Wandernde Künstler

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Autor: Heinrich Leutemann
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Titel: Wandernde Künstler
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7–8, S. 100–103, 126–128
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wandernde Künstler.
Was sind wandernde Künstler – Die Albinodame – Wandernde Heilkünstler, Elektriseure – Kameel- und Bärenführer – Wilde Neger – Die Eskimos und die nicht verzehrten Kaninchen.


„Kunst bringt Gunst,“ so lautet ein altes Sprüchwort. Es ist dies aber nur ein Minoritätsgutachten unserer biedern Vorfahren, denn zwei andere Sprüchwörter lauten, das eine: „Kunst geht nach Brod!“ das andere sogar: „Kunst geht betteln.“

Ob unsere oft sehr schalkhaften Ahnen damit schon jenen Theil der Künstlerwelt gemeint haben, den unsere Ueberschrift bezeichnet, muß dahingestellt bleiben, unmöglich ist es jedenfalls nicht. Ist es der Fall, dann haben sie allerdings blos die prosaische nüchterne Seite derartigen Künstlertreibens hervorgehoben; es wäre aber traurig, wenn es nicht noch andere Ansichten der Sache gäbe, und diese einigermaßen vorzuführen, soll hier versucht werden.

Es muß hier zunächst ausgesprochen werden, daß bei der Bezeichnung „Wandernde Künstler“ letzteres Wort in seiner allerverwegensten Bedeutung zu verstehen ist. Nicht etwa daß wir hier die Schauspieler in’s Auge zu fassen hätten, welche von einem kurzen Engagement zum andern ziehen, oder dergleichen Sänger, ebenso wenig andere den höheren Richtungen dienende Künstler, nein, gegenwärtige Betrachtungen sollen jenen Künstlern gelten, welche als treue Begleiter der Messen, Jahrmärkte, Vogelschießen und ähnlicher Feste sich bei uns einfinden und uns belehren und erheitern. Man beachte wohl: Alle diese Leute sind Künstler, gleichviel ob es Mitglieder der Renz’schen Kunstreitergesellschaft oder Inhaber eines Affentheaters sind, denn es giebt hier keine Grenze; Harfenisten und Wahrsager, Menageriebesitzer und Athleten, Inhaber von Wachsfigurencabinets oder anatomischen Museen, kurz Alle, die uns für unser Geld etwas sehen oder hören lassen, rechnen sich zur edlen Kunst.

Es kann hier nicht die Rede sein von den ersten Größen der wandernden Künstlerwelt, sie erheischen besondere Besprechung. Wohl aber mag hier gezeigt werden, wie der bescheidene Anfang vieler solcher renommirter Namen ist. Denn wenn uns bei einem Rafael, einem Michel Angelo und andern Sternen der Kunstwelt stets der Weg höchlich interessiren muß, auf welchem sie das, was sie waren, geworden sind, warum nicht auch hier? Wie jeder französische Soldat den Marschallstab in seinem Tornister trägt, so liegt in jedem Besitzer eines abgerichteten Affen der Keim zu einem großen Menageriebesitzer oder einem Kunstreiterdirector, und wie viel Tausende solche Leute commandiren, ahnt Mancher nicht.

Statt weiterer Auseinandersetzungen sollen nur einige Schilderungen von Besuchen bei solchen Anfängern folgen, die am besten dazu dienen werden, einen Einblick in diesen Geschäftsbetrieb zu gewähren. Es war die erste in der Reihe der Schaubuden auf der Leipziger Messe, vor welcher ein Gemälde, auf welchem ein pechschwarzer Adler zwischen zwei großen Schafen sich emporschwang, mich zum Eintritt veranlaßte. Drinnen wandelten statt der versprochenen zwei sogar drei Schafe mit etwas verschiedenem Gehörn und Hunger umher. Daneben mahnte eine ausgestopfte Gemse ohne Hörner und Ohren mächtig an die Vergänglichkeit des Irdischen und ein gleichfalls ausgestopfter Haifisch, welcher mir (ich war nämlich das ganze Publicum), meinem Sträuben zum Trotz, als der berühmte Delphin octroyirt wurde, zeigte seine Zähne und das dazwischen hervorlugende Werg einem daneben placirten Steinadler. Dieser, der zur Abwechselung wieder lebendig war, konnte sich, wenn er es geschickt anfing, vollständig in seinem Käfig umdrehen und wurde beharrlich drangsalirt, einen Ton von sich zu geben, welcher seinen Namen bedeutete. Er that dies auch endlich, um nur wieder Ruhe zu haben, und nun begann die zweite Abtheilung, die Vorstellung einer Albinodame, welche zugleich Wahrsagerin war.

Die reisenden Albinos, und natürlich auch diese Dame, sind alle von der Landenge von Panama, wo sie als Kinder in Höhlen leben, weil sie das Tageslicht nicht vertragen. Der Wiener Dialekt der hier gezeigten Dame, auf den ich mir erlaubte aufmerksam zu machen, rührte, wie sie das selbst mit untadelhaftem Ernst versicherte, davon her, daß sie als vierjähriges Kind nach Wien gebracht und dort erzogen worden war.

