Von einer untergegangenen Fürstlichkeit

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolf Ebeling
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Von einer untergegangenen Fürstlichkeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 603–606
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[603]
Von einer untergegangenen Fürstlichkeit.
Pariser Erinnerungen von Adolf Ebeling.


Wenn man vor ungefähr zwanzig Jahren in Paris durch die Elyseischen Felder nach dem Triumphbogen ging, wie ich mehrfach gethan, so bot sich einem ein ganz anderes Bild als jetzt: kaum ein Dritttheil der großen Avenue war bebaut; weite Rasenflächen und Gräben zogen sich zu beiden Seiten der Hauptallee entlang, und gleich hinter dem Triumphbogen begann das Bois de Boulogne, aber noch ohne Paläste und Kunstgärten; es war ein einfaches, schlecht unterhaltenes Gehölz und nichts weiter. Erst dem Wunsche des Kaisers Napoleon und der Energie seines Factotums Haußmann war die große Umwandlung vorbehalten – aber wer uns damals in einer Laterna magica das Bild gezeigt hätte, wie es sich uns darstellt, wäre gewiß verspottet und verlacht worden. Nur eine prächtige Villa, rechts in ziemlicher Entfernung vom Triumphbogen, machte schon damals eine auffallende Ausnahme; sie gemahnte wie eine Oase in der Wüste. Wer, was übrigens Wenige thaten, seinen Spaziergang bis dahin ausdehnte, blieb verwundert stehen, denn er befand sich auf einmal, nachdem er an allerlei Baracken und halbverfallenen, ärmlichen Wohnungen vorbeigekommen war, vor einem palastähnlichen Gebäude, das noch dazu ganz seltsam und phantastisch aussah. Auf den ersten Blick konnte man wohl meinen, es sei eine Art von Castell oder Citadelle. Die hohen und dicken Mauern, welche das Gebäude mit seinen beiden Höfen und dem daranstoßenden Garten umgaben, waren dergestalt mit massiven sowohl aufrechtstehenden wie hinabgebogenen und scharfzugespitzten Eisenstangen versehen, wie man dergleichen kaum an einem Gefängnisse oder an einem mittelalterlichen Arsenale antrifft; an den Mauerecken liefen sogar diese Stangen senkrecht bis auf die Straße hinab, als wollte man schon die bloße Annäherung und Berührung verhindern. Die zwei großen Doppelthore waren gleichfalls ganz mit starken Eisenplatten beschlagen, wie Festungsthore, nur daß man sich an diesen natürlich nicht die Mühe giebt, alle vorspringenden erhöhten Flächen und Kanten, Schilder und Schraubenköpfe zu vergolden, wie es hier der Fall war. Auch das oben beschriebene Gitterwerk der Mauer war reich vergoldet; der Besitzer, der dahinter wohnte, mußte des edeln Metalles nicht wenig haben, das sagte man sich unwillkürlich.

Und so war es auch; denn dieser Besitzer war kein Anderer als der Herzog Karl von Braunschweig, der sich hier angekauft und angebaut hatte und sich sein unfreiwilliges Exil durch die Freuden und Genüsse der Hauptstadt der Welt möglichst zu versüßen suchte. Daß jene Freuden und Genüsse sehr zweideutiger Natur waren, ist allbekannt, wie denn überhaupt das Leben und Treiben dieses entthronten Selbstherrschers für jeden anständigen, namentlich aber für die in Paris lebenden Deutschen, nichts weniger als schmeichelhaft und angenehm war.

Wenn wir jetzt, wo dieser Held der Demimonde das Zeitliche gesegnet hat (von Segen kann dabei nicht sonderlich die Rede sein, man müßte denn das Genfer Testament als solchen betrachten), wenn wir ihn noch einmal unseren Lesern flüchtig vorführen, so wollen wir uns allerdings von vornherein gegen das bekannte „de mortuis nil nisi bene“ verwahren – denn wenn wir etwas Gutes von dem Ex-Herzog berichten sollten, so kämen wir wirklich in nicht geringe Verlegenheit. Uebrigens sind es nur einige persönliche Erinnerungen, um die es sich hier handelt, nicht eine Biographie und noch weniger eine ernste Charakteristik des Verstorbenen; das wäre, und namentlich der letztere Punkt, eine wenig lohnende Aufgabe, die dem Gerichtsschreiber überlassen bleibt, dem auch diese in so vieler Beziehung klägliche Figur unerbittlich anheimfallen wird.

