Vietri
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Vor dem Fels, dem steilen, rauhen,
Liegt des Golfes blanker Guß,
Nichts bewegt den stillen;
Und aus seinem Spiegel schauen
Freundlich an dem Felsenfuß
Fischerhütt’ und Villen.
Höher, auf des Felsens Haupte,
Auf dem duftumflognen, blühn
Die Orangenhaine;
Höher glühn der Burg umlaubte
Fenster, wo das Rebengrün
Schmückt die grauen Steine.
Luna’s feuchte Augen grüßen
Träumerisch die Spiegelfluth
Vom Gewölk umzogen;
Und in tiefen Meergrund schließen,
Wie ein liebgehegtes Gut,
Luna’s Bild die Wogen.
Die Gegend von Neapel, mit ihren wilden und malerischen Ufern, Schluchten, Felsen, Bayen, Seen, Solfataren, Eilanden, Höhlen und Grotten, „wo Geschichte und Fabel zusammen wohnen“, jene Landschaft, zu deren Preis Poesie und Malerei in allen Zeiten mit einander wetteiferten, ist eine merkwürdige Schädelstätte der Völker und ihrer Mythen, ihrer Kulten und ihrer Künste. Die Sybillen, Virgil, Cumä, Bajä, die phlegräischen Felder und der Avernus, der Pausilipp und die Thore von Pästum, Herkulanum und Pompeji, die lebendig begrabenen Städte, und der Vesuv sind eben so viel Marksteine für Erinnerung und Betrachtung. Phönizier, Carthager, Griechen, Römer, die Barbaren aus Nord und Ost, die Gothen, Vandalen und Hunnen, die Araber und [60] Normannen, die Schwaben und Franzosen, die Spanier und die Deutschen haben alle hier gelebt und geendet. Wie manche Konglomerate aus den Trümmern aller ältern Erdrinden zusammen gesetzt sind, so ist auch das neapolitanische Volk eine wunderliche Mischung aller der Völker geworden, welche auf seinem Boden, kolonisirend oder erobernd sich niederließen, herrschten und vergingen. Nur ein Zug ist allgemein und macht das eigentliche typische Gepräge des Neapolitaners aus. Der Pfaffenstempel ist der Physiognomie der Volksmassen aufgepreßt – krasser, religiöser Aberglaube, Stumpfsinn, Fetischmus und Bigotterie gucken aus allen Augen. Neben dem Pfaffenstempel drückte die leibliche Zwingherrschaft ihr Siegel auf und beide zusammen haben das Volk zu einer nichtsnutzigen Raçe heruntergebracht, welche, alles Selbstgefühls ledig, in schweigsamer Unterthänigkeit seinen geistlichen und weltlichen Tyrannen die Fußsohlen küßt und jeden Versuch edlerer Naturen, der darauf gerichter ist, die geistliche und politische Knechtschaft, in der das Volk verstrickt ist, von ihm zu nehmen, zur Thorheit stempelt.
Ueber das Land Neapel hat indeß die Natur ihr Füllhorn so reichlich ausgeschüttet, daß der Bewohner wegen seines leiblichen Daseyns unbekümmert seyn darf, und darum trägt er, bei seinem angebornen Leichtsinn, an der Last der Verworfenheit auch nicht schwer. Die Wenigsten fühlen sie und empfinden ihren Druck. Die Wünsche des gemeinen Volks drehen sich um die Befriedigung sinnlicher Genüsse und Gelüste, und diese kann es mit wenig Mühe befriedigen. Für höhere Freuden hat es kein Bedürfniß.
Vietri’s Umgebung gehört in den Cyklus der Landschaften um Sorrent, der allgepriesenen. Nicht allein ihrer Anmuth wegen sind sie gefeiert, sondern auch wegen der Frische und Gesundheit ihrer Luft. Rings von Feldgebirg, vulkanischen Ursprungs, umschlossen, das zugleich Schutz und Kühlung gewährt, werden sie von Neapels Aerzten Vielen zum Aufenthalt empfohlen, welche unter dem milden Himmel Hesperiens Linderung ihrer Leiden suchen. Um Vietri machte Salvator Rosa seine Studien, und für die Maler der Nordländer ist die Gegend beständig eine unerschöpfliche Fundgrube der Schätze, welche sie in ihren Mappen in die Heimath tragen.
Das heutige Vietri ist ein Flecken mit städtischen Rechten. Von hoher Felszinne schaut eine alte Normannenburg auf das Meer und die Schlucht herunter, in die sich der kleine Ort gebettet hat. Ein Arm des Meers reicht fast bis an den Flecken und bildet einen kleinen, in alter Zeit belebten, sichern Hafen. Aber schon seit lange sind Handel und Verkehr von hier geflohen und die trägen Bewohner besitzen kaum noch ein Paar schlechte Barken zum Fang der trefflichen Fische, welche alle Buchten und Winkel dieser Küste beleben.