Nach dieser Auseinandersetzung ging es an’s Entrollen der Zukunft. Es waren nämlich vier junge Mädchen eingetreten, welche

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Eine Kunstproduction.
Originalzeichnung von H. Leutemann.

[102] der Bequemlichkeit wegen ihre Hüte zu Hause gelassen und sich nur in leichte Umschlagetücher, selbstverständlich auch Kleider, gehüllt hatten. Es wurden Würfel gebracht, und die weiße sowohl als weise Dame, jetzt mit verbundenen Augen dasitzend, sagte einer jeden der hutlosen Jungfrauen, wie viel sie gewürfelt. Nach diesem trat der Geschäftsinhaber, der natürlich diese Fragen gestellt hatte, ab, die Binde fiel gleichfalls ab, und der wichtigste Moment für die Damen erschien, denn es sollte ihnen ihre Zukunft, vor allen der Zeitpunkt ihrer Verheirathung geweissagt werden. In ungefähr ein bis zwei Jahren und etwas darüber hatte zur allseitigen Befriedigung dieses ersehnte Ereigniß einzutreten. Ueberhaupt kamen alle gut weg, nur eine, welche unglücklicherweise die längste, erfuhr noch, daß sie stolz und eitel war, und ich konnte ihr mein ernstes Befremden darüber nicht ersparen. Doch eine wesentliche Lücke blieb noch in der Prophezeiung, und ich mußte daher an die Egeria die Frage richten, ob und wie viel Kinder die Damen in der Ehe zu erwarten hätten. „Das werden die Damen schon selbst merken, wenn es so weit ist,“ erwiderte sie mit classischer Ruhe, und gegen die unwiderstehliche Wahrheit dieses Ausspruchs war nichts einzuwenden. Als nun den glücklichen Heirathscandidatinnen noch für je einen Dreier gedruckte Zettel eingehändigt wurden, worauf noch Alles stand, was „Ihnen hier nicht vor Allen gesagt werden kann,“ gewiß ein mächtiges Anziehungsmittel, begegnete mir beim Ansehen des einen davon noch ein unglückliches Mißverständniß mit dem obenanstehenden Zeichen der Zwillinge, aber auch hier aufgeklärt, konnte ich nun gewiß „vollkommen befriedigt den Schauplatz verlassen“.

Auch für die Gesundheit wird von wandernden Heilkünstlern gesorgt, und die an so vielen Uebeln jetzt krankende Menschheit kann diesen braven Männern nicht genug danken, daß ihr hier die Heilung ihrer Leiden gleich auf der Straße geboten wird. Wen kann ich anders meinen, als die Elektriseure? „Kommen Sie heran, meine Herren,“ so ließ einst ein solcher seine Stimme ertönen, „kommen Sie heran, das ist ja nur ein momentaner Augenblick, und dann ist’s vorbei; das durchzuckt den ganzen Körper und thut ihm wohl!“ Noch wollte Keiner anbeißen. „Nun, einen Neugroschen wird doch wohl Ihr Körper werth sein?“ rief er jetzt dringender. Da trat ein Ehepaar in den besten Jahren heran, die Frau litt am Dickbein, wollte aber nicht mehr am Dickbein leiden. Die Maschine, welche bei der feuchten Luftt gar keine rechte Lust zur Thätigkeit hatte, wurde mit mächtigen Umdrehungen dazu gezwungen, und die würdige Dame, welche ermahnt worden war, die Hand, welche die Kette hielt, ja recht an’s Dickbein anzudrücken, empfing den Schlag mit einer Gelassenheit, welche dem Gedanken an Uebung bedeutenden Spielraum gewährte. Aus Gründen der Gerechtigkeit mußte nun der elektrische Funke noch einmal, d. h. auf dem entgegengesetzten Wege den Körper durchlaufen, und der Gatte, sehr befriedigt über die billige Cur, trat nun ebenfalls heran. Ihm fehlte offenbar nichts, denn er schien Nerven wie Bindfaden und überhaupt eine Hausknechtsgesundheit zu haben, da aber die Befestigung einer solchen für einen Neugroschen auch eine nicht zu verachtende Sache ist, so nahm auch er die Kette in die Hand; seine Gesichtszüge erlitten im Augenblicke des Schlags zwar einige Veränderung, welche, wenn photographisch aufgefaßt, die Aehnlichkeit einigermaßen beeinträchtigt hätte, aber seine Photographie, zu welcher er mit auf den Magen gelegter Hand und starrem, auf den verdächtigen Apparat gerichteten Blick mit großem Erfolg gesessen haben mochte, hing ja gewiß schon längst zu Hause, und unter derselben in Goldrahmen jedenfalls auch sein Wappen, von dem er früher wohl keine Ahnung hatte, dessen Kenntniß und Besitz ihm aber, und zwar auch von einem wandernden Künstler, gegen einen Preis vermittelt worden sein mochte, welcher für die empfangene Gewißheit, daß er von einem altadeligen Geschlecht aus der Ferne abstammt, jedenfalls pöbelhaft gering ist.

