Weihnachten in Amerika

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Titel: Weihnachten in Amerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 720
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[720] Weihnachten in Amerika. In New-York, wo vermöge eines fortwährenden Zuzuges frischer Einwanderung aus Deutschland, der hier immer verhältnißmäßig größer war, als fast an allen andern Orten des Unionsgebietes, deutsches Wesen immer mehr einzudringen beginnt, sah man noch vor fünfzehn Jahren zur Weihnachtszeit nur auf einer einzigen Stelle am Broadway wenige Tannenbäumchen für das Christfest zum Verkauf ausgestellt. Es war dies vor der Dreieinigkeitskirche, die[WS 1] die Wallstreet westwärts abschließt und wo ersichtlich auf einzelne deutsche Kaufleute speculirt wurde, von denen ausnahmsweise an der altheimathlichen Sitte des Christbescheerens festgehalten wurde. Jetzt spielt durch die ganze Riesenstadt der Weihnachtsbaum einen, man darf sagen ansehnlichen Handelsartikel und ist an vielen Verkaufsstellen zum Theil massenhaft ausgestellt neben grünen Laubkränzen und Sternen, die zur fröhlichen Ausschmückung von Gemächern dienen. Am Feste selbst flimmert und flackert es fast in den meisten Häusern, selbst in vielen Wohnungen der Angloamerikaner, von angezündeten Christbäumen, welche mit Naschwerk und Geschenken zur Freude von Jung und Alt behangen sind. Vorher wimmelt es namentlich in den deutschen Zeitungen von Anzeigen, die auf das Christfest Bezug haben. Es ist wirklich nicht zu viel gesagt, wenn behauptet wird: die Deutschen haben tüchtig angefangen, Nordamerika für das Weihnachtsfest zu erobern und demgemäß zu germanisiren.

Dringen wir etwas tiefer in diese Erscheinung, so gewinnt dieselbe sehr an Bedeutung; denn auf diesem Wege wird offenbar die harte Rinde durchbrochen, welche sich durch das Puritanerthum der Angloamerikaner um deren Gemüther gebildet hat und eine Scheidewand zwischen ihnen und dem deutschen Bevölkerungselement herstellte. Die civilisirende Sitte des gegenseitig beglückenden Schenkens zur Freudenerzeugung öffnet Herzen und Gemüther, eine duftende Blume in die rauhere Jahreszeit flechtend. Den Deutschen gebührt hierbei der Ruhm, durch ihr Beispiel zuerst den Kindern der Angloamerikaner das Verlangen nach einem Christbaum eingeflößt zu haben, dem sodann die zärtlichen Mütter folgten, worauf den nur auf Geschäfte und Geldgewinn denkenden Gatten und Vätern nichts übrig blieb, als sich dem Walten dieser einflußreichen Willensäußerungen zu fügen. Allmählich haben sich Letztere an eine gemüthlichere Manier des beseligenden Gebens und Schenkens gewöhnt, während sie sonst nichts als jene flüchtige Freude am Nehmen und Empfangen kannten. Darin liegt zweifelsohne ein bedeutender Fortschritt auf der Civilisationsbahn und es ist Aussicht vorhanden, daß nach und nach eine Bresche in dem Bollwerk der hartgesottenen, ungezügelten Selbstsucht durch Liebesbeweise geschossen werden wird, wodurch das Gesellschaftsleben in Nordamerika seine Unerquicklichkeit verlieren muß, über die Jedermann klagt, oder die doch Jeder fühlt, ohne sich genauere Rechenschaft darüber zu geben.

Von den Deutschen New-Yorks und seiner Umgebung wird die Weihnachtsfeier mit zubehörigem Christbaum nicht blos auf den Familienkreis beschränkt, sondern noch auf weitern socialen Verkehr ausgedehnt. Sie veranstalten vielfach häusliche Feier am „heiligen Abend“ und ziehen dazu ihre intimeren Freunde herbei, versammeln sich aber am folgenden eigentlichen Christtag in Localen, wo sie sonst zu geselligen Zwecken zusammenkommen, um unter Gesang, Tanz oder andern Belustigungen den Winterabschnitt des Jahren zu feiern. Ein stattlich aufgeputzter Christbaum von möglichst kolossalem Umfange bildet dann gewissermaßen den Mittelpunkt des Vergnügens, welches den Angloamerikanern völlig unbekannt war. Diese hielten sich nur an den Sanct Niklas, unsern deutschen Knecht Ruprecht, welchem aber kein freundliches Christkind folgte.

Mehrfach werden auch gegenwärtig von Schulanstalten Christbescherungen veranstaltet, die den Weg in Kinderasyle und dergleichen fanden, nachdem vorher zu dem Zwecke freiwillige Gaben eingesammelt wurden. Mit einem Worte: es trägt die deutsche Sitte in erwähnter Richtung ihre beglückenden Folgen allmählich in eine Bevölkerung, deren bisherige Freudenarmuth sprüchwörtlich bei denen geworden war, die mit der erquicklicheren europäischen, namentlich der deutschen Bildungsatmosphäre Bekanntschaft gemacht hatten. Stehen die Lehrer dabei noch immer nicht im erwünschten Ansehen, genießen sie keine gebührende Achtung, kommt ihnen, freilich schon seltener als früher, der Schimpfname „Dutch“ (Tölpel) von den Schülern roh entgegen: so kann sie der thatsächliche gute Erfolg ihren beispielgebenden Einflüssen schon darüber trösten. Weiß man doch deutscher Seits, daß der gegen uns dargelegte Fremdenhaß eigentlich hauptsächlich aus dem Gefühl der ideellen Ueberlegenheit des deutschen Elements über das englische entspringt. Verständige Lehrer können Schülerungezogenheiten niemals ernstlich erzürnen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. ergänzt, Vorlage ohne Relativpronomen.