So, wie eben geschildert, präsentirte sich also das Palais des Herzogs von außen; vergessen dürfen wir dabei nicht die rosenrothe Farbe, mit welcher das ganze Gebäude angestrichen war, was demselben allein schon ein barockes und theatralisches Aussehen gab. Das Innere entsprach diesem Aeußern vollkommen. Allerdings berichte ich hier zumeist nur nach Hörensagen; denn wenn es mir auch einige Male vergönnt gewesen ist, die unteren Räume mit dem Wintergarten, dem Billard- und Speisesaal etc. zu betreten, so bin ich, ehrlich gestanden, niemals die breite, weiße Marmortreppe hinaufgekommen und noch weniger in die Privatgemächer des hintern Flügels, wo sich das Schlafzimmer mit dem feuer- und bombenfesten Gewölbe befand, welches letztere zur Aufbewahrung der Schätze und Kostbarkeiten und namentlich der Diamanten des Herzogs diente. Diese Diamanten gehörten so völlig zur Identität des Herzogs und bildeten gewissermaßen sein zweites Ich, daß man ihn sich ohne dieselben gar nicht denken konnte, wie er denn auch in ganz Paris der Diamantenherzog hieß, unter welchem Titel ihn der letzte Gamin und Eckensteher kannte. Sie machten ihm aber auch viele schwere Stunden, seine Diamanten, und sein ganzes Leben lang war er eigentlich ihretwegen in steter Angst und Sorge. Er verließ manchmal plötzlich das Theater mitten in einer Vorstellung, oder eine Soirée, oder wo er sonst war, rief hastig nach seinem Wagen und ließ sich, so schnell die Pferde nur laufen konnten, wieder nach Hause fahren, und das Alles einzig und allein, um nachzuschauen, ob noch Alles bei ihm in Ordnung, oder ob er nicht etwa bestohlen sei. Und doch hatte er die eisernen Thüren seines Schatzgewölbes mit Selbstschüssen und allerlei sonstigen Sicherheitsvorrichtungen versehen, die zuletzt (denn mit den zunehmenden Jahren steigerte sich seine Diebesfurcht) so complicirt geworden waren, daß er beim Oeffnen und Schließen die größte Vorsicht anwenden mußte, um nicht selbst ein Opfer dieser mörderischen Maschinerien zu werden. Oft läutete er auch in der Nacht seine ganze Dienerschaft zusammen, nur um zu sehen, ob sie auch Alle schnell bei der Hand waren, und man hat ihn auch vielfach Nachts allein durch alle Zimmer und Corridors seines Hauses schleichen sehen, bis hinunter an die Fahrthore, um die Schlösser und Riegel zu untersuchen, immer dabei mit Revolvern bewaffnet, um einen unbefugten Eindringling sofort niederzuschießen.

Augenzeugen, die den Herzog bei solchen Gelegenheiten beobachten konnten, versicherten, er sehe aus wie das personificirte böse Gewissen, was wir gern glauben wollen, vorzüglich wenn wir an den Ursprung jener Reichthümer zurückdenken.

