Vom Nordpol bis zum Aequator/Christnacht im Urwalde

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Christnacht im Urwalde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 902–903
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[902]
Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Christnacht im Urwalde.[1]

An einem der Regenseen des afrikanischen Urwaldes, zu welchem sich in der trockenen Zeit des Jahres das thierische Leben in ungeahnter Fülle drängt, hatten wir mehrere Tage gejagt, beobachtet, gesammelt, in Bewunderung der großartigen Pflanzen- und einer entsprechenden Thierwelt geschwelgt, mit Nilpferden uns geneckt, an Krokodilen unsere Feindschaft bethätigt, mit einem Worte Jagd und Forschungsfreuden in reichstem Maße genossen und darüber alles Andere, selbst die Zeit vergessen, in welcher wir lebten. Als aber die Sonne sich neigte und Gold unter das so vielfach verschiedene Blattgrün des Waldes wob; als das Kreischen der Papageien verhallt war und nur noch der träumerische Gesang einer Drossel zu uns herüberklang; als der See-Adler drüben am anderen Ufer, welcher eben noch als wundervolle Blüthe seines grünen Ruhesitzes erschienen war, schlummermüde seinen weißen Kopf zwischen die Schultern zog; als selbst das Gegurgel einer im nächsten hohen Mimosenwipfel Schlafstätten suchenden Meerkatzenbande verstummt war; als die Nacht hereinbrach dämmerungshell und freundlich, kühl und milde, klangreich und duftig, wie immer in jetziger Zeit: da wollte aller Farbenreichthum, Glanz und Schimmer der heute und gestern in unsere Seelen aufgenommenen Bilder erbleichen. Unaufhaltsam flogen unsere Gedanken der theuren Heimath zu, und Heimweh ergriff unsere Herzen im Tiefinnersten; denn in der Heimath feierte man heute die Christnacht. Wir hatten uns Punsch bereitet und unsere Pfeifen mit dem köstlichsten Tabak der Erde gefüllt; unser albanesischer Begleiter sang seine weichen klangvollen Lieder; die Nacht umschmeichelte Herz und Sinne, aber die Gläser blieben ungeleert: „die Wolken des Rauches nahmen die Wolken der Schwermuth nicht mit sich hinweg“; die Lieder weckten keinen Widerhall in uns, und die Nacht schmeichelte vergebens. Sie mußte uns unser Christgeschenk bringen, und sie brachte es.

Die Nacht im Urwalde ist immer erhaben; mag der Himmel über diesem in flammenden Blitzen aufleuchten, der Donner in ihm wiederhallen und Sturm in ihm toben, oder mögen an dem auf weithin dunklen, sternlosen Gewölbe ferne Sonnen strahlen und weder Blatt noch Halm sich regen. Wenige Minuten nach Sonnenuntergang umhüllt sie den Wald. Was am Tage klar hervortrat, wird nunmehr vom Dunkel umschleiert; was im Sonnenlichte in erfaßlichen Maßen erschien, vergrößert sich zum Riesenhaften. Bekannte Bäume werden zu Trugbildern; die heckenartigen Gebüsche verdichten sich zu dunklen Mauern. Der tausendstimmige Lärm verstummt allmählich, und für Minuten tritt tiefe Stille ein. Dann beginnt es wiederum sich zu regen, wird es lebendig auf dem Strome wie im Walde; Hunderte von Cikaden heben ein Klingen an, vergleichbar dem Geläute kleiner, unrein gestimmter Glöckchen, welches aus weiter Ferne vernommen wird; Tausende erwachter Käfer, unter ihnen solche von ungewöhnlicher Größe, umschwirren die blühenden Bäume und rufen ein tönendes Summen hervor: die rechte Begleitung zu jenem Geläute. Frösche, welche nur einen einzigen, für ihre geringe Größe überraschend lauten Ruf ausstoßen, mischen sich darein, und ihre den Klängen eines langsam geschlagenen chinesischen Gong vergleichbaren Stimmlaute hallen auf weithin durch den Wald. Eine große Eule begrüßt die Nacht mit dumpfheulendem Geschrei; ein kleines Käuzchen antwortet mit gellendem Gelächter; ein Ziegenmelker spinnt eine und die andere Strophe seines schnurrend röchelnden Gesanges ab. Vom Strome her erklingt der klägliche Ruf des Nachtvogels der Mövenfamilie, eines Scheerenschnabels, welcher, hart über der Oberfläche des Wassers dahinstreichend, die Wellen zu durchpflügen begann; auf sandigen Inseln und Bänken ertönen der laute, etwas kreischende Schrei des Triel oder Dickfußes und tonreiche, klangvolle, gesangähnliche Triller eines Wasserläufers oder Regenpfeifers; über dem Röhricht und Geschilfe des unfernen Regensees krächzt ein Nachtreiher.

