Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere. Nr. 2

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Autor: Carl Vogt
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Titel: Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere. Nr. 2
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12;15, S. 185–188;230–232
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[185]

Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.

Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 2
Die Vögel als Wildpret – Junge Dohlen als Tauben – Der Vogel als Feld und Gartenhüter – Vogelverheerung in Italien – Die Verminderung der Vögel und die fortschreitende Cultur – Schädlichkeit des Storches.

     Meine Herren!

Fast in allen germanischen Ländern hat sich in neuerer Zeit ein wahrer Sturm im Interesse namentlich der kleinen Vögel erhoben, die man vor den Nachstellungen des Menschen schützen will. Eine Menge von Gründen sind herbeigeschleppt worden, um zu beweisen, daß man sich selber den größten Schaden anthue, wenn man Leipziger Lerchen, Schwarzwälder Krammetsvögel oder Ortolane aus der Provence mit Wohlbehagen verzehre. Die Neigung, der gefiederten Bewohner der Lüfte habhaft zu werden und sie als gutes Wildpret zu verspeisen, scheint freilich allen erdbewohnenden Menschen gemeinsam seit uralter Zeit, und es mag nur wenige Vögel geben, die theils aus Volksglauben, theils wegen des widrigen Geschmackes ihres Fleisches überall gleichmäßig geschützt sind. Die Schwalbe, welche in Deutschland und der Schweiz höchstens zu Schießübungen dient, sonst aber gehegt und gepflegt wird als gute Vorbedeuterin und Weissagerin häuslichen Glückes – die Schwalbe findet auf ihrem Wege nach dem Süden in den Umwohnern des Mittelmeeres zahllose Feinde, die mit Schlingen, Angeln und langen Ruthen ihr auflauern, wenn sie ermüdet von der langen Reise über die Bäche und Tümpel streicht, um einige Mücken im Fluge zu erhaschen. Raubvögel, Raben und Dohlen, Sturmvogel und Taucher wird in Deutschland kein Mensch unter die Zähne nehmen, und noch steht mir das lebhafte Entsetzen vor Augen, welches in meiner Vaterstadt Gießen eine fröhliche Gesellschaft erfüllte, die von einem Jagdliebhaber zur Verspeisung eines ganz ungewöhnlichen leckeren Bratens geladen worden war. Der [186] harte Winter hatte zwei prächtige Sägetaucher nach der Lahn hin verlockt, und der Jäger war so glücklich gewesen, beide zu erlegen. Man ließ die übrigen Schüsseln fast unberührt vorüber geben, um dem Braten, der nach Aller Meinung ebenso gut sein mußte, als der Vogel schön, alle nur erdenkliche Ehre anzuthun. Aber es roch nach Thran, schmeckte nach Thran und war so unendlich zähe, daß man ebenso gut einen wohleingeschmierten Jagdschuh als Object seiner Eßlust hätte wählen können. Die Lappen und Isländer aber, welche ihre Mahlzeiten statt mit Wein mit Fischthran würzen, finden begreiflicher Weise solchen Braten durchaus lecker, und die Stipendiaten meiner Vaterstadt, welche nach der Behauptung eines der Unglücklichen eine so nahrhafte Suppe bekamen, daß es auf das Gleiche herauskam, ob sie dieselbe aßen oder während des Regens die Zunge zum Fenster hinausstreckten – diese Märtyrer eines jugendlichen Appetites letzten sich weidlich an jungen Dohlen, welche ihnen unter der schmeichelhaften Bezeichnung von jungen Tauben im Frühjahr öfter vorgesetzt wurden.[1]

Man kann sich in der That in vielen Fällen fragen, ob der Nutzen, den wir aus einem Vogel als Nahrungsmittel ziehen, den Nutzen oder Schaden aufwiegt, den er uns in wildem Zustande zufügen kann. Die Jagdliebhaber werden sich freilich segnen und bekreuzen, wenn man kalten Blutes behauptet, daß fast alles Jagdzeug, mit Ausnahme der Schnepfen vielleicht, absolut schädliches Gethier ist, das die fortschreitende Civilisation um jeden Preis ausrotten muß. Aber wenn wir auch diese Verhältnisse unberücksichtigt lassen, so kann man dennoch in sehr vielen Fällen zweifelhaft sein, ob der Nutzen oder der Schaden überwiege. Halten wir die früher aufgestellten Grundsätze fest, so ergiebt es sich leicht, daß alle insectenfressenden Vögel ohne Ausnahme von dem größten Nutzen für uns sind und durch ihre unablässige Jagd auf diese kleinen Feinde jeden Schutz und Pflege verdienen, die wir ihnen nur angedeihen lassen können. Schwalben, Kukuke, Ziegenmelker, Fliegenschnäpper, Grasmücken, das ganze Heer der niedlichen Sänger mit seinem dünnen Schnabel, der zu schwach ist, um Körner zu hülsen, sind in diesem Falle und bilden eine ganze Armee wohlbestallter Polizeisoldaten, welche zur Hütung von Feld und Wald, von Garten und Busch berufen sind. Hier kann also kein Zweifel obwalten: man soll sie um so mehr hegen und schützen, als ohnedem das magere, saftlose Fleisch der Meisten nur wenig als Nahrungsmittel geschätzt werden kann. Anders aber verhält es sich mit den körner-, beeren- und früchtefressenden Vögeln, wie Drosseln und namentlich Kernbeißer und Finken, die mit starkem Kegelschnabel selbst die härtesten Samen enthülsen und sich gern vom öligen Inhalte derselben nähren. Es ist wahr, viele derselben nähren sich vorzugsweise von solchen Samen, die wir als Unkraut betrachten, und Niemand wohl wird den niedlichen Distelfink deshalb hassen, weil er dem Esel eine zukünftige Lebensfreude zerstört. Aber die meisten dieser Vögel kennen auch die guten und schmackhaften Samen sehr wohl, und der Bauer, der Hirse gesät hat, wird sich durch die Betrachtung, daß die Hänflinge auch den Samen des Taumellolches fressen, nicht abhalten lassen, ihnen auf den Pelz zu brennen, wenn sie in seinem Hirsenfelde rumoren. Vieles mag also hier von persönlicher Convenienz des Landeigenthümers und der Besonderheit seines Betriebes abhangen. Der Gartenliebhaber, der nur Blumen, Gemüse und höchstens einige Spalierbäume zieht, wird mit Vergnügen Vögel aller Art sehen, die ihm seine Beete und Bäumchen reinigen; derjenige aber, der einen Kirschengarten hat, wird der Spatzenhegung seines Nachbars nicht mit allzu großem Vergnügen zusehen. Ich kannte einen Pfarrer, den gutmüthigsten aller Menschen, der keiner Creatur jemals etwas zu Leide gethan haben würde. Um die Zeit der Kirschenreife aber gerieth das friedliche Pfarrhaus in eine wahrhaft fieberische Aufregung und glich fast einer Mördergrube: die Töchter strickten Netze, Söhne und Confirmanden machten Schlingen, Schrotpatronen, Pulverfrösche und Donnerschläge, und den Pfarrer mit seinen Knechten sah man nie ohne Gewehr. Das Zanken der Spatzen weckte den Pfarrer vor dem frühesten Morgengrauen aus dem Schlafe; bei dem Gesange einer Amsel ballte er die Fäuste und der Ruf des Pirols brachte ihn in Wuth. Der gute Mann hatte sich nach zwanzigjährigen Mühen einen großen, mit den edelsten Sorten bepflanzten Kirschgarten herangezogen, der ihm mehr einbrachte, als seine ganze übrige Pfarrerbesoldung. Hofrath Perner in München und Pfarrer Tschudi in Glarus würden dem sonst harmlosen Geistlichen vergeblich die Schonung der unschuldigen kleinen Vöglein gepredigt haben, für welche der Erstere namentlich schon so viele Insertionskosten in der Allgemeinen Zeitung bezahlt hat.

