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Weimar (Meyer’s Universum)

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DCCII. Passaic-Falls bei Patterson. (New-Jersey, Verein. Staaten von Nordamerika.) Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCCIII. Weimar
DCCIV. Die Herrnhuter-Kolonie Lichtenfels in Grönland
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
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WEIMAR

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DCCIII. Weimar.




Vor dem geistigen Auge ruht Weimars Größe in der Vergangenheit; dem leiblichen aber erscheint das heutige Weimar schöner als jenes, in dem die großen Menschen lebten und strebten. Die Fackeln sind ausgegangen; aber die Summe des Lichts, – brennen auch meist nur Pfennigkerzen – ist doch sehr groß, und es ist thöricht, zu sagen, daß der Ruf weimarischer Intelligenz an altbackenen Brodrinden nage. Man vergißt, daß Göthe, Schiller, Herder und Wieland, die Großschatzmeister der Kultur und Humanität, die Schätze nicht verschlossen gehalten haben, sondern sie verausgabten, und was einst bei Wenigen aufgehäuft lag, seitdem Vielen zu Theil geworden ist. Weimar hat sich in geistiger Beziehung seit seiner großen Zeit keineswegs zu seinem Nachtheil geändert. Die Stadt ist nicht nur wohlhabender, das Leben in derselben ist auch im Allgemeinen gebildeter, sittlilicher, genußreicher geworden.

Daß Weimars äußere Verhältnisse, mit denen in seiner großen Vergangenheit verglichen, in der Gegenwart gewonnen haben, darüber herrscht nur eine Stimme. Das in Schillers Tagen noch so unbedeutende Städtchen von 5000 Einwohnern, das einem großen Dorfe ähnlicher sah, als der Residenz eines angesehenen deutschen Fürsten, ist zu einer anmuthigen Mittelstadt von 12,000 Einwohnern herangewachsen, und die sich beständig erhebenden neuen Wohngebäude und Anlagen beweisen, daß das Gedeihen des Orts noch im Zunehmen ist. Die Eisenstraße hat Weimar mit der Welt verbunden, manche früher unbekannte Quelle des Wohlstandes aufgethan, ältere erweitert [174] oder reichlicher fließen gemacht, und auch dem geistigen Leben und Verkehr führt sie täglich frische Kräfte und Anregungen zu. Daß demungeachtet in Weimar Klagen gehört werden über Verlorenes und Mangelhaftes, darf das Urtheil nicht beirren. Nicht leicht ist der Mensch mit dem ihm in der Gegenwart beschiedenen Loose zufrieden. Wenn aber in Weimar die Unzufriedenheit gesprächig ist auch jetzt noch, so ist dies kein übles Zeichen. Wären laute Klagen immer ein Beweis von öffentlichem Unglück, dann müßten die unglücklichsten Menschen in England, die glücklichsten in Rußland oder Kurhessen wohnen. Man dürfte in Britannien, wo man die Minister zuweilen in effigie an den Laternenpfählen hängen sieht, nur einige Male