Verordnung, betreffend das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen der Kaiserlichen Schutztruppen. Vom 2. November 1909

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Gesetzestext
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Titel: Verordnung, betreffend das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen der Kaiserlichen Schutztruppen.
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Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1909, Nr. 59, Seite 943–954
Fassung vom: 2. November 1909
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Bekanntmachung: 16. November 1909
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(Nr. 3678.) Verordnung, betreffend das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen der Kaiserlichen Schutztruppen. Vom 2. November 1909.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

verordnen auf Grund des Artikel II § 4 des Gesetzes vom 7. Juli 1896 wegen Abänderung des Gesetzes vom 22. März 1891 (Reichs-Gesetzbl. S. 53), betreffend die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, und des Gesetzes vom 9. Juni 1895 (Reichs-Gesetzbl. S. 258), betreffend die Kaiserlichen Schutztruppen für Südwestafrika und für Kamerun, (Reichs-Gesetzbl. 1896 S. 187) im Namen des Reichs, was folgt:

§ 1.[Bearbeiten]

Das strafgerichtliche Verfahren gegen die Angehörigen der Schutztruppen regelt sich nach den Vorschriften der Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich vom 1. Dezember 1898 und des Einführungsgesetzes hierzu von demselben Tage, soweit nicht im nachstehenden abweichende oder ergänzende Bestimmungen erlassen sind.

§ 2.[Bearbeiten]

Für Angehörige der Schutztruppen gelten während ihres Aufenthalts außerhalb Europas die für das Feld gegebenen gesetzlichen Vorschriften (§ 5 des Einführungsgesetzes zur Militärstrafgerichtsordnung) – Außerordentliches Verfahren –. Im übrigen greift das ordentliche Verfahren Platz.

§ 3.[Bearbeiten]

Gerichtsherren der niederen Gerichtsbarkeit sind die Befehlshaber einer selbständigen Abteilung oder eines selbständigen Militärbezirkes. Der Gouverneur [944] bestimmt, welche Abteilungen oder Militärbezirke als selbständig anzusehen sind. Durch Anordnung des Kommandeurs der Schutztruppe können mehrere Abteilungen dem rangältesten Offizier derselben hinsichtlich der Ausübung der gerichtsherrlichen Befugnisse unterstellt werden (§ 19 Militärstrafgerichtsordnung).

§ 4.[Bearbeiten]

Gerichtsherren der höheren Gerichtsbarkeit sind:
a) im ordentlichen Verfahren:
der kommandierende General des Gardekorps mit den gerichtsherrlichen Befugnissen eines kommandierenden Generals über alle militärischen Angehörigen der Schutztruppen, und zwar als unmittelbarer Befehlshaber im Sinne des § 31 der Militärstrafgerichtsordnung;
b) im außerordentlichen Verfahren:
in jedem Schutzgebiete der rangälteste der in der Schutztruppe verwendeten Offiziere, und zwar mit den Befugnissen eines Divisionskommandeurs.
Entfernt sich dieser Gerichtsherr für längere Zeit von seinem Standort, ohne daß eine Stellvertretung im Kommando stattfindet, so kann er für die Dauer seiner Abwesenheit die Ausübung der gerichtsherrlichen Befugnisse einem anderen der in der Schutztruppe verwendeten Offiziere übertragen; bei der Auswahl dieses Offiziers soll der Gerichtsherr den ihm im Dienstgrad am nächsten stehenden Offizier in erster Reihe berücksichtigen.

§ 5.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren sind Rechtsbeschwerden nur insoweit zugelassen, als die Stelle, die darüber zu entscheiden hat, im Schutzgebiete vorhanden ist. Dem Verletzten steht ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 247 Abs. 2 der Militärstrafgerichtsordnung) nicht zu.