Sehen wir uns genauer nach dem Verhältnisse der Vögel zu den Insecten um, so finden wir sehr verschiedene Beziehungen. Die meisten Körnerfresser, mit Ausnahme der Tauben, die unter allen Umständen dem Landwirthe schädlich sind, suchen besonders zur Zeit, wo sie Nestjunge haben, vorzugsweise gern Insecten auf und leisten uns dadurch die wichtigsten Dienste, so daß man selbst den Spatzen die wenigen Getreidekörner, die sie haschen können, in Berücksichtigung dieser Dienste gerne gönnen mag. Andere, wie Raben, Krähen, Dohlen, Stahre, Neuntödter und Wespenhabichte leben vorzugsweise von Insecten und deren Larven, verschmähen aber auch ein junges Vögelchen oder derlei Beute nicht, wenn es ihnen in den Wurf kommt. Die meisten kleinen Raubvögel, wie Thurmfalken und Lerchenhabichte, fallen über Insecten nur dann her, wenn sie gerade nichts Besseres zu finden wissen. Allein dies hindert doch nicht, daß bei den letzten der Schaden, den sie durch Verheerung der kleinen Vögel anrichten, weit den Nutzen überwiegt, den sie bei gewissen Gelegenheiten leisten können.

Gegen die größeren Raubvögel hat das Landvolk im Allgemeinen einen gewaltigen Haß, der sich dadurch bethätigt, daß man ihre Leichen zu ewigem Gedenken an die Scheunenthore annagelt; etwa in ähnlicher Weise, wie man im Orient und im Mittelalter die Körper ausgezeichneter Verbrecher bis zu gänzlicher Verwesung an den Stadtthoren aufstellte. Gerechtfertigt ist dieser Haß gewiß gegen die Edelfalken, die Hühner-, Tauben- und Lerchenhabichte, welche sich fast nur von Geflügel nähren; aber verwerfen muß man ihn, sobald er sich gegen diejenigen Raubvögel wendet, welche vorzugsweise von Ratten, Mäusen, Hamstern und ähnlichem Ungeziefer leben. Schon Mancher, der mit inniger Befriedigung einen Bussard an sein Scheunenthor nagelte, hat sich damit unbewußter Weise weher gethan, als wenn er einen Scheffel Getreide in das Wasser geschüttet hätte.

Die vielfachen Schäden, welche durch Insecten zu unserer Zeit veranlaßt worden sind, haben, wie ich schon erwähnte, Gelegenheit gegeben, die Mittel hervorzusuchen, welche man solchen Verwüstungen entgegen stellen könnte, und man hat hier namentlich darauf aufmerksam gemacht, daß die Schonung der Vögel überhaupt, namentlich aber der kleinen Singvögel, wesentlich zur Vertilgung des Ungeziefers beitrage. Pfarrer Friedrich von Tschudi, der sich schon durch ein vortreffliches Werk über die Alpen einen Namen gemacht hat, vermehrte sein Verdienst durch die Herausgabe eines kleinen Schriftchens über „das Ungeziefer und die Vögel“, das in ausgezeichneter Weise kurz alle diejenigen Gründe anführt, welche zu Gunsten der Vögel als Insectenvertilger sprechen. Es ist diesem Schriftchen gewiß die weiteste Verbreitung zu gönnen, und es wäre auch in unserem Kantone Genf außerordentlich zu wünschen, daß die darin enthaltenen Lehren die größte Verbreitung und Anerkennung fänden, da es wirklich empörend ist, die Menge mündiger und unmündiger Sonntagsjäger zu sehen, welche an Feiertagen alle Hecken und Büsche umschleichen und nach Spatzen und Grasmücken ihr Pulver verpuffen.

Tschudi behauptet mit vollem Rechte, daß die Zahl der nützlichen Vögel im civilisirten Europa bedeutend abgenommen habe und im steten Abnehmen begriffen sei. Er schreibt diese Abnahme hauptsächlich auf Rechnung der Vertilgungsjagd, welche in Italien (er hätte besser gesagt: in allen Mittelmeerländern) gegen die Vögel ausgeübt wird, und findet, daß durch diese Abnahme der Vögel auch die Zunahme der Insectenverwüstungen bedingt sei.

Diesen letzteren Punkt erlaube ich mir nun entschieden in Abrede zu stellen. Mit der fortschreitenden Cultur und Civilisation sind im Gegentheile Raupenschäden, Heuschreckenschwärme, Käferfraße entschieden seltener und unbedeutender geworden. Ich werde im Verlaufe dieser Vorlesungen Gelegenheit haben, Ihnen einige Beispiele von Insectenverwüstungen aus dem Mittelalter vorzuführen, die Alles übertreffen, was in unserem Jahrhundert geleistet worden [187] ist, und wogegen man sich durch Processe und Processionen zu wehren suchte, während man doch jetzt wenigstens die, wenn auch unzureichende, Arbeit des Menschen dagegen in Anspruch nimmt. Es begreift sich dies auch vollkommen leicht. Der Wald, der der eigentliche Schlupfwinkel all dieses Ungeziefers ist, weicht vor der Civilisation entweder gänzlich zurück oder civilisirt sich selber: giebt es ja doch in manchen deutschen Ländern fast eben so viel Forst- und Waldschützen als Stämme im Hochwalde. Mit dem größeren Zurückweichen des Waldes aber, mit der Ausrottung der Hecken wird dem Insectenungeziefer die Zahl seiner Schlupfwinkel und Zufluchtsörter stets mehr beschnitten, und mit dem Aufhören der Brache und der Einführung einer rationellen Wechselwirthschaft das Treiben der Larven unter der Erde mehr und mehr gehemmt. Denn die seiner Zeit allgemein eingeführte Brache war so recht eine Brütezeit für die Insectenlarven, Engerlinge und Schnecken, während jetzt jedes Stürzen und Pflügen eines Ackerfeldes Tausende dieses Ungeziefers an die verderbliche Sonne oder an den Schnabel der Raben, Krähen und Dohlen bringt, die im Winter nicht auswandern und uns also von den Italienern auch nicht weggefangen werden können.

Tschudi giebt im Vorbeigehen auch einen kleinen Hieb gegen den Leipziger Lerchenfang und die thüringische Vogelstellerei, die jetzt gewiß den Vögeln wenig mehr Abbruch thut, da man von allen Seiten Klagen über ihre gänzliche Abnahme hört, während sie im Mittelalter so sehr florirte, daß man ja einen der größten deutschen Kaiser, Heinrich den Finkler, vom Vogelheerde zum Throne holen mußte. Was aber den Leipziger Lerchenfang betrifft, so wird es ebenso schwer sein, den Leuten begreiflich zu machen, daß man die Lerchen leben lassen müsse, weil sie vielleicht Würmer fressen, als man ihnen begreiflich machen wird, daß man die Schafe leben lassen müsse, weil sie Wolle geben. Trotz aller Humanität sind fette Leipziger Lerchen ein ausgezeichneter Leckerbissen, und man hat bis jetzt noch nicht gehört, daß die so fruchtbare Leipziger Ebene durch die Lerchenjagd in ihrem Ertrage Schaden gelitten habe.