Jetzt näherte sich eine Gruppe junger Leute, und einer derselben fühlte das dringende Bedürfniß zum Elektrisiren, aber sein Genosse konnte sich so wenig, selbst nur für einen Augenblick, von ihm trennen, daß er ihn heimlich hinten anfaßte. Doch der blitzesendende Zeus am Drehrade hatte ihn wohl bemerkt. „Du, paß’ uf, da wollen welche umsonst elektrisiren!“ rief er seinem Collegen zu. Das Wort der Trennung wurde gesprochen, und die Schläge des Schicksals fielen nur auf Einen, so gern sie auch der Freund mit ihm getheilt hätte. Eine Junge hatte sich inzwischen vorgedrängt, sah aber nicht wie ein Inhaber von Neugroschen aus; „geh’ nach Hause, mein Sohn, wenn Dich Deine Mutter prügeln will, bist Du sonst nicht da!“ ermahnte ihn der wohlwollende Arzt, und der praktische Junge folgte freudig der Ermahnung. Da ich auch der Sohn einer Mutter war und nur zu lange schon dagestanden hatte, so ersparte ich dem Manne unnöthige Worte und ging.

Wie überall in der Welt Neues auftaucht und das Alte verschwindet, so geht es auch mit vielen wandernden Künstlern. Während z. B. die mit Stereoskopen reisenden Künstler eine neue Erscheinung sind, werden die Kameel- und Bärenführer immer seltener, obgleich sie gerade das Treiben bei den Gelegenheiten, wo sie sich einfinden, sehr wesentlich charakterisiren. In einer langen Reihe von Jahren habe ich nur ein einziges Mal eine vollständige derartige Gesellschaft gesehen. Es gehörten dazu außer den menschlichen Mitgliedern Kameel, Bär, Affen und ein Stachelschwein, und unser Bild führt sie uns in ihrer Vollständigkeit vor. (Das Stachelschwein ist nämlich noch im Kasten.)

Der erste Blick des Eintretenden auf die schwarzlockigen Gestalten, von denen die menschliche Hälfte der Gesellschaft gebildet ward, zeigte sofort, daß die Nation, welche der Welt schon einen Rafael und Titian schenkte, auch diese Künstler gesendet hatte, was am besten die schnöde Bedauptung widerlegte, daß Italien nicht mehr an der Spitze der Kunst marschire, wie dies bekanntlich jeder noch in den Windeln liegende Franzose mit der Civilisation zu thun längst gewohnt ist.

Gerade bei meinem Eintritt war der Bär (nach dem Fibelvers bekanntlich am grausamsten, wenn er vom Honigbaum herkommt) noch dabei, sein Quantum abzutanzen. Zwar erinnerte sein gemessener Schritt etwas an das „schwerwandelnde Hornvieh“ des guten Homer, aber die sentimentale Neigung des Kopfes nach seinem Chef zeigte doch eine gewisse Grazie.

Es wäre vielleicht hier der Ort, über den Cursus zu sprechen, welchen der Bär zur Erlernung seiner Kunst einem on dit zufolge durchzumachen hat, und welcher einfach darin besteht, daß man ihn auf eine mehr als warme Platte stellt und ihn dadurch zwingt, die Füße abwechselnd zu heben. Da aber kein Grund denkbar ist, warum der Bär dazu sich gerade auf die Hinterfüße erheben soll, indem die Abwechslung von vier Füßen doch günstiger bliebe, so erlaube ich mir an der ganzen Sache zu zweifeln; zu meinem eignen Bedauern freilich, denn man muß dann zugleich auf die Erwägung verzichten, ob nicht vielleicht eine Nutzanwendung dieser Unterrichtsmethode auf das menschliche Geschlecht anwendbar wäre.

Das Kameel stand während des Bärentanzes an einen Pfahl gebunden und hatte auf seinen Höckern ein Paar Affen sitzen. Dies waren indeß keine rohen Affen, wie sie ungebildeter Weise in den tropischen Wäldern hausen, nein, diese Affen waren, was ihre sorgfältige Ausrüstung, ihre militärische Disciplin und ihre Zahl anbetraf, das lebhafte Bild mancher kleinen deutschen Armee. Da die Zeit für die militärischen Uebungen noch nicht gekommen war, so beschäftigte sich der General in landesväterlicher Fürsorge mit der Reinlichkeit seiner Armee, und zwar eigenhändig, da ihm dies die beste Bürgschaft für das Gelingen war. Dafür nahm er dann natürlich gleiche Dienste von seiner Armee in Anspruch.

