Verordnung über die Einstellung, Entlassung und Entlohnung gewerblicher Arbeiter während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung

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Gesetzestext
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Titel: Verordnung über die Einstellung, Entlassung und Entlohnung gewerblicher Arbeiter während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1919, Nr. 3, Seite 8 - 13
Fassung vom: 4. Januar 1919
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 9. Januar 1919
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
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(Nr. 6620) Verordnung über die Einstellung, Entlassung und Entlohnung gewerblicher Arbeiter während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung. Vom 4. Januar 1919.

§ 1[Bearbeiten]

Der Unternehmer eines gewerblichen Betriebs, in dem in der Regel mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden, ist, vorbehaltlich des § 5 dieser Verordnung verpflichtet, diejenigen Kriegsteilnehmer einzustellen, welche bei Ausbruch des Krieges in seinem Betrieb als gewerbliche Arbeiter in ungekündigter Stellung beschäftigt waren und sich binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten dieser Verordnung oder, sofern sie bei dem Inkrafttreten noch nicht aus dem Heere oder der Marine entlassen waren, binnen zwei Wochen nach ihrer ordnungs- oder befehlsmäßigen Entlassung zur Wiederaufnahme ihrer früheren Tätigkeit bei ihm melden. Die gleiche Pflicht hat der Betriebsunternehmer gegenüber den Kriegsteilnehmern, die zur Zeit des Kriegsausbruchs ihrer Dienstpflicht bei dem Heere oder der Marine genügten und dieserhalb aus dem Betriebe des Unternehmers ausgeschieden waren. Endlich erstreckt sich die Einstellungspflicht des Unternehmers auf die Kriegsteilnehmer, die bei Ausbruch des Krieges noch schulpflichtig waren, erst später in den Betrieb des Unternehmers und von dieser ihrer ersten Arbeitsstätte unmittelbar in den Dienst des Heeres oder der Marine eingetreten sind.
Solche Kriegsteilnehmer sind tunlichst in dieselben Arbeitsplätze einzustellen, die sie vor dem Kriege innegehabt haben.

§ 2[Bearbeiten]

Der Unternehmer einer Betriebes der im § 1 bezeichneten Art ist, vorbehaltlich des § 5 dieser Verordnung, verpflichtet, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung in seinem Betriebe beschäftigten Arbeiter weiterzubeschäftigen.

§ 3[Bearbeiten]

Als gewerbliche Betreibe im Sinne dieser Verordnung gelten alle unter Titel VII der Gewerbeordnung oder einzelne Vorschriften dieses Titels fallenden Betriebe sowie die Werkstättenbetriebe der Eisenbahnunternehmungen, einschließlich der Werkstättenbetriebe der Klein- und Straßenbahnen. Die Bestimmungen der Verordnung finden ferner Anwendung auf diejenigen Betriebe des Reichs, eines Bundesstaats, einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes, welche als gewerbliche Betriebe im Sinne der Gewerbeordnung anzusehen wären, wenn sie mit der Absicht auf Gewinnerzielung geführt würden, sowie auf landwirtschaftliche Nebenbetriebe gewerblicher Art.
Die Voraussetzung, daß in den Betrieb in der Regel mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden, gilt auch dann als gegeben, wenn in dem Betriebe [9] regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt und in diesen Zeiten mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden.

§ 4[Bearbeiten]

Als gewerbliche Arbeiter im Sinne dieser Verordnung gelten alle Personen, die auf Grund eines Dienstverhältnisses in einem Gewerbebetriebe der im § 3 bezeichneten Art als Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Werkmeister, Techniker, Fabrikarbeiter oder in ähnlichen Stellungen für Zwecke des Gewerbebetriebs beschäftigt werden, mit Ausnahme der Angestellten, die nach dem Versicherungsgesetze für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (Reichs-Gesetzbl. S. 989) versicherungspflichtig sind. Zu letzteren sind auch zu rechnen die auf Grund des § 11 oder § 14 Nr. 2, 3 desselben Gesetzes von der Versicherungspflicht Befreiten sowie diejenigen, die versicherungspflichtig sein würden, wenn nicht ihr Jahresarbeitsverdienst fünftausend Mark oder ihr Alter das sechzigste Lebensjahr überstiege.

§ 5[Bearbeiten]

Wird einem Betriebsunternehmer die Durchführung der Pflichten nach §§ 1 und 2 dieser Verordnung durch die Verhältnisse des Betriebs ganz oder zum Teil unmöglich gemacht, so kann er die Arbeiterzahl seines Betriebs entsprechend einschränken.
Dabei ist grundsätzlich, soweit es die Verhältnisse gestatten, der Achtstundentag und jedenfalls als unterste Grenze eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden für die Bemessung der Arbeitsleistung eines Arbeiters in dem Betrieb als maßgebend anzusehen.