In Italien geht nun freilich die Verheerung der Vögel in’s Großartige, und Tschudi hat vollkommen Recht, wenn er dagegen zu Felde zieht. Aber zur Entschuldigung muß man auch sagen, daß Gelegenheit Diebe macht und daß es schwer hält, der Versuchung zu widerstehen. Im Frühjahr kommen die Vögel aufs Aeußerste ermüdet über das Meer herüber an den Küsten an, so ermüdet, daß man die schnellen Schwalben mit Rohren aus der Luft herabschlagen und die Wachteln mit Händen greifen kann. Zur Schwalbenjagd, die ich in Nizza öfter gesehen habe, hätte ich mich freilich nicht entschließen können, aber Wachteln habe ich mit eigenen Händen manche gefangen, obgleich ich nicht gerade zu den Schnellfüßigsten gehöre. Diejenigen, welche vor einigen Jahren den Wachtelzug sahen, der sich in die Stadt Genf selbst verirrt hatte, so daß man in allen Hausgängen und Alleen todtmüde Wachteln mit den Händen griff, werden wohl begreifen, daß man solche Gelegenheiten nicht verabsäumt, sich ein leckeres Brätchen zu verschaffen. Im Herbste aber – das muß man gestehen – sind die Italiener vollkommen in ihrem Rechte, wenn sie vertilgen, was sie können, denn dann fallen alle diese Vögel, die sich bei uns im Frühjahre und Sommer von Insecten nähren, die Grasmücken und Dünnschnäbler sowohl, wie die Finken und Drosseln mit einer durch die Reise geschärften unersättlichen Freßgier über die süßen Früchte des Südens her und stopfen sich dergestalt mit Trauben, Feigen und Oliven, daß sie kaum mehr im Stande sind, einige Schritte weit zu fliegen. An der ganzen provençalisch redenden Küste, in Nizza wie in Marseille, hat man ein Sprüchwort, in dem man sagt: „besoffen wie ein Krammetsvogel“, weil man den unsichern Flug und die taumelnden Bewegungen, die von dem übermäßigen Fraße herrühren, der Trunkenheit zuschreibt, welche das Fressen von Trauben bewirken soll. Die Krammetsvögel haben zu dieser Zeit fast fingerdicken, öligen Speck auf dem ganzen Körper und die Grasmücken sehen aus, als habe man sie in Butter gewickelt. Die Feinschmecker kennen auf den ersten Blick diejenigen Vögel, die sich mit Oliven gemästet haben und begreiflicher Weise im Geschmacke den aus dem Waldgebirge stammenden Vögeln, welche würzige Beeren verschlangen, weit nachstehen. Wie kann man nun vernünftiger Weise den Italienern zumuthen, die Vögel, welche ihre Ernten zerstören, deshalb zu schonen, weil dieselben im Norden, wo andere Culturbedingungen herrschen, im Frühjahre die Insecten wegfressen!

Auch das dürfen wir nicht unberücksichtigt lassen, daß die Vogeljagd in Italien seit den ältesten Zeiten geübt wurde und daß bei der damaligen unvergleichlich zahlreicheren Bevölkerung Italiens auch die Zerstörung, welche unter den Vögeln angerichtet wurde, verhältnißmäßig eine weit größere war. Die Römer schätzten den Krammetsvogel über alles andere Vogelwild,[2] sowie sie auch den Hasen allem übrigen Haarwild vorzogen, und während wir uns doch heutzutage nur begnügen, Krammetsvögel und Drosseln in Schlingen zu fangen, mästeten sie die Römer im Gegentheile und betrachteten die Anlegung eines Drosselzwingers, wie Varro und Columella (de re rustica) uns lehren, als einen eben so nothwendigen Zweig der Landwirthschaft, wie unsere heutigen Landwirthe Hühnerhöfe und Gänseställe. Lucullus soll, nach Plutarch, die Kunst des Mästens der Drosseln erfunden haben. Die Drosselzwinger waren dunkel und so gestellt, daß die Vögel weder das Feld noch den Wald sehen konnten, damit Sehnsucht und Heimweh ihrer Gemüthsruhe keinen Abbruch thäten. Man sieht also, daß die Römer ebenso gut, wie unsere jetzigen Gänsestopfer, den Einfluß dunkeler Ställe auf das Fettwerden kannten. Man mästete die Vögel mit einer Art Brei von gestoßenem Hirse und gemahlenen Feigen, welchem man Beeren von Epheu, Myrthen und Pistazien zufügte, um dem Fleische mehr Würze zu geben. Nach einer vorläufigen Behandlung in weiteren Räumen wurden die Thiere noch zwanzig Tage lang in ganz engen, dunkeln Ställen gemästet und dann erst auf den Tisch gebracht. Es gab so ungeheuer viele Drosselzwinger in der Nähe von Rom, daß die Felder mit ihrem Miste gedüngt und Ochsen und Schweine mit den Abfällen gemästet wurden.[3] Was will nun gegen eine solche Massenvertilgung der Drosseln und ähnlicher Vögel die jetzige Vogeljagd in Italien sagen! Wenn Tschudi anführt, daß in einem einzigen Districte am Langensee 60 bis 70,000 Vögel im Jahre vertilgt werden, so ist das ja wahrlich eine verschwindend kleine Zahl gegenüber den Massen, welche die alten Römer ihren Magen opferten!

Wenn also ein Uebel, welches schon seit 2000 und mehr Jahren stetig fortwirkt, erst dann merklichen Einfluß üben soll, wo es an und für sich in Abnahme begriffen ist, so scheint mir die Gefahr, die von demselben droht, nicht allzubedeutend. Die Verringerung der Vögel überhaupt, sowie insbesondere der kleinen Singvögel in unseren Gegenden mag mit durch die Vertilgung in südlichen Ländern bedingt sein, kann aber nicht einzig und allein davon herrühren. Sie liegt, wie die Verringerung des Wildes überhaupt, in weit größeren Verhältnissen, in der stets zunehmenden Cultivirung des Bodens, in der Austrocknung von Sumpf und Moor, in der Ausdehnung einer ununterbrochenen Bearbeitung des Bodens über alle Flächen, welche dem Wilde – und dazu gehören ja die Vogel auch – mehr und mehr jeglichen Zufluchtsort entzieht. Dieser fortschreitenden Cultur und diesem zwingenden, unwiderstehlichen Einflusse gegenüber halten ja selbst solche Dinge nicht Stand, deren Nutzen kein Mensch bestreitet. Das Schaf ist ohne Zweifel eines der nützlichsten Hausthiere, und abgesehen von dem Nahrungsstoffe, den es liefert, kann man dreist behaupten, daß die Civilisation in unseren gemäßigten Ländern ohne die Schafwolle ganz undenkbar wäre. Nichts destoweniger drängt die fortschreitende Cultur das Schaf als wollerzeugendes Thier nach und nach gänzlich aus unserem Welttheile hinaus und behält es nur als Fleischerzeugungsmaschine bei. Die Wollenproduction verlangt weite Flächen, Haiden, Ebenen, wo man nach dem Ausdrucke Leopold’s von Buch nichts sieht als Himmel, Barone und Schafe. Diese Bedingungen der Existenz des Schafes als Wollenthier verschwinden allmählich aus unserem Welttheile, und die Wollenerzeugung, so nothwendig sie für unser Leben auch sein mag, hat sich jetzt schon großentheils nach Australien geflüchtet. Wenn man sie also auch noch so sehr schonen und jeglichen Grund ihrer schnelleren Vertilgung soviel möglich wegräumen mag, so werden doch die wilden Vögel mehr und mehr in unserem Welttheile abnehmen, weil der Mensch vor Allem Platz für sich und sein Leben verlangt.

Tschudi hat dies auch sehr wohl gefühlt, und unter den Mitteln, [188] die er empfiehlt, finden sich manche halbe Wendungen zum Rückschritte, die kaum angenommen werden dürften. Man soll große Waldbäume in die Felder pflanzen und soviel möglich lebendige Hecken anlegen, damit Bussarde und kleinere Vögel sich ansiedeln können. Man frage doch einmal die bernischen Landwirthe z. B., was sie von den einzeln stehenden Eichen halten, die vor Anlegung der Eisenbahn, welche sie zu Schwellen vernutzte, überall im Freiburgischen in den Feldern standen. Jede solche Eiche hat, abgesehen von ihrem dem Getreide schädlichen Schatten, einen bedeutenden Zerstreuungskreis von Ungeziefer um sich her, das von dieser Hochwacht herab über die benachbarten Felder herfällt! In jeder lebendigen Hecke krabbelt zehnmal mehr Ungeziefer, als die darin wohnenden Singvogel jemals vertilgen können.