jene Operation wirklich an den Personen der räsonnirenden Bürger vornehmen, um jede Aeußerung von Unzufriedenheit verstummen zu machen. – Weimar hat übrigens nicht nöthig zu klagen über das verlorne Paradies und das Verschwinden seines goldnen Zeitalters. Es darf sich auch nicht beschweren, daß ihm von der Last der allgemeinen und begründeten Unbehaglichkeit, welche die Zustände in Deutschland so Vielen verleiden, ein größerer Antheil geworden ist, als anderwärts. In Weimar ist’s noch immer, selbst für den Mann, welcher die Freiheit liebt und dem die Verknechtung und die aus derselben hervorgehende Verderbniß des Volks an der Seele nagt, erträglich nach Zeit und Umständen. Die weimarische Regierung hat seit zwei Generationen im liberalen Geiste das Land verwaltet, sie war der Freiheit und den angeborenen Menschenrechten nicht feindlich. Dies gereicht ihr zum Ruhm. Aber noch höher ist’s ihr anzurechnen, daß sie in dieser Zeit sich nie durch Beispiel und Zusprache auf die entgegengesetzte Bahn hinreißen ließ, daß sie keinen übermüthigen oder harten Gebrauch machte von dem Rechte des Stärkern und die Rolle des Despoten spielte. – In Weimar rathen noch gegenwärtig Männer als Minister dem Fürsten, welche durch das Volksvertrauen in den 48er Märztagen emporgehoben wurden, und das standhafte Fernbleiben der Regierung von der Doktrin, welche durch Treubruch und Meineid der Fürsten, durch Entsittlichung und Entmannung der Völker, durch das Herabwürdigen der Menge mittelst Gewalt, Betrug und Dressur zum Stande unvernünftiger Wesen das Recht der legitimen Herrschaft zu befestigen trachtet, und aus ihrem eigenen Werke, der Volksdemoralisation, die Folgerung zieht, die Masse sey ein Thier, zum Dienste des Herrn geboren, – das gereicht ihr um so mehr zur Ehre, da Weimar ein gar kleiner Staat ist, und es ihm, bei seiner Schwäche, folglich um so schwerer werden muß, den Kräften zu widerstehen, welche beständig zur entgegengesetzten Bahn hindrängen. Auch der neue Fürst, – es steht zu hoffen – wird an der Ueberzeugung seines Vaters halten, daß ein Verhältniß, welches die Berechtigung des Fürsten zum Despoten voraussetzt, das Volk hingegen zur Knechtschaft verpflichtet, – ein Verhältniß, das nur Räuber und Beraubte, Quäler und Gequälte, Starke und Schwache, Genießende und Darbende, willkürlich Befehlende und willenlos Gehorchende kennt, – nicht fähig sei, ein Staatswesen des Rechts und der Moral, des guten Glaubens und des gegenseitigen Vertrauens zu begründen, oder zu gewährleisten. Möge von der Schlechtigkeit und Niedertracht der [175] Schleppträger der Tyrannei jene diabolische Doktrin als ewige Weisheit gepriesen werden, – sie kehrt die Ordnung der Natur doch nicht um, und wenn ihr Tag vergangen ist, wird sie an ihrer eignen Narrheit zu Schanden. –