Als nun aber der Ruf der Pflicht erscholl, da verwandelte sich die Scene; zwar der Leierkasten tönte unermüdlich fort, aber die Armee bekam ein ganz anderes Ansehen: sie wurde, ich weiß nicht zum wie vielsten Male, mobil gemacht. In kecker Haltung saßen die Krieger auf ihren Reitthieren, die Lenden mit dem blechernen Säbel gegürtet. Nachdem der Generalissimus mit einiger Mühe seinen Säbel aus der Scheide gezerrt, begannen die Exercitien. Mit eingekniffnem Schwanz und hängendem Kopf trabten die Hunde einher, einen scheuen Blick auf die drohende Peitsche des Chefs gerichtet, welcher mit donnernder Stimme das Commando erschallen ließ. Bei den Exercitien im Feuer warf zwar der Gemeine, wenn das Zündhütchen knallte, regelmäßig das Gewehr weg, dies vergrößerte aber nur den Effect auf die Zuschauer, und so hütete man sich, ihm das abzugewöhnen. Um nun auch an die heitere Seite des Soldatenlebens, wie es das Lagerleben vielfach bietet, zu erinnern, wurde dem Generalissimus jetzt eine kleine Geige gereicht. Mit fabelhafter Geschwindigkeit, in grellen Absätzen unterbrochen, trug er ein Stück Zukunftsmusik vor, wie man es nicht unverständlicher wünschen konnte, wobei er aber selbst, im Gegensatz zu den meisten Virtuosen, ganz gleichgültig und ungerührt aussah.

Als nun die Truppen in ihre Cantonnirungen zurückgekehrt waren, so mußte noch das Kameel einen Rundgang machen und [103] sich auch niederlegen. Wer es vielleicht schon wieder vergessen hatte, erfuhr dabei, daß das Kameel immer noch das Schiff der Wüste ist und daß es bei auf der Reise eingetretenem Wassermangel stellenweise getrunken wird. NB. Wer’s glaubt.

Das Stachelschwein, welches jubelnd aus einem geöffneten Kasten sprang und schnell etwas zu fressen suchte, beschloß die Vorstellung. Auch hier eine naturhistorische Erklärung. Nämlich es schießt, es bleibt ungewiß, ob mittels Armbrust ober Blasrohr, seine Stacheln auf seine Feinde ab, und hat außerdem auch an den Hinterfüßen Sohlen wie „ein klein Kind“. Weiter hatte es keine Eigenschaften und mußte daher wieder in seinen Kasten zurück.

Was machten nun aber diese Leute in der müßigen Zeit, in den Pausen zwischen ihren Vorstellungen? Nun, während ich dasaß und das Kameel zeichnete, vergnügten sie sich nach ihrer Weise. Entweder sie schliefen oder sie zählten wiederholt ihr Geld (was bekanntlich Jedermann gern thut, wenn er welches hat), oder sie balgten sich mit dem Bären, warfen ihn im Spaß auf den Rücken und krabbelten ihn am Bauche, wofür er ihnen, auch blos zum Spaße, die Hosen zerriß und dafür wieder spaßhafte Püffe erhielt. Oder die Thiere bekamen etwas zu fressen, ehe sie zu matt wurden, da besonders immer das Kameel mit baldigem Einsturz drohte. Kurz, wie man schon in Süddeutschland die Landleute an Sonntagen stundenlang auf den Plätzen der Dörfer und Städte stehen sehen kann, ohne daß sie eigentlich irgend etwas vorhaben, so verstanden es vollends diese Südländer vortrefflich, ohne großen Kräfteverbrauch die Zeit mausetodt zu stechen.

Natürlich darf ich, wenn ich von den wandernden Künstlern spreche, diejenigen nicht übergehen, welche uns unsere etwas entfernter wohnenden Nebenmenschen vorführen, insofern dieselben noch wild wie das liebe Vieh und außerdem auch noch schwarz, braun oder roth angelaufen sind.

Eine derartige Schaustellung ist mir unvergeßlich geblieben. Nach dem gedruckten Programm, welches Jedem, der nur einige Augenblicke vor der Bude stehen blieb, sofort in die Hand gedrückt wurde, konnte man in derselben zwei wilde Neger, sowie einen dritten, welcher zugleich Athlet war, sodann zwei nordamerikanische Indianer, Alle im Nationalcostüm, eine Albinodame, eine Schlangenbändigerin und noch Mancherlei sehen.

Der Geschäftsinhaber, der sich seiner Verantwortlichkeit dafür, daß er wilde Menschen frei ohne Kette zeigte, offenbar bewußt war, bereitete das eingetretene Publicum auf den zu erwartenden Anblick durch einige Worte vor. Jetzt setzte er eine nicht ganz seltene Muschel an den Mund, schauerliche Klänge ertönten, daß es Einen eiskalt überlief, und herein traten die furchtbaren Erscheinungen, schrecklich anzuschauen. Ringe in den Nasen, Pantherfelle um die Lenden, kühn geschwungene Keulen, klingende Tambourins, es wurde uns wirklich ganz afrikanisch zu Muthe, d. h. wir machten uns schon gefaßt, gefressen zu werden, denn die gräßlich rollenden Augen schienen in der That nur nach dem Fettesten unter den Zuschauern zu suchen. Jetzt öffneten sie ihre nach Negerart pflichtschuldig aufgeworfenen Lippen, und „tschuppi, tschuppi“ klang es aus dem Loche zwischen denselben. Ehe sich das Publicum noch fragend ansah über die Bedeutung dieses furchtbar afrikanischen Wortes, wurde es vom Geschäftsherrn, welcher, um die Wilden nöthigenfalls bändigen zu können, immer auf der Bühne blieb, belehrt, daß damit die Bitte um Cigarren ausgesprochen sei. Wie Hofmarschall Kalb in „Kabale und Liebe“ aufathmet, als Ferdinand Witze macht, so ging es auch uns Zuschauern. Sie rauchen Cigarren, das bringt sie uns näher, so dachte offenbar Jeder, und in der That kamen die barbarischen Kerle von der Bühne herunter in die Reihen des Publicums zur Cigarrenernte, und die Meisten zögerten nicht, die gefährlichen Menschen sich dadurch geneigt zu machen.