§ 6.[Bearbeiten]

1. Ich behalte Mir die Erteilung der Bestätigungsorder vor:
a) für die Urteile, durch die auf Todesstrafe, auf lebenslängliche Freiheitsstrafe oder wegen eines militärischen Verbrechens auf eine die Dauer von zehn Jahren übersteigende Freiheitsstrafe erkannt ist; bei einer Gesamtstrafe kommt nur die höchste, wegen eines militärischen Verbrechens festgesetzte Einzelstrafe in Betracht. Freiheitsstrafe im Sinne dieser Bestimmung ist auch Zuchthaus (vergleiche § 16 des Militärstrafgesetzbuchs); [945]
b) für die Urteile gegen Offiziere, Sanitätsoffiziere, Ingenieure des Soldatenstandes und obere Militärbeamte.
2. Im übrigen erteilen die Bestätigungorder:
a) der im § 4a bezeichnete Befehlshaber hinsichtlich der auf Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahre lautenden Urteile.
b) In den sonstigen Fällen der Gerichtsherr desjenigen Gerichts, welches das zu bestätigende Urteil gefällt hat, in den Fällen des § 412 Abs. 1 und des § 447 der Militärstrafgerichtsordnung der Präsident des Reichsmilitärgerichts.
c) Ist durch dasselbe Urteil gegen mehrere Angeklagte erkannt worden, so steht die Bestätigung hinsichtlich sämtlicher Angeklagten demjenigen Befehlshaber zu, dem die höhere Bestätigungsbefugnis, wenn auch nur hinsichtlich eines der Angeklagten, zukommt.
d) Urteile, deren Bestätigung Ich Mir vorbehalten habe, werden Mir von dem Gerichtsherrn erster Instanz beziehungsweise von dem mit Feldgerichtsbarkeit versehenen höheren Gerichtsherrn mit den Akten und einem von einem Kriegsgerichtsrat angefertigten und zu unterzeichnenden Aktenauszuge durch den Präsidenten des Reichsmilitärgerichts eingereicht. Dem vorgesetzten Gerichtsherrn ist Meldung zu erstatten.
Der Aktenauszug hat in gedrängter Kürze die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Angeklagten, eine aktenmäßige Darstellung des Sachverhalts, die Angabe der in Anwendung gebrachten Gesetze und die Formel des Urteils zu enthalten.
e) Der zur Bestätigung berechtigte Befehlshaber kann das Urteil bei der Bestätigung nach Maßgabe nachstehender Bestimmungen mildern:
In den Fällen der §§ 85 bis 87 des Militärstrafgesetzbuchs kann unter der im § 88 daselbst angegebenen Voraussetzung die Milderung des Urteils in den im § 88 dem Gerichte für die Strafbemessung gezogenen Grenzen stattfinden.
Zeitige Freiheitsstrafen können bis auf den Mindestbetrag der gesetzlichen Strafandrohung herabgesetzt werden. Hierbei ist eine Änderung der Strafart nur dann zulässig, wenn in den Militärstrafgesetzen die strafbare Handlung wahlweise mit Arrest oder mit Gefängnis oder Festungshaft bedroht ist. In diesen Fällen kann die erkannte Gefängnisstrafe auf Festungshaft oder die im gegebenen Falle gesetzlich zulässige Arrestart und die erkannte Festungshaft auf Arrest der bezeichneten Art gemildert werden.
Ist ein militärisches Vergehen mit Arrest ohne Bezeichnung der Arrestart bedroht, so kann an die Stelle der erkannten härteren Arrestart eine gelindere treten. [946]
In den Fällen des § 40 Abs. 2 Nr. 1 und 2 des Militärstrafgesetzbuchs kann die erkannte Degradation und in dem Falle des § 75 daselbst die erkannte Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes erlassen werden.
f) Die Bestätigungsorder im ordentlichen Verfahren hat dahin zu lauten:
„Ich bestätige, daß das Urteil rechtskräftig geworden ist.“
Im Falle der Verurteilung ist hinzuzusetzen:
„Das Urteil ist zu vollstrecken“
oder im Falle der Milderung der Strafe:
„Ich mildere die erkannte Strafe auf...............................die Vollstreckung hat demgemäß zu erfolgen.“
Die Bestätigung im außerordentlichen (Feld-) Verfahren hat dahin zu lauten:
„Ich bestätige das Urteil lediglich“
oder im Falle der Milderung der Strafe:
„Ich bestätige das Urteil unter Milderung der Strafe auf ...................................................“
g) Die Mir in Gnadenangelegenheiten früher durch das General-Auditoriat erstatteten Berichte erstattet der Präsident des Reichsmilitärgerichts (§§ 418, 422 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 7.[Bearbeiten]

