Weihnachten (Rudolf Lavant)
[1362]
Weihnachten.
Im warmen Prunksaal, in des Bürgers Zimmer,
Das von der Sitte noch der Väter spricht ―
Allüberall der Kerzen heller Schimmer,
Allüberall des Christbaums frohes Licht!
So mußt du weit, so mußt du lange gehn,
Bis wo die Häuser allgemach verschwinden
Und nur der Aermsten niedre Hütten stehn.
Doch zürne nicht mit deiner Zeit Geschicken
Versuch’ es nur, mit hellem Aug’ zu blicken,
Und hundert Kerzen gehen still dir auf,
Von denen jede, jede dir verkündet:
Auch in den Hütten brennt ein Weihnachtsbaum,
Das ist kein leerer, trügerischer Traum.
Wohl sind sie arm, wohl müssen sie sich quälen,
Wohl ist ihr steter Schlafgenoß das Weh,
Doch überstrahlt die Lichter in den Sälen
Die unsichtbar, unfaßbar sich verbreitet,
Die wie ein Lenzhauch in die Seele dringt,
Die eine schönre Zukunft uns bereitet
Und Allen, Allen die Erlösung bringt.
In stiller Stunde fest und tief geschaut,
Der weiß, daß sie sich an das Heute klammern,
Weil einem Jeden vor der Zukunft graut.
Sie ahnen Alle eine Weltenwende,
Sie fühlen tief, daß nahe schon das Ende
Und daß kein Beten da um Stundung frommt.
Es fahren schaudernd Nachts empor vom Pfühle,
Es lauschen bang und angstvoll in den Wind,
Die ohne Glaube, ohne Hoffnung sind.
Wer wählte seinen Platz drum bei den Satten,
Von denen nie die düstre Sorge weicht,
Die selber heute, in des Christbaums Schatten,
Nein, nur zu jenen kann ein Mann sich schlagen,
Die Träumer man und Schwärmer spottend nennt,
Weil eine Hoffnung sie im Herzen tragen,
Die wie ein Christbaum hundertkerzig brennt;
Den keine Macht der Erde ihnen raubt,
Und weil die Zukunft stets noch dem gehörte,
Der fest und muthig an sich selbst geglaubt.
R.L.