§ 6[Bearbeiten]

Die nach § 5 zur Entlassung kommenden Arbeiter sind im Benehmen mit den Arbeiterausschuß nach Maßgabe des § 7 dieser Verordnung zu bestimmen.
An die Stelle dieser Ausschüsse treten in den durch § 12 dieser Verordnung über die Tarifverträge, Arbeiter und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918 (Reichs-Gesetzbl. S. 1456) festgelegten Fällen die dort bezeichneten Vertretungen der Arbeiter.
Schwerkriegsbeschädigte, die auf Grund des Mannschafts-Versorgungsgesetzes vom 31. Mai 1906 (Reichs-Gesetzbl. S. 593) wegen einer Dienstbeschädigung eine Militärrente von 50 oder mehr vom Hundert der Vollrente beziehen, und Schwerunfallverletzte, die auf Grund der reichsgesetzlichen Unfallversicherung oder des Unfall-Fürsorgegesetzes von 18. Juli 1901 (Reichs-Gesetzbl. S. 211) oder entsprechender landesrechtlicher Vorschriften eine Unfallrente von 50 oder mehr vom Hundert der Vollrente beziehen, dürfen bis zum Inkrafttreten einer Verordnung über die Regelung des Beschäftigungszwanges der Schwerbeschädigten nicht entlassen werden.[10]

§ 7[Bearbeiten]

Bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeiter sind zunächst die Betriebsverhältnisse, insbesondere die Ersetzbarkeit des einzelnen Arbeiters zu prüfen. Sodann sind das Lebens- und Dienstalter sowie der Familienstand des Arbeiters derart zu berücksichtigen, daß die älteren, eingearbeiteten Arbeiter und die Arbeiter mit versorgungsberechtigter Familie möglichst in ihrer Arbeitsstelle zu belassen sind. Die Kriegshinterbliebenen sind angemessen zu berücksichtigen.
Dagegen kommen für die Entlassung in Betracht
die nicht auf Erwerb angewiesenen Arbeiter, die in anderen Berufen (Land- und Forstwirtschaft, Hauswirtschaft) Arbeit finden können, besonders, sofern sie früher in diesen Berufen tätig waren,
die während des Krieges von einem anderen Orte zugezogenen Arbeiter, wenn sie nicht die Bescheinigung des für diesen Ort zuständigen Arbeitsnachweises beibringen können, daß eine Beschaffung von Arbeitsgelegenheit an diesem Orte oder in dessen Umgebung nicht möglich ist.
Jugendliche Arbeiter, die im Lehrverhältnis oder in ähnlicher Fachausbildung stehen, sind tunlichst auf ihren Arbeitsplätzen zu belassen.
Die Zahl der zu Entlassung kommenden Arbeiter ist dem zuständigen Arbeitsnachweise vom Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung anzuzeigen.

§ 8[Bearbeiten]

Bei der Entlassung der Arbeiter ist eine Kündigungsfrist von mindestens 2 Wochen innezuhalten, soweit nicht längere Kündigungsfristen gesetzlich vorgeschrieben oder vereinbart sind. Entschließen sich die Arbeiter, die von einem anderen Orte zugezogen sind, nach Ausspruch der Kündigung in ihre Heimat zurückzukehren, so ist ihnen der Lohn für den Rest der zweiwöchigen Kündigungsfrist vom Arbeitgeber auszuhändigen. Erreicht der dem Arbeiter hierdurch zufallende Abschlagslohn den Betrag von zweihundert Mark nicht, so hat der Betriebsunternehmer dem Arbeiter für die Reise ein Zehrgeld von 10 vom Hundert des Abschlagslohns zu gewähren. Angefangene Akkordarbeiten sind in diesem Falle entsprechend dem erreichten Arbeitserfolge zu bezahlen.
Arbeiter, die in den ersten fünf Tagen nach erfolgter Kündigung nach ihrem Heimatsorte fahren, bekommen für ihre Person und gegebenenfalls für ihre Familie freie Beförderung bei Vorlage des polizeilichen Abmeldescheins und einer Bescheinigung des Arbeitgebers über den Zeitpunkt der erfolgten Kündigung. Die Kosten dieser freien Beförderung werden vom Reiche den zuständigen Eisenbahnverwaltungen erstattet.[11]

§ 9[Bearbeiten]

Die Bestimmungen des § 8 finden eine Anwendung auf Arbeiter, deren Beschäftigung ihrer Natur nach nur eine vorübergehende oder aushilfsweise ist.

§ 10[Bearbeiten]

Die gesetzlichen Bestimmungen über die Gründe einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne Innehaltung der Kündigungsfrist werden von diesen Vorschriften nicht berührt.
Als wichtiger Grund im Sinne der vorstehenden Bestimmungen gilt jedoch nicht der durch Mangel an Kohlen oder Rohmaterial verursachte Zwang zur vorübergehenden Betriebseinstellung.