Wird gegen den Angeklagten auf Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahre erkannt, so ist er heimzusenden. Die Untersuchungshaft ist auf die Strafe von dem Tage anzurechnen, an dem das Urteil erlassen ist, doch gilt, falls die Sache in das ordentliche Verfahren übergeleitet wird, von diesem Zeitpunkt ab lediglich die Bestimmung des § 458 der Militärstrafgerichtsordnung.

§ 8.[Bearbeiten]

Ich behalte Mir hinsichtlich der im außerordentlichen Verfahren ergangenen kriegsgerichtlichen Urteile das Aufhebungsrecht vor.
Zur Aufhebung der im außerordentlichen Verfahren ergangenen standgerichtlichen Urteile ist innerhalb seines Befehlsbereichs der Gerichtsherr der höheren Gerichtsbarkeit befugt (§ 422 der Militärstrafgerichtsordnung und § 4b dieser Verordnung).

§ 9.[Bearbeiten]

Hinsichtlich des Kommandeurs einer Schutztruppe behalte Ich Mir die Bestimmung des Befehlshabers, welcher die gerichtsherrlichen Befugnisse auszuüben hat, vor (§ 21 der Militärstrafgerichtsordnung). [947]

§ 10.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren können auch Sanitätsoffiziere zu Gerichtsoffizieren bestellt werden.

§ 11.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren sind in dem Falle des § 97 Abs. 3 der Militärstrafgerichtsordnung die Akten von dem Gerichtsherrn dem Gerichte des Kommandos der Schutztruppe zur rechtlichen Beurteilung der Sache vorzulegen.

§ 12.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren kann von der den Abschluß des Ermittelungsverfahrens bildenden Vernehmung des Beschuldigten über das Ergebnis der Ermittelungen (§§ 168, 173 Abs. 5 der Militärstrafgerichtsordnung) abgesehen werden, wenn die Einstellung des Verfahrens verfügt wird oder eine Schlußvernehmung das Verfahren erheblich verzögern würde.

§ 13.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren können die aktiven Offiziere und die Militärbeamten – einschließlich der Kriegsgerichtsräte – als Richter im Bedarfsfall auch durch Offiziere niederen Ranges, durch Sanitätsoffiziere, Offiziere des Beurlaubtenstandes oder durch Ingenieure des Soldatenstandes, bei Aburteilung von Mannschaften auch durch andere geeignete Militärpersonen ersetzt werden.
Zu Kriegsgerichten können zum Richteramte befähigte Beamte als Richter (Verhandlungsführer, Beisitzer) berufen werden.

§ 14.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren werden die Offiziere als Richter zur Hauptverhandlung für den einzelnen Fall berufen (§ 44 der Militärstrafgerichtsordnung); bei den Kriegsgerichten ist die Berufung an keine bestimmte Reihenfolge gebunden.
Die Beeidigung der Richter geschieht, wenn ein Kriegsgerichtsrat oder ein anderer zum Richteramte befähigter Beamter (§ 13 Abs. 2) die Verhandlung führt, durch diesen, sonst durch den Vorsitzenden, der sich gleichzeitig selbst beeidigt. Letzterer spricht dabei die Worte:
„Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Richters getreulich zu erfüllen und meine Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben. So wahr mir Gott helfe.“

§ 15.[Bearbeiten]

Im außerordentlichen Verfahren kann der Gerichtsherr der höheren Gerichtsbarkeit wegen der Vergehen gegen die §§ 64, 65, 89 Abs. 2, 91 Abs. 1, 94, 102, 121 Abs. 1, 137, 151 des Militärstrafgesetzbuchs die Verfolgung dem Gerichtsherrn [948] der niederen Gerichtsbarkeit überweisen, wenn er nach den Umständen des Falles annimmt, daß neben Einziehung oder Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes auf keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von drei Monaten zu erkennen sein werde.