Nunmehr begannen die wilden Freudentänze auf der Bühne; die Wilden leisteten Gewaltiges in allerhand grotesken Stellungen, die Keulen bearbeiteten mit Kraft die Dielen, und die Pantherfelle, soviel die Motten davon übrig gelassen, flogen nach allen Richtungen. Endlich traten sie ab, aber noch ehe sie ganz hinter dem Vorhang verschwunden waren, nahmen sie auch schon die Ringe, welche wahrscheinlich zu sehr knippen, aus den Nasen.

Sehr gespannt, ich gestehe hier meine schändliche Leichtgläubigkeit, erwartete ich nun die Indianer aus Nordamerika mit den üblichen Habichtsnasen und dem langen strähnigen Haar. Da traten sie ein; aber nein, das waren ja wieder Neger, so kraushaarig, stulpnasig und schwärzlich war ihr Aussehen. Doch der Geschäftsführer versicherte dem Publicum, daß es Indianer seien, und der mußte es doch wissen. In der That, es ging mir ein Licht auf, denn da schon seit langen Zeiten so viel Neger nach Nordamerika gebracht werden, warum sollen sich durch öfteres Sehen die beiden Racen nicht so ähnlich geworden sein, daß sie nicht mehr zu unterscheiden sind? Auch ihre Tänze waren ganz ähnlich. Ob alle diese Wilden einmal früher Kellner, Lakaien oder dergl. waren, und irgendwie aus Aerger wieder wild wurden, wer konnte es wissen?

Jetzt erschien der schwarze Athlet mit der nicht mehr ganz ungewöhnlichen schweren Stange. Früher wurde immer ein gewisser Preis Demjenigen geboten, der solche Stange in gleicher Weise wie der Athlet heben würde. Da es aber noch vor Kurzem vorgekommen (wovon ich zufällig Augenzeuge war), daß die besagte Stange wirklich von Jemand aus dem Publicum, nämlich einem Markthelfer der auch sonst wohlrenommirten Flinsch’schen Papierhandlung in Leipzig, gehoben wurde, so ist man jetzt praktischer geworden, und auf dem Programm, das unsern Hercules empfahl, stand daher, „daß man recht gut hundert Thaler Belohnung demjenigen bieten könnte, welcher“ u. s. w.

Nachdem man in dieser Bude man noch die Vorstellung der Albinodame (natürlich auch von der Landenge von Panama) und der Schlangenbändigerin, welche außer dem Schlangenbändigen auch das Einsammeln des Trinkgeldes besorgte, ausgehalten hatte, konnte man endlich gehen.

Wie wenig Respect vor der Echtheit dieser fahrenden Wilden die betreffende Künstlerwelt selbst hat, mag Folgendes zeigen. Als früher der gewiß noch manchem Leser erinnerliche „Eskimo“, welcher von Warzen strotzte, aber großen Zulauf hatte, gezeigt wurde, versicherte mir ein Wärter der damaligen Liphard’schen Menagerie, daß er einen Eskimo ebenso vorstellen wolle und dies seinem Herrn schon angeboten habe. Derselbe wolle aber nicht darauf eingehen.

Als einen ausgezeichneten Künstler und Geschäftsmann mußte man jedenfalls den Herrn neben der eben besprochenen Bude betrachten. Er war der Unglückliche, dessen Hercules, wie vorhin erwähnt wurde, zur großen Befriedigung des patriotischen Leipziger Publicums, so blamirt worden. Nun hätte er sich leicht einen andern anschaffen können, denn in manchem Jahre gerathen dieselben sehr zahlreich und gut, aber als Mann mit richtigem Blick ließ er diesen Kunstzweig nun fallen, und was er nun zeigte, soll jetzt erzählt werden.

Vor dem Eingange der Bude wurden von dem Besitzer selbst zwei theilweise costümirte Affen mit furchtbarer Vehemenz an einem Strick hin- und hergeschaukelt, so zwar, daß sie trotz ihrer vier Hände Mühe hatten, sich vor dem Abfallen, oder vielmehr Abfliegen, zu schützen. Schon das mußte natürlich zum Eintritt in’s Innere locken. Aber es gab noch stärkere Zugmittel. Aus einem Kasten nahm (natürlich unter gewaltigem Geschrei) ein Bursche eine Anzahl Kaninchen, hielt sie erst hoch und warf dann die Zappelnden ohne Weiteres in’s Innere der Bude, d. h. in den Rachen der lauernden Hyäne, wie versichert wurde, hinein. Was blieb Einem übrig, als schnell in die Bude zu stürzen, ehe alle Kaninchen verschlungen waren? – Richtig, da liefen sie noch alle unversehrt in der Bude umher. Aber eben wurden sie ernstlich einer alten Hyäne und einem Wolfe, welche sich schändlicherweise gichtbrüchig stellten, zum Fraße vorgehalten. Doch Kaninchen, Wolf und Hyäne waren offenbar alte Bekannte, und es fiel letzteren, wohl in Erwägung der sonst unvermeidlichen Hiebe, nicht ein, zuzuschnappen. „Sie haben keinen Hunger,“ mit dieser Aufklärung mußten wir blutdürstigen Zuschauer uns begnügen.