Es mag im Jahre 1852 oder 1853 gewesen sein, als ich den Herzog zum ersten Male sah und zwar in der Italienischen Oper. Ich hatte von einer befreundeten vornehmen Familie eine Einladung erhalten, sonst hätte ich damals wohl schwerlich die fünfzehn Franken für ein Billet riskirt, und saß denn auch im [604] Frack, mit weißer Cravatte und lichtgelben Handschuhen auf meinem Platze in der ersten Rangloge. Die Vorstellung hatte bereits begonnen, als sich die Thür der einen Prosceniumsloge sehr lärmend öffnete und ein Herr mit einer Dame hereintrat, die Beide sofort alle Augen, d. h. alle Operngläser, auf sich zogen. Die Dame war eine schöne Blondine in reicher rother Sammttoilette, aber sehr stark decolletirt, so stark, daß es selbst für Paris auffiel, und Hals, Busen und Arme mit den kostbarsten Diamanten geschmückt. Ein Flimmern und Blitzen wie Regenbogenstrahlen bei jeder Bewegung. Eine Königin hätte nicht prächtiger und imposanter aussehen können. Es war auch eine Königin, aber eine aus der demi-monde, eine Finette, Rosette oder Lisette vom jardin Mabille oder vom château des fleurs, wie ich von einem Nachbar erfuhr. Die Erscheinung ihres Begleiters war fast noch auffallender und hatte etwas frappant Aehnliches mit einem Schauspieler oder Balletmeister. Hochroth geschminkt, eine schwarzseidene Lockenperrücke, hellgrüne Handschuhe und die ganze übrige Toilette dem entsprechend. Dabei alle Finger mit funkelnden Brillantringen besteckt, auf der Brust einen fast handgroßen Brillantstern und die Hemden- und Westenknöpfe gleichfalls aus kostbaren Edelsteinen. Ein ganzer Juwelierladen. Auch hier half mir mein Nachbar als guter Cicerone: Es war der Herzog Karl von Braunschweig.

So sah er also aus, der Mann, dessen Vater bei Quatrebras und dessen Großvater bei Auerstädt den Heldentod für das Vaterland gestorben waren, und von dessen Vorfahren noch sonst so mancher ruhmvoll in den Blättern der deutschen Geschichte verzeichnet stand – ein Abenteurer und Komödiant, als Narr herausgeputzt und an der Seite einer Courtisane, die morgen mit der Sittenpolizei in Collision kommen konnte, wenn sie auf irgend einem öffentlichen Balle im Cancan die Beine etwas allzu hoch fliegen ließ. Es klingt hart, aber es ist wahrlich mit keiner Silbe übertrieben. Die Damen in den Logen schauten nur schüchtern und verlegen nach dem zweideutigen Paare hinüber; die Herren im Parquet und Parterre lorgnettirten dagegen die Donna sehr ungenirt, und der Herzog ließ sich von einem goldgestickten, gepuderten Lakaien ein Opernglas reichen, groß und lang wie ein Doppelfernrohr, das er auf die Logenbrüstung setzte und, unbekümmert um das, was auf der Bühne vorging, damit das gesammte Publicum zu mustern begann. Dabei schien er aber zugleich ängstlich jede Bewegung seiner Begleiterin zu überwachen, denn die Diamanten, die sie trug, waren die seinigen, und man behauptete, daß er bei solchen Gelegenheiten seiner jedesmaligen Dame (und er wechselte sehr oft mit ihnen) schon im Vorzimmer seiner Loge, gleich nach Beendigung der Vorstellung, den Schmuck wieder abnahm und ihn in die Taschen steckte, um sicher zu sein, daß ihm nichts gestohlen würde. Dennoch soll ihm einst eine solche „Dame“ einen kostbaren Solitaire entwendet haben, und es soll ihm, trotz aller Nachforschungen, nicht gelungen sein, wieder zu seinem Eigenthum zu kommen. „Er hat den Stein eben auf dieselbe Weise verloren, wie er in den Besitz desselben gelangt war,“ sagte man lachend im Publicum und gönnte ihm gern den kleinen Verlust. Aber es sollte ihm noch Schlimmeres passiren.