Es bedarf ja in gegenwärtiger Zeit nur eines Blickes auf die zahllosen Raupennester des Baumweißlings und des Goldafters, die unvertilgt an den blätterlosen Dornen der Hecken hängen, um sich von dieser Wahrheit zu überzeugen. Wer also Feld- und Gartenwirthschaft treibt, wer namentlich nicht reich genug ist, um einen Park zu haben, sondern jedes Fleckchen Erde zur Cultur benutzen muß (und in diesem Falle befindet sich ja wohl die große Mehrzahl), der wird trotz aller Lieblichkeit des Gezwitschers der Grasmücken die lebendige Hecke, wenn er nur kann, beseitigen und statt ihrer eine Einfriedigung wählen, die weniger Schlupfwinkel bietet und besser schützt. Die Forstleute, sagt von Tschudi, sollen die alten hohlen Bäume im Walde stehen lassen, damit die nützlichen Vögel hinein nisten können: Aber die Forstleute werden uns antworten, daß unsere Bevölkerung vor allen Dingen Holz verlangt, daß ein alter hohler Baum keinen Brennstoff mehr producirt und einem halben Dutzend junger, holzerzeugender Bäume den Platz versperrt und daß der Mensch erst wohnen, kochen und heizen will, ehe er daran denkt, wo die Vögel Herberge finden können. Möge man sich also wohl umsehen in der Wahl der Mittel; jegliche muthwillige Zerstörung durch Pulver, Schlingen und Nestaushebung soll man hindern, im Uebrigen aber die Sentimentalität nicht so weit walten lassen, um Dinge zu empfehlen, die doch nicht ausgeführt werden können.

Zu den unbedingt schädlichen Vögeln gehören ganz gewiß die Tauben-, Lerchen-, Stein-, Jagd- und Thurm-Falken, die Hühnerhabichte, Sperber, Gabelweihen, der Storch und die Elster. Hinsichtlich der beiden letzteren Thiere glaube ich einigen Widerspruch vernehmen zu müssen. Ist der Storch nicht bei allen gesitteten Völkern geschützt und selbst verehrt, so sehr, daß er das Wahrzeichen der Stadt Straßburg bildet und in Hunderten von Figuren am Dome ausgemeißelt steht? Hält man nicht das Haus für ein gesegnetes, auf dem ein Storchpärchen sich einnistet, und pflanzt man nicht alte Wagenräder auf hohen Giebeln auf, um Störche anzulocken, welche Niemandem nützlich sind als dem Dachdecker, der weit schneller Arbeit bekommt? Galten die Störche nicht bei den Griechen als das Symbol der Mäßigkeit, der Gattentreue, der Elternliebe, und hatten nicht die Athenienser ein Gesetz, welches ihren Namen trug und die Verpflichtung der Kinder, ihre alten Eltern zu ernähren, feststellte? Galten sie nicht den Auguren als gute Vorbedeutung, als Zeichen der Eintracht und des Friedens, und nahmen die Apotheker in ihrer Eigenschaft als Wohlthäter der Menschheit und Erfinder der Klystiere sie nicht als Wappenthier in ihr unbeflecktes Schild auf?

Das Alles ist wahr. Aber weder existiren die gerühmten moralischen Eigenschaften, noch der materielle Nutzen für den Menschen. Der Storch ist der boshafteste, zornigste und mordlustigste Egoist, der sich denken läßt: dem Mörder gleich mordet er selbst dann, wenn seine Freßgier befriedigt ist, greift selbst das brütende Weibchen und die Nestjungen seines Nachbars an, und was die gerühmte Gattentreue betrifft – – –

In einem Dorfe nahe bei Solothurn nistete seit langer Zeit ein Storchenpaar. Einstmals bemerkte man kurze Zeit nach ihrer Rückkehr, daß jedesmal, wenn der Gemahl nach Nahrung ausflog, ein jüngeres Storchenmännchen zum Neste kam und mit dem Weibchen schön that. Anfänglich zurückgewiesen, setzte das Männchen doch seine Bemühungen fort und errang sich endlich so sehr die Gunst des Weibchens, daß eines schönen Tages beide gemeinschaftlich nach der Wiese flogen, wo der Hahnrei auf Frösche lauerte, und ihn mit scharfen Schnabelhieben tödteten!

Wir finden den Storch hauptsächlich nur auf feuchten Wiesen, an Wassergräben, nicht aber in trockenen und sonnigen Gegenden. Seine Hauptnahrung besteht aus Fröschen, Ringelnattern und Maulwürfen, die er beim Aufwerfen der Haufen mit raschem Schnabelhiebe hervorholt. Er soll auch die giftigen Vipern vertilgen; allein an sonnigen Halden, Steingeröllen und trockenen Waldrändern, wo sich die Vipern aufhalten, findet man ihn niemals. Frösche, Kröten und Maulwürfe aber, die er mit Vorliebe vertilgt, sind dem Menschen doch wahrlich eher nützlich, und auch die Ringelnatter hat noch Niemandem Schaden gethan. Feldmäuse, welche die trockenen Felder vorziehen, die nassen Wiesen aber fliehen, finden den Storch sehr selten auf ihrem Wege, und die jungen Sumpfvögel, die er vertilgt, sind ebenso viel wohlschmeckende Braten weniger in unserer Küche. Sein großes Nest bietet freilich vielen Spatzen und Ammern Raum zum Nestbau. Aber man sehe einmal zu, wie Gevatter Langbein es treibt! Ist er gerade hungrig und nicht bei Laune auszufliegen, so schnellt er plötzlich den langen Hals, bohrt mit dem Schnabel hinab und ergreift den ersten besten Miether im Erdgeschosse seines Palastes, den er mit Appetit verspeist. Der Nutzen also, den der Storch dem Menschen bringt,

ist wahrlich nicht zu finden.
und thäte man hundert Laternen anzünden.

[230] Die Elster und die sächsische Diakonissen-Anstalt – Die Bussards und die Eulen – Die Eule als fliegende Katze – Insectenfresser – Die Arbeit eines Spechts – Schwalben – Der Kuckuk und sein Ruf.

Als zweiten schädlichen Vogel habe ich die Elster genannt, und werde meine Behauptung aufrecht erhalten, selbst denjenigen Mitgliedern des sächsischen Herrenhauses gegenüber, welche der Welt einen handgreiflichen Beweis des in unserer Zeit noch herrschenden Aberglaubens gaben, indem sie eine öffentliche Aufforderung ergehen ließen, in einer gewissen „heiligen Zeit“ (wenn ich nicht irre, zwischen dem 20. December und 8. Januar) Elstern für die Diakonissen-Anstalt in Dresden zu schießen. Aus den in der „heiligen Zeit“ geschossenen Elstern brennen dann die frommen Frauen ein Pulver zurecht, das unfehlbar von der Epilepsie heilt und schon Tausende von Menschen geheilt hat. Heilige Einfalt! Ich kannte einen Apotheker in Val de Travers, der sich jährlich ein schönes Sümmchen mit einem Fallsuchtpulver aus Maulwürfen zusammenröstete; aber der Mann machte doch nicht religiösen Hokuspokus dabei, sondern nahm die Maulwürfe, wie er sie eben bekam, und wenn bei vorkommendem Mangel an Maulwürfen und starker Nachfrage dann und wann auch einige Mäuse und Ratten in seinen Brenner geriethen, so that das der Wirksamkeit der Pulver nicht den mindesten Eintrag. Denn wenn etwas Wirksames darin ist, so kommt das weder von den Diakonissen, noch von der „heiligen Zeit“, noch von den Gebeten, sondern einzig und allein von dem brenzlichen Oele, welches sich beim Verbrennen thierischer Stoffe überhaupt in geschlossenen Räumen entwickelt. Vielleicht gehört es aber auch zu den „Zeichen unserer Zeit“, daß gerade von der erwähnten Seite aus eine solche Aufforderung kommen mußte.