Nach dieser beinah ergreifenden Scene trat hinter einem alten zusammengeflickten Vorhange eine „Indierin“, allerdings schon mehr Mulattin, hervor. Sie und eine Schlange waren von dem Chef behalten worden, nachdem der blamirte Hercules entlassen war, und sie trug auch noch denselben rosenrothen Rock, tanzte aber leider nicht mehr. Dies hatte den Vortheil, daß um so bälder der Zwerg, der immer noch herumreisende„ Prinz Colobri“, erschien. Ueber diesen Zwerg erfuhr man aus der Erklärung, daß derselbe „ganz den Zweck eines Zwerges erfüllte“, indem seine Hände und Füße ganz proportionirt und nicht plump wie bei anderen verfehlten Zwergen seien.

[126] In holder Abwechselung kroch nun die besagte Schlange über die vom Prinzen Colibri eben verlassene Bühne, ihrem Kasten zu, sodann erschien, auf dem Arm getragen, ein Krokodil, und dann wieder einmal etwas Menschliches, nämlich eine Somnambüle. Sie somnambülte ganz gut, und mein Nachbar, wie es schien ein Schneidergeselle, bekam großen Respect vor ihr. Auch sie vertheilte, [127] natürlich nicht umsonst, die üblichen gedruckten Zettel, aus denen der Empfänger mit Erstaunen ersieht, daß ihm schon einiges Unangenehme passirt ist, daß er sich vor einigen Menschen zu hüten, aber auch etwas Angenehmes zu erwarten hat.

Auf das dringende Verlangen des Publicums nach der so pomphaft angekündigten Thierbändigung durch ein vierjähriges Mädchen erschien endlich das Wunderkind, welches sich bis dahin auf der Straße herumgetrieben, aber offenbar keine Zeit gehabt hatte, sich zu waschen. Sie wurde in den von Bretern gebildeten furchtbaren Zwinger gehoben, setzte sich auf die Hyäne, die sich aber in ihrem Schlaf nicht stören ließ, gab dem Wolf einen Klaps, und aus war die Vorstellung.

Konnte man für einen Neugroschen mehr verlangen? Und doch waren Manche unzufrieden und sprachen von Schwindel; die anspruchsvollen Menschen!

Es würde jedenfalls viel zu weit führen, wollte ich nun in gleicher Weise noch alle übrigen derartigen Künstler schildern, denn sie sind in ihrer Verschiedenheit außerordentlich zahlreich. Doch eine weitere Art davon kann ich nicht ganz übergehen. Es sind die Wahrsager von Profession, nämlich die, welche blos wahrsagen. Versteht ein solcher seine Kunst recht, d. h. kann er, natürlich immer mit dem nöthigen Ernst, wo möglich immer etwas Anderes sagen, und versteht er aus dem äußern Ansehen der betreffenden zukunftsbedürftigen Person einige Schlüsse zu machen, so kann ihm eine gute Einnahme nicht fehlen, selbst wenn er es nicht lassen kann, mitunter einen Witz, natürlich auch nur mit ernster Miene, dazu zu machen. Einer dieser Straßenpropheten unterließ es fast nie, seine Prophezeiung mit den Worten zu schließen: „Kinder bekommen Sie mehr, als Sie brauchen“, oder auch: „Kinder bekommen Sie, drei Knaben und zwei Mädchen für einen Neugroschen“ (so viel betrug die Bezahlung für die enthüllte Zukunft). Seine moralische Gesinnung bewies dieser Prophet auch dadurch, daß er junge Mädchen, bei denen er dies für nöthig hielt, häufig warnte, sich ja nicht, d. h. zum Bösen, verführen zu lassen.

Für ein wesentliches Erforderniß eines erfolgreichen Kunstbetriebs werden von den reisenden Künstlern stets gute Schilder, d. h. außen aufgehangene Gemälde, gehalten, an denen sie es denn auch fast nie fehlen lassen. Denn selbst wenn sich der von ihnen gezeigte Gegenstand gar nicht dazu eignet, bildlich als Lockmittel zu dienen, wie z. B. Stereoskopen, die ja eben blos Bilder sind, so wird doch irgend ein fesselndes Bild, gleichviel welcher Stoff, außen aufgehangen. Besonders sind dazu orientalische oder antikclassische Seenen beliebt. Freilich versteigt sich aber auch die Kenntniß der Malerei bei unsern Künstlern meist nicht über den Horizont eben der Schilder. Als ich einst bei einer reisenden Bärenführergesellschaft ein Kameel zeichnete, hörte ich Jemand hinter mir fragen: „Zu was macht denn der Mann das?“ „Nun,“ antwortete der Sohn der Besitzerin, welcher außerdem auch noch der „Bärenbändiger“ war, „wenn er emal ens uf e Schild zu malen hat, da hat er’s doch gleich.“