Eines Morgens, es war zu Anfang der sechziger Jahre, ging auf einmal durch ganz Paris das Gerücht von einem großartigen Diamantendiebstahl in der herzoglichen Villa. Der Herzog fand, als er spät in der Nacht nach Hause kam, sein Schlafzimmer offen und das Schatzgewölbe erbrochen; eine Menge der kostbarsten Steine fehlten, und kleinere Diamanten lagen überall auf dem Boden verstreut. Sein Leibkammerdiener, ein Engländer, Namens Shaw, der erst vor wenig Wochen in seine Dienste getreten war, sich aber schnell das ganz besondere Vertrauen seines Herrn erworben hatte, war verschwunden, und auf diesen fiel natürlich sofort der Verdacht. Man kann sich das Entsetzen und die Wuth Seiner Hoheit leicht vorstellen; im ersten Moment wollte er die ganze übrige Dienerschaft über die Klinge springen lassen, aber er besann sich doch eines Besseren und fuhr schleunigst zum Polizeipräfecten Piétri, den er aus dem Bette holte. Dieser ließ sogleich den Telegraphen nach allen Richtungen der Windrose spielen; Shaw hatte freilich einen Vorsprung von sechs oder acht Stunden, aber er wurde trotzdem in Hâvre eingeholt und arretirt, und zwar gerade in dem Augenblick, wo er sich an Bord eines amerikanischen Dampfers begeben wollte. Die Diamanten, im Werth von mehr als einer Million, hatte er noch sämmtlich in der Tasche. Er wurde nach Paris zurückgebracht – der Herzog war ihm sogar, in seiner Herzensangst um die gestohlenen Lieblinge, bis Rouen entgegengereist – und später von den Assisen zu fünfzehnjähriger Zwangsarbeit in Cayenne verurtheilt; eine Strafe, die man allgemein zu hart fand.[1] Einzelne Pariser Journale besprachen auch bei dieser Gelegenheit wieder den befremdlichen Ursprung der Diamanten, das heißt das Besitzrecht des Herzogs auf dieselben, und verlangten, die kaiserliche Regierung solle die Edelsteine dem braunschweigischen Staatsschatz wieder zustellen lassen, was natürlich nicht geschah; denn ein solcher Schritt hätte zu allen möglichen diplomatischen und politischen Verwickelungen Veranlassung geben können.

Der Herzog sah sich also wieder im Besitz seiner Steine, von denen er seit jener Zeit die kostbarsten stets in einem Ledergürtel auf dem bloßen Körper getragen haben … soll, will ich doch vorsichtshalber hinzusetzen, denn eine andere Garantie als das allgemeine Gerücht habe ich nicht dafür. Wenn es aber wahr ist, so war Seine Hoheit, wenn Hochdieselben über die Boulevards spazierten oder kutschirten, immer gegen zwei Millionen Franken und mehr werth. –

In den Tuilerien war der Herzog kein gerngesehener Gast, obwohl ihm der Kaiser Napoleon persönlich sehr freundlich gesinnt war. Diese Freundschaft datirte von London her, wo der Herzog gleichfalls ein Hôtel besaß, das er namentlich in den Jahren 1845 bis 1847 häufig bewohnte. Um jene Zeit hielt sich bekanntlich auch der Prinz Louis Napoleon nach seiner Flucht aus Ham in London auf, und es ging ihm und seinen Parteigängern, was ebenso bekannt ist, pecuniär nicht glänzend. Da griff denn der Herzog mit mancher Fünfhundertpfundnote dem Prätendenten unter die Arme, im Grunde bei keiner andern Sicherheit für die Rückzahlung, als der, daß vielleicht dereinst der Prinz den französischen Thron besteigen würde, eine Möglichkeit, die damals sehr zweifelhaft erschien. Als aber das für unmöglich Gehaltene geschehen und der Prinz zuerst Präsident der Republik und darauf Kaiser geworden war, bewahrte er dem Herzog stets eine dankbare Gesinnung und schützte ihn auch oft indirect bei den vielfachen scandalösen Processen, die derselbe vor den Pariser Gerichten auszufechten hatte.

Processe gehörten nämlich neben der Pflege und Sorge für seine Diamanten zu den Hauptbeschäftigungen des Herzogs, und wenn es sich nur um einen rückgängig zu machenden Pferdekauf handelte, oder um einen fortgeschickten Koch oder Lakaien, so wurde sofort processirt. Aber auch andere, weit peinlichere Processe hatte der Herzog in Menge, wo er nicht der klagende, sondern der verklagte Theil war. Die meisten wurden ihm von ehemaligen Geliebten gemacht, denen er, nach ihrer Aussage, Gott weiß was versprochen und später nicht gehalten hatte und die ihn dann, schon des Scandals wegen, verklagten. Für das Kaffeehauspublicum der Boulevards waren dies stets willkommene Geschichten. Oft mag der Herzog auch bei solchen Gelegenheiten ausgebeutet oder gemißbraucht worden sein. Aber auch dann hatte er sich doch schließlich immer wieder selbst die Schuld beizumessen, weil er sich sein ganzes Leben lang stets nur in dieser „interlopen Welt“ bewegt hatte.

