Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika

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Titel: Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika.
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Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1891, Nr. 1, Seite 1–5
Fassung vom: 1. Januar 1891
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 1. Januar 1891
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(Nr. 1929.) Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika. Vom 1. Januar 1891.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

verordnen auf Grund des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (Reichs-Gesetzbl. 1888 S. 75), für Deutsch-Ostafrika im Anschluß an die Verordnung vom 18. November 1887 (Reichs.Gesetzbl. S. 527) im Namen des Reichs, was folgt:

§. 1.

Das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 (Reichs-Gesetzbl. S. 197) kommt in Gemäßheit des §. 2 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, in den Gebieten, auf welche sich die Verordnung vom 18. November 1887 bezieht, sowie in dem seitens des Sultans von Zanzibar abgetretenen Küstengebiet sammt dessen Zubehörungen und der Insel Mafia vom 1. Januar 1891 ab mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Abänderungen zur Anwendung.

§. 2.

Der Gerichtsbarkeit (§. 1 Absatz 2) unterliegen alle Personen, welche in dem Schutzgebiete wohnen oder sich aufhalten, oder bezüglich deren, hiervon abgesehen, ein Gerichtsstand innerhalb des Schutzgebietes nach den zur Geltung kommenden Gesetzen begründet ist, die Eingeborenen jedoch nur, insoweit sie nach der bisherigen Uebung der Gerichtsbarkeit des Reichskommissars unterstellt waren.

§. 3.

Der Gouverneur bestimmt mit Genehmigung des Reichskanzlers, wer als Eingeborener im Sinne dieser Verordnung anzusehen ist und inwieweit Eingeborene der Gerichtsbarkeit über das im §. 2 bezeichnete Maß hinaus zu unterstellen sind. [2]

§. 4.

Die Sitze und Bezirke der Gerichtsbehörden erster Instanz werden von dem Reichskanzler bestimmt.

§. 5.

Als Berufungs- und Beschwerdegericht wird an Stelle des Reichsgerichts (Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit §§. 18, 36, 43) eine Gerichtsbehörde zweiter Instanz am Sitze des Gouverneurs errichtet, welche aus dem vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zweiter Instanz ermächtigten Beamten als Vorsitzenden und vier Beisitzern besteht.
Auf die Beisitzer und den Gerichtsschreiber finden die Vorschriften in §. 6. Absatz 2, §§. 7, 8 und 10 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit entsprechende Anwendung.

§. 6.

Die Zustellungen werden ausschließlich durch die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten veranlaßt.
Dieselben haben dafür zu sorgen, daß die innerhalb des Bezirks, in welchem die Gerichtsbehörde ihren Sitz hat, zu bewirkenden Zustellungen mit der nach den vorhandenen Mitteln möglichen Sicherheit erfolgen. Sie erlassen unter der Aufsicht des Gouverneurs die hierfür erforderlichen Anordnungen und überwachen deren Befolgung.
Zustellungen in dem Verfahren erster Instanz außerhalb des Bezirks, in welchem die Gerichtsbehörde ihren Sitz hat, erfolgen im Wege des Ersuchens.

§. 7.

In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind in dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden in dem Schutzgebiete alle Entscheidungen, einschließlich der auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehenden, von Amtswegen zuzustellen. Diese Vorschrift findet auch auf die Zustellung der Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle an den Schuldner, sowie der Pfändungs- und Ueberweisungsbeschlüsse an den Schuldner und den Drittschuldner Anwendung.
Für Beschlüsse, welche lediglich die Prozeß- oder Sachleitung, einschließlich der Bestimmung oder Aenderung von Terminen betreffen, genügt die Verkündung.
Die Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke kann in allen Fällen durch den Gerichtsschreiber erfolgen.
Soll durch eine Zustellung eine Frist gewahrt oder der Lauf der Verjährung oder einer Frist unterbrochen werden, so treten die Wirkungen der Zustellung bereits mit der Einreichung des zuzustellenden Schriftstücks bei der Gerichtsbehörde ein, sofern die Zustellung demnächst bewirkt wird.
Bei Bewilligung der öffentlichen Zustellung einer Ladung kann die Gerichtsbehörde anordnen, daß eine Einrückung in öffentliche Blätter nicht erforderlich sei.
Wohnt eine Partei außerhalb des Bezirks, in welchem die Gerichtsbehörde ihren Sitz hat, so kann, falls sie nicht einen daselbst wohnhaften Prozeß-Bevollmächtigten [3] bestellt hat, angeordnet werden, daß sie eine daselbst wohnhafte Person zum Empfange der für sie bestimmten Schriftstücke bevollmächtige. Diese Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung erfolgen. Der Zustellungsbevollmächtigte ist bei der nächsten gerichtlichen Verhandlung oder, wenn die Partei vorher dem Gegner einen Schriftsatz zustellen läßt, in diesem zu benennen. Geschieht dies nicht, so können alle späteren Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung durch Anheftung an die Gerichtstafel bewirkt werden.
Der Nachweis über die erfolgte Zustellung ist zu den Gerichtsakten zu bringen.