Wenn aber die Mitglieder der ersten sächsischen Kammer für die leidende Menschheit gearbeitet zu haben glauben, indem sie für die Diakonissen recht viele Elstern auf ihren Gütern wegschießen ließen, so haben sie dabei sicher sich selbst den größten Dienst geleistet. Denn die Elster ist nicht nur diebisch, wie dies schon längst Rossini durch seine Oper bewiesen hat, indem sie namentlich glänzende Dinge in ihrem Neste zusammenträgt, sondern auch ein abscheulicher, mordsüchtiger Vogel, der den jungen Hühnern und Enten mehr Schaden thut, als die Raubvögel, und unablässig alle kleinen Vögel verfolgt, welche sich in der Nähe seines Standortes zeigen. In den Obstgärten und Gebüschen, wo sich die Elstern gerne aufhalten, kommt kein Singvogel fort, und doch ist auf der anderen Seite die Elster nicht im Stande, die Dienste der Sänger in Vertilgung des kleinen Ungeziefers zu ersetzen. Um so unbegreiflicher ist es, wie die Elster in vielen Gegenden und namentlich bei der allemannischen Race durch die Scheu eines Vorurtheils geschützt wird. In dem schweizerischen Dialekt werden die Hühneraugen an den Füßen „Elsternaugen“ genannt, und das Volk hat die feste Ueberzeugung, daß demjenigen, der eine Elster tödtet, großes Unglück geschehen müsse. Jeremias Gotthelf hat eine seiner ersten Geschichten auf diesen Aberglauben gegründet, und in vielen Gegenden des Cantons Bern sieht man unbedingt nur Elstern in der Nähe der Dörfer und einzeln stehenden Höfe, die mit zänkischem Geschwätze auf den Bäumen sich umhertreiben.

Zu den unbedingt nützlichen Vögeln gehören vor allen Dingen die schwerfälligen Tagraubvögel, deren kürzere Schwingen ihnen nicht gestatten, Vögel im Fluge zu verfolgen und zu haschen. Diese sind eben durch ihre Natur auf kleinere Säugethiere, wie Mäuse, Hamster, Ratten und Maulwürfe, und größere Insecten, Maikäfer, Heuschrecken etc. angewiesen, freilich läuft ihnen auch zuweilen ein Häslein oder Rebhuhn mit unter, obgleich dies verhältnißmäßig doch nur seltener geschieht. Die Rohr- und Kornweihe, der Wespenbussard, besonders aber die eigentlichen Bussarde sind in dieser Hinsicht ausgezeichnet nützliche Vögel. Stundenlang sitzt der plumpe Vogel, den sein dichtes Gefieder schon gegen einen tüchtigen, von vorne auftreffenden Schrotschuß schützt, auf einem vorspringenden dürren Aste eines Waldrandes, einem hohen Feldsteine, einem Baumstumpfen regungslos wie eine Bildsäule, während das Auge das Feld durchmustert. Ergiebt der Standort keine Beute, so streicht er tief am Boden mit langsam trägem Flügelschlage nach einer anderen Warte, wo er auf’s Neue seinen stillen Beobachtungen obliegt. Plötzlich aber stürzt er, halb springend, halb fliegend auf den Boden, dringt zuweilen mit Schnabel und Krallen tief in die Erde ein und zieht einen Maulwurf oder eine Maus hervor, die er mit einigen Schnabelhieben tödtet und selbst verzehrt oder seinen gefräßigen, ewig schreienden, plumpen und großen Jungen zuführt, die man schon häufig mit jungen Adlern verwechselt hat. Für solche Dienste nagelt ihn dann der Bauer mit großer Befriedigung an’s Scheunenthor, und der Herr Amtmann zahlt nach Verificirung der Fänge als derjenigen eines großen Raubvogels mit angemessener Selbstbewunderung der für die Landwirthschaft väterlich besorgten Regierung das festgesetzte Schußgeld.

Die Eulen haben, wie alle Nachtthiere, das ungetheilte Vorurtheil gegen sich. Der geisterähnliche, leise Flug, die großen runden, glühenden Augen, vor Allem aber das unheimliche Geschrei, das sich bei den großen Arten bis zu dem Toben des wilden Jägers steigern kann, haben von jeher das Eulengeschlecht in den übelsten Ruf gebracht. Den Griechen war die Eule freilich das Symbol der Weisheit, und Pallas Athene erscheint nicht ohne Begleitung des philosophischen Vogels, der in hohlen Bäumen, Steinbrüchen und Mauerritzen über die höchsten Probleme der Wissenschaft nachdenkt. Aber außerdem waren die Eulen dennoch schon bei den Griechen Vögel übler Vorbedeutung, und bei den abergläubischen Römern erregten sie gar ein wahres Entsetzen. „Alle Nachtvögel mit Krallen an den Fängen,“ sagt Plinius, „wie die Eulen, Kauze und vor allen der Uhu sind höchst schlimme Vorbedeutungen für die öffentlichen Angelegenheiten. Der Uhu namentlich liebt nicht nur einsame Gegenden, sondern auch fürchterliche und schwer zugängliche Standorte. Er ist ein ungeheuerliches Thier, das weder singt, noch schreit, sondern nur fortwährend seufzt und wehklagt. Sieht man ihn bei Tag in einer Stadt oder sonst wo, so bedeutet dies unsägliches Unglück;“ doch fügt Plinius gewissermaßen zum Troste bei, daß er mehrere Häuser kenne, auf die ein Uhu sich gesetzt habe, ohne daß ein nennenswerthes Unglück darauf erfolgt sei. „Unter dem Consulat von Sextus Papilius Ister und Lucius Pedanius verirrte sich gar ein Uhu bis in das innerste Heiligthum des Jupitertempels, was einen unsäglichen Schrecken in der ganzen Bevölkerung verursachte, so daß man allgemeine Processionen und Opferzüge veranstaltete, um die erzürnten Götter zu besänftigen.“

Auch bei uns gelten noch immer dieselben Vorurtheile, und bei Aufzählung verschiedener Schreckensvorzeichcn sagt Hieronymus Jobs:

„Auch hat eine Eule um Mitternacht
Auf dem Kirchthurm ein kläglich Geschrei gemacht.“

Der Kauz und das Käuzchen sind die Todtenvögel; sie zeigen durch ihren kläglichen Ruf in der Nähe des Hauses an, daß der Kranke bald sterben werde, freilich nur auf dem Lande, denn in den Städten hat die allgemeine Gasbeleuchtung dem unglücklichen Unterscheidungsvermögen der Eulen einigen Abbruch gethan. So wie nach Heines Versicherung ein rechtschaffenes Gespenst sich in Paris gar nicht umtreiben kann, weil es dort in der Gespensterstunde noch so lebendig ist, als in Deutschland am hellen Tage, ebenso gut kann der Todtenprophete nur in Dörfern und einsamen Höfen seine Kunst üben, wo er, wie alle übrigen Nachtthiere, durch das ungewohnte Licht angezogen wird. Denn es muß schon hart kommen und der Bauer gefährlich krank sein, wenn zur Nachtwache Licht gebrannt wird; in der Wetterau wenigstens erzählt man die charakteristische Anekdote, daß die Frau den Mann mit den Worten angestoßen habe: „Zünde einmal ein Licht an; ich glaube, ich sterbe,“ worauf der Mann verdrießlich geantwortet habe: „Man sollte meinen, Du könntest nicht im Dunkeln sterben.“ Ist es da zu verwundern, wenn Eulen und Fledermäuse der ungewöhnlichen Lichterscheinung zufliegen, erstere ihr klägliches Geheul in der Nähe erschallen lassen und der Kranke, dessen Nachtlampe sie, wie alle Nachtthiere, anlockt, auch wirklich in Lebensgefahr schwebt? Man sehe doch einmal zu, was Alles noch an einem solchen erleuchteten [231] Fenster krabbelt: Schnaken und Mücken, kleine und große Nachtfalter und hie und da ein Hirsch- oder Mistkäfer, der mit gewaltigem Anprall wider die Scheiben fährt, als wolle er sie zertrümmern.

