Von einem pfaffen, der by nacht auff einem wasser seltzam obentheür erfaren hatt

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Textdaten
Autor: Georg Wickram
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Titel: Von einem pfaffen, der by nacht auff einem wasser seltzam obentheür erfaren hatt
Untertitel:
aus: Georg Wickrams Werke. Dritter Band (Rollwagenbüchlin. Die sieben Hauptlaster). Herausgegeben von Johannes Bolte. Gedruckt für den Litterarischen Verein in Stuttgart. Tübingen 1903.
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Erscheinungsdatum: 1555
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Übersetzer: Wikisource, Übersetzer: Benutzer:Centipede. Lizenz: CC-BY-SA 2.0 Deutschland
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Originalherkunft:
Quelle: Georg Wickram: Das Rollwagenbüchlin. Text nach der Ausgabe von Johannes Bolte. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1984, S. 121-122. ISBN 3-15-001346-1
Kurzbeschreibung:
Siehe auch die Version in der Bibliotheca Augustana
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Von einem pfaffen, der by nacht auff einem wasser seltzam obentheür erfaren hatt.

Ein gůter, frummer, einfaltiger pfaff, so nie mit dem teüffel zů schůlen gangen waß[1], gieng auff ein zeit über faeld. Er was in seinen tagen nit vil gewandret, hatt wenig von weltlichem brauch erfaren. Das gůt herrlin kam in einen seer dicken wald, darinn überfiel in die nacht so gar gaechlingen[2], das er nit wußt, woauß oder wohin er solt. Es umbgab in ein seer grosse angst; er gieng hin und wider in dem wald. Zůletst kam er zů einem grossen wasser; da ward er gewar, das leüt vorhanden waren, Erst lüff im die katz den rucken auff; dann er sorgt, es weren moerder, so ir auffenthaltung in dem wald hetten. Der gůt pfaff saumpt sich nicht lang, kroch zue allernechst am wasser in ein dicke hurst[3], sich vor den leüten, so er reden hort, zů verbergen. Der mon schein gar hell, das er weit auff das wasser sehen mocht; in dem sicht er vier fischer in zweyen weydschiffen[4] daher schalten[5]; die wurffen ire garn[6] gleich an dem hammar[7] in das wasser, da der pfaff in der hurst stackt. Als sy die garn wider ziehen wolten, was in ein grosser dorn in das garn kummen, darvon sy gantz unwirsch unnd ungedultig wurden; fiengen gar grawsam an zů schweren. Als das der pfaff hort, ward im gar angst, dann er gedacht, gott wirt das gantz erdtrich von wegen solcher ungebuerlichen schwuer under lassen gan, wie es dann nit ein wunder wer. Nun als die fischer die doern auß dem garn geledigt hetten, stigen sy in iren grossen wasserstifflen an das land, zogen ire brotseck harfür; und, wie ir brauch ist, fiengend sy dapffer an[122] zů schlemmen. Stigen nach dem schlam wider inn ire schiff unnd fůren weiter nach irer narung. Diß alles hatt der gůt pfaff gesehen und gehoert, kundt oder wußt sich aber gar nichts darauß zů verrichten[8]. Er erwartet deß tags mit grossen sorgen. Als der jetzund vorhanden was, kroch er auß der hurst, gieng so lang, biß er auß dem wald kam. Do sahe er erst, wo er daheimen waß.

Den nechsten sunnentag, als er seine predig vollendet und nach gemeinem brauch für alle stend, geistlich und weltlich, bitten ward[9], fieng er zůletst an und sagt: „O liben fründt, helffend mir gott bitten für das volck in den grossen stifflen, so zů nacht auff dem wasser faren, das inn kein dorn ins garn kumm! Sunst fahen sy an zů schweren, es moecht der himmel herabfallen. Ich sag eüch, das es ein unnütz volck ist; was ander lüt deß tags ersparen, fressen sy zů nacht. Gott sey gedanckt, so mir von dem unnützen fressigen gesind geholffen hatt!“

Dise fabel sey gleich ein gedicht[10] oder ein geschicht, so ist es doch leider ein solcher boeser brauch by den fischern entstanden (aber nit by allen), das ich glaub, man under allen hantierungen nit ein sollich ruchloß volck find, so an irer bittern, sauren und sorglichen arbeit gott also lesteren, daß warlich nit ein wunder wer, gott strieff sy gleich an der stett. Der herr geb sein genad, damit semlich gotteslesterung by disem und anderm volck ein ende nemme und sy darfür seinen heyligen nammen preyssen unnd eehren! Darzů helff uns gott der vatter, gott der sun unnd gott der heilig geist! Amen.