§. 8.

In dem Verfahren vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz nehmen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurssachen und in den zur streitigen Gerichtsbarkeit nicht gehörenden Angelegenheiten die Beisitzer nur an der mündlichen Verhandlung, sowie an den im Laufe oder auf Grund derselben ergehenden Entscheidungen Theil. Jedoch erfolgt die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beschwerde unter Mitwirkung der Beisitzer, wenn die angefochtene Entscheidung unter Mitwirkung von Beisitzern ergangen ist.
In dem Verfahren zweiter Instanz ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten und findet der §. 269 der Civilprozeßordnung keine Anwendung.
Die Vorschriften in §§. 464 und 468 der Civilprozeßordnung gelten auch für das Verfahren zweiter Instanz.

§. 9.

Die Zwangsvollstreckung im Schutzgebiete erfolgt ausschließlich durch die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten, welche unter Oberaufsicht des Gouverneurs die hierfür erforderlichen Anordnungen erlassen. Der Beibringung einer vollstreckbaren Ausfertigung bedarf es nicht, soweit dieselbe von dem Gerichtsschreiber der Gerichtsbehörde, durch welche die Zwangsvollstreckung zu erfolgen hat, zu ertheilen sein würde.
Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten können nach Anordnung der Zwangsvollstreckung mit der Ausführung andere Personen beauftragen, welche nach ihren Anweisungen zu verfahren haben.

§. 10.

Vollstreckbare Ausfertigungen dürfen von dem Gerichtsschreiber nur auf Anordnung des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten ertheilt werden.

§. 11.

In Strafsachen findet die Hauptverhandlung ohne die Zuziehung von Beisitzern statt, wenn der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Handlung zum Gegenstande hat, welche zur Zuständigkeit der Schöffengerichte oder zu den in den §§. 74, 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Vergehen gehört. [4]

§. 12.

Der Angeklagte kann auf seinen Antrag oder von Amtswegen wegen großer Entfernung seines Aufenthaltsortes oder wegen sonstiger Hindernisse von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nach dem Ermessen der Gerichtsbehörde voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, oder Geldstrafe oder Einziehung allein oder in Verbindung mit einander zu erwarten steht.

§. 13.

Die Gerichtsbarkeit in den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehörenden Sachen wird für das Schutzgebiet den vom Reichskanzler zu bezeichnenden Gerichtsbehörden erster Instanz übertragen.
Für diese Sachen finden die Vorschriften Anwendung, welche für die im §. 28 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit bezeichneten Strafsachen gelten.

§. 14.

In Strafsachen findet vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz in Bezug auf die Zuziehung der Beisitzer die Vorschrift des §. 39 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der oben im §. 7 Absatz 1 bezeichneten Maßgabe Anwendung. Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein.
Die Mitwirkung einer Staatsanwaltschaft findet nicht statt.
Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung, wenn er sich am Orte des Berufungsgerichts befindet.
In den im §. 13 Absatz 1 bezeichneten Sachen ist die Vertheidigung auch in der Berufungsinstanz nothwendig. In der Hauptverhandlung ist die Anwesenheit des Vertheidigers erforderlich; der §. 145 der Strafprozeßordnung findet Anwendung.
Im Uebrigen verbleibt es bei den Vorschriften im §. 40 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit.

§. 15.

Die Todesstrafe ist durch Erschießen oder Erhängen zu vollstrecken.
Der Gouverneur bestimmt, welche der beiden Vollstreckungsarten in dem einzelnen Falle stattzufinden hat.

§. 16.

In dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden im Schutzgebiete finden das Gerichtskostengesetz und die Gebührenordnungen für Gerichtsvollzieher, für Zeugen und Sachverständige, sowie für Rechtsanwälte keine Anwendung.
Die Vorschriften, welche an Stelle der bezeichneten Gesetze zu treten haben, werden von dem Reichskanzler erlassen. [5]

§. 17.

Die nach §. 2 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, für die Rechtsverhältnisse an unbeweglichen Sachen einschließlich des Bergwerkseigenthums maßgebenden Vorschriften finden keine Anwendung.
Der Reichskanzler und mit dessen Genehmigung der Gouverneur sind bis auf Weiteres zur Regelung dieser Verhältnisse befugt, die erforderlichen Bestimmungen zu treffen und insbesondere die Voraussetzungen für den Erwerb und die dingliche Belastung von Grundstücken durch Rechtsgeschäfte mit den Eingeborenen festzustellen.

§. 18.

Das Gesetz, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im Auslande, vom 4. Mai 1870 (Bundes-Gesetzbl. S. 599) findet in dem Schutzgebiete vom 1. Januar 1891 ab auf Personen, welche nicht Eingeborene (§. 3) sind, Anwendung.

§. 19.

Bis zur Uebernahme der Verwaltung durch den Gouverneur werden die dem letzteren auf Grund dieser Verordnung zustehenden Befugnisse von dem Reichskommissar wahrgenommen.

§. 20.

Diese Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündigung in Kraft.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 1. Januar 1891.
(L. S.)  Wilhelm.

  von Caprivi.