Am meisten Aufsehen machte sein Proceß im Jahre 1863 gegen seine eigene Tochter, die Gräfin Civry und deren Mutter. Die letztgenannte Dame war die erste Geliebte des Herzogs gewesen, die derselbe in London, als er noch unter der strengen Vormundschaft seines Oheims, des Königs Georg des Vierten, stand, kennen gelernt hatte. Miß Colville war damals eine gefeierte Schönheit in den Kreisen der vernehmen Welt, und sie soll den jungen Herzog lange haben schmachten und seufzen lassen; wie man behauptet, auf Anrathen ihrer Familie, die ein legitimes Ehebündniß verlangte. Endlich erhörte sie ihn doch, auch ohne ein solches. Als aber der Vormund von dem Liebeshandel hörte, ward er sehr böse und drohte mit seinem königlichen Zorne. [605] Das Liebespaar entzog sich demselben durch eine schleunige Flucht nach Paris und ging von da, nachdem der Herzog unterdessen volljährig geworden war und die Regierung angetreten hatte, nach Braunschweig. Von dieser sogenannten Regierung, die auch nicht lange dauerte, obwohl noch immer viel zu lange für das arme schwer geprüfte Land, und die mit einer schimpflichen Absetzung und Vertreibung endigte, brauche ich hier wohl nicht weiter zu reden.

Miß Colville wurde bald nach ihrer Ankunft in Braunschweig zu einer Gräfin Colmar erhoben, bezog das Schloß Wendessen und hielt dort einen kleinen Hofstaat. Dort gebar sie ihm auch eine Tochter, die ebengenannte Gräfin Civry. Das Kind, wie man dies später aus den öffentlichen Gerichtsverhandlungen erfuhr, wurde von dem Hofprediger Westphal getauft, noch dazu aus dem großen goldenen Familientaufbecken des herzoglichen Hauses, und der Bruder des Herzogs, der noch jetzt regierende Herzog Wilhelm, stand bei ihr Gevatter. Mit der Liebe des leichtsinnigen und flatterhaften Herzogs, der fast nur mit Schauspielerinnen und Tänzerinnen umging, war es indeß bald vorbei. Die Mutter ging mit ihrer Tochter und einer sehr anständigen Rente, man sagt von zehntausend Thalern, wieder nach England zurück, führte aber dort ein sehr unstetes Leben. Die Tochter schien gleichfalls viel von dem Naturell des Vaters geerbt zu haben, denn ihre Erziehung machte Allen viel zu schaffen. Einmal soll sie sogar heimlich aus dem Institut entwichen sein, noch dazu in Matrosenkeidung, um sich nach Amerika einzuschiffen. Später zog sie mit ihrer Mutter nach Paris, wo sie katholisch wurde und den Grafen Civry heirathete, einen Cavalier ohne Vermögen, wie es deren in Paris so viele giebt – Alles gegen den ausdrücklichen Willen des Herzogs. Dieser entzog darauf der Mutter die Rente, und nun wurde der Schwiegersohn klagbar. Das scandalsüchtige Pariser Publicum freute sich natürlich sehr auf diesen Proceß, der viel pikante Einzelheiten versprach und auch brachte.

An romantischen Gegensätzen fehlte es wenigstens nicht dabei: Auf der einen Seite der Diamantenherzog in seinem rosenrothen, goldvergitterten Palais, von Lakaien und Dienern und einem asiatischen Luxus umgeben, in vierspänniger über und über versilberter Carosse im Bois de Boulogne spazierenfahrend, und das üppige Pariser Leben in seiner ganzen Fülle genießend – und auf der andern seine Tochter, mit ihrer alternden und längst verblühten Mutter, ihrem mittellosen Gatten und sechs oder gar acht Kindern, alle zusammen in einer ärmlichen Miethswohnung untergebracht, die noch dazu – war es Zufall oder Absicht? – ganz in der Nähe der herzoglichen Villa lag, und dabei kaum das nothdürftige Brod im Hause. Man erzählte, daß die Kaiserin, als sie von der traurigen Lage der unglücklichen Familie gehört, einen Kammerherrn hingeschickt habe mit einer beträchtlichen Geldsumme, um doch wenigstens der äußersten Noth vorzubeugen. Andere behaupten freilich auch wieder, es laufe ein Bischen Komödie mit unter, um die öffentliche Meinung zu bestechen. Ein Dramatiker wollte sogar für die Boulevardtheater ein Stück daraus machen, das gewiß gezogen hätte. Dazu kam es übrigens nicht. Der Herzog, dem an der öffentlichen Meinung, um die er sich in seinem ganzen Leben nicht viel bekümmert hatte, auch hier wenig gelegen war, zeigte sich sehr hart und unerbittlich. Endlich, nachdem man genugsam hin und her processirt und der Klatschsucht reichliche Nahrung gegeben hatte, mußte er doch nachgeben und einen Vergleich eingehen, der seiner Familie, was die Kläger doch jedenfalls waren, eine einigermaßen anständige Existenz sicherte. Ob und wie dieselben in seinem Testamente bedacht worden sind, weiß man noch nicht; interessant wäre es aber jedenfalls, dies zu erfahren.