§ 16.[Bearbeiten]

Die Frist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gewahrt, wenn das Gesuch innerhalb der im § 148 der Militärstrafgerichtsordnung bestimmten Frist zur Post gegeben oder bei der nächsten Polizei- oder Militärbehörde eingegangen ist.
Über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beschließt die Stelle, welche die Entscheidung getroffen hat.

§ 17.[Bearbeiten]

Die Gerichte des Heeres, der Marine und der Schutztruppen haben einander Rechtshilfe zu leisten. Dem gegenseitigen Ersuchen um Führung des Ermittelungsverfahrens, Zuweisung einzelner Richter und Aburteilung einzelner Sachen ist tunlichst Folge zu geben.

§ 18.[Bearbeiten]

Erfolgt im außerordentlichen Verfahren die Aufhebung eines Urteils, so können – soweit dies nicht zu vermeiden – zu dem neu erkennenden Gerichte die Richter des erst erkennenden Gerichts wieder zugezogen werden. Das neu erkennende Gericht hat die rechtliche und militärdienstliche Beurteilung, welche der Aufhebung des Urteils zu Grunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.

§ 19.[Bearbeiten]

Die Vollstreckung einer im außerordentlichen Verfahren erkannten Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre einschließlich erfolgt, soweit dies angängig, an Ort und Stelle. Der Gerichtsherr, welchem die Anordnung der Strafvollstreckung obliegt, ist dann befugt, eine gegen Offiziere, Sanitätsoffiziere oder Ingenieure des Soldatenstandes erkannte Gefängnisstrafe oder Festungshaft in Stubenarrest von gleicher Dauer umzuwandeln, soweit es sich um Festungshaft oder Gefängnisstrafe von weniger als sechs Wochen handelt.
Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von längerer Dauer als einem Jahre erfolgt in der Heimat und ist von dem im § 4a genannten Gerichtsherrn in Gemäßheit der Militärstrafvollstreckungsvorschrift für das Heer zu veranlassen.
Dieser Gerichtsherr kann die Strafvollstreckung einem der ihm unterstellten Gerichtsherrn übertragen.
Wird ein Antrag, die Strafvollstreckung aufzuschieben (§§ 455, 456 der Militärstrafgerichtsordnung), abgelehnt, so entscheidet über Einwendungen das Gericht, das der für die Strafvollstreckung zuständige Gerichtsherr beruft.
Hat infolge Rückkehr des Beschuldigten (Angeklagten) nach Europa die Überleitung in das ordentliche Verfahren gemäß dem § 433 der Militärstrafgerichtsordnung [949] stattgefunden, so ist der nunmehr für das weitere Verfahren zuständige Gerichtsherr auch für die Strafvollstreckung zuständig. Die Vorschriften des Abs. 3, 4 finden Anwendung.
Geht die Vollstreckung einer militärgerichtlich erkannten Strafe gemäß § 15 Abs. 3 des Militärstrafgesetzbuchs und § 15 des Einführungsgesetzes zur Militärstrafgerichtsordnung auf eine Bayerische oder Württembergische bürgerliche Behörde über, so wird Strafvollstreckungsbehörde der im § 4a genannte Gerichtsherr, sobald der Verurteilte in die Strafanstalt des Heimatstaats verbracht ist. Die Vorschriften des Abs. 3, 4 finden Anwendung.

§ 20.[Bearbeiten]

Den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens haben der Angeklagte sowie die im § 437 Abs. 2 der Militärstrafgerichtsordnung bezeichneten Personen, falls sie sich im Schutzgebiet aufhalten, bei dem im § 4b, anderenfalls bei dem im § 4a bezeichneten Gerichtsherrn, anzubringen. Der Gerichtsherr, bei dem der Antrag anzubringen ist, kann die Wiederaufnahme auch selbst beantragen.

