liebe willen; die Veredlung des Wesens der Geliebten aus Liebe! Jenes Bestreben, uns der Geliebten immer würdiger zu zeigen, jene erhöhete Kraft, jene regsamere Lebendigkeit, mit der wir unsere sittliche Würde zu erhöhen streben: jene Opfer, die wir der Liebe durch Beherrschung eingewurzelter Schwächen darbringen; jene Beständigkeit, jenes Ausdauern unter allen Hindernissen, die weibliche Zartheit und äußere Umstände der Vereinigung entgegen setzen; jener Zusammenhang in unserm Betragen, woraus die [254] anhaltende und feine Aufmerksamkeit auf das Wohl der Geliebten hervorscheint; jene Aufforderung der Geliebten zu allem was gut und schön ist, durch unser Beyspiel, durch unsern Rath, durch unsern Beystand; – das sind die Gaben, das sind die Geschenke, die ein edles Herz am sichersten rühren, die so schwer zu geben sind, und woran der Arme oft vermögsamer ist als der Reiche.

Glücklich derjenige, der, noch ehe er auf den Nahmen des beglückten Liebhabers Anspruch machen darf, der Geliebten einen Trauten, einen Bruder in seiner Person darstellen kann, dessen sicherer Umgang, dessen Rechtschaffenheit, Billigkeit, Einsicht, ihr Trost, Rath, Leitung und Stütze gewähren! Welch ein edles Geschenk macht er ihr mit seiner Person! Ein Geschenk, das länger dauert als seine Leidenschaft währt, und ihr auch dann, wenn diese, unter verlorner Hoffnung ihr Herz zu gewinnen, verschwunden ist, noch immer den Mann sichert, der ihrer Achtung und ihres Vertrauens werth ist!

So giebt die Liebe edel! Sie giebt schön, wenn die Form der Einkleidung die Gabe schmückt. Man kann schön geben, ohne Wahrheit und ohne Adel. Aber das höchste Ideal einer Gabe ist das edle und schöne Opfer aus liebendem Herzen.

Rousseaus Freundin gab ihm den Rock, den sie selbst getragen hatte, um sich ein Leibchen daraus machen zu lassen. So giebt wahre Liebe! Sie lehrt die feinen Beziehungen zwischen demjenigen, was uns persönlich war, und andern persönlich werden soll. Aber in der Gabe lag nichts, was den Sinn des Edeln oder des Schönen verrathen hätte.

[255] Alexis will die Geliebte an ihrem Geburtstage mit einem Geschenke erfreuen, das ihres Herzens würdig sey. Er macht eine nothdürftige Familie wohlhabend, für die sie sich interessiert hat. Alexis, ruft sie, als die Glücklichen ihr als der Urheberin ihres Wohlstandes danken, Alexis! nur Sie konnten so liebend und so edel zugleich geben! O Freundin! antwortete er, welchen Dank kann ich verdienen! Ich habe mein Daseyn vermehrt, da ich die Herzen vermehrte, die sich des Ihrigen freuen! Alexis schmückt noch seine liebende und edle Gabe!

Edler als durch gewöhnliche Geschenke wirbt der Mann um die Gunst der Geliebten durch ruhmvolle Thaten. Aber wenn es nicht Liebe ist die ihn leitet, wenn es einzelne unzusammenhängende Handlungen sind, wodurch er vor den Augen der Menge glänzen, und sich vor der Geliebten auszeichnen will; was hat das Herz davon, was der Sinn des Edeln und Schönen?

Laß den verwegenen Abenteurer den Stier in den Schranken der Hetze bekämpfen, um von der schönen Königin zur Ehre des Handkusses gelassen zu werden; laß den Staatsmann Krieg und Verheerungen beschließen, den Feldherrn sie ausführen, um die Gunst der Buhlerin zu erwerben, deren ehrsüchtiges Geheiß als Grund dieser Greuel dereinst von der Geschichte verkündigt werden wird; – was geben diese Edles und Schönes durch Liebe? Und wenn der Ritter unter dem Anruf seiner Dame Mauern erstiege, wenn Petrarca den Nahmen seiner Laura unsterblich machte, was könnten diese einzelnen abgerissenen Thaten und Werke, die eben so wohl der Eitelkeit, dem Ehrgeitz und der Begeisterung angehören können, für Liebe und Adel der Seele beweisen?