Nichts desto weniger sind die Eulen ohne Vergleich die nützlichsten Vögel und ein wahrer Segen für die Gegenden, wo sie sich niederlassen. Denn durch ihre Flugzeit sind sie ja gerade auf das nächtliche Ungeziefer als Beute angewiesen, und wenn sie auch hie und da ein Vöglein erhaschen, so sind doch Mäuse und große Nachtinsecten ihre wesentliche Beute. Wenn Tschudi erzählt, daß ein Eulenpaar an einem einzigen Juniabende seinen Nestjungen elf Mäuse brachte und daß man in dem Magen eines Waldkauzes 75 Raupen des schädlichen Fichtenschwärmers fand, so charakterisirt er damit vollständig die Thätigkeit der Eulen im Allgemeinen. Nicht nur schonen sollte man diese Thiere, sondern sogar hegen und sie veranlassen, in der Nähe der Dörfer und Wohnungen ihr Standquartier aufzuschlagen. Die meisten Eulen lassen sich sogar zähmen und sind dann durch ihre seltsamen Bewegungen und Gebehrden nicht unangenehme Gesellen. Ein französischer Beobachter erzählt, daß er ein Steinkäuzchen im Hause hatte, welches ein liebenswürdiger Vogel war; er ließ sich gerne streicheln, selbst bei Tage, und obgleich er mit jedem Futter vorlieb nahm, so zog er doch rohes Fleisch vor, das er mit Hartnäckigkeit vertheidigte, sobald man es ihm abnehmen wollte. Täglich ging das Thier in den Garten auf die Insectenjagd, und selbst im Winter, wo man kaum noch Insecten findet, warf es täglich noch zwei Mal ein nußgroßes Gewölle von unverdaulichen Flügeln und Beinen aus. Kleine Vögel verfolgte der Waldkauz freilich auch und rupfte sogar die ausgestopften, in der Meinung, sie verzehren zu können.

Zu derselben Zeit lebte in dem Hause eine Dohle, die mit einem Hunde gute Cameradschaft pflog, während der Kauz mit einer jungen Katze so befreundet war, daß sie Beide oft zusammen in demselben Korbe schliefen. Dohle und Kauz waren grimmige Feinde; da sie aber Beide ungefähr gleich stark waren, so mieden sie sich nach einigen hitzigen Kämpfen und hatten sich den Garten so abgetheilt, daß keines das Gebiet des anderen berührte. Nachts aber war der Kauz allein Meister und trippelte dann so eifrig in dem Garten umher, daß man ihn hätte für eine Ratte halten können.

Mit einem Worte: Jede Eule ist eine fliegende Katze in Bezug auf Gewohnheit, Nahrung und Jagd, und den Dienst, den die Katze in geschlossenen Räumen leisten kann, thut sie in Feld und Geschäft. Das Miauen der Katzen zur Brunstzeit ist aber wahrlich auch kein Gesang – und Vögel, junge Hasen und Fleisch läßt sich die Katze auch schmecken ohne Gewissensbisse! Die Katze aber pflegt man als Hausthier, wenn sie vier Beine hat, fürchtet und verfolgt sie dagegen, wenn sie fliegen kann.

Unter den kleineren Vögeln sind, wie ich schon zu bemerken Gelegenheit hatte, die reinen Insectenfresser die nützlichsten von allen, obgleich unter diesen auch einige sind, welche sich gänzlicher Verkennung zu erfreuen haben. Die Würger und Neuntödter, welche die größeren Insecten auf Dornen spießen und sich manchmal auch an jungen Vögelchen und Mäusen vergreifen; alle die niedlichen Sänger, wie die Grasmücken, Rothkehlchen, Rothschwänzchen, Nachtigallen und Bachstelzen, welche letztere namentlich auf der Erde, am Rande des Wassers und in frischgestürztem Felde ihre Nahrung suchen; die zänkischen Meisen, die Baumläufer, Zaunkönige und Spechtmeisen, welche auf Bäumen und Gesträuchen fleißig die Insectenlarven ablesen und zum Theile selbst mit hartem Schnabel unter der Rinde heraushacken; die hämmernden Spechte, die Wendehälse, die breitmäuligen Dünnschnäbler, welche die Insecten im Fluge fangen, wie Fliegenschnäpper, Schwalben, Mauerschwalben und Ziegenmelker oder Nachtschwalben; endlich die ganze Rabenfamilie, die in einfach schwärzlichem Kleide einhergeht, wie Stahre, Dohlen, Krähen, Kolkraben, welche hauptsächlich von Würmern, Larven, Maden und Aas leben, sind in unseren Augen durchaus nützliche Vögel, die man hegen und pflegen soll. Streiten kann man freilich über die eigentlichen Drosseln, die Finken und Kernbeißer, welche unter Umständen nützlich oder schädlich sein können. Gewiß thun in unseren Gegenden die beerenfressenden Drosseln, wie Krammetsvogel, Singdrossel und Amsel, nicht den mindesten Schaden, indem sie sich vorzugsweise an Wachholder- und Vogelbeeren halten, die man ohnedem kaum zu benutzen weiß. Ebenso verfolgt man mit Unrecht die Weindrossel, indem man sie des Naschens von Weinbeeren in den Rebenbergen beschuldigt, wo sie doch nur Gewürm und nackte Schnecken sucht. Ein äußerst schädlicher Vogel ist aber ohne Zweifel die Misteldrossel, die größte aller einheimischen Arten, die den ganzen Sommer über bei uns sich aufhält und eine ganz besondere Vorliebe für jenen schmarotzenden Strauch hegt, der in der nordischen Götterlehre eine so bedeutende Rolle spielt. Die Mistelbeeren sind die Hauptnahrung dieser Drosselart im Spätherbst, und da die Kerne unverdaut durch ihren Darm durchgehen und noch obenein in Saft eingehüllt bleiben, wodurch sie überall leicht anhaften, so säet die Misteldrossel fast überall den verderblichen Schmarotzersamen auf die Bäume, auf welche sie sich niederläßt.

Die Spechte sind gerade nicht die Lieblinge der Forstleute, welche sie beschuldigen, den Waldbäumen durch ihr Hämmern bedeutenden Schaden zuzufügen. Tschudi hat indessen vollkommen Recht, wenn er die herzhaften, stämmigen Bursche trotz ihrer unermüdlichen Zimmerarbeit in seinen Schutz nimmt und ihre Pflege empfiehlt. Ihr Pochen und Hämmern hat zweierlei Ursachen. Einerseits hacken sie Rinden und Splint bis zum Holze in großen Splittern los, um die darunter bohrenden Insecten und Larven unmittelbar mit der spitzen, widerborstigen, einer Stahlfeder gleich hervorgeschnellten Zunge anzuspießen. Andererseits klopfen sie aber auch nur, um die Insecten auf der anderen Baumseite aus ihren Schlupfwinkeln hervorzulocken. Deshalb sieht man sie nach einigem Klopfen mit äußerster Geschwindigkeit auf die andere Seite des Stammes rutschen und dort die Risse der Rinde aufmerksam untersuchen. Der Volkswitz behauptet freilich, der Specht durchbohre den Stamm und renne nur deshalb so eifrig auf die andere Seite, um dort die durchdringende Spitze seines eigenen Schnabels zu sehen. Allein obgleich ihm in diesem Falle eine bedeutende Dosis von Dummheit zugeschrieben wird, so spielt doch andererseits der Schwarzspecht durch die kluge Weise, womit er die geheimnißvolle Springwurzel, welche alle Schlösser öffnet, zu finden versteht, in den deutschen Sagen eine nicht unbedeutende Rolle.