Der Herzog, der durch diesen Proceß den letzten Rest seines guten Rufes eingebüßt hatte, ging (natürlich mit seinen Diamanten) auf Reisen, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, wenn er durch irgend einen Scandal die allgemeine Aufmerksamkeit allzusehr auf sich gezogen hatte. Dann wurde er vergessen und man sprach nicht mehr von ihm.

Ueberhaupt hatte er in den letzten Jahren vor dem Sturz des Kaiserreichs so ziemlich ausgewirthschaftet; man sah ihn wohl noch umherkutschiren mit zwei knirpsartigen Dienern hinter sich, die, wenn sie sich unbemerkt glaubten, Fratzen und Gesichter schnitten; er erschien auch wohl noch in seiner Loge in der Großen oder in der Italienischen Oper, auch mit der obligaten decolletirten Begleitung, und gleichfalls noch dann und wann auf den Bällen der demi-monde, wo ihn die Hauptheldinnen mit Du und mit gros duc anredeten und sich an seinen Arm hängten, um ihm einen Brillantring abzuschwatzen, den er ihnen dann mit widrigem Lächeln unter die Augen hielt, sich jedoch wohl hütete, ihn abzuziehen – aber er war alt und abgenutzt geworden, obwohl er sich noch immer ebenso geckenhaft kleidete, wie vor zwanzig und dreißig Jahren, geschminkt und angemalt, mit falschen Zähnen, rabenschwarz gefärbtem Bart und der sprüchwörtlich gewordenen schwarzseidenen Lockenperrücke … doch genug des kläglichen Bildes! Wir hatten, wenn wir ihm zufällig begegneten, kaum mehr ein mitleidiges Lächeln für ihn, wohl aber überkam uns das schmerzliche Gefühl des tiefverletzten Nationalstolzes angesichts einer solchen Verkommenheit.

Beim Ausbruch des Krieges 1870 rüstete er sich gleichfalls, Paris zu verlassen, bevor ihn ein directer Ausweisungsbefehl treffe, der wohl nicht ausgeblieben wäre. Aber auch bei dieser Gelegenheit spielte er eine kümmerliche Rolle, oder richtiger gar keine. Was lag ihm bei seinen großen Reichthümern näher, als den armen ausgewiesenen Deutschen, die noch Wochen lang in den Straßen von Paris elend und halbverhungert umherzogen, thatkräftig zu helfen und ihnen die Mittel zur Rückkehr in ihre Heimath zu verschaffen? Er hätte sich damit einen Gotteslohn verdienen und manchen Flecken aus seiner Vergangenheit auslöschen können. Und es waren doch seine Landsleute, wie er selbst nie aufgehört hatte, sich als einen souverainen deutschen Fürsten zu betrachten, der sein Anrecht auf die Krone keineswegs verloren. Aber nichts von allem Dem. Er war nur ängstlich besorgt, seine eigenen Schätze zu retten. Vielleicht hatte er ein instinctives Vorgefühl von den gewaltigen Erfolgen der deutschen Waffen. Er ließ Tag und Nacht packen; was nicht niet- und nagelfest war, wurde mitgenommen und in die Schweiz geschickt, die er zu seinem Aufenthaltsorte gewählt hatte, denn weder in Belgien noch in Deutschland schien es ihm recht geheuer. Seine Diamanten trug er selbst in der bekannten rothen Maroquintasche, mit der man ihn schon früher so oft hatte reisen sehen. So kam er in Genf an, froh, seine Person und seine Schätze in Sicherheit zu wissen, aber auch hier legte er während des Krieges gleichgültig und unthätig die Hände in den Schooß und schien sich um nichts zu bekümmern. Mir wenigstens ist nicht bekannt geworden, daß er sich irgendwie an der großen patriotischen Bewegung, die durch ganz Deutschland zog, wenn auch nur mit einem seinem Range und Reichthum entsprechenden Beitrage betheiligt hätte, und sein Name müßte in erster Reihe stehen; und doch kämpften seine eigenen Landeskinder den schrecklichen Kampf mit, und mancher ehrliche, gute Braunschweiger mag sein Leben auf dem Schlachtfelde gelassen haben, wie einst – ich möchte es hier noch einmal wiederholen – seine glorreichen Väter.[2]