Weimar ist eigentlich ein Park, in welchem eine Stadt liegt“. – Wirklich ist die Naturumgebung, die Landschaft, bei ihrer Größe, Mannichfaltigkeit und Schönheit das Vorherrschende im Bilde Weimars und selbst bis in die Mitte der Stadt säuseln und rauschen noch die Baumwipfel, spielen die Blätter und Blüthen am Ufer des Flüßchens und klettert rankendes Gesträuch an den Schleußen und Radstuben der Mühlen hinan. Der großherzogliche Park, Göthe’s und Karl Augusts Schöpfung, beginnt an der Südseite des Schlosses und dehnt sich in weitem Bogen um die Hälfte der Stadt. Keine Mauer umschließt, kein Gitter umhegt die herrliche Anlage und läßt eine Scheidewand zwischen dem fürstlichen Besitzer und dem Volke, zwischen Park und Stadt erkennen. Feld und Wald, öffentliche Spaziergänge und Privatgärten, Straßen, Alleen, freie Plätze und Wiesengründe fließen überall in einander und das Gefühl unbegrenzter Freiheit wird durch keine Schranke beeinträchtigt. Dies eben macht die Umgebung Weimars so genußreich.

Von dem Parksaum führt eine mit Bäumen bepflanzte Kunststraße eine Landhöhe hinan nach Belvedere, dem schönen Sommeraufenthalte der fürstlichen Familie. Großartige Anlagen gruppiren sich um das Schloß und in reizvoller Abwechselung öffnen sich von den verschiedensten Punkten, über das Laubgewölbe hochstämmiger Buchen und Ulmen weg, nach jeder Seite Fernsichten in die Gefilde und Wälder Thüringens. Durch das Thal der Ilm und die blumenreichen Wiesen von Oberweimar knüpft sich der Park von Belvedere an die nähere Umgebung der Stadt, wo vielfach geschlungene Pfade zwischen Gärten und Baumpflanzungen zu mancherlei Ruhepunkten, einer schmucklosen Bank von Holz oder Stein, oder zu einer murmelnden Quelle, oder in eine Felsgrotte, oder zu einem Denksteine führen, geziert mit dem Bilde eines großen Mannes, oder zu einer Tafel, die an eine wichtige Begebenheit erinnert. An jeder Bank, an jedem Pfad und Steg haftet die Weihe von großen und edlen Menschen, welche einst auf ihnen ruhten oder wandelten, das Andenken an die Heroen und Propheten des Menschenthums, an jene Geisteskönige, welche ein kluger und genialer Fürst, der auch für seinen eigenen Ruhm bedacht war, in Weimar versammelt hatte. Viele Oertlichkeiten führen ihre Namen, und manche, z. B. das Borkenhäuschen am Ilmufer, rufen die Tage lebhaft in’s Gedächtniß, wo Göthe, Schiller, Herder und Wieland genußreiche Stunden im Kreise ihres fürstlichen Freundes verlebten. Schade, daß die Pietät, die für ihre Erhaltung sorgt, doch nicht immer zart genug fühlt, um sie auch vor einer unangemessenen Bestimmung zu schützen. Jene Hütte von Baumrinde, deren enger Raum dem Großherzoge Karl August Jahre lang zur Sommerszeit als Wohn- und Arbeitszimmer, Schlafgemach, Empfang- und Speisesaal genügte, und wo er im Kreise seiner Auserwählten so oft noch um Mitternacht durch Sang und Becherklang das Weimarische Spießbürgerthum entsetzte, [176] das an der Gesellschaft des Fürsten mit den „Poeten“ beständig ein Aergerniß nahm, wird jetzt zur Aufbewahrung von Gartengeräthe benutzt, und wo die Geistesfunken blitzten, welche eine Welt erhellten, stehen Karren, Spaten und Schaufeln umher. Manche Aussicht, die zu einem unsterblichen Gedicht anregte, ist verwachsen, manche Lieblingsbank Schillers und Göthe’s ist durch die überwuchernde Vegetation feucht, unheimlich und ungenießbar geworden. Wie tief jene großen Menschen für die Reize der Natureinsamkeit empfanden, sagen sie an tausend Stellen ihrer Werke und Briefe. So schrieb Göthe: (an Knebel 1780) „Es hat Neun geschlagen, – ich sitze, das Licht im Fenster, in meinem „„Kloster““ und schreibe Dir. Ich schlich den Abend um die Eingänge der kalten Küche (so nennt das Volk die kühle Parkgegend am Borkenhäuschen) und ich war so ganz in der Schöpfung und so weit von dem Erdentreiben. Der Mensch ist wahrhaftig nicht zur elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt! Ist’s Einem ja doch nicht größer zu Muthe, als wenn man so die Sonne untergehen, die Sterne aufgehen, es kühl werden sieht und fühlt, – und das Alles für sich, so wenig der Menschen halber; und doch genießen sie’s so oft mit dem Glauben, es sey nur für sie. – Ich will mich baden mit dem Abendstern und neu Leben schöpfen. Leb’ wohl so lange. – – Ich komme daher. Das Wasser war kalt; denn Nacht lag schon in seinem Schooße. Es war als tauchte ich in die kühle Nacht. Als ich den ersten Schritt hinein that, da war’s dunkel. Dann kam der volle rothe Mond über Oberweimar herauf. Es war so stille. Wedels Waldhörner tönten von Weitem und die Ferne machte mich reinere Töne hören – –“.