§ 21.[Bearbeiten]

Die Militärjustizverwaltung wird von dem Reichskanzler (Reichs-Kolonialamt) ausgeübt (§ 111 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 22.[Bearbeiten]

Die Durchsicht der im außerordentlichen Verfahren ergangenen standgerichtlichen Urteile erfolgt bei dem im § 4b bezeichneten Gerichtsherrn.
Die Nachprüfung der dabei gemachten Ausstellungen sowie die Durchsicht der kriegsgerichtlichen Urteile geschieht bei dem im § 4a bezeichneten Befehlshaber (§ 113 der Militärstrafgerichtsordnung).
Die bei der Prüfung der standgerichtlichen und kriegsgerichtlichen Urteile gemachten Ausstellungen sind der Militärjustizverwaltung (§ 21) zur Nachprüfung und zur weiteren Veranlassung halbjährlich mitzuteilen.

§ 23.[Bearbeiten]

Ein Stabsoffizier des Kommandos der Schutztruppen ist Mir gemäß § 79 Abs. 2 der Militärstrafgerichtsordnung behufs Ernennung zum außeretatmäßigen militärischen Mitgliede des Reichsmilitärgerichts in Vorschlag zu bringen. Er ist bei der Bearbeitung aller Schutztruppenangelegenheiten zuzuziehen.

§ 24.[Bearbeiten]

Innerhalb der Militärjustizverwaltung der Schutztruppen führen die zur Ausübung der Militärstrafgerichtsbarkeit berufenen Stellen Dienstsiegel und Stempel mit dem deutschen Reichsadler und der Umschrift:
Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ost- usw. Afrika, Kamerun. [950]
Gericht des Kommandos.
Gericht der xten Kompagnie, des ..................bezirkes der .................Abteilung.
Kaiserliche Schutztruppen. Gericht beim Garde-Korps.
(§ 9 des Einführungsgesetzes zur Militärstrafgerichtsordnung).

§ 25.[Bearbeiten]

Untersuchungshandlungen der höheren Gerichtsbarkeit können auf Ersuchen auch von einem Gerichtsherrn der niederen Gerichtsbarkeit erledigt werden (§ 11 des Einführungsgesetzes zur Militärstrafgerichtsordnung).

§ 26.[Bearbeiten]

Für den Vollzug der an die Stelle der Geldstrafe tretenden Freiheitsstrafe ist in den Fällen des § 2 der Militärstrafgerichtsordnung, wenn es sich um eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen handelt, der Gerichtsherr der niederen, sonst der höheren Gerichtsbarkeit zuständig.

§ 27.[Bearbeiten]

Die in den Fällen des § 9 Abs. 1 der Militärstrafgerichtsordnung erforderliche Zustimmung der Militärbehörde zur Verhängung der Untersuchungshaft bleibt dem zuständigen Gerichtsherrn der höheren Gerichtsbarkeit vorbehalten. Im Falle der Zustimmung ist die Entlassung des zu Verhaftenden aus dem aktiven Dienste herbeizuführen.

§ 28.[Bearbeiten]

Offiziere, Sanitätsoffiziere und Ingenieure des Soldatenstandes haben Anzeigen strafbarer Handlungen sowie Anträge auf Strafverfolgung gegen Personen, die der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehen, bei dem Gerichtsherrn oder einem mit Disziplinarstrafgewalt versehenen Vorgesetzten des Beschuldigten mündlich oder schriftlich anzubringen.
Die Personen des Soldatenstandes von den Unteroffizieren mit Portepee usw. abwärts haben solche Anträge oder Anzeigen ihrem Kompagniechef unmittelbar und mündlich vorzutragen. Ein mündlich vorgebrachter Antrag auf Strafverfolgung ist zu Protokoll zu nehmen (§ 151 Abs. 1 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 29.[Bearbeiten]

