Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs/§.27

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Textdaten
Autor: Johann Christoph Harenberg
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Titel: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs ...
Untertitel: §.27 - Die heutigen Visionarii haben sonderbahre Mittel zur Verderbung der Einbildungs-Kraft.
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Erscheinungsdatum: 1733
Verlag: Johann Christoph Meißner
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Erscheinungsort: Wolfenbüttel
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§. XXVII.

[97] Diejenige, so unter den Christen erdichtete Offenbahrungen (n)[1] vorgeben, und zuweilen dergleichen ausköcken, verderben sich entweder durch [98] allerley phantastische und zu den Verzückungen geschickte Erzehlungen, Bücher, Gebehter (o)[2] und Gedancken: oder sie brauchen, wie es mehrentheils geschiehet, solche Artzeneyen, welche die Nerven auf einige Zeit einschläfern, und Empfindungs-los machen. Es ist kein Unterscheid unter der Vorbereitung zur Brocken-Fahrt und zum Hexen-Tantze, wie auch unter der Vorbereitung zu den natürlichen Entzückungen und Offenbahrungen. Denn die Visionarii verderben nicht allein ihren Cörper mit einer (*)[3] unordentlichen Lebens-Art, überflüßigen Wachen, Fasten, und Speculirung der Dinge, so über ihren Horizont sind; sondern verdicken und beschweren auch die Feuchtigkeiten, aus welchen der Nerven-Saft abgesondert und ausgearbeitet werden muß, durch die nicht unbekannten Quäcker-Pulvers, so aus den Saamen der Datura; der Solanorum, Mandragorae, Hyoscyami, Nicotianae und papaverum, Hanf-Saamen und dem Opio zusammen gesetzet worden. Die Haupt-Sache ist die berufene Datura, so anfänglich aus Ost-Indien in Europa herein gebracht worden. Die Saamen-Körner davon sind so groß als eine [99] Linse, von brauner Farbe, und stecken in stachlichten Nüssen, welche auf dem Gewächse hervorkommen. Man findet die Figur der Pflantze in M. HOSEMANNI Beschreibung der Zellischen Diebes-Rotte p. 314. sq. Nickel List, der Ertz-Dieb, und der Jude Hoscheneck brauchten diese Datura, um dadurch die Menschen in den Häusern und die Hüter der Gefängnissen in den Schlummer und eine Unempfindlichkeit zu bringen. Die Quäcker und alle andere alberne Heiligen nennen diesen Sinn-losen Zustand, in welchen die Einbildung sehr starck und verzückt wird, eine völlige Ubergebung an GOtt, eine Ausziehung der Eigenheit und Selbstheit, die Entgröbung, den Zustand der Propheten etc. In gleichen Prophetischen Zustande befinden sich die alten Hexen auf ihrer beschrienen Brocken-Fahrt. Damit man das Pulver unerkänntlich mache, wird es mit rohten Ungarischen Zinnober vermischet, und in Wein, Brandewein oder Milch eingenommen. Ich habe befunden, daß diejenige, so solches bey dem Anfange der geheimen Versammlung gebraucht haben, zum theil erstarret und Empfindungs-los gelegen haben, andere haben umhergekrochen, haben fliegen wollen, sind auf einander gefallen, und haben wunderliche Dinge vorgenommen, auch Sprüche aus der heiligen Schrift angeführt, so niemahls in derselben gestanden. Als einer zu Berlin in solcher Entzückung das XIIte Capitel des Propheten Michä anführete, sprach der andere: Der Geist irret, Micha hat nur sieben Capitel. Ein Quäcker [100] beredete eine Magd seiner Liebe, und da er mit ihr tranck, warff er etwas aus einem Papier in den Tranck, und dachte dabey, daß die Magd ihm hinführo wohl folgen sollte. Die Magd empfand in ihr grosse Begierde zur