[256] Nein! derjenige allein verkündigt den wahren Ruhm seiner Geliebten durch seinen eigenen, der den Ruf eines Charakters gründet, der durch Liebe zu einem edeln Gegenstande ganz veredelt ist.

Man lieset einen Zug in den Romanen der Asträa von d’Urfé, der mir vortrefflich zu seyn scheint. Zwey Nymphen finden den Leichnam eines Schäfers von ihrer Bekanntschaft. Sie treffen Briefe bey ihm an, die von Liebe athmen. Wie, fragt die eine, dieser Schäfer liebte? Das habe ich nicht bemerkt. Wie konnte Ihnen das entgehen? sagt die andere: er war ein so rechtschaffener Mann!

O ihr, die ihr dem Ruhme nachstrebt, wodurch ein edles Herz gewonnen werden mag! daß man von euch sage: er ist ein so würdiger Mann, er hängt an einem so würdigen Weibe!


Dreyzehntes Kapitel.
Veredelte und verschönerte Begünstigung des Beschauungshanges der Geliebten bey der Contemplation des liebenden Mannes.

Weiber, die ihr dieses leset, sagt, ist nicht das Bild eines Mannes in eurer Phantasie entstanden, dem ihr, unabhängig von aller weitern Rücksicht, ob es eurem Anbeter gleiche, ob sein Original in der Natur neben euch existiere, euren Beyfall, eure Bewunderung nicht versagen könnt! dem ihr eine allgemeine Würdigkeit, von jedem Weibe geliebt zu werden, zutrauet? Ich darf es hoffen! Und glaubt es mir, wenn ein solcher Mann nun wirklich neben euch existierte, und euch anbetete, so [257] würdet ihr dennoch in gewissen Augenblicken eure Aufmerksamkeit ganz von der besondern Beziehung, worin er zu euch stände, abziehen, sein Wesen wie ein Bild mit Wonne anschauen, und euch sagen: wenn ich den Mann auch nicht von Person kennte, wenn er mir besonders nicht so interessant wäre; ich müßte ihn nach der bloßen Beschreibung meiner eigenen und aller meiner Gespielinnen Bewunderung werth achten! Wohl demjenigen, der dieß Gefühl erweckt! der häufig der Geliebten diesen uneigennützigen, aber mit den selbstischen Empfindungen des Stolzes und der Eifersucht auf seinen Besitz, so wie mit der sympathetischen der Freude an seinem Wohl so nah verwandten Genuß für den Beschauungshang bereitet! Dadurch allein entsteht jene Begeisterung, ohne deren Mitwirkung schwerlich warme Zärtlichkeit, am wenigsten Leidenschaft entstehen kann! Und wehe dem, der seiner Geliebten nie dieß Gefühl einflößt; der nur durch Eigennutz, nur durch Sympathie ihrem Herzen interessant wird! Es wird ein Haupteinschlag in dem Gewebe der Zärtlichkeit fehlen, womit er sie an sich zu hängen sucht, und nie wird dieß den gehörigen Grad der Festigkeit erhalten.


  1. In den Liaisons dangereuses, Sopha, Ecumoire, und in der arte amatoria.
  2. Eben darum, weil die Urbanität der Liebe so oft zum Schleyer dient, ist es von jeher schwer gewesen, den Ausdruck beyder zu unterscheiden, und nicht zärtlich zu werden, indem man bloß höflich seyn will. Das, was man Galanterie nennt, fällt oft in diesen Fehler, und Lessing hatte daher Recht, zu sagen: in ihr klingt Alles wie nichts, und nichts wie Alles. Aber eine solche Galanterie ist ein verfehlter Ton in der Urbanität gegen das Frauenzimmer.

Anmerkungen (Wikisource)