Der Tatbericht ist in der Regel von dem nächsten Disziplinarvorgesetzten aufzustellen und unmittelbar an den ihm zunächst vorgesetzten Gerichtsherrn einzureichen. Der bei Einreichung des Tatberichts etwa übergangenen Dienststelle ist Meldung zu erstatten (§ 153 der Militärstrafgerichtsordnung).
Geht bei einem Gerichtsherrn der niederen Gerichtsbarkeit die Anzeige eines zur kriegsgerichtlichen Zuständigkeit gehörigen Straffalles ein (§ 153 der Militärstrafgerichtsordnung), oder gelangt er auf anderem Wege zur Kenntnis einer [951] kriegsgerichtlich zu verfolgenden strafbaren Handlung, so hat er, falls der zuständige höhere Gerichtsherr nicht sofort erreichbar und ein sofortiges Einschreiten aus militärischen Gründen oder im Interesse der Untersuchung geboten ist, durch ein von ihm anzuordnendes Ermittelungsverfahren den Sachverhalt erforschen zu lassen; bei Gefahr im Verzuge ist er zur Anordnung der einstweiligen Enthebung vom Dienste, der Untersuchungshaft sowie von Durchsuchungen und Beschlagnahmen befugt.
Nach Feststellung des Sachverhalts sind die entstandenen Akten unverzüglich dem zuständigen höheren Gerichtsherrn zu übersenden.

§ 30.[Bearbeiten]

In den Bericht, welcher in Gemäßheit des § 158 Abs. 1 der Militärstrafgerichtsordnung zu erstatten ist, ist zutreffendenfalls aufzunehmen, daß die im Abs. 2 vorgeschriebene Anzeige an den Reichskanzlei erfolgt ist.

§ 31.[Bearbeiten]

In den Fällen der §§ 181, 184 der Militärstrafgerichtsordnung ist unter „Militärbehörde“ der Truppenteil beziehungsweise die nächste militärische Wache zu verstehen. Das Verfahren gegen die einer solchen Wache zugeführten Personen regelt sich nach den Vorschriften der Wachinstruktion.

§ 32.[Bearbeiten]

Zur Erlassung von Steckbriefen sind außer den Gerichtsherren befugt: die Befehlshaber selbständiger Abteilungen beziehungsweise die mit den Befugnissen eines solchen von seiten des Gouverneurs ausgestatteten Befehlshaber, sowie bei Entweichungen aus Gefangenanstalten oder Arbeiterabteilungen die Gouverneure, Kommandanten und Garnisonältesten. In Deutschland soll jeder Militärbefehlshaber vom Hauptmann aufwärts zum Erlasse von Steckbriefen befugt sein (§ 183 Abs. 2 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 33.[Bearbeiten]

Bedarf es bei Verbrechen des Landesverrats oder des Verrats militärischer Geheimnisse zur Feststellung des Tatbestandes des Gutachtens einer Militärbehörde, so ist dasselbe stets durch Vermittelung des Reichs-Kolonialamts einzuholen (§ 218 Abs. 3 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 34.[Bearbeiten]

Die eine Selbstentleibung betreffenden Verhandlungen – § 223 der Militärstrafgerichtsordnung – sind nach Abschluß der Ermittelungen dem Reichskanzler (Reichs-Kolonialamt) einzusenden.
Gleiches gilt in den übrigen Fällen des § 223. [952]
Die Leichenschau darf in den Schutzgebieten auch durch einen Gerichtsoffizier bewirkt werden.
In Notfällen kann die Leichenschau auch durch einen Offizier unter Zuziehung zweier Zeugen, welche das Protokoll über die Leichenschau mit zu unterzeichnen haben, erfolgen. Das Protokoll ist sofort dem Gerichtsherrn einzusenden.

§ 35.[Bearbeiten]

Es unterliegt dem freien Ermessen des Gerichts, ob eine Beeidigung von Eingeborenen stattfinden hat oder nicht.

§ 36.[Bearbeiten]

Für den Bereich der Kaiserlichen Schutztruppen ist der Reichskanzler (Reichs-Kolonialamt) die „oberste Dienstbehörde“ (§ 231 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 37.[Bearbeiten]

Wird der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen oder die Anklage gegen ihn verfügt, so hat der Gerichtsherr,
wenn der Beschuldigte Offizier, Sanitätsoffizier oder Ingenieur des Soldatenstandes ist:
dem höchsten der diesem vorgesetzten Militärbefehlshaber im Dienstweg Anzeige zu erstatten;
wenn der Beschuldigte Militärbeamter ist:
die diesem vorgesetzte Verwaltungsstelle und, falls der Militärbeamte im doppelten Unterordnungsverhältnisse steht, auch den nächsten vorgesetzten Militärbefehlshaber zu benachrichtigen.
In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn ein Offizier, Sanitätsoffizier, Ingenieur des Soldatenstandes oder Militärbeamter aus Anlaß des eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens einstweilen des militärischen Dienstes enthoben wird (§§ 174, 175, 250 der Militärstrafgerichtsordnung).
In allen diesen Fällen ist zu gleicher Zeit dem Reichskanzler (Reichs-Kolonialamt) Meldung zu erstatten.