Wie schnell übrigens das Malen dieser Schilder von Statten geht, glaubt man kaum. Ich habe eigentlich noch nie den Entstehungsort derselben kennen lernen, und solche Orte muß es doch irgendwo geben, aber zufällig sah ich einst in einer Menagerie ein solches Bild, eine große Eisbärenjagd à la Biard malen. Der Künstler war wahrscheinlich verschrieben worden; er malte das große nach Ellen messende Bild in zwei Tagen, sang dabei vortreffliche Arien und schien nie in Zweifel über die zu wählenden Farbentöne zu sein, so schnell wurde die Arbeit gefördert.

Etwas Rührendes hat es, wenn man auf diesen Schildern manchmal längst vergessene Compositionen von eigener Hand wieder auftauchen sieht, denn die betreffenden Künstler sind da gar nicht heikel, sie fragen nicht nach Eigenthumsrecht u. dgl., was ihnen gedruckt vorliegt, gilt für vogelfrei, und der Trost, daß die Schöpfung populär geworden, mag den ursprünglichen Schöpfer dafür entschädigen, daß sie, wenn auch vergrößert, doch nicht verbessert wurde.

Das Aushängen von Schildern und das energische Ausrufen sind es aber keineswegs allein, was zum Anlocken der Besucher dient; da giebt es noch allerlei Nebenmittel. Bei einer Menagerie werden natürlich möglichste Massen des zu verschlingenden Fleisches ausgelegt, nebst angeketteten Affen, Papageien u. dgl., während sich Gymnastiker und ähnliche Künstler gewöhnlich erst selbst dem Publicum noch vor der Vorstellung zeigen. Manchmal passirt den Leuten das Unglück, daß sie als Lockmittel, welches doch auf viel Schöneres schließen lassen soll, gerade das Interessanteste am Eingange ausstellen. So war auf der letzten Leipziger Messe von einer Thiergesellschaft, aus einem jungen noch kindlichen Bären, einer alten blinden Hyäne, zwei alten Affen und einem jetzt überall gezeigten Maskenschwein bestehend, gerade der lebenslustige Bär außen angebunden (hoffentlich nicht als üble Bedeutung), und drinnen war die ganze Neuigkeit, daß man erfuhr, die Hyänen wachsen bis zum zwölften Jahre und werden dann blind.

Auch manche Kunstreitergesellschaften lassen ihre activen Mitglieder vor der Vorstellung dem Publicum sich zeigen, wie dies z. B. die Gesellschaft Reimschüssel that. Bei dieser Gesellschaft habe ich mir übrigens einst ein nicht ganz geringes Verdienst erworben. Es war gerade in der ersten Zeit des russisch-türkischen Krieges, als dieselbe ihre Vorstellungen in Leipzig gab. Da mir die Vorstellungen zu wenig Abwechselung zu haben schienen, so gab ich einem der Chefs den Rath, er solle doch eine Episode aus besagtem Kriege darstellen. Die Niederlage der Russen an der Donau war damals noch in frischem Andenken, ich schlug als Einleitung eine Haremsscene vor, welche dann durch Russen, die die Odalisken begehrten, gestört werden sollte, und woraus sich endlich der allgemeine Krieg mit schließlicher Niederlage der Russen zu entwickeln hatte. Leider wurde der erste Theil des Vorschlags nicht acceptirt, immerhin sah ich aber noch zu meiner großen Genugtuung, wie trotzdem das neue Stück fast täglich vor zahlreichem Publicum gegeben wurde, wobei denn die neugebackenen Türken nie versäumten, sich vor der Massacrirung der Russen dem außenstehenden Publicum zu zeigen.

Ein nicht zu verachtendes Hülfsmittel, um die Leute anzulocken, ist es auch, aus dem Innern der Bude oder des Zeltes fabelhafte Töne erklingen zu lassen. Das Blasen auf Muscheln ist schon etwas zu abgedroschen, es will nicht mehr ziehen. In einer Menagerie ist es deswegen sehr wichtig, wenn die Löwen das Brüllen recht verstehen, es lockt das oft mehr als alles Anpreisen. In einer jüngst in Leipzig gewesenen Menagerie mußte daher ein Bär die Stelle des gerade fehlenden Löwen vertreten, es wurde ihm, wenn außerhalb der Bude sich Publicum versammelt hatte, so lange mit einer eisernen Stange zugeredet, bis er endlich den Zweck seines Daseins erfüllte und durch schmähliches Brüllen die Leute draußen von seinem wirklichen Dasein überzeugte. Es liegt darin ein tiefer Sinn. Denn man kann es Niemandem verdenken, wenn er auf die außen gemalten Jagden und auf die unendliche Aufzählung der drinnen zu schauenden Thiere Nichts mehr giebt; das gläubige Gemüth ist zu oft angeführt worden, es will also ein sicheres Zeichen, und als das kann immerhin noch das Brüllen eines Thieres angesehen werden.