Vom Borkenhäuschen führen gewundene, bald auf-, bald absteigende Pfade der Ilm entlang, zu einer Felsentreppe, und diese zu einem freien Rasenplatz, auf dem Karl August in spätern Jahren sich ein bequemeres Tuskulum erbaute. Er nannte es das Römische Haus. Es ist ein tempelartiger Bau, dessen von Säulen getragenes Hauptportal sich dem Belvedere zuwendet, während seine östliche Fronte mit einem von braunrothen dorischen Säulen getragenen Portiko auf der Kante einer hohen Felswand steht, an deren Fuß die Ilm rauscht. Zwischen den Säulen ist ein großes steinernes Becken, aus dem einst ein Springbrunnen emporstieg; jetzt füllen es Erde und Blumen. Ein Vorgemach, mit einer Schale von Rosso Antico und einigen Statuen geschmückt, ein größerer Speisesaal, ein Arbeitszimmer und ein Schlafgemach, – das ist der Inhalt des Römischen Hauses, wo der Fürst bis zu seinem Tode mit den Besten und Größten des Volks die schönsten Tage der schönen Jahreszeit genoß. Noch ist die ganze Einrichtung im Innern so, wie er sie verlassen hat. Im Saale hängen einige Familienbilder neben seinem eigenen; im Arbeitszimmer steht ein schlichter Holztisch mit ganz gewöhnlichem Schreibgeräthe; darauf liegt eine Papierscheere, eine Loupe, eine Brille, ein aufgeschlagenes Buch; im offenen Schlafgemach neben an ist das Mobiliar auch nicht splendider, als in einem ordentlichen Bürgerhause; einige Sepia- und Aquarellzeichnungen, italienische Veduten darstellend, zieren unter Rahmen und Glas die Wände. [177] Von Komfort und Pracht nach modernem Begriff ist keine Spur; schön aber sind die Ausblicke in’s Freie und sie lassen das Weimarische Land mit seinen Fruchtfeldern und Wiesengründen, Obsthainen und Wäldern, Kirchthürmen und Schlössern, Dörfern und Weilern, Bergen und Höhen wie einen Park erscheinen.

Wir verlassen Weimars Umgebung zu einem Gange in die Stadt.


Siehst Du das kleine Eckhaus dort, an der Esplanade, mit der Steinplatte über der Pforte, auf welcher mit schwarzer Farbe Schriftzüge gemalt sind? Tritt näher und lies:

„Hier wohnte Schiller“.

Bescheiden möchte sich das Haus unter den weit größeren und stattlicheren Nebengebäuden verbergen mit seinem kaum zimmergroßen Gärtchen; an jenen größeren aber weilt kein Blick, während an diesem kleinen kein gebildeter Mensch, ohne tiefe Erregung und ohne Ehrfurcht und Dankbarkeit zu empfinden, vorübergeht. Wie wenige Menschen haben, wie Schiller, so segensreich anf ihre Zeit und ihr Volk gewirkt! – Schiller kaufte das Haus um „den sehr theuern Preis von 2400 Thlr.“, wie er seufzend seinem Freunde Körner schrieb. An demselben Tage starb seine Mutter; an demselben Tage, drei Jahre später, reichte er Göthen zum letzten Male die Hand. Es war am 29. April 1805 und am 12. Mai früh vor Tagesgrauen trugen sie ihn hinaus im „Dreithaler-Sarge!“ Kein feierlicher Zug geleitete zum Friedhofe. Der Himmel war bewölkt, die Luft unfreundlich, die Nacht dunkel, die Straßen still und menschenleer. Zwei Groschenfackeln spendeten flackernd ihr spärlich Licht. An der Gruft harrten zwei Menschen – der Todtengräber und sein Gehülfe, mit ihren Stricken, um, ohne Sang und Klang, bei dem trüben Scheine einer zerbrochenen Laterne den Sarg in das feuchte, alte „Cassengewölbe“ zu vielen andern hinabzulassen, in denen die Gebeine vergessener, unbedeutender Menschen moderten. Am nächsten Sonnabend aber verkündigte das Weimarische Wochenblatt der Einwohnerschaft in einer schwarzgerandeten Anzeige: der sachsen-meiningensche Hofrath v. Schiller sey gestorben und „standesgemäß“ begraben worden! –