So nützlich die Spechte auch sein mögen, so können sie doch im gegebenen Falle außerordentliche Unannehmlichkeiten mit sich führen. Einer meiner Oheime hatte sich in einem ihm zugehörigen Walde auf einem freien Plätze ein Häuschen gebaut, das im Sommer das Ziel seiner Spaziergänge war. Ein herrliches Plätzchen, von prächtigen Fichten und Lärchen beschattet, mit einem murmelnden Bächlein in der Nähe, in dem wir krebsten, während der Oheim seine Mittagspfeife rauchte! Die ganze Idylle wurde durch einen Specht gestört, der mit satanischer Hartnäckigkeit das Innere des Häuschens sich zum Ruheplatze auserkoren hatte. Er war durch das niedrige Kamin hereingeflogen und hatte in der inneren Holzverkleidung, die allerdings von Würmern etwas heimgesucht war, arge Zerstörungen angerichtet. Der Oheim ließ eine Klappe auf das Kamin machen. Tags darauf hatte der Specht ein faustgroßes Loch durch die hölzerne Klappe gebohrt und war wieder im Häuschen. Die Klappe wurde mit Blech beschlagen. Als der Oheim das nächste Mal die Thüre öffnete, flog ihm der Specht fast in’s Gesicht und schnurrte mit sausendem Flügelschlag davon. Er hatte ein Loch durch den Fensterladen und durch die Fensterbrüstung gebohrt. Neue Ausgabe an den Klempner, der den einzigen Fensterladen beschlagen mußte. Als der Onkel nach einigen Tagen wiederkam, gähnte ihm ein großes Loch in der dicken Bohlenthüre entgegen, die bis jetzt allen Versuchen des in der Gegend häufigen Gesindels Widerstand geleistet hatte. Nun kannte aber der Zorn des Eigenthümers keine Grenzen mehr. Ein Netz wurde angefertigt und der Eindringling richtig in demselben gefangen. Der Onkel aber war ein gutmüthiger Steuerbeamter, der die Steuerpflichtigen wohl bis auf den letzten Pfennig auspressen, einem Thiere aber kein Leids zufügen konnte. Als ihn der Vogel, den er mit starker Faust gepackt hatte, fast kläglich bittend ansah, überkam ihn Mitleid. Er gab einem Erdbeeren suchenden Bettelbuben den Vogel und drei Batzen, damit dieser dem Spechte an einem verborgenen Orte den Hals umdrehen solle. Am andern Tage war der Specht wieder im Häuschen; der „Lausbube“ hatte die drei Batzen eingesteckt, den Vogel aber fliegen lassen. Der Onkel gab den Kampf auf. Das Häuschen verfiel, denn er besuchte es nicht weiter. Der Specht aber befand sich wohl darin und zerhackte die letzten Trümmer zu Spähnen, mit denen wir im Herbste des folgenden Jahres uns ein Feuer anzündeten und Kartoffeln brieten.

Seit Prokne’s Zeiten heftet sich an das leicht segelnde Schwalbenvolk mancher schöne Glaube und Aberglaube. Tobias hatte [232] seinen Unfall gewiß einer Schwalbe zu verdanken, und den Fisch, den der Engel damals so leicht fand und dessen Galle den Doctor Gräfe mit seinen sämmtlichen Nachfolgern entbehrlich machen würde, suchen die Naturforscher bis heute vergebens. Ganz gewiß bedeuten die Hausschwalben unter dem Gesimse noch heute Glück, nur wenn auch eine Schwalbe keinen Sommer macht, so lauscht doch der Landmann wie der Städter dem fröhlichen Gezwitscher, womit sie ihre Ankunft ankündigen, und prophezeit aus frühem oder spätem Wegzuge die Wahrzeichen des bevorstehenden Winters. Im Mittelalter trugen die Schwalben die Panacee für alle Krankheiten mit sich im Leibe herum; jeder Körpertheil hatte eine andere wunderbare Heilkraft: die zerquetschten Brustmuskeln waren das beste Gegengift gegen Schlangenbiß und Scorpionenstich; der Koth, mit Wasser angerührt und als Trank genommen, bewahrte vor Hundswuth und Tobsucht. Die jungen Schwalben wurden im Mörser zerstoßen und das ekle Gemisch mit Bibergeil und Essig bei mäßigem Feuer destillirt; das gab dann das berühmte Schwalbenwasser, das, wie der Schneeberger echte und gerechte Schnupftabak, alle Flüsse vom Haupt nicht nur, sondern alle Gebrechen ohne Ausnahme radical heilte, aber nur in den schrecklichsten Fällen gebraucht wurde, weil es unmittelbar beim Gebrauche die Haare ausfallen machte. Damals aber galt es noch nicht als eine Empfehlungskarte für einen Gelehrten oder Staatsmann, kahlköpfig zu sein, wie dies später in Frankreich zu Guizot’s Zeilen der Fall war, und man opferte nur in der dringendsten Gefahr die Zierde des Hauptes, um das Leben zu retten.

Die Milde der toscanischen Gesetzgebung ist bekannt. Nichts desto weniger gehören die Schwalben dort zu den übelbeleumdeten Vögeln, werden den Raubvögeln, den Raben und Spatzen gleichgestellt und für vogelfrei erklärt. Für die übrigen kleinen Vögel hat das Gesetz wenigstens schützende Bestimmungen, die freilich nirgends beobachtet und gehalten werden – für die Schwalben aber spricht kein Buchstabe. Man kann sich denken, mit welcher Energie man über die armen Thiere in denjenigen Zeiten herfällt, wo die Jagd geschlossen, das Tragen von Gewehren bestraft und das Legen von Fallen und Schlingen für andere Vögel verboten ist. Ueberall hängen die feinen, grünen Seidennetze, welche die armen Schwalben in ihren hastigen Wendungen nicht sehen: überall flattern an Fischangeln die lebendig gespießten Käfer und Heuschrecken, die sie mit hastiger Gier verschlingen, um nun selbst an der Angel zu zappeln!

Zu den Schwalben verhält sich die Nachtschwalbe oder der Ziegenmelker etwa wie die Eule zu den Falken. Der kurze dicke Kopf mit den großen, runden Augen, das weiche Gefieder, der leise schwebende Flug, das unheimliche Geschrei, das Schlafen bei Tag und an versteckten Orten – Alles das ist vollkommen eulenartig und gehört zum Charakter des Nachtvogels, der mit der Dämmerung sein Leben beginnt und beschließt. Der außerordentlich dünne, biegsame Schnabel mit dem weiten Rachen hingegen ist durchaus schwalbenartig, und in der That stehen auch hinsichtlich ihrer inneren Organisation die Ziegenmelker den Mauerschwalben oder Seglern am nächsten. Von den alten Griechen her stammt schon die Ungunst, welche die Ziegenmelker mit allen übrigen Nachtthieren theilen. Sie sollen in den Ställen die Euter der Ziegen so sehr aussaugen, daß diese selbst vertrocknen. Das Fächeln ihres Flügelschlages soll das Vieh blind machen, und ihr kläglicher Schrei, der demjenigen des Käuzchens ähnlich ist, aber noch etwas Schnarrendes dazu hat, soll ebenso wie der Eulenschrei alles mögliche Unglück anzeigen. Eine nordamerikanische Art hat sogar bei den dortigen Ansiedlern nicht minderen Ruf erlangt, als der Kauz in Europa, und wer Cooper’s Romane gelesen hat, erinnert sich wohl der öfter wiederholten Scenen, wo das Geschrei des Whip-poor-Will, das unheimlich durch die Nacht ertönt, den bevorstehenden Ueberfall der Indianer oder sonst ein Unglück zum Voraus anzeigt.