Quäckers-Versammlung, bekam seltsame Entzückungen, und wurde gantz unsinnig, davon sie endlich durchs Gebeht ihrer Freunde befreyet worden. Ein Englischer Christlicher nahm zu Rom um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Pulver, streuete etwas unter dem Wein, und gab es einem Kaufmanne seiner Nation zu trincken, davon dieser so fort anhub zu zittern und zu beben, niederfiel und mit dem Munde gräslich schäumete. (p)[4] Wenn diese Unholden in solchen Umständen reden, so sagen die andern, daß Christus in selbigen mit Schmertzen gebohren werde, sich ihn ihnen rege, und als das selbständige, innerliche Wort durch sie rede. Wie fern solches wahr sey, werden wir bald hören. Ich weiß aus gewisser Nachricht, daß die Sevennesser oder Camisards zu Anfange dieses Saeculi in Languedoc gleichfals natürliche Mittel gebraucht haben; nicht allein bey den alten, sondern auch bey den Kindern. Man kan auch solches leichtlich schliessen, wenn man den Maximilian Misson lieset. Es sind viele Erfahrungen vorhanden, daß die Datura Entzückungen mache. (q)[5] Ich habe das rohte [101] Quäcker-Pulver ehedem einem Hunde eingegeben, und wahrgenommen, daß er viele wunderliche Phantasien bezeiget und solche Gliederzüge geäusert, dergleichen man an den Leuten siehet, welche die schwere Noht kriegen. Mir sind auch Exempel von Weissagenden bekannt, so gleiche Bewegungen gemacht haben. Man pflegt die Phantasie desjenigen, dem man dieses Pulver eingeben will, erst mit allerley Bilder-vollen Historien und Rodomantaden anzufüllen, und ihm alles das vielfältig vorzusagen, was der Verzückte hernach weissagen soll. Denn so bald die Datura in mässiger Menge eingegeben ist, so geräht er in eine Verzückung und Entsinnung, fängt an zu lachen, hält die Augen offen, redet auch wohl, und antwortet auf alle Fragen, als wenn er bey rechter Vernunfft wäre aber jedoch alles gleichsam als in einem Traum. Wenn die dosis starck ist, erfolgen auch Bewegungen der Glieder, dergleichen diejenigen an sich erblicken lassen, welche den Jammer oder die schwere Noht überkommen. Einige wissen dis Pulver so wohl zu bereiten, daß es nur gewisse Stunden würcken muß. Will man das Ende der Würckung nicht abwarten, so nimmt man kaltes Wasser, Milch, oder Eßig und besprengt die blosen Theile am Leibe des Verzückten damit, der denn, wenn der raptus vorüber ist, nichts von allem mehr weiß, oder höchstens nur meynt, es habe ihm geträumet. An den Wahrsager Weibern der Heyden, sonderlich der Pythia, findet man gleiche Zeichen der Entsinnung, Wahrsagung und Träumerey. Constantinus [102] Magnus, wie Eusebius meldet, hat jederman gar deutlich zeigen lassen, daß der gantze Plunder solcher Weissagungen nichts denn die Betrügerey der Menschen, worinn der Satan sein Werck, als Kindern des Unglaubens, zum Grunde gehabt. Von der Datura findet sich eine merckliche Stelle in des Johann Albrecht von Mandelslo Morgenländischer Reise-Beschreibung, (r)[6] da er von den verhurten Indianischen Weibern redet. Wir wollen dieselbe gantz hersetzen: Sollte die Gegenwart des Vaters oder des Mannes dazu verhinderlich fallen, wissen sie dieselben alsbald ihrer Sinnen und Gedächtnis zu berauben, durch einen gar gebräuchlichen Saamen, Dutrii genannt, welches sie gar listig in confecturen, Speisen, oder Tranck, beyzubringen wissen. Wenn also der gute Mann in seiner Gegenwart mit sehenden Augen nicht sehend, oder schlaffend, gnug behörnert ist, gibt die freundliche Frau nach ihrem Belieben ihrem Manne seinen vollkömmlichen Verstand wieder, mit Netzung etlicher Oerter seines Leibes, welcher