Vor der Schlacht!

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Textdaten
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Autor: G.
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Titel: Vor der Schlacht!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 375–376
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[375] Vor der Schlacht! Wer denkt bei diesen Worten nicht an Theodor Körner’s schönes Gedicht:

„Ahnungsgrauend, todesmuthig,
Bricht der große Morgen an!“

Doch nicht von „Leier und Schwert“ wollen wir sprechen, sondern von einem Schlachtruf, der von jenseit der Vogesen herübertönt. „Avant la bataille“ – diesen Titel führt ein neues französisches Werk, zu welchem das Haupt der Patriotenliga, Paul Deroulède, die Vorrede geschrieben hat. „Das ist die Fanfare, das ist der Trommelschlag, der in allen Herzen widerhalle!“ so bezeichnet der Redakteur des „Drapeau“, der in den Spalten seines Blattes die Kriegsfahne schwingt, die Losung, die den Titel der neuen Schrift bildet. „Die Schlacht ist unvermeidlich,“ ruft er aus, „die Armee ist bereit.“ Und das bildet ja auch den Inhalt des Werkes, welches, wenn auch nicht unmittelbar aus dem Kriegsministerium hervorgegangen, doch von einem Verfasser herrührt, der in den nächsten Beziehungen mit den officiellen Kreisen steht. Denn alle Materialien und Daten standen ihm zur Verfügung bei seiner Schilderung der französischen Armee, und so schwunghaft die Vorrede von Deroulède, die einleitenden und abschließenden Kapitel des Werkes sind, so trocken ist der eigentliche Inhalt desselben, eine Statistik der französischen Militärverhältnisse, der Linie und Territorialarmee, der einzelnen Truppengattungen, der Rekrutirung, der ganzen Organisation des Generalstabes, des Medicinalwesens, alles durch unwidersprechliche Ziffern belegt, die in Reih und Glied aufmarschiren. Freilich, das Papier ist geduldig, auch das [376] Papier des französischen Kriegsministeriums und eine Mobilmachunq würde vermuthlich in diese Zahlen eine bedenkliche Bresche legen. Wenn sie auch nicht geeignet sind, uns Deutsche in bleiche Furcht zu versetzen, so vermögen sie doch das Selbstgefühl der Franzosen zu einer bedenklichen Höhe zu steigern. Die Armee ist bereit – und welche Armee! Seit den Zeiten des Dschengiskhan hat die Welt nichts Aehnliches gesehen; ein Heer von 4 Millionen: die Linie bestehend aus 2051459, die Territorialarmee aus 2057196 Mann; da steht’s bis auf die Einer verzeichnet – wer wagt daran zu zweifeln? Ohne Frage hat Frankreich jetzt eine imposantere und besser organisirte militärische Macht als zur Zeit des Kaiserreichs; und die Statistik der Heereseinrichtungen, die hier so genau bis in alles Detail mit erstaunlicher Offenherzigkeit mitgetheilt wird, macht alle diplomatischen Verräthereien entbehrlich.

Wann aber soll diese furchtbare Armee ins Feld rücken? Bewahre, kein Angriffskrieg! Frankreich wartet auf den Tod der drei Männer, die das Deutsche Reich gegründet haben, des Kaisers, seines Kanzlers von Eisen, seines strategischen Großmeisters; dann wird der innere Zwiespalt ausbrechen: zur Ablenkung desselben wird Deutschland zu einem Kriege nach außen genöthigt sein, und dieser Krieg kann sich nur gegen Frankreich, nur gegen den verabscheuten Erbfeind richten. Das ist anscheinend die Hoffnung der kriegerisch Gesinnten in Frankreich. Jedes gesunde Gefühl wird empört durch die Spekulation auf den Tod der drei großen Männer Deutschlands! Und doch ist diese thörichte Spekulation überhaupt nur vorgeschoben, denn im Herzen lauert die Kriegspartei auf irgend einen andern aus den Wolken fallenden Anlaß! Da im Schlußkapitel wird uns das Gemälde der großen Entscheidungsschlacht zwischen Deutschen und Franzosen entrollt, die in den Ebenen Lothringens geschlagen wird. Daß die Franzosen siegen, ist selbstverständlich, und zuletzt ertönt der Schlachtruf: „Hoch die Herzen, Ihr Kinder Frankreichs! Hoch die Fahnen! Vorwärts für Elsaß und Lothringen, die Euch rufen! Vorwärts für die Freiheit und die Civilisation, für die Unabhängigkeit und für die Menschlichkeit! Vorwärts für das Vaterland! Es ist ein Feldzug gegen die Barbaren!“ Und in der That werden wir Deutschen in diesem Buche mit den abschreckendsten Farben gemalt: wir sind ein hochmüthiges Volk mit falscher Bescheidenheit, ohne Erziehung, ohne Moralität, emporgekommen mehr durch die Selbsterniedrigung der Andern als durch die eigene Größe zu einer zufälligen Herrschaft, welche von uns mit den Anmaßungen und der grotesken Majestät des Bären ausgeübt wird, der sich mit dem Fell des Löwen bekleidet hat. Ein kurzer Geschichtsabriß zeigt, was für ein perfides Geschlecht besonders die Preußen sind. Dann aber wirft sich der ruhmredige Soldat in die Brust, streicht sich den Bart und ruft: „Weit davon entfernt, uns überlegen zu sein, stehen diese Leute unter uns, sowohl en masse wie einzeln. Ihre Organisation ist nicht besser als die unsrige, ebenso wenig ihre Disciplin, ihr Muth, ihre Bewaffnung.“ Wenn der Verfasser sagt: „es giebt keine unüberwindlichen Armeen; sie sind es um so weniger, je mehr man es ihnen vorredet,“ so mag er die Nutzanwendung davon auf sein eigenes Buch und die französische Armee machen. Immerhin ist dies Buch als ein Symptom zu betrachten: dahinter steht ohne Frage der jetzige Kriegsminister Boulanger, und wenn auch unter dem Titel: „Noch nicht!“ (Pas encore!) eine Gegenschrift in Frankreich erschienen ist, welche das unvorsichtige Kriegsgeschrei Deroulède’s zu verdammen scheint, so richtet sich dies absprechende Urtheil augenscheinlich nicht gegen die Tendenz des Buches überhaupt, sondern besagt nur, daß es noch nicht an der Zeit sei, über uns herzufallen.

Wir Deutschen wollen gern Arm in Arm mit den Franzosen zu den höchsten Zielen der Kultur vorschreiten und sind weit davon entfernt, die Schimpfreden zu erwidern, mit denen sie uns verlästern; doch wenn sie stets von Neuem die Kluft aufreißen, welche die großen Kriege zwischen uns und ihnen aufgethan, wenn der alte Wahnsinn der „Rheingrenze“ sie stets von Neuem ergreift: dann erwidern wir ihnen einfach, daß die Wacht am Rhein nach wie vor fest steht! G.