Aber auch hier gilt es, dem Vorurtheile des Volkes ebenso kräftig entgegenzuarbeiten, als bei den Eulen. Denn die Nachtschwalben gehören, wie ihre Verwandten des Tages, zu den nützlichsten Vögeln, die überhaupt existiren; sie melken nicht und blenden nicht, sie fressen weder Körner noch Fleisch, schnappen aber mit unsäglicher Freßgier alle jene Nachtinsecten weg, unter denen wir unsere hauptsächlichsten Feinde finden. Die großen Käfer, die in der Dämmerung umherschnurren und deren Larven Wurzeln oder Holz nagen; die dicken Nachtfalter, deren Raupen unsere Bäume und Gemüse verwüsten; all’ das kleine Geschmeiß von Motten und Mücken, Bremsen und Schnaken findet sein Grab in dem weiten Rachen der Nachtschwalbe, die nur deshalb in Ställen und Gehöften umherstreicht, weil eben dort auch das Geschmeiß sich ansammelt. Lasse man sie also ruhig gewähren; sie stört Niemandes Schlaf und arbeitet in der Nacht für den Menschen, der sie zum Danke verleumdet und verfolgt.

Ich komme in letzter Linie zu dem Kuckuk, dem beschrieensten aller Vögel und dem nützlichsten vielleicht, den wir kennen, dem unermüdlichen Glöckner des Frühjahrs und Vorsommers, der mit Hunderten von Sagen in Beziehung steht und der Fabel nach im Wettgesange mit der Nachtigall den Preis davon trug, weil er gut Choral sang und der Esel Schiedsrichter war. Alle haben ihn gehört und nur wenige haben ihn gesehen, den schönen, scheuen Vogel, der nur selten zum Schuß kommt, äußerst schlau ist, kein Nest baut, sondern als Freund der Grasmücken, Bachstelzen und Lerchen sein Ei in das Nest dieser kleinen Vögel legt, die den jungen Kuckuk besser pflegen, als ihre eigenen Jungen, welche sie sogar verkümmern lassen aus Sorge für den Eindringling. War es vielleicht aus moralischem Unwillen über das schlechte Beispiel, welches der Kuckuk durch sein Benehmen dem Menschengeschlecht giebt, daß der Kanton Uri bis in die jüngste Zeit ein Schußgeld auf jeden Kuckuk gesetzt und die Vertilgung dieses Vogels zum Range einer Staatsaction erhoben hatte? Oder stammte diese Verfolgung weit her aus alter, grauer Zeit, und war sie vielleicht in den Verhältnissen irgend eines der höheren Magistrate der altehrwürdigen Republik begründet, der den Ruf des Kuckuks nicht hören konnte, ohne darin eine Anspielung zu finden? Wie dem auch sein mag, so viel ist gewiß, daß der Kuckuk bis in die jüngste Zeit im erleuchteten Staate Uri verboten und jetzt erst in seine waldursprünglichen Rechte wieder eingesetzt worden ist.

Der Kuckuk spielt aber auch keine geringe Rolle im Aberglauben. Sein Name ersetzt den Teufel, wo man diesen nicht auszusprechen wagt: „Hol’ Dich der Kuckuk!“ „Geh’ zum Kuckuk!“ sind landläufige Redensarten, und sein Ruf gilt ebensowohl als Bezeichnung von Jahren und Jahreszeiten, wie als Vorbedeutung für eine Menge zukünftiger Dinge. Der Schwindsüchtige hört den Kuckuk nimmer rufen, und den verliebten Mädchen zeigt er ebensowohl die Zahl der Jahre an, während deren sie noch auf den Freier harren müssen, als den Kindern die Zahl der Sommer, die sie noch zu leben haben. Hat man viel Geld in der Tasche, wenn man zum ersten Male den Kuckuk rufen hört, so bleibt man reich das ganze Jahr hindurch; schade nur, daß dies meist, für die Städter wenigstens, bei Waldpartien begegnet, wo man gerade nicht die Gewohnheit hat, sich übermäßig mit Geld zu versehen. Die alten Weiber, sagt ein französischer Schriftsteller, die weder Anspruch auf heiße Liebe, noch auf eine fabelhafte Lebensdauer machen können, begnügen sich bescheidener Weise, ein wenig von der Erde zu nehmen, auf welcher der Kuckuk in dem Augenblicke saß, wo sie ihn zum ersten Male hörten, und halten sie für ein gutes Mittel gegen die Flöhe. Saß der Kuckuk auf einem Baume, so hat das bischen Erde, auf welchem man mit dem rechten Fuße stand, dieselbe Tugend.

Unter Förstern und Landleuten gehen noch andere Dinge um. Im Herbste wird er Sperber und im Frühjahr Kuckuk; andere lassen ihn sogar im Winter zur Kröte werden, die sich in einen hohlen Baum setzt; noch andere wissen etwas von seinen Wanderungen; aber sowie die Grasmücke seine Jungen ernähren muß, so muß die Gabelweihe ihn auf ihrem Rücken aus dem Lande und wieder herein tragen.

Und der Kern von allem diesen? Daß der Kuckuk der Raupenvertilger des Hochwaldes ist. Andere Insecten speist er nebenbei. Aber die stacheligen Bärenraupen, die haarigen Processionsraupen, die sogar giftige Eigenschaften haben, die sind es gerade, welche er zur täglichen Mahlzeit vorzieht und womit er sich die innere Magenwand so spickt, daß man früher glaubte, dieselbe sei behaart, während es doch nur die stacheligen Raupenhaare sind, die sich in den Magenwänden einhaken und durch die Drehungen derselben eine wirbelähnliche Stellung erhalten. Unglaubliches kann der Kuckuk in dieser Beziehung durch seine Gefräßigkeit leisten. Ich wunderte mich nicht mehr, erzählt Ratzeburg, der berühmte Beobachter der Forstinsecten, daß unser Raupenzwinger sich so schnell entvölkerte, seitdem ich wußte, daß sich ein Kuckuk in der Nähe angesiedelt hatte.



  1. Einem meiner Studiengenossen, der später im fernen Afrika als österreichischer Consul ein bewegtes Leben endete, wurde das Stipendium entzogen. Einige Wochen später meldete er sich bei dem Ephorus, der ihn, Reclamationen witternd, mit einem grimmigen: „Was wollen Sie?“ anschnauzte. „Entschuldigen Sie,“ antwortete Konstantin, „wenn ich Sie störe. Ich wollte nur aus Mitleiden mit meinem Nachfolger mich bei Ihnen erkundigen, wie ihm das Stipendium bekömmt.“ „Brauchen gar nicht zu fragen,“ schnaubte wüthend der Ephorus, „es wird schon gegessen werden.“
  2. Nil melius turdo – nichts Besseres, als ein Krammetsvogel, sagt Horaz in einem seiner Briefe.
  3. Ein Nachklang der römischen Einrichtungen findet sich noch jetzt, wenn auch in kleinerem Maßstabe, in einigen Gegenden Italiens. Nur mästet man jetzt Ortolane statt Drosseln. Auf einem Landhause bei Genua sah ich eine solche Ortolanen-Mästanstalt, die mit etwa 5000 Stück besetzt war und ärger stank, als ein Schweinestall.