alsdann nach Ermunterung nichts anders weiß, als daß er etwa einen süssen Mittags-Schlaaf gehalten habe, Bey solcher Beschaffenheit kan die Frau ihre Sachen sicherer verrichten, als wann etwan der Mann aus dem Hause wäre. Die Türcken nennen die Datura insgemein Maslak, und nehmen davon eine ziemliche Menge zu sich, ehe sie in die Schlacht [103] ziehen, sich einen Muht oder vielmehr Verwegenheit[7] zu machen. Wenn die Visionarii dieses teuflische Quäcker-Pulver einem Menschen beybringen wollen, so nehmen sie zuvor sein Gemühte ein durch allerhand Gespräche von Offenbahrungen, und mercken einige Wochen zuvor an, ob seine Einbildungs-Krafft und das Gewebe der Nerven der erdichteten Weissagungen fähig seyn. Sie lesen ihn allerhand schwärmerische Bücher vor, geben ihm die Exempel der Visionairs zu lesen, zeigen ihm auch wohl einige Bilder und Gemählde von Biblischen Gesichtern und Christo, daß der neue Schüler der verkehrten Phantasey sich zuvor allerley Materien eindrücken möge, welche einige Aehnlichkeiten der Bilder in dem Gehirne zurücklassen. Wenn darauf (s)[8] das Quäcker-Pulver gegeben wird, so geschiehet eine Verdichtung der Nerven-Säfte, und entstehet eine dicke und verschleimte Beschaffenheit des Bluhts, wodurch der Mensch ausser den Zustand der ordentlichen Empfindung gesetzt wird, und auf die vorhin eingedrückte Bilder wiederum verfällt, von welchen er glaubet, daß sie gegenwärtig seyn. In diesem Stande ist die Seele in einen gantz leidentlichen Zustande, welchen die Quietisten und Mystici bis an dem Himmel erheben. Sonderlich schicken sich hiezu die leichtsinnigen Sanguinei, am meisten aber die Melancholici, und alle, so bey ihrer elenden Dumheit dennoch [104] etwas sonderliches vor andern Menschen seyn wollen. Am meisten lassen sich die Weibgens bethören und gefangen nehmen, theils wegen Blödigkeit des Verstandes, theils wegen einer grossen Lebhaftigkeit der Einbildungs-Kraft. Den eingebildeten und durch verdorbene Säfte zuwege gebrachten leidentlichen Zustand nennen sie die innerliche Ruhe, den Sabbat der Seelen, die Gelassenheit, die Verstandlosigkeit, die Willen-losigkeit, die Einkehrung in das inwendige und das centrum. WEIGEL schreibt: (t)[9] O daß ich ein Klotze würde, oder eine halbe Stunde als ein Stock würcken könnte, (warum nicht als ein Esel?) so würde ich ein Prophete und Apostel werden. In diesem Klotzen- und sinn-losen Zustande der Weibgens pflegen listige und wollüstige Buben unvermerckt ihren Schnitt zu machen, wie das Exempel des P. Girard deutlich gnug bekräftiget.


  1. (n) Hiebey ist zu lesen der vortrefliche Sermon des seeligen Ertz-Bischofs von Canterburi TILLOTSON de l’Examen des Esprits sur I. 10. IV. 1. To. III. Serm. XXI. p. 72. sqq. ed. Amsterd. 1709. 8.
  2. (o) Dieses hat so wohl gründlich als mit vielen Exempeln dargethan, MERICVS CASAVBONVS in Dissert. de Enthusiasmo precaterio. Es hat auch verschiedenes hieher gehöriges beygebracht D. GOTTLIEB WERNSDORF in Exerc. Theol. de Inspiratis, Vitemb. 1715. 4.
  3. (*) HERMANNVS WITSIVS de Proph. To. I. L. I. c. 24.
  4. (p) M. Ehregott Daniel COLBERG im Platonisch-Hermetischen Christenthum c. VII. §. 2. p. 295. sq. ed. Francof. & Lips. 8. a. 1690.
  5. (q) Ephemerid. Med. Phys. Dec. III. an. 3. Obs. 171. p. 306.
  6. (r) Lib. I. c. 7. p. 133. ed. Slesvic. 1658. fol. min.
  7. [WS: Satzfehler berichtigt, im Druck: Verwe-wegenheit]
  8. (s) D. Fridrich Ernst KETTNER in der Quedlinburgischen Kirchen- und Ketzer-Historie p. 58. sqq. ed. Quedlinb. 1710. 4.
  9. (t) Postill. P. II. f. 193. 144. 219.