Verbrennt die Springschnur!

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Textdaten
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Autor: Eduard Lewy
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Titel: Verbrennt die Springschnur!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 408
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[408] Verbrennt die Springschnur! Die Springschnur gehört zu den beliebtesten Spielgeräthschaften der Kinder; es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß sie ein geradezu gefährliches Spielzeug ist, da sie nicht selten zu Störungen im kindlichen Organismus Anlaß giebt, welche selbst dessen Vernichtung herbeiführen können.

In erster Linie ist es der Fuß des Kindes, dessen Gesundheit durch ihre Benutzung gefährdet wird. Das stundenlange Hüpfen auf einer Stelle verbreitert und verflacht die gewölbte Form des Fußes; es schwellt die Knöchel und verstärkt die üble Wirkung der von so vielen Kindern getragenen straffen Strumpfbänder[1] in erheblichem Maße. Der Beweis ist leicht zu liefern. Das in gewöhnlicher Weise unterhalb des Kniees mäßig fest angelegte Strumpfband wird, wenn das Kind eine Zeit lang die Springschnur gehandhabt hat, tief in’s Fleisch einschneiden, eine rothblaue Furche ziehen und endlich gelockert werden müssen.

Nächst dem Fuße ist es die Lunge, welche durch die Springschnur bedroht wird; denn daß der Staub, welcher nicht selten massenhaft bei diesem Vergnügen eingeathmet wird, für die Lunge wie für die Gesammtgesundheit nicht zuträglich ist, liegt auf der Hand; ebenso droht dem Kinde die Gefahr der Erkältung nach der so gewaltsam erzeugten Ueberhitzung. Wie manches Kind, das seine Munterkeit verliert, an einem kurzen, hohlen Husten, der mitunter mit einem schleimigen Auswurfe verbunden ist, an Athemnoth oder drückenden, dumpfen Schmerzen in der Brust zu leiden beginnt, verdankt diese Vorboten schwererer Krankheitsformen dem verberblichen Spielzeuge!

Unmittelbar noch droht die Gefahr dem Verdauungssystem. Es geschieht öfter, daß in Folge des Springvergnügens Appetitsstörung eintritt: die Kinder klagen dann nach jeder Mahlzeit, der Magen sei geschwollen, und können um die Magengegend die Röcke nicht mehr fest zubinden; dabei magern sie ab, werden kraftlos und matt. Weit furchtbarer indeß ist auf diesem Gebiete die Möglichkeit, daß die Durchschüttelung der Eingeweide eine Darmverschlingung bewirkt, welche meist tödtlich verläuft. Fälle dieser Art waren es, welche zuerst die Aufmerksamkeit der Aerzte auf die Springschnur lenkten, indem einige Male das Verhältniß von Ursache und Wirkung dabei ganz evident erwiesen werden konnte.

Selbst auf das Centralorgan des Nervensystems machen häufige Springschnurübungen ihren Einfluß geltend. Die Achse des Eisenbahnwaggons, welche man durch wuchtige Hammerschläge nicht brechen konnte, erhält durch die viel geringeren, aber fortwährenden Erschütterungen beim Rollen auf den Schienen mit der Zeit ein krystallinisches Gefüge, wird morsch und brüchig und sie erliegt dann dem kleinsten Anstoße. Sollten unsere Nerven widerstandsfähiger sein, als Stahl und Eisen? Sie sind es sicher nicht. Die häufigen Stöße der Füße gegen den harten Kiesboden werden sich zunächst an zwei Stellen bemerkbar machen: erstens durch Schmerzen im Kreuze, zweitens durch solche im Kopfe, also durch unangenehme Empfindungen an jenen Gegenden, welche dem Gehirn und dem Rückenmarke, den Centralorganen des Nervensystems, entsprechen. Durch fortwährende kleine Zerrungen werden die feinsten Nervenfasern in ihren Verbindungen gelockert, und so wenig ein junges Bäumchen gedeihen wird, dessen Stamm täglich von rauher Hand stundenlang gerüttelt wird, ebenso wenig kann das Hüpfen über die Springschnur der normalen Entwickelung des Nervensystems förderlich sein. Auch hier bestätigt dem praktischen Arzte die Erfahrung, daß als Folge von Springschnurübungen nicht gar so selten chronische Gehirnerschütterungen vorkommen, welche, anfangs kaum erkennbar, mit der Zeit eine Abstumpfung der Sinnesorgane herausbilden, die Sehkraft schwächen und das Gehör abstumpfen, wobei gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Dinge der Umgebung abnimmt. Manche verblendete Mutter freut sich, daß ihr Kind jetzt so still, so ruhig, so gut – leider darf man nicht hinzufügen: „so dumm“ geworden ist; bei zarteren, empfänglicheren Kindern freilich tritt zuweilen die Gehirnentzündung rasch in der furchtbarsten Form auf. Wenn dann die trostlosen Eltern nach den Ursachen der schrecklichen Erkrankung ihres früher so blühenden Kindes suchen – was soll da nicht Alles die Schuld tragen! Die Kost, die Wohnung, das Kindermädchen, das gewiß vor Zeiten einmal unvorsichtiger Weise das Kind hatte fallen lassen, ohne des Vorfalls zu erwähnen, oder der Arzt, der das Kind nicht richtig behandelt habe, und die wahre Ursache war doch nur – die Springschnur.
Dr. E. Lewy.
  1. Verfasser hat schon seit vielen Jahren bei seinen Bekannten einen Apparat anwenden lassen, der aus einem mit Gummi durchwirkten Bande von der Länge des Oberschenkels besteht; das eine Ende desselben ist an einen Leibgürtel angenäht, während das andere an den Strumpf gebunden oder geknöpft wird. Dieses Strumpfband stört den Durchfluß des Blutes im Fuße nicht und begünstigt dessen normale Entwickelung zur schönen Form.