Im Dickichte der Gebüsche wie um die Baumkronen leuchten Hunderte von Glühwürmern auf; im Strome zieht eines der riesigen Krokodile, welches schon vor Sonnenuntergang die gegenüberliegende Sandbank verlassen und seinen sonnendurchglüheten Panzer in den lauen Fluthen gekühlt hat, hart unter, zum Theil über der Oberfläche schwimmend, lange, im Mondenscheine silbern glänzende, im Sterngeflimmer wenigstens glitzernde Streifen. Ueber die höchsten Baumkronen schweben lautlosen Fluges lichtgefärbte Uhus und Eulen; am Ufersaume entlang fliegen mit anmuthigen Schwenkungen langschwänzige Nachtschatten; zwischen den Kronen der Bäume beschreiben Fledermäuse ihre Flugbahnen; von einem Ufer zum anderen ziehen, manchmal in Scharen, Flughunde oder fruchtfressende Flatterthiere. Und nunmehr ist auch die Zeit gekommen, in welcher die übrigen Säugethiere des Waldes sich ermuntern oder doch vernehmen lassen. Ein Schakal beginnt seine wechselvollen, bald kläglich erscheinenden, bald erheiternden Weisen und trägt sie mit eben so viel Ausdruck wie Beharrlichkeit vor; ein Dutzend anderer seiner Art stimmt augenblicklich ein und ringt in edlem Wettstreite um des Siegers Kranz; einige Hyänen scheinen nur auf diese unerreichbaren Vorsänger gewartet zu haben, um als vielstimmiger Chor einzufallen, und heulen und lachen, jammern und jauchzen; ein Pardel grunzt; ein Löwe brüllt dazwischen; selbst das noch im Strome verweilende Nilpferd erhebt brummend seine armselige Stimme.

So redet und offenbart sich die Nacht im Urwalde, so beschäftigte sie Ohr und Auge auch an jenem mir unvergeßlichen Tage. Käfer und Cikaden, Eulen und Ziegenmelker hatten begonnen: da schmetterten grelle, kräftige, dröhnende Laute durch den Wald, als ob Trompeten von unkundigem Munde geblasen würden. Augenblicklich verstummten die Lieder unseres Albanesen, Geschwätz und Geplauder unserer Diener und Schiffer, und alle lauschten wie wir. Noch einmal schmetterte und dröhnte es vom anderen Ufer herüber: „el fiuhl, el fiuhl!’’ riefen die Eingeborenen, „Elefanten, Elefanten!“ jubelten auch wir. Es war das erste Mal, daß wir die riesigen Dickhäuter, auf deren Pfaden wir bisher fast stets gewandelt, deren Spuren wir so oft verfolgt, vernahmen, belauschten. Vom jenseitigen Uferrande herab zum Wasser stiegen gemächlich und sicher riesige, im Dämmerlichte der Nacht mit genügender Deutlichkeit wahrnehmbare Gestalten, um im Strome zu trinken und zu baden. Einer nach dem andern tauchte seinen gelenkigen Rüssel in das Wasser, um ihn hier zu füllen und dann im weiten Maule oder über Schultern und Rücken zu entleeren, und einer nach dem anderen stieg zuletzt in den Strom hinab, um in dessen Fluthen sich zu erfrischen. Und als sei jenes schmetternde Getön nur ein Weckruf gewesen: so laut wurde es jetzt im Walde. Früher als je zuvor erhob der König der Wildniß seine Donnerstimme; ein zweiter und dritter Löwe erwiderten den Königsgruß. Entsetzt schrieen die [903] schlaftrunkenen Affen auf, angsterfüllt schreckten Antilopen. Dann reckte in unmittelbarer Nähe unseres Bootes ein Nilpferd sein ungeschlachtes Haupt über die Oberfläche des Stromes und brummte, als wolle es versuchen, mit dem Donnergebrüll des Löwen zu wetteifern; ein Leopard wagte ebenfalls sich hören zu lassen; Schakale stimmten das wechselvollste Lied an, welches wir je von ihnen vernommen; die gestreiften Hyänen heulten, die gefleckten erhoben ihr höllisches, Mark und Bein erschütterndes Gelächter; und unbekümmert um allen Aufruhr, welchen die Herolde und der König des Waldes heraufbeschworen hatten, fuhren die Frösche fort, ihren eintönigen Ruf, die Cikaden, ihr klingendes Geläute hören zu lassen.

Dies war das „Hosiannah in der Höh’“, welches uns der Urwald sang.

  1. Aus dem Vortrage: „Der afrikanische Urwald“.