Eine schlimme Situation für die Betheiligten ist es übrigens, wenn, was gar nicht selten vorkommt, dieselbe Kunstbranche oder derselbe Gegenstand zu gleicher Zeit von Mehreren gezeigt wird, und wenn vollends solche Concurrenten durch die Tücke des Schicksals, welche sich da gern hinter die Behörden steckt, nebeneinander placirt werden. Ein solcher Fall kam kürzlich vor. Drei Riesinnen, darunter sogar eine schwarze, waren unmittelbar nebeneinander aufgestellt, und natürlich blieb nur die eine die Siegerin. Auch ich saß zu ihren Füßen und staunte. Daß sie, wie selbstverständlich, auch somnambülte, erwähne ich nur als Beispiel, daß dazu keineswegs eine schwächliche Natur und ein langes Kleid unumgänglich nöthig sind. Die Hauptsache blieb immer ihre imposante Erscheinung, die einen Herrn sogar so weit hinriß, daß ihn seine Stimmung die Bank, auf der er saß, noch nicht niedrig genug finden ließ. Eine andere Riesin, welche übrigens nicht mehr zu jung war, tanzte sogar, und als liberale Französin erlaubte sie den Zweifelnden, sich durch das Gefühl zu überzeugen, daß sie nicht ausgestopft sei.

Bei der großen Concurrenz auch unter den wandernden Künstlern ist natürlich immer der im Vortheil, welcher „Etwas noch nicht Dagewesenes“ bringt. Als daher in Leipzig von der Schauspielergesellschaft Magnus „der geschundene Raubritter“ aufgeführt wurde, wobei dem Publicum erlaubt war, hineinzureden und die Schauspieler während ihres gewiß anstrengenden Spieles mit Bier, Apfelsinen, Würstchen und dergleichen zu erquicken, so war dies in der That etwas ganz Neues, und der Zulauf, aber auch in Folge davon der Scandal so ungeheuer, daß die Wiederkehr von den Vätern der Stadt untersagt zu sein scheint.

[128] Dagegen dürften keine derartigen Bedenken gegen die Wiederkehr einer Künstlergesellschaft vorliegen, welche sich auch kürzlich als „noch nicht dagewesen“ producirte. Im Gegentheil kann es dem Publicum nur stets zur moralischen Genugthuung gereichen, wenn es endlich einmal Individuen im Schweiße ihres Angesichts arbeiten sieht, welche es, obgleich dieselben mit großer Kraft und Ausdauer begabt sind, nur als Schmarotzer zu kennen gewohnt ist. Mich wenigstens beschlich ein süßes Rachegefühl, als ich hier mehrere Mitglieder der weitverzweigten Familie Floh theils an kleine Droschken, Rüstwagen oder Schubkarren gespannt und dieselben ziehen resp. schieben, theils von ihnen ein Caroussel in Bewegung setzen oder sie aus dem Seile gehen sah. Sie können also auch arbeiten, warum thun sie das nicht immer? diese Frage drängte sich gewiß manchem Beschauer auf.

Denjenigen wandernden Künstlern nun, welche nicht das Glück haben, etwas Neues bieten zu können, bleibt immer noch der Ausweg, etwas Altes für eine Neuigkeit auszugeben. Da die Behörden dem Erfindungstalente dieser Künstler einen nicht genug anzuerkennenden Spielraum gewähren, so wäre es undankbar diesen nicht zu benutzen. So läßt man z. B., wenn man gar nichts Besseres weiß, schnell einen Seehund aus der Handelsmenagerie von Hagenbeck in Hamburg kommen, der immer einen Bottich voll hat. Ein solcher Seehund ist ungeheuer brauchbar, er kann gezeigt werden als Seepferd, Seelöwe, Seebär, Seekuh, Wallroß, Eisroß, Seeweib, Seedrache, Seetiger, kurz die Reihe der Namen ist unerschöpflich, zu denen sich ein gemeiner deutscher Seehund eignet. Aehnlich ist es mit den neuerdings erfundenen Maskenschweinen, sie gelten als Elephanten-, Rhinoceros-Schweine, wobei letzteres Wort aber möglichst verschluckt wird.

Es giebt Leute, welche über solchen Schwindel, wie sie es nennen, sich ärgern können, und ich erinnere mich z. B., daß ein Herr einst einem solchen armen Künstler, weil derselbe einen starken Ziegenbock als Alpen-Steinbock zeigte, die fürchterlichsten Vorwürfe machte. Der seltsame Mann! wenn er wußte, wie ein Alpen-Steinbock aussieht, mußte er auch wissen, daß man einen solchen nicht für einen Silbergroschen zeigt. Das Entree ist überhaupt gewöhnlich der beste Maßstab dafür, ob das zu Schauende von ernster oder heiterer Seite aufgefaßt sein will. Grollen wir daher diesen Anfängern unter den wandernden Künstlern keineswegs, und wünschen wir im Gegentheil einem Jeden, daß er so weit komme, um, wie die Kunstreitergesellschaft Suhr und Hüttemann, 1 Thr. Entree nehmen zu können.

L.