§ 38.[Bearbeiten]

Von dem Berichte, welcher nach § 252 der Militärstrafgerichtsordnung wegen eines gegen den Kaiser oder das Reich gerichteten Hochverrats oder Landesverrats oder wegen eines als Verbrechen oder Vergehen sich darstellenden Verrats militärischer Geheimnisse an den Reichskanzler zu erstatten ist, ist dem Kommando der Schutztruppen auf dem Dienstweg Abschrift einzureichen.

§ 39.[Bearbeiten]

Müssen in Ermangelung sonstiger geeigneter Räume die Hauptverhandlungen in Kasernen, Arrestanstalten oder ähnlichen auch zu anderen als militärgerichtlichen [953] Zwecken dienenden militärischen Dienstgebäuden stattfinden, so erfolgt die Zulassung der Zuhörer nach Maßgabe des verfügbaren Raumes gegen Karten, die auf Anordnung des Gerichtsherrn am Tage der Hauptverhandlung ausgegeben werden. Bei Ausgabe der Karten sind, sofern nicht besondere Bedenken entgegenstehen, die nächsten Verwandten und Verschwägerten des Angeklagten tunlichst zu berücksichtigen (§ 283 der Militärstrafgerichtsordnung).

§ 40.[Bearbeiten]

Rechtsanwälte können als Verteidiger auftreten, sofern sie bei einem Kriegsgericht oder Oberkriegsgerichte der Armee oder Marine ernannt sind. § 341 letzter Absatz der Militärstrafgerichtsordnung findet Anwendung.

§ 41.[Bearbeiten]

Die Zuziehung eines gewählten Verteidigers kann abgelehnt werden, wenn durch sie eine Verzögerung des Verfahrens herbeigeführt werden würde.

§ 42.[Bearbeiten]

Die Verordnung des Bundesrats vom 16. Juni 1882/9. Juli 1896, betreffend die Einrichtung von Strafregistern und die wechselseitige Mitteilung der Strafurteile (Zentralblatt für das Deutsche Reich 1882 S. 309/1896 S. 426), findet, soweit im folgenden nicht ein anderes bestimmt wird, auf die Angehörigen der Kaiserlichen Schutztruppen sinngemäße Anwendung.
I. In die Register sind nicht anzunehmen:
Die von dem Gerichtsherrn und dem Kriegsgerichtsrate gemäß § 360 der Militärstrafgerichtsordnung zu erlassenden Beschlüsse, durch die das im Reiche befindliche Vermögen eines Abwesenden mit Beschlag belegt oder der Abwesende für fahnenflüchtig erklärt wird.
II. Von den bei den Schutztruppengerichten erfolgten Verurteilungen hat die Mitteilung durch das Kommando der Schutztruppen zu erfolgen, wenn und sobald der Verurteilte aus dem Verbande der Schutztruppen ausscheidet, ohne in das Heer oder in die Kaiserliche Marine überzutreten.
Tritt der Verurteilte in das Heer oder in die Kaiserliche Marine über, so hat die Mitteilung nach Maßgabe des § 6 Abs. 4 der Bundesratsverordnung zu erfolgen.
III. Die die Vollstreckung veranlassenden Gerichtsherren haben nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils dem Kommando der Schutztruppen eine Strafnachricht gemäß §§ 7 ff. der Bundesratsverordnung zu übersenden. [954]

§ 43.[Bearbeiten]

Vorstehende Verordnung tritt am 1. Februar 1910 in Kraft; gleichzeitig tritt die Verordnung vom 18. Juli 1900 außer Kraft.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Neues Palais, den 2. November 1909.
(L. S.)  Wilhelm.

  von Bethmann Hollweg.