Als nach dem Frieden die Commune in Paris ihr Unwesen trieb, hatte sie es auch auf das rosenrothe Palais des Exherzogs abgesehen und dasselbe als Nationaleigenthum erklärt. Eine Art General logirte auch während einiger Wochen darin und wollte es dann zu einem Hospital für Verwundete einrichten, aber das Einrücken der Versailler ließ dieses Project nicht zur Ausführung kommen.

Später, als Ruhe und Ordnung wiederhergestellt waren, kehrte auch der Herzog nach Paris zurück, aber nur zu flüchtigem Aufenthalt, der hauptsächlich zum Zweck hatte, seine vielerwähnte phantastische Villa und seine sonstigen Pariser Liegenschaften zu veräußern. Da ihm dies nicht glückte und er auch sonst an dem jetzigen Leben in Paris, was sehr begreiflich war, keinen Geschmack fand, ging er wieder nach Genf, wo er sich definitiv niederließ. Dort ist er denn auch gestorben und hat namentlich durch sein Testament noch einmal die Aufmerksamkeit des großen Publicums auf sich gezogen. Ob er über sein bedeutendes, auf wenigstens fünfundzwanzig Millionen Franken geschätztes Vermögen nicht edler und besser hätte verfügen können, so zum Beispiel zu gemeinnützigen, volksthümlichen Stiftungen in seinem Vaterlande, wollen wir hier ununtersucht lassen; hoffentlich wird aber die Stadt Genf einen nobleren Gebrauch davon machen, als es der Erblasser bei seinen Lebzeiten gethan. Daß der [606] Herzog seine Reichthümer anfangs dem kaiserlichen Prinzen zugedacht und später (nach Sedan) dieses Testament annulliert haben soll, ist nur ein Zeitungsgerücht, und in dieselbe Kategorie gehört auch die andere Nachricht, daß die Exkaiserin Eugenie ihn mehrfach in Genf besucht habe, um ihn zur Zurücknahme dieses Entschlusses zu bestimmen.

Einige deutsche Höfe und auch der englische legten die übliche Trauer an – jedenfalls nur eine leere Form, wie es einmal die an den Höfen herrschende Etiquette vorschreibt – wir, die wir ihn während seines ganzen Leben immer aufrichtig betrauert haben, brauchen uns jetzt wohl dieser Trauer nicht anzuschließen.

  1. Shaw kam schon im folgenden Jahre bei einem Fluchtversuch um’s Leben. Er hatte in der Verbrechercolonie mit dem Banknotenfälscher Gâtebourse „Freundschaft“ geschlossen, und Beide bemächtigten sich eines Tages eines leeren Bootes, das sich zufällig am Strande befand, und noch dazu bei schlechtem Wetter. Die armen Teufel hatten vermuthlich auf irgend ein mitleidiges Schiff gerechnet, aber ihre Hoffnung mußte betrogen worden sein, denn schon am nächsten Abend wurden Beide als Leichen wieder am Ufer aufgefischt.
  2. Auch des edlen und hochherzigen Prinzen Leopold von Braunschweig dürfen wir hier wohl gedenken, der im Jahre 1785 zu Frankfurt in den Fluthen der Oder, als ein Opfer seiner Menschenliebe, den Tod fand.