End deß Rollwagenbuechlins.

  1. s. Nr. 40, 12 und 53, 9.
  2. jählings, plötzlich.
  3. dichte Hecke.
  4. kleinen Nachen (Weidlingen).
  5. das Schiff mit der „Schalte“ = Ruderstange fortbewegen.
  6. Netz.
  7. unklar; vielleicht = hammen, Ufer?
  8. keinen Vers darauf zu machen.
  9. betete.
  10. Erdichtung.

Übersetzung

Von einem Pfaffen, dem nachts auf einem See ein seltsames Abenteuer widerfahren ist.

Ein guter, frommer, einfältiger Pfaffe, der nie etwas mit dem Teufel zu tun hatte, war einmal unterwegs. Er war in seinem Leben nicht viel herumgekommen, wußte wenig von weltlichen Dingen. Das gute Herrchen kam in einen sehr großen Wald, darin überfiel ihn die Nacht so plötzlich, daß er nicht wußte, woraus oder wohin er sollte. Er bekam eine sehr große Angst; ging in dem Wald hin und her. Zuletzt kam er zu einem großen See; da bemerkte er, dass dort Leute waren. Erst lief es ihm kalt den Rücken hinunter; denn er dachte, es seien Mörder, die dort im Wald wohnten. Der gute Pfaffe säumte nicht lange, kroch nahe beim Wasser in eine dichte Hecke, um sich vor den Leuten, die er dort reden hörte, zu verstecken. Der Mond schien sehr hell, dass er weit auf das Wasser sehen konnte; da sieht er vier Fischer in zwei Nachen rudern; sie warfen ihr Netz gerade dort ins Wasser, wo der Pfaffe in der Hecke steckte. Als sie das Netz wieder einziehen wollten, blieb ein großes Gestrüpp in ihm stecken; davon wurden sie ganz unwirsch und ungeduldig; fingen ganz grausam an zu fluchen. Als der Pfaffe das hörte, bekam er große Angst, denn er dachte, Gott wird die ganze Erde wegen solchen ungebührlichen Fluchens untergehen lassen, was kein Wunder wäre. Als nun die Fischer das Gestrüpp aus dem Netz gefischt hatten, stiegen sie in ihren großen Wasserstiefeln an Land und zogen ihre Brote heraus; und wie es ihr Brauch ist, fingen sie tapfer an zu schlemmen. Stiegen nach dem Schlemmen wieder in ihr Schiff und fuhren weiter ihrem Geschäft nach. Dies alles hatte der gute Pfaffe gesehen und gehört, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Er wartete mit großer Sorge auf den Tagesanbruch. Als der gekommen war, kroch er aus der Hecke, ging so lange, bis er aus dem Wald kam. Da sah er erst, wo es nach Hause ging.

Den nächsten Sonntag, als er seine Predigt vollendet hatte und nach üblicher Sitte für alle Stände, geistliche und weltliche, betete, fing er zuletzt an und sagte: „O liebe Freunde, helft mir, Gott zu bitten für das Volk mit den großen Stiefeln, die nachts auf dem Wasser fahren, dass ihnen kein Gestrüpp ins Netz kommt! Sonst fangen sie an zu fluchen, es könnte der Himmel herunterfallen. Ich sag euch, dass es ein unnützes Volk ist; was andere Leute am Tag sparen, fressen sie in der Nacht auf. Gott sei gedankt, dass er mich vor dem unnützen gefräßigen Gesindel beschützt hat!“

Obwohl diese Fabel wie ein Gedicht oder eine Geschichte ist, so ist doch leider ein solcher böser Brauch bei den Fischern entstanden (aber nicht bei allen), dass ich glaube, man findet unter allen Berufen nicht solche ruchlosen Leute, die an ihrer bitteren, sauren und sorgfältigen Arbeit Gott so lästern, dass es wahrlich kein Wunder wäre, wenn Gott sie gleich an Ort und Stelle strafen würde. Der Herr gebe Gnade, damit sämtliche Gotteslästerung bei diesem und anderem Volk ein Ende nehme und sie dafür seinen heiligen Namen preisen und ehren! Dazu helf uns Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der heilige Geist!

Amen.