Schillers Haus ist jetzt Eigenthum der Stadt. Sie kaufte es und sucht es zu erhalten. Es ist ein wohnliches, einfaches Bürgerhaus von zwei Etagen mit einem Erker, hinlänglich groß für eine Familie. Unten, zur Rechten des Eingangs, wohnt der Kustode; die Stube links hat derselbe zu einem Laden hergerichtet und mit allerhand Schillerangedenken: Statuetten, Büsten von Zink, Gyps und Terracotta, mit Portraits und Ansichten von Schillers Haus und Garten, mit Facsimile’s von Schillerschen Handschriften, mit Schilleralbums u. s. w. zum Verkauf versehen. Das mittlere Stock, wo Schillers Familie wohnte, hat der wohllöbliche Magistrat – vermiethet; [178] nur der Erker, den Schiller selbst inne hatte, ist den Fremden geöffnet. Er enthält drei kleine Zimmer nach der Straße zu. Auch von diesen ist das eine profanen Zwecken hingegeben: in demselben verwahrt nämlich der Kastellan verschiedene Waarenvorräthe, Gyps, Gypsfiguren und allerhand Geräthe und Gerümpel. Das Mittelzimmer ist, leider! auch nicht mehr in dem ursprünglichen Zustande. – In der gut gemeinten Absicht, ihm ein „würdigeres“ Ansehen zu geben, ließ es der Magistrat von Künstlerhand mit Bildern ausmalen, deren Motive aus Schillers Gedichten genommen sind. Ein gestickter Fußteppich bedeckt den Boden; gestickte Sessel, von Weimars Frauen verehrt, reihen sich an den Wänden umher, ein Paar Gypsabgüsse von Antiken stehen in den Ecken; das Ganze ist nett aufgeputzt, ruft aber doch das Bedauern jedes sinnigen Besuchers hervor, der keinen dekorirten Salon, wie es überall welche gibt, sondern die Wohnung Schillers zu sehen herkommt. Aus diesem zweiten Zimmer, das jetzt gleichsam die Stelle des Vorhofs zum Allerheiligsten vertritt, führt der Kustode in’s eigentliche Arbeitsstübchen Schillers. Es hat zwei Fenster nach der Straße zu; ein drittes geht in das Seitengäßchen. Vor diesem letztern steht der Schreibtisch Schillers; – derselbe, von dem er seinem Körner schrieb: „er hat mich freilich zwei Karolin gekostet!“ Niemand wird dieses Prachtstück des Schillerschen Mobiliars, aus dem die vollendetsten Werke des Dichters entstanden sind, ohne Pietät und zugleich ohne Mitleid betrachten, denn das Pult ist so niedrig, daß Schiller nur weit übergebogen und halb liegend an demselben schreiben konnte, – eine Gewohnheit, welche die verderblichsten Folgen auf seine Gesundheit äußerte und seinen Tod beschleunigte. Auf dem Schreibtisch liegen einige Schriftstücke von Schillers Hand, – Fragmente seiner Werke und Briefe – eingerahmt und unter Glas, eine Lage Papier und ein Paar Federn. 6 ordinäre Stühle von braungebeiztem Buchenholz mit rohem Kalbleder überzogen, ein kleiner schlechter Tisch, ein Spinett, über welchem eine Guitarre an der Wand hängt, ein Paar geringe colorirte Kupferstiche, sicilianische Ansichten darstellend, in braunen und schwarzen Rähmchen, eine hellgrüne Papiertapete mit dunkelgrünen Sternchen: – das ist die Ausstattung des Gemachs, zu der man noch das Bett gefügt hat, in dem Schiller starb, das kleine schwarze Nachttischchen mit der unscheinbaren Mundtasse, aus der er den letzten Trank schlürfte, und die Tabaksdose, die er beständig bei sich trug. Ueber dem Bette hängt Schillers Portrait nach Dannekers Büste und ein zweites, das Jagemann nach der Leiche zeichnete. Dieses letztere ist von mächtiger, ergreifender Wirkung. Selbst von der entseelten Stirn, von den geschlossenen Augenlidern, leuchtet noch die ganze Hoheit dieses göttlichen Geistes. Ein kostbar gebundenes Schilleralbum bewahrt in einer, dem Deckel eingefügten, Glaskapsel eine seidenweiche, blonde Locke von Schillers Haupt – eine Reliquie, aufrichtiger verehrt und der Verehrung werther, als die mancher Heiligen! – –


[179] „Licht, Liebe, Leben!“ – so lautet die Inschrift auf dem bescheidenen Stein in der Stadtkirche, unter dem Herders Asche ruht. Vor der Kirche steht sein Standbild, das einzige Weimars, der Stadt, welche das deutsche Volk einst noch mit Denkmälern schmücken wird, wie die Griechen ihr Athen. Die Statue ist von Schaller in München eben so vortrefflich gedacht als ausgeführt. So mag sie ausgesehen haben, die edle, ehrwürdige Gestalt des großen Herder, der für sein Volk, für die Menschheit, für die Humanität beständig gestrebt hat. Ein noch schöneres und dauernderes Denkmal aber hat ihm Göthe aufgerichtet in jenen ewigen Strophen:

„Ein edler Mann, begierig zu ergründen
Wie überall des Menschen Sinn ersprießt,
Horcht in die Welt, so Ton und Wort zu finden,
Der tausendquellig durch die Länder fließt.
Die ältesten, die neusten Regionen
Durchwandelt er und lauscht in allen Zonen!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wo sich’s versteckte, wußt’ Er’s aufzufinden,
Ernsthaft verhüllt, verkleidet leicht als Spiel;
Im höchsten Sinn die Zukunft zu begründen:
Humanität sey unser ewig Ziel!“

Inmitten des ältesten Stadttheils liegt die Jakobskirche, von einem viereckigen Platz umgeben, dem ältesten Friedhofe der Stadt. Da schlummern die Generationen von neun Jahrhunderten, und in jede Handvoll Erde ist der Staub unbekannter und berühmter Menschen gemengt. – Da siehst Du in Stein gehauen an der Kirchenmauer, sein Käppchen in der Hand, den alten ehrenfesten Meister Lukas Kranach „den Ersten“, wie ihn die Inschrift nennt, zum Unterschied von seinem des Malens gleichfalls kundigen Sohne. Er war Luthers Freund und treuer Mitstreiter im Kampfe für christliche Wahrheit. Sein Schwert war nicht das Wort; seine Waffen waren Griffel, Pinsel und Schneidemesserchen; Kranach war der Maler und Holzschneider der Reformation. – Nicht weit von ihm steht der Denkstein des allbekannten und allverehrten Musäus. Wer hätte seine deutschen Volksmährchen nicht gelesen und wiedergelesen und wem hätten sie nicht die jugendliche Seele erfreut und erfrischt? Nicht weit von Musäus schläft Herders geistreiche Gattin, und viele Namen auf anderen Grabsteinen, z. B. Kraus, Bode, Gore und Mounier erinnern an Persönlichkeiten aus Weimars glänzendster Zeit. Aber was ist der Ruhm aller dieser Todten zusammen gegen den Einen – was will das Interesse für alle diese Grüfte heißen bei dem Anblick jenes von rankenden, schlingenden Kräutern überwucherten verfallenen [180] Grabgewölbes, das der Name „Schiller“ geheiligt hat. Es ist das „Cassengewölbe“, dasselbe, in welches man in jener düstern Mainacht Schillers Sarg senkte. Jetzt haben seine Gebeine in der „Fürstengruft“ eine Stätte gefunden, an der Seite Göthe’s, des Ebenbürtigen und in der Nähe Karl August’s. Die Versetzung war eine schwere Aufgabe; denn als man die Gruft öffnete, fand man Schillers Sarg mit dreizehn andern zusammengebrochen, und die Gebeine Aller lagen durcheinander, – ein wüstes, grauses Chaos. Sie wurden korbweise in die Anatomie getragen, um sie unter dem Beistand eines von Jena berufenen berühmten Anatomen zu sondern. – Schillers Schädel, dessen herrlicher Bau schon im Leben so bewundert worden, war leicht zu erkennen, und als dennoch der Zweifel die Möglichkeit einer Verwechselung geltend zu machen suchte, wurde der alte Diener Schillers von Jena herübergeholt, um wegen besonderer Merkmale Auskunft zu geben: – „Schillers Schädel“, sagte er, „muß noch alle Zähne haben, bis auf den einen Backenzahn, den er sich ausziehen ließ“ – und es traf zu. Es wurde dann Knochen an Knochen gepaßt, bis nach unendlicher Mühe das ganze Gerippe zusammengefügt war. Ein einziger Armknochen fehlte. Dieser, nirgends aufzufinden, war wahrscheinlich bei dem Hertragen so vieler Gebeine unterwegs verloren worden. In einen neuen Sarg verschlossen, wurde das Gerippe sodann „standesgemäß“ – die Gebeine eines Fürsten der Geister in ein fürstlich Begräbniß – beigesetzt.

Göthe hat die ganze Schmerzensempfindung über das Unwürdige in Schillers Geschick in die mahnenden Worte gefaßt:

„Drum feiert ihn! Denn was dem Mann das Leben
Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben“.

Mit dem Besuche des geweihten Orts, welcher die Sarkophage der beiden Dioskuren, Schiller und Göthe, gegenwärtig umschließt, wollen wir unsere heutige Pilgerfahrt beendigen.