§ 11[Bearbeiten]

Hat ein Tarifvertrag für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen des Berufskreises innerhalb des Bezirkes eines Demobilmachungskommissars überwiegende Bedeutung erlangt, so kann der Demobilmachungskommissar bei dem Reichsarbeitsamte beantragen, den Tarifvertrag gemäß § 2 der Verordnung vom 23. Dezember 1918 (§ 6 Abs. 2) für allgemein verbindlich zu erklären. In diesem Falle gelten die Vorschriften der §§ 2 bis 6 der bezeichneten Verordnung entsprechend.
Das Reichsarbeitsamt kann vorbehaltlich seiner endgültigen Entscheidung anordnen, daß die allgemeine Verbindlichkeit des Tarifvertrags schon vor Abschluß des Verfahrens nach § 4 Abs. 1 der genannten Verordnung einzutreten hat, wenn der Demobilmachungskommissar dies zur Beschleunigung für notwendig hält.

§ 12[Bearbeiten]

Soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht, sind die Löhne und sonstigen Arbeitsverhältnisse gemäß der Verordnung vom 23. Dezember 1918 zu regeln.
Der in dieser Verordnung vorgesehene Schlichtungsausschuß ist auch zuständig, wenn es sich um Streitigkeiten darüber handelt, ob ein Betriebsunternehmer verpflichtet ist, Kriegsteilnehmer nach § 1 dieser Verordnung einzustellen oder Arbeiter nach § 2 dieser Verordnung weiterzubeschäftigen. Für das Verfahren in diesem Falle gelten die §§ 15 bis 30 der Verordnung von 23. Dezember 1918.

§ 13[Bearbeiten]

Der Demobilmachungskommissar kann auch selbst bei Streitigkeiten über Einstellung von Kriegsteilnehmern oder Entlassungen von Arbeitern (§ 1 und 2 dieser Verordnung) den zuständigen Schlichtungsausschuß (§ 12 dieser Verordnung) und bei Streitigkeiten über Löhne oder sonstige Arbeitsverhältnisse gleichfalls den Schlichtungsausschuß oder die nach § 20 der Verordnung von 23. Dezember 1918 [12] an seine Stelle tretende andere Einigungs- oder Schlichtungsstelle anrufen und wie eine Partei durch Stellung von Anträgen und Teilnahme an den Verhandlungen das Verfahren fördern.

§ 14[Bearbeiten]

Unterwerfen sich nicht beide Parteien dem Schiedsspruch, so kann der Demobilmachungskommissar den Schiedsspruch für verbindlich erklären. Dabei kann er, soweit der Schiedsspruch die Einstellung von Kriegsteilnehmern oder die Entlassung von Arbeitern betrifft, die einzustellenden Kriegsteilnehmer oder die weiter zu beschäftigenden Arbeiter bestimmen.
Betrifft der Schiedsspruch auch die Arbeitsverhältnisse solcher Arbeiter, die im Bezirk eines anderen Demobilmachungskommissars beschäftigt sind, so stehen die im § 1 bezeichneten Befugnisse dem Reichsamt für die wirtschaftliche Demobilmachung zu.
Ist ein Schiedsspruch nach Abs. 1 und 2 für verbindlich erklärt, so gelten zwischen den Betriebsunternehmern und den einzustellenden Kriegsteilnehmern Arbeitsverträge als abgeschlossen, die dem Inhalt des Schiedsspruches, und, soweit dieser eine Regelung nicht vorsieht, den Arbeitsverträgen gleichartiger Arbeiter des Betriebs entsprechen. Für die weiter zu beschäftigenden Arbeiter ändern sich in diesem Falle ihre Arbeitsverträge entsprechend dem Inhalt des Schiedsspruchs.

§ 15[Bearbeiten]

Ist nach § 27 Abs. 4 der Verordnung vom 23. Dezember 1918 ein Schiedsspruch nicht zustande gekommen, so kann der Demobilmachungskommissar nach erneuter Verhandlung des Schlichtungsauschusses einen Schiedsspruch herbeiführen. Hierbei hat der Demobilmachungskommissar die Befugnis eines unparteiischen Vorsitzenden. Ist ein solcher vorhanden, so scheidet er für die fraglichen Streitigkeiten aus.
In dem Falle des § 14 Abs. 2 tritt ein Vertreter des Reichsamts für die wirtschaftliche Demobilmachung an die Stelle des Demobilmachungskommissars.

§ 16[Bearbeiten]

Das Reichsamt für die wirtschaftlich Demobilmachung ist befugt, Ausführungs- und Übergangsvorschriften zu dieser Verordnung zu erlassen.

§ 17[Bearbeiten]

Die Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft. Den Zeitpunkt ihres Außerkrafttretens bestimmt das Reichsamt für die wirtschaftliche Demobilmachung.[13]
Zwei Wochen nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die Verordnung, betreffend Arbeitsverdienst bei Verkürzung der Arbeitszeit in der Groß-Berliner Metallindustrie vom 7. Dezember 1918, außer Kraft.
Berlin, den 4. Januar 1919.
Die Reichsregierung
Ebert Scheidemann

Der Staatssekretär des Reichsamts für wirtschaftliche Demobilmachung
Koeth