Die Fürstengruft befindet sich auf dem neuen Friedhofe, der einem wohlerhaltenen Garten gleicht, wo die liebende Sorgfalt ihre Todten unter Grün und Blumen bettet. Den schönen Namen „Gottesgarten“ verdient er mit Recht. Da ist kein Grabhügel vernachlässigt oder verwildert, fast alle prangen im reichsten Blumenschmuck, und wohlgehaltener Baumwuchs und blühende, duftende Gesträuche fassen die breiten Wandelgänge ein, welche ihn in allen Richtungen durchschneiden. Die Erbbegräbnisse der Reichen und Vornehmen sind nicht durch Mauern eingeschlossene, bedeckte, moderhauchende Gebäude; es sind öffne, leicht oder gar nicht eingefriedigte Plätzchen und jedes stellt sich als ein Blumengärtchen dar, das die Hand der Angehörigen gepflanzt und gepflegt [181] hat. Alles ist bescheiden und einfach. Prachtgräber des Stolzes und der Hoffart sind hier nicht zu finden. So sollte es überall seyn; denn der Tod macht ja Alle frei und – gleich.

Am höchsten Punkte des Friedhofs, in seiner Mitte, erhebt sich auf einem mit Stufen umgebenen Sockel ein kleiner offener Tempel, dessen vorspringendes Dach auf Säulen ruht. Der Raum ist ohne allen Schmuck, frei von Farbe und Ornamenten, „als sollten Auge und Sinn der Eintretenden durch Nichts abgezogen werden von Dem, um dessen willen sie gekommen“. Eine umgitterte runde Oeffnung in der Mitte reicht in die Tiefe. Für den Besucher führt eine steinerne Wendeltreppe durch eine seitwärts angebrachte und verschließbare Pforte hinunter. Ein Küster ist der Pfortenhüter und gibt uns das Geleit. Mit der letzten Stufe stehen wir vor zwei Sarkophagen. Sie sind einander gleich; die Form ist antik, der Stoff Eichenholz; sonst Alles schlicht und schmucklos. Auf den Deckeln sind Metallplatten eingelassen, und aus frischen Lorbeerkränzen, die immer erneuert werden, sprechen goldne Lettern die Namen aus: „Schiller“ – „Göthe“. Der Küster vertheilt bereitwillig die Blätter der Kränze an Alle, welche nach Reliquien verlangen.

Etwas tiefer im Gewölbe steht der Sarkophag ihres fürstlichen Freundes, Karl August’s. Dieser ist von Erz, reich verziert; den regierenden Herrn verkündigend. Gewinde von Eichen und Lorbeer, Schwert und Wage, schmücken in kunstreicher, getriebener Arbeit den Sarg des Mannes, dessen Andenken so lange dauern wird, als die Namen Derer genannt werden, die ihm zur Seite ruhen.

Schillers Aufnahme in die Fürstengruft geschah am 9. November 1827. Fünf Jähre später folgte Göthe’s sterbliche Hülle dem großen Freunde unter feierlichem Geleite nach.

„Und als der Chor noch fortklang, stieg der Sarg
Mit sammt dem Boden, der ihn trug, allmählig
Versinkend in die Unterwelt hinab;
Das Grabtuch aber überschleierte
Weit ausgebreitet die verborgne Mündung,
Und auf der Erde blieb der ird’sche Schmuck
Zurück, dem Niederfahrenden nicht folgend“.[1]


[182] Wir sagen Weimar Lebewohl, um später wieder zu kommen und Göthe’s Haus und noch andere Orte großer Erinnerungen zu betrachten. Aus der Pforte des Gottesgartens werfen wir noch einen Blick auf das kleine Säulenhaus zurück und rufen ihm zu:

„Bist du auch klein, o Grab, den Mausoleen verglichen,
     Welche der Könige Prunk aufbaut von Marmor und Erz,
Bist du doch herrlicher uns, denn was sie des Herrlichen schufen,
     Heiliger bist du uns auch als der Heiligen Grab;
Denn es umfängt dein umhüllender Schooß die Erhabenen,
 Schiller und Göthe,
Ihres Volks und Geschlechts Ehren und Bildner zugleich.




  1. Schillers „Braut von Messina“.